Wilhelm Hauff
Jud Süss
Er war ein Finanzgenie und ermöglichte dem württembergischen Herzog dessen Prunksucht.
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Jud Süss
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Impressum neobooks
Er war ein Finanzgenie und ermöglichte dem württembergischen Herzog dessen Prunksucht. Das musste Jud Süß Oppenheimer mit dem Leben bezahlen.
Ein ernstes Spiel wird euch vorübergehen,
Der Vorhang hebt sich über einer Welt,
Die längst hinab ist in der Zeiten Strom,
Und Kämpfe, längst schon ausgekämpfte, werden
Vor euren Augen stürmisch sich erneun.
L. Uhland
1
Das Karneval war nie in Stuttgart mit so großem Glanz
und Pomp gefeiert worden, als im Jahr 1737. Wenn ein
Fremder in diese ungeheuern Säle trat, die zu diesem
Zwecke aufgebaut und prachtvoll dekoriert waren, wenn
er die Tausende von glänzenden und fröhlichen Masken
überschaute, das Lachen und Singen der Menge hörte,
wie es die zahlreichen Fanfaren der Musikchöre
übertönte, da glaubte er wohl nicht in Württemberg zu
sein, in diesem strengen, ernsten Württemberg, streng
geworden durch einen eifrigen, oft asketischen
Protestantismus, der Lustbarkeiten dieser Art als
Überbleibsel einer andern Religionspartei haßte; ernst,
beinahe finster und trübe durch die bedenkliche Lage,
durch Elend und Armut, worein es die systematischen
Kunstgriffe eines allgewaltigen Ministers gebracht hatten.
Der prachtvollste dieser Freudentage war wohl der
zwölfte Februar, an welchem der Stifter und Erfinder
dieser Lustbarkeiten und so vieles andern, was nicht
gerade zur Lust reizte, der Jud Süß, Kabinettsminister
und Finanzdirektor, seinen Geburtstag feierte. Der
Herzog hatte ihm Geschenke aller Art am Morgen dieses
Tages zugesandt; das Angenehmste aber für den
Kabinettsminister war wohl ein Edikt, welches das
Datum dieses Freudentages trug, ein Edikt, das ihn auf
ewig von aller Verantwortung wegen Vergangenheit und
Zukunft freisprach. Jene unzähligen Kreaturen jeden
Standes, Glaubens und Alters, die er an die Stelle besserer
Männer gepflanzt hatte, belagerten seine Treppen und
Vorzimmer, um ihm Glück zu wünschen, und manchen
ehrliebenden biedern Beamten trieb an diesem Tage die
Furcht, durch Trotz seine Familie unglücklich zu
machen, zum Handkuß in das Haus des Juden.
Dieselben Motive füllten auch abends die
Karnevalssäle. Seinen Anhängern und Freunden war es
ein Freudenfest, das sie noch oft zu begehen gedachten;
Männer, die ihn im stillen haßten und öffentlich verehren
mußten, hüllten sich zähneknirschend in ihre Dominos
und zogen mit Weib und Kindern zu der prachtvollen
Versammlung der Torheit, überzeugt, daß ihre Namen
gar wohl ins Register eingetragen und die Lücken schwer
geahnet würden; das Volk aber sah diese Tage als
Traumstunden an, wo sie im Rausch der Sinne ihr
drückendes Elend vergessen könnten; sie berechneten
nicht, daß die hohen Eintrittsgelder nur eine neue
indirekte Steuer waren, die sie dem Juden entrichteten.
Der Glanzpunkt dieses Abends war der Moment, als
die Flügeltüren aufflogen, eine erwartungsvolle Stille über
der Versammlung lag, und endlich ein Mann von etwa
vierzig Jahren, mit auffallenden, markierten Zügen, mit
glänzenden, funkelnden Augen, die lebhaft und lauernd
durch die Reihen liefen, in den Saal trat. Er trug einen
weißen Domino, einen weißen Hut mit purpurroten
Federn, auf welchen er die schwarze Maske nachlässig
gesteckt hatte; es war nichts Prachtvolles an ihm, als ein
ungewöhnlich großer Solitär, welcher am Hals die
purpurrote Bajute von Seidenflor, die über den Domino
hinabfiel, zusammenhielt. Er führte eine schlanke,
zartgebaute Dame, die, in ein mit Gold und Steinen
überladenes orientalisches Kostüm gekleidet, aller Augen
auf sich zog.
»Der Herr Finanzdirektor, der Herr Minister«,
flüsterte die Menge, als er vornehm grüßend durch die
Reihen ging, die sich ihm willig öffneten; und als er in der
Mitte des Hauptsaales angekommen war, begrüßten ihn
Trompeten und Pauken, und ein nicht unbeträchtlicher
Teil der Masken klatschte ihm Beifall, während man
andere wie von einem unzüchtigen Schauspiele sich
abwenden sah. Aber allgemein schien die Teilnahme,
womit man die schöne Orientalin betrachtete, die mit
dem Minister gekommen war. Seine Lebensweise war zu
bekannt, als daß nicht die meisten unter der Larve der
reich geschmückten Dame eine seiner Freundinnen
geahnet hätten, nur darüber schien man uneinig, welcher
von diesen solche Auszeichnung zuteil geworden sei; die
eine schien zu klein für diese Figur, die andere zu
korpulent für diese zierliche Taille, die dritte zu
schwerfällig, um so leicht und beinahe schwebend über
den Boden zu gleiten, und einer vierten, bei welcher man
endlich stillestehen wollte, konnte nicht dieses glänzend
schwarze Haar, das in reichen Locken um den stolzen
Nacken fiel, nicht dieses herrliche, dunkle Auge gehören,
das man aus der Maske hervorleuchten sah.
Die Menge pflegt, wenn ihre Neugier nicht sogleich
befriedigt wird, bei Gelegenheiten von so glänzender und
rauschender Art, wie dieser Karneval war, nicht lange bei
einem Gegenstand stille zu stehen. »Wenn sie die Maske
abnimmt, wird man ja sehen«, sprach man, ohne der
Dame noch längere Aufmerksamkeit zu schenken, als
nötig war, um zu bemerken, wie sie zum Menuett antrat.
Aber drei junge Männer, die müßig hinter den Reihen der
Tanzenden standen, schienen diese Erscheinung noch
immer unablässig zu verfolgen.
»Wer sie nur sein mag!« rief der eine ungeduldig; »ich
wollte gern dem verzweifelten Juden fünfzig
Eintrittskarten abkaufen, wenn er mir sagte, woher dieses
Mädchen kommt, das er wie eine Fürstin in den Saal
führte.«
»Herr Bruder!« erwiderte der zweite, indem er unter
dem Sprechen kein Auge von der Orientalin abwandte,
»Herr Bruder, parole d'honneur! diese Widersprüche
kann ich nicht vereinigen, und wenn ich bei Cartesius
selbst die Logik samt dem Cogito, ergo sum studiert
hätte; eine so ungewöhnlich feine Gestalt, diese Haltung,
diese nach den neuesten und vornehmsten Regeln
abgemessene Bewegung, diese Art, das Handgelenk rund
und spielend zu bewegen, wie ich sie nur in den
bedeutendsten Zirkeln zu Wien und Paris sah, dieser
Anstand, womit sie den Nacken trägt –«
»Gott verdamm mich, du hast recht, Herr Bruder«,
unterbrach ihn der dritte, »dieses alles und – mit Süß auf
den Ball zu kommen! Nein, ein solcher Kontrast ist mir
in meinem Leben nicht vorgekommen!«
»Aus unserer Bekanntschaft«, fuhr der erste fort, »aus
unsern Kreisen kann sie nicht sein; denn wenn es auch
wahr ist, was man flüstert, daß schon mancher elende
Kerl von einem Vater seine Tochter mit einer Bittschrift
zum Juden schickte, so laut läßt keiner seine Schande
werden, daß er sein leibliches Kind mit dieser Mazette
auf den Ball schickt!«
»Bitte dich ums Himmels willen, Herr Bruder, nicht so
laut, er hat überall seine Spione, und uns ist er ohnedies
nicht grün; denk an deine Familie, willst du dich
unglücklich machen? Aber wahr ist's, es kann kein
Mädchen aus bessern Ständen sein, und doch ist ihr
Wesen für eine Bürgerstochter zu anständig. Doch halt,
wer ist der Sarazene, der dort auf uns zukommt? Die
Farbe seines Turbans ist ja dieselbe, wie ihn die
Charmante des Juden hat!«
Die jungen Männer wandten sich um und sahen einen
schlanken, schöngewachsenen Mann, der, als Sarazene
gekleidet, sich durch die einfache Pracht seines Kostüms,
wie durch Gang und Haltung vor gemeineren Masken
auszeichnete. Auch er schien die jungen Männer ins Auge
gefaßt zu haben, denn er ging langsam an sie heran und
zögerte, an ihnen vorüberzuschreiten.
»Was ist deine Parole«, fragte der eine der jungen
Männer, der in der Maske einen Freund zu erkennen
glaubte; »hast du nur dein ›Allah‹ zum Feldgeschrei, oder
weißt du sonst noch ein Sprüchlein?«
»Gaudeamus igitur juvenes dum sumus«, erwiderte der
Sarazene, indem er stille stand.
»Er ist's, er ist's«, riefen zwei dieser jungen Herrn, und
schüttelten die Hand des Sarazenen; »gut, daß wir die
Parole gaben, ich hätte sonst kein Erkennungszeichen für
dich gehabt, denn ich war meiner Sache so gewiß, du
seiest als Bauer hier, daß ich mit dem Kapitän eine
Flasche gewettet habe, du müßtest ein Bauer sein!«
»Laßt uns ans Büffet treten«, sagte der zweite, »ich
habe dir hier jemand vorzustellen, Bruder Gustav, der
sich auf deine Bekanntschaft freut, und du weißt, in
Larven erkennt man sich schlecht.«
»Freund«, erwiderte Gustav, »ich nehme die Larve
nicht ab, ich habe Gründe; so angenehm mir die
Bekanntschaft dieses Herrn wäre, so muß ich sie doch bis
auf morgen versparen.«
»Und wenn es nun Pinassa wäre, nach welchem du so
oft gefragt?« antwortete jener.
»Pinassa? mit dem du dich geschlagen? Nein, das
ändert die Sache, den will ich sehen und begrüßen; aber –
meine Maske nehme ich nur auf zwei Augenblicke und
im fernsten Winkel des Speisesaals ab.«
»Wir sind's zufrieden, Bruder Sarazene«, antwortete
der Kapitän. »Aber laß uns nur erst an die zweite Flasche
kommen, dann sollst du auch die Gründe beichten,
warum du dein Angesicht nicht leuchten lassen willst vor
den Freunden!«
2
In dem Speisesaal, welchen sie wählten, waren nur
wenige Menschen, denn man verkaufte hier nur
ausgesuchte Weine, feine Früchte und warme Getränke,
während die größeren Trinkstuben, wo Landwein, Bier
und derbere Speisen zu haben waren, die größere Menge
an sich zogen. In einer Ecke des Zimmers war ein
Tischchen leer, wo der Sarazene, wenn er dem übrigen
Teil des Saales den Rücken kehrte, ohne Gefahr erkannt
zu werden die Maske abnehmen konnte. Sie wählten
diesen Platz, und als die vollen Römer vor ihnen standen,
legten die zwei jungen Krieger die Masken ab und der
Kapitän begann: »Herr Bruder, ich habe die Ehre, dir hier
den unvergleichlichen Kavalier Pinassa vorzustellen, den
berühmtesten Fechter seiner Zeit; denn es gelang ihm,
durch eine unbesiegliche Terz-Quart-Terz, mich, bedenke
mich, den Senior des Amizistenordens, in Leipzigs
unvergeßlichem Rosenthal hors de combat zu machen.
Er hat gleich mir die Musen verlassen, hat gesungen: ›Will
mir Minerva nicht, so mag Bellona raten‹, und hat den
alten Hieber und sein ungeheures Stichblatt, worauf er
sein Frühstück zu verzehren pflegte, mit dem
Paradedegen eines herzoglich württembergischen
Lieutenants vertauscht.«
»Der Tausch ist nicht übel, Herr von Pinassa, und
mein Vaterland kann sich dazu Glück wünschen«, sagte
der Sarazene, indem er sich vor dem neuen Lieutenant
verbeugte. »Wollet Ihr einmal in unsern Dienst treten, so
war diese Laufbahn die angenehmste. Der Zivilist hat zu
dieser Zeit wenig Aussicht, wenn er nicht ein Amt für
fünftausend Gulden, oder für sein Gewissen und
ehrlichen Namen beim Juden kaufen will. Doch diese
dünnen Bretterwände haben Ohren – stille davon, es ist
doch nicht zu ändern. Wie anders sind Eure Verhältnisse!
Der Herzog ist ein tapferer Herr, dem ich einen Staat von
zweimal hunderttausend Kriegern gönnen möchte; für
uns – ist er zu groß. Der Krieg ist sein Vergnügen, ein
Regiment im Waffenglanz seine Freude; leider fällt für
uns andere selten eine müßige Stunde ab, und daher
kommt es, daß diese Juden und Judenchristen das Szepter
führen. Er gilt für einen großen General, er hat mit Prinz
Eugen schöne Waffentaten verrichtet, und ein schlanker
junger Mann, mit einer Narbe auf der Stirne, Mut in den
Blicken, wie Ihr, Herr von Pinassa, ist ihm jederzeit in
seinem Heere willkommen.«
»Was der Sarazene altklug sprechen kann über Juden
und Christen!« sprach der Kapitän. »Doch öffne dein
Visier und zeige deine Farben, mein Kamerad soll nun
auch wissen, mit wem er spricht; das ist der umsichtige,
rechtskundige, fürtreffliche Herr juris utriusque Doctor
Lanbek, leiblicher Sohn des berühmten
Landschaftskonsulenten Lanbek, welchem er als
Aktuarius substituiert ist; ein trefflicher Junge, parole
d'honneur! wenn er sich nicht neuerer Zeit hin und
wieder durch sonderbare Melancholie prostituierte, noch
trefflicher, wenn ihm der Herr auch einen Sinn für das
schöne Geschlecht eingepflanzt hätte.«
Lanbek nahm bei diesen Worten die Maske ab und
zeigte dem neuen Bekannten ein errötendes Gesicht von
hoher Schönheit. Unter dem Turban stahlen sich gelbe
Locken hervor und umwallten kunstlos und ungepudert
die Stirne. Eine kühn gebogene Nase und dunkle,
tiefblaue Augen gaben seinem Gesicht einen Ausdruck
von unternehmender Kraft und einen tiefen Ernst, der
mit den weichen Haaren und ihrer sanften Farbe in
überraschendem Widerspruche war. Doch das Strenge
dieser Züge und dieser Augen milderte ein angenehmer
Zug um den Mund, als er antwortete: »Ich öffne mein
Visier und zeige Euch ein Gesicht, das Euch recht
herzlich bei uns willkommen heißt. Ich trinke auf Euer
Wohl dieses Glas, dann aber werdet Ihr entschuldigen,
wenn ich aufbreche.«
»Pro poena trinkst du zwei«, rief der Kapitän mit
komischem Pathos, indem er einen ungeheuern
Hausschlüssel aus der Tasche nahm und ihn als Szepter
gegen den Sarazenen senkte; »hast du so wenig Ehrfurcht
vor deinem Senior, daß du dich erfrechst, in loco Gläser
zu trinken, ohne daß sie dir ordentlich vom Präses
diktiert sind? O tempora, o mores! Wo ist Zucht und
Sitte dieser Füchse hin? Pinassa! zu unserer Zeit war es
doch anders!«
Die jungen Männer lachten über diese klägliche
Reminiszenz des ehemaligen Amizistenseniors; der
Kapitän aber faßte Lanbek schärfer ins Auge und sagte:
»Herr Bruder! nimm mir's nicht übel, aber in dir steckte
schon lang etwas, wie ein Fieber, und heute abend ist die
Krisis; ich setze meine verlorene Flasche, davon geht
nichts ab, aber ich wette zehn neue; sei ehrlich Gustav –
du warst heute abend schon als Bauer hier, und dein
Alter weiß nichts vom Sarazenen.«
Gustav errötete, reichte dem Freunde die Hand und
winkte ihm ein Ja zu.
»Alle Tausend!« rief der Kapitän, »Junge, was treibst
du? Wer hätte das hinter dem stillen Aktuarius gesucht?
auf dem Karneval das Kostüm zu ändern! Und so
ängstlich, so geheimnisvoll, so abgebrochen; willst du
etwa dem Juden zu Leibe gehen?«
Der Gefragte errötete noch tiefer und nahm schnell
die Maske vor; ehe er noch antworten konnte, sagte
Reelzingen: »Herr Bruder, du bringst mich auf die rechte
Fährte. Wo habt ihr beide, du und die Orientalin, die der
Finanzdirektor führte, das Zeug zu euren Turbanen
gekauft? Gustav, Gustav! –« setzte er, mit einem Finger
drohend, hinzu – »du wohnst dem Juden gegenüber, ich
wette, du weißt, wer die stolze Donna ist, die er führt.«
»Was weiß ich!« murmelte Lanbek unter seiner Larve.
»Nicht von der Stelle, bis du es sagst«, rief der
Kapitän; »und wenn du auf deinem Trotz beharrst, so
schleiche ich mich an die Orientalin und flüstere ihr ins
Ohr, der Sarazene habe mich in sein Geheimnis
eingeweiht.«
»Das wirst du nicht tun, wenn ich dich ernstlich bitte,
es zu unterlassen«, erwiderte der junge Mann, wie es
schien, sehr ernst; »wenn ich übrigens Vermutungen
trauen darf, so ist es Lea Oppenheimer, des Ministers
Schwester. Und nun adieu! wenn ihr mir im Saal
begegnen solltet, kennt ihr mich nicht, und Reelzingen,
wenn mein Vater fragt –«
»So weiß ich nichts von dir, versteht sich«, erwiderte
dieser. Der Sarazene erhob sich und ging. Die Freunde
aber sahen einander an, und keiner schien zu wissen, ob
er recht gehört habe oder wie er dies alles deuten solle?
»Hat denn der Jude eine Schwester?« fragte Pinassa.
»Man sprach vor einiger Zeit davon, daß er eine
Schwester zu sich genommen habe, doch hielt man sie
für noch ganz jung, weil sie sich nirgends sehen läßt«,
erwiderte Reelzingen nachdenklich; »und wie er errötete!«
setzte er hinzu. »Herr Bruder, du wirst sehen, da läßt
auch einmal wieder der Satan einen vernünftigen Jungen
einen dummen Streich machen!«
3
Lanbek irrte, als er die Freunde verlassen hatte, in den
Sälen umher; seine Blicke gleiteten unruhig über die
Menge hin, sein Gesicht glühte unter der Larve, und
mühsam mußte er oft nach Atem suchen, so drückend
war die Luft in dem Saale, und so schwer lag Erwartung,
Sehnsucht und Angst auf seinem Herzen. Dichter und
stürmischer drängte sich die Menge, als er in die Mitte
des zweiten Saales kam; mit Mühe schob er sich noch
eine Zeitlang durch, aber endlich riß ihn unwillkürlich der
Strom fort, der sich nach einer Seite hindrängte, und ehe
er sich dessen versah, stand er an einem Spieltisch, wo
Süß mit einigen seiner Finanzräte Karten spielte. Große
Haufen Goldes lagen auf dem Tische, und die neugierige
Menge beobachtete den berühmtesten Mann ihres
Landes und teilte sich flüsternd und murmelnd
Bemerkungen mit über die ungeheuern Summen, die er,
ohne eine Miene zu verändern, hingab oder gewann.
Gustav hatte den Gewaltigen noch nie so in der Nähe
beobachtet, wie jetzt, da er, festgehalten durch die
Menge, die wie eine Mauer um ihn stand, zum
unwillkürlichen Beobachter wurde. Er gestand sich, daß
das Gesicht dieses Mannes von Natur schön und edel
geformt sei, daß sogar seine Stirne, sein Auge durch
Gewohnheit zu herrschen etwas Imponierendes
bekommen haben; aber feindliche, abstoßende Falten
lagen zwischen den Augbraunen da, wo sich die freie
Stirne an die schön geformte Nase anschließen wollte,
das Bärtchen auf der Oberlippe konnte einen hämischen
Zug um den Mund nicht verbergen; und wahrhaft
greulich schien dem jungen Mann ein heiseres,
gezwungenes Lachen, womit der jüdische Minister
Gewinn oder Verlust begleitete.
Während die Herren, von der Menge umlagert,
spielten, und auf irgend etwas zu warten schienen, trat ein
Mann in der Kleidung eines Bauern aus der Steinlach aus
den Reihen der Neugierigen; ein alter Hut auf dem Kopf,
eine grobe blaue Jacke, eine rote Weste mit großen
Knöpfen von Zinn, Beinkleider von gelbem Leder und
schwarze Strümpfe machten sein unscheinbares Kostüm
aus; aber er trug eine sehr feine, gutgemalte Larve. Er
stützte sich nach Art der Landleute mit der Hand auf den
fünf Fuß hohen Knotenstock, legte sein Kinn auf die
Hand und sprach in gut nachgeahmtem Dialekt des
Steinlachtals:
»Viel Geld habt Ihr da liegen, Herr! und habt alles
selbst verdient?«
Der Minister sah sich um, und bemühte sich über
diese Maskenfreiheit zu lächeln. Vielleicht mochte ihm
diese Gelegenheit erwünscht kommen, um sich ein
populäres Ansehen zu geben, denn er antwortete sehr
freundlich: »Guten Abend, Landsmann.«
»Euer Landsmann bin ich gerade nicht«, erwiderte der
Bauer mit großer Ruhe; »so wie ich tragen sich
gewöhnlich die Mausche nicht.« Ein unterdrücktes
Lachen flog durch die Reihen der Zuschauer. Der
Minister schien es aber nicht zu bemerken, denn er fuhr
ganz leutselig fort:
»Du bist witzig, mein Freund.«
»Gott bewahr mich, daß ich Euer Freund sei, Herr
Süß«, entgegnete der Bauer. »Wär ich Euer Freund, so
ging ich wohl nicht in dem schlechten Rock und
durchlöcherten Hut; Ihr macht ja Eure Freunde reich.«
»Nun, dann muß ganz Württemberg mein Freund
sein, denn ich mache es reich«, sagte Süß, und begleitete
seine Rede mit heiserem, unangenehmem Lachen.
»Ihr seid ein Allerweltsgoldmacher«, entgegnete der
Bauer. »Wie schön diese Dukaten sind! wieviel
Schweißtropfen armer Leute gehen wohl auf ein solches
Goldstück?«
»Du bist ein kapitaler Kerl!« rief Süß, ganz ruhig
weiterspielend.
Als der Bauer zu einer neuen Rede ansetzen wollte,
zog eine neue Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich. Es
war ein Mann, dessen Kostüm beinahe ebenso war wie
des Bauers, nur hatte er einen langen, spitzen Bart am
Kinn und trug einen Tressenrock. Der Bauer sah ihn eine
Zeitlang verwundert an, schüttelte ihm dann die Hand
und rief: »Ei Hans! wo kommst du her, und so schmuck
und stattlich! gar nicht mehr wie unsereiner!«
»Das macht«, erwiderte Hans, indem er aus einer
silbernen Dose schnupfte, »ich bin bei einem fürnehmen
Herrn in Dienst getreten.«
»Wer ist denn dein Herr?« fragte der Bauer.
»Ein Schinder, aber ein fürnehmer. Meinst du, er
schindet gemeines Vieh, Pferde, Hunde und dergleichen?
Nein, ein Leuteschinder ist er, und noch überdies ein
Kartenfabrikant.«
»Ein Kartenfabrikant?« rief der Bauer.
»Jawohl, denn alle Karten im Lande muß man von ihm
kaufen, er stempelt sie; er ist aber auch ein Gerber.«
»Wie das?«
»Nun, alle Gerber im Lande müssen die Häute gegerbt
von ihm kaufen; er ist aber auch ein Prägestock.«
»Wie! ein Prägestock?«
»Ja, er macht alles Geld, was im Lande ist.«
»Das ist erlogen«, sagte der Bauer, »du willst sagen, er
macht alles zu Geld, was im Land ist; aber darum ist er
noch kein Prägestock. Es gibt nur einen Prägestock in
Württemberg, der dem Land seinen Namenszug
aufgedrückt hat.«
Die Menge hatte bisher nur ihren Beifall gemurmelt,
aber bei der letzten Anspielung auf die Münze brach sie
in lautes Gelächter aus; die Stirne des Gewaltigen
verfinsterte sich etwas, aber noch immer spielte er ruhig
weiter.
»Aber warum hast du dir den Bart so spitzig wachsen
lassen?« fragte der Bauer weiter, »das sieht ja ganz jüdisch
aus.«
»Es ist halt so Mode«, erwiderte Hans, »seit die Juden
Meister im Lande sind; bald will ich vollends ganz jüdisch
werden.«
Als Hans diese letzten Worte sprach, rief eine
vernehmliche Stimme aus dem dicksten Haufen: »Warte
noch ein paar Wochen, Hans, dann kannst du gut
katholisch werden!«
Wem je der schreckliche Anblick wurde, wie in einer
volkreichen Straße, durch Unvorsichtigkeit oder Bedacht
entzündet, eine Tonne Pulvers aufspringt, dem bot sich
kaum eine so seltsame Szene dar, als die, welche diese
wenigen geheimnisvollen Worte hervorbrachten. Der
Minister, bleich wie eine Leiche, springt vom Sessel auf,
er wirft die Karten mit wütendem Blick auf den Tisch:
»Wer sagt dies? greift ihn im Namen des Herzogs!« ruft er
und stürzt, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben,
auf die Menge; seine Genossen, nicht weniger bestürzt
aber besonnener, ergreifen seinen Arm und ziehen ihn
zurück, suchen ihn zu beschwichtigen – sein dunkles
Auge will sich durch die Menge bohren, um den
Gegenstand seiner Wut zu fassen, die Masken murmeln
unwillig und drängen sich; doch als der gefürchtete Mann
seine Hand nach dem Bauer ausstreckt und ruft: »So
sollst du mir für ihn haften«, da ist er plötzlich von einer
drohenden Menge umringt; »Maskenfreiheit, Jude!« hört
man in dumpfen, gefährlichen Tönen, der Bauer und sein
Geselle sind in einem Augenblicke von ihm getrennt,
verschwunden, und so schnell als er vorhin umringt war,
ist er wieder verlassen, denn die Menge zerstiebt, von
geheimer Furcht gejagt, nach allen Seiten.
Das Gedränge riß Gustav Lanbek mit sich hinweg;
seine Gedanken verwirrten sich, es war ihm noch nicht
möglich sich klar vorzustellen, was diesen seltsamen
Auftritt verursacht haben könnte. So stand er einige
Augenblicke in seinen Gedanken verloren, als er plötzlich
seine Hand von einer andern ergriffen fühlte; er sah sich
um, die Orientalin stand vor ihm.
4
»Wo stammt die Rose her auf deinem Hut, Maske?«
fragte die Orientalin mit zitternder Stimme.
»Vom See Tiberias«, war die Antwort des Sarazenen.
»Schnell! folgen Sie mir!« rief die Dame und schlüpfte
durchs Gedränge. Er folgte, mit Mühe sich durch die
Massen schiebend, und nur ihr Turban zeigte ihm hin
und wieder den Weg; sein Herz pochte lauter, sein Ohr
trug noch die letzten Laute dieser süßen Stimme und sein
Auge sah keinen andern Gegenstand mehr als sie. In
einer dunkleren Ecke des zweiten Saales hielt sie an und
wandte sich um.
»Gustav, ich beschwöre Sie, was ist mit meinem
Bruder vorgefallen? die Menschen flüstern allenthalben
seinen Namen; ich weiß nicht, was sie sagen, aber ich
denke es ist nichts Gutes; hat er Streit gehabt? Ach, ich
weiß wohl, diese Menschen hassen unser Volk.«
Der junge Mann war in peinlicher Verlegenheit. Sollte
er mit einem Mal den arglosen Wahn dieses
liebenswürdigen Geschöpfs zerstören? sollte er ihr sagen,
daß auf ihrem Bruder der Fluch der Württemberger ruhe,
daß sie für alle Menschen beten und nur ihn aus dem
Gebet ausschließen, daß es zur Sitte geworden sei, zu
bitten: »Herr erlöse uns von allem Übel und von dem
Juden Süß?« »Lea«, antwortete er sehr befangen, »Ihr
Bruder wurde von einigen Masken im Spiel gestört und
hatte einen Wortwechsel der vielleicht gerade an diesem
Ort auffiel, ängstigen Sie sich nicht.«
»Was bin ich doch für ein törichtes Mädchen!« sagte
sie, »ich habe so schwere Träume, und dann bin ich den
Tag über so traurig und niedergeschlagen. Und so reizbar
bin ich, daß mich alles erschreckt, daß ich immer gleich
an meinen Bruder denke und glaube, es könnte ihm
Unglück zugestoßen sein.«
»Lea«, flüsterte der junge Mann, um diese Gedanken
zu zerstreuen, »erinnerst du dich, was du versprachst,
wenn wir uns auf dem Karneval träfen? wolltest du mir
nicht einmal eine einsame Stunde schenken, wo wir recht
viel plaudern könnten?«
»Ich will«, sagte sie nach einigem Zögern; »Sara, meine
Amme, steht am Ausgang und wird mich begleiten. Doch
wo?«
»Dafür ist gesorgt«, erwiderte er; »folge mir, verliere
mich nicht aus dem Auge; am Eingang rechts.«
Der erfinderische Sinn des jüdischen Ministers hatte,
als er das Karneval in Stuttgart arrangierte und diese Säle
schnell aus Holz aufrichten ließ, dafür gesorgt, daß wie in
großen Häusern und Schlössern an diese Säle auch
kleinere Zimmer stoßen möchten, wo kleine Zirkel ein
Abendessen verzehren konnten, ohne gerade im
allgemeinen Speisesaal ihr Inkognito abzulegen. Der
Aktuarius hatte durch eine dritte Hand und hinlängliche
Bezahlung sich den Schlüssel zu einem dieser Zimmer zu
verschaffen gewußt, eine kleine Kollation stand dort
bereit, und Lea freute sich über diese Artigkeit des jungen
Christen, der sein möglichstes getan hatte, den Sinn einer
in der Küche erfahrnen Dame zu befriedigen, obgleich
das Zimmerchen, das nur einen Tisch und wenige Stühle
von leichtem Holz enthielt, wenig Bequemlichkeit bot.
»Wie bin ich froh, endlich die lästige Larve ablegen zu
können«, sagte sie, als sie mit ihrer Amme eintrat; sie sah
sich nach einem Spiegel um, und als sie nur leere
Bretterwände erblickte, setzte sie lächelnd hinzu: »Sie
müssen mir schon statt eines Spiegels dienen, Gustav,
und sagen, ob diese drängende Menge mir den Haarputz
nicht verdorben hat?«
Entzückt und mit leuchtenden Blicken betrachtete der
junge Mann das schöne Mädchen. Man konnte ihr
Gesicht die Vollendung orientalischer Züge nennen.
Dieses Ebenmaß in den feingeschnittenen Zügen, diese
wundervollen dunkeln Augen, beschattet von langen
seidenen Wimpern, diese kühn gewölbten,
glänzendschwarzen Braunen und die dunkeln Locken, die
in so angenehmem Kontrast um die weiße Stirne und den
schönen Hals fielen, und den Vereinigungspunkt dieser
lieblichen Züge, zarte rote Lippen und die zierlichsten
weißen Zähne noch mehr hervorhoben; der Turban, der
sich durch ihre Locken schlang, die reichen Perlen, die
den Hals umspielten, das reizende und doch so züchtige
Kostüm einer türkischen Dame – sie wirkten, verbunden
mit diesen Zügen, eine solche Täuschung, daß der junge
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