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2. Bildungspolitischer Bezugsrahmen: Unterrichtsreform mit Hilfe von Kompetenzorientierung und Standardisierung
2.1 Kompetenzen und Standards: Zwei kommunizierende Gefäße
Das bildungspolitische Anliegen, Unterricht um der Verbesserung der Ergebnisse willen verändern zu wollen, ist dem „PISA-Schock“ geschuldet.37 Mit der Einführung des Unterrichtsprinzips der Kompetenzorientierung und einer teilweisen Standardisierung der Bildungsziele wurde und wird die Erwartung verknüpft, dass deren Wechselwirkung eine Dynamik zwischen „In- und Output“ auslöst, die zu den gewünschten Effekten führt. Um das nachzuweisen, müssen die Schüler*innen-Leistungen evident werden. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang die Übertragung von Governance-Verfahren in die Schule,38 wodurch der Reformprozess das Bildungssystem in toto (Individuen, administrative Gruppen, Organisationseinheiten) erfasst. Die Rolle der Bürokratie39 liegt in der Nutzung der Testergebnisse, um institutionelle Veränderungsprozesse zu initiieren.40 Obwohl zum Stellenwert der Überprüfung von Kompetenzentwicklung und zum Umgang mit den Daten zwischen Wissenschaft, Bildungspolitik und veröffentlichter Meinung Dissens herrscht, ist die Kompetenzmessung in der Schule Realität geworden. Folgt man Eckhard Klieme, sind sieben Kriterien zu beachten, die Kompetenzüberprüfung zu einem didaktischen Instrument formen, das sowohl valide Leistungsdiagnosen als auch individuelle Förderungen der Schüler*innen sicherstellt: Fachlichkeit (Grundprinzipien des Fachs), Fokussiertheit (wesentliche Kompetenzen); Kumulativität (Gültigkeit für die gesamte Bildungslaufbahn); Verbindlichkeit (Mindestvoraussetzungen, um an der Gesellschaft teilnehmen zu können); Differenzierung (Beobachtung der Kompetenzentwicklung); Messbarkeit (anwendbare Messinstrumente); länderübergreifende Wirksamkeit (Vergleichbarkeit). Klieme empfiehlt, auf die curriculare Validität von Testungen zu achten, das Instrument nicht inflationär anzuwenden und höhere kognitive Leistungen in den Fokus zu nehmen, um Lehrer*innen nicht das Gefühl zu vermitteln, ihre Professionalität geringzuachten.41 Sonst würden viele, vor die Wahl gestellt: (to) „choose between personal survival in the system or their student’s education“,42 die Absicherung ihres beruflichen Fortkommens dem Erfordernis, an der Entwicklung von Schüler*innen zu arbeiten, überordnen. Eine Beschränkung der Rückmeldung von Messergebnissen auf summativ erfasste Daten und deren tabellarische Vergleiche würde, ohne die Erkenntnisse in curriculare und didaktische Entwicklungsprozesse zu integrieren, Lehrpersonen unter Druck setzen und deren De-Professionalisierung fördern, weil zu erwarten ist, dass sie allmählich versuchen würden, „gute Zahlen zu liefern“.43 Stimmt man jedoch die Screenings und die Ziele eines „pädagogischen Leistungsbegriffs“44 überein, bieten formativ ausgerichtete Messverfahren die Chance, didaktische Entwicklungen anzuregen. Sie müssten vor allem ein „vertieftes, konzeptuelles Verständnis“45 überprüfen und mittels qualifizierter Rückmeldung („sparsames Lob, nicht viele Hinweise, keine Kritik“46) einen persönlichen Nutzen für Schüler*innen und für Lehrer*innen erkennbar machen. Uwe Maier verweist auf Beispiele, die eine merkbare Weiterentwicklung des Unterrichts belegen, wenn die Schulpartner klug in den Prozess integriert werden. Haupteffekt sei stets eine deutlichere Hinwendung der Lehrer*innen zu den Lernbedürfnissen ihrer Schüler*innen gewesen, sodass sich in diesen Fällen die Standardtestung als „hoch effektive ‚Unterrichtsintervention‘“47 erwiesen habe. Beschränkt sich der Prozess jedoch auf das Testen, sodass der Eindruck entsteht, er diene als „Instrument der Rechenschaftslegung auf Schulebene,“48 würde die Kompetenzmessung zu einer bürokratischen Übung degenerieren. Testbasierte Schulreformen müssten daher Modelle bieten, die nicht als „technisches Instrument der Schulsystemsteuerungsstrategie“49 empfunden würden, sondern die Ebene pädagogischen Agierens erreichen, die didaktische Handlungsspielräume (Auswahl der Inhalte und Verfahren) weitet. Wenn das gelingt, können Kompetenzen und Standards als „Transformationsriemen“ fungieren50 und letztlich „[…] zu einer Revolution in der Kultur der schulischen Leistungsmessung“51 führen. Resümee: Es ist nicht auszuschließen, dass den hohen Erwartungen an die Kompetenzorientierung im Unterricht nicht entsprochen werden kann und sie ein Idealtypus bleiben. In diesem Fall würde eine Verbesserung der Unterrichtsqualität ausbleiben. Die größere Gefahr ist aber, laut Herzog: „Falls wir sie (eine funktionierende Kompetenzorientierung und Standardisierung, C. P.) NICHT haben sollten, weil es in absehbarer Zeit nicht gelingen wird, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Kompetenzmodelle zu entwickeln, ist nicht auszuschließen, dass uns – vielleicht schneller, als uns lieb sein könnte – amerikanische Verhältnisse drohen.“52
Am Ausgangspunkt des Reformprozesses stand die Erkenntnis, dass Schüler*innen in kongruenten Schultypen, Schulen und Fächern bei gleicher Leistung unterschiedlich beurteilt wurden. Die Ergebnisse von Vergleichsstudien des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in den 1990er Jahren mündeten zunächst in den Wunsch, Standards zu definieren, um die Benotung gleichwertiger zu gestalten.53 Erste Ideen und Konzepte gelangten aber nicht über das Stadium von Anregungen hinaus. Deutlicher als die frühen Studien der Bildungsforschung legten die Ergebnisse empirischer Qualitätstestungen zur Wirkung von Unterricht (TIMMS ab 1995, PISA ab 1997, PIRLS ab 2001, etc.) die Kluft zwischen dem Lehren und den Lernergebnissen offen. Die Auswirkung der öffentlichen Diskussion über die Resultate waren enorm. Sie bekamen den Charakter der Enttarnung eines Verdrängungsprozesses unangenehmer Wahrheiten. Laut Schönemann et all. habe die „desillusionierende Wucht“54 der PISA-Studie vielen vor Augen geführt, dass „die Selbstgewissheit der Deutschen, den erreichten Lebensstandard halten, ungefährdet Exportweltmeister bleiben und Probleme wie Rohstoffarmut und Globalisierungszwänge durch ein höheres Bildungs- und Qualifikationsniveau der Arbeitsbevölkerung kompensieren zu können“, auf tönernen Füßen ruhe. PISA sei nicht nur „kulturell eine Blamage“ gewesen, sondern habe „auch eine ökonomische Lebenslüge“ entlarvt.55 Die Entscheidung der Bildungspolitik messen zu lassen, was Jugendliche eigentlich können, sei daher verständlich gewesen. Bald wurde klar, dass die bloße Kenntnis der Intransigenz von Unterricht und Lernerfolg nichts über die Möglichkeiten zur Verbesserung der Lernergebnisse aussagt. Daher wurden die Fachdidaktiken aufgefordert, gemeinsam mit der Lernpsychologie fachliche Kompetenzmodelle zu erarbeiten, denen Standards, die zu setzen wären. zu Grunde gelegt werden sollten. Deutschland, und in dessen Gefolge Österreich, traten mit dieser Entscheidung in einen Prozess der Theorie-Entwicklung ein, der vom weitgehenden Konsens zwischen Wissenschaft und Bildungspolitik darüber getragen wurde, dass Bildung in Zukunft kompetenzorientiert vermittelt und entwickelt werden soll. Die Basis des nachfolgenden Prozesses war die notwendige Übereinstimmung in der Annahme, dass Kompetenzen vor dem Hintergrund der Erkenntnisse „moderat konstruktivistischer Lerntheorien“56 entwickelbar sind.57 Der Start erfolgte 2002/03 in Deutschland mit der Einigung der Kultusministerkonferenz (KMK) auf die Einführung von Standards als Messgrößen für kompetenzorientierten Unterricht in allen Bundesländern.58 Zunächst galt es die Frage zu klären, welche Art von Kompetenzen gemeint sind und wie Kompetenzentwicklung und -förderung organisiert werden sollen. Eine Arbeitsgruppe um Ewald Terhart hatte im Jahr 2000 bildungswissenschaftliche Standards für die Kompetenzbereiche Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Innovieren festgelegt und inhaltlich definiert.59 Sie wurden zur Basis eines neuen Berufsbildes für Lehrer*innen60 und zur Initiierung von Klärungsprozessen in den Fächern, wie mit dem Kompetenzparadigma domänenspezifisch umzugehen sei. Die Diskussionen mündeten in die Erkenntnis, dass fachspezifische Kompetenzsysteme in Kooperation von Fachdidaktiken und Fachwissenschaften zu modellieren seien. Angestrebt wurde die Konstruktion einigermaßen valider Modelle. Der Zeitdruck, das System qualitativ zu stabilisieren, erwies sich als Herausforderung.61 Kompetenzbeschreibungen, Progressionsverläufe und Testungsverfahren wurden den meisten Fächern in sogenannte „Kompetenz-Stufen-Modelle“ eingearbeitet, die die „normative Setzung von Mindest-, Regel- und Optimalstandards“62 festschrieben.63 Die KMK ordnete an, dass die Skalen dem PISA-System zu entnehmen waren, um das Projekt in den internationalen Kontext zu stellen. Vorgegeben wurden eine klare Unterscheidbarkeit von Kompetenzstufen und fachdidaktisch angeleitete, gut verständliche Modelle, damit die Lehrer*innen selbstständig damit umgehen können. Die Vereinbarung über die Beschreibung der Kompetenzstufen war letztlich das Produkt eines Aushandlungsprozesses zwischen Bildungspolitik, Forschung und Schulpraxis. Bei der Standardsetzung legte die KMK für Mindeststandards die Richtlinie fest, dass Schüler*innen zwar das Niveau curricularer Erfordernisse verfehlen könnten, es aber erwartbar sein müsse, dass die vorhandenen Kompetenzen den Übergang von der Schule zur Berufsausbildung gelingen lassen würden. Regelstandards, die zweite Stufe, sollten mit curricularen Standards ident sein, Optimal-Standards (3. Stufe) deutlich über diese hinausweisen und dem System Schule zeigen, wohin es sich entwickeln könnte.64 Diesem Vorgang ist eine Bildungsdefinition zu Grunde gelegt worden, die die Lebenspraxis in den Blick nimmt. Unterrichtsergebnisse sollten zu Handlungen befähigen.65 Parallel zur Modellierung der Kompetenzen mussten Richtlinien zur Testaufgabenerstellung erarbeitet werden, um valide Vergleichsmessungen sicherzustellen. In Deutschland entschloss man sich dazu, professionelle Item-Writer*innen auszubilden, die die Testaufgaben zu schreiben hatten, die Entwürfe sowohl von Fachdidaktiker*innen als auch von Psychometriker*innen auf Reliabilität hin begutachten zu lassen, sie in Pilotstudien zu erproben und die Durchführung der Testungen durch Normierungsstudien zu begleiten. In Österreich beschränkte man dieses Verfahren auf eine limitierte Zahl von „Standardfächern“.66 Bei den übrigen Domänen wurde die punktuelle Kompetenzüberprüfung mittels der Matura-Examina für ausreichend erachtet, um Informationen über die Qualität der Bildungsarbeit zu erhalten.
2.2 Zum Kompetenzbegriff: Klieme-Gutachten und Weinert-Definition
Der Psychologe und Bildungsforscher Eckhard Klieme verfasste im Auftrag der KMK 2005 eine Expertise mit dem Ziel, grundlegende Aspekte einer Implementierung von Bildungsstandards in die deutschen Bildungssysteme vorab zu klären. Klieme definiert „Kompetenz“ als eine Größe, die in einer Relation zu Standards zu stehen hat. Aus kompetenzorientiertem Unterricht erwachsene Standards sollten die Alternative zu inhalts- bzw. lernzielorientierten Unterrichtsergebnissen bilden. Der Begriff „Kompetenz“ entstammt der Lernpsychologie und beschreibt Wissensfelder, aus denen sich Bereiche konstituieren lassen. Sie bündeln „intelligentes Wissen“, worunter entwickeltes Problembewusstsein und dessen Vernetzung mit verschiedenen Wissenselementen, meist domänenspezifischen, verstanden wird. Neben dem fachlich-inhaltlichen Gesichtspunkt ist die „Operation“, die Anwendung von Wissen, ein zentraler Baustein im Kompetenzgebäude, weil hier der Aspekt der Fertigkeit (das Können) zum Ausdruck kommt. Fertigkeiten erscheint in unterschiedlichen Ausprägungen, sodass sie gestuft werden müssen. Die Parameter Kompetenz und Niveau seien in Modellen miteinander zu verweben. „Ein Kompetenzmodell beschreibt den Kern des Wissens und Könnens in einer ‚Domäne‘, das im Idealfall kumulativ, in sinnvollen Lernschritten aufgebaut wird […]. Standards sollten dazu beitragen, hinter den vielen detaillierten Lernzielen der Fächer deren Kernbegriffe und Leitideen zu betonen.“67 Weil aber einheitliche überfachliche Fähigkeiten und Fertigkeiten unrealistisch sind, haben die „[…] konkrete(n) Ausformulierungen und Operationalisierungen des Kompetenzbegriffs in den Domänen bzw. Fächern zu erfolgen […]. Daraus begründet sich weiterhin die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen auf dem Theorie- und Erkenntnisstand der Fachdidaktiken aufzubauen. Fachdidaktiken rekonstruieren Lernprozesse in ihrer fachlichen Systematik und zugleich in der je spezifischen domänenabhängigen Logik des Wissenserwerbs und der Kompetenzentwicklung.“68 Klieme rät dazu, die Konstruktion von Aufgabenformaten als wesentlichen Teil der Theoriebildung zu sehen und schlägt drei Stufen für den Modellbau vor: (1) die Definierung von Teildimensionen (Kriterien für Aufgabenformate); (2) die Konstruktion von Aufgaben mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden und Bewertungsregeln (schreiben, empirisch prüfen, dimensionieren); (3) die Beforschung der Mess-Ergebnisse (Verteilung der Schüler*innen auf Niveaustufen, Deutung der Entwicklungsverläufe etc.). Schließlich empfiehlt Klieme den Fachdidaktiken, der Erarbeitung systematischer fachlicher Kompetenzmodelle und deren Progressionsbeschreibungen den Kompetenzbegriff von Franz Weinert zu Grunde zu legen,69 was durchgängig geschehen ist.
Der Begriff „Kompetenz“ ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen. „Competere“ bedeutet „zusammentreffen“, aber auch: „zu etwas fähig sein“. Nach der Definition Weinerts meint der pädagogische Kompetenzbegriff die „[…] bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. […]“.70 Kompetenzen müssen demnach eine praktische Komponente haben, die Kenntnis von Theorie allein genügt nicht. Entscheidend für das Agens ist der Faktor „Bereitschaft“, die Motivation und der Wille zur Anwendung der Fähigkeiten und Fertigkeiten „im Leben“. Mit der Weinert-Formel ist eine Definition gefunden worden, die Kompetenz als ein „generatives Vermögen“ beschreibt und damit originäre kognitive Leistungen in den Fokus rückt. Hans-Jürgen Pandel stellt rückblickend für die Geschichtsdidaktik fest, dass auf dieser Basis „Kompetenz“ als „[…] eine domänenspezifische Problemlösungsfähigkeit“71 hat determiniert werden können, was das Prinzip für das Fach Geschichte annehmbar gemacht hat. Wie Pandel beurteilen die meisten Geschichtsdidaktiker*innen die Weinert’sche Kompetenzformel als jene Veränderung im Diskurs um die Kompetenzimplementierung,72 die die Möglichkeit eröffnet hat, „[…] den Schülern solche domänenspezifische Fähigkeiten zu vermitteln, dass sie mit neuen Ereignissen, neuen Situationen, neuen Kontroversen umgehen können.“73 Die Bedeutung der Betrachtung von Kompetenzen als „Denkinstrumente“ liegt in der damit verbundenen Einsicht, dass historische Bewusstseinsbildung mit dem Schulunterricht weder beginnt noch endet, womit geklärt worden ist, dass die Aufgabe von Unterricht darin besteht, die sich entwickelnde Selbstständigkeit in der Orientierung zu fördern. Daher war der Konsens darüber wichtig, dass der Umgang mit Geschichte seinen Zweck in der Orientierung für die Gegenwart zu finden hat und dass das als dynamisches Konstrukt (neues Wissen, neue Fragen, neue Strukturen) wahrgenommen wird.74
Trotz des weitgehenden Konsenses über die Kompetenztheorie gibt es Kritik von Teilen der Bildungsforschung und der Fachdidaktik an testbasierter Sicherung von Unterrichtsqualität. Sie fokussiert auf Zweifel an der Möglichkeit, didaktische Theorien in die Schulpraxis zu transferieren. Zeitler et all. meinen, Testungen würden zwar Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Unterricht und Lernerfolg geben, die Verbesserung von Unterricht sei aber eine komplexe Angelegenheit, die differenzierte und abgestimmte Maßnahmen erfordere. Hierzu fehlten Hinweise in den Modellen.75 Argwohn resultiert weiters aus der misslungenen Kommunikation der Bedeutung von Kompetenzorientierung und Standardisierung. Uwe Maier kritisiert den im Bildungsdiskurs häufig verwendeten und aus den USA stammenden Begriff „Output“ als „eine kybernetische Metaphorik“ und als „sehr schillernd, technomorph“.76 Wohl wird eingeräumt, dass kompetenzorientierter Unterricht einem Zweck dient und dass das Erreichen des Anspruchs, „kompetente Schüler*innen“ in das Leben zu entlassen, eine Überprüfung der Entwicklung nötig macht, das manifest gewordene Procedere erscheint Maier aber zu technokratisch.77 Werner Heil lenkt den Blick auf die Lehrer*innen und wirft den Proponenten der Kompetenzorientierung vor, Misstrauen gesät zu haben, denn gegen das Anwenden von Begriffen aus der Ökonomie auf „[…] die Schule, die Erziehung und Bildung junger Menschen […] sträubten sich zu Recht nicht nur das pädagogische Empfinden, sondern auch der pädagogische Verstand. Bildung ist keine Ware, die man nach Standards und Warenproduktion messen und bewerten kann.“78 Und er kritisiert die terminologische Abwertung des Begriffs „Lernziel“ zugunsten von „Ergebnis“. Eine weiteres Transferproblem ist der Handlungsdruck, der aus dem „PISA-Schock“ erwachsen ist. Die Behörden würden neue Bildungspläne viel zu rasch in Kraft setzen, ohne dass sich Kompetenzmodelle als ausgereift erwiesen hätten bzw. von Lehrer*innen ausreichend internalisiert worden wären. Auch Schönemann et all., warnen mit Nachdruck vor negativen Auswirkungen überstürzter Bildungsreformen.79 Dieser Position tritt Pandel bei, wenn er feststellt, die hektisch geführte Diskussion nach PISA und die überstürzte Umsetzung kompetenzorientierter Ziele im Unterricht habe „wolkige Formulierungen“80 in manchen Lehrplänen zur Folge gehabt und eine Verwirrung gestiftet, die das Anliegen konterkariere.81 Der Wunsch, Lernen so zu organisieren, dass Schüler*innen ihr Leben besser bewältigen können, drohe aus dem Blickfeld zu schwinden. „Damit war der kompetenzorientierte Unterricht geboren, dessen Geburtsfehler den Blick auf die tatsächliche Qualität des Kindes möglicherweise getrübt haben.“82 Die Folgen seien gravierend. Viele Lehrer*innen würden bereits „bedenkliche ‚Kompromiss(e)‘ „83 eingegangen sein, man habe „[…] das didaktische Potenzial des standardbasierten kompetenzorientierten Unterrichts“84 nicht erkannt.85
Innerhalb der Geschichtsdidaktik gibt es zudem Bedenken bezüglich der Anwendbarkeit des Kompetenzbegriffs von Weinert in der Domäne. Besonders das als apodiktisch angesehene Erfordernis zu standardisieren wird kritisiert. Schönemann et all. weisen darauf hin, dass Geschichte niemals ein standardisierbares „PISA-Fach“ werden könne, weil internationale Vergleichbarkeit nicht herstellbar sei. Es gebe zu wenige empirische Befunde, als dass Kompetenzerwerb und Lernprogression in ein konsistentes Stufungsmodell münden könnten, und es dürfte kaum gelingen, valide Diagnoseverfahren zu konstruieren. Außerdem stelle der Versuch einer Ökonomisierung der Kategorie „Geschichtsbewusstsein“ ein Antonym zum pädagogischen Anspruch dar, einen individuellen Bildungsbegriff zu konzipieren. „Im Vordergrund steht die kognitive Zurichtung ganzer Schülerpopulationen nach Maßgabe bildungsökonomischer Notwendigkeiten.“86 Die Gruppe regt daher einen Neustart der Kompetenzdiskussion an.87 Demgegenüber hält Hans-Jürgen Pandel das Prinzip der Kompetenzorientierung für theoretisch ausreichend durchdrungen und fundamentiert. Probleme würden sich aber aus dem „geschichtsdidaktische(n) Warenhaus der Kompetenzen“88 ergeben, dessen unübersichtliche Palette von emanzipatorischen über ästhetische und sprachliche, zu emotionalen und logisch-logistischen Kompetenzdefinitionen reiche. Und Pandel kritisiert die Theoriearbeit Jeismanns und Rüsens als unhistorisch. Sie hätten nichts genuin Fachspezifisches entwickelt, sondern allgemeine philosophische Überlegungen auf die Domäne Geschichte übertragen,89 ein Vorwurf, den Bodo v. Borries zurückweist.90 Zwar fehle eine befriedigende Klärung der Schwierigkeitsgrade historischer Denkformen, es sei aber Sache der Fachdidaktik, nicht der Geschichtstheorie, entsprechende Aufgaben aus den Kompetenzmodellen abzuleiten und empirisch zu erproben.91 Werner Heil schließlich hält an Kompetenzdefinition Weinerts die Aspekte „Problemlösen“ und „Bereitschaft“ als für den Umgang mit Geschichte für fragwürdig, denn es könne in einer Domäne, deren Operationen primär mentaler Natur seien, kein Kriterium für Kompetenz sein, ohne Anlass Probleme lösen zu müssen. Der volitionale Gesichtspunkt sei zwar für den Kompetenz-Erwerb von Nutzen, ein Kriterium für verfügen über Kompetenz könne er jedoch nicht sein.92
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