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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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XVIII
Das Portrait von Karl I

Während der abgelaufenen paar Tage, in denen die neuen Gäste der Tuilerien sich hier eingerichtet und ihre Gewohnheiten angenommen hatten, hatte es Gilbert, der nicht zum König berufen worden war, nicht für geeignet erachtet, sich zu Ludwig XVI. zu begeben; als aber sein Besuchstag gekommen war, glaubte er, seine Pflicht sei eine Entschuldigung, die er nicht von seiner Ergebenheit hatte entlehnen wollen.

Es war derselbe Vorzimmerdienst dem König von Paris nach Versailles gefolgt; Gilbert war also in den Vorzimmern von Paris bekannt wie in denen von Versailles.

Ueberdies hatte der König, wenn er auch nicht seine Zuflucht zum Doctor genommen, diesen doch nicht vergessen; Ludwig XVI. besaß einen zu richtigen Geist, um nicht leicht seine Freunde von seinen Feinden zu unterscheiden.

Und Ludwig XVI. fühlte wohl bis in die Tiefe seines Herzens, was auch die Vorurtheile der Königin gegen Gilbert sein mochten, Gilbert sei vielleicht nicht der Freund des Königs, aber, was ebenso viel werth war, der Freund des Königthums.

Ludwig XVI. erinnerte sich daher, es sei dies der Tag, an welchem Gilbert den Dienst habe, und nannte seinen Namen, damit Gilbert sogleich bei seiner Erscheinung bei ihm eingeführt werde.

Kaum halle er auch die Thürschwelle überschritten, als der Kammerdiener vom Dienste ausstand, ihm entgegenging und ihn in das Schlafzimmer des Königs einführte.

Der König schritt auf und ab, so sehr in Gedanken versunken, daß er dem Eintritt von Gilbert keine Aufmerksamkeit schenkte und nicht einmal die Meldung, die ihm voranging, hörte.

Gilbert verharrte unbeweglich, stillschweigend bei der Thüre und wartete, bis der König seine Gegenwart bemerkte und ihn ansprach.

Der Gegenstand, der den König beschäftigte, – und das war leicht zu sehen, denn von Zeit zu Zeit blieb er vor demselben stehen, – war ein Portrait in Lebensgröße von Karl I., gemalt von Van Dyck, dasselbe, das heute im Palaste des Louvre ist, und das ein Engländer, wenn man es an ihn verkaufen wollte, ganz mit Goldstücken zu bedecken sich anheischig gemacht hat.

Sie kennen dieses Portrait, nicht wahr, wenn nicht nach dem Gemälde, doch wenigstens nach dem Stiche?

Karl I. ist zu Fuße, unter einem von jenen mageren, spärlichen Bäumen, wie sie auf den Küsten wachsen. Ein Page hält sein gesatteltes und gezäumtes Pferd; das Meer bildet den Horizont.

Der Kopf des Königs trägt ganz das Gepräge der Schwermuth, an sich. Woran denkt dieser Stuart, der als Vorgängerin die schöne und unglückliche Maria gehabt hat und als Nachfolger Jacob II. haben wird?

Oder woran dachte vielmehr der Maler, dieses große Genie, dieser Mann, der Geist genug hatte, um mit seinem Ueberflusse die Physiognomie des Königs zu begaben?

Woran dachte er, als er ihn zum Voraus, wie in den letzten Tagen seiner Flucht, als einfachen Cavalier, bereit, wieder gegen die Rundköpfe in’s Feld zu ziehen, malte?

Woran dachte er, als er ihn so malte, an der stürmischen Nordsee stehend, mit seinem Pferde an seiner Seite, ganz bereit zum Angriff, aber auch ganz bereit zur Flucht?

Fände man, wenn man dieses Gemälde, dem Van Dyck jene tiefe Färbung von Traurigkeit verliehen hat, umkehrte aus der Rückseite der Leinwand nicht irgend eine Anlage vom Schaffot von White-Hall?

Die Stimme dieser Leinwand mußte sehr laut sprechen, um sich hörbar bei der ganzen materiellen Natur von Ludwig XVI. zu machen, dessen Stirne sie, einer Wolke ähnlich, welche vorüberzieht und ihren düstern Reflex auf die grünen Wiesen und die goldenen Kornfelder wirft, verfinstert hatte.

Dreimal unterbrach er seinen Spaziergang, um vor diesem Portrait stehen zu bleiben, und dreimal begann er seinen Spaziergang wieder, der immer und verhängnißvoller Weise diesem Bilde gegenüber auszulaufen schien.

Endlich sah Gilbert ein, daß es Umstände gibt, wo ein Zuschauer weniger indiscret ist, wenn er seine Gegenwart ankündigt, als wenn er stumm bleibt.

Er machte eine Bewegung. Ludwig XVI. bebte und wandte sich um.

»Ah! Sie sind es, Doctor,« sagte er. »Kommen Sie, kommen Sie, ich bin glücklich, Sie zu sehen.«

Gilbert verbeugte sich und trat auf den König zu.

»Wie lange sind Sie hier, Doctor?«

»Seit ein paar Minuten, Sire!«

»Ah!« machte der König, der wieder nachdenkend wurde.

Dann, nach einer Pause, führte er Gilbert vor das Meisterwerk von Van Dyck und fragte:

»Doctor, kennen Sie dieses Portrait?«

»Ja, Sire.«

»Wo haben Sie es denn gesehen?«

»Als ein Kind, bei Madame Dubarry, aber, obgleich damals noch ein Kind, war ich doch tief davon betroffen.«

»Ja, bei Madame Dubarry, so ist es,« murmelte Ludwig XVI.

Dann, nach einer neuen Pause von einigen Secunden, fragte er:

»Kennen Sie die Geschichte dieses Portraits, Doctor?«

»Spricht Seine Majestät von der Geschichte des Königs, den es vorstellt, oder von der Geschichte des Portraits selbst?«

»Ich meine die Geschichte des Portraits.«

»Nein, Sire, ich weiß nur, daß es in London im Jahre 1645 oder 1646 gemalt worden ist; mehr kann ich nicht davon sagen; doch ich weiß nicht, wie es nach Frankreich übergegangen ist, und wie es sich in diesem Augenblick im Zimmer Eurer Majestät findet.«

»Wie es nach Frankreich übergegangen ist? das will ich Ihnen sagen; wie es sich in meinem Zimmer findet, das weiß ich selbst nicht.«

Gilbert schaute Ludwig XVI. mit Erstaunen an.

»Wie es nach Frankreich übergegangen ist,« wieder»holte Ludwig XVI., »hören Sie: ich werde Ihnen über die Hauptsache nichts Neues mittheilen, aber viel über die Details; Sie werden dann begreifen, warum ich vor diesem Portrait stehen blieb, und woran ich dachte, indem ich stehen blieb.«

Gilbert verbeugte sich, um zu bezeichnen, er höre aufmerksam.

»Es gab, vor ungefähr dreißig Jahren,« sprach Ludwig XVI. »ein Ministerium, das unheilvoll für Frankreich und besonders für mich,« setzte er hinzu, seufzend bei der Erinnerung an seinen Vater, von dem er immer geglaubt hatte, er sei vergiftet worden: »das ist das Ministerium von Herrn von Choiseul. Dieses Ministerium beschloß man durch das Ministerium d’Aiguillon und Maupeou zu ersetzen und zugleich die Parlamente zu brechen. Aber die Parlamente brechen war eine Handlung, welche meinen Großvater, den König Ludwig XV., sehr erschreckte. Um die Parlamente zu brechen, bedurfte es eines Willens, den er verloren hatte. Mit den Trümmern des alten Menschen mußte er einen neuen Menschen machen, und um aus diesem alten Menschen einen neuen zu machen, gab es nur ein Mittel: den schmählichen Harem zu schließen, der, unter dem Namen Hirschpark, Frankreich so viel Geld und der Monarchie so viel Popularität gekostet hatte; man mußte, statt dieser Welt von jungen Mädchen, wo sich die Ueberreste seiner Männlichkeit erschöpften, Ludwig XV. eine einzige Geliebte geben, die bei ihm die Stelle von allen vertreten würde, die nicht genug Einfluß hätte, um ihn eine politische Linie verfolgen zu lassen, welche aber Gedächtniß genug besäße, um ihm jeden Augenblick eine wohl eingelernte Lection zu wiederholen. Der alte Marschall von Richelieu wußte, wo eine solche Frau zu suchen war, er suchte sie da, wo sie sich finden, und fand sie. Sie kannten sie, Doctor, denn so eben sagten Sie mir, Sie haben dieses Portrait bei ihr gesehen.«

Gilbert verbeugte sich.

»Wir liebten sie nicht, diese Frau, weder die Königin, noch ich! die Königin weniger vielleicht, als ich, denn die Königin, eine Oesterreicherin, instruirt von Maria Theresia zu der großen europäischen Politik, deren Centrum Oesterreich wäre, sah in der Erhebung von Herrn d’Aiguillon den Sturz ihres Freundes, des Herrn von Choiseul; wir liebten sie nicht, sagte ich, und dennoch muß ich ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie das, was war, zerstörend nach meinen besondern Wünschen und, ich sage es aus mein Gewissen, dem allgemeinen Wohle gemäß handelte. Es war eine geschickte Komödiantin: sie spielte ihre Rolle vortrefflich; sie setzte Ludwig XV. in Erstaunen durch eine dem Königthum bis dahin unbekannte kecke Vertraulichkeit; sie belustigte ihn, indem sie über ihn spottete; sie machte ihn zum Mann, indem sie ihn glauben ließ, er sei es  . . .«

Der König hielt plötzlich inne, als würfe er sich die Unvorsichtigkeit, so von seinem Großvater vor einem Fremden zu sprechen, vor; aber seinen Blick auf das treuherzige, offene Gesicht von Gilbert heftend, sah er, daß er diesem Manne, der Alles so gut zu begreifen wußte, Alles sagen konnte.

Gilbert errieth, was im Geiste des Königs vorging, und ohne Ungeduld, ohne eine Frage wartete er, indem er sein Auge völlig dem forschenden Auge des Königs öffnete.

»Was ich Ihnen sage, mein Herr,« fuhr Ludwig XVI. mit einem gewissen Adel des Kopfes und der Geberde fort, die bei ihm nicht Gewohnheit war, »was ich Ihnen sage, müßte ich Ihnen vielleicht nicht sagen, denn es ist mein inniger Gedanke, und ein König soll den Grund seines Herzens nur diejenigen sehen lassen, in deren Herzensgrunde er lesen kann. Werden Sie mir Gleiches mit Gleichem vergelten, Herr Gilbert? und wenn Ihnen der König von Frankreich immer Alles sagt, was er denkt, werden Sie ihm auch immer Alles sagen, was Sie denken?«

»Sire,« erwiederte Gilbert, »ich schwöre Ihnen, daß, wenn Eure Majestät mir diese Ehre erweist, ich ihr diesen Dienst leisten werde; der Arzt ist mit den Leibern beauftragt, wie der Priester mit den Seelen; aber, stumm und unergründlich für die Andern, würde ich es für ein Verbrechen halten, die Wahrheit dem König nicht zu sagen, der mir die Ehre erweist, sie von mir zu verlangen.«

»Also, Herr Gilbert, nie eine Indiscretion?«

»Sire, sollten Sie mir selbst sagen, in einer Viertelstunde werde ich, und zwar auch auf Ihren Befehl, getödtet, ich würde mich nicht berechtigt glauben, zu fliehen, fügten Sie nicht bei: »»Fliehen Sie!««

 

»Sie thun wohl daran, daß Sie mir das sagen, Herr Gilbert. Mit meinen besten Freunden, selbst mit der Königin, spreche ich oft nur ganz leise; mit Ihnen werde ich laut denken.«

Er fuhr fort: »Nun wohl, diese Frau, welche wußte, man könne bei Ludwig XV. höchstens aus königliche Velleitäten rechnen, verließ, ihn kaum, um die geringsten von diesen Velleitäten zu benützen, Sie folgte ihm in den Rath und neigte sich über sein Fauteuil; vor dem Kanzler, vor diesen ersten Personen, vor diesen alten Staatsbeamten, legte sie sich zu seinen Füßen, sich geberdend wie ein Affe, schwatzend wie ein kleiner Papagei, und Tag und Nacht blies sie ihm das Königthum ein. Doch das war noch nicht genug, und die seltsame Egeria würde vielleicht ihre Zeit hierbei, verloren haben, hätte Herr von Richelieu nicht den Gedanken gehabt, diesen ungreifbaren Worten einen Körper zu geben, der die Lection, welche sie ihm wiederholte, materiell machte. Unter dem Vorwande, der Page, den man auf diesem Bilde sieht, heiße Barry, kaufte man das Gemälde für sie, als wäre es ein Familiengemälde. Das schwermüthige Gesicht, das den 30. Januar 1649 ahnete, hörte, in das Boudoir dieser Frau gestellt, ihr freches Gelächter, sah ihre lasciven Belustigungen; denn es diente ihr zu Folgendem: während sie lachte, nahm sie Ludwig XV. beim Kopf, zeigte ihm Karl I. und sagte zu ihm: »»Siehst Du, Frankreich, das ist ein König, dem man den Hals abgeschnitten hat, weil er schwach gegen sein Parlament war; schone also noch das Deinige!«« Ludwig XV. Cassirte das Parlament und starb ruhig auf dem Throne. Dann verbannten wir diese Frau, gegen welche wir vielleicht nachsichtiger hätten sein müssen. Das Bild blieb in den Mansarden von Versailles, und nie fiel es mir nur ein, zu fragen, was daraus geworden  . . .Wie kommt es nun, daß ich es hier finde? Wer hat besohlen, es hierher zu bringen? Warum folgt es mir, oder vielmehr, warum verfolgt es mich?«

Und nachdem er traurig den Kopf geschüttelt, fügte Ludwig XVI. Bei:

»Doctor, ist hierunter nicht ein Verhängnis,?«

»Ein Verhängniß, wenn Ihnen dieses Portrait nichts sagt; doch eine Vorsehung, wenn es zu Ihnen spricht.«

»Wie soll ein solches Portrait nicht zu einem König in meiner Lage sprechen, Doctor?«

»Nachdem Eure Majestät mir erlaubt hat, die Wahrheit zu sagen, erlaubt sie mir auch, sie zu fragen?«

Ludwig XVI. schien einen Augenblick zu zögern.

»Fragen Sie, Doctor,« sagte er dann.

»Was sagt dieses Portrait Eurer Majestät, Sire?«

»Es sagt mir, Karl I. habe den Kopf verloren, weil er Krieg gegen sein Volk geführt, und Jacob II. habe den Thron verloren, weil er das seinige verlassen.«

»Dann ist dieses Portrait wie ich, Sire: es spricht die Wahrheit.«

»Nun?« fragte der König, Gilbert mit dem Blicke auffordernd.

»Nun, da der König mir erlaubt bat, ihn zu befragen, so frage ich ihn, was er diesem Portrait, das so redlich mit ihm spricht, antwortet?«

»Herr Gilbert,« erwiederte der König, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Edelmann, daß ich noch nichts beschlossen habe: ich werde die Umstände zu Rathe ziehen.«

»Das Volk befürchtet, der König gedenke Krieg gegen dasselbe zu führen.«

Ludwig XVI. schüttelte den Kopf und sprach:

»Nein, mein Herr, nein, ich kann nur Krieg gegen mein Volk mit der Unterstützung des Auslandes führen, und ich kenne zu gut den Zustand Europas, um ihm zu vertrauen. Der König von Preußen bietet mir an, mit hunderttausend Mann in Frankreich einzumarschiren; aber ich kenne den intriganten, ehrgeizigen Geist dieser kleinen Monarchie, die danach strebt, ein großes Königreich zu werden, welche überall zur Verwirrung antreibt, in der Hoffnung, in dieser Verwirrung werde sie ein neues Schlesien an sich reißen. Oesterreich stellt ebenfalls hunderttausend Mann zu meiner Verfügung, aber ich liebe meinen Schwager Leopold, diesen devoten Philosophen, nicht. Mein Bruder d’Artois trägt mir die Unterstützung von Sardinien und Spanien an, aber ich traue diesen Mächten nicht, welche von meinem Bruder d’Artois gelenkt werden; er hat Herrn von Calonne bei sich, das heißt den grausamsten Feind der Königin, denjenigen, welcher, – ich habe die Handschrift gesehen, – dem Pamphlet von Madame Lamotte gegen uns in der abscheulichen Halsbandgeschichte Noten beigefügt hat. Ich weiß Alles, was dort vorgeht. In der vorletzten Sitzung ist davon die Rede gewesen, mich abzusetzen und einen Regenten zu ernennen, der wahrscheinlich mein anderer vielgeliebter Bruder, der Herr Graf von Provence, wäre; schließlich hat Herr von Condé, mein Vetter, den Vorschlag gemacht, in Frankreich einzudringen und gegen Lyon zu marschiren, was auch dem König geschehen möchte! . . . Was die große Katharina betrifft, das ist etwas Anderes; sie beschränkt sich auf Rathschläge; sie gibt mir einen Rath, der auf das Erhabene abzielt, jedoch nur lächerlich ist, besonders nach dem, was in den letzten Tagen vorgefallen. »»Die Könige,«« sagt sie, »»müssen ihren Gang verfolgen, ohne sich um das Geschrei des Volks zu bekümmern, wie der Mond seinem Laufe folgt, ohne sich um das Gebelle der Hunde zu bekümmern!«« Es scheint, die russischen Hunde begnügen sich damit, daß sie bellen; sie lasse Deshuttes und Varicourt fragen, ob die unseren nicht beißen.«

»Das Volk befürchtet, der König gedenke zu fliehen, Frankreich zu verlassen  . . .«

Der König zögerte zu antworten.

»Sire,« fuhr Gilbert lächelnd fort, »man hat immer Unrecht, eine von einem König gegebene Erlaubniß buchstäblich zu nehmen. Ich sehe, daß ich indiscret bin und auf meinen Fragen einfach den Ausdruck einer Furcht mache.«

Der König legte seine Hand aus die Schulter von Gilbert und erwiederte:

»Mein Herr, ich habe Ihnen die Wahrheit versprochen und werde sie Ihnen vollständig sagen. Ja, es ist hiervon die Rede gewesen; ja, die Sache ist mir vorgeschlagen worden; ja, es ist der Rath vieler redlicher Diener, die mich umgeben, ich soll fliehen. Doch in der Nacht vom 6. Oetober, als, in meinen Armen weinend und ihre Kinder in die ihrigen schließend, die Königin wie ich den Tod erwartete, ließ sie mich schwören, daß ich nie allein fliehen werde, daß wir Alle miteinander abreisen werden, um miteinander gerettet zu sein oder zu sterben. Mein Herr, ich habe geschworen und werde mein Wort halten. Da ich es aber nicht für möglich erachte, daß wir Alle mit einander fliehen, ohne zehnmal, ehe wir die Grenze erreichen, festgenommen zu werden, so werden wir nicht fliehen.«

»Sire,« sprach Gilbert, »Sie sehen mich in Bewunderung vor der Richtigkeit des Geistes Eurer Majestät. Oh! warum kann Sie nicht ganz Frankreich hören, wie ich Sie in diesem Augenblicke gehört habe? Wie viel Leidenschaften des Hasses, die Eure Majestät verfolgen, würden sich besänftigen! wie viel Gefahren, die Sie umgeben, würden sich schwächen!«

»Haß?« versetzte der König; »Sie glauben also, daß mein Volk mich haßt? Gefahren? indem ich nicht zu sehr im Ernste die düsteren Gedanken nehme, die mir dieses Portrait eingeflößt hat, sage ich Ihnen: ich glaube, daß die größten vorüber sind.«

Gilbert schaute den König mit einem, tiefen Gefühle von Schwermuth an.

»Ist dies nicht Ihre Ansicht, Herr Gilbert?« fragte Ludwig XVI.

»Meine Ansicht, Sire, ist, daß Eure Majestät erst in den Kampf eingetreten, und daß der 14. Juli und der 6. October nur die zwei ersten Acte des erschrecklichen Dramas sind, welches Frankreich im Angesichte der Nationen spielen wird.«

Ludwig XVI. erbleichte leicht.

»Ich hoffe, daß Sie sich täuschen, mein Herr,« sagte er.

»Ich täusche mich nicht, Sire.«

»Wie können Sie über diesen Punkt mehr wissen, als ich, der ich meine Polizei und meine Gegenpolizei habe?«

»Sire, ich habe allerdings weder Polizei, noch Gegenpolizei, aber durch meine Stellung bin ich die natürliche Mittelsperson zwischen dem, was den Himmel betrifft, und dem, was sich noch in den Eingeweiden der Erde verbirgt. Sire, was wir erfahren haben, ist nur das Erdbeben, wir haben noch das Feuer, die Asche und die Lava des Vulkans zu bekämpfen.«

»Sie haben gesagt zu bekämpfen, mein Herr; würden Sie nicht richtiger gesprochen haben, wenn Sie zu fliehen gesagt hätten?«

»Ich habe gesagt, zu bekämpfen, Sire.«

»Sie kennen meine Ansicht in Betreff des Auslandes. Ich werde die Fremden nie nach Frankreich rufen, wenn nicht, ich sage nicht mein Leben, – was liegt mir an meinem Leben, ich habe es zum Opfer gebracht, – wenn nicht das Leben meiner Frau und meiner Kinder eine wirkliche Gefahr läuft.«

»Ich möchte mich zu Ihren Füßen niederwerfen, Sire, um Ihnen für solche Gefühle zu danken. Nein, Sire, es bedarf der Fremden nicht. Wozu sollen die Fremden nützen, so lange Sie nicht Ihre eigenen Mittel und Quellen erschöpft haben? Sie befürchten von der Revolution überflügelt zu werden, nicht wahr, Sire?«

»Ich gestehe es.«

»Nun, es gibt zwei Mittel, zugleich den König und Frankreich zu retten.«

»Nennen Sie dieselben, mein Herr, und Sie werden sich um Beide verdient gemacht haben.«

»Das erste ist, Sire, daß Sie sich an die Spitze der Revolution stellen und sie lenken.«

»Sie würden mich mit sich fortreißen, Herr Gilbert, und ich will nicht dahin gehen, wohin sie gehen.«

»Das zweite ist, ihr ein ziemlich solides Gebiß anzulegen, um sie zu bezähmen.«

»Wie wird dieses Gebiß heißen, mein Herr?«

»Die Volksbeliebtheit und das Genie.«

»Und wer wird der Schmied sein?«

»Mirabeau!«

Ludwig XVI. schaute Gilbert in’s Gesicht, als ob er schlecht gehört hätte.

XIX
Mirabeau

Gilbert sah, daß er einen Kampf zu bestehen hatte, doch er war vorbereitet.

»Mirabeau,« wiederholte er, »ja, Sire, Mirabeau.

« Der König wandte sich gegen das Portrait von Karl I. um und fragte dieses poetische Gemälde von Van Dyck:

»Was würdest Du geantwortet haben, Karl Stuart, wenn in dem Augenblicke, wo Du die Erde unter Deinen Füßen zittern fühlest, man Dir vorgeschlagen hätte, Dich auf Cromwell zu stützen?«

»Karl Stuart würde sich geweigert haben, und er hätte wohl daran gethan,« sagte Gilbert, »denn es findet keine Aehnlichkeit zwischen Cromwell und Mirabeau statt.«

»Ich weiß nicht, wie Sie die Dinge ansehen, Doctor. Für mich gibt es keine Stufe beim Verrath: ein Verräther ist ein Verräther, und ich kann keinen Unterschied zwischen dem machen, der es ein wenig ist, und dem, der es sehr ist.«

»Sire,« erwiederte Gilbert mit tiefer Ehrsurcht, aber zugleich mit unüberwindlicher Festigkeit, »weder Cromwell, noch Mirabeau sind Verräther.«

»Was sind sie denn?« rief der König.

»Cromwell ist ein rebellischer Unterthan, und Mirabeau ist ein unzufriedener Edelmann.«

»Unzufrieden, worüber?«

»Ueber Alles  . . .über seinen Vater, der ihn in das Schloß If und in den Thurm von Vincennes hat einsperren lassen, über den König, der sein Genie verkannt hat und es noch verkennt.«

»Das Genie des Politikers ist die Ehrlichkeit, Herr Gilbert,« versetzte lebhaft der König.

»Die Antwort ist schön, Sire, würdig eines Titus, eines Trajan, eines Marcus Aurelius; leider gibt ihr die Erfahrung Unrecht.«

»Wie so?«

»War es ein ehrlicher Mann, dieser Augustus, der die Welt mit Lepidus und Antonius theilte, und Lepidus verbannte und Antonius tödtete, um die Welt für sich allein zu haben? War es ein ehrlicher Mann, dieser Karl der Große, der seinen Bruder Karlmann, um hier zu sterben, in ein Kloster schickte, und um ein Ende mit seinem Feinde Witekind zu machen, welcher ein beinahe ebenso großer Mann als er, den Sachsen alle Köpfe abschnitt, welche die Höhe seines Schwertes überragten? War es ein ehrlicher Mann, dieser Ludwig XI., der sich gegen seinen Vater empörte, um ihn zu entthronen, und der, obgleich er scheiterte, dem armen Karl VII. einen solchen Schrecken einflößte, daß er aus Furcht, vergiftet zu werden, Hungers starb? War es ein ehrlicher Mann, dieser Richelieu, der in den Alcoven des Louvre und auf den Treppen des Palais-Cardinal Conspirationen machte, die er aus dem Grève-Platze entwickelte? War es ein ehrlicher Mann, dieser Mazarin, der nicht nur eine halbe Million und fünfhundert Mann Karl II. verweigerte, sondern ihn auch aus Frankreich wegjagte? War es ein ehrlicher Mann, dieser Colbert, der Fouquet, seinen Protector, verrieth, anklagte, stürzte und sich während man diesen lebendig in einen Kerker warf, aus dem er nur als eine Leiche herauskommen sollte, unverschämt und stolz in seinen noch warmen Lehnstuhl setzte? Und dennoch haben, Gott sei Dank, weder die Einen noch die Ändern den Königen oder dem Königthum Eintrag gethan!«

»Aber, Herr Gilbert, Sie wissen wohl, daß Herr von Mirabeau nicht mir angehören kann, da er, dem Herzog von Orleans angehört.«

 

»Ei! Sire, da der Herzog von Orleans verbannt ist, so gehört Herr von Mirabeau Niemand mehr.«

»Wie soll ich mich einem käuflichen Menschen anvertrauen?«

»Indem Sie ihn kaufen  . . .Können Sie ihm nicht mehr geben, als irgend Jemand in der Welt?«

»Ein Unersättlicher, der eine Million fordern wird!«

»Verkauft sich Mirabeau für eine Million, Sire, so verschenkt er sich. Glauben Sie, er sei zwei Millionen weniger werth, als ein oder eine Polignac?«

»Herr Gilbert!«

»Der König verzeiht mir das Wort,« sagte Gilbert, indem er sich verbeugte, »ich schweige.«

»Nein, im Gegentheil, sprechen Sie.«

»Ich habe gesprochen, Sire,«

»So lassen Sie uns die Sache erörtern.«

»Sehr gern. Ich weiß meinen Mirabeau auswendig, Sire.«

»Sie sind sein Freund?«

»Leider habe ich nicht diese Ehre; übrigens hat Herr von Mirabeau nur einen Freund, welcher zugleich der der Königin ist.«

»Ja, ich weiß es, der Herr Graf von der Mark; wir werfen es ihm alle Tage genug vor.«

»Eure Majestät müßte im Gegentheil bei Todesstrafe verbieten, sich je mit Mirabeau zu entzweien.«

»Von welcher Bedeutung soll denn beim Gewichte der öffentlichen Angelegenheiten ein Strohjunker wie Herr Riquetti von Mirabeau sein?«

»Vor Allem, Sire, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Herr von Mirabeau ein Edelmann und kein Strohjunker ist. Es gibt wenig Edelleute in Frankreich, welche aus dem 11. Jahrhundert datiren, da unsere Könige, um einige um sich zu haben, so nachsichtig gewesen sind, von denjenigen, welchen sie die Ehre bewilligen, in ihre Carrossen zu steigen, nur Proben von 1399 zu fordern. Nein, Sire, man ist kein Strohjunker, wenn man von den Arrighetti von Florenz abstammt, wenn man in Folge einer Niederlage der Gibellinen nach der Provence gekommen ist und sich hier niedergelassen hat. Man ist kein Strohjunker, weil man einen Vorfahren gehabt hat, der in Marseille Handel getrieben, denn Sie wissen, Sire, daß der Adel von Marseille, wie der von Venedig, das Privilegium hat, Handel zu treiben, ohne dadurch des Adels verlustig zu werden  . . .«

»Ein Wüstling,« unterbrach der König Gilbert, »ein Henker seinem Rufe nach, ein Geldabgrund!«

»Ah! Sire, man muß die Menschen nehmen, wie sie die Natur gemacht hat; die Mirabeau sind stets stürmisch und ungeordnet in ihrer Jugend gewesen; aber sie reifen, wenn sie älter werden. Als junge Leute sind sie leider so, wie Eure Majestät sagt; als Familienhäupter sind sie gebieterisch, hoffärtig, aber streng. Der König, der sie mißkennen würde, wäre ein Undankbarer, denn sie haben der Landarmee unerschrockene Soldaten, dem Seeheere verwegene Seeleute geliefert. Ich weiß wohl, daß sie in ihrem provinzialen Geiste, der gegen jede Centralisation gehässig ist, in ihrer halb feudalen, halb republikanischen Opposition von ihren festen Schlössern herab,der Autorität der Minister, zuweilen sogar der der Könige trotzten; ich weiß wohl, daß sie mehr als einmal in die Durance die Agenten des Fiscus, welche auf ihren Gütern operiren wollten, geworfen haben; ich weiß wohl, daß sie die Höflinge und die Schreiber, die Generalpächter und die Gelehrten in derselben Geringschätzung vermengten, mit derselben Verachtung bedeckten, und nur zwei Dinge in der Welt achteten: das Eisen des Schwertes und das Eisen des Pfluges; ich weiß wohl, daß Einer von ihnen geschrieben hat: »»Die Knechterei ist instinctartig bei den Hofleuten mit gipsenem Gesicht und gipsenem Herzen, wie bei den Enten das Plätschern im Schlamme.«« Doch Alles dies, Sire, riecht durchaus nicht nach dem Strohjunker; Alles dies ist vielleicht nicht von der redlichsten Moral, sicherlich aber hat es das Gepräge des höchsten Adels.«

»Gut, gut, Herr Gilbert,« sprach mit einer Art von Aerger der König, welcher die bedeutenden Männer seines Reiches besser als irgend Jemand zu kennen glaubte, Sie haben es gesagt, Sie wissen Ihren Mirabeau auswendig. Da dies bei mir nicht der Fall ist, so fahren Sie fort. Ehe man sich der Leute bedient, lernt man sie gern kennen.«

»Ja, Sire,« erwiederte Gilbert, gestachelt durch die Ironie, die er in der Betonung, mit der der König zu ihm sprach, erkannte, »und ich sage Eurer Majestät: Es war ein Mirabeau, jener Bruno von Riquetti, welcher an dem Tage, wo Herr de la Feuillade aus der Place de la Victoire seine Statue der Victoria mit ihren vier gefesselten Nationen einweihte, mit seinem Regimente, dem Garde-Regiment, Sire, vorüberziehend, auf dem Pont Neuf anhielt, sein Regiment vor der Statue von Heinrich IV. Halt machen ließ und sagte: »»Meine Freunde, grüßen wir diesen, denn dieser ist so viel werth, als ein Anderer!«« Es war ein Mirabeau, jener François von Riquetti, der im Alter von siebenzehn Jahren von Malta zurückkommt, seine Mutter Anna von Pontèves in Trauer findet und sie fragt, warum diese Trauer, da sein Vater seit zehn Jahren todt sei. »»Weil ich beleidigt worden bin,«« antwortet die Mutter. »»Durch wen?«« »»Durch den Chevalier von Griasque.«« »»Und Du Hast Dich nicht gerächt?«« fragt François, der seine Mutter kannte. »»Ich hatte große Lust! Eines Tages traf ich ihn allein; ich setzte ihm eine geladene Pistole an den Schlaf und sagte: »»Wenn ich allein aus der Welt wäre, so würde ich Dir eine Kugel durch den Kopf jagen, was ich, wie Du siehst, thun kann; aber ich habe einen Sohn, der mich ehrenvoller rächen wird!«« »»Daran hast Du wohl gethan, Mutter,«« erwiedert der junge Mann. Und ohne die Stiefeln auszuziehen, nimmt er wieder seinen Hut, schnallt seinen Degen um und sucht den Chevalier von Griasque, einen Raufer, auf, fordert ihn heraus, schließt sich mit ihm in einen Garten ein, wirft die Schlüssel über die Mauer und tödtet ihn. Es war ein Mirabeau, jener Marquis Jean Antoine, der eine Höhe von sechs Fuß, die Schönheit von Antinous, die Stärke von Milon hatte, zu dem aber dennoch seine Großmutter sagte: »»Ihr seid keine Männer mehr, Ihr seid nur Diminutive von Männern,«« und der, von dieser Virago erzogen, wie es seitdem sein Enkel gesagt, die Federkraft und den Appetit des Unmöglichen hatte; der, Musketier mit achtzehn Jahren, immer im Feuer, die Gefahr leidenschaftlich liebend, wie Andere das Vergnügen lieben, eine Legion von Männern, furchtbar hitzig, unbezähmbar wie er, befehligte, so daß die andern Soldaten, wenn sie dieselben vorüberziehen sahen, sagten: »»Siehst Du die rothen Aufschläge? Das sind die Mirainbaux, das heißt, eine Legion von Teufeln befehligt von Satan.«« Und sie täuschten sich über den Commandanten, wenn sie ihn Satan nannten, denn es war ein sehr frommer Mann, so fromm, daß er, als eines Tags einer seiner Wälder in Brand gerieth, statt Befehl zu geben, daß man ihn durch gewöhnliche Mittel zu löschen suche, das heilige Sacrament dahin bringen ließ, wonach das Feuer erlosch. Allerdings war diese Frömmigkeit die eines feudalen Barons, und der Kapitän fand zuweilen Mittel, den Devoten aus einer großen Verlegenheit zu ziehen, wie es ihm eines Tags begegnete, daß Desserteurs, die er erschießen lassen wollte, sich in die Kirche eines italienischen Klosters geflüchtet hatten. Er befahl seinen Leuten, die Thüren einzustoßen, und sie waren im Begriffe, zu gehorchen, als die Thüren sich von selbst öffneten und der Abt in pontificatibus, mit dem heiligen Sacramente in den Händen, erschien.«

»Nun?« fragte Ludwig XVI., offenbar gefesselt durch diese Erzählung voll Leben und Farbe.

»Er blieb einen Augenblick nachdenkend, denn die Lage der Dinge setzte ihn in Verlegenheit. Dann aber sagte er, plötzlich von einem Gedanken erleuchtet, zu seinem Standartenjunker: »»Dauphin, man rufe den Feldkaplan, und er nehme den guten Gott aus den Händen dieses Burschen da.«« Was frommer Weise durch den Feldkaplan mit Unterstützung der Musketen dieser Teufel mit den rothen Ausschlägen geschah, Sire.«

»In der That, ja,« sprach Ludwig XVl. »ich erinnere mich dieses Marquis Antoine. Sagte er nicht zum Generallieutenant Chamillard, welcher ihm nach einer Affaire, in der er sich ausgezeichnet hatte, versprach, von ihm mit seinem Bruder, dem Minister von Chamillard, zu reden: »»Ihr Herr Bruder ist sehr glücklich, daß er Sie hat, denn ohne Sie wäre er der dümmste Mann des Königreichs.««

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