Postsowjetische Identität? - Постсоветская идентичность?

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Postsowjetische Identität? - Постсоветская идентичность?
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Postsowjetische Identität?

Постсоветская идентичность?

Neue Wertvorstellungen und die Entwicklungen des Individuums in den postsowjetischen Ländern

Новые ценностные установки и развитие индивидуальности в странах постсоветского пространства

Krieger, Wolfgang (Hrsg.)

Вольфганг Кригер (ред.)

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Библиографическая информация Немецкой библиотеки

Немецкая библиотека включает данную публикацию в состав Немецкой национальной библиографии; подробная информация доступна в интернете на сайте: http://dnb.ddb.de

Copyright 2021 by Jacobs-Verlag

Am Prinzengarten1, 32756 Detmold

ISBN 978-3-89918-826-4

Inhalt – Содержание

Wolfgang Krieger – Вольфганг Кригер

Vorbemerkung und Ausblick auf die Beiträge des Buches …………,…….. 9

Предисловие и предварительный просмотр представленных в книге научных работ …………………………………………………………….. 27

Zur Einführung – Введение

Wolfgang Krieger – Вольфганг Кригер

„Postsowjetische Identität“ – Eine Einführung zur Logik des Identitätsbegriffes ……………………………………………………….. 47

«Постсоветская идентичность» – Введение в тему логики

концепции идентичности ……………………………………………... 65

Artur Mkrtchyan – Артур E. Мкртчян

Postsowjetische Identität im Prisma der Freiheit ………………….………. 83

Постсоветская идентичность в призме проблемы свободы ….……….. 97

Bakitbek A. Maltabarov – Бакытбек А. Малтабаров

Die paradoxe Natur des postsowjetischen Menschen als soziologischer Untersuchungsgegenstand ……………………….................................... 111

Парадоксальный постсоветский человек как объект изучения социологии ……………………………………………………………. 123

Wertvorstellungen, Identität und Identifikationen Ценностные установки, идентичность и идентификации

Wolfgang Krieger – Вольфганг Кригер

Wertorientierungen und Wertewandel in postsowjetischen Ländern – ein internationaler Vergleich …………………………………………….…. 137

Ценности и их изменение в постсоветских странах

– международное сравнение ……………………………………………. 165

Elena I. Elisowa – Е. И. Елизова

Die Bildung von Wertorientierungen der russischen Jugend

im postsowjetischen Raum ……………………………………….......... 193

Формирование ценностных установок российской молодежи

в условиях постсоветского пространства …………………………….. 203

Nomeda Sindaravičienė – Номеда Синдаравичене

Postsowjetische Identität – neue Wertvorstellungen und die Entwicklung des Individuums in den postsowjetischen Ländern

am Beispiel Litauens …………………………………………………….. 213

Постсоветская идентичность – новые ценности и развитие личности в постсоветских странах на примере Литвы …………………………… 223

Sona Manusyan – Сона Манусян

Die Verjüngung einer alten Identität? Der Aufbau bürgerlicher

Identität und der Entwicklungskontext staatsbürgerlicher

Beziehungen in Armenien ………………………………………............ 233

Омолаживане старой идентичности? Гражданское самосознание

и развивающийся контекст отношений между государством

и гражданами в Армении ……………………………………………... 247

Edina Vejo / Elma Begagić – Эдина Вехо / Эльма Бегагич

Konstituierende Wertorientierungen in der bosnisch-herzegowinischen Nachkriegsgesellschaft am Beispiel der bosnisch-herzegowinischen Muslime ………………………………………………………………... 261

Установочные ценности ориентации в послевоенном боснийско-герцеговинском обществе на примере боснийско-герцеговинских мусульман …………………………………………………………….. 267

Arlinda Ymeraj – Арлинда Ймерай

Social Values in transition – the case of Albania ………………………… 273

Социальные ценности в переходный период – пример Албании ........ 287

Identität in ausgewählten Lebensbereichen – Идентичность в избранных сферах жизни

Wolfgang Krieger – Вольфганг Кригер

Identität und mediale Selbstdarstellung junger Menschen im postsowjetischen Raum ……………………………………………….. 303

Идентичность и самопрезентация молодых людей в социальных

сетях на постсоветском пространстве .……………………………… 321

Igor B. Ardashkin, Marina A. Makienko, Alexander J. Chmykhalo –

И.Б. Ардашкин, М.А. Макиенко, А.Ю. Чмыхало

Berufliche Identität am Beispiel der universitären Ingenieursausbildung

in Tomsk (Russland) …………………………………………………… 339

Профессиональная идентичность на примере университетской инженерной подготовки г. Томска (Россия) ………………………… 351

Yana Chaplinskaya – Яна Чаплинская

Die berufliche Tätigkeit des „Patchwork-Menschen“ in der modernen russischen Gesellschaft …………………………………………………. 363

Профессиональная деятельность «лоскутного» человека

современного российского общества ………………………………... 367

Bilanz – Заключение

Wolfgang Krieger – Вольфганг Кригер

Postsowjetische Identität und (neue) Wertorientierungen?

Eine historische Bilanz ………………………………………………… 373

Постсоветская идентичность и (новые) ценностные ориентации? Исторический обзор …………………………………………………. 431

Autor*innen – Авторы …………………………………………………… 491

Vorbemerkung und Ausblick auf die Beiträge

des Buches

Wolfgang Krieger

Die kulturanthropologische Auseinandersetzung um das Bild des „Sowjetmenschen” hat sowohl in den ehemals sowjetischen Ländern als auch in einigen westlichen Ländern seit den Siebzigerjahren eine gewisse Tradition und sie ist nun, rund dreißig Jahre nach dem Ende der Sowjetzeit, noch immer keine abgeschlossene Diskussion. Sie bildet den Ausgangspunkt für die heutige Frage, ob und in welchem Umfang auch nach dem Ende der Sowjetrepubliken in den Mentalitäten der Bürger*innen ihrer Nachfolgestaaten der „Sowjetmensch” noch fortbestehe beziehungsweise welcher neue „Menschentypus” in den letzten Jahrzehnten nach dem Zerfall der Sowjetunion sich infolge der neuen wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen herausgebildet habe. Beide Fragen vereinen sich in der aktuellen Frage nach der Konstitution einer „postsowjetischen Identität”, der in diesem Buch teils auf grundsätzliche Weise, teils in analytischer und beschreibender Weise nachgegangen wird. Mit dieser Thematik eng verbunden ist die Frage nach der Entstehung neuer Wertorientierungen beziehungsweise auch nach dem Fortbestehen sozialistischer Werte in den auch im kulturellen Wandel sich befindenden Gesellschaften des ehemals sowjetischen Ostens. Die Bedeutung von Wertorientierungen für die Entstehung einer neuen „postsowjetischen Identität” stellt in diesem Buch eine herausgehobene Thematik dar und ist zugleich in gewissem Umfang auch eine programmatische Ausrichtung der Analyse.

Die Veröffentlichung dieses Buches schließt an eine Internationale Konferenz zum Thema „Postsowjetische Identität“ an, die vom 17. bis 21 September 2018 in Deutschland an der Hochschule Ludwigshafen am Rhein am Fachbereich für Sozial- und Gesundheitswesen stattfand. An ihr nahmen Dozent*Innen aus Partner-hochschulen der Hochschule Ludwigshafen aus der russischen Föderation, aus Armenien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Deutschland teil. Sie beteiligten sich an Arbeitsgruppen und Workshops und hielten Vorträge zum Thema, die größtenteils in diesem Buch wiedergegeben und übersetzt werden. In der Folge schlossen sich weitere interessierte Autor*innen aus ehemals sowjetischen Ländern der Bearbeitung des Themas an, so dass im vorliegenden Buch nun Beiträge von russischen, albanischen, armenischen, bosnisch-herzegowinischen, deutschen, kirgisischen und litauischen Sozialwissenschaftler*innen veröffentlicht werden können.

Die besagte Konferenz trug den Titel „Postsowjetische Identität – neue Wertvorstellungen und die Entwicklungen des Individuums in den postsowjetischen Ländern” und setzte somit einen Akzent auf einen bestimmten sozialanthropologisch, soziologisch, kulturologisch und psychologisch gleichermaßen anerkannten Faktor in der Entwicklung von Identität, nämlich auf die identitätsbildende Bedeutung von Wertorientierungen in der Kultur von Gesellschaften. Dieser Faktor steht neben anderen Faktoren der Selbstidentifikation wie dem leiblichen Selbstbewusstsein, den Zuschreibungen von Identität durch die sozialen Beziehungen eines Menschen, der Selbstverortung des Menschen in sozialen Zugehörigkeiten und vertrauten ökologischen Räumen etc. und er findet sein Fundament vor allem in traditionellen, politischen und religiösen Weltbildern, aus welchen heraus leitende Wertorientierungen und lebenssinnschaffende Einstellungen entstehen. Damit hatte sich die Konferenz einer gewissen Engführung des Identitätsthemas verschrieben, die freilich nicht gegenüber andersartigen Faktoren der Identitätsentwicklung in ausschließender Weise verbindlich werden sollte, aber doch vor allem die Betrachtung von Identität als Selbstidentifikation mit Wertorientierungen und Haltungen in den Vordergrund stellen wollte.

Diesem Selbstverständnis des thematischen Auftrages entsprechend wurde der Konferenz eine Reihe von Leitfragen an die Teilnehmer*innen vorangestellt, die hier kurz aufgeführt seien:

 

1 Sind nach dem Ende der Sowjetzeit neue Werte entstanden oder sind die Wertvorstellungen dieser Zeit noch immer am wichtigsten? Welche Werte aus dieser Zeit existieren weiter, welche neuen Werte etablieren sich?

2 Woher kommen diese neuen Werte, wodurch werden sie begründet? Gibt es neue Ideale?

3 Welche Visionen haben die Menschen heute vom guten Leben und von einem sinnvollen Leben?

4 Wodurch glauben die Menschen, etwas Wertvolles für andere Menschen, für die Gesellschaft tun zu können?

5 Welche Symbole kennzeichnen eine erfolgreiche Lebensführung und ein „gutes Image“ für den postsowjetischen Menschen? Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

6 Entsteht ein Wertepluralismus in dieser Gesellschaft oder zeichnet sich eine neue gesellschaftliche Homogenität im Wertbewusstsein der Individuen ab?

7 Gibt es Konflikte zwischen den Wertvorstellungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, gibt es Konflikte zwischen den Generationen?

8 Wie wünschen sich junge Menschen in der Zukunft zu werden? Gibt es Idole, mit denen sich junge Menschen identifizieren?

9 Welche Unterschiede können erkannt werden zwischen den Werten dieser Gesellschaft und denen im Westen zurzeit?

10 Wohin wird sich voraussichtlich die Gesellschaft in diesem Land in den nächsten Jahren entwickeln? (Dimensionen: soziale Gerechtigkeit, Ungleichheit, Eliten, interkulturelle Öffnung)

11 Wo können die größten Konfliktpotenziale in der Gesellschaft gesehen werden? Was eint und was spaltet die Gesellschaft?

12 Was sind die wichtigsten Veränderungen im Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Staat?

Die Artikel in diesem Buch nehmen zu ausgewählten Fragen aus dieser Liste Stellung und verbinden nicht selten Fragestellungen auch untereinander. Sie argumentieren sehr häufig stellungnehmend zur historischen Vergangenheit, sei es, um durch die Kontrastierung der Gegenwart zur Vergangenheit die Situation besondern prägnant zu profilieren, sei es, weil sich die Probleme der Gegenwart teilweise aus den Bedingungen der Vergangenheit herleiten lassen, sei es, um aus der vorsowjetischen Vergangenheit Wertsysteme wieder aufzugreifen, von deren Wiederbelebung man sich einen Gewinn für die Gegenwart und Zukunft erhofft. Der historische Vergleich ist daher ein fast durchgängiges Mittel zur Präzisierung der Identitätsproblematik und der Wertbildungsproblematik in der Gegenwart. An seiner Seite steht ein weiterer Vergleich, nämlich der zwischen dem Wertebewusstsein der westeuropäischen Kulturen und jenem der östlichen postsowjetischen Länder heute.

In diesem Buch wird die Suche nach einer Identität in Kulturen, die ihre sowjetischen Merkmale – so die implizte Vorannahme der Rede von einer “postsowjeti-schen Identität” – mehr oder minder verloren haben und auf dem Wege sind, neue Strukturen auszubilden und sich so selbst neu zu formieren, aus sehr unterschiedlichen Sichtweisen heraus betrieben. Das Buch versammelt Beiträge aus dem postsowjetischen und postkommunistischen Raum, konkret aus der russischen Föderation, aus Zentralasien, dem Kaukasus und dem Baltikum, ferner Autor*innen aus dem postkommunistischen Balkan, und schließlich aus dem europäischen Westen. Die Autor*innen aus diesen verschiedenen Ländern blicken auf das Alte wie das Neue teils als Insider mit den Augen der direkt Konfrontierten, die die Veränderungen in unmittelbarer Erfahrung verfolgt haben und bis in ihren Alltag hinein vielfältig von ihren Auswirkungen betroffen waren und die zugleich auch als Zeitzeugen der Vergangenheit mehr als alle anderen kompetent sind einen Vergleich zu ziehen; teils schauen sie – von westlichen Erwartungen und Sichtweisen geprägt – von außen auf eine wenig vertraute Welt und versuchen mit ihnen geläufigen Erklärungen die ihnen auffällig erscheinenden Phänomene des Fremden nach eigener Logik zu ordnen; teils verfügen sie über ähnliche Erfahrungen mit dem gelebten Sozialismus und mit der post-kommunistischen Ära wie die Autor*innen aus den ehemals sowjetischen Ländern (so hier die Autor*innen aus dem Balkan) und erleben die postkommunistische Zeit danach in gewissem Maße als ähnlich zur postsowjetischen Lage im Osten, auch wenn ihr Blick durch das eigene Kulturbewusstsein Differenzen wahrnimmt, die einerseits von alternativen Perspektiven zeugen, andererseits aber auch das Vertraute im Fremden dem Fremdem im Vertrauten gegenüberzustellen erlauben. So wird – den unterschiedlichen Vorausset-zungen entsprechend – eine Vielzahl von Sichtweisen artikuliert und das Thema dieses Buches aus sehr unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Zugleich geraten auch infolge der Herkunft der Autor*innen aus verschiedenen Regionen landesspezifische Phänomene und Entwicklungen in den Blick, aus welchen sich Erklärungen für kulturelle Besonderheiten im Umgang mit den identitätsbildenden Faktoren finden lassen.

Das Buch versteht sich zugleich als ein Kompendium der Positionierungen in der Frage nach den Konstitutiva einer „postsowjetischen Identität” und als Kaleidsokop vielfältiger Schlaglichter auf die Entwicklungsgeschichte einer nun etwa dreißigjährigen Phase postsowjetischer Kultur- und Gesellschaftshistorie. Es ist nicht beabsichtigt, bestimmte Dimensionen dieser Geschichte systematisch nachzuzeichnen, diesen Dimensionen eine breite empirische Fundierung zu schaffen oder nationale und regionale Vergleiche zu ziehen. Diese Aufgaben sind in der Fachliteratur schon umfassend wahrgenommen worden und werden auch zukünftigen Studien überlassen bleiben. Vielmehr bescheiden wir uns im Großen und Ganzen mit dem Ziel, die Leser*innen dieses Buches an Erfahrungen und summarischen Interpretationen von Sozialwissenschaftler*innen teilhaben zu lassen, die vor dem Hintergrund der Geschichte ihres Landes die Krisen des Zerfalls des sowjetischen Sozialismus einerseits, die Bewältigung der anstehenden Aufgaben dieser Phase andererseits untersuchen und ihre Auswirkungen auf die Entstehung neuer Wertorientierungen und im Blick auf die Entwicklung sozialer und kultureller Identität darstellen. Dabei setzen die Autor*innen unterschiedliche thematische Schwerpunkte, indem sie bestimmte Wertentwicklungen und identitätsbildende Orientierungen in den Vordergrund rücken und zum Gegenstand ihrer Analyse machen. In diesen ausgewählten Sichtweisen steht nicht zu erwarten, dass der je zugrunde liegende Begriff der Identität in allen Beiträgen als einheitlich zu erkennen ist. Schon deshalb verbietet sich hinsichtlich vieler Dimensionen der Vergleich zwischen den Beiträgen. Nichtsdestoweniger aber hoffen wir, dass die zahlreichen Phänomene, die zur Darstellung kommen, und die unterschiedlichen Facetten der Wahrnehmungen, die sich aus der Differenz der Perspektiven ableiten, den Leser*innen einen verwertbaren Fundus an Kenntnissen und nicht minder an neuen Fragen vermitteln, die sich hinsichtlich des Konstruktes der „postsowjetischen Identität” stellen lassen.

Die veröffentlichungsreife Fertigstellung der Texte und insbesondere die Übersetzungen aller Texte haben viel Zeit in Anspruch genommen; daher konnte eine zunächst für das Jahr 2019 geplante Herausgabe des Buches nicht eingehalten werden und wir mussten einige Autor*Innen um Verständnis bitten dafür, dass wir die Bearbeitungszeit der Buchvorlage doch erheblich verlängern mussten. Dadurch haben sich allerdings auch neue Chancen ergeben, weitere Beiträge in das Buch aufzunehmen. Wir danken allen Autor*innen heute für ihre Geduld.

Der Herausgeber dankt insbesondere den Übersetzerinnen Anna Zasuhin, Elena Elisowa, Larissa Bogacheva und Lubov Korn für ihr unermüdliches kooperatives Engagement, ihr nicht nachlassendes Durchhaltevermögen und ihre eifrigen Bemühungen um sinngemäß treffende Übersetzungen für beide Sprachen. Ohne ihr zuverlässiges Engagement und ihre zielführende kommunikative Kompetenz im Dialog mit den Autor*innen wäre dieses Buch nicht zustande gekommen.

Wir danken für unterstützende Leistungen bei der Übersetzung der Artikel ins Russische bzw. ins Deutsche Daria Filipenko, Nino Kapanadze, Laima Lukočiūtė, Natalie Rybnikov und Lusine Zakaryan, die einige Vorträge wie auch Diskussionen im Rahmen der Konferenz übersetzt haben und auch in vielerlei anderer Hinsicht bei der Durchführung der Konferenz hilfreiche Beiträge geleistet haben.

Ausblick auf die Beiträge des Buches

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste und einführende Teil widmet sich der Einführung in einige allgemeine Grundlagen des Identitätsbegriffes und der Frage, welche Bedeutung der Rede von einer „postsowjetischen Identität“ überhaupt zukommen kann. Die Beiträge zweier Autoren aus Armenien und Kirgisistan skizzieren vorwiegend aus einer soziologischen und kulturpsychologischen Sichtweise die Bedingungen einer postsowjetischen Identität in ihren Ländern und vermitteln einen Einblick in die fundamentalen Schwierigkeiten der postsowjetischen Selbstfindung in den Zeiten der Transformation.

Der zweite Teil des Buches beleuchtet die Bedeutung von Wertorientierungen für die Ausbildung einer postsowjetischen Identität aus der Sicht von Autor*innen verschiedener postkommunistischer Länder. Sie untersuchen den historischen und aktuellen Fundus der kulturspezifischen Identitätssymbolik, die gesellschaften Identifikationstendenzen, den gegenwärtigen Stand und die treibenden Kräfte des Wertewandels, aber beschreiben auch die Spannungen zwischen verschiedenen Typen kollektiver Identität und die bestehenden generationalen Konflikte.

Spezielle Teilidentäten des postsowjetischen Menschen heute stellt der dritte Teil des Buches vor. Hier geht es zum einen um einige Auffälligkeiten in der sogenannten „Medien-Identität“ junger Menschen, in welchen die soziale Identität und die dominanten Wertorientierungen zum Ausdruck kommen, zum anderen um die Bedeutung der beruflichen Identität in Russland aus der Sicht von Studierenden und die Prioritäten bei der Berufswahl und schließlich um die Notwendigkeit einer balancierten Patchwork-Identität unter den aktuellen Bedingungen des Arbeitslebens.

Im Folgenden sollen nun die einzelnen Beiträge zusammenfassend vorgestellt werden.

Mit der Kernfrage des Buchtitels, in welchem Sinne der Begriff der „postsowjetischen Identität“ gedeutet werden kann und mit welchen Inhalten er zu füllen ist, befasst sich der einführende Artikel von Wolfgang Krieger. Diese Frage enthält eine Reihe von verführerischen Anreizen sowohl hinsichtlich des Identitätsbegriffes, der nun lange schon in der Kritik steht, als auch hinsichtlich der Formel des „Postsowjetischen“, dessen phänomenale Einheit zweifelhaft ist und von dem möglicherweise allenfalls im Plural gesprochen werden dürfte. Zu dieser Problematisierung gehört auch die skeptische Vermutung, dass in der Rede von postsowjetischer Identität Vorannahmen suggeriert werden, die angesichts der heutigen gesellschaftlichen Realtitäten nach drei Jahrzehnten Transformations-geschichte, aber auch angesichts der so unterschiedlichen kulturellen und sozialen Vorgeschichte der verschiedenen ehemals sowjetischen bzw. kommunistischen Länder des Ostens nicht (mehr) haltbar sind.

Die implizite Logik beider Begriffe zu problematisieren, ist daher das erste Anliegen des Artikels von Krieger. Worin, inwieweit und weshalb Menschen mit sich identisch bleiben – die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig und führen zu divergenten Begriffen und wissenschaftlichen Theorien zur Identität. Daher werden im Folgenden von Krieger Identitätsbegriffe aus verschiedenen humanwissenschaftlichen Disziplinen aufgegriffen und der Wandel der Identitätstheorien hin zu einem dynamischen Identitätsbegriff nachgezeichnet. Ihr Ertrag für ein mögliches Konzept der „postsowjetischen Identität“ ist sehr wohl reichhaltig, doch bleibt eine erkenntnistheoretische wie semantische Relativierung der Rede von „postsowjetischer Identität“ maßgeblich: „Identität“ wie auch „das Postsowjetische“ sind reduktive Konstruktionen im Sinne des Weberschen Idealtypus; sie bezeichnen keine natürlichen Entitäten oder empirisch verfügbaren Verhältnisse, sondern ein Instrument der Analyse, dass das Besondere ausgewählter sozialer Phänomene in Erscheinung treten lässt und eine sinnhafte Ordnung in der Komplexität der sozialen Ereignisse und Strukturen postuliert.

Artur Mkrtchyan widmet seinen Artikel der Frage nach den postsowjetischen Bedingungen möglicher Freiheit und spannt die Analyse dieser Bedingungen ein zwischen den Polen der Haftung am Vergangenen und dem Streben nach dem Zukünftigen, aber auch zwischen den Polen einer negativen Freiheit der Überwindung von Abhängigkeit und einer positiven Freiheit, sich an neue Ideale und Werte zu binden. Auch wenn diese Pole nicht nur für die Einschätzung der Freiheit in postsowjetischen Ländern maßgeblich sein mögen, so haben sie hier doch eine besondere Bedeutung, zum einen, weil in postsowjetischen Ländern mit eben jenem Vergangenen größtenteils gebrochen worden ist, zum anderen, weil vom Zukünftigen kaum eine Vision besteht und ein verbreiteter Pessimismus und Fatalismus ein anomisches Chaos schafft und jegliche Initiative erstickt. Mkrtchyan betrachtet nun die postsowjetische Situation im Besonderen für das kleine Land Armenien, dessen Befindlichkeit zwischen Krieg und Frieden die Entwicklung von Perspektiven schwächt und viele Menschen zur Emigration bewegt. Die gewünschte Europäisierung des Landes (im Aufbau einer Zivilgesellschaft und demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen) behindern aber auch innere Faktoren, die noch als das Erbe der Sowjetzeit und als die Wunden der Neunzigerjahre identifiziert werden können, von welchen sich einige ehemals sowjetischen Länder außerhalb Russlands bis heute nicht erholt haben.

 

Es ist offenbar, dass viele postsowjetischen Gesellschaften für die Anforderungen eines gesellschaftlichen Neuaufbaus schlecht gerüstet scheinen, es fehlt als sozialen Strukturen, die über die Familien- und Clangemeinschaften hinaus hoffnungsvolle Ressourcen der Solidarität schaffen und Keimzellen der bürgerlichen Gesellschaft bilden könnten. Zwischen dem Ganzen der Nation und dem Partikularen der familialen Einheiten liegt ein Vakuum sozialen Engagements, welches auch in den Sinn- und Wertbindungen der Identität der Bürger*innen als ein fehlendes Orientierungspotenzial zu Tage tritt. Es fehlt an einem Bewusstsein sozialer Verantwortung und sozialer Rücksichtnahme, an sozialen Regeln und Prinzipien, an sozialer Engagiertheit aus eigenen Wertbindungen heraus. Es fehlt an rechtlichen Regelungen und mehr noch an der Anerkennung gesetzlicher Vorschriften und am Interesse für den Sinn gesellschaftlicher Normen überhaupt. Der eröffnete „individuelle“ Freiraum verführt zu einer anything goes Haltung, die nicht von Bewusstsein der Verantwortung für das eigene Handeln begrenzt wird. Woher kommt dieser Mangel? Die Gründe hierfür liegen in der Vergangenheit. Sie sind teils schon der sich in der spätsowjetischen Zeit und vollends dann in den Neunzigerjahren sich ausbreitenden Anomie geschuldet, die offenbar nicht nur den wirtschaftlichen und kulturellen Verfall der Sowjetstaaten, sondern auch einen Verfall der Solidarität und sozialen Aufmerksamkeit hervorgebracht hat, dem bis heute nichts entgegengesetzt werden kann. Sie sind aber auch eine Folge der erlebten Armut in den Neunzigerjahren, der Stagnation der Lohnentwicklung, der anhaltenden Abwertung akademischer Berufe und der mangelnden Perspektivität von gebildeten Menschen. Mkrtchyan bezieht seine Analyse hier auf die Anomietheorie von Merton und erklärt die Desorganisation und Regellosigkeit der armenischen Sozialkultur als einen kollektiven Zustand der Ziel-Mittel-Dissonanz, also als eine Folge der Unerreichbarkeit der Wertsymbole mittels der legalen Ressourcen. Zu diesem Zustand gehört die zunehmende Konzentration des Kapitals auf die Oligarchen ebenso wie das Anwachsen der Wirtschaftskriminalität und das Konkurrenzdenken und die Missgunst zwischen den Bürger*innen. Wenn diese Entwicklungen korrigiert werden sollen, so braucht es nicht nur eine Abkehr von Pessimismus und ein neues Bewusstsein des „moralischen Individualismus“ und des Verhältnisses zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Mkrtchyan setzt seine Hoffnung auf das Bildungssystem; denn dies ist der wichtigste gesellschaftliche Ort, an welchem neues Wissen vermittelt und neue Werte erworben werden können. Allerdings setzt dies voraus, dass sich das System von seinen bisherigen autoritären Strukturen und seinem ethnisierenden Propagandaauftrag verabschiedet und die jungen Menschen in bürgerschaftlicher Verantwortung und globalem Denken fördert.

Bakitbek Maltabarov beschreibt den Zustand des kollektiven Bewusstseins in den ehemaligen Sowjetstaaten als von Spaltungen, Fragmentierung und Widersprüchen geprägt. Paradoxien prägen nicht nur die Gesellschaft und einzelne Gruppen, sondern den Menschen selbst in seiner Persönlichkeit. Sie sind das Erbe einer in sich selbst widersprüchlichen Wirklichkeit der Sowjetgesellschaft und der sukzessiven Unterminierung und letztlich des Zusammenbruchs einer Weltanschauung, die für Generationen den Zusammenhalt von Staat, Gesellschaft und Individuum garantiert hatte, und des Verlustes von Werten und Einstellungen, die offenbar immer weniger in der Lage waren, Perspektiven für die Zukunft zu begründen. Maltabarov zeigt auf, dass die Abkehr von den sozialistischen Werten nicht erst mit der Perestroika erfolgte; vielmehr erodierte schon seit den 80erjahren das sozialistische Fundament der Werte und Einstellungen angesichts der gesellschaftlichen und politischen Praxis, bis schließlich die Widersprüche zwischen den hochgehaltenen Ansprüchen und der gelebten Wirklichkeit so offenkundig wurden, dass der Zusammenbruch des Systems nicht mehr aufzuhalten war. Auf der Suche nach neuen Formen der Zugehörigkeit spielt seit mehr als dreißig Jahren (wie schon einmal zur Jahrhundert-wende) nicht mehr die politische Ideologie, sondern der ethnisch-nationale Faktor nahezu auf der ganzen Welt eine dominierende Rolle. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der Griff nach dem Konstrukt der nationalen oder ethnischen Identität der erste und am einfachsten zu etablierende Rettungsakt gegenüber der Gefahr des endgültigen Zerfalls der staatlichen Einheit. Maltabarov spricht von einem „Prozess der Materialisierung von nationaler Eigenart, Nationalwürde und Nationalkultur”, der sich des Rückgriffs auf die Traditionen und Bräuche der Vorfahren bediente, der aber auch Separatismus und Intoleranz beförderte. Die nicht enden wollende schmerzhafte Geschichte des Zerfalls der Sowjetunion ist auch eine Geschichte der Beschwörungen nationaler Identitäten, die im Kern ethnozentrisch bis rassistisch motiviert sind. Maltabarov zeigt eine ganze Reihe von politischen Paradoxien nationaler Identitäten auf, in deren Folge internationale Beziehungen erschwert, wenn nicht zerstört werden, die eigene Wirtschaft ruiniert und Chauvinismus und Rassismus kultiviert werden. Hierzu gehört auch die Paradoxie des neuerlichen religiösen Bewusstseins in Kirgisistan, welches in der Sowjetzeit zwar nicht erloschen, aber doch kaum mehr bemerkbar gewesen war, nun aber – für manche auch aus opportunen Gründen zugunsten politischer oder ökonomischer Vorteile überraschend wiedererweckt – zu einem Symbol der nationalen Geschlossenheit aufblüht. Einer von Maltabarov u. a. durchgeführten Studie ist zu entnehmen, dass eine Mehrheit der kirgisischen Bevölkerung behauptet, durch ihre Eltern im sunnitischen Islam religiös erzogen worden zu sein, während ein Viertel seine ethnische Herkunft für die neue Religiosität verantwortlich macht. Andererseits besuchen dennoch mehr als 70 Prozent der Befragten Moscheen oder andere Orte der Religionsausübung gar nicht oder nur einmal im Monat. Zwischen der behaupteten Religiosität und der praktizierten Religionsausübung besteht also ein gravierender Unterschied. Zugleich sind dieselben Befragten besorgt über die zunehmende Religiosität der Jugend, über die Aktivitäten von Sekten und extremistische Tendenzen im Land. Die Ergebnisse machen deutlich, dass nicht nur ein erheblicher Druck auf identitäre Festlegungen besteht, sondern bei der Suche nach Identität viele Menschen auf eine Einheit aus Religion und Ethnie setzen, die allerdings weder mit der persönlichen Sozialisation noch mit neu gewonnenen Überzeugungen glaubhaft begründet werden kann.

Mit der Bedeutung von Wertorientierungen für den kulturellen Wandel in postsowjetischen Ländern befasst sich Wolfgang Krieger in gleich zwei Artikeln in diesem Buch. In seinem ersten Beitrag über Wertorientierungen und Wertewandel stellt er auf der Grundlage des World Value Survey von Inglehart und anderen (von 2014 und vorherigen Jahren) Ergebnisse zu verschiedenen postsowjetischen Ländern zusammen und ordnet verschiedene Indikatoren zentralen Parametern des Wertebewusstseins zu. Dem Inglehartschen Konzept von Moderne als eine Sicherheit ausgerichtete und Postmoderne als ein auf individuelle Freiheit hin orientierte Kulturformation folgend werden die untersuchten Werte größtenteils den Rubriken „materialistische“ oder „postmaterialistische Werte“ zugeordnet. In ihrer Kumulation drücken die so systematisierten Wertvariablen auch die Nähe/Ferne zu autokratischen versus demokratischen Gesellschaftsidealen aus. Im Blick sind dabei in erster Linie Werte zu den Bereichen Arbeit, Individualität und soziale Werte, Wirtschaft und Wohlstand, Konformität und Autonomie, Politisches Engagement und Engagement in sozialen Vereinen und Organisationen und Vertrauen und Kommunikationsklima. Die Analyse berücksichtigt nicht nur die auffälligsten Phänomene und Trends, sondern auch einige Differenzen zwischen den Ländern, den Generationen und den Untersuchungszeitpunkten. Auf Basis der Leithypothesen von Inglehart zur Erklärung des gesellschaftlichen Wertewandels (Knappheitshypothese und Sozialisationshypothese) kann die Abhängigkeit des Wertebewusstseins von der ökonomischen Lage des Landes in der jeweils vorigen Generation ermessen werden. Die Differenzen zwischen den Ländern zeigen aber auch – so die Kritik –, dass diese beiden Hypothesen für die (post)sowjetischen Verhältnisse keine ausreichende Erklärungsbasis darstellen, sondern weitere Hypothesen, etwa zur Bedeu-tung der aktuellen wirtschaftlichen Lage, zum Bildungsstand der Personen, zum Einfluss von Politik und Religion und zur Wirkung von militärischer Bedrohung durch Nachbarstaaten, eine Rolle spielen. Für die Mehrzahl der postsowjetischen Länder ist ferner zu beobachten, dass Politik und Gesellschaft auf der Suche nach einer neuen Identität auf vorsowjetische Traditionen zurückgreifen und daher Werte beschwören, die noch vor der Moderne etabliert waren. Diese mischen sich dann sehr unterschiedlich in die materialistischen oder postmaterialistischen Werte hinein und geben ihnen einen Kontext, der mit den Begriffen von Moderne und Postmoderne nicht angemessen repräsentiert ist. Dies gilt insbesondere für Wertbegriffe einer traditionalistischen muslimischen Großfamilienkultur (die erstaunlich postmodern erscheinen, aber auch kollektivistisch sind). Missverständnisse sind ferner zu erwarten durch die noch der Sowjetideologie entstammenden Interpretationen von Begriffen wie „Solidarität“ oder „Individualismus“ und einigen mehr. In der Summe lässt sich konstatieren, dass alle postsowjetischen Länder sich – wenn auch in unterschiedlichen Entwicklungsständen – in einer unsicheren Dynamik des Wertewandels befinden, in der sich materialistische, postmaterialistische und traditionalistische Wertsysteme widerspruchsvoll vermischen. Dabei bilden materialistische Orientierungen offenkundig das dominante Wertsystem, befeuert von dem anhaltenden Kampf um ökonomischen Fortschritt und gesellschaftliche Stabilität.

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