Cannabis und Cannabinoide

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1.8 Die weltweite Wiedereindeckung des Nutzhanfes
1.8.1 Entwicklungen in Europa

In der Europäischen Union hat der Hanfanbau in den 90er-Jahren eine gewisse Renaissance erfahren. Einer der Auslöser war die „Hanfbibel“ von Jack Herer „Hemp & Marijuana Conspiracy: The Emperor Wears No Clothes“, die in den 80er-Jahren in den USA erschienen war und Hanf als „universellen“ nachwachsenden Rohstoff mit unglaublichen Eigenschaften pries, der nur aufgrund der Marihuana-Prohibition übersehen worden war. Das Buch wurde in den 90er-Jahren in viele Sprachen übersetzt. So erschien es z.B. 1993 in Deutschland unter dem Titel „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf – Cannabis – Marihuana“; die deutsche Ausgabe wurde um einen europäischen und einen wissenschaftlichen Teil ergänzt und löste in Deutschland eine gesellschaftliche und politische Bewegung aus, die schließlich die Anbauverbote für Nutzhanf mit einem THC-Gehalt unter 0,3% (im oberen Drittel der Pflanze) beendete.

In England und den Niederlanden spielte bei der Wiederentdeckung eher eine Rolle, dass es für Hanfanbau und Faserproduktion (wie auch für Flachs) erhebliche europäische Beihilfen gab, die praktisch nur von französischen Landwirten abgegriffen wurden.

Nachdem Spanien bereits 1986 wieder den Hanfanbau für die Spezialzellstoffgewinnung aufgenommen hatte, folgten 1993 England, 1994 die Niederlande, 1995 Österreich, 1996 Deutschland, anschließend Finnland, Italien, Portugal und Dänemark. Heute ist der Anbau von Nutzhanf in ganz Europa erlaubt und wird auch in fast allen Ländern praktiziert.

Nach einem kurzen Hype in den 90er-Jahren stiegen die Anbauflächen auf 20.000 ha und fielen dann im Jahr 2011 wieder auf etwa 8.000 ha. Dann aber ging es erst richtig los. Nach 26.000 ha im Jahr 2015 und 33.000 ha im Jahr 2016 sind die Anbauflächen im Jahr 2017 auf etwa 43.000 ha angestiegen. Die wachsenden Flächen werden vor allem von der Nachfrage im Lebensmittelbereich getrieben. Die gesunden Hanfsamen sind im Mainstream angekommen und sind heute in fast allen europäischen Supermärkten pur, im Müsli, in Schokolade und vielen anderen Produkten zu finden. Hanfsamen können wie Soja zu Drinks und Joghurts verarbeitet werden. Beim Ölpressen bleibt ein proteinhaltiger Presskuchen übrig, aus dem Proteine für Sportler gewonnen werden. Ein Ende der steigenden Nachfrage ist nicht in Sicht (s. Abb. 1).

Weiterer Aufschwung kam mit der Markteinführung des nicht-psychotropen Cannabinoids Cannabidiol (CBD), das in geringen Dosierungen milde beruhigende und fokussierende Wirkungen hat, in höheren auch medizinische. Es wird aus den Blättern und Blüten des Nutzhanfes gewonnen. Auch hier ist die Nachfrage groß, kann jedoch infolge eines Flickenteppichs nationaler Regelungen nicht ausreichend gedeckt werden. Während in der Schweiz Discounter erfolgreich CBD-Zigaretten verkaufen, ist konzentriertes CBD in anderen EU-Ländern ein verschreibungspflichtiges Medikament.

Hanffasern werden in großen Mengen zum Leichtbau in der Automobilindustrie (z.B. Türinnenverkleidungen) eingesetzt, in Dämmmaterialien und für dünne, reißfeste Papiere (Zigaretten und Bibelpapiere). Die Schäben, der verholzte Teil des Stängels, werden als Baumaterial und Tierstreu eingesetzt.

Die weltweit wachsende Hanfindustrie trifft sich jedes Jahr in Köln zur „International Conference of the European Industrial Hemp Association“ (www.eiha-conference.org). Im Jahr 2018 kamen 340 Hanfexperten aus 41 Ländern zu Konferenz, Ausstellung und vor allem Networking. Die „European Industrial Hemp Association“ (www.eiha.org) ist der europäische Industriehanfverband mit Mitgliedern aus allen Bereichen der industriellen Hanfnutzung.

1.8.2 Entwicklungen außerhalb Europas

Aber nicht nur in Europa erfreut sich Nutzhanf wieder erheblicher Nachfrage. In Kanada entstand noch vor Europa eine dynamische Hanflebensmittelindustrie mit stetigem Wachstum. Im Jahr 2016 wurden in Kanada 34.000 ha Hanf angebaut und im Jahr 2017 sogar mit 56.000 ha einer neuer Rekord erzielt. Im Jahr 2018 begann der Anbau von Nutzhanf in den USA, wo in den nächsten zehn Jahren zusätzliche 50.000 ha erwartet werden.

Und auch in China, dem Mutterland des Nutzhanfes, wird Hanf vor allem für die Textilindustrie wieder eingeführt, um die Baumwollproduktion zu entlasten und später vielleicht sogar zu ersetzen. Im Nordosten von China gibt es große Programme, enzymatisch aufgeschlossene Hanffasern in die Textilindustrie einzuführen. Auch die chinesische Automobilindustrie nutzt Hanffasern im Leichtbau. Insgesamt ist die Anbaufläche von 40.000 ha (2016) auf 47.000 ha (2017) angestiegen.


Nachdem Hanf nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der weltweiten Cannabisprohibition als Kulturpflanze fast vollkommen verschwunden war, wurden im Jahr 2018 in Kanada, China und der Europäischen Union insgesamt wieder etwa 150.000 ha angebaut – schon in wenigen Jahrzehnten kann die Millionengrenze erreicht und Hanf wieder zu einer wichtigen Kulturpflanze werden.


Abb. 1 Hanfanbaufläche in der EU von 1993 bis 2017

Literatur

Abel EL (1980) Marihuana, the first twelve thousand years, Plenum Press, New York

Clarke RC, Merlin MD (2013) Cannabis: Evolution and Ethnobotany, University of California Press, Berkeley – Los Angeles – London 2013

Herer J, Bröckers, M, Katalyse-Inst. (1993) Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf, Zweitausendeins, Frankfurt/M

Heuser O (1927) Die Hanfpflanze. In: Herzog O (Hrsg.) Hanf und Hartfasern, Julius Springer, Berlin

Hingst W, Mackwitz H (1996) Reiz-Wäsche, Campus-Verlag, Frankfurt

Körber-Grohne U (1988) Nutzpflanzen in Deutschland – Kulturgeschichte und Biologie, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart

Schultes RE, Hofmann A (1992) Pflanzen der Götter – Die magischen Kräfte der bewusstseinserweiternden Gewächse, AT Verlag, Aarau (Schweiz)

Sowie www.eiha.org, diverse Informationen, z.B. aktuelle Anbaudaten

2 Kulturgeschichte der medizinischen Verwendung

Manfred Fankhauser

2.1 Spurensuche

Die Geschichte von Hanf als Medikament ist noch nicht geschrieben. Dazu passend das Zitat von Behr:

„Die Geschichte [des Hanfes] ist eine unendlich lange Treppenflucht, deren untere Etagen aus deprimierend wenig gesicherten Tatsachen und umso mehr Vermutungen bestehen.“ (Behr 1992)

Das erste schriftliche Dokument zur medizinischen Verwendung von Cannabis stammt aus China. Dem mythischen Kaiser und zugleich einem der Väter der chinesischen Medizin, Shen-Nung, wird dieses, um 2700 v. Chr. erschienene Grundwerk der Medikamentenkunde zugeschrieben (Haenel 1970).

Von China scheint die Pflanze um 800 v. Chr. nach Indien gelangt zu sein (Dreyfus 1973). Es gilt als sicher, dass der Hanf schon zu vedischer Zeit als Heilmittel verwendet wurde. Die in Persien entstandene heilige Schrift der Perser, die Avesta, wurde vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. durch Zarathustra geschrieben. Bereits dort wird auf die betäubende Wirkung des Hanfs hingewiesen. Die Perser kannten auch ein Abortivum mit Namen „Bhanga“, was auf Cannabis hindeutet (Tschirch 1910).

In Ägypten ist die Präsenz von Cannabis seit zirka 1500 vor Christus belegt (Manniche 1989). Es finden sich jedoch Hinweise auf die Pflanze in 1.000 Jahre älteren Papyri. Auch das 1872 entdeckte, umfassendste Dokument zur ägyptischen Medizin, das Papyrus Ebers, liefert mehrere Hinweise zum medizinischen Gebrauch von Cannabis im 16. Jahrhundert vor Christus (Mechoulam 1993).

Erste ausführliche Beschreibungen des übermäßigen Gebrauchs (oder Missbrauchs) beschreibt Herodot im 4. Jahrhundert v. Chr. Er spricht über die Dampfbäder der Skythen, einem indogermanischen Reitervolk des 7. Jahrhunderts v. Chr.:

„Von diesem Hanf nun nehmen die Skythen die Körner, kriechen unter ihre Filzzelte und werfen die Körner auf glühende Steine. Wenn die Körner auf diese Steine fallen, so rauchen sie und verbreiten einen solchen Dampf, wie er sich in keinem hellenischen Dampfbad findet. Die Skythen aber heulen vor Freunde über den Dampf. Er gilt ihnen als Bad, denn im Wasser baden sie niemals.“ (Reininger 1941)

Auch aus dieser Zeit stammen Kräuterbuchfragmente aus Assyrien (zwischen Tigris und Euphrat liegend, daher auch Zweistromland (Mesopotamien) genannt), heutiger Grenzbereich zwischen Iran und Irak. Cannabis erscheint unter verschiedenen Namen (meist als „azallu“) und wird ausgesprochen vielseitig verwendet: Äußerlich gegen Schwellungen, Quetschungen, Augenleiden, zudem wird die Anwendung als Medizinalbad zur Linderung depressiver Zustände empfohlen. Auch innerlich soll es gegen Stimmungsschwankungen helfen, zudem wurde es empfohlen gegen Impotenz, Nierensteine und Hexerei. Die Hanfsamen werden verwendet (zusammen mit Safran und Minze in Bier) gegen verschiedene Frauenleiden.

 

2.2 Cannabis in der antiken Medizin

Welche Bedeutung Cannabis bei den Griechen und Römern gehabt hat, ist unsicher. Man glaubt zwar, dass die psychoaktive Wirkung des Hanfs bekannt, die Verwendung als Rauschmittel aber kaum gebräuchlich war; bezeichnenderweise fehlt Hanf im Corpus hippocraticum (Stefanis et al. 1975). Diese, im 4. Jahrhundert vor Christus entstandenen, dem Vater der Medizin, Hippokrates, zugeschriebenen Schriften, gelten als Fundament der abendländischen Medizin. Andere, Nichtärzte, erwähnen Hanf zwar vor Christi Geburt, gehen jedoch nicht auf die medizinische Verwendung ein (Brunner 1973).

Vielfach zitiert wird die bei Homer (evtl. 7./8. Jahrhundert v. Chr.) im vierten Gesang der Odyssee beschriebene Telemachszene. Helena wirft in den Wein des Telemach und seiner Genossen das Arzneimittel „Nepenthes“, welches das Vergessen aller Leiden bewirken soll. Homer schreibt:

„Und sie tat in den Wein, von dem sie tranken, ein Mittel, Sorgen und Zorn zu stillen und alles Leid zu vergessen. Wer das Mittel genoss mitsamt dem Weine des Mischkrugs, dem rann keine Träne den Tag die Wange herunter, lägen ihm auch tot darnieder Vater und Mutter, selbst, wenn man vor ihm den lieben Sohn oder Bruder mit dem Schwert erschlüge vor seinen Augen.“ (Homerus 1938)

Dass es sich beim Nepenthes um ein Haschischpräparat handelte oder wenigstens Teile davon zu finden sind wird für möglich gehalten. Andere glauben allerdings, dass es sich beim Nepenthes um eine dichterische Erfindung handelt. Interessant ist, dass bereits in der Antike über die Zusammensetzung dieses sagenumworbenen Pharmakons diskutiert wurde.

In der Arzneimittellehre des Dioskurides (um 50 n. Chr.) wird Cannabis erstmals in einer abendländischen Schrift erwähnt (s. Abb. 2):

„Gebauter Hanf. Der Hanf – einige nennen ihn Kannabion, andere Schoinostrophon, Asterion – ist eine Pflanze, welche im Leben sehr viel Verwendung findet zum Flechten der kräftigsten Stricke. Er hat denen der Esche ähnliche übelriechende Blätter, lange einfache Stengel und eine runde Frucht, welche, reichlich genossen die Zeugung vernichtet. Grün zu Saft verarbeitet und eingeträufelt, ist sie ein gutes Mittel gegen Ohrenleiden.“ (Dioskurides 1902)

Abb. 2 Die erste bekannte Abbildung von Cannabis (aus: Codex vindobonensis des Dioskurides [512 n. Chr.])

Nebst Dioskurides erwähnt auch einer der berühmtesten Ärzte der Antike überhaupt, Galen, Hanf in zwei seiner zahlreichen Schriften. Neben blähungswidrigen und aphrodisischen Wirkungen schreibt er, dass ein zu häufiger Gebrauch der Körner zu Magenbeschwerden, Kopfschmerzen und schließlich zu Impotenz führe. Den grünen Saft der Samen empfiehlt er gegen Ohrenschmerzen. Trotz einiger konkreter Hinweise auf die betäubende Wirkung der Pflanze, unter anderem auch von Galen, ist dessen Bedeutung als Rauschmittel im Gegensatz zum Opium als klein einzustufen. Nicht zuletzt deshalb, weil in dieser Zeit vom Hanf fast ausschließlich die nicht betäubend wirkenden Samen und nicht das Kraut als Arznei verwendet wurden.

Mit dem Zerfall des alten Römischen Weltreichs begann gleichzeitig das Aufblühen von Byzanz und, damit verbunden, die Überlieferung der klassisch-antiken Medizinkonzepte in die arabische Welt.

2.3 Haschisch in der arabischen Welt

Die Rezeption der antiken Medizin in der arabisch-islamischen Welt fand im 10. Jahrhundert ihren eigentlichen Höhepunkt. Die großen Autoren der Antike waren ins Arabische übersetzt worden, das medizinische Wissen in den arabisch-islamischen Sprach- und Kulturraum übernommen und durch eigene wie auch Einflüsse anderer Kulturen (z.B. aus Indien) ergänzt. Bezüglich Hanf waren die Verhältnisse ganz anders als in der Antike. Nicht wie dort das Opium, sondern Haschisch (bedeutet in arabischer ursprünglich „dürres Kraut“; das „Haschischat al-foqarâ“ wird als das Kraut der Armen bezeichnet) (Gelpke 1975) hatte die größere Bedeutung als Medizinal- und Rauschpflanze. Zahlreiche angesehene Ärzte gehen auf die medizinische Verwendung von Cannabis ein, so auch Avicenna, der Übervater der arabischen Medizin. Er erwähnt die Pflanze in seiner etwa um 1.000 v. Chr. entstandenen Schrift „Canon medicinae“. Diese Arzneimittellehre galt auch in Europa als wegweisendes und vollständigstes Werk der Medizin noch bis ins 15. Jahrhundert. Im Unterschied zu den Werken von Dioskurides oder Galen werden neu nicht nur die Samen, sondern auch das Kraut medizinisch verwendet, dadurch bedingt wird bereits damals darauf hingewiesen, dass mit dieser Pflanze auch Missbrauch betrieben werden könne (Moller 1951; De Courtive 1848).

Im 13. Jahrhundert beginnt mit dem politischen Ende des arabisch-islamischen Reiches auch der Niedergang der arabisch-orientalischen Medizin, die später das wesentliche Fundament der scholastischen Medizin des westlichen Mittelalters werden sollte.

2.4 Hanf im mittelalterlichen Europa

Cannabissamen genossen im frühen Europa des Mittelalters als Heilmittel großes Ansehen. Detailliert geht um 1150 die deutsche Äbtissin Hildegard von Bingen in ihrer Heilmittel- und Naturlehre „Physica“ auf Hanf ein. Sie schreibt:

„De Hanff-Cannabus – Vom Hanf

Der Hanf ist warm. Er wächst, während die Luft weder sehr warm noch sehr kalt ist, und so ist auch seine Natur. Sein Same bringt Gesundheit und ist den gesunden Menschen eine heilsame Kost, im Magen leicht und nützlich, weil der den Schleim ein wenig aus dem Magen entfernt und leicht verdaut werden kann, die schlechten Säfte mindert und die guten stärkt. Wer Kopfweh und ein leeres Hirn hat, dem erleichtert der Hanf, wenn er ihn isst, den Kopfschmerz. Den, der aber gesund ist und ein volles Gehirn im Kopfe hat, schädigt er nicht. Dem schwer Kranken verursacht er im Magen einigen Schmerz. Den, der nur mässig krank ist, schädigt sein Genuss nicht. – Wer ein leeres Gehirn hat, dem verursacht der Genuss des Hanfes im Kopf einen Schmerz. Einen gesunden Kopf- und ein volles Gehirn schädigt er nicht. Ein aus Hanfverfertigtes Tuch, auf Geschwüre und Wunen gelegt, tut gut, weil die Wärme in ihm temperiert ist.“ (Reier 1982)

In den folgenden Jahrhunderten wird Hanf in den meisten Kräuter- und Arzneibüchern erwähnt, obschon im Jahr 1484 der Papst Innozenz VII Kräuterheilern die Verwendung von Cannabis verbietet. Dieser verkündete, dass Hanf ein unheiliges Sakrament der Satansmesse sei.

Auch Paracelsus beschreibt Cannabis in mehreren seiner zahlreichen Werke. Die bekannten deutschen Kräuterbuchautoren Otto Brunfels, Hieronymus Bock und Leonard Fuchs (diese drei werden auch als Väter der Botanik bezeichnet) bringen wenig Neues zu Cannabis, dafür wird die Pflanze in Form von Holzschnitten sehr schön abgebildet. In fast allen bekannten und prächtigen Kräuterbüchern der Zeit ist Hanf aufgeführt. Das Interesse an diesen Werken schwand im Verlaufe des 17. Jahrhunderts. Im Zuge der Aufklärung begann vermehrt die Suche nach neuen therapeutischen Ansätzen. Allmählich setzten sich auch chemische Stoffe in der Therapie durch.

2.5 Cannabis im europäischen Arzneischatz des 18. Jahrhunderts

Wie bereits in den vorangegangenen Epochen wurden auch im 18. Jahrhundert von der Arzneipflanze Cannabis sativa fast ausschließlich, wie in der Volksmedizin üblich, der Samen in Form des Öls oder einer Emulsion medizinisch verwendet.

So wie die nützlichen und therapeutischen Eigenschaften des einheimischen Hanfes geschätzt wurden, so stand man dem bis dahin in der europäischen Medizin unbekannten indischen Hanf kritisch gegenüber. Der Begriff „indischer Hanf“ wurde erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts durch Georg Eberhard Rumphius eingeführt, der wohl auch als erster deren Zweigeschlechtigkeit erkannte (Tschirch 1912). Aber erst 50 Jahre später wurde die definitive Unterscheidung von Cannabis sativa bzw. Cannabis indica durch Jean Baptiste Lamarck vollzogen.

Den berauschenden Eigenschaften der fremdländischen Hanfpflanze und der vermuteten Schädlichkeit derselben wurde mit Vorsicht begegnet. Der Tübinger Johan Friedrich Gmelin schrieb 1777 in seiner „Allgemeinen Geschichte der Pflanzengifte“:

„Auch der Same, die Rinde, die Blätter, noch mehr der Saft, und die Spitzen der grünenden Pflanze haben etwas Betäubendes; sie sind das Brug, oder Bangue der Morgenländer, die sie gemeiniglich mit etwas Honig anmachen, und es gebrauchen, wenn sie sich ein eine angenehme Trunkenheit und Benebelung des Verstandes versetzen wollen. Ob ich gleich nicht zweifle, dass ein langer Gebrauch solcher Mittel tödlich werden kann, so ist mir doch bisher kein Beispiel davon bekannt.“ (Gmelin 1777)

Es sollte Mitte des 19. Jahrhunderts werden, bis sich indischer Hanf in der europäischen Schulmedizin etablieren konnte.

2.6 Cannabis in der westlichen Schulmedizin des 19. Jahrhunderts

Nach wie vor wurde auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorwiegend (einheimischer) Hanfsamen, ausnahmsweise das Kraut, pharmazeutisch genutzt. Eine erste ausführliche Beschreibung zur Verwendbarkeit des fremdländischen, indischen Hanfs liefert im Jahr 1830 der Apotheker und Botaniker Theodor Friedrich Ludwig Nees v. Esenbeck:

„Mehrere Ärzte, auch Hahnemann, geben das weinige Extrakt gegen mancherlei Nervenbeschwerden, wo man sonst Opium oder Bilsenkraut anwendet, welche Mittel dasselbe ersetze soll, ohne bei grösserer Bitterkeit so sehr zu erhitzen.“ (Nees v. Esenbeck u. Ebermeier 1830)

Trotzdem stellt der gleiche Autor aber klar:

„Wichtiger ist der Gebrauch des Hanfsamens in Emulsionen oder Aufgüssen und Abkochungen, als eines beruhigenden, einhüllenden und reizmindernden Mittels bei Heiserkeit, Husten, Durchfall und besonders bei Krankheiten der Harnwerkzeuge, namentlich des Trippers.“ (Nees v. Esenbeck, Ebermeier1830)

Im Jahr 1839 veröffentlichte der im indischen Kalkutta stationierte irische Arzt William B. O'Shaughnessy eine umfassende Studie über den indischen Hanf. Seiner Arbeit mit dem Titel „On the Preparations of the Indian Hemp or Gunjah“ ist es hauptsächlich zu verdanken, dass der indische Hanf in der Folge auch in der abendländischen Schulmedizin Fuß fassen konnte. Im Hauptteil seiner Arbeit geht der Autor auf seine vielfältigen Versuche am Menschen ein. Er setzte diverse Hanfpräparate mit zum Teil großem Erfolg bei folgenden Indikationen ein: Rheumatismus, Tollwut, Cholera, Starrkrampf, Krämpfe und Delirium. Zu jeder Indikation liefert O'Shaugnessy mehrere Fallbeispiele und hält gemachte Beobachtungen fest. Mit Haschisch fand er ein gutes Mittel, seinen Patienten Linderung zu verschaffen oder sie sogar ganz von den entsprechenden Symptomen zu befreien. Bei vielen Patienten waren Krämpfe ein zentrales Problem, darüber kam er zu folgendem Schluss:

„Die vorliegenden Fälle geben zusammengefasst meine Erfahrungen mit Cannabis indica wieder, und ich glaube, dass dieses Heilmittel ein Antikonvulsium von grösstem Wert ist.“ (O'Shaugnessy 1838–40)

Die westliche Schulmedizin reagierte prompt auf diese neuen Erkenntnisse aus Indien. Dies ist nicht erstaunlich, denn bis dahin hatte man den Symptomen der Infektionskrankheiten wie Tollwut, Cholera oder Starrkrampf relativ hilflos gegenübergestanden. Aus den Ergebnissen von O'Shaughnessy schöpfte man verständlicherweise Hoffnungen, nicht zuletzt deshalb, weil gerade in dieser Zeit in Europa eine große Cholerawelle wütete, die allein in Paris 1.800 Menschen dahinraffte. Der Startschuss zur Karriere der vielversprechenden Medizinalpflanze Cannabis indica war gefallen.

Anfänglich wurden die von O'Shaugnessy bekannten Anwendungsgebiete übernommen, später wurde das Therapiefeld für Haschisch wesentlich erweitert. Insbesondere die Erfolgsmeldungen im Kampf gegen Tetanus veranlasste englische und französische Mediziner, dieses neue Wundermittel bei dieser Indikation einzusetzen. Auch der bulgarische Arzt Basilus Beron befasste sich in seiner Dissertation „Über den Starrkrampf und den indischen Hanf als wirksames Heilmittel gegen denselben“ mit dieser Problematik (vgl. Abb. 3). Die Schlussfolgerung seiner Arbeit:

 

„Ich war so glücklich, dass, nachdem wir fast alle bis jetzt bekannten antitetanischen Mittel fruchtlos angewandt, nach der Anwendung des indischen Hanfes der mir zugetheilte Kranke vom Starrkrampf ganz geheilt wurde, (…), weswegen der indische Hanf dringend gegen den Starrkrampf zu empfehlen ist.“ (Beron 1852)


Abb. 3 Titelblatt der Dissertation von Basilius Beron 1852

Von Europa fand das vielversprechende Heilmittel seinen Weg nach Amerika. Wie in Europa waren es auch in den Vereinigten Staaten vorerst Künstlerkreise, die dem Haschisch zu großer Popularität verhalfen. Aber bereits im Jahr 1860 verfasste das Medizinische Komitee des Bundesstaates Ohio einen detaillierten Bericht über die Verwendung von Cannabispräparaten in den USA. Viele der erwähnten Ärzte übernahmen die bekannten Indikationen aus Europa, daneben experimentieren einige mit vorerst neuen Anwendungsgebieten wie Asthma und Bronchitis.

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