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3 Industrialisierung/Militarisierung
Solche in der Aufklärung zu findende, wenn auch im Schulwesen ihrer Zeit Einzelfälle bleibende Ansätze, den Schulraum weltoffener zu gestalten, insbesondere Naturphänomene und technische Erfindungen im Schulraum erfahrbar zu machen, werden im 19. Jahrhundert – obwohl sie eigentlich gut zur dann entstehenden Industriegesellschaft zu passen scheinen – eher abgewürgt als weiterentwickelt, was nicht zuletzt mit der von Humboldt mitbegründeten, bis heute im deutschen Schulwesen problematischen Trennung zwischen Bildung und Beruf in Verbindung gebracht werden kann.
Charakteristisch für den modernen Schulraum ist der preußische Schulbau des späten 19. Jahrhunderts, der »wilhelminische« Schulraum der Kaiserzeit. Nicht erst aus der späteren reformpädagogischen Sicht, sondern schon aus der (Außen-)Sicht eines (englischen) Zeitgenossen (s.u.) ähnelt dieser einer Kaserne. Das Schulhaus besteht nun aus einem oder mehreren Trakten, die von einem Flur durchzogen werden, von dem aus nacheinander gereihte gleichförmige Klassenräume betreten werden können, die ihrerseits durch eine auf Katheder und Tafel ausgerichtete frontale Sitzordnung fest installierter, gegebenenfalls aufsteigend angeordneter Bank-Tisch-Reihen gekennzeichnet sind.

Abbildung 6
Wilhelminischer Schulraum (Ende 19. Jahrhundert)
Quelle: Bendele 1984, ohne Seitenangabe
Dieser kasernenähnliche Typus des Schulraums und – eng mit ihm verbunden – der Frontalunterricht setzen sich durch, als es im hoch militarisierten Preußen um die Bildung und Gliederung der Massen geht. Der Schulraum ist nun nicht mehr kirchlich, zünftig, höfisch oder bürgerlich, sondern militärisch strukturiert: »The system of public instruction is almost, if not quite, as military in spirit as that which governs the army, and the buildings do not escape the regime«, schreibt Robson (1874, 71) über die preußischen Schulbauten. Dass dieser moderne Schulraum den Vorbildern der Fabrik und des Militärs folgt und dementsprechend wirkt, wird also keineswegs erst von reformpädagogischen Autoren des 20. Jahrhunderts bemerkt und reflektiert. Obgleich Robson an dieser im 19. Jahrhundert neuen Schulraumkonzeption manches (u.a. Größe, Ordnung, Helligkeit) fasziniert und er dies in die Reform des Schulbaus in England einbringt, blickt er doch auch kritisch auf diesen neuen Schulraumtyp, der nicht nur die Kontrolle zentralisiert, sondern zudem die Separierung und Isolierung der Schülerjahrgänge und die Separierung und Isolierung der (zuvor im Großraum gleichzeitig anwesenden) Lehrer mit sich bringt und darüber hinaus auch noch die Gleichschrittigkeit des Lernens aller Schüler einer Klasse voraussetzt.
Robson schaut sich viele preußische Schulen an und beschreibt sie seinen Landsleuten: »There is a series of class-rooms entered from a wide corridor. He [the child] is placed in one of these, fitted with benches and desks precisely similar to, but smaller, than those used by boys twice his age, and there he commences that intellectual drill which is continued till the age of 14. Such a system must give a dull boy a better chance, for the most awkward recruit will make a tolerable soldier if drilled regularly, and […] for a sufficient long time. It can hardly fail to raise the masses of a nation. On the other hand the tendency to destroy individuality of character must be ranked as a loss« (Robson, 1874, 72). Der Verlust an unterrichtlicher Flexibilität und an Berücksichtigung der Individualität ist ein wesentliches Implikat des Schulraums der Moderne. Der moderne Schulraum preußischer Provenienz ist ein Raum des zentral gesteuerten unterrichtlichen Gleichschritts.
Der Vorlauf dieses Schulraumtyps ist lang, er reicht gut drei Jahrhunderte zurück. Schon der Kupferstich, der Luthers Aufruf zur Gründung christlicher (Rats-)Schulen bebildert, zeigt die gewünschte Zentralität des Lehrers und das zugleich gewünschte Hintereinandersitzen der Schüler vor diesem an. Mit Comenius nimmt das Bemühen um räumliche Zentralisierung in Koppelung mit einer Vorstellung des Unterrichts, der allein vom Lehrer ausgeht, zu. Auch Pestalozzis Ausrichtung der gesamten Schülerschar auf die Tafel bzw. Tabelle und seine Methode des Zusammensprechens zielen auf den zentral gesteuerten Gleichtakt des Unterrichts. Aber erst in den preußischen Schulbauten des 19. Jahrhunderts mit ihren je Stockwerk von einem Flur abgehenden, für Jahrgangsklassen vorgesehenen Klassenzimmern, die jeweils ein Lehrerpult und vor diesem gegebenenfalls aufsteigend gereihte Schülersitze und -tische vorsehen, etabliert sich diese Form als Schulraum der Moderne.
Dass dieser Schulraumtyp eine preußische Lösung ist, in England hingegen die im ersten Abschnitt skizzierte alte Bauweise und das ihr zugehörige Schulverständnis zum Teil bis ins 20. Jahrhundert hinein beibehalten oder die räumliche Einheit nur auf flexible Weise, z.B. mittels Vorhängen, getrennt wird, sei angemerkt. Begründen lässt sich die dortige längere Beibehaltung des Großraums mit der Scheu vor dem mit der modernen Form verbundenen Risiko, dass die Schule ihre Einheit verliert, in Klassen auseinanderfällt. Freilich ist dieses Auseinanderfallen selbst eine ältere Tendenz, die schon in den großen Lateinschulen der frühen Neuzeit mit der Entstehung von Fachklassen für Schreiben und Rechnen beginnt und mit der Entscheidung für Jahrgangsklassen an Dynamik gewinnt. Letztlich setzt sich das »German planning« (vgl. Filmer-Sankey, 2003, 225) in Form von »a class room for every class and a general room for assembly« (T. Roger Smith, zit. n. Filmer-Sankey, 2003, 224) auch in England durch.
Während im englischen Schulraum das häusliche Modell zumindest im »assembly room« bzw. in der »hall« fortwirkt, erzeugt der preußische Schulraum Zugehörigkeit nicht im lokal-familiären, sondern im nationalen Sinn. Die großen, hellen, reinlichen Schulbauten des späten 19. Jahrhunderts dienen nicht nur der Hygiene, sondern bringen Reichtum und Nationalstolz der Sieger von 1870/71 in einer auch für die Kinder der »Massen« erlebbaren Form zum Ausdruck. Ist das sorgsam filternde Verhältnis des wilhelminisch-preußischen Schulraums zur Welt eine abwehrende Reaktion auf die Vermehrung gesellschaftlicher Information und die Beschleunigung des gesellschaftlichen Informationsflusses, so wird die innere Nüchternheit zugleich – zumindest bei Gymnasialbauten jener Zeit – von imposanter Fassade umgeben. Wer den aufwendig gestalteten Eingang durchschritten hat, befindet sich gleichsam in heiligen Hallen der Bildung, in denen das Leben nichts zu suchen hat.
4 Reformpädagogik (frühes 20. Jahrhundert)
Reformpädagogische Versuche fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts sicher verschiedentlich auch in wilhelminischen Schulkasernen statt, ohne dabei deren räumliche Grundstruktur zu ändern. So ist in Abbildung 7 zu erkennen, dass den Schülern Holzstäbchen zur Verfügung gestellt worden sind, mit denen sie – den Vorgaben auf der Tafel entsprechend – unterschiedliche (silbengetrennte) Wörter sowie auch nichtsprachliche Figuren gelegt haben. Im Schulraum existiert nun also jenseits der Bücher und Hefte auch konkretes Material, mit dem die Schüler selbsttätig agieren können. Die Grundstruktur der räumlichen Einrichtung bleibt im vorliegenden Fall jedoch trotz der erkennbaren unterrichtsreformerischen Bemühungen erhalten. Es handelt sich also um einen wilhelminischen Schulraum mit reformpädagogischen Anklängen; der Unterricht setzt zwar schon auf die Selbsttätigkeit der Schüler, aber ohne deren frontale Sitzordnung zu flexibilisieren.
Erheblich tiefer greifen die raumstrukturellen Neuerungen, die in als Einrichtung insgesamt reformpädagogisch ausgerichteten Schulen wie etwa den Daltonplanschulen oder den Lebensgemeinschaftsschulen (s. Abb. 8 und 9) zu beobachten sind. Im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Schule und Welt, von Schule und Leben, von Schule und Zuhause können diese reformpädagogischen Schulräume in gewisser Weise als Rückkehr zu Elementen des vormodernen Schulraums interpretiert werden. Dies betrifft zuvorderst die Wohnlichkeit des Schulraums, dessen Bestimmung als Zuhause. Zwar gibt es kein Zurück zum vormodernen Verständnis der Schule als Haus des Schulmeisters, aber im Unterschied zum nüchtern-militärischen Lehrraum der preußischen Moderne soll der Schulraum doch Lebensgemeinschaftsraum sein. Im Unterschied zum vormodernen Schulraum wird die Gemeinschaft allerdings nicht mehr patriarchalisch-familial, sondern kollektiv gedacht; der Schulraum wird als Raum des Kollektivs aus Lehrern und Schülern konzipiert. Programmatisch steht hierfür folgende Passage aus dem Schulprogramm der KPD von 1925 (zit. n. Michael/Schepp, 1993, 273): »Der Grundtypus der Schulanstalt ist das Schulheim, nicht die Unterrichtsanstalt. Das Schulheim gewährt jedem Schüler unentgeltliche Behausung, Ernährung, Kleidung, Lernmittel und ärztliche Pflege, auch während der Ferien; Schüler, Lehrer und Angestellte des Schulheimes bilden die Schulgemeinschaft. Die Schulgemeinschaft ordnet ihre inneren Angelegenheiten auf dem Wege der Selbstverwaltung.« Ein konkretes Beispiel für die Umgestaltung des Schulraums zu einem Lebensgemeinschaftsraum in den 1920er-Jahren ist Willy Steigers »S’blaue Nest« an der Volksschule Dresden-Hellerau. Johannes Bilstein (2003) macht an diesem Beispiel deutlich, dass der Schulraum dort zur von den Kindern selbst hergestellten Heimat werden und damit diese zugleich zu einer anderen Arbeits- bzw. Lernweise zwingen soll, weg vom Drill, hin zu Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung. Insofern ist der reformpädagogische Schulraum eben kein einfaches Zurück zum vormodernen Raum. Zwar wird die Wohnlichkeit des Schulraums wieder bejaht, aber auf eine neue Weise: Der Schulraum ist nicht mehr die Wohnung bzw. das Haus des Lehrers, sondern das Heim der Schulgemeinschaft.

Abbildung 7
Wilhelminischer Schulraum mit reformpädagogischem Element (1908)
Quelle: Alt, 1965, 605

Abbildung 8
Daltonplanschule (1923)
Quelle: Steinhaus, 1925, Titelbild

Abbildung 9
Lebensgemeinschaftsschule (Weimarer Zeit)
Quelle: Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum, 1983, 33
Auch im Hinblick auf die Frage des Bezugs zwischen Schulraum und außerschulischer Welt sind in reformpädagogischen Schulräumen Elemente auszumachen, die vormodernen Modellen wie etwa Naturalienkabinett oder Denklehrzimmer ähneln. Beispiele hierfür sind die im Sinne der Arbeitsschulbewegung eingerichteten Räume, die Räume der Berliner und Hamburger Lebensgemeinschaftsschulen, in denen Werkbänke ebenso Einzug halten wie lebende Tiere und Pflanzen: »Treppenhaus, Flure und Klassenzimmer sind mit Grünpflanzen geschmückt, in einigen Klassen werden eigene Tiere gehalten, die man auf Exkursionen gefangen oder geschenkt bekommen hat« (Rödler, 1987, 242).
Für das reformpädagogische Schulhaus insgesamt gibt es, sieht man von der spezifischen Bauweise der Waldorfschulen ab, vergleichsweise wenige Beispiele, vollzieht sich die Reform doch eher in einzelnen Klassen als in ganzen Schulen und eher in der Umgestaltung des Innenraums als in Neubauten. Umso mehr Aufmerksamkeit verdient Bruno Tauts 1927 entstandener Bauplan zur für 3000 Schüler vom Kindergarten bis zur Oberstufe gedachten Berlin-Neuköllner Dammwegschule, von der allerdings nur der Versuchspavillon – der nach einer Testphase 65 Mal gebaut und aneinandergereiht werden sollte – realisiert worden ist (vgl. Kemnitz, 2003). Der Plan gründet auf der Feststellung des zur reformpädagogischen Avantgarde der Weimarer Republik zählenden Berliner Schulleiters Fritz Karsen, dass die neuen Arbeits- und Gemeinschaftsformen in dem bis dahin gängigen Schulbau an Grenzen stoßen. »Das hieß, dass die alten Schulräume ein Arbeiten in kooperativen Formen, wenn nicht verhinderten, so doch nur ungenügend zuließen, die benötigten Arbeitsmittel und Bibliotheken nicht vor Ort waren und die Lichtverhältnisse für den Gruppenunterricht ungeeignet waren, weil es nur eine Fensterfront im Raum gab« (a.a.O., 257). Der Plan entwickelt einerseits den modernen Schulraum weiter, indem er ihn weiter rationalisiert und den betrieblichen Charakter von Schule unterstreicht, andererseits schließt er an die genannten vormodernen Tendenzen der Öffnung der Schule zur Welt an und entwickelt diese weiter. So soll das Schulgelände zur es umschließenden Siedlung hin nicht umzäunt, sondern offen sein. Statt Holztüren sollen Glastüren eingesetzt werden. Für die Außenwand ist überhaupt viel Glas vorgesehen, zudem fällt durch das Flachdach Oberlicht ein. So entstehen »helle Räume, die schon durch ihre Einrichtung die Energie auf nützliche Ziele lenken, Räume, über denen niemand durch Lärm stören kann [die Schule war bis auf die Fachräume einstöckig geplant, M. G.], aus denen man entweder durch die Schiebetüren unmittelbar ins Freie, in die davorliegende Pergola geht oder auf der anderen Seite in den Korridor« (Karsen, zit. n. Kemnitz, 2003, 264). Fast schon selbstverständlich erscheint, dass Tauts Plan einen Werkhof vorsieht, in dem Jungen und Mädchen nähen, zeichnen sowie mit Holz und Pappe arbeiten; aber auch Sport- und Schwimmhalle, Küche und Speisesaal machen deutlich, dass hier Schulraum als Lebensraum gedacht ist.
5 Neue Reformpädagogik (spätes 20. Jahrhundert)
Diese Konzeption des Schulraums als Lebens- und Erfahrungsraum wird in den neuen Reformpädagogiken wiederbelebt, die mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten 1960er-Jahre einsetzen und sich insbesondere in den 1970er- und 1980er-Jahren ausformen. So findet sich der Einbezug der Außenwelt in den Schulraum, die Simulation von Abenteuer und außerschulischem Leben beispielsweise in der Laborschule Bielefeld, in der zudem auch das Großraum-Modell der Vormoderne reaktiviert wird, aber auch in den freien Alternativschulen der 1980er-Jahre, deren Räume durch Kinder, Eltern und Lehrer zumindest partiell, mancherorts sogar überwiegend als Spielräume, Werkstätten, Liege- und Toberäume eingerichtet wurden, sowie in den Bepflanzungen, Kuschelecken, Streichelzoos und Lernwerkstätten »offener« Regelschulen (vgl. Göhlich, 1998 sowie Abb. 10).

Abbildung 10
Aus dem Wettbewerb »Schülerfreundliches Klassenzimmer« (Mitte 1980er-Jahre)
Quelle: Lehrer und Schule heute, Sonderheft 1988, 41
Die entschiedenste Weiterentwicklung des Raums pädagogischer Einrichtungen erfolgt in jenen Jahren allerdings im kleinkindpädagogischen Bereich, in den Kindertagesstätten von Reggio Emilia, in denen der pädagogische Ansatz entsteht, der heute im deutschsprachigen Raum als Reggio-Pädagogik bekannt ist. Der Raum gilt der Reggio-Pädagogik als dritter Erzieher (neben den beiden Gruppenerzieherinnen). Er ist in viele kleine, funktional differenzierte Bereiche unterteilt, die mit den Kindern unmittelbar zugänglichem und regelmäßig aktualisiertem Material ausgestattet sind. Jede Einrichtung besitzt neben den Gruppenräumen auch ein Atelier, zudem befindet sich in der Regel neben jedem Gruppenraum ein Miniatelier, in dem Farben, Papier, Scheren ebenso zu finden sind wie nach Farben und Formen sortierte Knöpfe, Blätter, Textilreste, Muscheln. Es gibt eine Verkleidungsecke (s. Abb. 11), eine Wohnküche in Kindergröße, eine Leseecke und anderes mehr.
Abbildung 11
Reggianische Kindertagesstätte (1985)
Quelle: Göhlich, 2009a, 106

6 Postmoderne/Virtualisierung (21. Jahrhundert)
Von einem Schulraum der Postmoderne zu reden, ist zugegebenermaßen fragwürdig, wird doch der Begriff der Postmoderne selbst nicht einheitlich verwendet. Wenn der Versuch hier dennoch unternommen wird, so geschieht dies mit Blick auf den Mediatisierungssprung der letzten Jahrzehnte, der die Gestaltung des Schulraums vor gänzlich neue Herausforderungen stellt. Der virtuelle, nur im Datennetz vorhandene Raum ist als Schulraum zu entdecken und zu gestalten. Zugleich ist der physische Schulraum mit dem virtuellen Raum zu verbinden. Michael Scheibel (2008) hat an der kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburgs, der Radiokonzeption Brechts, der Fernuniversität Hagen, der ETH World und anderen Beispielen die Entwicklung virtueller Lehr- und Lernräume herausgearbeitet. Dabei wird bekräftigt, was ich für die Entwicklung von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert aufgezeigt habe (s.o., vgl. Göhlich, 1993): dass die räumliche Entwicklung stets eng mit der Schul- bzw. Unterrichtsentwicklung und dem Wandel der Bilder von Mensch und Welt zusammenhängen.
Die Vor- und Nachteile der Virtualisierung lassen sich nach Otto Peters, dem Gründungsrektor der Fernuniversität Hagen, folgendermaßen umreißen:
Die Stärken [des physischen Lernraums, M. G.] sind vor allen Dingen […] die geistige Intimität. Sagen wir wenigstens die Möglichkeit zur geistigen Intimität, und die kann hervorragend sein. Dies ist im virtuellen Raum uneinholbar. Der zweite Vorteil im physischen Raum ist eine Form der Kommunikation, die naturwüchsig ist. Diese Form der Kommunikation kommt jeden Tag vor, wird von klein auf eingeübt und ist das Ergebnis einer unendlich langen Tradition. Sie ist selbstverständlich und wird bei der Vermittlung von Wissen zu einem Mittel des Unterrichts. Beim Arbeiten am Computer ist die Kommunikation dagegen künstlich und abstrakt und wurde nicht im Alltag der Lebenswelt eingeübt. Gleichwohl – und jetzt kommen wir in eine anthropologische Dimension – hat sich die Ausstattung des Menschen im Laufe der Jahrhunderte stark verändert. Der Mensch im Industriezeitalter ist naturgemäß in vielfacher Beziehung ein anderer als im Agrarzeitalter. Ich könnte mir vorstellen, dass die Entwicklung im Laufe von weiteren Jahrzehnten zu einer derartigen Gewöhnung an die Computertechnologien und die virtuellen Lernräume führen wird, wie wir es uns noch gar nicht vorstellen können. In diesem Bereich werden Entwicklungen geschehen, die auf eine Fusion des Biologischen und Technischen zielen. Dies ist etwas, was wir heute befürchten, weil wir das Humanum retten wollen. Wahrscheinlich ist es aber gar nicht zu retten, und die Menschen werden in drei oder vier Jahrzehnten möglicherweise über unsere Bedenken lachen. (Peters, zit. n. Scheibel, 2008, 78)
Wer Kinder im familiären Alltag ihres Kinderzimmers heute am Computer beim alltäglichen Downloaden, Chatten und Skypen erlebt, ahnt, dass die von Peters avisierte Entwicklung gar keine drei oder vier Jahrzehnte mehr dauern wird. Zu erwarten ist, dass das, was in Hochschulräumen bereits an Virtualisierung geschieht, in nächster Zeit auch in Schulräumen stattfinden wird. Exemplarisch ist deshalb die ETH World anzuführen, ein Planungskonzept zur Umstrukturierung und Virtualisierung der ETH Zürich.
Im Jahr 2000 wurde von ETH World ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, der die Herstellung einer Beziehung zwischen physischer und virtueller Hochschul-Infrastruktur als Aufgabe stellte. Nicht die Fernuniversität sollte als Leitbild dienen, sondern eine integrale Infrastruktur, in der durch die Kombination von physischen und virtuellen Elementen eine erweiterte Realität geschaffen wird. […] Das Preisträger-Projekt beyond luxury […] entwickelt praktische Ideen für die permanente und persönliche Anbindung ans ETH-Netz: Smart Cards und Wearables. Beispielsweise eine einfache Card im Kreditkartenformat, deren intelligentes Innenleben einerseits die elektronische Identifikation ihres Trägers und andererseits den Wireless-Anschluss an alle erdenklichen ETH-Daten ermöglicht. Dasselbe als Accessoire zur Alltagskleidung: miniaturisierte Info-Portale zur ETH-Welt. Die individuelle Konfiguration der Cards und Wearables erlaubt die personalisierte virtuelle Präsenz der Benutzer. Der physische Kommunikationsraum der ETH wird dagegen als ein modulares, veränderbares Raumkonzept gedacht, das sich den speziellen Projekttreffen, Events und Ausstellungen der ETH-World-Community in ihrer Größe und Struktur anpasst. (Scheibel, 2008, 126ff.)
Auf den Schulraum übertragen, bedeutet dies, dass der physische Schulraum nur noch einer von vielen dezidiert für Lehre und Lernen konzipierten Räumen ist. Die Virtualisierung des Schulraums hängt von medientechnologischer Entwicklungskompetenz und von Refinanzierungsmöglichkeiten ab. Deshalb spricht einiges für die Vermutung, dass mit der Virtualisierung des Schulraums auch eine Privatisierung (nun nicht im familiären, sondern im wirtschaftlichen Sinne) des Schulraums durch Medienunternehmen einhergehen wird.
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