Читать книгу: «Das hat ja was mit mir zu tun!?», страница 4

Шрифт:

4.1 Geschichtliche Hintergründe – Ein Einblick

Um eine Auseinandersetzung mit der rassistischen Machtstruktur zu beginnen, ist ein Blick in die deutsche Kolonialgeschichte unabdingbar. Eine detaillierte Beschäftigung mit ihr würde den Rahmen hier überschreiten, aber ein Einblick soll ein etwas umfassenderes Bild auf Rassismus in Deutschland werfen und als Basis für die weiteren Ausführungen dienen.

Eine Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte führt häufig zu einer Distanzierung von derselben. Für weiße Personen steht nun nicht mehr ein positiver Blick auf sich selbst im Fokus, sondern der Blick auf eine zerstörerische und gewaltvolle Vergangenheit, die von weißen Herrschaftssystemen verursacht wurde. Dadurch kann ein Gefühl der Abgrenzung und Abwehr entstehen (vgl. Ha 2017, S. 105). In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu betonen, dass sich die große Relevanz der Auseinandersetzung nicht in den Lehrplänen von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen widerspiegelt. Oft wird Kolonialgeschichte als ein rein britisches oder französisches Phänomen dargestellt, was ferner das Nicht-Vorhandensein einer deutschen Kolonialgeschichte suggeriert. Daher wird in deutschen Schulen entweder nichts oder nur wenig zur deutschen Kolonialgeschichte und somit zur Entstehungsgeschichte von Rassismus gelehrt. Sowohl die Nicht-Einbeziehung dieses Wissens in Lehrpläne als auch die Vermeidung einer persönlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte trägt dazu bei, dass Rassismus weiter so stark in der Gesellschaft verankert ist (vgl. Ogette 2019, S. 33 ff.).

Obwohl es bereits zuvor deutsche Kolonialbestrebungen gab, lässt sich die sogenannte »Afrika Konferenz« (November 1884 bis Februar 1885) als konkreter Beginn der deutschen Kolonialherrschaft nennen. In deren Zuge wurde der afrikanische Kontinent unter den Kolonialmächten aufgeteilt und diesen der freie Zugang zu Handel und Rohstoffen gesichert. Die Ziehung der kolonialen Grenzen erfolgte dabei willkürlich. Als deutsche Kolonien entstanden im Laufe der Zeit Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo sowie Deutsch-Neuguinea, Deutsch-Samoa und Kiautschou in China, mit einer Fläche von insgesamt 2,9 Millionen Quadratkilometern, welche sechsmal so groß war wie das damalige Deutsche Reich (vgl. Zeller 2013, S. 16).

Im Zuge des gesamten europäischen Kolonialismus und der damit verbundenen Ausbeutung wuchs die Sklaverei zu einem riesigen System heran. Einem System, das sich selbst durch Rassismus legitimierte. Denn die Akteure europäischer Kolonialmächte »wurden Rassisten, um Menschen für ihren eigenen Profit versklaven zu können« (Ogette 2019, S. 33). Sie brauchten also eine moralische Legitimation für Ausbeutung, Gewalt, Invasion und Landnahme sowie für die Sklaverei. Um diese grausamen Taten zu beschreiben, wird das Wort »Maafa« verwendet; es ist Swahili und kann mit »Tragödie« oder »große Katastrophe« übersetzt werden. Mit dem Wort werden sowohl die Sklaverei, der Imperialismus und Kolonialismus beschrieben als auch der Rassismus, der damit einherging. Das Wort beschreibt jedoch auch den Widerstand der von der Maafa betroffenen Menschen und ist ein von ihnen selbst gewählter Begriff – nicht einer, der von kolonialen Mächten erfunden wurde. Der europäische Wirtschaftsboom im 17. Jahrhundert und die damit verbundene eigene Bereicherung bauten sich auf diesem gewaltvollen System auf und wurden nur dadurch möglich (vgl. ebd., S. 33 f.). Die »imperiale Lebensweise«, die auch heute noch vorherrscht, hatte darin ihren Ursprung (vgl. Brand u. Wissen 2017, S. 74).

Um also diese »grausame, mörderische Ausbeutungskultur« (vgl. Ogette 2019, S. 35) halten zu können, brauchte es zur Legitimation die Rassifizierung. Denn der Widerspruch zum humanistischen Weltbild konnte nur dadurch gerechtfertigt werden, dass eine Struktur erschaffen wurde, in der nur bestimmte Menschen als Menschen galten und andere eben nicht (vgl. Arndt 2017, S. 32). Bis ins 17. Jahrhundert wurde der Begriff der Rasse ausschließlich für die Tier- und Pflanzenwelt genutzt und erst dann auch für Menschen verwendet. Somit entstand ein Konstrukt, welches angebliche biologische Gegebenheiten als Hierarchisierungsgrundlage für Menschen nahm (vgl. ebd., S. 30). Hierbei ist es enorm wichtig darauf hinzuweisen, dass es keinerlei biologische oder genetische Anhaltspunkte für diese Theorien gibt, sondern dass es sich hierbei eben lediglich um die Konstruktion selbiger handelt. Es gibt unterschiedliche »Rassentheorien«, aber sie alle verbindet die Grundannahme, dass weiße Menschen immer an der Spitze der hierarchischen Pyramide stehen (vgl. Ogette 2019, S. 35). Dabei wird das Christentum meist untrennbar mit dem Weißsein verknüpft und beides als eine von der Natur gegebene Normalität dargestellt, die wiederum die Ansprüche auf Herrschaft und Macht legitimieren soll. Um dieses Konstrukt zu untermauern, wurden scheinbare körperliche Merkmale erfunden, die Unterschiede markieren sollten. Diese angeblichen körperlichen Unterschiede wurden in Zusammenhang mit religiösen, sozialen und »kulturellen« Eigenschaften gestellt. Diese verallgemeinerten Zuschreibungen wurden auch als naturgegeben betrachtet, hier jedoch im Sinne einer Hierarchisierung und damit verbundenen Abwertung, durch die Gewalt und Vernichtung legitimiert werden sollten (vgl. Arndt 2017, S. 32 f.). »Weiße haben sich mittels des Rassismus die Welt passförmig gemacht, um sie zu beherrschen« (ebd., S. 34). Rassismus kann somit als eine weiße Herrschaftsform begriffen werden.

Es gibt viele Quellen, die dazu herangezogen wurden, den Kolonialismus zu legitimieren (vgl. Ogette 2019, S. 35 ff.). Auch schon in der Antike wurden »kulturelle« Differenzen zwischen Griechen und Nicht-Griechen konstruiert, um Abgrenzung zu begründen und Herrschaftsansprüche zu sichern. So stellte auch schon Aristoteles die Sklaverei als naturgegeben und gerecht dar und zieht scheinbare Verbindungen zwischen Hautfarbe und Eigenschaften von Menschen. Dieses Wissen ist noch keine »Rassentheorie«, kann aber als Bereitstellung von Wissen und Theoremen begriffen werden, die später eine Grundlage für die Konstruktion von »Rasse« lieferten. Auch im Hochmittelalter wurden christliche Farbsymboliken im Zusammenhang mit Hautfarbe genutzt, um religiöse Differenzen zu erschaffen und Hierarchisierungen zu bilden. So betrachteten weiße Europäer*innen ihr Weißsein als göttliche und reine Tugend, während Schwarze als dämonisch und böse angesehen wurden (vgl. Arndt 2017, S. 35 f.).17

Auch die Aufklärung hat eine große Auswirkung auf die Legitimation von Rassismus gehabt und somit eine neue Form seiner Rechtfertigung geliefert. Philosophen wie Hegel und Kant schufen ein geistiges Fundament für Rassismus und die dahinterstehende Haltung. Das Weltbild dieser »Vordenker« gilt in vielen Grundzügen noch heute, obwohl auch sie die Menschen rassifizierten und die Überlegenheit weißer Menschen in den Vordergrund ihrer Ausführungen stellten (vgl. Fathi u. Şirin 2019, S. 24). Bis heute gelten Rationalität, Erziehbarkeit, Mündigkeit und »entwickelt«, als Begriffe, die weißen Personen zugeschrieben werden und somit Rassismus untermauern (vgl. Ogette 2019, S. 39).

Durch seine jahrhundertealte Tradition und der Gesellschaft immanente Strukturen wirkt Rassismus als unterdrückendes System so tiefgreifend und allumfassend wie fast keine andere Machtstruktur (vgl. Arndt 2017, S. 42). Dennoch wird der deutsche Kolonialismus, im Vergleich zu anderen, häufig als weniger schlimm oder gar nicht so relevant abgetan. Eine Tatsache, die im Rückblick auf die deutsche Kolonialgeschichte auch häufig verschwiegen wird, ist der Genozid an den Herero und Nama. Diese waren aber der Situation nicht nur schutzlos ausgeliefert, sondern wehrten sich gegen Gewalt, Ausbeutung, Erniedrigung und Mord; sie formierten sich zu Bündnissen und begannen den Befreiungskampf. Darauf reagierte die deutsche Kolonialmacht mit der Errichtung von Konzentrationslagern und der Entsendung weiterer Truppen zur Bekämpfung der Herero und Nama (vgl. Ogette 2019, S. 46 ff.).

Vor dem Krieg zwischen Deutschen und Herero und dem damit einhergehenden Genozid wurde die Zahl der Herero auf insgesamt ca. 80.000 Menschen geschätzt. Nach dem Krieg auf nur noch ca. 14.000 Menschen, die weiterhin versklavt wurden. Die Zahl der ermordeten Nama wird auf 10.000–20.000 beziffert. Deutschland erkannte diese Gräueltaten bis 2015 nicht als Völkermord an (vgl. Brehl 2004, S. 77 ff.) und leistete auch danach keine Entschädigungszahlungen. In diesem Kontext sollen auch der Genozid und die Morde der 100.000 – 300.000 Menschen im Zuge des Maji-Maji-Kriegs benannt werden (vgl. Becker u. Beez 2005, S. 11 ff.).

Schon durch diesen – sehr verkürzten Blick – in die deutsche Kolonialgeschichte wird deutlich, dass Rassismus als eine scheinbar naturgegebene Struktur diente und noch weiter dient, um die Ansprüche auf Herrschaft, Macht und Privilegien weißer Menschen sicherzustellen und zu begründen. Dabei wird Weißsein stetig als Normalität konstruiert, durch die Überlegenheit und Macht legitimiert werden können (vgl. Arndt 2017, S. 34).

4.2Rassismus und »Kultur«

»Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.«

Theodor W. Adorno (1975, S. 276 f.)

Viele Menschen sprechen nur dann von Rassismus, wenn sich Haltungen, Aussagen oder Ungleichbehandlungen auf Konzepte biologistischer bzw. genetischer Kategorisierung von Menschen beziehen, also auf die Konstruktion von menschlichen »Rassen«. Kategorisierungen und Zuschreibungen basierend auf sogenannter »Kultur« und/oder »Religion« entziehen sich demnach für viele dem Verdacht, rassistisch zu sein. Generell gelten biologistische »Rassentheorien« in Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als offiziell diskreditiert, was jedoch mitnichten bedeutet, dass Menschen nicht mehr nach rassistischen Denk- und Handlungsweisen in Gruppen eingeteilt, mit verschiedener Wertigkeit bedacht und dementsprechend ungleich behandelt werden (Shooman 2012, S. 53). Dabei fällt auf, dass in vielen Argumentationslinien der Verweis auf die sogenannte »Kultur« den Platz der »Rasse« eingenommen hat. Als Grundlage für Rassismus dient somit »ein determinierendes Konzept von Kultur«, in dem »festgelegte kulturell-territoriale Einheiten […] als ›Kulturkreise‹ homogenisiert [werden]« (Friedrich 2019, S. 306). Wie bereits beschrieben, finden auch hier Prozesse der Rassifizierung – Naturalisierung, Homogenisierung, Polarisierung und Hierarchisierung – statt. In der Literatur wird der Bezug auf »Kultur« mit verschiedenen Begriffen beschrieben, so beispielsweise als neuer oder Neo-Rassismus, als kultureller Rassismus oder auch als »Rassismus ohne Rassen« (Balibar 1990)18. Biskamp (2017, S. 274) macht deutlich, dass auch in Bezugnahme auf »Kultur« weiterhin ein Fokus auf Differenzen gelegt wird, die durch äußere Zuschreibungen erzeugt werden. Es werden also weiterhin Konstrukte erschaffen und aufrechterhalten, die Menschen durch ihre sogenannte »Kultur« voneinander unterscheiden sollen. So werden im Zusammenhang mit Rassismus nicht mehr vordergründig biologische Unterscheidungen als Rechtfertigung für Diskriminierung und Gewalt herangezogen, sondern die vermeintlich nicht zu überwindenden kulturellen Differenzen. Hierbei wird zunächst nicht direkt sichtbar, inwieweit dies mit einer Hierarchisierung der »Kulturen« einhergeht, denn der Fokus liegt auf einer vermeintlich nicht zu vereinbarenden Unterschiedlichkeit in Traditionen und Lebensweisen. Hinzu kommt eine Betonung der vermeintlich destruktiven Auswirkungen, die durch ein Miteinander bzw. eine »Vermischung« sogenannter Kulturen entstehen würden (Balibar 1990, S. 28). Zu erkennen ist dies aktuell deutlich im Bereich des antimuslimischen Rassismus (vgl. Shooman 2011, 2012; Attia 2017). Gerade mit Bezug auf diesen Kontext aktualisiert und betont Balibar in einem jüngeren Interview mit dem Deutschlandfunk (Beckmann 2018):

»Was mich umtreibt ist, dass wir einen Rassismus erleben, der sogar ohne Rasse auskommt. […] Das moderne Hassobjekt ist der Islam beziehungsweise es sind die Muslime. [19] Das zeigt, dass sich Rassismus immer wieder modernisiert, und auch wenn seine biologistische Variante nicht mehr verfängt, kehrt er als kultureller Rassismus zurück. Eine Religion wird als Ersatz genommen, um rassistisches Denken aufrecht zu erhalten.«

Auch hier ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, dass es sich bei der Religionszugehörigkeit um eine von anderen Personen zugeteilte Kategorie handeln kann, die nicht der tatsächlichen Religionszugehörigkeit entsprechen muss. Maßgeblich für diese Zuteilungen sind äußerliche Merkmale wie auch Namen oder Akzente, was wiederum auf das Fortbestehen und die Aktualisierung zugrunde liegender biologistischer Konzepte verweist. Shooman (2012, S. 55) spricht von einer »Rassifizierung von Musliminnen und Muslimen«, die sie auch in verschiedenen Studien zu Muslim*innen in Deutschland ausmacht, da dort als Gradmesser der Integration häufig der Kontakt zu »Deutschen« ermittelt und »[d]amit […] explizit ein Antagonismus zwischen Muslim-Sein und Deutsch-Sein postuliert« (Hervorh. im Orig.) wird. Eine solche Forschungsperspektive negiert die Existenz von deutschen Muslim*innen oder muslimischen Deutschen, bestärkt damit ein weit verbreitetes Alltagsverständnis eben dieser Kategorien und macht erneut die Naturalisierung von »Kultur« im Hinblick auf die Kategorie »muslimisch« deutlich.

Als ein weiteres Beispiel dafür, wie sich unter dem Deckmantel der »Kultur« weiterhin biologistisch-rassistischer Konzepte bedient wird, ist die Thematisierung von Sexualität, die häufig im Zuge der Markierung und Beschreibung von Bi_PoC erfolgt. Sexualität – ein an sich schon sehr auf Körperlichkeit bezogenes und meist so verstandenes Thema – ist seit jeher fester Bestandteil von rassistischen Kategorisierungen. So wurde beispielsweise der Grad der Zivilisiertheit aus kolonial-rassistischer Perspektive an der (zugesprochenen) Fähigkeit zur Selbstkontrolle und -beherrschung festgemacht (vgl. Castro Varela u. Mecheril 2016, S. 11). Auch unter den formulierten »kulturellen« Vorzeichen findet eine »sexuelle Bedrohungsinszenierung« statt, die, wie im biologistischen Rassismus, die Sexualität der als Andere Markierten adressiert und sie als Bedrohung beschreibt (Mecheril u. van der Hagen-Wulff 2016, S. 121, Hervorh. im Orig.). Im Kontext des antimuslimischen Rassismus seien dann nur »muslimische Männer« (oder als solche markierte) »sexistisch und vergewaltigend« (Castro Varela u. Mecheril 2016, S. 10) – und im Selbstbild weiße-deutsche Männer eben nicht. So findet im öffentlichen Diskurs sexualisierte Gewalt im Zusammenhang beispielsweise mit Karneval oder dem Oktoberfest deutlich weniger Beachtung. Werden die »muslimischen Frauen« oder als solche markierte adressiert, gehen häufig (kultureller) Rassismus und Sexismus Hand in Hand, und starke, empowerte und emanzipierte Frauen werden in diesem Diskurs nicht sichtbar gemacht.

Wie mithilfe der unterschiedlichen Beispiele gezeigt werden konnte, geht es also bei der Benennung von »Kultur« als Differenzmerkmal im Kern nicht um die kritische Ablösung und Distanzierung von biologistisch-rassistischen Konzepten, noch gar um eine differenzierte Auseinandersetzung mit »Kultur« (auch der »eigenen«!) an sich, sondern vielmehr um die Aufrechterhaltung und Legitimierung rassistischer Denk- und Handlungsweisen sowie entsprechender Machtverhältnisse – bei gleichzeitiger Verleugnung eben dieser.

Wird in diesem Buch von Rassismus gesprochen, sind damit explizit Konzepte sowohl des biologistischen Rassismus als auch des kulturellen Rassismus in ihrer Verwobenheit gemeint.

4.3Rassismus in alltäglichen Situationen

»Diese kleinen Momente, sie wirken wie Mückenstiche. Kaum sichtbar, im Einzelnen auszuhalten, doch in der Summe wird der Schmerz unerträglich.«

Alice Hasters (2020)

Alle Menschen, die in Deutschland leben, sind Teil einer rassistischen Struktur. Relevant zu begreifen ist, dass es Menschen gibt, die von diesem Machtverhältnis profitieren, und Menschen, die dadurch diskriminiert werden. Diese Diskriminierung betrifft u.a. Millionen von Deutschen, die häufig nicht als solche gelesen bzw. wahrgenommen werden und denen ihr Deutschsein immer wieder abgesprochen wird. Hinzu kommen nicht als weiß gelesene Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die in Deutschland leben, und Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind (vgl. Velho 2011, S. 12). Dabei bleiben die Wirkmächtigkeit der rassistischen Struktur und deren Normalität häufig unsichtbar. Deren immer noch bei Weitem unzureichende Thematisierung in vielen gesellschaftlichen Bereichen – auch in der Systemischen Beratung – hat enorme Auswirkungen. Wichtig dabei ist, dass Rassismus »als soziale Exklusion« und »als bundesdeutsch hergestelltes Hindernis, Teil der Gesellschaft zu sein« (Velho 2011, S. 13), verstanden werden muss. So spricht Terkessidis (2010, S. 80) im Kontext alltäglicher Rassismuserfahrungen von

»Erlebnisse[n], die zunächst nicht groß und gravierend erscheinen, die aber mit erheblicher Penetranz wiederkehren, manchmal täglich, manchmal mit längeren Abständen, und gerade in ihrer Alltäglichkeit sehr deutlich einen Unterschied markieren und dauerhaft eine Grenze etablieren zwischen ›uns‹ und ›ihnen‹.«

Viele Menschen, die durch Rassismus diskriminiert werden, sind tagtäglich konfrontiert mit ausgrenzenden Fragen wie zum Beispiel: »Woher kommst du?«, und der Nicht-Anerkennung der Antwort, wenn diese nicht den Vorstellungen der fragenden Person über die Herkunft entspricht. Auch beispielsweise das ungefragte Duzen oder die Exotisierung (siehe Kap. 4.4.2) von Personen oder Personengruppen zählt zu den alltäglichen Diskriminierungserfahrungen (vgl. Velho 2011, S. 14).

Im Zusammenhang mit (Alltags-)Rassismus wird auch der Begriff der Mikroaggressionen genutzt (vgl. Nguyen 2013; Hasters 2020). Er macht deutlich, dass hiermit subtile, übergriffige Verhaltensweisen gemeint sind, die in alltäglichen Äußerungen, Handlungen oder auch abwertenden Blicken zum Tragen kommen. Der Begriff steht dafür, dass Menschen, die rassistisch diskriminiert werden, in den unterschiedlichsten Situationen abwertende und/oder ausgrenzende Erfahrungen machen. Hierzu zählen eben auch solche Fragen, die suggerieren, dass eine Person nicht nach Deutschland gehört oder hier »fremd« ist. Mikroaggressionen können auch unbewusste oder vordergründig nett gemeinte Kommentare oder Verhaltensweisen sein (vgl. Ogette 2019, S. 54 f.).

Rassismus wird also jeden Tag reproduziert und das auch von Menschen, die dies nicht bewusst tun. Rassismus wirkt auch an Orten und Räumen, in denen Menschen sich bewusst als anti-rassistisch oder rassismuskritisch definieren. Rassismus wird aber häufig nur mit der extremen Rechten und beispielsweise der AfD in Verbindung gebracht. Damit im Zusammenhang steht auch die Annahme, dass Rassismus immer mit Vorsatz ausgeübt wird und die Menschen, die sich rassistisch verhalten, verachtenswert sind. Somit erscheint es für weiße Personen häufig auch undenkbar, dass sie selbst rassistisch denken und handeln. Denn es herrscht die Auffassung vor, dass nur ein absichtlich oder intentional rassistisches Handeln auch rassistisch sein kann. Dies bedeutet, dass somit nicht der betroffenen Person die Definitionsmacht zugesprochen wird, sondern dass die Deutungshoheit darüber, ob etwas rassistisch ist oder nicht, bei der weißen Person verbleibt. Zudem erleben viele weiße Personen die Rückmeldung darüber, dass ihr Verhalten rassistisch war, als Angriff oder Beleidigung und beschuldigen die Person, die das rassistische Verhalten angesprochen hat. Diese häufige Reaktion wird im Konzept der »white fragility« als Beispiel für genau diese weiße Zerbrechlichkeit aufgeführt (vgl. Ogette 2019, S. 22 ff.). Gerade dieser Prozess führt dazu, dass vielen Personen gar nicht die Möglichkeit gegeben wird, rassistische Erlebnisse anzusprechen. Denn die persönlichen Folgen davon sind häufig so negativ, dass die Situation eher stark verschlimmert als verbessert wird (vgl. Scharathow 2017, S. 122 ff.). In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff sekundäre Viktimisierung (IDA-NRW o. J.) verwendet. Er steht für den sozialen Prozess

»eine[r] zweite[n] Opferwerdung, bei der Betroffene durch unangemessene Reaktionen des sozialen Nahraums (Verwandte, Freund_innen, Bekannte etc.) oder Instanzen sozialer Kontrolle (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) erneut verletzt werden. Hierbei kann es sich z. B. um ausbleibende Unterstützung und Verständnis, eine Bagatellisierung der Tat, mangelndes Einfühlungsvermögen, Witze, Mitschuldvorwürfe oder gar eine Täter-Opfer-Umkehr handeln« (ebd.).

Çiçek, Heinemann und Mecheril (2014, S. 311 f.) sprechen hier auch von sekundären Rassismuserfahrungen. Damit beschreiben sie

»Erfahrungen der Wut, der Beschämung, der Furcht, die dann entstehen, wenn eigene Rassismuserfahrungen zum Thema werden und gleichzeitig dethematisiert werden. […] Sekundär sind sie, weil sie im Zuge der Thematisierung von primären Rassismuserfahrungen bzw. der Verweigerung dieser Thematisierung gemacht werden.«

Somit ist die Erfahrung, (Alltags-)Rassismus nicht benennen und thematisieren zu können, grundlegender Bestandteil von Alltagsrassismus.

Бесплатный фрагмент закончился.

2 349,38 ₽

Начислим

+70

Покупайте книги и получайте бонусы в Литрес, Читай-городе и Буквоеде.

Участвовать в бонусной программе
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
252 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783849782689
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
Входит в серию "Beratung, Coaching, Supervision"
Все книги серии
18+
Текст
Средний рейтинг 4,8 на основе 64 оценок
Черновик, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,8 на основе 27 оценок
Черновик
Средний рейтинг 4,4 на основе 13 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,2 на основе 1013 оценок
Черновик
Средний рейтинг 4,4 на основе 44 оценок
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,7 на основе 6 оценок
Черновик
Средний рейтинг 4,7 на основе 75 оценок
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,7 на основе 985 оценок
Черновик, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,9 на основе 40 оценок
Аудио
Средний рейтинг 4,8 на основе 5211 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок