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Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil

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»Ihr wollt nur scherzen!« sagte Juliane mit einem erzwungenen Lächeln, indem sie sich fort und fort bemühete, ihre Hand aus des jungen Mannes pressender Rechten loszuwinden. »Ihr und Euer Freund habt zwar ein betrübtes Ansehen, aber keineswegs das von tollen Leuten. Der Rosoli meines Oheims spukt Euch wohl noch im Kopfe und wenn der verflogen ist, werden auch wohl die Wahnbilder aus Eurem Gehirne entweichen.«

»O daß es so wäre!« erwiederte La Paix mit gedämpfter Stimme und zum Himmel gerichteten Blicken. »Aber ich kenne uns: den schrecklichen Le Vaillant, wenn sein Unstern über ihn aufgeht, und mich, der sich selbst in den Augenblicken der Wuth verschlingen möchte. In Leyden, der herrlichen Universitätsstadt, nennt man uns nur den Löwen und den Tiger; denn man hat uns gesehen in dem furchtbaren Zustande, der die Welt zu vernichten droht, man verschloß alle Thore, man ließ Regimenter gegen uns marschiren – Alles vergebens! Die Wuth mußte sich in sich selbst verzehren. Dann waren wir wieder die besten Bursche von der Welt und tranken Brüderschaft mit den Soldaten und den Commilitonen, die wir vorher angefallen hatten wie reißende Thiere. Ihr wißt nun Alles. Ihr seyd gewarnt. Laßt jetzt ab von mir, denn ich fühle, daß meine Einbildungskraft wieder anfängt sich zu regen! Es könnten sich Gestalten zeigen, ich könnte Dinge sprechen – Ja, ja, trefflichste Juliane! Es ist besser, wir brechen jetzt ab. Erwägt Alles wohl, was ich Euch entdeckt habe. Morgen, morgen wird Blut fließen in Strömen, vielleicht das Euerige, das noch heute Euere Wangen röthet, das noch heute Euer edles Herz hebt zu gefühlvollen Schlägen für die halbe Menschheit!«

Juliane wußte noch immer nicht, ob das was sie hörte, Scherz oder Ernst sey. Dennoch ließ ihre natürliche Furchtsamkeit, die sie auch jetzt, nach ihrer sonstigen Gewohnheit, unter muthig klingenden Worten zu verstecken strebte, sie das Schlimmste erwarten.

»O ich habe ganz andere Dinge gesehen!« versetzte sie, aber nicht in jenem muthwilligen Tone, wie sie dieselbe Redensart bei dem übereilten Zweikampfe zwischen den beiden Studenten vorgebracht hatte. »Ich fürchte mich nicht. Mein Vater ist da, der Bootsmann ist ein starker Mann und von den übrigen Leuten steht einer immer für zwei.«

La Paix antwortete nichts. Mit einem großen, bedauernden Blicke betrachtete er das Mädchen von oben bis unten, schüttelte traurig den Kopf und preßte aus tiefer Brust einen so klagenden Seufzer, daß er Julianen durch Mark und Bein ging.

»Schade um das reizende Wesen!« sprach er dann, sie mit gläsernen Augen anstarrend, dumpf in sich hinein. »Heute noch so schön und morgen – Tod – Blut – Asche!«

Er wandte sich mit seinem Freunde ab und ging nach einer andern Seite. Juliane sah ihnen zitternd nach. Ein Frösteln zog durch ihre Glieder. Sie versuchte zu lächeln; sie mußte mit den Zähnen klappern und Thränen traten ihr in die Augen. Es war bereits dämmerig geworden. Die Düsterheit, die auf den Wellen und auf dem Schiffe lag, erhöhete das unheimliche Gefühl, von dem sie sich ergriffen fand, um Vieles.

»Es ist Alles Lüge, es ist Alles lächerlich!« sagte sie sich selbst. »Wie können denn zwei Menschen den vereinten Anstrengungen so vieler andern widerstehen, wenn diese sich ihnen entgegenwerfen im Ausbruche ihrer Tollheit, um sie zu bändigen und zu knebeln? Pah! ich glaube nichts von dem ganzen Geschwätz. Das ist Prahlerei, blauer Dunst!« Aber in ihrem Innern sprach eine Stimme, die den gewaltsam aufgebotenen Muth zu Schanden machte. Sie war in früheren Jahren einmal bei einer Verwandten in Friesland zu Besuch gewesen. Dort brachte es die Sitte mit sich, daß Frauen und Jungfrauen sich öfters zu Abendversammlungen zusammenfanden, in denen alte seltsame Geschichten erzählt wurden, deren Inhalt gewöhnlich die Herzen mit Schauder erfüllte, und die Gemüther zu Bangigkeit und Zagen stimmte. Dort war auch von den ehemaligen friesischen Königen erzählt worden, von gewaltigen Seehelden, die weit vom Norden herabgekommen waren und Wunder der Kraft und der Tapferkeit verrichteten. Wenn diese nun in Zorn geriethen, so waren sie in eine Wuth verfallen, deren Aeußerungen keine Gewalt, keine Uebermacht zu hemmen vermocht. Es war über sie gekommen, wie eine Krankheit. Nicht alle waren ihr unterworfen gewesen, nur einzelne, und man hatte dieses Uebel die Berserkerwuth genannt. Juliane dachte in ihrer Aufregung nicht daran, daß die zwei jungen Leute nichts weniger, als Nordlands-Reken seyen. Die Stimme aus ihrem Innern rief ihr nur immer zu: »Juliane, Juliane, dein letztes Stündlein ist nahe! Du hast dich des Lebens erfreuet, aber du wirst nun bald starr, blutig und kalt daliegen.« Sie konnte mit allem Aufgebote ihrer Besonnenheit diese Stimme nicht zum Schweigen bringen. In diesem Kampfe widriger Zweifel zog sie sich an das Steuerruder neben ihren Vater zurück und verfiel hier in ein tiefes Nachdenken. Von Zeit zu Zeit warf sie aber doch einen und den andern verstohlenen Blick auf die beiden Studenten, deren dunkele Gestalten sich in der Dämmerung schattenartig am Vordertheile des Fahrzeuges hin und her bewegten.

»Cadédis!« sagte Le Vaillant, als er sich mit seinem Freunde allein und unbelauscht sah, zu diesem. »Du treibst es zu weit. Einen kleinen Tick ließ ich mir schon gefallen, aber du machst uns ganz und gar zu Narren und ich will es loben, wenn man nicht hinterrücks über uns herfällt, um uns gebunden an einen sicheren Ort zu bringen.«

»Der Spaß war köstlich!« versetzte leise der Angeredete. »Er hat mich aus meiner trübseligen Stimmung herausgerissen, er hat mir meine Ruhe wiedergegeben. Wie die schöne Sünderin zitterte um das Bischen Leben, das sie so übel anwendet, wie sie ihre Hand so gern losgerungen hätte, aus der des Wahnwitzigen, wie ihre Seele gepeinigt und geprickelt wurde zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Grauen und dem lächerlichsten Wahne! Le Vaillant, du thust mir leid, denn bei deiner Denkart, bei deinen Gefühlen, die nur rasch und heftig, aber nicht tief und ergreifend sind, konntest du unmöglich den Genuß haben, den mir die Folterqual der listigen Gaunerin gewährte. Deine Besorgniß ist thöricht. Sie wagt nichts gegen uns, sie fürchtet den Alles vernichtenden Ausbruch unserer Wuth zu beschleunigen. Ich ahne, daß noch ganz andere Dinge sich aus meinem glücklichen Einfalle entspinnen werden. Halte dich nur immer hübsch ruhig an meiner Seite. Schlage die Arme unter, wie ich, hefte die Blicke auf den Boden, nimm einen langsamen abgemessenen Schritt an, bleibe stehen, wenn ich stehen bleibe, stöhne kläglich, wenn ich es thue, genug, folge in Allem meinem Beispiele und du wirst sehen – es ist unser Schade nicht!«

Trotz der einbrechenden Nacht schwebte der Kutter noch immer mit ausgespannten Segeln über die Wellenfläche hin. Laternen waren ausgehängt worden, die Strahlen des Mondes zitterten auf dem bewegten Wasser und ließen nach der linken Seite hin einen dunkeln Streif sehen, der das Uferland bezeichnete. Bei der milden Luft, welche Abends der frischen Kühle des Tages gefolgt war, blieben die meisten der Leute auf dem Verdecke, wo sie sich mit Segelflicken, Netzausbessern und dergleichen beschäftigten. Nur Capitän Jonas, der den Abend gern ruhig in seiner Cajüte bei der Madeiraflasche zubrachte und diejenigen der Matrosen, denen die heutige Nachtwache zufiel, hatten sich zurückgezogen. Juliane saß noch immer in Sinnen verloren an einer Stelle, wo sie durch die arbeitenden Matrosen von den Gefahr drohenden Gefangenen geschieden war. Diese beharrten in ihrer Theilnahmlosigkeit, in ihrem düstern Hinbrüten. Mit untergeschlagenen Armen wandelten sie auf und nieder, kein Wort ging über ihre Lippen, nur tiefe, lauthallende Seufzer, die selbst bis zu der fernen Juliane herüberdrangen, entquollen von Zeit zu Zeit ihrer Brust.

Es mochte gegen die zehente Abendstunde seyn, als auf des Steuermanns Geheiß, der im Auftrage seines Capitäns befehligte, nicht weit vom Lande die Anker ausgeworfen wurden. Einige Matrosen lagen schon schlafend auf den Bänken des Verdeckes, andere rüsteten sich, ebenfalls zur Ruhe zu gehen. Niemand schien sich um die Kriegsgefangenen zu kümmern.

»Kannst du schwimmen, La Paix?« raunte diesem sein Freund zu. »Was mich betrifft, so getraue ich mich wohl, diese Handvoll Wasser zu durchschneiden, wie ein Delphin, und in zehn Minuten spätestens am Lande zu seyn. Morgué! ich habe dir ganz andere Kunststücke gemacht in dieser Gattung. Die Garonne ist Zeuge meiner Thaten gewesen und man gab mir wegen meiner Schwimmfertigkeit den Namen des Fisches, wie jenem Sizilianer, der einen goldenen Becher aus dem Schlunde der Charybdis holte.«

»Ich kann nicht schwimmen!« gab La Paix trocken zur Antwort. »Es ist auch gar nicht nöthig, daß du deine Fischnatur zu besonderen Anstrengungen in diesen Gewässern aufbietest, die vielleicht nicht so freundlich seyn dürften, wie deine heimathliche Garonne. Gedulde dich nur eine ganz kurze Zeit und ich verspreche dir, man wird uns auf die höflichste Weise einladen, ein Boot zu besteigen, das uns frei und ledig an’s Land bringt, die vortreffliche Juliane selbst wird sich alle Mühe geben, uns – vielleicht noch mit einiger Berücksichtigung ihres zeitlichen Vortheils – von dem lustigen Freier von Rotterdam wegzuschaffen und dann – nun dann können wir ja, wenn es uns beliebt, die Barke des Sire Jansen erwarten und unsern Plan auf die schöne Clelia verfolgen.«

Früher, als La Paix selbst erwartet hatte, ging seine Prophezeiung in Erfüllung. Das letzte Wort war kaum seinen Lippen entschwebt, so fühlte er sich an seinem Kleide gezupft. Um nicht aus seiner Rolle zu fallen, wandte er sich mit einem schweren Seufzer um. Einer der Schiffsjungen stand vor ihm, aber mit so gerader und argloser Miene, daß der Student wohl einsah, diesem ahne nichts von den entsetzlichen Dingen, welche Juliane befürchtete.

 

»Die Schiffsjungfer läßt Euch grüßen!« sagte vertraulich und leise der Knabe, so daß es nur die beiden Jünglinge hören konnten. »Sie hat Mitleid mit Euch und sähe es nicht gern, wenn Ihr in’s Unglück geriethet. Sie will suchen, einige Matrosen zu gewinnen, die Euch heimlich, während der Capitän bei’m Weine sitzt, an’s Ufer bugsiren. Aber dazu braucht sie Geld oder Geldeswerth. Sie meint, der Ring, den der Junker am Finger trägt, wäre wie dazu gemacht, die Leute zu verblenden. Er soll ihr ein Zeichen seyn, daß Ihr den Vorschlag annehmt. Gebt ihn! Im Augenblicke hat ihn die Schiffsjungfer, in einer Viertelstunde seyd Ihr am Lande!«

»Sandis! Wenn es nur daran liegt!« fuhr Le Vaillant heraus und gab ihm den Ring. »Jetzt geh, schaffe die Leute und das Boot. Ich wußte doch, daß die listige Hexe mich noch um den Ring bringen würde! Aber es geht nichts über die Freiheit und lieber frei bei einem Stücke Haferbrot und einem Glase Wasser, als gefangen bei Rehbraten und Champagnerwein.«

»Unbesonnener!« zürnte La Paix halblaut zu ihm hin. »Wir wären auch ohne dieses Opfer zum Ziele gekommen! Geh, mein Sohn,« wandte er sich dann in einem hohlen dumpfen Tone, der den Knaben wirklich stutzen machte, zu diesem: »sage deiner Jungfer, wir sendeten ihr den Ring, weil in unserem Zustande nichts Irdisches mehr einen Werth für uns hätte. Im Uebrigen möge sie thun was sie wolle, sie möge uns an Bord behalten oder ans Land bringen lassen: morgen breche der Tag der Schrecken an, die sie kenne, die keine Gewalt der Erde abzuwenden vermöge!«

Verblüfft schlich sich der Junge fort. Während Le Vaillant seinen Gefährten noch mit Vorwürfen bestürmte, daß er Julianen eine Antwort ertheilt, die sie leicht in ihren günstigen Gesinnungen schwankend machen könne, hörten sie plötzlich zu ihrer Seite ein Plätschern im Wasser. Ein Blick über den Schiffsrand belehrte sie, daß ein Boot schon losgemacht sey, daß mehrere Matrosen im Begriffe waren, leise hinabzusteigen, daß Juliane auf diese Weise ihr Wort lösen und, wie La Paix einsah, sich von den Gegenständen ihrer Furcht befreien wollte.

»Kommt mit mir!« flüsterte ihnen der Junge zu, der vom Steuerborde zurückgekehrt war. In wenigen Augenblicken saßen sie in dem Boote, die Ruderer rührten emsig die Arme, weder über ihre Lippen, noch über die der jungen Leute ging eine Silbe. Der dunkle Streif, der vor ihren Blicken lag, kam ihnen immer näher, die höher gehenden Wellen, die sich an den Faschinendämmen des Ufers brachen, erhielten das kleine Fahrzeug in heftiger schaukelnder Bewegung. Fern herüber leuchteten die Laternen des Kutters. In ängstlicher Spannung sahen die Studenten auf diesen. Bald schien es ihnen, als erblickten sie viele dunkle Gestalten, die sich in unruhigem Treiben vor den Lichtern hin und her bewegten, es war ihnen, als vernähmen sie verworrene Stimmen vom Schiffe herüber, sie glaubten ihre Flucht entdeckt, vielleicht von der treulosen Juliane selbst verrathen; dann dünkte sie es gar, der Kutter rücke von seiner Stelle, ihnen nach und seine Gestalt vergrößerte an dem Dämmerglanze des Horizonts sich zu einem furchtbaren, gigantischen Schiffsungeheuer. Aber sie erkannten leicht die Bilder des Wahns, welche die erregte Phantasie ihnen vorführte. Keine Verfolgung bedrohete sie mit neuer Gefangenschaft, kein Hinderniß trat ihnen in den Weg. Die kundigen Matrosen fanden einen Platz, welcher zum Landen geeignet war. La Paix und Le Vaillant sprangen, ohne eine Einladung hiezu abzuwarten, an’s Ufer. Sie vernahmen, daß man ihnen etwas nachwarf. Es waren ihre Degen, die sie freudig aufrafften, um sich sogleich damit zu umgürten. Das Boot stieß ab. Sie standen allein an einer flachen öden Küste, in einem unbekannten Lande, ohne Freund, ohne Führer. Nirgends war ein Strauch oder ein Baum zu erblicken, kein gastliches Obdach zeigte sich, wohin sie die Augen auch richteten.

»Was nun?« sagte La Paix, indem er sich vergebens nach einem betretenen Pfade umsah. »In diesem verwünschten Sumpflande, zwischen den labyrinthisch verschlungenen Canälen ist es gefährlich, Nachts umherzuirren. Hier am Ufer in der Nähe des Kutters den Tag abzuwarten, möchte ich ebensowenig rathen – «

»Alberne Bedenklichkeiten!« rief sein Freund. »Vorwärts, immer vorwärts, das ist der Wahlspruch meines Hauses, seitdem einer meiner Ahnherrn die eisernen Reihen der Schweizer in der Schlacht bei Marignano durchbrach! Cadédis! Wir wollen dieses Land im Sturm erobern, du und ich, und wenn es von unzählichen Morästen und Canälen geschützt wäre. Vorwärts, La Paix! Unser gutes Glück wird uns führen.«

»Meinetwegen!« antwortete sein Gefährte. Ihre Leitung dem Zufalle überlassend, schritten sie rasch am Ufer hin in die von Mond- und Sternenlicht sanft erhellte Nacht.

4

Der Professor Eobanus Hazenbrook, den wir vielleicht schon zu lange aus den Augen verloren, hatte, nachdem er die kleine Schenke, dem van Vlietenschen Hause gegenüber bezogen, den ganzen Tag über, wie ein Fuchs vor dem verschlossenen Taubenschlage, hinter dem Schiebfensterchen seines Zimmers sehnsuchtsvoll geharrt, ob nicht wenigstens ein Theil von dem Gegenstande seiner wissenschaftlichen Liebe, das hoch gehaltene Antlitz des Herrn Tobias, sich zeigen werde. Vergebliche Hoffnung! Alle Vorhänge hinter den Fenstern waren niedergelassen, die Hausthüre öffnete sich selten und dann war es immer nur eine untergeordnete Person, eine Magd, oder ein Knecht, die schnell heraushuschte und bei der Rückkehr ebenso rasch wieder durch den Eingang verschwand. Eobanus befand sich in einer Unruhe, wie er sie noch nie empfunden hatte. Dem lange nachgerungenen Ziele seiner Wünsche, das ihn so oft getäuscht, stand er jetzt so nahe und dennoch – so fern. Konnte der reiche Handelsherr, wenn er malitiös war, sich nicht in der Verzweiflung all zu stark aufs Trinken legen, vielleicht gar auf den Genuß nährenden Bieres, das dann gedeihlich auf seine Fettzellen wirkte, indem es alle schöne Hoffnungen Hazenbrooks untergrub? Konnte er nicht – quälte sich der Professor weiter – überdrüßig der gegenwärtigen Einsamkeit seines Hauses, sich in Zerstreuungen stürzen, die sonst der Holländer nur vor dem dreißigsten Jahre sich gestattet, und, wie der Beispiele ja so viele vorkamen, eben durch diese Zerstreuungen, indem sie nur unbedeutend an seinen gewaltigen Geldsäcken zehrten, jugendlich wieder aufblühen und – was bei allen Vermuthungen, denen sich Eobanus überließ, ihm als das Aergste erschien – wiederum Fett ansetzen?

»O Fett, Fett!« rief der Professor, indem er wie verzweifelt durch sein kleines, von einer Lampe nur düster beleuchtetes Gemach hinstürmte. »Du nagst an meinem Leben, du nagst an der Blüthe der Wissenschaft, die sich eben entfalten will und gedeihen zur köstlichen reifen Frucht. Deine feindselige Gegenwart droht der hieroglyphischen Vorwelt, ihrer Wiedergeburt in reizender Mumiengestalt, schmähliches Verderben. Wie oft hast du, ob ich dich gleich immer in Ehren gehalten und nicht ein elendes halbes Pfund deines Eigenthums dir für meinen Leib entwandt, nicht schon meine trefflichsten Plane, meine herrlichsten Werke, Meisterstücke, die für eine tausendjährige Dauer bestimmt waren, boshaft zerstört in einer warmen Frühlingsnacht? Ja, Schändliches, das hast du gethan und gerade in der schönen jugendlichen Zeit des Jahres, wo in dem Wurme, wie im Nilpferde, in der Kröte, wie im Crocodille, in der Rose, wie in der Camillenblume, sich frische Lebenskräfte regen, in dieser von der Natur geheiligten Zeit hast du heimtückisch gemordet, was ich mit unsäglicher Mühe und einer Kunst, die nirgends ihres Gleichen hat, in’s wissenschaftliche Leben gerufen! Ich sehe sie noch vor mir, alle die Geliebten, die ich mir selbst bereitet und die ich großmüthig als Eigenthum der erlauchten Lugduner Akademie überlassen wollte. Glaubst du, ich hätte dich vergessen, schalkhafte Artemisia, mit dem Grübchen in der goldbelegten Wange, mit der sanftgewölbten Brust, im Glanze deiner dunkelbraunen Schönheit? Und du, majestätischer Memnon, einst ein stattlicher Grenadier im Leibregimente König Wilhelms, du, dessen Mumienhülle sieben Fuß maß und dessen Adlernase sich erhaben aufdrängte unter der sinnvollsten Hieroglyphenschrift, mußtest auch du zu einem jammervollen Nichts werden im flüchtigen Laufe eines warmen Lenzmorgens? Vanitas Vanitatum, omnia Vanitas! Alles ist vergänglich auf dieser Erde!«

Hazenbrook war nahe daran Thränen zu vergießen. Er warf sich trostlos in einen Sessel, die schmerzlichen Erinnerungen, welche er wieder aufgefrischt hatte, nagten an seinem Herzen. Unten in der Schenke ertönte Musik. Sie schien ihm ein schreiender Mißlaut in seinen Kummer. Er hörte das Geräusch der Tanzenden, er vernahm einzelne jubelnde Stimmen. »Das ist dämonischer Hohn,« dachte er, »der dich neckt und deiner spottet in deiner Verzweiflung.« Um Mitternacht war es still geworden im Hause; auf den Straßen aber wisperte und regte es sich seltsam. Dieses Geräusch und Geraschel beachtete der Professor nicht, nur der nahe Lärm hatte ihn in seinen schwermüthigen Betrachtungen gestört. Er war nicht zu Bette gegangen. Noch unberührt stand sein Abendbrot auf dem Tische. Das Blut kochte in seinen Adern, sein Herz klopfte ungestüm, sein Kopf brannte fieberhaft. Er sprang auf und trat an’s Fenster. Gegenüber in van Vlietens Hause dämmerte ein mattes Licht, wie dem Erlöschen nahe, hinter einem der Vorhänge. Er öffnete das Fenster. Seine sehnsüchtigen Blicke hingen an dem flackernden Lichte. Das wunderliche Gewisper und Rauschen in den Straßen drang vernehmlicher herauf, aber wie hätte Eobanus jetzt für etwas Anderes Sinn gehabt, als für seinen Tobias, der ohne Zweifel hinter dem matt glänzenden Vorhange weilte?

»O wer jetzt ein Rabe wäre oder ein Engelein!« seufzte Eobanus. »Wer sich nur so hoch zu schwingen vermöchte, wie der fabelhafte Icarus! Die Strahlen der Sonne könnten mir nicht schaden in dieser Stunde und Luna ist ja Verliebten günstig. Nur einen Blick möchte ich werfen durch die Spalte des Vorhangs, nur ein Weniges sehen von den lieblichen Knochenspitzen seines Antlitzes, von den langgereckten Gliedern seiner holdseligen Hände. Grausames Schicksal, das mich ihm nicht näher gestellt, das mich nicht zu seiner Tochter oder seiner Schwester gemacht hat! Wie wollte ich mich stets seines Anblicks erfreuen, wie ihn schützen und bewahren vor Allem, was in das Zellgewebe häßliche fette Massen werfen könnte? Und wenn ein plötzlicher, schneller Tod – das glücklichste was nach einem Ausspruche des delphischen Gottes dem Menschen begegnen kann – ihn träfe, wenn ein schmerzloser Schlagfluß dem kummervollen sublunaren Leben ein Ende machte, wenn ich dann in dem reizenden Cadaver den Erben des pharaonischen Königsthrones vor meinen leiblichen Augen sähe, wie wollte ich dann erst ihn lieben, wie alle Mittel der Kunst aufbieten auch die irdische Gestalt zu erhalten mir zur Erquickung und in usum der Musen! Er erkennt meine Liebe nicht, er versteht nicht sie zu würdigen, er duldet sie blos gegen schnöde Vergeltung. Aber Ihr, meine wackern famuli, La Paix und Le Vaillant, Ihr werdet die geraubte Helena zurückbringen, mir verschreibt sich der Liebliche im Testamente als Legat und dann, Tobias, dann wird auch die glückliche Zeit nicht fern seyn, in der du mir als Eigenthum heimfällst.«

Er hatte in hoffnungsvoller Verzückung die Arme zum Fenster hinausgebreitet, das glühende Antlitz war nach dem erleuchteten Fenster im van Vlietenschen Hause aufgerichtet, seine Augen hingen mit dem Vorgefühle süßer Wonne an dem Dämmerlichte hinter dem Vorhange: da bewegte es sich lauter dicht unter ihm in der Straße, da schoß es rauschend empor und ein mächtiger Wasserstrahl, der heftig und kältend ihm gerade ins Gesicht fuhr, warf ihn mit unwiderstehlicher Gewalt auf den Boden des Zimmers nieder. Ehe er sich besinnen konnte, drang noch ein Strom von Wasser nach, durchnäßte ihn gänzlich und überschwemmte den Boden. Sein wissenschaftliches Liebesfeuer war in einem Augenblicke abgekühlt. Er sprang auf und verschloß instinktmäßig das Fenster. Aber wohin sollte er sich flüchten in dieser unerwarteten Noth? Er selbst durchnäßt, keine trockene Stelle am Boden, wohin er seinen Fuß setzen konnte! Und immer rauschte und strömte es draußen fort an den Wänden und Fenstern des Hauses, als wenn eine Sündfluth einbräche, als ob Wasserfluthen gegen ein brennendes Haus geschleudert würden, und es war doch Alles dunkel draußen und friedlich, wie in einer gewöhnlichen Nacht! Aber Eobanus sah schon klar den Grund seines Mißgeschicks, er erkannte, daß seine eigene Vergessenheit ihn in die unangenehme Lage gebracht hatte, in der er sich befand. War denn der vergangene Tag nicht ein Sonnabend gewesen und war es denn in den gesammten Generalstaaten nicht löblicher Gebrauch, daß in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag die Außenseite aller Häuser, vermittelst gewöhnlicher Feuerspritzen, von oben bis unten mit Wasser gereinigt wurde? Daran hatte, von seiner Leidenschaft verblendet, Hazenbrook nicht gedacht, er hatte das Geräusch in den Straßen nicht vernommen und also auch nicht gedeutet, er hatte die Gefahr, in der er schwebte, erst erkannt, als sie wirklich einbrach und plötzlich seinen süßen Schwärmereien ein schmähliches Ende machte.

 

Er war auf einen Stuhl gesprungen. Zähneklappernd stand er hier und bemühete sich, von einem Nagel in der Wand einen alten Pelz herbeizulangen, den er als Schlafrock zu benutzen pflegte. Das Unternehmen war mißlich, er konnte einen gefährlichen Fall auf den nassen Boden thun. Aber er brachte es glücklich zu Stande, schnell kleidete er sich um und erreichte dann mit einem verwegenen Sprunge das Bett, unter dessen thurmhoher Federdecke er seine bebenden Glieder vergrub. Früher, als er gehofft hatte, fand sich der Schlummer zu ihm. Die Natur übte ihr Recht und die erschöpften Kräfte des Professors ließen, nach dem überstandenen kalten Bade, sich leicht von der Macht des Schlafes bezwingen, ohne wieder durch erregende Phantasiegebilde zu neuen Anstrengungen veranlaßt werden zu können.

Wie dieser Tag dem unglücklichen, sehnsüchtigen Hazenbrook langsam verstrichen war, so gingen noch mehrere vorüber. Auch die Nächte glichen jener ersten Nacht, die er in dürstender, wehmüthiger Leidenschaft am Fenster verweilt; nur war er jetzt auf acht Tage hinaus gegen jeden Angriff von unten gesichert und konnte seine Mondscheinklagen ungestört gegen den erleuchteten Fenstervorhang, die Lichthülle des Gegenstandes seiner Liebe, wie er ihn nannte, ausströmen. Er wurde von Stunde zu Stunde melancholischer. Speise und Trank, welche er sonst eben nicht verachtete, waren ihm jetzt gleichgültig. Die reizendsten Mädchen aus der Stadt und vom Lande, an denen er in früheren Zeiten so gern die Muskellehre studirt hatte, konnten jetzt dicht unter seinem Fenster vorübergehen und er würdigte sie keines Blickes. Immer nur hing sein Auge an dem geheimnißvollen Vorhange, dem Isisschleier, der sich für ihn nicht heben wollte. Nur Abends betrat er auf ein flüchtiges Stündchen die Straße, aber nicht um etwa lustzuwandeln und sich zu entschädigen für die selbst auferlegte Gefangenschaft im engen Zimmerchen; nein! er nahm dann einen Platz im Schatten eines Baumes, dicht neben der Thüre des van Vlietenschen Hauses ein. Hier lauschte er in ängstlicher Spannung auf jedes Geräusch, auf jeden Laut, der sich im Innern vernehmen ließ, er hoffte einen Aufschluß, eine Kunde von seinem Tobias zu erhorchen, aber Alles, was er vernahm, beschränkte sich auf fern her tönendes Geklapper mit Töpfen und Schüsseln aus der Küche, auf ein zärtliches Gespräch des Hausknechtes mit der Stubenjungfer hinter der Thüre. Er war untröstlich. Verließ in dieser Abendstunde einer von den Leuten des Herrn van Vlieten das Haus, so befand er sich mit einem mächtigen Sprunge sogleich an dessen Seite, suchte mit ungemeiner Höflichkeit eine Unterhaltung anzuspinnen und eine oder die andere Mittheilung über des Patrons Wohlbefinden und seinen Gemüthszustand herauszulocken; die Dienerschaft des dicksten Mannes war aber so wortkarg und wurde bald so grob gegen den zudringlichen Fremden, daß Eobanus gänzlich von diesen Entdeckungsversuchen abstand. Seine Leidenschaft quälte ihn unsäglich.

»Ich muß etwas Außerordentliches wagen;« sagte er eines Abends zu sich selbst, als er wiederum vergebens den trotzigen Hausknecht auf einem Gange über die Straße angeredet hatte. »Aut Cesar aut nihil! Wie jener Römer dem Staate zu Liebe, stürze ich mich zur Ehre der Wissenschaft und des erlauchten Lugdunum in den feuerigen Schlund. Wagen gewinnt. Der Lohn ist der That werth.«

Er stand zum Sprunge gerüstet auf seiner Stelle. Da kam der Diener von seinem Gange zurück, schloß arglos die Thüre auf und trat in’s Haus. Ihm auf dem Fuße sprang Hazenbrook nach. Aber auch dieses kühne Unternehmen fiel zu seinem Unheile aus. Ehe er noch durch die Thüre gelangte, schlug der Hausknecht diese so gewaltig zu, daß des Professors Fuß entsetzlich gequetscht wurde und er selbst mit einem Wehelaute auf das Pflaster niedersank. Unter den heftigsten Schmerzen und mit der größten Anstrengung hinkte er in seine Wohnung zurück. Der Seelenqual hatte sich nun auch körperliches Leiden gesellt; er mußte mehrere Tage das Zimmer hüten.

Es war ein heiterer Morgen, als er zum erstenmale wieder die im Erdgeschoße liegende Schenkstube betrat, um hier sein Frühstück einzunehmen. Er war sehr trauerig gestimmt. Er hoffte das laute Treiben, das hier um diese Stunde herrschte, werde ihn zerstreuen. Neben seiner Hauptsorge um die Erhaltung des Herrn van Vlieten, bis die rechte Zeit gekommen, um dessen mögliche Hinneigung zu etwaiger Corpulenz, hatten sich nun auch Bedenklichkeiten über das Schicksal der zwei jungen Leute in ihm erhoben, die er zur Verfolgung des Herrn Cornelius van Daalen und der schönen Clelia abgesendet. Er hörte und sah nichts von ihnen. Täglich hatte er in’s Wappen von Rotterdam geschickt und nach Briefen fragen lassen, aber immer war der Bote leer zurückgekommen. In welche tödtliche Verlegenheit brachte nicht seine unglückliche Liebe den Professor? Wo war sein frischer Lebensmuth, wo war seine Freude an der Wissenschaft, die ihm sonst in so vielfacher Gestalt willkommen gewesen, hin? Ach, Alles weilte hinter dem neidischen Vorhange des Herrn van Vlieten! Sein besseres geistiges Selbst war dort und er mußte, getrennt von diesem, in einer schnöden Kneipe hausen, gemeinen Wachholder trinken und mit einem Heringe seinen geschwächten Appetit zu reizen suchen. Und die jungen Leute? Waren sie nicht seiner väterlichen Aufsicht anvertraut worden von den Eltern? Hatte er sich nicht verpflichtet, sie in literis et moribus zu bilden und wie hatte er dieser Verpflichtung Genüge geleistet, indem er sie von seiner Person, in deren Umgang ihnen die Wissenschaften beigebracht werden sollten, entfernt und indem er sie auf’s Geradewohl zu Jungfernraub und Entführung ermuntert? Nur der Gedanke an Tobias, an die Zukunft, die seinen lang gehegten, so oft verfehlten Wunsch endlich erfüllen werde, konnte ihn einigermaßen erheben. Er rief den schönen Augenblick wieder in seine Erinnerung zurück, wo er zum Erstenmale den würdigen Handelsherrn am Haven von Rotterdam erblickt, wo er trunken vor Entzücken sogleich alle Keime einer trefflichen Mumie, die seine Kunst zur Entwicklung und Reife bringen könne, in ihm erkannt, wo das süße Feuer der jugendlichen Liebe ihn wonniglich durchströmt und er selbst sich gleich mit hoher Betheuerung gelobt: »Den mußt du haben, um jeden Preis, der muß dein Amenophis, dein Sesostris werden, der muß die Ehre deines Kunst- und Naturalienkabinets retten und behaupten vor aller Welt!«

Begeistert von diesem reizenden Bilde der Vergangenheit, genoß Eobanus etwas mehr Wachholder, als gewöhnlich. Im Stillen trank er auf das Wohl seines theueren Tobias, aber er war besonnen genug, diesen Wunsch nicht weiter, als bis zu der Zeit auszudehnen, wo La Paix und Le Vaillant die entflohene Clelia zurückgebracht haben und die Testamentsclauseln, zu denen sich der Vater anheischig gemacht, fest und unwiderruflich niedergeschrieben seyn würden. »Der Himmel schenke ihm ein langes Leben bis dahin und behüte ihn vor Fett!« setzte er vergnügt hinzu.

An den übrigen Tischen wurde indessen sehr lebhaft gesprochen. Die Gesellschaft bestand hier aus Matrosen, aus Lastträgern und andern Leuten, die in großen Handelsstädten ihren Erwerb auf freier Straße finden. Man unterhielt sich über die neuesten Kriegs- und Welthändel, über den Untergang der spanischen Silberflotte im Haven von Vigo, über die jüngsten Waffenthaten des Herzogs von Marlborough.

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