Читать книгу: «Das Schatzhaus des Königs», страница 18
Ein lang hinhallendes Klagegeheul unterbrach die Stimme des erzürnten Monarchen. Menes verließ die Türe, er konnte diesen Anblick nicht länger ertragen, denn seinem Auge boten sich die entsetzlichsten Bilder der Todesangst dar.
»Gnade! Gnade!« jammerten die Unglücklichen, von den Stühlen sinkend.
»Dieser arme, gequälte Mensch,« rief der König, »Menes, an dem ihr unverzeihlich gefrevelt, bat mich edelmütig, dein Leben zu schonen, mein Sohn, aber was du getan, übersteigt zu sehr alles menschliche Maß, du mußt büßen, ich kann dir nicht verzeihen, vielleicht vermögen es die Götter. Lebe wohl, mein Sohn! Lebe wohl, mein Weib! Lebt alle wohl! Ich tue, was mir menschliches und göttliches Gesetz vorschreibt.«
Eiligst verließ der König die Saaltüre, die nun von seinen Kriegern geschlossen ward, da die Verzweifelten unter herzzerreißendem Geschrei sich auf dieselbe stürzten, den Ausgang zu erzwingen. Einige sinken in Ohnmacht, andere zerreißen sich mit Messern die Glieder.
Das bald darauf folgende dumpfe Brausen verkündete, daß die Wogen des Nilkanals sich in das Gemach wälzten; die Erde bebte unter ihrer zermalmenden Wucht. Grausen packte die mit dieser Massenhinrichtung beauftragten Krieger, als das Wimmern der Ertrinkenden tief aus dem Schlund der Erde emporstieg, allmählich verschwebte und schließlich ganz verstummte. Der Mond sah mit schweigender Melancholie vom Himmel herab auf das zum Riesengrabmal gewordene Haus.
Siebentes Kapitel
Mehrere Tage waren verflossen. Noch lag es in des Königs Zügen, als hätte das Schicksal einen ewigen Kummer auf dieselben meißeln wollen, tatlos schlich er bei Tage durch seinen Palast, in der Nacht hörten ihn seine Diener stöhnen. Man fand am Morgen der furchtbaren Nacht einen Stab, den der Herrscher durchnagt hatte, so sehr fraß er seinen eigenen Jammer wieder, so wenig vermochte er anfangs Herrscher seines Zustandes zu werden. Menes hatte sich von den Schrecken seiner Einkerkerung erholt und suchte seinem Herrn das Seelenweh tragen zu helfen, was ihm auch insoweit gelang, als derselbe allmählich seinen Dienern wieder zugänglicher wurde und sich mit eisernem Fleiß in zerstreuende Regierungsgeschäfte vertiefte.
Ein neues, jedoch ihn weniger tief berührendes Leid war für den Herrscher, daß Rebekka seit einigen Tagen schweigsamer wurde, was der Arzt innerer Erkrankung zuschrieb. Eines Abends, als der Herrscher bei ihr verweilte, erblich sie plötzlich, eine Schwäche überkam sie und man mußte sie mit starken Mitteln wieder zu sich selbst bringen. Der König hatte sich an die Jüdin gewöhnt, sie hatte ihm sein Weib ersetzt, und so zitterte er für ihr Leben, obgleich dies Leben wohl bisher ein wenig ehrenvolles gewesen. Ihm blieb nicht verborgen, daß sie eine innere Neigung zu ihm gefaßt, er vergalt ihr diese tiefere Teilnahme, ohne sie jedoch in dem Maße zu erwidern, mit dem sie ihm entgegengebracht wurde, er vergaß keinen Augenblick den Abstand, der sie von ihm trennte.
Eines Morgens trat Ramses mit etwas hellerem Auge zu Menes, der gerade damit beschäftigt war, einen Brief an seine Mutter zuschreiben.
»Ich komme von meiner Tochter,« sagte der Fürst, sich setzend.
Menes fühlte bei diesen Worten ein Unbehagen, das er sich nicht zu erklären vermochte.
»Ich habe mit ihr gesprochen,« fuhr er fort.
»Ich hoffe, sie fühlt sich gesünder,« entgegnete Menes abgewandt.
Der König nickte mit dem Kopfe.
»Sie ist ruhiger,« flüsterte er. Dann, als erwachte er aus einem Traum, neigte er sich hastig zu seinem Freunde, sah ihm innig in die Augen und sagte mit mildem, fast schmelzend weichem Ton: »Weißt du, wie ihre Krankheit heißt?«
»Hoher Herr,« erwiderte Menes, schwer aufatmend, als erdrücke ihn ein Felsgewicht. »Ich bin nicht Arzt, meine medizinischen Kenntnisse sind gering.«
Ramses drohte ihm lächelnd mit dem Finger.
»Schelm! weichst du mir aus,« sagte er.
Menes beugte sich auf den Tisch, und tat, als ob er unter den Rollen eine suche, wobei er über und über errötete, was dem König nicht entging.
»Ihre Krankheit heißt Liebe!« fuhr Ramses fort, »sie wird nicht daran sterben, hoffe ich, doch ich möchte sie davon heilen, sofern ich es vermag.«
Die Verwirrung, von welcher Menes überrascht wurde, läßt sich kaum beschreiben, er begann heftig zu zittern, eine innere Seelenpein malte sich in seinem Auge, wie er sie kaum unter dem Eisendach seines Kerkers empfunden. Er fühlte, wie sich der Dolch, der in des Königs Worten lag, immer mehr seinem Herzen näherte, er ahnte schon den drohenden Zusammenstoß. Was sollte er beginnen, das Nahende abzuwenden?
»Ich habe mit Asa-Termutis gesprochen,« begann der König aufs neue, nicht ahnend, welche Qualen er seinem Retter bereitete, »sie hat mir gebeichtet, unter Tränen gebeichtet, die Arme. Sie warf sich an meine Brust, und schien trostlos, dann schwebte sie wieder auf dem Gipfel des Glückes, um sogleich darauf wieder zerschmettert herabzusinken. Sie glüht, sie verzehrt sich – hörst du, Menes? – sie liebt; sie hat gebeichtet.«
Der junge Mann wandte beständig das Gesicht hinweg.
»Nun denn!« sprach der König weiter, »da du dir vorgenommen zu schweigen, sei es herausgesagt: Sie liebt dich! Du bist der Gegenstand ihrer Zärtlichkeit – also hat sie mir anvertraut.«
Es war gesagt. Menes fühlte sich vor einem Abgrund stehen.
»Du bist bescheiden, mein Sohn,« fuhr Ramses gerührt fort; »ich weiß es. Du träumtest dir nicht, daß dich so hohes Glück umstrahlen würde, deshalb stehst du nun stumm und ratlos. Gib mir deine edle Hand, mein zweimaliger Retter, wie könnte ich dir besser danken, als indem ich dir sie, die für dich glüht, zum Weibe gebe! Erst damit trage ich meine schwere Schuld ab. Erbebe nicht, erblasse nicht, und stehe nicht so niedergeschlagen – ich weiß, was ich sage. Wohl unerhört ist der Schritt, den ich tue, das war noch nie geschehen, solange sich der Nil durch diese Auen wälzt und die Pyramiden den Himmel durchbohren, aber ich mache es möglich; außergewöhnliche Verdienste verdienen außergewöhnlichen Lohn. Auch weiß ich, daß mein Volk diese Handlung gutheißt, kein Murren wird sich erheben bei dieser seltenen Hochzeit; sie lieben ihren König und verehren seinen Retter zu sehr, als daß sie Einwendungen gegen dessen Belohnung machen sollten. Nimm sie hin, sie sei dein.«
Der König wollte den Jüngling umarmen, trat aber befremdet zurück, als er dessen trauriges, tränenfeuchtes Auge wahrnahm. Als Menes die Worte von des Königs Lippen fallen hörte, war es ihm, als gösse man heiße Bleitropfen in sein Herz. Er war im Rausch, er hörte nur halb. Durfte er diese große Gnade, diese überschwengliche Huld zurückweisen, ohne den Gebieter aufs tödlichste zu beleidigen? Konnte er sie annehmen, ohne ewig unglücklich zu werden und die schöne Seele, die er liebte, unglücklich zu machen? Was sollte er tun? Was konnte er tun? Einen Augenblick besann er sich – zugreifen! rief sein böser Dämon in ihm. Macht! Glanz, Ruhm! Alles ist dein. Dann aber stand sein Entschluß fest.
»Es ist vorbei, ich bin verloren,« rief er aus, seinen Kopf von Schmerz überwältigt an die Wand des Gemaches stoßend, »ich muß meines Gebieters Gnade verlieren. Oh, warum mußte es so weit kommen. Warum haben mich die Götter dazu bestimmt, diesen edeln Mann und dies edle Mädchen zu kränken, warum vernichtete mich die Grausamkeit deines Sohnes nicht. Leb' wohl! Laß mich von dir ziehen, ich will hinaus in die Wüste, verbanne mich aus deiner erhabenen Nähe oder besser, töte mich.«
Der erstaunte Monarch hörte diesen Ausbruch des Schmerzes kopfschüttelnd an.
»Ich verstehe dich nicht,« sagte er dann gelassen, »beruhige dich und rede deutlicher. Warum soll ich dich verbannen? Warum mußt du meine Gnade verlieren?«
»Weil –« hier stockte Menes, doch ein Blick in das freundliche Gesicht seines Herrn gab ihm den Mut, fortzufahren. »Weil ich deine Tochter nicht zum Weibe nehmen kann, hoher Herr. Tadle mich! Nenne mich undankbar, vernichte mich – aber du kannst meinen Entschluß nicht wanken machen.«
»Und warum, fragt dich dein König, schlägst du diese hohe Gunst aus?«
»Ich könnte lügen, ich könnte,« sprach Menes, »dir ausweichen, aber ich halte es unter meiner Würde, Ausreden zu suchen!«
Und er sagte ihm, daß er Myrrah liebe, daß er ihr treu bleiben müsse, daß es sein fester Wille sei, sie und keine andere zu besitzen. Er sank dem Monarchen zu Füßen, bereit, von ihm verstoßen zu werden, bereit, statt seiner Gnade seinen Fluch mitzunehmen in die Wüste, in die er sich schon verbannt sah. Lange lag er so am Boden, die Stirne auf die Dielen gepreßt, heiße Tränen vergießend, und wartete vergebens auf eine Antwort aus seines Gebieters Mund. Als er endlich den Kopf hob, war der König verschwunden. Er war gegangen; voll Zornes gegangen, dachte Menes, er verliert nicht einmal ein Wort mehr an dich, seine Diener werden dir seine zürnenden Befehle überbringen. Menes hielt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer auf, jeden Augenblick gewärtig, aus dem Palast gewiesen zu werden. Er war unfähig, etwas zu tun, er konnte nur still vor sich hinweinen, denn es war ihm, als verlöre er im König einen Freund. So saß er, bis die Sonne ihre letzten Strahlen dunkelrotblitzend auf das Gold und Elfenbein seines Arbeitstisches warf. Sein Blick überflog die heiteren Farben des Zimmers, das ihm so lieb geworden; ihm war, als müßten die Gestalten an den Wänden traurig die Köpfe hängen lassen, da er sie nie mehr wiedersehen sollte, aber sie taten es nicht, sie lachten teilnahmlos herab, hielten die Lotosblume und schlugen die Harfe, als sei nichts geschehen. Was konnte er dazu, daß er Myrrah liebte und die Königstochter ihm nur Freundin war? Jetzt erwachte um so stürmischer die Sehnsucht nach der blassen, kleinen Jüdin in ihm; er hätte aufstehen und, wie er da war, in einem Atem nach Memphis laufen mögen. »Ich muß zu ihr!« rief er laut. Sein Herz schwoll weh und süß unter dem Hauch liebenden Dranges, seine Phantasie malte sich ihre Gestalt. Da hörte er Schritte vor der Türe. Sie öffnete sich; er erwachte aus seinen Träumen und sah den König vor sich. Jetzt naht es, jetzt bin ich verloren, jetzt gibt mir der den Todesstoß, den ich anbete, fast wie ein Wesen höherer Art. Ist sein Blick drohend? Menes sieht flehend zu ihm empor. Ramses neigt sich mit feuchtem Auge zu ihm nieder, seine Stimme bebt tonlos, wie er ihm ins Ohr haucht: »Sprich nicht mehr davon!« und die beiden Männer sinken sich laut weinend in die Arme.
* * *
Niemals, mit keiner Silbe, erwähnte der edle Fürst diesen peinlichen Gegenstand wieder. Menes erkannte nur an seinem Ernst, wie sehr er seine Tochter bemitleide, aber die königliche Huld trübte sich keinen Augenblick für ihn. Der junge Mann erzeigte sich nun, da er dies bemerkte, seinem Wohltäter doppelt herzlich; die Zartheit, mit der sich diese beiden Menschen begegneten, war rührend; der Fürst fand seinen Sohn dreifach in dem Jüngling wieder, auch deutete er ihm mehreremal leise an, daß er die jener ihm unbekannten Geliebten gezollte Treue hochachte. –
Es waren aus verschiedenen Teilen der durch Ramses eroberten Länder Sendungen von Tributen eingegangen. Gegen Abend des folgenden Tages nahm der Monarch die Gegenstände in Augenschein. Im Garten hatte man die Käfige der wilden Tiere aufgestellt, zwischen denen Ramses in Begleitung seines Freundes einherwandelte, sich besonders an den Affen Äthyopiens ergötzend, deren menschenähnliche Grimassen ihm manches Lächeln abnötigten. Er hatte sich noch nicht lange diesem Vergnügen hingegeben, als ein Diener ihn nebst Menes bat, ihm zu Rebekka zu folgen, es stehe schlimm mit der Jüdin Gesundheit. Rebekka hatte nämlich einige Tage das Zimmer gehütet; der Arzt hatte ihr Unwohlsein einer Erkältung zugeschoben, nun aber schien das Übel bedenklicher werden zu wollen. Sogleich verließ der König den Garten; Menes folgte ihm nach Rebekkas Gemach. Als sie eintraten, sahen sie Rebekka mit geschlossenen Augen auf dem Ruhebett liegen; der Arzt saß neben ihr, sie scharf beobachtend. Leise erkundigte sich Ramses bei diesem, welchen Weg die Krankheit genommen. Der Arzt wollte eben antworten, als Rebekka die Augen aufschlug, lächelte und, indem sie ihrem königlichen Freund müde die Hand reichte, sagte: »Ich danke dir, daß du kommst. Du siehst mich zum letztenmal.«
»Redet sie irre?« frug der König erschrocken den Arzt, welcher der blassen, auffallend hohl blickenden Jüdin die Kissen ordnete.
»Leider,« versetzte der Arzt bedächtig, »muß ich glauben, daß sie die Wahrheit redet, mein Gebieter.«
»Die Wahrheit?« sagte der König mit matter Stimme. »Soll auch sie mir entrissen werden?«
Ramses liebte die schöne Jüdin eigentlich nicht. Seine Neigung zu ihr war mehr sinnlicher Natur gewesen; die Beweglichkeit, die anmutige Schalkheit der Schönen hatten ihn wohl erheitert, jedoch ernstere, dauerndere Gefühle hatte sie ihm nicht einzuflößen vermocht. Als er sie nun elend vor sich liegen sah, als er sah, daß sie ihm genommen werden sollte, verbreitete sich seine Trauer mehr ins Allgemeine; er gedachte schwermutsvoll der Vergänglichkeit irdischer Schönheit, der Hinfälligkeit des Menschengeschlechts.
»Vor den Pforten des Todes stehen wir noch nicht,« sagte er lächelnd zu der Kranken, »wir werden noch manche glückliche Stunde miteinander durchleben.«
Die Kranke schüttelte traurig das Haupt.
»Ich bin vergiftet,« lispelte sie, »ich habe geahnt, daß es so kommen werde.«
Ramses wandte sich bestürzt zum Arzt, der das Wort der Jüdin bestätigte. Die verstorbene Königin müsse es noch bei Lebzeiten fertig gebracht haben, die Speisen der Unglücklichen mit schleichendem Gift zu versetzen, war des Arztes Meinung. Die Gaben hätten anfangs den Körper der Tänzerin kaum berührt, bis sie ihn nach und nach erschüttert; jetzt sei nicht mehr zu helfen, die inneren Teile seien zu bedeutend von dem Gifte durchdrungen.
»Also auch gänzlich unbeteiligt Unschuldige ziehen sie ins Grab hinab?« rief der König. als er dies vernommen, aus.
»Nicht Unschuldige,« entgegnete reuemütig die Jüdin, »ich war schuldig.«
»Du – schuldig?«
Sie klärte ihren Gebieter auf, erzählte ihm ihre ganze Verführungsgeschichte und stellte ihren Tod als gerechte Strafe hin. Der König war tief erschüttert, als er dies unter Tränen und häufigen Anfällen von Krämpfen hervorgestammelte Bekenntnis erhielt, er war aber edel genug, der Sterbenden keine Vorwürfe mehr zu machen. Menes erinnerte sich, daß die Verschworenen, als er sie belauscht, über Rebekkas Mitwissenschaft und Teilnahme gesprochen; damals hatte er diese Andeutungen nicht verstanden und sie weiter nicht des Nachforschens für wert gehalten. Er teilte dies jetzt dem König mit und bestätigte dadurch die Aussagen der Sterbenden.
»Wir wollen davon schweigen, Rebekka,« sagte der König freundlich, »du bist nicht schuldig, die Gerichteten waren es, nicht du. Man hat sich deiner Schwächen bemächtigt. Auch ist deine Schuld schon dadurch gesühnt, daß du Menes den Ort der Verschwörung verrietest. Denke der Sache nicht weiter nach.«
»Und so verzeiht mir, mein edler Herr?« schluchzte sie, sich an des Königs Hals werfend.
»Ich verzeihe dir, du hast mir manche glückliche Stunde bereitet,« erwiderte der Herrscher mitleidig, »du standest meinem Herzen nahe.«
Die Kranke sank mit glücklichem Lächeln auf den Wangen in die Kissen zurück. Der Arzt sprang ihr bei, ein starkriechendes Mittel vor sie hinhaltend, worauf sie sich wieder emporraffte.
»Noch zwei Geständnisse muß ich machen,« preßte sie mit Anstrengung heraus, »deren Verheimlichung meine Seele bedrücken würde.«
»Sprich ohne Furcht,« sagte der König mild, indem er ihre Hand ergriff.
Sie gestand hierauf, wie sie nebst ihrem Bruder das Schatzhaus bestohlen, und drang darauf, daß der König noch in dieser Stunde einen Beamten nach Memphis schicke mit dem Auftrag, ihren Bruder zur Rechenschaft zu ziehen, dann sagte sie: »Er hat verdient, gestraft zu werden, er ist schlecht.«
Der König gab den Befehl sogleich. Dies schien die Sterbende sehr zu beruhigen; sie ermahnte den abgeschickten Boten dringend zur Eile. »Der Gerechtigkeit ist Genüge geleistet,« flüsterte sie ermattet. »Nun habe ich nur noch ein Wort an Menes zu richten.«
Menes trat näher an ihr Lager heran, er fühlte Mitleid mit der Verblassenden, ob er sie gleich nie geachtet. Ihr jetziger Zustand versöhnte ihn jedoch mit allen ihren Untugenden. Sie öffnete den Mund und rang vergebens nach Atem. Sie mochte fühlen, daß es ihr nicht mehr gelingen wollte, in ihrer Schwäche dies letzte Geständnis herauszubringen. Die Anstrengungen, die sie machte, um sich die Worte abzuzwingen, versetzten sie in die lebhafteste Aufregung. Alle standen ihr bei. Man sah ihr an, wie sie sich selbst zürnte, wie sie dann alle ihre Kraft aufbot, um das Wort »Myrrah« hervorzuhauchen, welches Wort natürlich nicht verfehlte, Menes in große Spannung zu versetzen.
»Was willst du mir von ihr sagen?« frug er, in den verstörten Blicken der Sterbenden lesend, daß sie ihm wichtige, vielleicht folgenschwere Entdeckungen zu machen sich gedrungen fühlte.
»Myrrah,« hauchte die immer mehr Erblassende, »kaum als du fort warst, – Isaak – du bist betrogen – von –« hier hob sich die Brust der Hinschwindenden krampfhaft – sie sah den Jüngling an mit einem Blick, mit dem sie alles sagen wollte, mit einem verzweifelten Blick, als wollte sie ihn fragen: »Errätst du es denn nicht? Sei doch nicht so töricht, hilf mir!«
»Betrogen?« stammelte Menes, »von wem? Laß mich nicht im Zweifel, quäle mich nicht, du lügst nicht, ich sehe es dir an; am Rande des Grabes spricht man die Wahrheit.«
Die Jüdin schüttelte den Kopf. Todesblässe überzog ihre Wangen, schwer und kalt fühlte Menes ihre Hand in der seinen, der Druck ihrer Finger ließ nach.
»Sprich! von wem betrogen,« schrie er ihr laut in die Ohren, wie er sah, daß die Kräfte aus dem Körper der Sterbenden wichen. »O seid barmherzig, ewige Götter, gebt ihr noch so viel Kraft, daß sie es über ihre Lippen bringt, was sie mir sagen will, eine bange Ahnung befällt mein Herz –«
Der König winkte dem Verzweifelten, denn es war zu spät. Ein unsäglich mitleidiges Lächeln traf aus dem Auge Rebekkas den jungen Mann. Tränen quollen über ihre Züge, man sah, wie sehr sie ihn und wie sehr sie ihre eigene Hilflosigkeit bedauerte. Dann ward dies Lächeln starrer, immer starrer, immer ausdrucksloser, immer versteinter; der Blick verglaste sich, die Lippen liefen blau an, – ein Schauer! und sie hatte ihr abenteuerreiches Tänzerleben beschlossen. Bewegt hatte sich der König von der Leiche seiner Geliebten entfernt, Menes jedoch starrte ihr noch lange in das regungslose Gesicht, auf dem nun kein Lächeln mehr erblühen sollte, das keinen Liebhaber mehr reizte. Menes war es, als müßten ihm diese starren Lippen noch verraten können, was sie aussprechen wollten. »Was hat sie dir verkünden wollen! Betrogen hatte sie gesagt. Betrogen! kaum als du von Memphis abgereist.« Auch diesen Isaak brachte sie in Verbindung mit Myrrah. Was konnte zu Hause geschehen sein? Die abgebrochenen Andeutungen der Sterbenden ließen seiner einmal erregten Phantasie keine Ruhe mehr, sie bildete sich, aus dem nebelhaft Ungewissen, selbstquälerische Gestalten, sie marterte sich ab zu erraten, sie zog die verwegensten Schlüsse, die er kaum auszudenken wagte, die nur furchtsam am fernsten Horizonte seines Gemüts auftauchten, um bald wieder anderen Platz zu machen. Diesen Zustand der Ungewißheit vermochte er nicht länger zu tragen. Er bat den König um Urlaub, nur die schleunige Reise nach Memphis könne ihn dieser Seelenmarter entreißen. Der König bewilligte den Urlaub, und nach wenigen Tagen sehen wir unseren Freund dem Hafen von Theben zuschreiten, wo ihn ein schlankes königliches Fahrzeug erwartete, das den Befehl hatte, ihn unverzüglich nach Memphis zu bringen. Er schritt in Gedanken versunken die breite Steintreppe hinab, welche sich in die Fluten des Nil tauchte, ohne auf den ihn umtosenden Lärm zu achten. Gleichgültig flog sein Auge über die Hunderte von Masten, die vor ihm in die Lüfte starrten, über die Warenballen, die, von kräftigen Schultern gehoben, einherschwankten. Er hatte nur sein Schiff im Auge, das er nun erreicht hatte, und dem er Flügel wünschte. Eben wollte er das Brett betreten, als er, ohne es zu wollen, an einen Verkäufer stieß, der ein halb Dutzend kleiner Vogelkäfige auf dem Kopfe trug. Die kleinen Sänger kreischten auf, der Mann fluchte, und Menes wollte ihm, um ihn zu besänftigen, rasch ein Geschenk reichen. Er hatte schon die Hand ausgestreckt, da fiel sein Auge auf das neben dem seinen liegende Schiff. Er hielt unwillkürlich inne, sah mit immer mehr sich vergrößernden Augen nach der Falltreppe hinüber und eilte dann in höchster Erregung mitten durch die dichteste Volksmenge auf das andere Schiff zu. »Wen sucht er dort?« frug sich sein ihn begleitender Diener, der nicht wußte, was er von dem plötzlichen Davonlaufen seines Herrn halten sollte. Menes hatte ein Weib das Ufer betreten sehen, bei dessen Anblick er im Anfang zu träumen glaubte. War sie es wirklich? Und zu welchem Zwecke kommt sie hierher? Er teilte kräftige Stöße aus, warf einen Kasten voll Gänse über den Haufen, trat einige Töpfe zu Staub, die ihm im Wege standen, und gelangte nach vielen Fährlichkeiten an die Treppe des Schiffes. Dort war leider die Gestalt, welche seine Aufmerksamkeit so lebhaft auf sich gezogen, nicht mehr zu erblicken. Sein Diener kam näher.
»Rasch, folge mir!« rief er diesem zu. »Wir müssen sie finden. Eile mir nach.«
»Wen sucht Ihr so eifrig?« frug der Diener.
»Sahst du sie nicht, die Frau mit dem blauen Gewand?« frug Menes heftig, »die den Kopf so stolz trug? Drei Sklavinnen trugen ihr den Schirm.«
Dem Diener war, als ob er eine solche Gestalt gesehen; er folgte dem voraneilenden Herrn, ebenso spähende Blicke um sich werfend, wie dieser. Sie waren durch mehrere Straßen geeilt, als Menes einen Freudenruf ausstieß. Dort wandelte eine stolz schreitende Dame dem Königspalast zu.
»Sie ist's,« rief er, »es ist meine Mutter.«
Noch wenige Schritte und er hatte sie erreicht. Das Wiedersehen war auf beiden Seiten ein wirklich herzliches. Menes küßte gerührt die Hände Assos und diese sah mit Stolz auf ihren so hoch in der Gunst des Königs gestiegenen Sohn. Bis in ihr fernes Memphis war die Kunde von seiner Erhöhung gedrungen. Wie oft hatte sie sich in Frauengesellschaften mit seinem Ruhme gebrüstet.
»Du erfreust das Herz deiner Mutter,« sagte sie, »aber erlaube mir, daß ich dich jetzt mit mehr Ehrfurcht anrede als früher, mein mächtiger Sohn.«
Ihr Benehmen ward ein sehr demütiges, sie verbeugte sich öfter respektvoll vor Menes, stellte ihn ihren Dienerinnen als einen Großen im Reiche vor und schien mit einer Art Genuß ihre Niedrigkeit zu betonen; man sah ihr an, daß sie in den Strahlen seines Ruhmes schwelgte, was ihn den Bescheidenen in nicht geringe Verlegenheit setzte. Auch bis zu ihr war die Kunde gedrungen, er werde die Tochter des Königs zum Weibe erhalten. Als sie danach frug, lenkte der Jüngling verstimmt von diesem Thema ab. Er wollte vor allem von Myrrah hören und stellte in dieser Beziehung mehrere Fragen, die Asso anfangs absichtlich überhörte, als er sich jedoch geradezu nach ihr erkundigte, nahm seiner Mutter Gesicht einen traurigen Ausdruck an.
»Laß uns,« sagte sie, »an einen stillen Ort kommen, an dem wir ungestört sind, dort werde ich dir von Myrrah berichten, so lange zähme deine Neugierde.«
Menes führte sie klopfenden Herzens in den Palast. Die scheue Zurückhaltung über Myrrahs Leben, die er in Zusammenhang brachte mit den Rätselworten der sterbenden Rebekka, flößten ihm Besorgnis ein; seine Mutter war von dem Augenblick an, als er den geliebten Namen genannt, sehr wortkarg geworden. Hastig schritt er voran nach seinem Zimmer, wo er für einige Erfrischung sorgen ließ. Natürlich ließ es Asso nicht an bewundernden Ausrufen fehlen, die Pracht des Königspalastes betreffend; die gute Frau kam fast um die Ruhe ihres Gemüts, als sie die reich ausgestatteten Zimmer ihres Sohnes betrat. Sie untersuchte mit wichtiger Miene die Teppiche, das Gold und das Elfenbein, sie frug nach dem Wert der Stickereien und wußte die Stoffe mit Namen zu nennen.
»Und in solchem Glanze lebst du Glücklicher?« rief sie, indem sie ihn küßte, aber mit einer Ehrerbietung, die ihm ein Lächeln abnötigte.
»Gewiß,« sagte Menes gleichgültig. Er dachte nur an die Nachrichten über Myrrah; was galt ihm dieser hohle Prunk, gern hätte er ihn hingegeben für ein Wort von der Geliebten. Als sich Asso an die sie umglänzende Pracht gewöhnt, fühlte sie sich bald nach Weiberart so heimisch darin, als sei sie unter dem Thronhimmel geboren.
»Nun aber sprich mir endlich von Myrrah,« sagte Menes, ungeduldig auf einer kostbaren Schale mit den Fingern trommelnd. Asso nahm ihm behutsam die Schale aus den Händen, sie außer Bereich seiner Finger stellend; denn es sei doch schade um die teure Masse, meinte sie, der König würde zürnen, wenn sie zerbräche.
»Myrrah!« begann Asso, sich über das nun aufgetragene Mahl hermachend, »o mein lieber Sohn, was soll ich dir über sie sagen? Laß mich heute schweigen über diesen unerquicklichen Gegenstand. Du siehst, ich bin ermüdet von der Reise, morgen wollen wir weiter darüber sprechen.«
»Du kannst dir denken, wie sehr ich danach verlange,« sagte Menes, »von ihr zu hören, denn meine Neugierde ward durch allerlei Gerüchte, die zu mir gedrungen, in hohem Grade erweckt.«
»Der Drang, dir von ihr Kunde zu geben, hat mich hierher geführt,« erwiderte ihm Asso ernst, »erkenne daran meinen liebevollen Eifer; doch bin ich noch zu erregt, um mit Ruhe von ihr zu sprechen. Erlasse es mir heute, mein Sohn.«
Menes vermochte trotz allen Bemühungen nichts mehr über das Mädchen zu erfahren. Es blieb ihm nichts anderes übrig als der Mutter ihre Zimmer anzuweisen, die sich in der Nähe der seinigen befanden, und die der König, sobald er die Nachricht von der Ankunft Assos erhalten, ihr bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. Asso gab dem ungestüm in sie Dringenden nur einige Andeutungen, die seine Neugierde aufs äußerste spannen mußte, ohne sie zu befriedigen. Als ihr Menes am folgenden Tag zu verstehen gab, er habe von der verstorbenen Rebekka einen Wink über Myrrahs Lebenslauf erhalten, nickte Asso traurig mit dem Haupt, fuhr ihm zärtlich über die Wangen und nannte ihn ihren lieben Sohn. Nach einigen Tagen ließ sie zuweilen dunkle Bemerkungen über die Treue im allgemeinen fallen, verbreitete sich weitschweifig über die Unbeständigkeit gewisser Weiber und säte so auf jegliche Weise Besorgnis in das Herz ihres Sohnes, indem sie sich stellte, als könne sie das, was er endlich doch einmal erfahren mußte, ihm nicht sagen, ohne grausam zu werden und sie wolle diesen Akt der Grausamkeit so weit hinaus schieben als nur möglich, da es für eine zärtliche Mutter doch gar zu hart sei, den eigenen Sohn zu verwunden. Es läßt sich denken, daß, als er dies beobachtete, Menes' Gemüt nur zu sehr ahnte, welche traurige Nachricht man ihm verheimlichen wollte, er ward still und finster, er verlor sein offenes, zutrauliches Wesen völlig, ja er veränderte sich so sehr, daß selbst der König ihn oft mit besorgten Blicken betrachtete. Endlich vermochte er sich nicht länger zu beherrschen. Als er einst müde von einem Spaziergang heimkehrte, der seinen Geist, statt ihn zu zerstreuen, noch mehr verfinsterte, trat er vor seine Mutter, ihr geradezu erklärend, wenn sie ihm nicht sofort genaue Auskunft erteile, was sich mit Myrrah seit seiner Abwesenheit zugetragen, würde er noch in dieser Stunde nach Memphis segeln. So in die Enge getrieben, rückte denn Asso mit der Sprache heraus, indem sie ihren Zügen einen mitleidigen Ausdruck zu geben sich bemühte. Sie begann zögernd damit, sie habe Myrrah, wie sie versprochen, gepflegt, aber das Mädchen habe nur noch kurze Zeit nach seiner Abreise um ihn getrauert. Bald habe sich der Eindruck verwischt, den er auf sie gemacht, fröhlich singend sei sie durchs Haus gewandelt, als ob Menes nie gelebt. Dann berichtete sie, wie Isaak sich um ihre Hand beworben, und wie die leichtfertige Jüdin nicht lange gezögert, diese ihm zu geben. Sie, Asso, habe gar manchmal Myrrah aufgefordert, ihm, Menes, zu schreiben, sie habe dies leider immer abgelehnt, ja, sie müsse gestehen, die Treulose habe sogar öfter über Menes' ehrlich gemeinte Briefe gelacht. »Es sei ein gar zu guter Junge,« habe sie einmal gesagt, »aber sie könne nun einmal nichts dazu, daß sie Isaak, ihren Glaubensgenossen, mehr liebe als ihn.«
Menes sah seiner Mutter starr in die Augen, während sie ihm diese klug erdichtete und mit den nötigen Pantomimen begleitete Erzählung vortrug. Dann erblaßte er, schloß die Augen und biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten. Er entfernte sich, ohne ein Wort zu entgegnen. Glaubte er dieses Märchen oder glaubte er es nicht? so fragte sich das ehrgeizige, listige Weib. Er war so ruhig geblieben, sie hätte ihn lieber in Wut ausbrechen sehen. Hatte sie vielleicht die Farben allzu stark aufgetragen und dadurch ihr Gemälde unwahrscheinlich gemacht? Oder tat die Erfindung bereits ihre Wirkung, haßte er die, die er einst geliebt? Das mußte sie zu ergründen suchen, um ihre weiteren Pläne darauf zu bauen. »Wenn ich ihm Schmerz bereite,« entschuldigte sie sich, »geschieht es ja in der Absicht, sein Wohl zu befördern.«
Sie sah den Tag über ihren Sohn nicht mehr. Gegen Abend empfing sie ein Schreiben von ihm, das ihr in fast heiterem, wenigstens sehr gleichmütigem Tone ankündigte, er habe beschlossen, morgen nach Memphis abzureisen, um, wenn sich die Dinge so verhielten, wie sie ihm gesagt, an der Treulosen Rache zu nehmen. Dieser Entschluß kam der Mutter natürlicherweise sehr ungelegen, wie rasch mußte durch ihn die ganze Unwahrheit ihrer Erzählung enthüllt werden. Sie eilte sogleich zu ihrem Sohne, ihm diesen Vorsatz auszureden. Er hörte sie jedoch kaum an, sondern gab mit erzwungener Ruhe den Befehl, das Schiff zu rüsten. Als sie ihn genugsam mit Gründen bestürmt, die ihn in seinem Entschluß wankend machen sollten, frug er, anstatt ihr ihre Beweise umzustoßen: wie ihr die Zimmer gefielen, welche des Königs Gunst ihr angewiesen. Sie sah ihn verblüfft an, schüttelte den Kopf und wollte sich entfernen. An der Türe blieb sie noch einmal stehen.
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