Der Ohrfeige nach

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Der Ohrfeige nach
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Читает Wiglaf Droste
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Korrekturfraktur

Wenn eine sich »Korrekturprogramm« nennende Terrororganisation, gegen die beide RAFs, also die Royal Air Force wie auch die Rote Armee Fraktion, und, um den schönen Schrecken zu vervollkommnen, dazu ebenfalls die von beiden gern genommene, vulgo also »eingeworfene« Alkaida Seltzer als ein »gemütliches Beisammensein« von allerlei schon in den Siebzigerjahren »Seniorengruppen« genanntes, fideles Trüppchen älterer, recht bummellustig und unzerstörbar rüstig zu Busreisen aller Art aufgelegtes Völkchen aufschimmern, von dem ein »Pfundskerl«, was ein Zwielicht- wie Zwillingsdeutschwort von »Erschießungskommando« ist, also ein Synonym für Richard von Weizsäcker, wegen mangelnder revolutionärer Kompetenz oder auch Kontinenz in der warum auch immer sonst, aus dem nicht allzu ungewöhnlichen Wort »wegen« aus derjenigen Art schierer Willkür, die nur existiert, weil »Willkür«, warum auch immer?, stets »schier« zu sein hat, das Verb oder auch Tuwort »bergen« macht, was mir, dem alten Arbeitersamariter, und ich bekenne es, von mir also von der Welt aus mitunter angespiene, oder, nicht allzu unguten guten Menschen, und diesen Satz sollen mir ungerührte Rühreier wie, um exemplarisch noch kurz, aber akademisch bescheiden, auszuholen, Dietmar Dreht am Rad und Jürgen Droht und Verbrecher versuchen in Berlin einen Teppich zu verlegen, erst einmal nachmachen, denn vormachen können sie ihn mir nicht, was sie freuen könnte, wenn sie denn wüssten, wie das geht, sich freuen, und weil auch der außerhalb jedweden derridaiden Quarks ein Satz, um ein Satz zu sein und zu werden – sein und werden, darüber ließe sich mancherlei piekfeines Feuilleton zusammenerbrechen, das machen wir dann im nächsten Lehrjahr, aber jetzt ist, wie man so sagt, wenn man es so sagt, »gut für heute« – also nicht für die »guten Leute«-Leute, über die schon Brecht ... doch nein, es reicht mir oder reimt sich gern auf mich beziehungsweise rächt sich.

Fakultativ I und II

Man kennt, wenn man ihn kennt oder das zumindest sich erwünscht, den Nominativ und auch den Akkusativ, der erfreulich wenig mit den Akku-Schraubern gemein hat, den die »Ich-bin-ja-nicht-blöd!«-vulgo-»Yippieh-ja-ja!«-Sager als Kopfersatz bei sich tragen, wenn auch noch nicht als die Rollkoffer, die sie längst schon sind, daran arbeiten sie noch globalnational, also »arbeiten« in dem Sinn, den solche Leute oder ihre Presseabteilungen eben für Arbeit nicht nur ausgeben, sondern auch tatsächlich halten. Muss man auch erstmal können oder sogar, auch ein Wort für Solchemolche, »erlernen«.

Dann gibt es noch den Flachwietiv, so hats der Medienprengel oder -sprengel ganz besonders gerne, und obendrauf oder auch untendrunter, ist in dem Fall tatsächlich so egal wie Jacke wie Hose, auch noch das Dativ und dem Genitiv, weil jemand damit Geld verdienen muss, dass deutsche Deutschlehrer über sowas lachen. Was die dann auch zuverlässig tun, denn alleine dazu sind sie da, selbstverständlich abgesehen von dem, was sie »Freizeitgestaltung« nennen, also Frau und Kinder, Singular ist Plural und sosowieso egal, öftermal ist öftermal.

Zur reinen Freude existieren aber auch der Intuitiv, der Impulsiv und der Fakultativ, und alle drei in ihrer nicht vergleichlichen, mir am schönsten aufzuschimmern scheinenden Trias des Menschengeschlechts, wollen mir so wohl gefallen, dass ich sie weder dem allgemeinen, prostitutiven Wohlgefallen ausstellen noch einem beurteilenden Vergleich aussetzen möchte.

Wenn ich jedoch, und sei es nur für einmal, dem Fakultativ den Vorzug gebe, dann allein aus Gründen des Klangs. Des Menschen, Medien fassungslos bestarrend, tiefster Fall, ist der dort wahr-, doch nicht im Sinne einer Wahrheit angenommene Fuckyou!-ltativ, und der ist selbstverständlich, ultima- und defini-, nein, delphinitiv, denn Greenpiv sitzt in jedem Ri-Ra-oder-sonstwie Reise-Rettungsboot, weswegen »delphinitiv« bleiben wird, wofür und zu wessen Werken und Zwecken auch immer.

Post Scriptum: (nicht Post Skrotum, allein schon deshalb, weil allein der Klang des Wortes mich recht lange abzustoßen in der fürchterlichen Lage wäre):

Nachdem ich neulich, oder wie Omma immer so schön sagte, »erstens« mit dem Wort »fakultativ« gespielt hatte, schrieb mir Freund und Kollege Friedrich Küppersbusch: »›Fakultativ‹ begegnete mir bei einer Recherche durchs bierfürzige Land der Burschenschaften. Wo jene, die noch Alter Herren Geld versoffen, doch schon dafür nicht mehr im Gesicht metzgern wollten, sich ›fakultativ schlagend‹ nannten im Gegensatz zur ehedem ›Pflichtmensur‹. Allerdings waren die Burschen, so oder so, allesamt dumm, Klaftertiv.« Womit der Klaftertiv als Fall in die deutsche Falle ja auch zauberhaft versenkt ist.

»Burschen«, erinnerte ich mich, hatte ich vor gut 20 Jahren in einer Veranstaltung an der Uni in JenaoderErfurt erlebt, wo diese Müllwürfel wieder frei herumlaufen durften, weil alles, was in der DDR verboten war, ja nun nach dem großen Andersrumunddumm also gut sein musste.

Die Burschen waren so fies, wie sie sich mutig Feigheit angetrunken hatten; Michael Stein und ich warfen sie zwei gegen fünf aus dem Saal, ohne Gewalt, nur mit der Macht des Wortes und der Klarheit, dieser Macht des Wortes auch ohne Worte zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn das denn sein müsste, und so verzogen sich die kokardierten Möchtegernherrn der Welt, die uns oder unsere Texte, die sie allerdings als »Schrifttum« deutsch­denunziert hätten, zwar überhaupt nicht kannten oder, Schon mal die Birne!-birnemäßig, zur Kenntnis gar nicht hätten nehmen können, aber so allgemein wie hundsgemein »mal was gegen Linke« machen wollten, für die sie uns, und da lagen sie, obwohl sie davon, was das ist und will und meint und vielleicht werden könnte, nicht die geringste Ahnung hatten, ausnahmsweise einmal gar nicht völlig falsch.

Sie waren übrigens allesamt selbstverständlich Akademiker, was, wie Geschichte lehrt, gegen das Niedrige noch nie geschützt hat, sondern im Gegenteil beim Niedrigen in dem steht, was das Niedrige dann »Ansehen« nennt.

Ich dachte, in einem schlechten Kostümfilm zu sein und war es auch. Die Burschen, die sich als »echt« empfanden, waren echt, also »echt« im Sinne von »echt geil, Alter!« oder, elterngenerationsgespensterhaft noch eine Runde vorher drehend, »Echt authentisch, dieses Nein, Eleven!, und das Christo heißt jetzt Karstadt oder Reichs­tag!«, wegen dem oder, darauf legen wir, weil es ja um Werte geht, sehr Wert beziehungsweise »des Wertes«, was das Akademische für das »Milieu« beziehungsweise also ganz egal Mülljö hält, das es, klassisch, ist.

Dankbar und demütig

»Wir müssen dankbar und demütig sein«, sagt der Schauspieler. Er sitzt im Fernsehkasten, in der Talkshow, und macht Werbung für seinen neuen Film, der, wie könnte es anders sein, »eine große Herausforderung« war, »a challenge« eben, und gerade speziell mit diesem Regisseur – wie hieß er noch gleich? – »zu arbeiten«, war selbstverständlich »eine großartige Erfahrung«, aber na klar, was denn sonst.

Als »reisender Artist«, wie der verehrte Dichter und Vortragskünstler Joachim Ringelnatz sich bezeichnete, hat man der Natur der Arbeit gemäß mit vielen Leuten zu tun; es hat sich aber eingebürgert, dass Schauspielerinnen und Schauspieler nach getaner Arbeit noch das betreiben, was der Brite kühl als »brown-nosing« bezeichnet, als das Kriechen aus Kalkül oder Neigung – oder, dann geht es am reibungslosesten, einer Mischung aus beidem. In entsprechenden Künstlerkreisen nennt man das Professionalität.

Doch nicht nur vor Produzenten, Regisseuren und berühmteren Kolleginnen und Kollegen wird auf dem Bauch gelegen, auch das Publikum wird, um eine andere Phrase zu zitieren, »mit ins Boot geholt«, gern mittels der Behauptung »Wir müssen dankbar und demütig sein« – und zwar dafür, dass ein im Normalfall allzu duldsames Publikum angesichts der Darbietungsqualität nicht Reißaus nimmt, sondern gutmütig oder auch nur entkräftet ausharrt bis zum Ende.

Selbstverständlich stände radebrechenden Kleiderständern wie beispielsweise Frau Ferres, Herrn Schweiger oder dem dauerschmunzelmuffenden Heinz-Rühmann-Wiedergänger Liefers echte Demut an; dass sie für ihr Simulantentum mit Geld, Ruhm und Bewunderung reich­lich versorgt werden, sollte sie tatsächlich dankbar und demütig stimmen.

Aber wie es so ist im Gewerbe: Die beste Demut ist die öffentlich ausgestellte, die kostet nichts, und sonst hätte man ja auch nichts davon. Dabei gilt die alte Regel: Was die Leute vorne ins Schaufenster legen, das haben sie hinten nicht am Lager.

Es ist eben so, wie der jüdisch-texanische Schriftsteller und Musiker Kinky Friedman in seinem ersten Kriminalroman »Greenwich Killing Time« schrieb: »Im Schauspielergewerbe ist Ehrlichkeit das Allerwichtigste. Wenn man die heucheln konnte, dann konnte man auch fast alles andere.« Also auch dankbar und demütig sein, zum guten Zweck der Selbstreklame.

Was mit der Sprache passiert, wenn aus Leipzig »Hypezig« wird

Leipzig heißt jetzt »Hypezig«. Das vermeldete zumindest die Gruner & Jahr-Illustrierte stern im Herbst 2013 und fand das, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt, ganz toll.

»Hype Hype Hurra« lautet die Überschrift eines stern-Kommentars, der »Massenbegeisterung als Grund zur Freude« feiert und diese zweifelhafte Weltsicht auch der Stadt Leipzig an- und umhängen möchte. »Ist es nicht schön, dass Deutschland endlich auf eine Stadt im Osten guckt, die nicht Berlin ist – 24 Jahre nach der Wende? Auf ihre Geschichte, die Kunst, die Kneipenkultur, die Musik und Modeszene. Der Hype weist den Weg«, schreibt die stern-Autorin.

 

Abgesehen davon, dass die Formulierung »Wende« durchaus zum Arsenal des Propagandavokabulars gezählt und durch »das große Andersrum« oder durch »Annexion« ersetzt werden könnte, ist ein Satz wie »Der Hype weist den Weg« nicht nur peinlich wegweiserfixiert, sondern vor allem Ausdruck einer trostlosen Affirmation des Vorgefundenen. Was einem von der Werbung als großartig um die Sinne gehauen wird, muss großartig sein und ist also auch großartig, schließlich gibt es nichts anderes, da sind die Apologeten des Hype bei der angeblichen »Alternativlosigkeit« angelangt, jenem so aggressiv wie redundant eingesetzten Instrument der Denk- und Diskussionsbeendigung, Einschüchterung und Erpressung zur Unterwerfung.

Ein Hype, auf deutsch das organisierte Übertreiben und Aufbauschen zu Zwecken der Selbstausstellung, »lenkt« laut stern »den Blick auf etwas, das uns bisher entgangen ist«, drückt einem also penetrant und übergriffig etwas auf, das man hanskuckindieluftig glücklich oder mit Absicht ignoriert hat. Diese Aufdringlichkeit wird zumindest beim stern goutiert. »Ein guter Hype bedeutet Spaß, gerade weil er übertrieben ist und unvernünftig.« Wo Lebensfreude sich aus gesteuerter Hysterie generieren muss, hat die Depression längst das Regiment übernommen.

Deutlich wird das auch, wenn Leipzig beziehungsweise »Hypezig« als »The better Berlin« bezeichnet beziehungsweise eben »gehypet« wird: Leipzig ist besser als Berlin? Noch besser? Noch besser als die Hauptstadt des prekären Lebens, das sich als »kreativ« ausgibt, wenn es mit mindestens einem Bein in der existentiellen, künstlerischen und materiellen Prostitution steht? Wer das als Fortschritt feiert, hat nichts Gutes im Sinn – beziehungsweise »nischds Gudes«, wie man in Leipzig sagt, aber das ist selbstverständlich nicht »Hypezig«-tauglich.

Vom Dummen ins Dreiste rutscht der stern-Text, wenn auch noch Gustave Le Bons im Jahr 1895 veröffentlichtes Buch »Die Psychologie der Massen« in die Kronzeugenschaft für das gleichermaßen krude wie hilflos trend­anflanscherische »Hype«-Gerede gezwungen wird. »Um Menschenmassen zu begeistern, müssten ihre Emotionen angesprochen werden«, subsummiert die Autorin, »wichtig sei dabei auch, einfache Botschaften und Bilder stetig zu wiederholen.« Um dann fröhlich auszuposaunen: »Das ist in Zeiten von Twitter und Facebook einfacher als je zuvor.«

Nur dass Le Bon eben nicht schrieb, um die Massen in den Irrsinn zu peitschen, sondern um sie vor ihm zu bewahren. Aber Le Bon arbeitete ja auch nicht für eine »Hype Hype Hurra«-Illustrierte.

Sich eine Platte machen

»Und, machst du ’ne Platte?«, fragte mich eine Freundin und Kollegin, nachdem ich ihr ein Lied schickte, das ich sang. Der Klang ihrer Antwort freute mich sehr: dass jemand »Platte« sagt und nicht CD oder »Tonträger« oder »Produkt«. Kein Wunder, die feine Frau ist, wie auch ich, vom Jahrgang 1961, der nicht nur beim Wein schmeckt. In dem Jahr haben wir die Mauer gebaut, also ich selbst jetzt nicht, am 13. August 1961 war ich erst 47 Tage alt, aber sogar im Säuglingsalter kann man bereits Akte der Zivilisation erleben, die man erst später als solche wahrzunehmen im Stande – oder sagt man klein- und zusammengeschrieben und also ohne den Stand, imstande ? – ist.

Mein Bargeld war alle, und so ging ich, weil ausschließlich Bargeld so lachen kann, wie eben nur Bargeld lacht, »Geld ziehen«, also in die sparkassitive Automatenwirtschaft, die man »Freiheit« nennen könnte, wenn man an die Bedeutung dieses schönen, großen Wortes keinen Gedanken zu verschwenden bereit wäre.

In der Geldabholestelle lagen drei Männer meines Alters auf dem Marmorboden, sie sahen äußerlich recht herabgesunken aus und dünsteten auch nicht bestens; der Anblick »dauerte mich«, wie das im Grimmschen Märchen heißt, in der Sprache derer, die immerhin das Wagnis zu unternehmen versuchen, auf dem vorgegebenen Weg in die Idiotie hin und wieder auf eine Art und Weise zu straucheln, die zu erleben und zu betrachten sich eventu- und spirituell lohnen könnte.

Die drei Herren hatten, wie man im Jargon der Obdachlosigkeit sagt, »Platte gemacht«, ich stand am »Spu­cki« genannten Geldspuckautomaten, sah, dass ich mehr hatte als ich brauchte und »zog Geld«, und dann gab ich den drei wahren Bohemiens Kaurismäkischer Prägung einen Zwanni, »ein Pfund«, wie der Berliner sagt, und bat die, wie meine Omma sie genannt hätte, Tippelbrüder, etwas zu ihrem und auch zu meinem Wohl zu trinken. Sie bedankten sich sehr. Ich ging, und draußen, in der unwirtlichen Straße, schämte ich mich, für die Welt und ihre Beschaffenheit und dafür, dass ich so wenig gegeben hatte.

Heimwärts lief ich, zur Schönen, um ihr zu berichten, die aber, bevor ich beginnen konnte, ganz ihrerseits über jemanden sagte: »Der macht sich da überhaupt keine Platte«, womit gesagt war, dass der Erwähnte sich keinen Kopf machte, keinen Gedanken, keine Birne, keinen Kösel, der also die höchste aller Lebenskünste beherrschte, aber bevor ich auch darüber noch hätte grübeln können, begann ich doch lieber zu kochen.

Ein Butziwacki, ein Orkan, eine eigene Liga
Über Horst Hotte Tomayer

Nachdem Ulrike Kowalsky Ende der Achtziger Jahre als Medienredakteurin der taz in den Sack gehauen hatte, organisierte sie ein mehrtägiges Lesefestival im Berliner Eiszeit-Kino, das sie »Maulaffen« nannte. Eingeladen war auch das Duo Ernst Kahl und Horst Tomayer, den Ulrike, die gebürtige Münchnerin, »Tomayerli« nannte oder auch zart einen »Süßi«, eine Auszeichnung, die sonst gerade mal dem schönen Schauspieler Victor Mature in seiner Rolle als Doc Holiday in John Fords »My Darling Clementine« zugestanden wurde, und als einen »Butziwacki« bezeichnete sie Tomayer auch. Denn der Mann, der auf der Bühne ein rhetorisch-stimmliches Fegefeuer entfachen konnte, war wesenszart, scheu und dezent.

Gitarristisch begleitet von Ernst Kahl sang Tomayer auf die Melodie der »Moorsoldaten« sein Lied zur Erkämpfung der 35-Stunden-Woche: »Dafür haben unsere Väter nicht gelitten noch gekämpft / Dass man unsere Forderungen wie die Pellkartoffeln dämpft / Ihr Bosse und ihr Kunden / 35 Stunden sind genug...«

Tomayer hinterließ bei denen, mit denen er arbeitete, Spuren. Für das »Kritische Tagebuch« (KT) beim WDR-Radio schrieb er Glossen, die Björn Blaschke, heute Radiokorrespondent aus dem Nahen Osten, als KT-Redak­teur sammeln und als Buch oder Hörbuch veröffentlichen wollte. Tomayer sagte zögerlich zu, er sah sich nicht als Mann für die Ewigkeit, und ein Hörbuch oder Buch mit seinen Radiotexten ist dann auch nie erschienen; vergessen hat sie dennoch niemand, der sie hörte, vorgetragen in Tomayers bayerischer Mund-Art und mit einem einzigartigen Ingrimm.

Friedrich Küppersbusch schrieb, »Tomayer lieferte Glossen in WDR-Radiosendungen, das ist meine älteste Erinnerung an ihn. Weil sie funkelten in seinem Sprechen und seiner Sprache und oft mit größtem Furor scheinbar Nebensächliches behandelten. Eine rasende Aufzählung von Zivilisations- und Popkulturwichtigkeiten, erinnere ich mich am deutlichsten, handelte von der eben-nicht-Binse ›Nehmt Euch nicht so enorm wichtig‹.« Küppersbusch betont, dass Horst respektive Hotte Tomayer »seine eigene, inkorrupte Liga war«.

Rayk Wieland ehrt Tomayer als einen Mann, »der stets und entwaffnend paradox auf der Seite derer war, die nun gar keine Partei hatten, sei's der ›Lifta Treppenlift‹, sei’s ›Paul, der Pornofilmregisseur‹, sei’s die Amsel, die er, Tomayer, als ›Amselleibgardist‹ gegen die Hauskatze mit dem Gewehr seiner Reime im Anschlag in Schutz nahm.«

Klaus Bittermann schreibt in seinem Nachruf: »Zusammen mit Tomayer auf der Bühne zu sein war ein großes Vergnügen. ›Ihr habt das Zeug zu mehr als nur Publikum‹, sagte er am Schluss, fotografierte es und hatte sichtlich keine Lust aufzuhören. Die Zuhörer kamen sich häufig vor wie bei einem Orkan, der unerwartet über sie hereingebrochen war.«

Als Tomayer bei unserer letzten gemeinsamen Lesung in Leipzig sein großes Lamento »S.O.S. Fellatio« vortrug, klammerten sich in den ersten Reihen junge Studentinnen an ihre gleichfalls juvenilen Begleiter. Vor einem Mann, der in großzügig lebenserfahrenem Ton berichtete, das männliche Glied schmecke durchaus »nach Ellenbogen oder Lineal«, aber auch »Madame Ehüm« dufte eben auch nicht immer »wie ein hochsommerlicher Himbeerhain«, hatten die jungen MenschInnen Manschetten. Dabei war Tomayers Suada reiner Humanismus.

Tomayer war groß; er starb, wie Ulrike Kowalsky, an einem Gehirntumor. Und dabei habe ich so fest glauben wollen, dass vor Tomayers zärtlicher Sturmbögrandezza noch Tod und Teufel entweder den Hut gezogen hätten oder doch lieber ausgerissen wären.

Kunstmissbrauch in der SZ

Seit gut 20 Jahren malt Ernst Kahl jeden Monat ein Bild für das Magazin Der Feinschmecker. Ich kaufe das Heft zwar nicht, nehme es aber am Kiosk in die Hand und blättere zu »Kahls Tafelspitzen«; es nicht zu tun, würde mich einer großen Freude berauben. Auf einem dieser Bilder ist ein Gourmand zu sehen, ein gieriger Vielfresser, der im Bett liegt, mit fieser Visage, Reißzähnen und Teufelshörnern, der Messer und Gabel schon umklammert hat, weil ihm das Frühstück gebracht wird. Es ist eins dieser schauderschönen, abgründigen Bilder, für die Kahl, ein Großmeister der komischen Malerei, von Kennern geliebt und von Angsthasen gefürchtet wird.

Am 2. Juli 2013 staunte Ernst Kahl nicht schlecht, als er per Telefonanruf davon erfuhr, dass genau dieses Bild in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt war, versehen mit der Bildunterschrift: »Deutschland serviert. Seit Jahrzehnten wird Israel, teils umsonst, mit Waffen versorgt. Israels Feinde halten das Land für einen gefräßigen Moloch. Peter Beinart beklagt, dass es dazu gekommen ist.« Was war passiert?

Auf der Seite »Das politische Buch« stand unter der Überschrift »Der Niedergang des liberalen Zionismus« eine Doppelrezension: Der Autor Heiko Flottau widmete sich Peter Beinarts »Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft« und Werner Sonnes »Staatsraison? Wie Deutschland für Israels Sicherheit haftet«.

Und so, ohne jedes Zutun des Autors und ohne das des Malers Ernst Kahl, wurde aus Kahls Feinschmecker-Gier­schlund die Karikatur eines raffgeilen Juden, ein antisemitisches Klischee par excellence. Kahl zeigte sich »entsetzt« und erklärte, dass die SZ über einen Vorrat seiner Bilder verfüge, aus dem sie sich immer wieder mal mit Illustrationen versorge. Er »wäre gern vorher gefragt worden. Dann hätte ich mit Sicherheit Nein gesagt«, sagte Kahl der Jüdischen Allgemeinen.

Wie man auf die Idee kommen kann, ein zauberhaftes Sudelblatt in einen Kontext zu stellen, der es als antisemitische Schmähschmiererei aussehen lässt, ist nicht begreiflich. Die verantwortliche Redakteurin Franziska Augstein, von der ich schon kluge Artikel las, fand zunächst nichts dabei; die SZ-Redaktion rang sich tags darauf dazu durch, einen »Fehler« einzugestehen und »Missverständnisse« zu bedauern.

Antisemitische Ressentiments sind ein zuverlässiges Depressivum. Man kann gegen sie nicht argumentieren, denn sie entspringen ja keiner Logik, und wer sie hegt, empfindet sie nicht als das, was sie sind. Ein Aggressivum dagegen ist es, einen solcher Ressentiments unverdächtigen Künstler in diesen Sumpf hineinzuziehen und ihn zu missbrauchen.

Der Journalismus wird, wenn dieser Kinderkomparativ gestattet sei, immer scheißer.

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