Dombey und Sohn

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»Vielleicht würdest du ein Feuer vorgezogen haben, Louisa?« bemerkte Mr. Dombey, seinen Kopf leicht in der Krawatte drehend, als bewege er sich in einem Scharnier.

»O, mein lieber Paul, nein«, versetzte Mrs. Chick, welche Mühe hatte, sich des Zähneklapperns zu erwehren; »um meinethalben ist es nicht nötig.«

»Mr. John«, sagte Mr. Dombey, »Ihr neigt doch nicht zur Erkältung?«

Mr. John, der bereits seine beiden Hände bis über die Handgelenke in die Taschen gesteckt hatte und gerade im Begriff war, denselben hundeartigen Chorus anzustimmen, der bei einer früheren Gelegenheit Mrs. Chick so viel Anstoß gegeben, versicherte, daß er es hier vollkommen behaglich finde.

Er fügte in gedämpfter Stimme bei, »mit dem Tiddle Tol Turull«, wurde aber glücklicherweise von Towlinson unterbrochen, der die Meldung machte:

»Miß Tor!«

Die holde Zauberin trat ein mit blauer Nase und einem unbeschreiblich frostigen Gesicht, das sie dem Umstand verdankte, daß sie sich zu Ehren der Feierlichkeit in luftige und flatternde Fähnchen gehüllt hatte.

»Wie geht es Euch, Miß Tor?« sagte Mr. Dombey.

Miß Tor verbeugte sich inmitten des sie umgebenden Flitters sehr tief, so daß sie den Eindruck eines sich schließenden Opernglases erweckte. Sie knixte nämlich deshalb so tief, um Mr. Dombey für die Auszeichnung zu danken, daß er ihr ein paar Schritte entgegenkam.

»Ich kann diese Gelegenheit nie vergessen«, sagte Miß Tor mit weicher Stimme. »Das ist unmöglich! Meine teure Louisa, ich kann kaum dem Zeugnis meiner Sinne trauen.«

Wenn Miß Tor dem Zeugnis eines ihrer Sinne Glauben schenken konnte, so war es zuverlässig ein sehr kalter Tag. Das lag klar auf der Hand. Um die Zirkulation des Blutes in ihrer Nasenspitze zu fördern, rieb sie diese heimlich mit dem Taschentuch, damit sie den Säugling nicht zu sehr erschrecke, falls sie ihn küssen würde.

Der Kleine wurde bald nachher in großer Glorie von Richards hereingebracht, während Florence unter der Obhut der Susanna Nipper, die einer diensthabenden Polizistin glich, die Nachhut bildete. Obgleich sie jetzt alle leichtere Trauerkleidung trugen, lag doch noch genug im Äußeren der mutterlosen Kinder, um das Drückende des Tages hervortreten zu lassen. Auch der Säugling – vielleicht war die Nase der Miß Tor daran schuld gewesen – begann zu schreien und hinderte dadurch gefälligerweise Mr. Chick an der linkischen Erfüllung eines sehr wohlgemeinten Vorhabens, da er nämlich beabsichtigt hatte, viel aus Florence zu machen. Denn dieser Gentleman, der nichts von den überlegenen Ansprüchen einer vollkommenen Dombey wußte – vielleicht weil er selbst die Ehre hatte, mit einer Dombey vereinigt zu sein und deshalb mit Vortrefflichkeit vertraut war – liebte die Kleine wirklich, und war eben im Begriff, dieses in seiner eigenen Weise zu zeigen, als Paul zu schreien anfing und sich unverzüglich darauf sein teures Ehegemahl ins Mittel legte.

»Nun Florence, Kind?« sagte die Tante rasch. »Was treibst du, meine Liebe? Zeig dich ihm. Beschäftige seine Aufmerksamkeit!«


Die Atmosphäre wurde kälter und kälter oder hätte es wenigstens werden können, als Mr. Dombey so eisig dastand und seiner kleinen Tochter zusah, die ihre Händchen zusammenschlug, sich vor dem Thron seines Sohnes und Erben auf die Zehenspitzen stellte und ihm schmeichelte, daß er sich aus seiner Erhabenheit herabließ und sie ansah. Mrs. Richards hatte wohl die richtige Art, mit dem Kleinen umzugehen, denn er sah verklärt auf Florence herab und blieb jetzt ruhig. Als nun seine Schwester sich hinter der Amme versteckte, folgte er ihr mit seinen Augen, und als sie mit einem heiteren Zuruf wieder hervorguckte, streckte er sich, schrie lustig hinaus und lachte hell auf, als sie auf ihn zueilte. Er schien mit seinen kleinen Händchen ihre Locken liebhaben zu wollen, während sie ihn mit Küssen fast erstickte.

War Mr. Dombey wohl über diesen Anblick erfreut? Er bekundete wenigstens nicht durch das mindeste Muskelzucken ein Wohlbehagen. Aber äußere Merkmale irgendwelcher Gefühle waren bei ihm etwas Ungewöhnliches. Wenn sich je ein Sonnenstrahl in das Zimmer stahl, um die Kinder bei ihren Spielen zu beleuchten, so erreichte er nie sein Gesicht. Er sah so starr und kalt zu, daß das warme Licht sogar aus den lachenden Augen der kleinen Florence verschwand, als sie endlich zufällig den seinen begegnete.

Es war in der Tat ein trüber, grauer Herbsttag, und in der kurzen stummen Pause, die nun folgte, fielen die Blätter in Menge nieder.

»Mr. John«, sagte Mr. Dombey, nachdem er auf seine Uhr und nach seinem Hut und seinen Handschuhen griff, »Seid so gut, Euch meiner Schwester anzunehmen: mein Arm gehört heute Miß Tor. Es wird am besten sein, Richards, wenn Ihr mit Master Paul vorausgeht. Gebt aber wohl acht auf ihn.«

In Mr. Dombeys Wagen saßen Dombey und Sohn, Miß Tor, Mrs. Chick, Richards und Florence, während in einem kleineren Gefährt der Eigentümer desselben, Mr. Chick und Susanna Nipper folgten. Susanna sah ohne Unterlaß zum Kutschenschlag hinaus, um sich Erleichterung in der Verlegenheit zu verschaffen, dem breiten Gesichte dieses Gentleman gegenüber zu sitzen; dabei dachte sie, so oft sie etwas rauschen hörte, daß er ein anständiges klingendes Kompliment für sie in Papier einwickle.

Als sie sich auf dem Wege nach der Kirche befanden, klopfte Mr. Dombey zur Unterhaltung seines Sohnes in die Hände – ein Pröbchen seiner väterlichen Freude, über das Miß Tor ganz entzückt war. Aber abgesehen von diesem Vorfall bestand der Hauptunterschied zwischen der Taufpartie und einer Gesellschaft in einer Trauerkutsche nur in den Farben der Equipage und der Pferde.

An den Treppenstufen der Kirche angelangt, wurden sie von einem stattlichen Kirchendiener in Empfang genommen. Mr. Dombey verließ den Wagen zuerst, um den Damen herauszuhelfen, und sah, da er sich neben dem andern an dem Kutschenschlag aufpflanzte, wie ein zweiter Kirchendiener aus – als Büttel zwar weniger prunkhaft, aber schrecklicher, der Büttel des Privatlebens, der Büttel unserer Geschichte und unserer Herzen.

Die Hand der Miß Tor zitterte, als sie sie in Mr. Dombeys Arm legte und sich so die Treppe hinauf geleitet sah, voraus einen Eckenhut und einen babylonischen Kragen. Es kam ihr für einen Augenblick eine andere Feierlichkeit in den Sinn. »Willst du diesen Mann haben, Lukretia?« »Ja, ich will.«

»Wenn Ihr so gut sein wollt, so bringt das Kind hurtig aus der scharfen Luft herein«, flüsterte der Kirchendiener, indem er die innere Tür des Gotteshauses offen hielt.

Der Platz war so frostig und erdig, daß der kleine Paul mit Hamlet hätte fragen können: »In mein Grab?« Die hohe, verhüllte Kanzel und das Lesepult, die traurige Perspektive von leeren Stühlen, Mrs. Richards hatte wohl die richtige Art, mit dem Kleinen umzugehen, denn er sah verklärt auf Florence herab und blieb jetzt ruhig. die sich unter den Galerien hin erstreckten, und leere Bänke, die bis zu dem Dach hinaufstiegen und sich im Schatten der großen finsteren Orgel verloren, der staubige Teppich und die kalten Fliesensteine, die grauen freien Sitze in den Gängen und die feuchte Ecke bei dem Glockenseil, wo die schwarzen Schragen für die Leichenbegängnisse nebst einigen Schaufeln, Körben und ein paar unheimlich aussehenden Tauringen aufbewahrt waren, der befremdliche, ungewöhnliche und unbehagliche Geruch, die leichenhafte Erhellung – alles das stand im Einklang mit der kalten, unheimlichen Szene.

»Es geht eben eine Trauung vor, Sir«, sagte der Kirchendiener; »sie wird aber gleich vorüber sein. Wollt Ihr vielleicht inzwischen in die Sakristei hereinkommen?«

Ehe er sich wieder umwandte, um voranzugehen, verbeugte er sich vor Mr. Dombey mit einem halben Lächeln des Wiedererkennens, um ihm damit anzudeuten, daß er schon beim Begräbnis seiner Gemahlin das Vergnügen hatte ihn zu sehen, und er hoffte, es sei ihm, Mr. Dombey, inzwischen gut gegangen.

Auch die Hochzeitspartie sah sehr trübselig aus, als sie vor dem Altar vorbeiging. Die Braut war zu alt und der Bräutigam zu jung, die Hochzeitszeugen schauderten, und ein hoch in Jahren stehender Beau mit einem Auge, der das fehlende durch ein Augenglas ersetzte, führte die Dame hinweg. In der Sakristei rauchte das Feuer, und ein wohlbetagter, abgearbeiteter und schlecht bezahlter Attorny-Schreiber, der etwas suchte, ließ seine Zeigefinger über die Pergamentseiten eines ungeheuren Registers, aus einer langen Reihe ähnlicher Bände genommen, die gleichfalls mit Begräbnisaufzeichnungen vollgepfropft waren, herunterlaufen. Über dem Kamin befand sich ein Plan von den Grabgewölben unter der Kirche, und Mr. Chick, der, um die Gesellschaft zu beleben, den literarischen Teil davon laut zum besten gab, las die Hindeutung auf Mrs. Dombeys Ruhestätte vollständig, ehe er sich Einhalt zu tun vermochte.

Nach einem abermaligen kalten Zeitraume bot eine kleine magere Stuhlschließerin mit einem Asthma, das wohl auf den Kirchhof, aber nicht auf die Kirche hindeutete, die Gesellschaft nach dem Taufsteine auf. Hier warteten sie eine kleine Weile, während der die Hochzeitsgesellschaft sich in Reih und Glied setzte; die asthmatische Stuhlschließerin aber humpelte – teilweise infolge ihrer Gebrechlichkeit, aber auch um der Hochzeitsgesellschaft ihre Person in Erinnerung zu bringen – in dem Gebäude umher und hustete wie ein Nordkaper. Bald darauf erschien der Küster (hier der einzige heiter aussehende Gegenstand, obschon er zugleich Leichenbestatter war) mit einem Krug warmen Wassers, goß davon in den Taufkessel und sagte dabei etwas von möglicher Erkältung des Kindes, die bei dem gegenwärtigen Anlaß durch Millionen Eimer heißen Wassers nicht hätte vermieden werden können. Dann kam der Geistliche, ein angenehmer, mild aussehender junger Vikar, vor dem sich aber augenscheinlich das Kind fürchtete, gleich der Hauptfigur einer Geistergeschichte – »eine hohe, weiße Gestalt«. Wie Paul seiner ansichtig wurde, erfüllte er die Luft mit seinem Geschrei und ließ nicht ab davon, bis er ganz schwarzblau im Gesicht war.

 

Ja selbst als es endlich zur großen Beruhigung von jedermann so weit gekommen war, hörte man ihn noch während des Restes der Zeremonie unter dem Portikus bald schwächer, bald lauter, bald gedämpft, bald aufs neue wieder losbrechen aus dem unwiderstehlichen Gefühl des an ihm begangenen Unrechts. Das verwirrte die Aufmerksamkeit der beiden Damen dermaßen, daß Mrs. Chick unaufhörlich nach dem mittleren Gang hinging, um durch die Stuhlschließerin etwas zu bestellen, während Miß Tox ihr Gebetbuch bei der Schießpulververschwörung offen hielt und gelegentlich aus diesem Kapitel ihre Antworten ablas.

Während dieses ganzen Vorgangs blieb Mr. Dombey so teilnahmslos und gentlemanisch, wie nur je; vielleicht verursachte seine Anwesenheit die Kälte, welche dazu Anlaß gab, daß dem jungen Vikar beim Lesen jeder Hauch seines Mundes dampfte. Nur einmal bemerkte man eine Veränderung in seiner Miene, und das geschah, als der Geistliche in einfachem Vortrag seine Schlußermahnung an die Paten des Kindes hielt und dabei sein Auge auf Mr. Chick ruhen ließ. Mr. Dombeys Miene war bei dieser Gelegenheit so majestätisch, daß sich deutlich darin ausdrückte, »ich möchte doch sehen, ob es dieser je nötig hat, solchen Verpflichtungen nachzukommen«.

Es dürfte für Mr. Dombey gut gewesen sein, wenn er ein bißchen weniger an seine eigene Würde und mehr an den hohen Ursprung und an den Zweck der Feierlichkeit gedacht hätte, bei der er eine so förmliche und steife Rolle spielte. Seine Anmaßung bildete einen befremdlichen Gegensatz zu der Geschichte der heiligen Handlung.

Nachdem alles vorüber war, gab er Miß Tox abermals seinen Arm und führte sie nach der Sakristei, wo er dem Geistlichen mitteilte, es würde ihm ein großes Vergnügen gemacht haben, wenn er sich zum Diner die Ehre seiner Gesellschaft hätte erbitten können; hierauf müsse er aber wegen des unglücklichen Zustandes seiner häuslichen Angelegenheiten verzichten. Die Eintragungen wurden gemacht, die Gebühr bezahlt und weder die Stuhlschließerin, deren Husten wieder sehr schlimm geworden war, noch der Kirchendiener oder der Küster, der wie zufällig in der Tür, die zur Treppe führte, stand und mit großem Interesse das Wetter betrachtete, vergessen. Dann stiegen sie wieder in den Wagen und fuhren in derselben kalten Geselligkeit nach Hause.

Dort war Mr. Pitt, der die Nase über einen kalten Imbiß rümpfte, der in kaltem Pomp von Glas und Silber aufgetragen war und eher einem toten Diner auf dem Paradebette, als einer sozialen Erfrischung glich. Bei ihrer Ankunft brachte Miß Tox einen Becher für ihr Patchen zum Vorschein, und Mr. Chick beschenkte es mit Messer, Gabel und Löffel in einem andern Futteral. Auch Mr. Dombey hatte sich mit einem Armband für Miß Tox versehen, und beim Empfang dieses Andenkens entwickelte besagte Dame eine große Rührung.

»Mr. John«, sagte Dombey, »wollt Ihr die Güte haben, unten am Tisch Platz zu nehmen? Was steht vor Euch, Mr. John?«

»Kalter Nierenbraten, Sir«, entgegnete Mr. Chick, die steifen Hände hart gegeneinander reibend. »Was habt Ihr dort, Sir?«

»Das«, versetzte Mr. Dombey, »ist, glaube ich, irgendein kaltes Präparat von Kalbskopf. Ich sehe noch kaltes Geflügel – Schinken – Pastetchen – Salat – Hummern. »Miß Tox, wollt Ihr mir die Ehre erweisen, etwas Wein anzunehmen? Champagner für Miß Tox.«

Lauter zahnwehmachende Dinge. Der Wein war so grimmig kalt, daß Miß Tox einen leichten Schrei ausstieß, und sie hatte große Mühe, ihn zu einem »hem« umzuwandeln. Der Nierenbraten kam aus einer so luftigen Speisekammer, daß der erste Bissen auf Mr. Chick den Eindruck machte, als ränne ihm kaltes Blei bis an die Zehenspitzen. Nur Mr. Dombey blieb unbewegt. Man hätte ihn auf einem russischen Jahrmarkt als Probe eines erfrorenen Gentlemans zum Verkauf aushängen können.

Der vorherrschende Eindruck war sogar für seine Schwester zu viel. Sie gab sich sogar keine Mühe, ihre sonstigen Schmeicheleien und ihre Redseligkeiten anzubringen, sondern richtete alle ihre Anstrengungen darauf hin, so warm, als sie nur konnte, auszusehen.

»Na, Sir«, sagte Mr. Chick, nach langem Schweigen einen verzweifelten Anlauf nehmend und sich dazu ein Glas Xeres füllend; »mit Eurer Erlaubnis, Sir, will ich ein Hoch auf den kleinen Paul ausbringen.«

»Gott segne ihn!« murmelte Miß Tox, von ihrem Weine schlürfend.

»Der liebe kleine Dombey!« flüsterte Mrs. Chick.

»Mr. John«, sagte Mr. Dombey mit ernster Gravität, »wenn mein Sohn die Gunst, die Ihr ihm erwiesen habt, zu würdigen wüßte, so würde er sich ohne Zweifel sehr verpflichtet fühlen und Euch seinen Dank ausdrücken. Doch ich hoffe zuversichtlich, er wird mit der Zeit den Beweis liefern, daß er jeder Verantwortlichkeit gewachsen ist, welche ihm die Verbindlichkeit seiner Verwandten und Freunde im Privatleben oder die beschwerliche Beschaffenheit unserer Stellung im öffentlichen auferlegen kann.«

Der Ton, in dem das gesprochen wurde, gab nichts Weiterem Raum, und Mr. Chick verfiel wieder in ein trübseliges Schweigen. Nicht so Miß Tox, welche Mr. Dombey sogar mit emphatischerer Aufmerksamkeit als gewöhnlich und mit einer ausdrucksvolleren Neigung ihres Kopfes auf die eine Seite zugehört hatte. Sie lehnte sich jetzt quer über den Tisch und sagte mit leiser Stimme zu Mr. Chick:

»Louisa!«

»Meine Liebe«, versetzte Mrs. Chick.

»Die beschwerliche Beschäftigung unserer Stellung im öffentlichen ihm – ich habe den Ausdruck wieder vergessen.«

»Zulegen könnte«, sagte Mrs. Chick.

»Verzeiht, meine Liebe«, erwiderte Miß Tox. »Ich glaube nicht. Er war gerundeter und fließender. Die Verbindlichkeit seiner Verwandten und Freunde im Privatleben oder die beschwerliche Beschaffenheit der Stellung im öffentlichen – ihm – auflegen könnte?«

»Natürlich ihm auflegen könnte«, sagte Mrs. Chick.

Miß Tox schlug triumphierend, aber doch nur leicht ihre zarten Hände zusammen und fügte mit einem aufwärts gerichteten Blick hinein: »In der Tat Beredsamkeit!«

Mittlerweile hatte Mr. Dombey Befehl erteilt, daß die Richards herbeigerufen werden sollte, und diese trat jetzt mit Verbeugungen, aber ohne Bübchen, herein, da Paul nach den Anstrengungen des Morgens schläfrig geworden war. Mr. Dombey überreichte dieser Vasallin ein Glas Wein und redete sie mit nachstehenden Worten an, nachdem zuvor Miß Tox ihren Kopf zur Seite geneigt und alle übrigen Vorbereitungen getroffen hatte, sie in den Tiefen ihrer Seele einzugraben.

»Während der sechs Monate oder so, Richards, welche Ihr eine Insassin dieses Hauses gewesen seid, habt Ihr Eure Pflicht getan. Es war daher mein Wunsch, Euch bei dieser Gelegenheit einen kleinen Dienst zu erweisen. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich das am besten könnte, und befragte deshalb meine Schwester, Mistreß –«

»Chick«, flocht der Gentleman dieses Namens ein.

»O, seht, wenn ich bitten darf!« sagte Miß Tox.

»Ich wollte Euch sagen, Richards«, nahm Mr. Dombey mit einem streng zurechtweisenden Blick gegen Mr. John wieder auf, »daß meinen Entschluß die Erinnerung an ein Gespräch unterstützte, das ich mit Eurem Gatten in diesem Zimmer hatte, zur Zeit, als Ihr gemietet wurdet. Er entdeckte mir damals den traurigen Umstand, daß Eure Familie, ihn selbst, das Haupt, nicht ausgenommen, tief in Unwissenheit versunken sei.«

Richards bebte unter der Großartigkeit dieses Vorwurfs.

»Ich bin zwar durchaus kein Freund von dem«, fuhr Mr. Dombey fort, »was von den aufdringlichen Gleichmachern allgemein Erziehung genannt wird; aber es ist immerhin nötig, daß die unteren Klassen fortwährend unterrichtet werden, wie sie ihre Stellung erkennen und sich demgemäß gebührend aufführen müssen. Insoweit haben die Schulen meinen Beifall. Da es nun in meiner Macht steht, für eine alte Anstalt, die von einer verehrungswerten Gesellschaft den Namen der barmherzigen Schleifer erhalten hat, ein Kind zu nominieren – die Schüler erhalten dort nicht nur eine gesunde Erziehung, sondern auch einen mit dem Abzeichen des Instituts versehenen Anzug – so habe ich, nachdem ich zuerst durch Mrs. Chick mit Eurer Familie Rücksprache nehmen ließ, Euren ältesten Sohn für eine erledigte Stelle bezeichnet, und wie ich höre, trägt er schon heute die Montierung. Die Nummer ihres Sohnes«, fügte Mr. Dombey gegen seine Schwester bei, als ob er nicht von einem Kinde, sondern von einer Mietkutsche spreche – »ist, wie ich glaube, hundertsiebenundvierzig. Louisa, du kannst es ihr sagen.«

»Hundertsiebenundvierzig«, bekräftigte Mrs. Chick. »Die Montierung, Richards, besteht aus einem netten, warmen blauwollenen Fräcklein, einer Mütze mit orangefarbigem Band, rotwollenen Strümpfen und sehr starken Lederhosen. Man könnte die Sachen selbst tragen«; fügte Mrs. Chick mit Enthusiasmus hinzu, »und Gott dafür danken.«

»So, Richards!« sagte Miß Tox. »Nun dürft Ihr in der Tat stolz sein. Die barmherzigen Schleifer!«

»Ich bin Euch gewiß sehr verbunden, Sir«, entgegnete Richards kleinlaut, »und weiß es sehr zu schätzen, daß Ihr meiner Kleinen gedenkt.«

Wie sie aber zu gleicher Zeit sich den Sieder als barmherzigen Schleifer dachte und sich seine sehr kleinen Beine in der dauerhaften Kleidung, wie sie Mrs. Chick beschrieben hatte, vergegenwärtigte, schwamm es ihr vor den Augen, so daß sie ganz feucht wurden.

»Es freut mich, zu bemerken, daß Ihr soviel Gefühl habt, Richards«, sagte Miß Tox.

»Ja wahrhaftig, es läßt einen fast hoffen«, sagte Mrs. Chick, die sonst sehr darauf hielt, die menschliche Natur durch das Auge des Argwohns zu betrachten, »daß vielleicht noch ein kleiner Funke von Dankbarkeit und richtigem Gefühl in der Welt übrig geblieben ist.«

Richards erwiderte diese Komplimente nur mit Knixen und gemurmelten Dankesäußerungen. Da es ihr aber unmöglich war, sich von der Verwirrung zu befreien, in welche sie das Bild ihres Sohnes mit der vorzeitigen Beinbekleidung versetzt hatte, so näherte sie sich allmählich der Tür und schätzte sich glücklich, durch dieselbe entkommen zu können.

Solche vorübergehende Anzeichen eines teilweisen Auftauens, die mit ihr aufgetaucht waren, verschwanden mit ihrer Entfernung wieder, und der Frost trat aufs neue so kalt und hart ein, wie nur je. Unten am Tisch hörte man zwar etliche Male Mr. Chick eine Arie summen, aber stets war es nur ein Bruchstück aus dem Totenmarsch im Saul. Die Gesellschaft schien kälter und kälter zu werden, ja zuletzt sich in einen gefrorenen und festen Zustand zu versetzen, gleich dem Imbiß, um den sie sich versammelt hatte. Endlich sah Mrs. Chick nach Miß Tox hin, und Miß Tox erwiderte den Blick; dann erhoben sich beide und sagten, daß es wahrhaftig Zeit sei, aufzubrechen. Mr. Dombey nahm diese Ankündigung mit völligem Gleichmut entgegen; die Anwesenden verabschiedeten sich von diesem Gentleman und entfernten sich ohne Zögerung unter dem Schutze des Mr. Chick, der, sobald sie dem Hause den Rücken gekehrt und den Gebieter desselben in seinem gewöhnlichen einsamen Zustande zurückgelassen hatten, die Hände in seine Taschen steckte, sich in den Wagen zurückwarf und ein »mit dem Heidideldumdidum!« ganz durchpfiff. Dabei legte er in sein Gesicht einen Ausdruck so voll düsteren und schrecklichen Trotzes, daß es Mrs. Chick nicht wagte, zu protestieren oder in irgendeiner Weise ihn zu belästigen.

Obgleich Richards den kleinen Paul auf ihrem Schoß hatte, konnte sie doch ihren eigenen Erstgeborenen nicht vergessen. Sie fühlte zwar wohl, daß sie undankbar war; aber der Einfluß des Tages fiel sogar auf die barmherzigen Schleifer, und sie konnte sich kaum erwehren, das zinnerne Abzeichen mit Nummer hundertundsiebenundvierzig in irgendeiner Weise als einen Teil seiner Förmlichkeit und Kälte zu betrachten. Auch sprach sie in der Kinderstube von seinen »gesegneten Beinen«, und aufs neue fühlte sie sich durch sein Abbild in Uniform beunruhigt.

»Ich weiß nicht, was ich darum geben würde«, sagte Polly, »wenn ich den armen lieben Kleinen sehen könnte, ehe er sich daran gewöhnt hat.«

»Ei, so will ich Euch etwas sagen, Mrs. Richards«, entgegnete Nipper, die ins Vertrauen gezogen worden war, »besucht ihn, damit Ihr Euch darüber beruhigen könnt.«

»Mr. Dombey wird es nicht gerne haben«, sagte Polly.

»Warum nicht gar, Mrs, Richards«, erwiderte Nipper; »im Gegenteil, ich glaube, er würde sich freuen, wenn er darum gebeten würde.«

 

»Vermutlich würdet Ihr ihn nicht darum bitten wollen?« sagte Polly.

»Nein, Mrs. Richards, ganz im Gegenteil, und da, wie ich sie heute sagen hörte, jene zwei Inspektorinnen, Tox und Chick, morgen nicht Dienst zu tun gedenken, so wollen ich und Miß Floy morgen früh mit Euch gehen, recht gerne, Mrs. Richards, wenn es Euch recht ist, denn wir können dort so gut die Straße auf und ab spazieren, als anderswo, ja noch besser.«

Polly wies diesen Gedanken anfänglich ziemlich standhaft zurück; aber allmählich begann sie sich daran zu gewöhnen, um so mehr, da die verbotenen Bilder ihrer Kinder und ihrer Heimat ihr immer lebhafter vor die Seele traten. Endlich kam sie zu dem Schlusse, es schade ja nichts, wenn sie einen Augenblick an der Tür anspreche, und dieser Grund bewog sie, auf Klippers Vorschläge einzugehen.

Nachdem die Sache in dieser Weise beschlossen war, begann der kleine Paul kläglich zu schreien, als habe er eine Vorahnung, daß nichts Gutes dabei herauskommen würde.

»Was ist mit dem Kinde?« fragte Susanna.

»Es wird ihn frieren, denke ich«, entgegnete Polly, und ging mit ihm hin und her, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Es war in der Tat ein frostiger Herbstnachmittag, und als sie, ihren Pflegling pätschelnd, hin und her ging, ihn fester an ihre Brust drückte und durch die traurigen Fenster hinausschaute, fielen die welken Blätter mit Macht nieder.

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