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Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie.

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Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie.
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Vorwort

Die nachfolgenden wissenschaftlichen Studien behandeln in selbstständiger Abrundung das, was nach meiner Ueberzeugung im ersten Buche jeder neuen, unserm modernen Streben gerecht werdenden Aesthetik seine Stelle finden müsste. Realistisch nenne ich diese Aesthetik, weil sie unserm gegenwärtigen Denken entsprechend nicht vom metaphysischen Standpuncte, sondern vom realen, durch vorurtheilsfreie Forschung bezeichneten ausgehen soll. Wie ich mir die Rolle des besonnenen Realismus in unserer Literatur denke, ist im ersten Capitel ausführlich entwickelt; die übrigen behandeln einzelne Probleme, an denen der Naturforscher und der Dichter gleich grossen Antheil nehmen. Zurückweisen muss ich im Voraus alle Uebertreibungen, die man von unberufener Seite an das Wort Realismus geknüpft hat. Der Realismus ist nicht gekommen, die bestehende Literatur in wüster Revolution zu zerstören, sondern er bedeutet das einfache Resultat einer langsamen Fortentwickelung, wie die gewaltige Machtstellung der modernen Naturwissenschaften es nicht mehr und nicht minder ist. Jene Utopien von einer Literatur der Kraft und der Leidenschaft, die in jähem Anprall unsere Literatur der Convenienz und der sanften Bemäntelung wegfegen soll, bedeuten mir gar nichts; was ich von dem aufwachsenden Dichtergeschlecht fordere und hoffe, ist eine geschickte Bethätigung besseren Wissens auf psychologischem Gebiete, besserer Beobachtung, gesunderen Empfindens, und die Grundlage dazu ist Fühlung mit den Naturwissenschaften. Leichte Plaudereien, wie sie der Spalte eines Feuilletons ziemen, wird der Leser vergebens auf diesen Blättern suchen, weder unfeines Schmähen noch kritiklose Verhimmelung rechne ich unter die nothwendigen Requisiten der neuen Sache. Die jungen Kräfte, die jetzt so viel Lärm machen, werden schon allein ihren Weg gehen; ich aber möchte durch eine anständige Polemik sowohl wie durch einen anständigen Vortrag überhaupt auch zu denen reden, die im Banne älterer Anschauungen jede Form realistischen Fortschritts mit zweifelndem Auge betrachten.

Berlin, im Winter 1886.

Wilhelm Bölsche.

Erstes Capitel.
Die versöhnende Tendenz des Realismus

Durch die gesammte – und nicht zum Wenigsten die deutsche – Literatur geht seit einiger Zeit eine lebhafte Bewegung. Die Schaufenster der Buchhandlungen wie die Spalten der Journale sind überfüllt mit Streitschriften und Streitartikeln, die bereits durch die Kühnheit der Titel von der Hitze der Kämpfenden Zeugniss ablegen. Aber auch abgesehen von diesen Kundgebungen der eigentlichen Ritter des Tourniers fühlt sich jeder Einzelne im grossen Publicum mehr oder weniger berufen, seinen Wahlzettel in die Urne zu werfen. Denn das Wort ist gefunden, welches in neun Buchstaben die Loosung des Ganzen enthüllen soll. Dieses schicksalsschwere Wort heisst Realismus.

Für die eine Partei ein goldenes Wort, eins aus jener Reihe unvergänglicher Schlagwörter, die mit ihrer prächtigen Kürze gleichsam die Stenographie der Culturgeschichte darstellen, – ist es der andern ein Gräuel, ein Hemmniss aller Fortentwicklung, der Name einer bösen, wenn auch glücklicherweise vergänglichen Krankheit.

Revolution der Literatur für jene, Aufdämmern eines neuen Tages, weit heller und strahlender noch als der junge Morgen, der sich einst in dem klaren Auge Lessing's spiegelte und durch dessen weichende Frühnebel der rasselnde Schritt des eisernen Ritters von Berlichingen erklang, ist dieser die gleiche Erscheinung, die hässliche Brandröthe eines Zerstörungskampfes, das Blutmal am Himmel, das über der Stätte des Mordens und Brennens plündernder Vandalenhorden loht, es fehlt nicht an alten Fritzen, die im Sanssouci ihrer unerschütterlichen Kunsttheorieen zweifelnd die schönen, geraden Terrassen und Orangerieen abschreiten und sich kopfschüttelnd fragen: Was soll der Lärm?

Verbrüderung aller nationalen Literaturen durch die Blutsgemeinschaft gleicher Methode für die Schwärmer, erscheint den Skeptikern der ganze Aufstand bei uns in Deutschland nur als der feige Abklatsch einer widerwärtigen Krankheitserscheinung im schlechteren, in alter Sünde absterbenden oder in unwissender Roheit der Halbbildung haltlos hin und her schwankenden Nachbarlande, und, dem Franzosen gleich, der das deutsche Bier als fremdes Gift verbannen möchte, wäre ihnen nichts lieber, als eine literarische Grenzsperre für alle fremden Einflüsse.

Und endlich, was das Seltsamste ist: während die Einen glauben, der Reinheit ihrer Gesinnung und dem Genius poetischer Sittlichkeit nicht besser dienen zu können, als in dem Gewande der neuen Ritterschaft, meinen die Andern das Schwert gegen diese erheben zu müssen zum Schutze der unschuldigen Gemüther in der Welt, zum Schutze ihrer Söhne und Töchter, denen der weihende Tempel des dichterischen Ideals kein Sündenhaus werden soll und keine Schnapsschenke.

Jeder Vernünftige sieht, dass unter dem einen Worte Realismus thatsächlich nicht immer das Gleiche verstanden wird und dass sich hier Begriffe mischen, die strenge Sonderung fordern. Es fehlt denn auch nicht an besonneneren Stimmen, die sich bemühen, Realismus in einer Weise zu definiren, die jeden gröberen Irrthum ausschliesst.

Ich gebe diese Definition zunächst in möglichst allgemeiner Fassung wieder, um später den speciellen Punct herauszugreifen, dem ich eine eingehendere Betrachtung zu widmen gedenke.

Die Basis unseres gesammten modernen Denkens bilden die Naturwissenschaften. Wir hören täglich mehr auf, die Welt und die Menschen nach metaphysischen Gesichtspuncten zu betrachten, die Erscheinungen der Natur selbst haben uns allmählich das Bild einer unerschütterlichen Gesetzmässigkeit alles kosmischen Geschehens eingeprägt, dessen letzte Gründe wir nicht kennen, von dessen lebendiger Bethätigung wir aber unausgesetzt Zeuge sind. Das vornehmste Object naturwissenschaftlicher Forschung ist dabei selbstverständlich der Mensch geblieben, und es ist der fortschreitenden Wissenschaft gelungen, über das Wesen seiner geistigen und körperlichen Existenz ein ausserordentlich grosses Thatsachenmaterial festzustellen, das noch mit jeder Stunde wächst, aber bereits jetzt von einer derartigen beweisenden Kraft ist, dass die gesammten älteren Vorstellungen, die sich die Menschheit von ihrer eigenen Natur auf Grund weniger exacter Forschung gebildet, in den entscheidendsten Puncten über den Haufen geworfen werden. Da, wo diese ältern Ansichten sich während der Dauer ihrer langen Alleinherrschaft mit andern Gebieten menschlicher Geistesthätigkeit eng verknotet hatten, bedeutete dieser Sturz nothwendig eine gänzliche Umbildung und Neugestaltung auch auf diesen verwandten Gebieten. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Religion, deren einseitig dogmatischer Theil durch die Naturwissenschaften zersetzt und zu völliger Umwandlung gezwungen wurde. Ein zweites Gebiet aber, das auch wesentlich in Frage kommt, ist die Poesie. Welche besondern Zwecke diese auch immer verfolgen mag und wie sehr sie in ihrem innersten Wesen sich von den exacten Naturwissenschaften unterscheiden mag, – eine Sonderung, die wir so wenig, wie die Sonderstellung einer vernünftigen Religion, antasten, – ganz unbezweifelbar hat sie unausgesetzt, um zu ihren besondern Zielen zu gelangen, mit Menschen und Naturerscheinungen zu thun und zwar, so fern sie im Geringsten gewissenhafte Poesie, also Poesie im echten und edeln Sinne und nicht ein Fabuliren für Kinder sein will, mit eben denselben Menschen und Naturerscheinungen, von denen die Wissenschaft uns gegenwärtig jenen Schatz sicherer Erkenntnisse darbietet. Nothwendig muss sie auch von letzteren Notiz nehmen und frühere irrige Grundanschauungen fahren lassen. Es kann ihr, was Jedermann einsieht, von dem Puncte ab, wo das Dasein von Gespenstern wissenschaftlich widerlegt ist, nicht mehr gestattet werden, dass sie zum Zwecke irgend welcher Aufklärung einen Geist aus dem Jenseits erscheinen lässt, weil sie sich sonst durchaus lächerlich und verächtlich machen würde. Es kann ihr, was zwar nicht so bekannt, aber ebenso wahr ist, auch nicht mehr ungerügt hingehen, wenn sie eine Psychologie bei den lebendigen Figuren ihrer Erzeugnisse verwerthet, die durch die Fortschritte der modernen wissenschaftlichen Psychologie entschieden als falsch dargethan ist. Eine Anpassung an die neuen Resultate der Forschung ist durchweg das Einfachste, was man verlangen kann. Der gesunde Realismus ermöglicht diese Anpassung. Indem er einerseits die hohen Güter der Poesie wahrt, ersetzt er andererseits die veralteten Grundanschauungen in geschicktem Umtausch durch neue, der exacten Wissenschaft entsprechende. Mit Genugthuung gewahrt er dabei, dass die neuen Stützen nicht nur relativ, sondern auch absolut besser sind, als die alten, und dass er bei Gelegenheit dieser Anpassung der Poesie ein frisches Lebensprincip zuführt, das nach vollkommener Eingewöhnung höchstwahrscheinlich ganz neue Blüthen am edeln Stamme des dichterischen Schaffens zeitigen wird, die vormals Niemand ahnen konnte. Das ist in abstracter Kürze die eigentlich verstandesgemässe Definition des Realismus.

So rund ausgesprochen, hat die Forderung, die darin liegt, alle Eigenschaften, um den Kritiker oder Dichter, dem die Poesie als ein leuchtendes Palladium der Menschheit, das jede Zeit auf den höchsten Platz ihres intellectuellen Könnens zu stellen verpflichtet sein soll, eine wahre Herzenssache ist, zu ernstem, wohlwollendem Nachdenken zu zwingen.

Angesichts der gestellten Wahl muss er die ganze, schwere Verantwortung empfinden, die in einem leichtsinnig heraufbeschworenen Streite zwischen Poesie und Naturwissenschaften läge. Er wird sich nicht stören an die werthlose Phrase, dass ein solcher Conflict nothwendig im Wesen der beiden Geistesgebiete begründet sei. Er wird vielmehr den Blick haften lassen auf den starken Meistern der Vergangenheit, auf dem heldenkühnen Ringen Schiller's, die Wahrheiten der Philosophie, die doch in der speciellen Form auch mit dem Wissen zusammen fiel, dem poetischen Ideal zu vermählen, auf dem unablässigen Forschen Göthe's, der in den Wahlverwandtschaften – fehlerhaft vielleicht, aber doch in sicherem Ahnen der Methode – die Arbeit des Forschers auf dem Gebiete der Seelenkunde im Dichterwerke zu verwerthen suchte, auf dem lichten Bau der physischen Weltbeschreibung des greisen Alexander von Humboldt, in deren kosmischem Rahmen unter der Form der dichterischen Naturanschauung die ganze Poesie mit Leichtigkeit eine Stelle gefunden hätte. Dürfen wir stehen bleiben, wo jene, denen die ganze Fülle unserer Offenbarung im Naturgebiete noch versagt war, unentwegt den Wanderstab zum Vorwärtsschreiten ansetzten? Gewiss steckt in den erhitzten Parteien des Tages die lebhafteste Neigung zu schwerem Kampfe; sollen wir die einzige noch mögliche Gelegenheit zur Versöhnung zurückweisen, – zu einer Versöhnung, die vielleicht zugleich einen Fortschritt für die Poesie bedeutet?

 

Ich meine, so, wie die Frage gestellt ist, giebt es nur eine Antwort. Es handelt sich nicht um Namen, um Nationalitäten, um Meister und Jünger einer Schule, sondern um zwei Dinge, die vor aller Augen sind: eine Wissenschaft, die energisch vorgeht und neue Begriffe schafft, und eine Literatur, die zurückbleibt, und mit Begriffen arbeitet, die keinen Sinn und Verstand mehr haben. Thatsächlich hat denn auch ein beträchtlicher Theil unserer modernen Dichter die richtige Antwort gefunden, und es kommt hier nicht darauf an, ob Dieser ernste und wohlüberlegte Entschlüsse daran angeknüpft oder Jener bloss in kindlicher Freude ein polizeiwidrig lautes Jubelgeschrei über sein findiges Genie dazu ausgestossen hat. Man hat sich geeinigt über den Satz: Wir müssen uns dem Naturforscher nähern, müssen unsere Ideen auf Grund seiner Resultate durchsehen und das Veraltete ausmerzen.

Das Erste, worauf man im Verfolgen dieses Gedankens kam, war ein Satz, der ebenso einfach und selbstverständlich war, wie er paradox klang. Jede poetische Schöpfung, die sich bemüht, die Linien des Natürlichen und Möglichen nicht zu überschreiten und die Dinge logisch sich entwickeln zu lassen, ist vom Standpuncte der Wissenschaft betrachtet nichts mehr und nichts minder als ein einfaches, in der Phantasie durchgeführtes Experiment, das Wort Experiment im buchstäblichen, wissenschaftlichen Sinne genommen.

Daher der Name »Experimental-Roman«, und daher eine ungeheuerliche Begriffsverwirrung bei allen Kritikern und Poeten, die weder wussten, was man unter einem wissenschaftlichen Experimente, noch was man unter dichterischer Thätigkeit verstand. Der Mann, der das Wort populär gemacht hat, Zola, ist selbst unschuldig an der Verwirrung der Geister. Nur hat auch er den Fehler nebenher begangen, die Definition eines Kunstwerks als Experiment nicht einzuschränken durch die Worte »vom wissenschaftlichen Standpuncte aus«, womit alles klarer und einfacher wird. Vom moralischen Standpuncte beispielsweise will die Definition gar nichts besagen, denn was ist moralisch ein »Experiment«? Aber wissenschaftlich passt die Sache. Sehen wir das unheimliche Wort näher an.

Der Dichter, der Menschen, deren Eigenschaften er sich möglichst genau ausmalt, durch die Macht der Umstände in alle möglichen Conflicte gerathen und unter Bethätigung jener Eigenschaften als Sieger oder Besiegte, umwandelnd oder umgewandelt, daraus hervorgehen oder darin untergehen lässt, ist in seiner Weise ein Experimentator, wie der Chemiker, der allerlei Stoffe mischt, in gewisse Temperaturgrade bringt und den Erfolg beobachtet. Natürlich: der Dichter hat Menschen vor sich, keine Chemikalien. Aber, wie oben ausgesprochen ist, auch diese Menschen fallen in's Gebiet der Naturwissenschaften. Ihre Leidenschaften, ihr Reagiren gegen äussere Umstände, das ganze Spiel ihrer Gedanken folgen gewissen Gesetzen, die der Forscher ergründet hat und die der Dichter bei dem freien Experimente so gut zu beachten hat, wie der Chemiker, wenn er etwas Vernünftiges und keinen werthlosen Mischmasch herstellen will, die Kräfte und Wirkungen vorher berechnen muss, ehe er an's Werk geht und Stoffe combinirt.

Wer sich die Mühe nehmen will, einen ganz flüchtigen Blick auf das Beste zu werfen, was Shakespeare oder Schiller oder Göthe geschaffen, der wird den Faden des psychologischen Experiments in jeder dieser Dichtungen klar durchschimmern sehen. Bloss jene Voraussetzungen waren vielfach etwas andere, und hier ist denn eben der Punct, wo der Einfluss der modernen Wissenschaft sich als ein neues Element geltend machen und der Realismus, dessen Theorie wir zugegeben haben, practisch werden soll. Es gilt, neue Prämissen für die weitern Experimente, die wir machen wollen, aufzustellen oder besser, sie uns von der Naturwissenschaft aufstellen zu lassen. Hier aber, beim Eintritt in die Praxis, wird die ganze Sache sehr schwierig. Wir haben bisheran einer allgemeinen Erörterung Raum gegeben. Der allgemeine Zustand des Denkens in unserer Zeit und des Verhältnisses von Poesie und Forschung zu einander hat uns ein Geständniss abgezwungen, indem er uns ein Dilemma zeigte, aus dem es nur einen Ausweg gab. Wir haben uns einverstanden erklärt mit der versöhnlichen Richtung eines gesunden Realismus und sind vorgedrungen bis an den Fleck, wo die Berührung der exacten Wissenschaften mit derjenigen Definition der Poesie, die von allen am wissenschaftlichsten klingt, endlich stattfinden soll. Alle Vorfragen sind damit erledigt, und ich trete jetzt an das heran, was eigentlich den Kern des Ganzen ausmacht und zugleich ein solches Gewebe ernster Schwierigkeiten aufweist, dass ich eine eingehende Betrachtung derselben für die nothwendige Basis jeder realistischen Dichtung sowohl, wie jeder realistischen Aesthetik halte.

Die Prämissen des poetischen Experiments: das sagt in einem Worte alles. Hier verknoten sich Naturwissenschaft und Poesie.

Wohlverstanden: diese Prämissen umschliessen nicht die Naturgeschichte des poetischen Genius selbst, eine Sache, die ja auch in die Aesthetik hineingehört, die aber mit dem, was ich meine, direct nichts zu schaffen hat. Geniale Anlage muss der Mensch besitzen, um überhaupt als Dichter auftreten zu können, und zwar eine ganz bestimmte Form genialer Anlage, die sich von der für andere Geistesgebiete individuell unterscheidet. Jene andern Prämissen, die erworbenes Wissen darstellen, verhelfen ihm bloss in zweiter Instanz dazu, sein schöpferisches Wollen nach vernünftigen Gesetzen zu regeln und auch andern, nicht dichterisch Beanlagten durch das Medium der Logik einigermassen verständlich zu machen. Aber auch wenn wir alle Missverständnisse ausschliessen, bleibt die Sache immer noch sehr schwierig. Es mangelt zunächst gänzlich an brauchbaren Büchern, die dem Dichter einen vollkommenen Einblick in das verschaffen könnten, was ihm aus dem ungeheuren Bereiche der wissenschaftlichen Forschung über den Menschen zu wissen Noth thut. Die in ihren Resultaten so sehr werthvolle psychologische und physiologische Fachliteratur zeigt den Bestand des Materials nur in seiner äussersten Zersplitterung. Weit entfernt, die Arbeit des einsichtigen Dichters unter der Rubrik des psychologischen Experimentes entsprechend zu würdigen, zieht sich die Fachwissenschaft in den allermeisten Fällen vornehm zurück und überlässt die Verarbeitung ihres Materials für poetische Zwecke dem Philosophen, der unter zehn Fällen neunmal die Thatsachen unter dem Vorwande der Ordnung einfach fälscht. Statt der Wissenschaft Rechnung zu tragen, suchen schaffende Poesie wie Aesthetik dann ihre Prämissen durch Studium philosophischer Systeme zu gewinnen, und der Erfolg ist, dass wir unter dem Vorwande realistischer Annäherung an die Resultate der Forschung allenthalben einer Verherrlichung Hegel'scher Phrasen, Schopenhauer'scher Verbohrtheiten oder Hartmann'scher Willkür begegnen, die mit echter Wissensbasis wenig mehr zu schaffen haben, als die alten religiösen Ideen, so geistvoll sie auch im Einzelnen ersonnen sein mögen.

Eine Anzahl vorsichtiger Geister, besonders ausübender Poeten, verschmäht mit Recht diese schwankende Brücke und stürzt sich kühn in die Detailmasse des exacten Fachwissens. Der Erfolg zeigt eine ernstliche Gefahr auch bei diesem Unterfangen. Die wissenschaftliche Psychologie und Physiologie sind durch Gründe, die Jedermann kennt, gezwungen, ihre Studien überwiegend am erkrankten Organismus zu machen, sie decken sich fast durchweg mit Psychiatrie und Pathologie. Der Dichter nun, der sich in berechtigtem Wissensdrange bei ihnen direct unterrichten will, sieht sich ohne sein Zuthun in die Atmosphäre der Clinic hineingezogen, er beginnt sein Augenmerk mehr und mehr von seinem eigentlichen Gegenstande, dem Gesunden, allgemein Menschlichen hinweg dem Abnormen zuzuwenden, und unversehends füllt er im Bestreben, die Prämissen seiner realistischen Kunst zu beachten, die Seiten seiner Werke mit den Prämissen dieser Prämissen, mit dem Beobachtungsmateriale selbst, aus dem er Schlüsse ziehen sollte, – es entsteht jene Literatur des kranken Menschen, der Geistesstörungen, der schwierigen Entbindungen, der Gichtkranken, – kurz, das, was eine nicht kleine Zahl unwissender Leute sich überhaupt unter Realismus vorstellt.

Ich habe den Weg gezeigt, wie klar denkende Dichter auf diese Linie gerathen können, und bin weit davon entfernt, das blöde Gelächter der Menge bei Beurtheilung derselben zu theilen. Es sind keineswegs die kleinen, rasch zufriedenen Geister, die in solche heroischen Irrthümer verfallen, und der still vergnügte Poet, der im einsamen Kämmerlein von Sinnen und Minnen träumt, hat für gewöhnlich nur sehr problematische Kenntniss davon, welcher Riesenarbeit sich gerade der dichtende Genius unterzieht, der im treibenden Banne seiner Gedanken bis zum Unschönsten, was die Welt im gebräuchlichen Sinne hat, dem Krankensaale, vordringt. Ein Irrthum bleibt die Einseitigkeit darum doch. Die Krankheit kann nicht verlangen, den Raum der Gesundheit für sich in Anspruch nehmen zu wollen, das unausgesetzte Experimentiren mit dem Pathologischen, also dem ganz ausschliesslich Individuellen, das eine Ausnahme vom normalen Allgemeinzustande bildet, nimmt der Poesie ihren eigentlichsten Charakter und verführt den Leser zu Irrthümern aller Art, die hinterher den ganzen Realismus treffen.

Ich halte es angesichts all' dieser Gefahren für durchaus an der Zeit, in einer übersichtlichen Darstellung diejenigen Puncte herauszuheben, die eigentlich in der Gesammtfülle des modernen naturwissenschaftlichen Materials als wahre Prämissen seiner Kunst den Dichter unmittelbar angehen. Ich möchte dabei ebensoweit von philosophischer Verwässerung wie von fachwissenschaftlicher Detailüberlastung entfernt bleiben. Was sich als Resultat der bisherigen objectiven Forschung ergiebt, möchte ich unter dem beständig beibehaltenen Gesichtspuncte der dichterischen Verwerthung klar darlegen. Das Metaphysische kann ich dabei nur streifen als nothwendigen Grenzbegriff des Physischen. Die Erkenntnisslehren der modernen Naturwissenschaft sind, wie schon gesagt, bisher in die weiten Kreise fast stets als Beiwerk in gewissen Systemen, als Stütze materialistischer oder pessimistischer oder sonst irgendwie auf einen Glauben getaufter Weltanschauungen verbreitet worden. All' diesen Bestrebungen stehe ich durchaus fern. Was der Poet sich über das innerste Wesen der kosmischen Erscheinungen denkt, ist seine Sache. Die Puncte, um die es sich für mich handelt, sind als Wissensgrundlagen massgebend für Alle, so gut wie das Wasser das Product zweier Elemente, des Wasserstoffs und des Sauerstoffs, für jeden vernünftigen Menschen bleibt, mag er nun im Puncte des Gemüthes Christ oder Jude oder Mohammedaner sein oder die heilige Materie anbeten.

Es giebt Dinge darunter, die den Dichter stärker machen werden, als seine Vorgänger waren, wenn er sie in der rechten Weise beachtet. Es giebt auch Dinge, die ein zweischneidiges Schwert sind und mit aller Vorsicht behandelt werden wollen. Im Grossen und Ganzen kann ich nur sagen: eine echte realistische Dichtung ist kein leichter Scherz, es ist eine harte Arbeit. Die grossen Dichter vor uns haben das sämmtlich empfunden, die kommende Generation wird es möglicher Weise noch mehr fühlen. Einen Menschen bauen, der naturgeschichtlich echt ausschaut und doch sich so zum Typischen, zum Allgemeinen, zum Idealen erhebt, dass er im Stande ist, uns zu interessiren aus mehr als einem Gesichtspuncte, – das ist zugleich das Höchste und das Schwerste, was der Genius schaffen kann. Wie so der Mensch Gott wird, ist darin enthalten, – aber es wird jederzeit auch darin sich offenbaren, wie so er Gottes Knecht ist. Das Erhebendste dabei ist der Gedanke, dass die Kunst mit der Wissenschaft empor steigt. Wenn das nicht werden sollte, wenn diese Beiden fortan im Kampfe beharren sollten, wenn Ideal und Wirklichkeit sich gegenseitig ermatten sollten in hoffnungslosem, versöhnungslosem Zwiste: dann wären die Gegenwart, wie die Zukunft ein ödes Revier und die Mystiker hätten Recht, die vom Aufleben der Vergangenheit träumen. Es ist in Wahrheit nicht so. Ein gesunder Realismus genügt zur Versöhnung, und er erwächst uns von selbst aus dem Nebeneinanderschreiten der beiden grossen menschlichen Geistesgebiete. Dichtung um Dichtung, ästhetische Arbeit um ästhetische Arbeit, alle nach derselben Richtung gestimmt, müssen den Sieg anbahnen. Die rohe Brutalität, von der hitzige Köpfe träumen, wollen wir dabei gern entbehren, – ich meine, die Wissenschaft ist dazu viel zu ernst und die Kunst viel zu sehr der Liebe und des klaren, blauen, herzerwärmenden Frühlingshimmels bedürftig.

 
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