Reich-Gottes-Politik

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Из серии: Ignatianische Impulse #75
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Reich-Gottes-Politik
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Wendelin Köster

Reich-Gottes-Politik

Rupert Mayer – kämpferisch lieben

Ignatianische Impulse Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ und Martin Müller SJ Band 75

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Wendelin Köster

Reich-Gottes-Politik

Rupert Mayer – kämpferisch lieben

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: Peter Hellmund

ISBN

978-3-429-04355-1 (Print)

978-3-429-04918-8 (PDF)

978-3-429-06338-2 (ePub)

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Wie es begann

Was uns unterscheidet

Was uns verbindet

Training für Reich-Gottes-Politiker

Die Großen Exerzitien

Trainingsziel

Übungsleiter

Hilfsmittel

Unterscheidung der Geister

Musterung – Die erste Woche

Bestandsaufnahme

Ein Servierwagen mit Knacks und ein verzogenes Fahrgestell (Über die Sünde)

Schrottplatz (Über die Hölle)

Störenfried und Abergeist (Über den Teufel)

Stimme aus dem Off (Über die Offenbarung)

Navi (Über das Gewissen)

Gegen-Steuer-Männer (Über die Propheten)

Auswertungsgespräch

„Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund“

Herzenssache

Wunschkind Gottes

Kampf – Die zweite Woche

Drei Sehhilfen

Sehhilfe 1: Werbung („Der Ruf“)

Sehhilfe 2: Gottes Weltanschauung („Von der Menschwerdung“)

Zoom

Drei-in-eins (über die Dreifaltigkeit)

Sehhilfe 3: Streit („Besinnung über zwei Banner“)

Kampfplätze Jesu

Betriebsgeräusche und Warnsignale

Das 1000jährige Reich

Die Beschädigung des Und

Die westliche Wertewelt – Die Glücksfee

Die katholische Kirche – Das Gliederreißen

Das christliche Abendland – Die Scheidungswaisen

Die Lebendigkeit der Kirche – Der Drei-Zylinder-Motor

Die Zugmaschine Rupert Mayer

Das Gedächtnisorgan der Kirche – der dritte Zylinder

Gedächtnisschwund

Frühwarnsystem

Gedächtnisstützen

Die Beschützer des Und

Andere Betriebsgeräusche

Tod – Die dritte Woche

Lebenslügen

Die letzte Stunde

Leben – Die vierte Woche

Das Welt-Rettungs-Seil

High Fidelity

Die Knotenlöserin

Das Bleibende

Der Fürsprecher

Ja und Amen!

Lebensdaten von Rupert Mayer

Literatur und Fundstellen der Zitate

Vorwort

Dieses Buch ist das Ergebnis einer Dreiecksgeschichte: Zwei Jesuiten sind in Beziehung getreten, ein verstorbener namens Rupert Mayer und ein noch lebender namens Wendelin Köster. In ihnen begegnen sich unterschiedliche Glaubensweisen. Gemeinsam ist beiden, dass sie die dreißigtägigen Geistlichen Übungen gemacht haben, die auch Große Exerzitien genannt werden. Diese vier Wochen sind eine Zeit intensiver Begegnungen mit Jesus Christus. Er ist der Dritte im Bunde. Er hat uns geprägt.

Mich beeindruckt, was Jesus Christus aus Rupert Mayer gemacht hat. Deshalb greife ich auf, was er selbst oder andere darüber berichtet haben. Ob ich ihn beeindruckt hätte, weiß ich nicht. Aber ich stelle mir vor, dass er interessiert zuhören würde, wenn ich von meinem Glaubensweg erzähle.

Was hier zur Sprache kommt, sind Erlebnisse. Oft sind es Aha-Erlebnisse, die ein Glaubensthema in neuem Licht erscheinen lassen. Doch immer steht der erlebte Wie-Glaube im Vordergrund, nicht der gelernte Was-Glaube. Es geht also mehr um das Erzählen von Erlebtem und weniger um das Unterrichten. Die Erlebnisberichte stammen aus zwei Erfahrungsbereichen: aus dem Alltagsleben zweier Christen, die Priester und Ordensleute sind, und eben aus den Großen Exerzitien. Diese beiden Bereiche werden von dem Dritten im Bunde zusammengehalten. Er ist immer dabei.

Die Schilderung der Erlebnisse auf dem Glaubensweg folgt dem Aufbau der Großen Exerzitien. Ich erkläre, was die Großen Exerzitien sind. Meine manchmal ungewohnte Wortwahl soll dem Versuch dienen, eine Brücke zu Leserinnen und Lesern zu schlagen, die mit der religiösen und christlichen Begriffswelt weniger vertraut sind.

Ich widme dieses Buch Rupert Mayer. Es ist mein Geschenk an ihn zum dreißigsten Jahrestag seiner Seligsprechung am 3. Mai 2017. Ich widme es denen, die ihn verehren, und allen, die heute ihr eigenes Christsein oder den christlichen Glauben tiefer verstehen möchten. Mein Dank gilt allen, die auf verschiedene Weise am Zustandekommen dieses Bandes mitgewirkt haben.

 

Einleitung

Wie es begann

Es begann mit einem Bild. Als ich 1995 an das Generalat des Jesuitenordens in Rom gerufen wurde, hing dort in meinem Zimmer ein großes Foto von der Seligsprechung Rupert Mayers am 3. Mai 1987 im Münchener Olympiastadion.

In den folgenden Jahren, als die Nordprovinz und die Südprovinz der Jesuiten in Deutschland sich vereinigen wollten und die Verhandlungen dazu begannen, habe ich nach einem diskreten Helfer aus dem himmlischen Hintergrund gesucht. Mir, dem Mann aus dem Norden, kam der selige Rupert Mayer in den Sinn, mein Mitbruder aus dem Süden. Ich vertraute auf seine Hilfe, die Verhandlungen auf ein Ergebnis hinzulenken, das sich im Sinne der größeren Ehre Gottes sehen lassen konnte.

Seitdem besuche ich bei meinen Reisen nach München immer das Grab von Rupert Mayer in der Krypta der Bürgersaalkirche. Ich sage ihm schlicht, was ich auf dem Herzen habe. Er hört zu und ich weiß: Er ist hilfsbereit, findig und ausdauernd. Nicht umsonst ist er für die Münchener und für viele andere der „15. Nothelfer“.

Die Begegnungen mit Rupert Mayer beschränkten sich aber nicht auf Besuche an seinem Grab. Ich begann, über ihn zu lesen. Wichtig wurden mir dabei vor allem die autobiographischen Texte. Beim Lesen dieser Texte musste ich immer wieder innehalten und nachdenken. Es ergab sich ein stilles Gespräch mit meinem Mitbruder. Als ich gefragt wurde, ob das stille Gespräch für Zuhörer nach außen geöffnet werden könnte, verspürte ich eine Ermutigung. So entstand der Plan, eine kleine Schrift herauszugeben.

Was uns unterscheidet

Wir sind zwei ganz verschiedene Menschen. Rupert Mayer wurde fast siebzig Jahre alt; ich stehe heute, 2016, schon im 78. Lebensjahr. Als er starb, war ich sechseinhalb; er wäre heute 142.

Rupert Mayer wuchs im Kaiserreich auf und fühlte sich als deutscher Patriot. Er stritt für die Rechte seiner geliebten katholischen Kirche. Ich bin in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen, wo zwischen Staat und Kirche ein vertraglich abgesicherter Frieden herrscht. Ich fühle mich als deutscher Europäer. Als Katholik versuche ich, in weltweiten Zusammenhängen zu denken. Im Leben mit der Kirche haben wir beide nur einen Papst gemeinsam: Pius XII. Prägende Konzile waren für Rupert Mayer das 1. Vatikanische Konzil (1869–1870), für mich das 2. Vatikanische Konzil (1962–1965). Die Konzile hinterließen im Jesuitenorden, dem wir angehören, unterschiedliche Spuren. Zu Lebzeiten von Rupert Mayer war der Orden eher auf kämpferische Abwehr von Feinden des Glaubens und der Kirche eingestellt. Ich erlebe den Orden eher als eine Gemeinschaft, die sich weltweit für Glaube, Gerechtigkeit, Kultur und Dialog engagiert und dafür Verbündete sucht.

Rupert Mayer hat den Ersten Weltkrieg „im Feld“ erlebt, an vorderster Front. Später geriet er in den Würgegriff der Nazis. Ohnmächtig musste er zusehen, wie sein geliebtes Vaterland in Trümmer ging. Ich dagegen habe nur Kindheitserinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Danach erlebte ich den Wiederaufbau Deutschlands und die Neugestaltung Europas. Rupert Mayer erlitt 1916 eine schwere Verwundung und musste sich seitdem mit Holzbein und Krücke fortbewegen. Ich bin körperlich unversehrt und wurde vom Militärdienst befreit.

Er trat im Jahre 1900 als junger Kaplan von gut 24 Jahren in den Jesuitenorden ein, ich 1959 mit knapp zwanzig Jahren, kurz nach dem Abitur. Bei seiner Priesterweihe 1899 war er 23 Jahre alt, ich bei meiner im Jahr 1969 dreißig.

Er ist in der Großstadt Stuttgart aufgewachsen und zur Schule gegangen, ich in der Kleinstadt Meppen/Ems. Seine Umgebung war durch und durch protestantisch, meine durch und durch katholisch. In Meppen bewahrt man die Erinnerung an den Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst, dem die Emsländer einen sicheren Wahlkreis garantierten.

Die Eltern von Rupert Mayer waren Kaufleute, standen beide im Geschäft und hatten ein sehr gutes Einkommen; meine Eltern standen wirtschaftlich auf wackeligen Füßen, bis mein Vater sich als Rechtsanwalt und Notar selbständig machen konnte. Rupert Mayers Familie war mit sechs Geschwistern und Kindermädchen groß; meine Familie, bestehend aus Eltern und zwei Geschwistern, war klein. Später kamen allerdings nacheinander zwei pflegebedürftige Großmütter hinzu und ein Onkel, der aus dem Krieg heimkehrte und vorübergehend eine Bleibe brauchte.

Was uns verbindet

Uns verbindet, dass wir weniger für Forschung und Lehre, dafür aber mehr für die Seelsorge geeignet sind. Beide waren wir Assistenten des Novizenmeisters, er ein Jahr lang (1904/1905), ich fünf (1970–1975). Hätten wir zusammen in einer Kommunität gelebt, wären wir begeistert gewesen von „Flädlessuppe“ und „Pfannenkuchen mit Kompott“ [vgl. ASch 7 und 83].

Die tiefere Gemeinsamkeit beruht auf der Prägung durch die 30tägigen Exerzitien, im internen Sprachgebrauch auch Große Exerzitien genannt. Exerzitien sind zunächst einmal Übungen (vgl. EB 1), wie sie auch Sportler kennen. Große Exerzitien gleichen einem religiösen Trainingslager von vier Wochen mit vier bis fünf Übungen pro Tag. Jede Übung dauert gewöhnlich eine Stunde und hat einen bestimmten Aufbau. Unterbringung, Ernährung, Schlaf und Freizeit sind auf die Übungen zugeschnitten. Das Übungsprogramm dient dazu, Jesus Christus und sich selber besser kennenzulernen, um klarer zu sehen, auf was man sich einlässt, wenn man ihm folgt. Die Zusammenstellung dieses geistlichen Ausbildungsprogramms ist das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola (EB). Jeder Jesuit wird zweimal in seinem Leben in ein solches Trainingslager geschickt: am Anfang (im Noviziat) und am Ende der mehrjährigen Probezeit.

In seinem Lebenslauf schreibt Rupert Mayer über den Anfang seines Ordenslebens 1900 in Tisis/Vorarlberg: „… hier machte ich im Noviziat die großen Exerzitien (30 Tage lang), die einen nachhaltigen Eindruck hinterließen“ [RB1, 33]. Das zweite Mal machte er sie 1905. Ich kann bestätigen, dass die Großen Exerzitien auch auf mich einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Ich erlebte sie 1959 und 1974 im Rahmen meiner Ausbildung, ein drittes Mal 2008 nach Beendigung meiner dreizehnjährigen Tätigkeit in der Ordenszentrale in Rom.

Unsere tiefste Gemeinsamkeit sehe ich jedoch in der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus. Er ist so etwas wie unser Ständiger Begleiter. Ob Rupert Mayer sich auf diese Wortwahl einlassen würde? Wahrscheinlich hätte er auf ein Wort verwiesen, das er einmal zu Schwestern sagte: „Noch etwas bewirkt der Wandel in Gottes Gegenwart: Wir werden Gott immer mehr lieben lernen in dem Bewusstsein, wie er uns liebt“ [K/R 162]. Jedenfalls ist uns in den Exerzitien klar geworden, dass Jesus Christus nicht nur Gegenstand des Nachdenkens und Forschens ist, sondern liebender Begleiter unseres Alltags. Wo immer ich bin, ist er bei mir. Mit ihm bin ich zu zweit, also plus 1. Auch Rupert Mayer war immer plus 1. Wenn wir uns zu einem Gedankenaustausch zusammentun, dann sind wir zwei in Wirklichkeit plus 1, also zu dritt. Von diesem Dritten, so scheint mir, stammt auch die Idee, unser Gespräch an den Themen der Großen Exerzitien auszurichten.

Training für Reich-Gottes-Politiker

Die großen Exerzitien

Die Großen Exerzitien möchte ich hier als ein vierwöchiges Training für Reich-Gottes-Politiker bezeichnen. Unter Reich Gottes verstehe ich die Menschheit, deren Wohl und Wehe Gott in seine Regie genommen hat. Das Wehe der Menschheit ist ein fundamentaler Schaden, nämlich der Tod. Ihr Wohl ist die Heilung dieses Schadens: Gott bricht die Allmacht des Todes durch Liebe. Das ist seine Politik. Bürger des Reiches Gottes sind Menschen, die diese Politik und ihre Grundsätze für richtig halten und danach leben.

Trainingsziel

Die Übungen haben ein doppeltes Ziel: das tiefere Kennenlernen Jesu Christi und seiner Politik und die bessere Selbsterkenntnis meiner Person. Wer ist er? Wer bin ich? Kann er mich als Helfer gebrauchen? Ich sehe in ihm den Ur-Politiker des Reiches Gottes. Seine Politik-Formel lautet: „In allem lieben und dienen!“ Seine Liebe knickt nicht ein, auch wenn der Widerstand gegen sie wächst. Sein Dienen unterläuft die Herrschaft derer, „die mit dem Tod uns regieren“ (Kurt Marti, 1970, vgl. auch Weisheit 1,16). Die Helfer-Formel lautet: „sich selbst zu überwinden und sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine Neigung, die ungeordnet wäre, bestimmen zu lassen“ (EB 21). Es kommt also darauf an, in der Spur Jesu Christi zu bleiben und sich nicht auf Abwege locken zu lassen.

Die Empfindsamkeit für gefährliche Abwege soll durch ein Grundprinzip gestärkt werden. Es lautet: „Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie soweit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziele hin helfen, und soweit zu lassen, als sie ihn daran hindern. Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indifferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind“ (EB 23).

Die Zielführung in Richtung Gott soll so eindeutig sein, dass kein anderes Ziel an seine Stelle tritt. Die Sorge um die Gesundheit ist wichtig, aber nicht erstrangig. Die materielle Absicherung ist wichtig, doch nicht erstrangig. Ehre, Rang und Name mögen wichtig sein, doch ebenfalls nicht erstrangig. Mit „Gleichmut“ („Indifferenz“) ist ein seelischer Fühler oder Sensor gemeint, der anzeigt, ob ich in den Sog des Zweitrangigen und damit des Eigennutzes gerate. Wenn das geschieht, weiche ich vom Weg zu meinem eigentlichen Lebensziel ab. Dieser Sensor, so könnte man auch sagen, ist eine Warn- und Steuerhilfe gegen Bestechung hin zu einer Haltung der Unabhängigkeit (vgl. EB 189).

Übungsleiter

Der eigentliche Leiter des Übungsprogramms ist mein Ständiger Begleiter Jesus Christus selbst, der Ur-Politiker des Reiches Gottes. Wie ein gewissenhafter Politiker kümmert er sich um das Wohl und Wehe der Menschen. Er ist Reich-Gottes-Politiker, weil er sich an die Grundsätze und Richtlinien hält, die Gott dem Volk Israel anvertraut hat. Sie gehören nicht Israel allein, sondern sind für alle Menschen da. In der Bibel sind sie dokumentiert. Zugleich dokumentiert die Bibel auch die Weise, wie das Volk mit den Grundsätzen und Richtlinien Gottes zurechtgekommen ist. Von Abraham bis zu Jesus Christus schwankt das Volk zwischen Zustimmung und Ablehnung. Erstaunlich ist jedoch dieses: Das Volk Israel hält die Richtlinien Gottes hoch, obwohl es, daran gemessen, selber schlecht aussieht. Noch erstaunlicher ist: Gott bleibt geduldig. Die Verkörperung seiner Geduld ist Jesus Christus. Aus ihm ist die Kirche hervorgegangen; durch ihn bleibt sie im Volk Israel verwurzelt. Bei ihm ist, wie bei einem guten Politiker, das Handeln wichtiger als das Reden. Wer in die Reich-Gottes-Politik einsteigen will, muss ihn kennenlernen und bei ihm in die Lehre gehen.

Der eigentliche Leiter hat zwei Stellvertreter. Der eine ist Ignatius von Loyola. Er ist bei Jesus Christus in die Lehre gegangen und hat daraufhin das Trainingsprogramm zusammengestellt: das Exerzitienbuch (EB). Der andere Stellvertreter ist ein Übungsleiter vor Ort, der Exerzitienbegleiter, ein Ordenskollege oder ein anderer Christ, der das Training selber durchlaufen hat, sich mit der Reich-Gottes-Politik identifiziert und den Übenden berät. Der Exerzitienbegleiter wird angehalten, mit dem Übenden nicht die Geduld zu verlieren, sondern ihm verständnisvoll entgegenzukommen (vgl. EB 22).

Das gesamte dreißigtägige Programm ist in vier Wochen-Etappen eingeteilt. Eine „Woche“ kann weniger oder mehr als sieben Tage dauern, je nach Verfassung des Übenden. Manchmal scheut er vor einem Hindernis zurück, manchmal kommt er sehr schnell voran. Dann ist Beratung durch den Exerzitienbegleiter wichtig.

 

Die Übungen beginnen in der ersten Woche mit einer gründlichen Musterung. Wer im Reich Gottes mitmachen will, lässt sich auf Herz und Nieren überprüfen. Die Überprüfung nimmt Jesus Christus selbst vor. In den folgenden drei Wochen begleitet der Übende Jesus auf seinem Weg von Galiläa über Judäa nach Jerusalem und gelangt anhand der biblischen Berichte zu den Tat-Orten der Reich-Gottes-Politik.

Hilfsmittel

Für den Besuch der Tat-Orte werde ich mit einigen Hilfsmitteln vertraut gemacht. Das erste ist die Schriftbetrachtung. Der Exerzitienbegleiter gibt mir einen Abschnitt aus dem Evangelium, der ein Ereignis schildert. Was Jesus spricht, ist wichtig, aber wichtiger ist, was er tut. Ich lerne, mich in die Szene hineinzuversetzen, so als ob ich selbst dabei wäre, mit Kopf und Herz und mit allen fünf Sinnen. Dabei verhalte ich mich wie ein Regisseur und Bühnenbildner, der vor seinem geistigen Auge die biblische Szene entstehen lässt. Ich sehe die Landschaft, das Zimmer, den Marktplatz; ich sehe die Menschen und höre, was sie sprechen. Ich höre die Geräusche ringsum. Ich rieche Düfte oder Gestank. Ich schmecke Speisen und Getränke. Ich fühle einen Händedruck, eine Umarmung oder einen Stoß. Vor allem aber erlebe ich Jesus aus der Nähe: Ich lasse seine Worte und sein Tun auf mich wirken. Nicht die Interpretation des Textes und die Würdigung seiner literarischen Qualität sind wichtig, sondern meine Berührung durch das Erlebte.

Ein zweites Hilfsmittel ist das Durchhalten der Zeit, die ich für die Betrachtung verwenden soll. Manchmal vergeht die Zeit wie im Fluge, weil mich so vieles packt und ergreift. Manchmal schleppt sich die Zeit dahin; Langeweile stellt sich ein. Am liebsten möchte ich weggehen und etwas Vernünftiges tun. Ich lerne, dieser Anwandlung zu widerstehen. Ich bleibe dran und harre aus. Es kann sein, dass ich plötzlich durch ein Aha-Erlebnis belohnt werde, es kann aber auch sein, dass mein Lohn nur in der Genugtuung besteht, durchgehalten zu haben.

Aus dem zweiten ergibt sich ein drittes Hilfsmittel: die Wiederholung. War eine Betrachtung das erste Mal mühsam wie das Kauen eines zähen Stückes Fleisch, kann dieselbe Geschichte beim zweiten Mal schmecken wie ein Stück Erdbeertorte mit Sahne. Und umgekehrt. Ich lerne, meine Lust- und Unlustgefühle zu hinterfragen. So gewinne ich Distanz von meinen Stimmungen, werde wetterfest und geländegängig.

Ein viertes Hilfsmittel ist das Achthaben auf Ablenkungen. Ablenkungen sind Gedanken und Gefühle mit anderer Thematik. Sie überblenden den Betrachtungsstoff und lenken mich anderswohin. Sie können hartnäckig sein und lassen sich nicht so leicht verscheuchen. Ich lerne, diese Störenfriede anzuschauen und zu fragen: „Wes Geistes Kind seid ihr? Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr mich bringen?“ Will jemand meinen Wunsch hintertreiben, Jesus Christus genauer kennenzulernen?

Zum Handwerkszeug gehört noch ein fünftes Hilfsmittel: das Gespräch. Gesprächspartner ist vor allem Jesus Christus selbst. Das Gespräch mit ihm findet auf der Du-Ebene statt. Sie ist die Ebene des Betens. Der zweite Gesprächspartner ist der Exerzitienbegleiter. In diesem Gespräch geht es nicht um Sachwissen, sondern um Erfahrungsaustausch.

Die Erfahrungen, um die es geht, klingen in einem Ratschlag an, den Rupert Mayer den Familienschwestern gab: „Immer, wenn etwas Unangenehmes oder Schmerzliches an uns herantritt, sollen wir aus dem Reichtum der Begebenheiten im Leben Christi schöpfen. Dann werden wir glücklich. Das ist es, was dem Weltmenschen fehlt und warum er überwältigt wird von den Ereignissen. Wir lernen durch die Betrachtung nicht, wie man erschüttert wird, sondern wie wir uns im Alltag, im Leiden zu verhalten haben“ [K/R 162].

Unterscheidung der Geister

Wenn ich in der Handhabung der Hilfsmittel Erfahrungen sammle, werde ich vertraut mit dem, was gewöhnlich Unterscheidung der Geister genannt wird. Als Geister werden die Ursachen bezeichnet, die eine menschliche Seele in Bewegung versetzen. Ignatius verwendet dafür das spanische Wort mociones. Es sind unsere Emotionen, die inneren Regungen, Gefühle und Motivationen, also alles, was uns in Angst und Unruhe oder in Ruhe und Frieden versetzt (EB 313). Rupert Mayer kannte sich auf diesem Gebiet aus. Er schreibt: „Alle Unruhe, von der ein Mensch, der es ehrlich mit Gott meint, gequält wird, kommt nicht von Gott“ [MK 83]. So ist es auch bei mir: Wenn ich in meinem Denken, Sprechen und Handeln mit der Logik Jesu Christi übereinstimme, empfinde ich inneren Frieden. Wenn ich davon abweiche, empfinde ich eine Störung.

Die Großen Exerzitien haben Rupert Mayer und mich tief geprägt. Er würde die Exerzitien sicherlich anders beschreiben als ich. Beim Wort Reich-Gottes-Politiker würde er zusammenzucken. Er hatte ja immer betont, dass er kein Politiker sei (vgl. RB1, 67/68, 238–241, 285–288). Aber dann würde er schmunzelnd brummeln: „Ja, wenn du meinst … Ich habe ja wirklich für das Reich Gottes gekämpft.“ Das bestätigt der letzte Absatz in seinen „Erinnerungen“: „Wir wollen mal sehen, wie die Sache weitergeht. … ich kann Sie nur bitten, bewahren Sie die Richtung, die wir miteinander bis jetzt gegangen sind. Was für Arbeiten für die Zukunft auf uns harren, das … weiß kein Mensch, … das ist aber auch schließlich Nebensache. Die Hauptsache ist, dass wir arbeiten für das Reich Gottes …“ [RB1, 55].

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