Dombey und Sohn

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»So, das wäre kräftig genug!« sagte Kapitän Cuttle und zog augenblicklich seinen Kopf zurück, als ob er einen Sturm erwarte.



Und er hatte sich nicht getäuscht, denn eine verwitwete Dame, deren Ärmel bis zur Schulter aufgerollt waren, und deren mit Seifenschaum überzogene Arme von heißem Wasser dampften, entsprach der Aufforderung mit erstaunlicher Raschheit. Ehe sie Walter ins Auge faßte, besichtigte sie den Klopfer. Dann aber maß sie ersteren von Kopf bis zu den Füßen und sagte, sie wundere sich nur, daß noch etwas daran übrig geblieben sei.



»Ich weiß, Kapitän Cuttle ist zu Hause«, ergriff Walter mit einem versöhnenden Lächeln das Wort.



»Ist er?« versetzte die verwitwete Dame. »Wirklich?«



»Er hat eben mit mir gesprochen«, sagte Walter mit verhaltenem Atem.



»Hat er?« entgegnete die verwitwete Dame. »Dann seid Ihr vielleicht so gut, ihm von Mrs. Mac Stinger einen Gruß auszurichten und ihm zu sagen, wenn er das nächste Mal sich und seine Wohnung so weit herabwürdige, zum Fenster hinaus zu sprechen, so werde sie es ihm Dank wissen, wenn er auch selber herunterkomme und die Tür öffne.«



Mrs. Mac Stinger sprach sehr laut und horchte, ob sich nicht etwa aus dem ersten Stock herab eine Bemerkung vernehmen lasse.



»Ich werde es besorgen«, sagte Walter, »wenn Ihr so gut sein wollt, mich einzulassen, Ma'am.«



Er sah sich nämlich durch eine hölzerne Befestigung ausgeschlossen, die sich quer vor der Tür hindehnte und daselbst angebracht war, um die kleinen Mac Stingers zu hindern, daß sie in ihren Erholungsaugenblicken nicht die Treppe herunterpurzelten.



»Ich sollte meinen«, entgegnete Mrs. Mac Stinger verächtlich, »ein junger Mensch, der mir die Tür einschlagen kann, sei auch imstande, darüber wegzukommen.«



Walter nahm dies für eine Erlaubnis einzutreten und stieg darüber hinweg; aber Mrs. Mac Stinger fragte ihn nun, ob das Haus einer Engländerin ihr Schloß sei oder nicht, und ob sie es sich gefallen lassen müsse, daß der erste beste in dieses einbreche. In dieser Sache war ihr Durst nach Belehrung noch immer sehr aufdringlich, als Walter bereits durch den künstlichen Waschnebel, der das Treppengeländer mit einem klebrigen Schweiß bedeckte, nach Kapitän Cuttles Zimmer hinaufgelangt war, wo dieser Herr hinter der Tür auf der Lauer lag.



»Bin ihr nie einen Penny schuldig geblieben, Wal'r«, sagte Cuttle in gedämpfter Stimme und mit sichtlichen Spuren der Angst auf dem Gesicht, »sondern habe ihr im Gegenteil eine ganze Welt voll guter Dienste geleistet – den Kindern obendrein. Gleichwohl, sie ist immer eine Hexe. Puh!«



»Dann würde ich ausziehen, Kapitän Cuttle«, versetzte Walter.



»Kann's nicht. Wal´r«, entgegnete der Kapitän. »Sie würde mich ausfindig machen, wohin ich auch ginge. Nehmt Platz, was macht Gills?«



Der Kapitän genoß eben aus seinem Hut ein Stück kalten Hammelbraten, Porter und einige dampfend heiße Kartoffeln, die er selbst gekocht hatte und die er je nach seinem Bedarf aus einer kleinen Pfanne von dem Feuer holte. Zur Essenszeit pflegte er seinen Haken abzuschrauben und an dessen Statt ein Messer einzusetzen, mit dem er bereits eine Kartoffel für Walter zu schälen begonnen hatte. Seine Räume waren sehr klein und rochen stark nach Tabak, sahen aber anständig genug aus, da alles so gut untergebracht war, als habe man regelmäßig jede halbe Stunde ein Erdbeben zu gewärtigen.



»Was macht Gills?« fragte der Kapitän.



Walter war inzwischen wieder zu Atem gekommen, aber mit dem Feuer, das ihm sein rasches Rennen eingeflößt, hatte er auch allen Mut wieder verloren. Er sah den Frager einen Augenblick an und brach mit dem Rufe »o Kapitän Cuttle!« in Tränen aus.



Die Bestürzung des Kapitäns bei einem solchen Anblick läßt sich nicht durch Worte beschreiben. Mrs. Mac Stinger schwand davor in ein Nichts zusammen. Die Kartoffel und die Gabel entfielen seiner Hand – mit dem Messer würde es wohl ebenso gegangen sein, wenn es möglich gewesen wäre – und so saß er da, den Knaben anstarrend, als erwarte er im nächsten Augenblick zu hören, in der City habe sich eine Kluft aufgetan, die seinen alten Freund samt dem kaffeefarbigen Anzug, den Knöpfen, der Uhr, der Brille und allem verschlungen habe.



Nachdem ihm aber Walter mitgeteilt hatte, um was es sich handelte, entwickelte er nach augenblicklichem Nachdenken seine volle Tätigkeit. Er leerte aus einer kleinen Zinnbüchse, die auf dem oberen Sims des Wandschrankes stand, seinen ganzen Vorrat an barem Geld, dreizehn Pfund und eine halbe Krone betragend, und verpflanzte ihn nach einer der Taschen seines weiten blauen Rocks. Ferner bereicherte er dieses Magazin mit dem Inhalt seiner Silbertruhe, bestehend aus zwei abgebrauchten Fragmenten von Teelöffeln und einer abgenutzten zerbeulten Zuckerzange. Dann holte er seine ungeheure doppelgehäusige silberne Taschenuhr aus den Tiefen, in denen sie ruhte, heraus, um sich zu überzeugen, daß dieses wertvolle Möbel gesund und heil war, befestigte den Haken an seinem rechten Handgelenk, ergriff seinen Knotenstock und forderte Walter auf, mit ihm zu kommen.



Plötzlich während dieser seiner tugendhaften Aufregung fiel ihm übrigens ein, Mrs. Mac Stinger könnte ihm unten auflauern. Er hielt daher plötzlich inne und warf einen Blick nach dem Fenster, als komme ihm der Gedanke, er wolle sich lieber dieses ungewöhnlichen Weges zum Fortkommen bedienen, als seinem schrecklichen Feind in den Weg treten. Zuletzt aber entschied er sich für eine Kriegslist.



»Wal'r«, sagte der Kapitän mit einem scheuen Blinzeln, »geht voraus, mein Junge. Wenn Ihr in den Flur kommt, so ruft mir zu: ›Lebt wohl, Kapitän Cuttle‹ und schließt die Tür. Ihr könnt dann an der Straßenecke warten, bis Ihr mich seht.«



Diese Andeutungen beruhten auf einer genauen Kenntnis von der Taktik des Feindes; denn als Walter die Treppe hinunterkam, stürzte Mrs. Mac Stinger wie ein Rachegeist aus der kleinen Hinterküche heraus. Da sie übrigens nicht, wie sie erwartet hatte, den Kapitän traf, so erlaubte sie sich nur eine weitere Andeutung auf den Klopfer und verschwand sodann wieder.



Es vergingen wohl fünf Minuten, ehe Kapitän Cuttle seinen Mut soweit zusammennehmen konnte, um den Fluchtversuch zu wagen. So wartete Walter an der Straßenecke und sah nach dem Hause zurück, ohne auch nur eine Spur von dem Glanzhut wahrnehmen zu können. Endlich aber brach der Kapitän mit der Plötzlichkeit einer Explosion zur Tür heraus, eilte rasch auf ihn zu und schaute auch nicht ein einziges Mal über die Schulter zurück. Sobald sie weit genug vom Hause weg waren, tat er dergleichen, als pfeife er ein Liedchen.



»Onkel schwer beigelegt, Wal'r?« fragte der Kapitän im Weitergehen.



»Ich fürchte es. Wenn Ihr ihn diesen Morgen gesehen hättet, würdet Ihr den Anblick nie vergessen haben.«



»Geht schnell, Wal'r, mein Junge«, entgegnete der Kapitän, indem er selbst auch seine Schritte beschleunigte, »und haltet es so Euer Leben lang. Laßt Euch das einen guten Rat sein und prägt ihn Euch gut ein!«



Der Kapitän ward fortan zu sehr von seinen Gedanken an Solomon Gills, vielleicht auch von einzelnen Betrachtungen über sein kürzliches Entkommen aus dem Haus der Mrs. Mac Stinger in Anspruch genommen, um zur moralischen Belehrung Walters weitere Zitate anzubringen. Sie gingen deshalb stumm nebeneinander her, bis sie die Tür des alten Sol erreicht hatten, wo der unglückliche hölzerne Midshipman mit seinem Instrument vor den Augen den ganzen Horizont zu mustern schien, ob sich nicht irgendwo ein Freund zeige, der ihm aus seiner Drangsal helfe.



»Gills!« rief der Kapitän in das Hinterstübchen eilend und seinen alten Freund ganz zärtlich bei der Hand fassend. »Legt Euern Schnabel nur gut an den Wind und wir wollen uns schon durchkämpfen. Ihr habt weiter nichts zu tun«, fügte der Kapitän mit der Feierlichkeit eines Mannes bei, der eine der kostbarsten praktischen Weisheiten von sich gegeben hat, die nur je von menschlicher Weisheit entdeckt wurden; »nur den Schnabel gut an den Wind gelegt, und wir fechten uns durch.«



Der alte Sol erwiderte den Händedruck und dankte dem Sprecher.



Kapitän Cuttle legte sodann mit einer Würde, die ganz im Einklang mit der Natur des Anlasses stand, die beiden Teelöffel, die Zuckerzange, die silberne Uhr und das bare Geld auf den Tisch, worauf er Mr. Brogley, den Trödler, fragte, wie hoch sich der Schaden belaufe.



»Nun, wie hoch schlagt Ihr ihn an?« fragte Kapitän Cuttle.



»Ei, Gott behüt' Euch«, entgegnete der Trödler. »Ihr glaubt doch nicht, daß mit diesem Eigentum da abgeholfen ist?«



»Warum nicht?« fragte der Kapitän.



»Warum nicht? Es ist die Rede von dreihundertsiebzig und etlichen Pfunden«, versetzte der Trödler.



»Was tut das!« erwiderte der Kapitän, obschon durch die Zahl augenscheinlich sehr eingeschüchtert. »Schätzt wohl, es ist alles Fisch, was in Euer Netz kommt.«



»Jawohl«, sagte Mr. Brogley: »aber Ihr wißt, Sprotten sind keine Walfische.«



Die Weisheit dieser Bemerkung schien den Kapitän wie ein Blitz zu treffen. Er ging eine Minute mit sich zu Rat, faßte inzwischen den Makler mit der Miene eines tiefen Geistes ins Auge und rief dann den Instrumentenmacher beiseite.



»Gills«, sagte Kapitän Cuttle, »wie steht es mit dieser Sache? Wer ist der Gläubiger?«



»Pst!« entgegnete der alte Mann. »Kommt weiter weg. Sprecht nicht vor Wally. Es betrifft eine Bürgschaft für Wallys Vater – eine alte Bürgschaft. Ich habe schon viel davon abbezahlt, Ned, aber die Zeiten sind für mich so schlecht, daß ich jetzt nicht weiter kann. Ich habe es vorausgesehen, konnte es aber nicht ändern. Doch ja kein Wort vor Wally – nicht um die ganze Welt.«



»Ihr habt doch einiges Geld – oder nicht?« flüsterte der Kapitän.



»Ja, ja – o ja – ich habe einiges«, erwiderte der alte Sol, indem er zuerst seine Hände in die leeren Taschen steckte, dann aber damit seine welsche Perücke zusammendrückte, als glaube er, etwas Gold herausringen zu können: »aber ich – das wenige, das ich habe, ist nicht umsetzbar, Ned; ich kann es nicht flüssig machen. Ich habe versucht, etwas damit für Wally zu tun – aber ich bin aus der Mode gekommen und hinter der Zeit zurück. Es ist da und dort, und – und – kurz, es ist so gut wie nirgends«, fügte der alte Mann bei, indem er verwirrt umherschaute.

 



Er hatte dabei ganz das Aussehen eines irren Menschen, der sein Geld an verschiedenen Plätzen versteckt, aber das Wo vergessen hatte, so daß ihm der Kapitän mit den Augen folgte, nicht ohne eine kleine Hoffnung, es könnte ihm einfallen, daß etliche hundert Pfund im Schornstein droben oder im Keller drunten versteckt seien. Aber Solomon Gills wußte es besser.



»Ich bin längst hinter der Zeit zurückgeblieben«, sagte Sol mit verzweifelter Ergebung. »Es nützt nichts, daß ich mich so weit hintendrein nachschleppe. – Es ist besser, der Vorrat wird verkauft – er ist mehr wert, als diese Schuld – und für mich ist's am ratsamsten, wenn ich gehe und zur Ausgleichung irgendwo sterbe. Ich besitze keine Tatkraft mehr und weiß nichts mehr von diesen Dingen. Es ist am besten, wenn es so endet. Man soll den Vorrat verkaufen und

ihn

 herunternehmen«, fügte der alte Mann bei, indem er matt nach dem hölzernen Midshipman hindeutete; »so ist es mit uns beiden auf einmal aus.«



»Und was gedenkt Ihr mit Wal'r anzufangen?« fragte der Kapitän. »Hier, hier – setzt Euch nieder, Gills, setzt Euch, und laßt mich darüber nachdenken. Wenn ich nicht ein kleines Jahresgehalt besäße, das bis heute für mich ausreichte, so hätte ich nicht nötig, mich darüber zu besinnen. Aber legt nur Euren Schnabel gut an den Wind«, fuhr der Kapitän in abermaliger Wiederholung dieses unwiderstehlichen Trostspruches fort, »und es wird alles gut werden!«



Der alte Sol dankte ihm von Herzen und ging hin, um statt des Schnabels den Kopf gegen den Kamin des Hinterstübchens zu lehnen.



Kapitän Cuttle promenierte eine Weile im Laden auf und ab und zog während seines tiefen Gedankengangs die buschigen schwarzen Augenbrauen so tief zur Nase herab, daß sie wie die umhüllenden Wolken eines Berges aussahen und Walter sich scheute, den Strom seiner Betrachtungen zu unterbrechen. Mr. Brogley, der der Gesellschaft durchaus keinen Zwang antun wollte und einen gar sinnreichen Geist hatte, ging mit leisem Pfeifen unter den Ladenvorräten umher, klopfte an die Wettergläser, schüttelte die Kompasse, als seien sie Pillenschachteln, und hob mit den Magneten Schlüssel auf, schaute durch Teleskope, suchte sich mit dem Gebrauch der Himmelskugeln bekannt zu machen, setzte Parallellineale rittlings auf seine Nase und vergnügte sich mit andern physikalischen Belustigungen.



»Wal'r!« sagte endlich der Kapitän. »Ich hab's.«



»Wirklich, Kapitän Cuttle?« rief Walter mit großer Lebhaftigkeit.



»Kommt hierher, mein Junge«, fuhr der Kapitän fort; »der Ladenvorrat ist die eine Sicherheit. Ich bin die andere. Euer Chef ist der Mann, der das Geld vorschießen soll.«



»Mr. Dombey?« stotterte Walter.



Der Kapitän nickte gravitätisch.



»Schaut ihn an«, sagte er. »Schaut Gills an. Wenn man jetzt alle diese Dinge verkaufen wollte, so würde er den Tod davon haben. Das wißt Ihr so gut wie ich. Wir dürfen keinen Stein unumgekehrt lassen – und da ist jetzt ein Stein für Euch.«



»Ein Stein! – Mr. Dombey!« – stotterte Walter.



»Vor allem lauft Ihr nach dem Bureau hin und seht, ob er dort ist«, sagte Kapitän Cuttle und klopfte ihn auf den Rücken, »Rasch!«



Walter fühlte, daß er gegen diesen Befehl keinen Widerspruch erheben durfte, und wenn ihm auch ein solcher Gedanke gekommen wäre, so würde ein Blick auf seinen Onkel ihn bald eines anderen belehrt haben. Er entfernte sich daher sofort, um den Auftrag zu vollziehen, kehrte aber bald nachher atemlos wieder zurück, um zu melden, daß Mr. Dombey nicht da sei. Es war Sonnabend, und der Chef befand sich zu Brighton.



»Ich will Euch was sagen, Wal'r!« bemerkte der Kapitän, der auf den Fall von Mr. Dombeys Abwesenheit Bedacht genommen zu haben schien. »Wir gehen auch nach Brighton. Ich will Euch decken, mein Junge. Ich bin Eure Rückendeckung, Wal'r. Wir gehen mit der Nachmittagskutsche nach Brighton.«



Wenn man sich überhaupt an Mr. Dombey wenden mußte – ein schrecklicher Gedanke –, so würde es Walter vorgezogen haben, das Geschäft allein und ohne Beistand zu übernehmen, als gedeckt von dem persönlichen Einfluß des Kapitäns Cuttle, auf den Mr. Dombey wahrscheinlich keinen sonderlichen Wert legte. Da jedoch der Kapitän ganz anderer Meinung zu sein schien, und sich seine Beteiligung bei der Sache nicht nehmen lassen wollte – da ferner seine Freundschaft zu ernst und eifrig war, als daß ein viel jüngerer Mensch sie geringschätzig hätte behandeln dürfen, so unterließ es Walter, auch nur den mindesten Einwurf zu erheben, Cuttle verabschiedete sich daher hastig von Solomon Gills und steckte – wie Walter mit Entsetzen glaubte – in der Absicht, auf Mr. Dombey einen großartigen Eindruck zu machen, das bare Geld, die Teelöffel, die Zuckerzange und die silberne Uhr wieder in seine Tasche. Dann begab er sich mit seinem jugendlichen Begleiter, ohne weiter zu zögern, nach dem Kutschen-Einschreibebureau und tröstete ihn unterwegs zu wiederholten Malen mit der Versicherung, er werde ihm mannhaft und ritterlich zur Seite stehen.





Zehntes Kapitel. Enthält die Folgen, die das Unglück des Midshipman nach sich zieht.



Major Bagstok hatte oft und lang über den Prinzessinnenplatz hinüber durch seinen doppeltstarken Fernstecher unsern Paul beobachtet und hatte durch den Eingeborenen, der deshalb einen beharrlichen Verkehr mit dem Dienstmädchen der Miß Tox unterhielt, täglich, wöchentlich und monatlich ausführliche Berichte über den fraglichen Gegenstand erhalten. So gelangte er zu dem Schlusse, daß Dombey, Sir, ein Mann sei, den man kennenlernen müsse, und daß J.B. diese Bekanntschaft nicht versäumen dürfe.



Miß Tox jedoch behauptete ihr zurückhaltendes Benehmen und wies den Major mit großer Kälte zurück, so oft er sie – was zu verschiedenen Malen geschah – über diesen Gegenstand auszuforschen versuchte. Der Major wollte daher, trotz seiner angeborenen Zähigkeit und Schlauheit, lieber die Erfüllung seines Wunsches einigermaßen dem Zufall überlassen, der, wie er in seinem Klub kichernd zu bemerken pflegte, »fünfzig gegen einmal stets zugunsten des Joey B. stand, Sir, seit sein älterer Bruder in Westindien an dem gelben Jack starb.«



Es dauerte lange, bis er ihm in dem gegenwärtigen Falle zu Hilfe kam. Am Ende aber hatte er doch Glück. Als der schwarze Diener mit allen Einzelheiten berichtete, daß Miß Tox im Brightondienst abwesend sei, wandelten den Major plötzlich zärtliche Erinnerungen an seinen Freund Bill Bitherstone in Bengalen an, der ihm geschrieben hatte, wenn er je in diese Gegend käme, möchte er doch seinen einzigen Sohn besuchen. Zur Zeit übrigens, als derselbe schwarze Diener meldete, Paul befinde sich bei Mrs. Pipchin. Dadurch gab er dem Major Anlaß, sich des Briefes zu erinnern, den ihm Master Bitherstone bei seiner Ankunft in England überreicht hatte. Zwar war er damals nicht entfernt geneigt, diesem je Aufmerksamkeit zu schenken. Der ehrenwerte Krieger lag nun gerade an einem Gichtanfall danieder, und er wurde über die Meldung so wütend, daß er zum Dank dem Schwarzen einen Fußschemel nachwarf und hoch und teuer schwur, er wolle den Kerl noch eigenhändig umbringen – eine Drohung, die der Schwarze mehr als halb zu glauben geneigt war.



Endlich war der Anfall vorübergegangen, und der Major begab sich eines Sonnabends, den Eingeborenen hinter sich, nach Brighton hinunter, unterwegs stets Miß Tox anredend und über der Aussicht die Augen aufreißend, daß er jetzt den ausgezeichneten Freund, mit dem sie so geheimnisvoll getan und um dessen willen sie ihn verlassen hatte, im Sturm erobern könne.



»Meint Ihr, Ma'am – meint Ihr?« sagte der Major, von Rachsucht glühend, während die dicken Adern seines Kopfes noch mehr aufquollen. »Glaubt Ihr, Ihr könnt Joe B. den Laufpaß geben, Ma'am? Es ist noch nicht so weit, Ma'am, noch lange nicht! Zum Teufel, noch nicht, Sir. Joe hat die Augen offen, Ma'am. Bagstok ist wachsam. J.B. versteht sich auch auf einen und den andern Schachzug, Ma'am. Ihr werdet Josh zäh finden, Ma'am. Zäh, Sir, zäh ist Joseph und verteufelt schlau.«



Sehr zäh fand ihn jedenfalls Master Bitherstone, als er diesen jungen Gentleman zu einem Spaziergang mitnahm. Der Major nämlich mit seinem Gesicht wie ein Stiltonkäse und seinen Augen ähnlich denen eines Kabeljaus streifte, völlig gleichgültig gegen Master Bitherstones Unterhaltung, umher und schleppte ihn mit sich, während er sich allenthalben nach Mr. Dombey und dessen Kindern umsah.



Da er übrigens zuvor von Mrs. Pipchin unterrichtet war, so erspähte er bald Paul und Florence, auf die er unverzüglich zusteuerte. Sie hatten einen stattlichen Gentleman (ohne Zweifel Mr. Dombey) in ihrer Gesellschaft. Während er mit Mr. Bitherstone in das Herz dieses kleinen Geschwaders brach, traf es sich natürlich, daß der kleine Begleiter die Genossen seiner Leiden anredete. Der Major machte sofort halt, um ihnen seine Aufmerksamkeit und Bewunderung zu schenken, erinnerte sich erstaunt, daß er sie bei seiner Freundin Miß Tox auf dem Prinzessinnenplatz gesehen und gesprochen habe, meinte, Paul sei ein verteufelt hübscher Bursche und sein kleiner Freund, fragte, ob sich dieser des Majors Joey B. entsinne. Schließlich wandte er sich, plötzlich die gesellschaftliche Etikette berücksichtigend, an Mr. Dombey, um sich gegen ihn zu entschuldigen.



»Aber mein kleiner Freund hier, Sir«, sagte der Major, »macht mich wieder zu einem Knaben. Ein alter Soldat, Sir – Major Bagstok, Euch zu dienen – scheut sich nicht, dies einzugestehen.« Der Major lüftete dabei seinen Hut. »Gott verdamm' mich, Sir«, fügte der Major mit unerwarteter Wärme bei, »ich beneide Euch.« Dann besann er sich jäh und sagte: »Entschuldigt meine Freimütigkeit.«



Mr. Dombey bat ihn, nicht davon zu reden.



»Ein alter Lagergesell, Sir«, sagte der Major, »ein von Rauch ausgedorrter, sonnverbrannter, verbrauchter, invalider, alter Hund von Major, Sir, wird allerdings nicht zu fürchten haben, wegen seiner Grille von einem Mann, wie Mr. Dombey, verurteilt zu werden. Ich glaube doch, daß ich die Ehre habe, Mr. Dombey anzureden?«



»Ich bin gegenwärtig der unwürdige Repräsentant dieses Namens, Major«, entgegnete Mr. Dombey.



»Bei Gott, Sir!« erwiderte der Major, »es ist ein großer Name. Es ist ein Name, Sir«, fügte er mit Bestimmtheit bei, als wolle er Mr. Dombey zum Widerspruch herausfordern, um alsdann die schmerzliche Pflicht zu erfüllen, mit ihm anzubinden, »den man in allen auswärtigen Besitzungen des britischen Reichs kennt und ehrt. Es ist ein Name, Sir, den man mit Stolz tragen darf. Joseph Bagstok hat nichts von Schmeichelei an sich, Sir. Seine Königliche Hoheit der Herzog von York bemerkte bei mehr als einer Gelegenheit, ›Joey ist kein Schmeichler. Joe ist ein einfacher, alter Soldat. Joseph ist zäh, daß man es fast bedauern möchte.‹ Aber es ist ein großer Name, Sir. Bei dem Allmächtigen, es ist ein großer Name«, fügte der Major feierlich bei.



»Ihr seid gütig genug, ihn vielleicht höher anzuschlagen, als er es verdient, Major«, versetzte Mr. Dombey.



»Nein, Sir«, sagte der Major. »Mein kleiner Freund hier, Sir, wird es Joseph Bagstok bezeugen, daß er ein durchgreifender, fadengerader, ehrlicher, alter Tropf ist, Sir, weiter nichts. Dieser Knabe, Sir«, fuhr der Major in gedämpftem Ton fort, »wird in der Geschichte leben. – Dieser Knabe, Sir, ist keine gewöhnliche Erscheinung. Tragt Sorge für ihn, Mr. Dombey.«



Mr. Dombey schien andeuten zu wollen, daß er sich bemühen werde, es zu tun.



»Da ist auch ein Junge, Sir«, fuhr der Major vertraulich fort und versetzte dem gemeinten einen Stoß mit seinem Rohr. »Sohn von Bitherstone in Bengalen. Bill Bitherstone, vormals einer der Unsrigen, Der Vater dieses Knaben und ich, wir waren geschworne Freunde. Wohin Ihr auch gehen mochtet, Sir, hörtet Ihr von nichts, als von Bill Bitherstone und Joe Bagstok. Bin ich blind gegen die Mängel dieses Knaben? Keineswegs. Er ist ein Einfaltspinsel, Sir.«



Mr. Dombey blickte nach dem geschmähten Master Bitherstone hin, von dem er wenigstens ebensoviel wußte wie der Major, und versetzte in selbstgefälliger Weise:



»Wirklich?«



»Ja, das ist er, Sir«, sagte der Major. »Er ist ein Einfaltspinsel. Joe Bagstok ist nicht der Mann, etwas zu bemänteln. Der Sohn meines alten Freundes Bill Bitherstone in Bengalen ist ein geborener Einfaltspinsel, Sir.« Dabei lachte der Major, bis er fast blau wurde. »Mein kleiner Freund ist vermutlich für eine öffentliche Schule bestimmt?« fügte er hinzu, nachdem er sich wieder erholt hatte.

 



»Ich bin noch nicht ganz schlüssig«, entgegnete Mr. Dombey, »Ich glaube nicht. Er ist so zart.«



»Wenn er so zart ist, Sir«, sagte der Major, »so habt Ihr recht. Nur zähe Kameraden können es in Sandhurst aushalten, Sir. Jeder andere wurde dort eigentlich gefoltert. Wir brieten die neuen Ankömmlinge bei einem langsamen Feuer und hingen sie, den Kopf unter sich, zu einem drei Treppen hohen Fenster hinaus. Joseph Bagstok, Sir, wurde gleichfalls für die Dauer von dreizehn Minuten nach der Kollegsuhr an den Fersen seiner Stiefel zum Fenster hinausgehalten.«



Zur Bekräftigung dieses Umstandes hätte sich der Major wohl auf sein Gesicht berufen können, denn dieses schien wirklich den Beweis zu liefern, als hätte er ein bißchen zu lang gehangen.



»Aber es machte uns zu dem, was wir waren«, sagte der Major, den Busenstreif seines Hemdes ordnend, »Wir waren von Eisen, Sir, und solche Übungen dienten als Schmiede. Wohnt Ihr hier, Mr. Dombey?«



»Ich komme in der Regel einmal wöchentlich herunter, Major«, erwiderte dieser Gentleman. »Mein Wohnquartier ist an dem Bedford.«



»So werde ich die Ehre haben. Euch an dem Bedford meine Aufwartung zu machen, Sir, wenn Ihr es mir gestattet«, sagte der Major. »Joe B., Sir, hält im allgemeinen nicht viel auf Besuche, aber Mr. Dombeys Name gehört nicht unter die gewöhnlichen. Ich bin meinem kleinen Freunde sehr viel verpflichtet für die Ehre dieser Bekanntschaft.«



Mr. Dombey gab eine sehr gnädige Erwiderung, und Mr. Bagstok tätschelte Paul auf den Kopf, worauf er gegen Florence bemerkte, »ihre Augen würden bald mit den jungen Burschen ein Teufelsspiel anfangen. Und mit den alten dazu, Sir, wenn wir nun mal darauf kommen«, fügte er unter vielem Kichern bei, störte dann Master Bitherstone mit seinem Spazierstock auf und entfernte sich mit diesem jungen Gentleman in einer Art von Halbtrab, wobei er mit großer Würde seinen Kopf rollte und hustete, in seinem Marsch die Füße sehr weit auseinander spreizend.



In Erfüllung seiner Zusage machte der Major Mr. Dombey später einen Besuch, der von Mr. Dombey, nachdem er die Armeeliste zu Rate gezogen hatte, erwidert wurde. Dann sprach der Major auch in Mr. Dombeys Stadthaus vor und machte seinen nächsten Besuch zu Brighton in Mr. Dombeys Kutsche. Mit einem Worte, die Bekanntschaft dieser beiden Ehrenmänner nahm einen ungemein schnellen Fortgang, und Mr. Dombey bemerkte in betreff des Majors gegen seine Schwester, daß er zwar ein ganz militärischer Mann sei, aber trotzdem etwas mehr in sich trage, sintemal er eine ganz bewunderungswürdige Vorstellung über die Wichtigkeit von Dingen habe, die zu seinem Beruf in keiner Beziehung stünden.



Als später Mr. Dombey seine Schwester und Miß Tor nach Brighton nahm und den Major daselbst bereits vorfand, lud er ihn zum Diner nach dem Bedford ein und machte schon im voraus Miß Tor große Komplimente wegen ihres Nachbars und Bekannten. Ungeachtet des Herzklopfens, das dergleichen Anspielungen hervorriefen, waren sie doch Miß Tor durchaus nicht unangenehm, da sie sich dabei ungemein interessant machen und eine gelegentliche Verwirrtheit zur Schau tragen konnte, die sie nicht ungern blicken ließ. Der Major gab ihr reichlichen Anlaß, diese Erregung zu entfalten; denn er beklagte sich beim Diner sehr, daß sie von ihm und dem Prinzessinnenplatze desertiert sei, und da ihm dergleichen Klagen große Freude zu machen schienen, so lief alles ganz herrlich ab.



Bei Tafel übernahm der Major die Aufgabe der ganzen Unterhaltung und zeigte hierfür eine ebenso große Gier wie in Beziehung auf die verschiedenen Leckerbissen, in denen er sich, sozusagen, fast wälzte – sehr zur Steigerung seiner inflammatorischen Liebhabereien. Mr. Dombey ließ sich bei seinem gewöhnlichen, abgemessenen Schweigen diese Anmaßung gern gefallen, und der Major fühlte; daß er sich mit Glanz ausnahm. Auch entrang ihm der Schwung seines Geistes eine so endlose Anzahl von neuen Wechseln in seinem Namen, daß er selbst darüber erstaunte. Mit einem Wort, alles vergnügte sich recht gut. Man betrachtete den Major als einen Mann, der eine unersch�

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