Will denn in China gar kein Sack Reis mehr umfallen?

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Abenteuer Seenlandschaft

WASSER IST MEIN LIEBLINGSELEMENT. Man wirft sich hinein und alles ist eins mit allem. Schwümmn ist gottvoll; es muss allerdings Natur sein. Gechlortes Wasser geht nicht, es rötet das Auge, zerjuckt die Haut und peinigt die Atemwege.

Und so singen wir im Chor:

Tschüssi, Tschüssikowski, Chlor!

Seen und Flüsse und das Meer sowieso aber bringen es voll: die Mittelmeerküste, schottische Lochs, mexikanische Wasserfälle – ich sage nur: Tolantongo! –, der Atlantik bei Sagres im äußersten Südwestportugal, französische Flüsse:

O wie schön bist du,

La Loue!,

die Helgoländer Hochnordsee, in der Innerschweiz der Thuner See, wo der Thunfisch herkommt, und in Zürich die Limmat, denn die schimmat.

Im Nassen ist Leben, also jede Menge los. Mit Seen stehe ich auf bestem Fuß – sogar mit brandenburgischen Binsen- und Binnengewässern. Dort lernte ich schon vor Jahren schwimmend den Hodenhecht kennen; deutlich tangierte er mich, den sachteren Sacksaibling mir zuführend. Auch der zurückhaltende Anusaal, die Vorhautforelle und der zarte Brustspitzenbarsch machten mir ihre Aufwartung, und die badenden Damen erfreute der Klitoriskarpfen. Das war sehr schön, ich vergaß direkt, dass ich in Brandenburg war, im scheußlichen Preußen. Im wie gemaltbesoffen vor sich hin liegenden Mecklenburg hatte ich mich sogar fest mit der aparten Mösenmaräne befreundet, das hatte sich höchst aufregend gestaltet, war aber lange her.

Nun galt es, die sächsische Seenlandschaft zu erkunden. Täglich hieß es:

Das ersehnte Gewitter zog an Lei

pzig auch heute wieder vorbei.

So ging es auf meinem königlich-holländischen Gazelle-Fahrrad wasserwärts. Heiß war es, kochend heiß, ich fühlte mich wie ein glühender Tauchsieder, der, kaum zu Wasser gelassen, den See in einer gewaltigen Dampfwolke weg- und davonzischen würde.

Das Seeufer wurde belagert von einer großen Menge tätowierter Damen und Herren; viele der buntgenadelten Körper sahen aus wie Häuserfassaden, die besonders ideenlosen und stümperhaften Graffiti-Sprayern in die Hände gefallen waren. Wie schade. Grünblau metallisch aber hubschrauberten Libellen direkt überm Wasser, kleine Fische knupperten an meinen Beinhaaren herum, einer von ihnen sprang auch einmal an Land, aufs Trockene, wurde aber vorsichtig auf die Hand genommen und gerettet.

Gazelle, Libelle, Fischlein – als Mensch hat man vergleichsweise die Arschkarte gezogen – oder, für unsere Etetepeteren, den Schwarzen Peter. Und als wie prächtig erwies sich bald die Vielfalt des Fischlebens im sächsischen See! Zehen- und Zungenkusszander schwammen munter, ein Harnröhrenheilbutt stellte sich vor, einen Hämorrhoidenhai im Schlepptau hinter sich her ziehend; selbst der seltene Rektalrochen ließ sich blicken. Ein Schwarm Schwanzsprotten blinkte vorbei, die zarte, bildschöne Scheidenschleie gab sich die Ehre und wies eher vulgäre Popoplötzen und Skrotumstinte in ihre Schranken. Elegant zog die Schamlippenscholle ihre Kreise, sogar der äußerst rare Vulvawels wurde gesichtet, und die Partyplötze stöhnte: »Du willst es doch auch...!«

Während ich all die herrlichen Fische bewunderte und mit ihnen schwamm, stieg eine Badende ins Wasser, eine Venus, schritt durch den angenehm grobkörnigen Fußpeelingsand des Sees und rief staunend aus: »Nu isses denn möchlich: ne Fotzenflunder!« Ich wurde scharlachrot. Fotzenflunder, das hätte ich mich als Mann niemals zu sagen getraut. »Penispira­ñaaaah...!«, rief ich noch – und versank im See.

Dann verstummten, endlich helle

Mensch und Fischchen und Gazelle.

In der Wellness-Hölle

»ALLES KLAR. ICH SCHAUFEL’ mir das frei«, sagt der Mann am anderen Ende der Telefonleitung. Zwar hat er noch nie im Leben eine Schaufel in der Hand gehabt, aber gerade unsere Schreibtischhelden müssen ihre physische Männlichkeit ganz besonders betonen, und so schüppt sich der Mann eben im Kalender Zeit für eine Verabredung frei: »Okie-doke, ich schaufel mir den Termin frei. Cheerio!« Wenn er jetzt noch »Bingo!« sagte, die Rolle der Angeberlallbacke wäre perfekt besetzt.

Mächtig etwas hermachen will diese Sprache, in der Beruf und Freizeit ineinander gleiten. Bedeutsam und locker, ganz, ganz locker will das sein, geradezu zwangslocker. Das tut lässig und souverän, suggeriert Überlegenheit und ist doch den scheußlichsten Moden unterworfen. Alles klingt wie Reklame: »Wir machen den Weg frei«, »Das ist auf einem guten Wege«, »Wir haben das im Griff«. Genau: Die Sprache steckt im Würgegriff von Leuten, die sich als handelnde, bestimmende Subjekte inszenieren. Gepflegt wird ein weichgespülter Betuttelungs- und Bekochlöffelungsjargon, eine Art Wellness-Sprache, die sich genauso inflationär verbreitet wie das Wort »Wellness« selbst.

Längst bietet ein Marmeladenhersteller »Wellness aufs Brot« an, ein Schuhfabrikant zieht nach und offeriert »Wellness für die Füße«, ein Hotel auf dem erzgebirgischen Fichtelberg, in dem niemand nennenswert der englischen Sprache mächtig ist, wirbt mit einer »Wellness-Oase«.

Sauna, Dampfbad und Schwimmbecken wären zutreffender, aber zur »Wellness-Oase« aufgedunsen und aufgechict kann man die Sache teurer verkaufen. Dass der Whirlpool auf deutsch ebenfalls Whirlpool heißt, ist eine Petitesse – aber auch sie ist der Phantasielosigkeit derjenigen geschuldet, die keine Freude am Spiel und an der Bereicherung der Sprache empfinden. Ich schlage als Übersetzung für Whirl­pool übergangsweise Wirbelstrudelblubberbrausebecken vor.

Sprachkritik, die nur rechthaben will, ist uninteressant. Das gleichermaßen mäkelige wie auftrumpfende Einteilen in richtig und falsch mag die Ambitionen von professionellen Rotstiften oder Amateurdeutschlehrern befriedigen. Das ist piesepömpelig und kleinlich, ärmlich und latent peinlich. Man soll kein Rechthaber der Sprache sein, sondern ihr Liebhaber. Und also das unverbindliche und hässliche Vokabular meiden und das schöne, bildhaft sprechende, treffende suchen oder erfinden.

Es gilt, wach zu sein beim Senden und Empfangen. Der Fernsehsender 3sat preist seine Berichterstattung zu den Berliner Filmfestspielen mit den Worten »bärenstarkes Kino« an und wiederholt diese unoriginelle, aufdringliche Ver­weigerung einer Idee immerzu – »bärenstarkes Kino«, denn, Holzauge, Kino aus Berlin ist per se und vollautomatisch immer »bärenstarkes Kino«.

Sprache ist ein scharfes Instrument, wer nicht aufpasst, schneidet sich ins eigene Fleisch. Bei einem Aufenthalt in Norditalien klingelte mein Telefon; ein Kollege, der in Berlin gleich um die Ecke wohnt, wollte sich mit mir flink zum Kaffeetrinken verabreden. Anstatt zu sagen, »ich bin gerade nicht in der Stadt« oder etwas Ähnliches, ließ ich mich vom Prahlteufel reiten und sagte zwar wahrheitsgemäß, aber ganz unnötig: »Ich bin gerade im Piemont.« Kleine Eitelkeiten bestraft das Leben sofort. Der Kollege fragte ungerührt: »Und was machst du in Bad Pyr­mont?« Federleicht, so wie es sich gehört, kam dieser treffsichere Hieb durch die Leitung. Hut ab, Herr Kollege, so macht man das.

Wenn Bären zu sehr Bruno heißen

Vom Teddy zur Bestie zum Tod Chronik einer öffentlichen Entniedlichung

EIN IM GRENZGEBIET zwischen Österreich und Bayern umherziehender Braunbär entwickelte sich im Frühsommer 2006 zu einem medialen Dauerbrenner. Das Tier, getauft als »JJ1« und der erste in Deutschland gesichtete Bär seit Ewigkeiten, bekam den nach Kinderbuch klingenden Knuffignamen Bruno verpasst. Dieser Bruno aber benahm sich nicht so, wie es die Kitsch­­welt vorschreibt. Infamerweise lag er des Abends nicht Halma spielend mit Lamm und Reh und Zicklein friedlich beieinander, sondern zog seiner Wege, missachtete in Unkenntnis von Erfindungen wie Landes- und Zollgrenzen menschliche Gesetze und stillte, wenn es nötig war, seinen Hunger. Das kostete einige Schafe das Leben. Einem Bären kann man das nicht anlasten. Es ist seine Art, sich auch von Schafen zu ernähren, wenn er sie bekommen kann.Der Ton, in dem über Bruno gesprochen wurde, änderte sich rasch. Nach der anfänglichen sentimentalen Sympathie für ihn, die auf einem vermenschelten Teddybärenbild beruhte, wurde er bald zur Gefahr stilisiert, die durch illegalen Fleischverzehr den Profit und durch unkontrollierbare Anwesenheit den Menschen selbst bedrohe. Panik und Hysterie kommen medial immer gut, und so hieß es Mitte Juni, der Braunbär solle »möglichst lebend gestellt werden.« Aus welchem Film war das: »möglichst lebend gestellt«? Lief nach »M – eine Stadt sucht einen Mörder« nun »B – alle Bayern jagen einen Bären«? Ist ein Bär ein Mensch, ein Täter und Verbrecher, der »gestellt« werden kann?

Es sieht ganz so aus. Das dem Bären juristisch zur Last gelegte Delikt war seine Bärennatur, der er folgte, auch zum Nachteil von Tieren, die weniger frei und wild leben als er. Wäre er gerichtlich belangbar gewesen, etwas anderes als Mundraub hätte ihm niemand anhängen können. Was soll ein Bär machen? Heilfasten, damit man ihn süß und kuschelig findet? Sich vegetarisch ernähren und dann enden wie Paul McCartney? Der Bär ist als Allesfresser nicht nur eine Honigpfote; zu seiner ausgewogenen Ernährung gehört auch frisches Fleisch. Dieses bietet ihm das Schaf, das zum armen Opfer des Bären verklärt wird. So konnte Bruno zum personifizierten Bösen aufgebauscht werden, zur blutrünstigen Bestie – die also, aus ethischen Gründen quasi, gejagt, gestellt und erlegt werden musste.

Schafe sind wollige, furchtsame Blökies; manchmal aber singen sie geradezu magisch schön im Chor und erzeugen, wenn sie über die Weiden getrieben werden, schreitend und Gras rupfend auch rhythmisch faszinierende Geräusche. Deutsche Rumpelkapellen wie Tomte, Wir sind Silber oder Julimond könnten von Schafen also noch alles lernen, wenn sie denn das Talent dazu hätten. Allzu oft aber ist es das Domestikenlos des Schafes, der katholischen Kirche als Quell eines Menschenbildes zu dienen, das von nicht wenigen Menschen begeistert bestätigt wird: Mähend und bähend stehen sie auf der Weide herum, köddeln alles voll, tragen ihre Haut zu Markte und liefern den ihnen Vorgesetzten brav und pünktlich ab, was sie an Nutz- und Gewinnbringendem zu bieten haben.

 

Wenn ein Bär ein Delinquent ist, was sind dann die mit Chappi gedungenen Hilfs- und Hetztruppen, die man auf ihn ansetzte? Wie ein SEK-Kommando wurden finnische Elchhunde nach Bayern eingeflogen, um den Bären aufzuspüren. Wenn also Köter Söldner sind – sind dann Soldaten auch Köter? Die hündischen finnischen Brunojäger, denen der Bär nicht das Geringste zuleide tat, waren Überläufer. Durch Domestizierung wird der Hund zum Charakterschwein. Genau deshalb wird er auch »der beste Freund des Menschen« genannt.

Was stand sonst noch auf der Liste der Bärenvergehen? Entging er nicht arglistig und undankbar einer eigens für ihn importierten amerikanischen Spezialfalle? Streifte er nicht den Rückspiegel eines Autofahrers und versetzte so Familie Kasko in Existenzangst? Zerbrach er nicht auch einen Weidezaun? Sodass anschließend Kühe muhend umherliefen? Schlimm! Sogar Touristen soll der dadurch vollends wieder entniedlichte Bruno – huch! – erschreckt haben. Schluss mit knuffig!, hieß es anschließend entschieden. Gehört aber denn das charmant beiläufige und nie verbissen professionell betriebene Verscheuchen von aufdringlichen Nasen aller Art nicht zum guten Ton? Das legendäre Bühnentrio »Die Drei Tornados« kannte jedenfalls den entscheidenden Unterschied zwischen Touristen und Terroristen: Terroristen haben Sympathisanten.

Es lief der Film »Der Bär, den sie Bruno nannten«. Weitere Anwürfe wurden laut: Wenn der Bär schon ein Schaf fressen will – kann er sich dann nicht eins kaufen? Zwar hat er nicht einmal ein Portemonnaie, geschweige denn eine Hosentasche dafür. Aber kann man nicht heute überall mühelos mit Kreditkarte zahlen, die laut Werbung überall hinpasst? Na also. Und putzt der Bär sich nach so einem Schaf eigentlich die Zähne? Nein? Dann ist er auch kein gutes Vorbild für unsere Kinder und muss aus Wappen und Büchern verbannt werden wie der stromernde Huckleberry Finn, der rauchende Lucky Luke oder der Spirituosen trinkende Käpt’n Haddock.

Überhaupt tat der Bär nichts von dem, was der ihm sittlich überlegene Mensch mit Leich­tig­keit packt: Reklame für Unterhosen machen, den Dispokredit und die Staffelmiete ersinnen und zwanghaft freitag nachmittags oder samstag vormittags den Rasen mähen. Der Bär weigerte sich hartnäckig, eine Plage zu sein. Das unterscheidet ihn von Mücken und Menschen.Um ein Publikumsliebling zu bleiben, mangelte es Bruno vor allem an gewiefter Öffentlichkeitsarbeit, auch »Medienkompetenz« genannt. Er war einfach nicht kooperativ. Konnte er nicht in einer Talkshow alles einmal tüchtig durchsprechen? Oder sich ein Fußballtrikot anziehen, eine Fahne schwenken und balla-balla »Deutsch­land! Deutschland!« brummen? War das wirklich zuviel verlangt? Stattdessen ließ der Bär alle Jagd- und Fangspezialisten ziemlich alt aussehen und entwischte ihnen nach Belieben. Das verbitterte seine Häscher, die es doch nur gut mit ihm gemeint hatten.

Also wurden Elchhunde und Narkosegewehrschützen unehrenhaft entlassen. An ihre Stelle traten 1000 Jäger mit scharfer Munition. Der Bär wurde, wie das so heißt, »zum Abschuss freigegeben«. Das unbefugte Eindringen in den bayerisch-deutschen Kultur- und Rechtsraum hatte Bruno, wie mancher Asylsuchende vor ihm, todsicher zu bereuen. Am Morgen des 26. Juni 2006 wurde er im bayrischen Landkreis Miesbach von Jägern erschossen.

Teach me laughter, save my soul

Ein Besuch auf Helgoland zum 80. Geburtstag des Kinderbuchdichters James Krüss

DEN FLUGHAFEN VON BÜSUM kann man schon mal übersehen, so groß ist der nicht. Es wäre aber schade drum, denn der Tower von Büsum, der nicht viel mehr Platz einnimmt als ein zweistöckiger Zeitungskiosk, beherbergt freundliche Menschen. Der rundköpfige, entspannte Herr am Schalter, bei dem man Flugscheine nach Helgoland kaufen kann, bietet einen Zehnerblock an. Fliegen auf Zehnerkarte, das ist ja wie Sommer im Freibad.

An der Einfahrt zum niedlichen Flughafen hatte ein Bauer gestanden und landwirtschaftliche Produkte angeboten: Kartoffeln, Gemüse und hausgemachte Fleisch- und Wurstwaren, darunter auch eingelegtes Sauerfleisch. Er lädt zum Probieren ein, es ist sehr gut. »Ja«, sagt er, »und macht auch nicht dünn.«

Die Maschine aus Helgoland ist in Büsum gelandet, kurz darauf fliegt sie retour, inselwärts. Das Flugzeug hat, den Piloten mitgerechnet, Platz für zehn Menschen. Etwas älter ist das kleine Transportmittel auch schon. Flugängstliche können sich hier im Schockverfahren heilen: Wer in so eine Rumpelbüchse steigt, lässt die Angst zurück. Die zweimotorige Propellermaschine macht ordentlich Geräusch, der Pilot ist völlig lässig, das Flugzeug schaukelt sich auf 1.000 Fuß hoch, die fünf Passagiere kucken auf die unter ihnen kabbelig sich bewegende See, sehen Sandbänke und sogar Seehunde und Robben. Nach 20 Minuten landet die Maschine auf der Helgoländer Düne, man fährt noch ein bisschen Kleinbus und Fähre, und dann betritt man Helgoland, den Geburtsort des Dichters James Krüss.

Zu Krüss’ 80. Geburtstag am 31. Mai 2006 lud seine Nichte, Kirsten Rickmers-Liebau, als Ver­treterin der Krüss-Erben. Das üppige Werk des großen Humanisten und Kinderbuchschriftstellers Krüss soll neu entdeckt und geehrt werden. Schüler von James-Krüss-Schulen haben Aufführungen seiner Texte vorbereitet, Musiker und Sängerinnen Vertonungen seiner Gedichte einstudiert, Krüss-Illustratoren zeichnen live vor Publikum, Verleger und Freunde sind da, es gibt Lesungen in der kleinen Gemeindebücherei und im noch kleineren Helgoländer Standesamt, das in einer ehemaligen Hummerbude untergebracht ist. Es ist ein buntes Holzhäuschen, in dem die Hummerfangkörbe aufbewahrt wurden, als vor Helgoland noch nennenswerte Mengen Hummer gefangen wurden.

Hummer sind hier längst äußerst rar geworden, jetzt fängt man Taschenkrebse, deren Scheren, die Knieper = Kneifer, aus gutem Grund hart gepanzert sind: Sie enthalten köstliches Krebsfleisch. Die gastfreundliche Familie Rickmers-Liebau lädt die ganze Krüss-Feier-Gesell­schaft ein, die Knieper werden im Licht der Dämmerung verzehrt, auf der Insel ist gerade Stromausfall. In seiner »Historie von der schönen Insel Helgoland« dichtete James Krüss: »Irgendwo ins grüne Meer / Hat ein Gott mit leichtem Pinsel, / Lächelnd, wie von ungefähr, / Einen Fleck getupft: Die Insel. // Und dann hat er, gut gelaunt, / Menschen diesem Fels gegeben / Und den Menschen zugeraunt: / Liebt die Welt und lebt das Leben!« Man beachte den Dativ: Nicht den Menschen gab Gott den Felsen Helgoland, sondern er gab, umgekehrt, diesem Felsen Menschen. Die Reihen- und Rangfolge ist damit klar.

Doch wer hört schon auf einen Dichter? Helgoland, statt als kleines Paradies betrachtet zu werden, wurde zweimal zur militärischen Festung ausgebaut, mit bösen Folgen für die Helgoländer: Bei Kriegsausbruch im August 1914 wurden sie zwangsevakuiert. Auch Hitler und seine Admiräle wollten von Helgoland aus die Deutsche Bucht strategisch kontrollieren. Der Größenwahn endete mit dem Bombardement am 18. April 1945; an diesem Tag hatten einige Helgoländer unter Anführung von Eäk Fink die Besatzung Helgolands überwältigen und die Insel den Alliierten kampflos übergeben wollen. Die Männer wurden verraten und in Cuxhaven exekutiert. Nach der Bombardierung mussten die Helgoländer ihre Insel verlassen. 1947 versuchte das britische Militär vergeblich, Helgoland mit dem »Big Bang« einfach wegzusprengen und benutzte die Insel anschließend als Bombenabwurfübungsplatz. Erst 1952 kehrten die Helgoländer zurück.

Es wundert nicht, dass James Krüss, bei aller Leichtigkeit und Entspanntheit seiner Texte, zeit seines Lebens ein leidenschaftlicher Antimilitarist war. Der auch ein Mittel wusste gegen militärische Gemeinheit, das er in »Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen« aufschrieb: »Teach me laughter, save my soul« – lehre mich Lachen, rette meine Seele.

Die Krüss-Feierlichkeiten enden mit einem langen bunten Abend in der Helgoländer Nordseehalle. Anderntags fährt wegen des stürmischen Wetters kein Schiff. Aber ein einmotoriges viersitziges Flugzeug fliegt, es ist noch viel lütter als der Zehnsitzer vom Hinflug. Pilot und Vertrauenerwecker ist ein blonder Friesenriese. Sicher landet er in Büsum. Als eine Passagierin sich für den so aufregenden Flug bedanken will, lächelt er und sagt: »Ich krieg mal ‘nen Süßen.« Woraufhin die Frau ihm mit sichtlicher Freude einen Kuss auf die Wange drückt. Beim Abschied sehen wir im Tower einen rundköpfigen Herrn, der James Krüss ähnlich sieht. Er winkt freundlich.

Vom Muckefuck zur Schaumschlägerei

Aus der Welt der Kaffeerituale

LANGE BEVOR ICH MEINE ERSTE TASSE Kaffee trank, war ich gründlich vor diesem Getränk gewarnt worden. »C-a-f-f-e-e, trink nicht sovie-hiel Ca-haf-fee«, sangen wir in der Grundschule. Der kanonische Rundgesang lehrte, der »Türkentrank« mache, ganz wie es das Gesetz des Reimes verlangt, tüchtig »krank«. Zum Schluss mahnte das Lied sehr deutlich: »Sei doch kein Muselmann, der ihn nicht lassen kann!« Was ein Muselmann war, wusste ich überhaupt nicht, sang das Wort aber gern. Vielleicht hatte er etwas mit Pampelmusen zu tun? Die waren auch gerade ganz neu in mein Leben gerollt: Pampelmusen. War der geheimnisvolle Herr Muselmann ganz aus Musen zusammengepampelt? Und konnte er deshalb die Finger nicht vom Kaffee lassen? Es war alles höchst rätselhaft.

Bei der Großmutter väterlicherseits gab es sogenannten Kinderkaffee. Hierbei handelte es sich um Ersatzkaffee aus Gerste oder Malz. Dieser Caro Kaffee war ganz offensichtlich ein Überbleibsel aus schweren Jahren und schlechten Zeiten. Das Pulver wurde auch Muckefuck genannt, ich fand das Wort lustig, aber es war eher abschätzig gemeint. Mit nahezu ehrfürchtigem Timbre, gewissermaßen mit Ausrufungszeichen, wurden dagegen die Worte »echter Bohnenkaffee« ausgesprochen. Das war eine Kostbarkeit, die man sich nur selten leistete und gönnte. Bei der Großmutter mütterlicherseits durfte ich den schwarzen Sud mit viel Milch und Zucker probieren. Er duftete verlockend, der Reiz des Verbotenen tat das Seine zur Magie hinzu. Ich wurde aber nicht süchtig und bin bis heute kein Pampelmuselmann.

In unschöner Erinnerung geblieben sind mir spätere Kaffee-und-Kuchen-Rituale an Geburtstagen; da hatten ganz offenbar die Erwachsenen etwas nachzuholen. Die bloße Tatsache, dasitzen, mehrere Stücke Kuchen und Torte aufessen und dazu soviel Bohnenkaffee trinken zu können, wie man nur wollte, erfüllte die Tantenrudel mit sichtlicher Genugtuung. Der Kaffee-und-Kuchen-Terror war ein Wert an sich. Der Genuss bestand darin, sich ihn leisten zu können.

Der Kaffee selbst war scheußlich: vakuumisiertes Zeug, das einen sauren Geruch wie von Achselnässe verströmte. Dieses Malodeur blieb dem Getränk auch nach der Zubereitung voll erhalten; »Verwöhn-Aroma« hieß und heißt das in der Werbung. Aus der man lernt, dass Mühe allein nicht genügt: Ohne die von führenden Giftmischern zusammengepresste »Krönung« wird man den Gipfel der Abscheulichkeit niemals erfolgreich erklimmen.

Von »Filter-Frio-Verfahren« und dergleichen Halunkereien mehr war zu jener Zeit die Rede; getrunken wurde die Kaffeebrühe mit Kondensmilch, die in feineren Haushalten aus der Blechbüchse in ein Sahnekännchen umgefüllt wurde. Kondens war Konsens, im Reklamefernsehen wurde die Marke »Glücksklee« angepriesen, ein infantiles »Nichts geht über Bärenmarke, Bärenmarke zum Kaffee« abgesungen oder mit holländischem Akzent für »B&B«-Kondens­milch geworben: »Dröpche voor Dröpche Qualiteit.«

Da lag Flucht nahe. In alternativ sich empfindenden und gerierenden Milieus war Kaffee verpönt. Hier blieb der Dreck der Welt im Teesieb oder Teenetz hängen, hier galt als gut, wer tiefer schürfte oder doch wenigstens schlürfte. Wer Tee trank, hatte Zeit, und der Gedankengang käme dann von ganz allein – man musste nur daran glauben und eintauchen in den Dampf der Suggestion. Die Verwertungsstrategen des Konsumismus wurden auch im Teetrinkersektor zielgruppentherapeutisch tätig. »Father and Son« von Cat Stevens, eine zeitgenössische Kopf­wacklerhymne, wurde für die Teewerbung um­getextet: »Wenn der Teekessel summt und der Gold-TeeFix duftet, hat man’s gut, hat man’s gut, ja dann hat man’s wirklich gut, ja dann, dann hat man’s gut...«

 

Mit Menschen, die fünfmal am Tag gedehnt »Willsten Tee?« oder, noch teeiger, »Magsten Tee« fragen, ist es nicht auszuhalten. Also gab es wieder Kaffee. Überall im Land prötterten Kaffeemaschinen den Filterkaffee durch, der dann stundenlang auf der Warmhaltekonsole simmerte, eindampfte und vor sich hin verbitterte, bis er vollends nach gegerbtem Leder schmeckte. Die Rettung kam aus Italien und hieß Espresso, von vielen Landsleuten Expresso genannt. Sie zogen auch die Variante mit Haube oder Kapuze vor – Capuccino, also Caffè mit heißer oder aufgeschäumter Milch. Im deutschen Café wurde als Capuccino allerdings Maschinenkaffee mit Sahne serviert, die manchmal geschlagen wurde, meist aber Sprühkunststoff aus der Flasche und weit besser zum Rasieren geeignet oder als Dichtungsmasse beim Fenstereinbau zu verwenden war.

In italienischen Eiscafés oder Restaurants dagegen standen gewaltige Espressomaschinen, schimmernde, gewienerte, liebevoll geblitzblankte Monster, fauchend und dampfend wie der Drache Smaug und so groß und so kostspielig wie ein Kleinwagen. Aus diesen Getümen kam das schwarze Destillat, das zum Wachwerden, Wachbleiben oder zum Abschluss einer Mahlzeit zu sich genommen wird, also eigentlich immer. Endlich war die Kaffeezivilisation in Deutschland angekommen.

Und ist, weil ungeliebt, auch gleich schon wieder weg. Schaum heißt der Schaum der Tage, es gibt nichts, das nicht aufgeschäumt würde in den Küchen des Landes. Jägersoßencapuccino? Bitte sehr, und auch der Kaffee wird in macchiatisierter Form zu sich genommen, aufgeschäumt, fluffig und gehaltfrei wie die Gehirne der Menschen vom Stamme Macchiatio.

Die Duzbuden, in denen die Macchiaten hocken oder ihren »Coffee to go« bestellen, also Kaffee zum Davonlaufen, sind hochliterarisch benannt, nach Honoré de Balzac oder nach Starbuck, einer Figur aus Herman Melvilles »Moby Dick«. Der eigene literarische Ausstoß der Kaffeehöker ist eher esoterischer Sondermüll, abgefasst in aufgeschäumter Sprache:

»Willkommen im Starbucks Coffee House! Ein ganz besonderer Ort – speziell für Sie. Viele Menschen kommen in ein Starbucks Coffee House, um den besten Kaffee der Welt zu genießen. Andere kommen, um nachzudenken, mit Freunden zu plaudern, Musik zu hören oder um an lokalen, sozialen Projekten teilzunehmen. Das sind nur einige von tausend Gründen, warum Menschen ein Starbucks Coffee House besuchen. (…) Mehr als 117.000 Menschen arbeiten für Starbucks. Diese Menschen – unsere Partner – sind die Grundlage unseres Erfolges. Und gerade weil wir ihrem Einsatz und ihrer Leidenschaft so viel verdanken, ist es für uns besonders wichtig, ihnen zu zeigen, wie sehr wir sie schätzen und respektieren. Daher befassen sich die ersten zwei Prinzipien unseres Mission Statements mit unserer Verantwortung gegenüber unseren Partnern. Wir schaffen uns ein großartiges Arbeitsumfeld und behandeln uns mit Respekt und Würde. Wir sehen Vielfalt als wesentlichen Bestandteil der Art und Weise, wie wir unser Geschäft betreiben.«

Rundum dufte ist die Starbucks-Mission-Statement-Welt: alles wird angepartnert, alles ist großartig. Genauer nennt man das so altmodisch wie zutreffend Kapitalismus und Ausbeutung. Die weichgebrabbelten Kaffeekonsumenten aber sitzen in der Schaumgummizelle, zeigen Milde-Sorte-Gesichter vor und rufen immerzu den eigenen Namen: »Macchiato! Macchiato!« Oder, weil sie nicht einmal ihren eigenen Namen richtig aussprechen können: »Matschiato! Matschiato!« Haben die noch alle auf der Latte? Die Warnung »C-a-f-f-e-e, trink nicht sovie-hiel Ca-haf-fee« befolgen sie jedenfalls ganz brav: Macchiaten trinken nicht Kaffee, sie löffeln Schaum.

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