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Ziel
Psalm 122
1 Ich freute mich, als man mir sagte: „Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.“
2 Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem:
3 Jerusalem, du starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt.
4 Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen.
5 Denn dort stehen Throne bereit für das Gericht, die Throne des Hauses David.
6 Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen.
7 Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.
8 Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede.
9 Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen.
(Einheitsübersetzung)
Bruder Paulus Terwitte
1 Ich freute mich, als man mir sagte:
„Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.“
Vier Tage nach meiner Geburt. Ob ich mich damals gefreut habe? In den Armen meiner Oma wohl kaum an diesem Tag. Sie trug mich am 26. Juli 1959 zum Taufbecken der Pfarrkirche St. Otger in Stadtlohn. Auf dem obligatorischen Foto nach der Taufe fehlt meine Mutter. Da es üblich war, gleich nach der Geburt zu taufen, war sie am fünften Tag meines Erdenlebens noch nicht bereit, die Station der Wöchnerinnen zu verlassen, um zum Haus des Herrn zu gehen. Patenonkel, Patentante, mein Vater – im kleinsten Familienkreis wurde mir Christus als Gewand angelegt (Gal 3,27). Davon wird beim Ritus die Rede gewesen sein. Allerdings bestätigte diese Taufe eher, dass mir das Gewand der katholischen Bürgerschaft meiner Heimatstadt angezogen wurde. Der Ritus verleibte mich einer allzu menschlichen Tradition ein und verband mich mit denen, die, zwar getauft, die Glieder der örtlichen Gesellschaft bildeten, zumindest in ihrer großen Mehrheit. Die fromme Absicht meiner Eltern war lauter. Das bezweifle ich nicht. Doch Freude war darin nicht. Die sieht man auch auf dem Foto nicht. Eher: Wir haben es richtig gemacht. Und auch: Wir haben das einzig Wahre gemacht. Ich wünsche mir manchmal, ich könnte ein Mikrofon durch den Fotoabzug in die Vergangenheit halten. „Was bewegt dich, Oma, mich zur Taufe zu tragen?“ Und meinen Onkel, vom dem ich den Taufnamen Bernhard erhielt, den würde ich fragen: „Was freute dich genau, als du heute Mittag zur Kirche fuhrst, zu meiner Taufe?“ Mit dem Abstand von über fünfzig Jahren hätte ich Mut zu solchen Fragen. Hätte sie das Baby gestellt dort im Kreis seiner Familie: Das wäre ein Skandal geworden. Junge Leute haben zu schweigen. Stell keine Fragen! Begnüge dich mit unseren Antworten. Wie gut, dass ich Auferstehung gelernt habe. Später. Dass Taufe die Einladung zu einer lebenslangen Pilgerschaft ist, mit Dem unter den Füßen, der von sich sagt: Ich bin der Weg. Und auch: Die Wahrheit. Das Leben. Aber zuerst: Der Weg. Er hat in der Taufe zu mir gesagt: Zum Haus des Herrn wollen wir Pilgern. Zu Deinem Lebensziel. Ich verbinde Dich schon jetzt damit. Und nun mach Dich auf. Ich bin mit dir.
2 Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem:
3 Jerusalem, du starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt.
Drei Jahre später. Ein Foto zeigt mich auf der Treppenstufe zur Eingangstür des Hauses meines Großvaters. Der kleine Dicke, das bin ich. Neben mir die Geschwister, Schwester und Bruder. Links von dieser Dreiergruppe mein Großvater. Hinter uns stehend, aus der Haustür zu uns gebeugt, noch etwas zurechtzupfend am Kragen, am Kleidchen, angetan mit dem Perlonkittel der Hausfrauen der Sechzigerjahre, meine Tante. Ich liebe dieses Foto. Es zeigt meinen starken Großvater. Man sieht ihm nicht an, dass er im Ersten Weltkrieg war und im Zweiten. Dem Haus sieht man nicht mehr an, dass es zerstört war von Bomben. Eine Woche vor Kriegsende war die unselige Nacht, die seine Stadt in Schutt und Asche legte. Die Pfarrkirche zerbarst. Ihr Patron, der heilige Georg, bekannt als der Drachentöter, konnte die bombenwerfenden Drachen der Alliierten nicht besiegen. Der Wiederaufbau der Stadt hat die Hände meines Großvaters stark beansprucht. Ihren Ehrendienst taten die rauen Finger, wenn mein Großvater durch die Trümmer der Stadt an Fronleichnam, dem katholischen Fest der Verehrung der Eucharistie, mit drei Kollegen das „Himmel“ genannte Tragezelt über den Priester hielt, der das heilige Sakrament zum Segen für Volk und Stadt durch die Straßen trug. In dichten Reihen, fest gefügt, folgten dem Heiligen Leib des Herrn Hunderte von Gläubigen, der aufbauenden Kraft des im Tode vernichteten und dann auferstandenen Herrn Jesus trauend. Mehr trauend als dem Augenschein, der die sinnlos zerstörten Straßen und Häuser immer wieder tränenverschleiert verband mit dem Gedenken an die Hunderte ermordeter Kinder, Frauen, Männer und Greise, hier im Bombenhagel. Mein Großvater hatte viele von ihnen gekannt. Gesprochen hat er nie davon.
Wie auch nie über seine Frau, meine Großmutter und Patentante. Sie starb, als ich noch nicht ganz drei war. Auf dem Foto ist mein Großvater noch in der Trauerzeit. Sie freute sich, so erzählte meine Mutter mir später, wenn sie morgens zur Messfeier gehen konnte, auch werktags. Sie betete für die Einheit im Glauben und verbrachte ihre knappe freie Zeit damit, sich lesend mit der „Stadt Gottes“ zu bilden, dem Familienmagazin der Steyler Missionare. Sie erbaute sich an den Geschichten über das Wirken der Missionare in Übersee. In Kriegszeiten versorgte sie eine Verwandte, die als geschiedene Frau aus dem Ruhrgebiet zu ihr kam, mit der Selbstverständlichkeit der Liebe Christi, die keinen verurteilt. In meinem Leibgedächtnis, das ja größer ist als das Erinnerungsvermögen, halte ich wach, wie sie im Wohnzimmer – das hinter dem Fenster liegt, das neben der Eingangstür auf dem Foto zu sehen ist – drei Meter von mir entfernt sich aufstellt mit ausgebreiteten Armen und mir aufmunternd zuruft: „Wer kommt in meine Arme?“, und der kleine Bernd tollt auf sie zu, wird freudig empfangen, so heftig emporgehoben, als müsse er dem Himmel entgegengeworfen werden, dann geherzt und vorsichtig wieder abgesetzt. Mich reißt das heute noch mit. In meinem Nachsinnen über das irdische und das himmlische Jerusalem muss ich an meine Großmutter denken: Wie auf Erden, so wird es auch im Himmel ein klares Erwartet–Sein geben, ein Empfangen, ein Emporgehoben-Werden, das nicht aus der unmittelbaren Verpflichtung kommt, wie Eltern sie ihren Kindern gegenüber haben. Vielleicht bin ich deswegen sensibel für Erfahrungen der Annahme, der Zuwendung und des Loslassens, sei es, dass ich das selber geschenkt bekomme, sei es, dass ich dies als entscheidenden Dreischritt von Seelsorge selber so leben möchte. In meinem Leib kann ich die Schritte dieser Bewegung von Großmutter und Enkel wachrufen. Sie zeigen mir, was Jerusalem heute für mich ist und was es im Himmel wohl ist: Meine Mutter. Und das so viel und so wenig, wie meine Großmutter mir meine Mutter war. Für die kurze Wallfahrtsstation auf meinem Lebensweg habe ich bei meiner Großmutter alles geschenkt bekommen. Das stimmt. Und doch schränke ich es ein: Ich habe es bei ihr, aber nicht von ihr geschenkt bekommen. Eher: Durch sie. So wie Jerusalem, also ein Ort höchster Freude, nicht Endziel der Pilgerschaft ist, sondern nur ein Aufenthaltsort, an dem man den Proviant für alle weiteren Wegstrecken des Lebens bekommt, bis man einst im himmlischen Jerusalem zur Ewigen Ruhe gefunden hat, voller Frieden und Freude.
4 Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen.
Ich bin sieben. Der junge Kerl wohnt jetzt auf dem Land. Er geht in einer Bauernschaft zur Schule. 1966 ist dort von den wilden Sechzigern nichts zu bemerken. Ein Foto zeigt mich als Siebenjährigen mit der Erstkommunion-Kerze vor der Haustür. Ich war zur Frühkommunion gegangen, ungewöhnlich früh: Ich konnte mich in geistlichen Dingen wohl schon damals nicht gut gedulden. Als Schüler laufe ich von unserem Haus zur Grundschule, immer dreißig Minuten hin und dreißig zurück. Ich bekomme mit, dass sich einer aus der dritten Klasse zum Ministrantenunterricht angemeldet hat. Von der Bauernschaft zur Kirche in der Stadt sind es immerhin vier Kilometer. Mit dem Fahrrad nicht weit – wenn man erwachsen ist. Für mich noch kleinen, wenn auch schon kräftigen Jungen nicht wenig zum Fahren. Ich frage Aloys, ob er mich mitnimmt. Und so sitze ich bald jede Woche im Unterrichtsraum der Gemeinde und nehme mit etwa dreißig anderen am Einführungsunterricht für Ministranten teil. Wir kamen aus allen vier Himmelsrichtungen unserer großen Gemeinde, die über zehntausend Mitglieder zählte, zusammen. Uns einte der Wunsch, im Haus des Herrn die Liturgie mitzugestalten. Der Priester hatte schon einen schütteren Haarkranz. Mit Kreide malte er die verschiedenen Bewegungen auf, die so ein Bub zusammen mit anderen im Altarraum zu machen hat. Lauter kleine Wallfahrten: Von der Sakristei zum Altarraum, mit den Leuchtern zum Ambo, dem Lesepult, wo das Evangelium verkündet wird, mit den Körbchen zur Kollekte in die Gemeinde und wieder zurück zum Altar.
Auch der Weg zum Empfang der Kommunion wurde uns angehenden liturgischen Mithelfern als kleine Wallfahrt nahegebracht: Es ist der Höhepunkt des Kirchgangs, die Vereinigung mit der lobpreisenden Christenheit, die nach dem Dankgebet aus der Hand Jesu seinen heiligen Leib empfängt – so wie er es geboten hat, seinen Namen zu preisen. Der Weg von daheim zu diesem Unterricht mit dem Fahrrad an der Seite des nur wenig älteren Wohngebietskameraden war, rückblickend beurteilt, mein erster Weg in die Freiheit. Dieser edelste aller Begriffe des Christentums, so oft von ihm selber in den Dreck gezogen, verband sich mir aufs Innigste mit der Kirche. Mir ist unvergesslich, als mir aufging, dass nach so vielen Jahrhunderten bei mir daheim geschah, was in Jerusalem einst geschah: Gott versammelt Menschen um Jesus, Jesus verkündet sein Wort vom Frieden und von der Freiheit in Gott, Jesus bricht das Brot, Jesus gibt sich zur Speise. Das alles vollzog sich immer wieder in unserer Kirche.
Als ich zwölf bin, vertieft ein anderer Priester den Ministrantenunterricht. Mir geht auf: Jesus macht Jerusalem transportabel. Ich war berührt. Bei uns daheim, im Westmünsterland, wird immer wieder Jerusalem aufgebaut. Abendmahlssaal. Die Kreuzesliebe Jesu. Sein Erlösungswerk. Sein Friedensdienst. Als Ministrant, so der Priester, handle ich nicht, wie sich das ein Papst oder Pfarrer ausgedacht hat. In der Liturgie, zu der Tag für Tag mal mehr, mal weniger Christen wallfahren aus ihrem Alltag hin zur Gemeinde, werden Riten vollzogen, die nicht nur der Atem der Jahrhunderte belebt: Wir dürfen glauben, und das konnte ich ihm abnehmen, dass darin der Atem Jesu zu uns herüberweht. Und ich durfte mit dabei sein. Mir war wie dem zwölfjährigen Jesus im Jerusalemer Tempel. Ich stelle ihn mir widerspenstig vor, ein gerade noch gehorsamer Junge. Und dann dort, bei dieser besonderen Wallfahrt, kommt der Kleine nicht mehr los vom Tempel, der Tradition. Ihm geht auf, wie geboten wird, den Namen des Herrn zu preisen: Durch Begeisterung, die von innen kommt. Durch gottgeschenktes Erkennen von Zusammenhängen der überlieferten Schriften, für deren Verständnis es weniger Schriftgelehrtentum als vielmehr Herzensgelehrtentum braucht. Maria und Josef haben ihn dort im Tempel tatsächlich verloren (Lk. 2,48 f.). Verloren an seinen Ursprung. Verloren an das, worin er sein muss: Im Haus seines Vaters.So habe ich die Sonntagspflicht kennengelernt. Davon wird heute nicht mehr gern gesprochen. Ich verstehe nicht, warum. Es wäre mir eine Freude, wenn die Pflicht des religiösen Juden, nach Jerusalem zu wallfahren, wie auch die Pflicht des frommen Muslim, nach Mekka zu pilgern, gesehen würden als Ansporn für die Pflicht des Christen, zum kleinen Jerusalem und Mekka in einem zu pilgern: Dem Ort, an dem Jesus selber in der Mitte seiner Gläubigen ist, und das geschieht immer dann, wenn sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln. Ja, es gibt eine Versammlungspflicht für Christen. Wer glaubt, ist nicht allein. Und das muss er zeigen: Pflicht ist eine Folge des Glücks, ein Erlöster zu sein. Es käme ja auch einem jungen Mann seltsam vor, wenn man ihn fragen würde, ob er unter der Pflicht litte, seine Freundin herzlich zu umarmen. Gebetspflichten sind eine strukturierte Antwort auf die einst und wenn auch nicht immer neu zu erfahrene, so doch geglaubte Liebe Gottes. Wer dankbar ist, der findet es mehr als geboten, den zu preisen, dem man dankbar ist. Und dass man dafür gern auch Müdigkeit und Unlust überwindet.
5 Denn dort stehen Throne bereit für das Gericht, die Throne des Hauses David.
6 Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen.
7 Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.
Als ich siebzehn war, hatte ich ein bisschen selber erfahren, dass es ohne Opfer keinen Frieden in der Liebe gibt: Dem anderen zuliebe auf lieb gewonnene Gewohnheiten verzichten, das gehört wohl zu jeder Freundschaft. Liebe verstand ich als etwas Großes, und so verstehe ich es noch bis heute. Ihre Größe besteht darin, dass der eine sich dem anderen schenkt, oder sagen wir es noch deutlicher: sich opfert. Wie Jesus es tat. Er öffnete und opferte sich für Gott und die Menschen: Ich wähle dich als den Ort aus, an dem ich meine Freiheit finde. Ich binde mich an dich, weil du mir der Schlüssel für meine Freiheit bist. Mit dem „du“ meint Jesus Gott. Und er meint seine Mitmenschen. In dieser Hingabe möge ich ihm nachgehen. Für mich ist Jesus meine Freiheit. Und wir sind es für ihn. Das mag mancher nur schwer verstehen. Der heilige Franziskus von Assisi hat dies besonders tief empfunden: Wie sehr Jesus Christus uns „braucht“, uns liebt, uns umwirbt. Erlöser und Erlöste – sie brauchen einander. Geben sie sich einander, wird Frieden.So richtig aufgegangen ist mir das dann bei dem Wochenende, an dem ich zu einem kirchlichen Seminar in der Landvolkshochschule Freckenhorst bei Münster/W. pilgerte. Als der Priester dort vom Wesentlichen der Kirche und dem Sinn der Taufe sprach, ging mir ein Licht auf: Das also steht für mich bereit in der Glaubenswelt der Christenheit! Man muss es Detail für Detail durchgehen – aber wenn einem mal klar ist, was in der Taufe passiert ist, will man das auch durchgehen, will immer Neues entdecken in der Vielgliedrigkeit von „Jerusalem“, der Kirche, wie Jesus sie auf der Erde durch die Jahrhunderte führt, in aller Zerrissenheit und doch voll von so vielen, die von seiner Herrlichkeit ergriffen sind.Der Priester erklärte das Wort des Apostels Paulus aus dem Römerbrief: Taufe heißt in Christus sterben und auferstehen zu einem neuen Leben (vgl. Röm. 6,4). In diesem Moment ging mir das Glaubenslicht schlechthin auf. Gott ließ mich einsehen, dass meine geografisch-biologische Festlegung – von diesem Vater, dieser Mutter, dieser Geschichte, diesem Deutschland, dieser Kirche – in der Taufe begraben wurde und damit zweit-, dritt-, fünftrangig wurde. In mir hat sich an diese Stelle durch die Taufe das Original, der Ursprung, von dem her sich alles entwickelt hat, an die erste Stelle gesetzt: Jesus, die Logik der Welt, der Logos, der Schöpfer der Welt. Als mir das aufging, empfing ich die Freiheit, die die Taufe schenkt. Ich wusste: Jesus ist Jerusalem, was ja zu Deutsch heißt: Gott ist unser Friede. Ich wusste plötzlich, dass ich niemandem mehr gehorchen musste außer dem Evangelium, niemandem mich unterwerfen, keinem Papst, keinem Bischof, nicht Vater und nicht Mutter, meinen Lüsten nicht und meinen Träumen nicht, niemandem. Ich bin ein freier Mann in Christus. Eingefügt in die Gemeinde der Befreiten. Mir war das Ziel von meinem Mannwerden und meinem Menschwerden nun ganz klar: Christus ähnlich werden zu wollen. Würden alle Menschen begreifen, dass diese Quelle für sie bereitsteht, dann hätten wir den Frieden in dieser Welt. Mir wurde klar: Ich will jedem Menschen davon erzählen, dass für ihn ein Thron bei Gott bereitsteht. Und zwar ein ganz spezieller, ein extra für ihn angefertigter. Und es kommt im Leben darauf an, diesen zu finden. Und sich nicht danebenzusetzen.Ein solches Suchen muss von großem Ernst sein. „Bete, dass deine Einsamkeit der Stachel werde, etwas zu finden, für das es sich lohnt zu leben, groß genug, um dafür auch zu sterben“, sagt der evangelische Mystiker und Politiker Dag Hammarskjöld (+1964). Die Geborgenheit, die das Finden in Liebe schenkt, ist die Frucht einer Hingabe, die das Opfer nicht scheut. Zu den Mühen einer glückenden Lebenswallfahrt gehören Verzicht und Beschränkung ebenso wie die zähen Momente, wo man im Gespräch miteinander gebiert, was man allein nie und nimmer hätte hervorbringen können. Es steht mehr im Leben bereit, als wir zu hoffen uns trauen. Mir wurde durch meine Einsicht in die Wirklichkeit der Taufe die Gnade der Hoffnung geschenkt: Seitdem vermag ich noch in der bescheidensten Erfahrung auf die Suche gehen nach einen Funken von Gott. Bei ihm ist nichts unmöglich.
8 Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede.
9 Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen.
Mit achtzehn dann die entscheidende Weichenstellung. Ich war wieder von daheim fortgezogen. Für einen Samstag und einen Sonntag wollte ich in Münster/W. mit anderen jungen Leuten feiern. Dort wurde für mich der letzte Beweis erbracht für die Sinnhaftigkeit des Pilgerns: Das Entscheidendste erfahren wir nie zu Hause. In Münster also. Junge Menschen sind versammelt. Am Ende des Samstags per Los die Zuteilung. Ich machte mich mit acht anderen zum Übernachten mit zwei Kapuzinerbrüdern auf den Weg in ihr Kloster. Noch nie hatte ich vorher von diesem Orden gehört. Allerdings führte mein Schulweg drei Jahre lang durch eine Kapuzinerstraße, und öfter war ich in der ehemaligen Kapuzinerkirche in Borken/W. zur Frühmesse gegangen. Bewusst war mir aber nichts bekannt von diesem Orden. Im Kloster angekommen, Abendimbiss, ein Tonbild über den Sonnengesang, eine lockere Gesprächsrunde zum Tagesausklang. Plötzlich läuft es mir heiß und kalt den Rücken herunter. Die sechs Kapuziner, die acht Kollegen blicken zu mir, als ich mit einem „Ich glaub, hier bleib ich!“ herausplatze. Ich fühle, dass ich damit mein Lebensschicksal besiegelt habe. Die da um mich saßen, das waren mir Brüder und Freunde. Ich fühlte deutlich: Das ist Frieden. So hat Gott sich Jesus gedacht: Dass Jesus Menschen um sich sammelt, damit sie mit ihm zu Menschen werden und sich nie mehr trennen lassen durch Hautfarbe, Familie, Besitz, Gefühle. Das Kloster ist ein Abbild des himmlischen Jerusalem: Gott ist dort der Friede. Wohlgemerkt: Gott! Denn die Menschen, die sich dort Brüder nennen, bleiben immer auch Fremde füreinander, manchmal gar feindlich gesonnen, meistens jedoch jeder bemüht, ein Gottesfreundlicher zu sein. Frieden breitet sich aus, wenn man im Gleichklang der Herzen und der Stimme die Psalmen betet, die schon im irdischen Jerusalem erklungen sind. Wenn man das Brot Jesu teilt, wie er es damals tat in Jerusalem. Wenn man Menschen aufnimmt und mit Gott vertraut macht, wie es damals in Jerusalem war. Wenn Nachbarn und Freunde zu einem ins Kloster kommen und sagen: Bei euch ist gut sein; was für eine schöne Atmosphäre. Manchmal wundern wir Brüder uns, weil die Mühen des Alltags den Frieden zuweilen stören, den Gott unter uns stiftet.Mit Anfang zwanzig dann die letzte Besiegelung meiner Berufung. Ich war zweiundzwanzig, drei Jahre im Orden. Das fünfte und sechste Semester des Theologiestudiums verbrachte ich in Graz in Österreich. Eines Nachmittags gehe ich wie so oft heim von der Uni zur Gemeinschaft. Wieder auf dem Weg. Auf dem Weg zu dem, was in diesem Jahr mein kleines Jerusalem war, auch dort mit all den Tücken des Unfriedens, der in einem selber und in anderen ist. An diesem Nachmittag war ich wieder einmal beschäftigt mit der Frage: Wie kann ich ein noch besserer Kapuziner werden, ein noch besserer Bruder sein? Mir waren wieder einmal die Bilder vor Augen, die aus der Barockzeit in den Fluren unserer alten Klöster hängen: Ansichten eines Kapuziners, der in seiner Zelle sitzt, die eine Hand auf einem Totenschädel, die andere am Kreuz. Wie sollte ich das nur erreichen? Plötzlich, mitten auf der Straße, blieb ich stehen. Wie angewurzelt. Es erscholl nicht gerade eine Stimme vom Himmel, das wäre ein bisschen zu viel gesagt. Mit einem Mal jedoch wurden in meiner Vorstellung alle Bilder von dem verbrannt, was ein guter Ordensmann, Kapuziner, Christ, ist, alle Bilder, die ich mir davon gemacht hatte. Ich konnte die Asche riechen und genoss den Moment der Freiheit und des Friedens. Mir wurde klar: Ich muss doch gar nicht Kapuziner werden, ich bin schon einer! Und Gott will mit mir sein Werk tun. Was will ich denn mehr? Seitdem ist für mich der Weg klar: Es geht immer nach Hause. Der Pilgerweg nach innen ist jetzt meine Aufgabe. Ebenso wie der Pilgerweg, in allem, was ich tue, bis dahin vorzudringen, wo das Heiligtum ist. Denn ich bin davon überzeugt, dass in allem Gott zu finden ist, da er ja einwohnt in dieser Welt und in jedem Menschen. Die Auferstehung Jesu öffnet die Perspektive in das Himmlische Jerusalem, zu dem er uns voranpilgert. Ihm nachfolgen heißt für mich: Ihm durch die Höllen dieser Welt, die Widersprüchlichkeiten und sinnlosen Nöte folgen. Es gibt in jedem Menschen den Ort, der Jerusalem heißt, in jedem ist ein heiliger Bezirk, ein Tempel, aus dem heraus sich Auferstehung anbahnen lässt. Dieser Weg nach innen, der bereit macht, aufzubrechen und weltwärts Frieden zu leben: Das ist meine Passion. Wegen des Wissens um den Sinn, den Gott seiner Schöpfung einhaucht, jeden Tag neu, will ich Glück für alle Menschen erflehen. Es ist für mich nur schwer erträglich, wenn ich die Kleingeisterei um mich herum wahrnehme, mit der sich Menschen um ihr eigenes Glück sorgen. Jeden Tag freue ich mich, dass Gott mich mitreißt, zu ihm zu pilgern, meinen Sinn zu erheben zum himmlischen Jerusalem, in das uns Jesus vorangegangen ist. Meinen begeisterten Blick darauf biegt er täglich geduldig und freundlich um auf alle, die noch mitzureißen sind. Die bewegt werden wollen, auch wenn sie im Moment noch meinen, es sei besser, sitzen zu bleiben und in Frieden gelassen zu werden, als angerührt und zum Frieden für alle eingeladen zu werden.
Ach, wie froh wäre ich, sie könnten das Glück Jerusalems schauen!
Bruder Paulus Terwitte ist Kapuziner-Mönch und lebt in Dieburg. Er arbeitet in der Berufungspastoral, als TV-Moderator und Internetseelsorger. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen.
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