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Der Mondstein

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»Haben Sie Rachel schon geseh’n?« fragte ich.

Er seufzte leise und ergriff meine Hand. Ich würde ihm unfehlbar meine Hand entzogen haben, wenn mich nicht die Art, wie er mir antwortete, in ein starkes Staunen versetzt hätte.

»Ich habe Rachel gesehen,« sagte er vollkommen ruhig. »Sie wissen, liebe Freundin, daß sie sich mit mir verlobt hatte? Nun, sie hat sich plötzlich enschlossen, diese Verlobung wieder aufzuheben. Sie hat sich nach reiflicher Erwägung überzeugt, daß es für ihre Gemüthsverfassung und ihr Wohl das Beste sei, einen rasch gefaßten Entschluß wieder zurückzunehmen und mich in den Stand zu sehen, eine glücklichere Wahl zu treffen. Das ist der einzige Grund, den sie angiebt, die einzige Antwort, die ich mit allen meinen Fragen aus ihr herausbringen kann.«

»Und was haben Sie gethan?« fragte ich; »haben Sie sich gefügt?»

»Ja,« sagte er mit der vollkommensten Fassung, »ich habe mich gefügt.«

Sein Benehmen unter den obwaltenden Umständen war so völlig unbegreiflich, daß ich ganz bestürzt dastand und nicht daran dachte, meine Hand aus der seinigen zurückzuziehen. Es ist überhaupt Unschicklich, irgend Jemanden anzustarren, und es ist doppelt Unschicklich, einen Herrn anzustarren. Ich beging diese beiden Unschicklichkeiten und sagte wie im Traum: »Was soll das bedeuten?«

»Erlauben Sie mir, Ihnen das zu sagen,« erwiderte er; »aber setzen wir uns.«

Er führte mich zu einem Stuhl. Ich habe eine unbestimmte Erinnerung, daß er sehr zärtlich war. Ich glaube nicht, daß er mir den Arm um die Taille legte, um mich zu stützen, aber ich weiß es nicht ganz gewiß. Ich war ganz hilflos und seine Art, sich gegen Damen zu benehmen, hatte etwas höchst Gewinnendes. Genug, wir setzten uns. Dafür, wenn auch für nichts Anderes, kann ich einstehen.

»Ich habe,« fing Herr Godfrey an, »ein reizendes Mädchen, eine ausgezeichnete gesellschaftliche Stellung und ein glänzendes Einkommen« verloren und habe mich ohne Widerstreben in diesen Verlust gefunden. Sie fragen nach der Ursache meines befremdlichen Benehmens? Meine theure Freundin, es giebt keine Ursache für dieses Benehmen.«

»Keine Ursache?« wiederholte ich.

»Lassen Sie mich an Ihre Erfahrung bei Kindern appelliren, liebe Miß Clack,« fuhr er fort, »Sie beobachten an einem Kinde ein auffallendes Benehmen, dessen Grund Sie wissen möchten. Das liebe kleine Ding ist unfähig, Ihnen seine Gründe zu sagen. Eben so gut könnten Sie das Gras fragen, warum es wächst, und die Vögel, warum sie singen. Nun, sehen Sie, in dieser Angelegenheit bin ich wie das Kind, wie das Gras, wie die Vögel. Ich weiß nicht, warum ich Fräulein Verinder einen Heirathsantrag gemacht, ich weiß nicht, warum ich meine lieben Damen so schmählich vernachlässigt habe, ich weiß nicht, warum ich von dem mütterlichen Hosenverein abgefallen bin. Sie sagen zu dem Kinde: »Warum bist Du unartig gewesen?« und der kleine Engel steckt den Finger in den Mund und sagt: »Weiß ich nicht.« Genau so ist es mit mir, Miß Clack! Niemand Anderem würde ich dies eingestehen, Ihnen fühle ich mich jedoch gedrungen, es zu bekennen.«

Ich fing an, mich wieder zu erholen. Hier lag ein geistiges Problem vor. Geistige Probleme interessiren mich auf das Lebhafteste, und ich bin, wie man sich wohl denken kann, nicht ganz ohne Geschick in der Lösung der selben.

»Beste Freundin, strengen Sie Ihren Scharfsinn an und helfen Sie mir,« fuhr er fort. Sagen Sie mir, warum erscheinen mir jetzt meine Schritte in dieser Heirathsangelegenheit wie ein Traum? Warum wird es mir plötzlich wieder klar, daß mein wahres Glück darin besteht, meinen lieben Damen zu helfen, mein bescheiden nützliches Tagwerk zu verrichten und einige ernste Worte zu reden, wenn ich dazu von meinem Vorsitzenden aufgefordert werde? Wozu brauche ich eine Stellung? Ich habe ja eine Stellung. Wozu brauche ich ein Einkommen? Ich habe genug, mein Brot und Käse, mein hübsches kleines Logis und meine zwei Röcke jährlich zu bezahlen. Wozu brauche ich Fräulein Verinder? Ich habe es aus ihrem eigenen Munde gehört – das sage ich Ihnen, liebe Freundin, im strengsten Vertrauen – daß sie einen anderen Mann liebt und daß sie mich nur deshalb heirathen wollte, um zu versuchen, ob sie diesen andern Mann vergessen könne. Welch’ eine schaurige Verbindung wäre das gewesen! O Gott! welch’ eine traurige Verbindung! Alles das habe ich mir auf der Herfahrt gesagt, Miß Clack! Ich näherte mich Rachel mit dem Gefühl eines Verbrechers, der sein Urtheil erwartet. Als ich nun fand, daß auch sie ihren Sinn geändert habe; als sie mir vorschlug, unsere Verlobung wieder aufzuheben, fühlte ich mich, offen gestanden, unendlich erleichtert. Noch vor einem Monate hatte ich sie leidenschaftlich an mein Herz gedrückt und vor einer Stunde wirkte die Gewißheit, sie nie wieder an mein Herz drücken zu können, auf mich wie ein berauschendes Getränk. Die Sache scheint unmöglich – es kann nicht sein! Und doch ist es so, wie ich die Ehre hatte, es Ihnen mitzutheilen, als wir, uns hier niedersetzten. Ich habe ein reizendes Mädchen, eine ausgezeichnete gesellschaftliche Stellung und ein glänzendes Einkommen verloren und habe mich ohne Widerstreben darin gefunden. Können Sie mir die Sache erklären, liebe Freundin? Ich vermag es nicht!«

Er ließ seinen herrlichen Kopf auf die Brust sinken und verzweifelte an der Lösung seines eigenen geistigen Problems.

Ich war tief gerührt. Der Fall war mir, wenn ich mich der Sprache eines geistigen Arztes bedienen darf, jetzt ganz klar. Es ist keine ungewöhnliche Erscheinung in unser aller Erfahrung, daß die reich begabtesten Menschen bisweilen auf das Niveau der dürftigsten Naturen in ihrer Umgebung herabsinken. Der Zweck, den die Vorsehung in ihrer weisen Oekonomie verfolgt, ist unzweifelhaft, menschliche Größe daran zu erinnern, daß sie sterblich ist und daß die Macht, welche diese Größe verliehen hat, sie auch wieder entziehen kann. Ich glaubte nun in dem beklagenswerthen Benehmen des theuren Herrn Godfrey, dessen unsichtbarer Zeuge ich gewesen war, eine dieser heilsamen Demüthigungen erblicken zu müssen. Und eben so klar erkannte ich den erfreulichen Durchbruch seiner bessern Natur in dem Schauder, mit welchem er vor der Idee einer Heirath mit Rachel zurückschreckte und in dem wohlthuenden Eifer, mit welchem er zu seinen Armen zurückzukehren bestrebt war.

Ich legte ihm diese Auffassung in wenigen einfachen und schwesterlichen Worten dar. Es war rührend, seine Freude darüber zu sehen. Er verglich sich, als ich fortfuhr, mit einem im Dunkel Verirrten, der wieder ans Licht gelangt. Als ich ihm eine freundliche Wiederaufnahme in den mütterlichen Hosenverein zusagte, floß das Herz unseres christlichen Helden von Dankbarkeit über. Er drückte meine Hände abwechselnd an seine Lippen. Ueberwältigt von dem Gefühl des großen Triumphs, ließ ich ihn mit meinen Händen thun, was er wollte. Ich schloß die Augen. Ich fühlte, wie mein Kopf, in einer Ekstase geistlicher Selbstvergessenheit, auf seine Schulter sank. Im nächsten Augenblick würde ich unzweifelhaft bewußtlos in seinen Armen gelegen haben, hätte mich nicht eine von außen her kommende störende Unterbrechung wieder zu mir selbst gebracht. Ein entsetzliches Gerassel von Messern und Gabeln ertönte vor der Thür und der Diener kam herein, den Tisch für das zweite Frühstück zu decken.

Herr Godfrey sprang auf und blickte nach der Uhr auf dem Kaminsims.

»Wie rasch die Zeit in Ihrer Gesellschaft enteilt!« rief er aus. »Ich werde kaum noch den Zug erreichen.«

Ich wagte es, ihn zu fragen, warum er so eilig sei, wieder nach London zu kommen. Seine Antwort erinnerte mich, daß noch schwierige Familienverhältnisse auszugleichen seien und daß noch Streitigkeiten in der Familie in Aussicht standen.

»Ich habe einen Brief von meinem Vater gehabt,« sagte er. »Geschäfte nöthigen ihn, heute von Frizinghall nach London zu gehen und er beabsichtigt diesen Abend oder morgen hierher zu kommen. Ich muß ihm mittheilen, was zwischen mir und Rachel vorgefallen ist. Sein Herz hängt an unserer Heirath; ich fürchte, es wird sehr schwer sein, ihn mit der Idee der Wiederaufhebung der Verlobung auszusöhnen. Ich muß ihn um unser Aller willen verhindern, hierher zu kommen, bevor er mit jener Idee ausgesöhnt ist. Beste und theuerste Freundin, wir werden uns wiedersehen.«

Mit diesen Worten eilte er davon. Ich eilte eben so rasch nach meinem Zimmer hinauf, um mich wieder zu fassen, bevor ich mit Tante Ablewhite und Rachel beim Frühstück zusammenträfe.

Ich weiß – um noch einen Augenblick bei Herrn Godfrey zu verweilen – sehr gut, daß die Alles herabziehende öffentliche Meinung ihn beschuldigt hat, aus ganz besonderen Gründen die Verlobung mit Rachel bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit aufgehoben zu haben. Es ist mir auch zu Ohren gekommen, daß man sein angelegentliches Bestreben, sich meine Achtung wieder zu erwerben, in gewissen Kreisen dem eigennützigen Wunsche zugeschrieben hat, durch meine Vermittlung seinen Frieden mit der ehrwürdigen Präsidentin des Comités des mütterlichen Hosenvereins, einer mit den Gütern dieser Welt reich gesegneten Dame und meiner sehr geliebten und vertrauten Freundin zu machen. Ich thue dieser gehässigen Gerüchte nur Erwähnung, um zu erklären, daß sie keinen Augenblick auch nur den mindesten Einfluß auf mein Gemüth geübt haben. Meinen Instructionen gemäß habe ich die Schwankungen meines Urtheils über unsern christlichen Helden dargelegt, genau wie ich sie in meinem Tagebuche verzeichnet finde. Um gerecht gegen mich selbst zu sein darf ich hier wohl hinzufügen, daß mein begabter Freund, nachdem er einmal seinen früheren Platz in meiner Achtung wieder erworben hatte, denselben nie wieder verlor. Ich schreibe mit Thränen in den Augen, voll brennenden Verlangens, mehr zu sagen. Aber nein, – ich bin ja grausamer Weise auf die Darstellung meiner wirklichen Erlebnisse mit Personen und Dingen beschränkt. In weniger als Monatsfrist nach der Zeit, über die ich jetzt schreibe, zwangen mich Ereignisse auf dem Geldmarkt, welche selbst mein elendes kleines Einkommen verminderten, ein Exil im Auslande aufzusuchen, und ließen mir nichts als eine zärtliche Erinnerung an Herrn Godfrey, den die Verleumdung der Welt vergebens anzugreifen gesucht hat. —

 

Ich muß meine Thränen trocknen und zu meiner Erzählung zurückkehren.

Ich ging zum zweiten Frühstück mit dem natürlichen Verlangen hinunter, zu sehen, wie Rachel von der Aufhebung ihrer Verlobung beeindruckt sei.

Es schien mir – aber ich gestehe, daß ich mich auf solche Dinge schlecht verstehe – daß die Wiedererlangung der Freiheit ihre Gedanken wieder jenem andern Manne zugelenkt hatte, den sie liebte, und daß sie gegen sich selbst aufgebracht war, weil sie sich außer Stande sah, die Wiederkehr von Gefühlen niederzukämpfen, deren sie sich heimlich schämte. Wer war der Mann? Ich hatte meine Gedanken darüber, aber es war unnütz die Zeit mit müßigen Grübeleien zu vergeuden. Ich vertröstete mich auf die Zeit, wo ich sie bekehrt haben und wo sie selbstverständlich kein Geheimniß mehr vor mir haben würde. Ich würde dann alles über den Mondstein erfahren. Auch wenn ich keinen höheren Zweck bei der Entdeckung des Sinns für geistliche Dinge in ihr verfolgt hätte, so würde die Befreiung ihres Gemüths von ihren schuldvollen Geheimnissen an sich ein genügendes Motiv für mich gewesen sein, auf meinem Wege fortzuschreiten.

Tante Ablewhite machte sich am Nachmittag ihre gewöhnliche Bewegung in einem Rollstuhl. Rachel begleitete sie.

»Ich wollte ich könnte den Stuhl schieben,« rief sie unglücklich aus. »Ich wollte ich könnte mich bis zum Umfallen ermüden!«

In derselben Laune war sie noch am Abend.

Ich entdeckte in einer der köstlichen Schriften meines Freundes – »das Leben, die Briefe und die Arbeiten Miß Jane Ann Stamper’s, 45-ste" Auflage« – Stellen, welche sich wunderbar für Rachel’s gegenwärtige Situation eigneten. Auf meinen Vorschlag, dieselben zu lesen, ging sie an’s Clavier. Man begreift, wie wenig sie von dem Wesen ernsthafter Menschen gewußt haben muß, wenn sie glaubte, meine Geduld auf diese Weise erschöpfen zu können! Ich behielt Miß Jane Ann Stamper bei mir und wartete mit der unerschütterlichsten Zuversicht auf die Zukunft die Ereignisse ab.

Der alte Herr Ablewhite erschien an jenem Abend nicht mehr. Aber ich wußte, welche Wichtigkeit seine weltliche Habgier der Heirath seines Sohnes mit Fräulein Verinder beilegte und ich war fest überzeugt – Herr Godfrey mochte thun was er wollte es zu verhindern – daß wir den alten Herrn am nächsten Tage bei uns sehen würden. Seine Einmischung in die Angelegenheit würde unzweifelhaft den Sturm, auf den ich rechnete und die heilsame Erschöpfung von Rachel’s Widerstandskraft herbeiführen. Ich weiß ganz gut, daß der alte Herr Ablewhite allgemein und besonders bei seinen Untergebenen im Rufe großer Gutmüthigkeit steht. Nach meiner Erfahrung verdient er diesen Ruf soweit man ihm seinen Willen läßt und nicht länger.

Am nächsten Tage wurde Tante Ablewhite, genau wie ich es vorhergesehen hatte, durch das plötzliche Erscheinen ihres Gatten in einen Zustand versetzt, der dem Erstaunen so nahe kam, wie es ihre Natur zuließ. Er war kaum eine Minute im Hause gewesen, als ihm, dieses Mal zu meinem Erstaunen, die Veranlassung zu einer unerwarteten Verwicklung in Gestalt des« Herrn Bruff auf dem Fuße folgte.

Ich erinnere mich nicht, durch die Gegenwart des Advokaten je so unangenehm berührt gewesen zu sein, wie in jenem Augenblick. Er sah aus, als ob er, völlig kampfbereit, vor keinem Hinderniß zurückschrecken würde.

»Eine sehr angenehme Ueberraschung, Herr Bruff,« sagte Herr Ablewhite, indem er sich mit seiner trügerischen Herzlichkeit an Herrn Bruff wandte. »Als ich gestern Ihr Bureau verließ, dachte ich nicht, daß ich heute die Ehre haben würde, Sie in Brighton zu sehen.«

»Ich habe unsere Unterhaltung noch einmal überdacht, nachdem Sie mich verlassen haben« erwiderte Herr Bruff, »und es fiel mir ein, daß ich Ihnen vielleicht bei dieser Gelegenheit von einigem Nutzen sein könnte. Ich konnte noch eben den Zug erreichen, fand aber den Wagen, in welchem Sie fuhren, nicht.«

Nachdem er diese Erklärung gegeben hatte, setzte er sich neben Rachel. Ich zog mich bescheiden in eine Ecke zurück, behielt aber Miß Jane Ann Stamper für vorkommende Fälle auf dem Schoß. Meine Tante saß am Fenster, sich, wie gewöhnlich, ruhig fächelnd. Herr Ablewhite stand in der Mitte des Zimmers mit seiner Glatze, die rosiger erschien, als ich sie früher gesehen und wandte sich in den zärtlichsten Ausdrücken an seine Nichte.

»Meine liebe Rachel,« sagte er, »ich habe sehr merkwürdige Dinge von Godfrey gehört und bin hergekommen, mich näher darüber zu erkundigen. Du hast Dein eigenes Wohnzimmer in diesem Hause, willst Du die Gefälligkeit haben, mich in dasselbe zu führen?«

Rachel rührte sich nicht. Ob sie entschlossen war eine Krisis herbeizuführen, oder ob sie eher der pantomimischen Einflüsterung Herrn Bruff’s Gehör gab, ist mehr als ich sagen kann. Sie lehnte es ab den alten Herrn Ablewhite in ihr Wohnzimmer zu führen.

»Was Sie mir auch zu sagen wünschen,« antwortete sie, »können Sie hier, in der Gegenwart meiner Verwandten und – dabei blickte sie auf Herrn Bruff – »in der Gegenwart des vertrauten alten Freundes meiner Mutter sagen.«

»Ganz wie Du willst, liebes! Kind!« sagte der liebenswürdige Mr. Ablewhite. Er setzte sich. Die Uebrigen sahen ihn an als ob sie erwarteten, er werde nach 70 Jahren weltlicher Rücksichtnahme die Wahrheit sagen. Ich betrachtete seine Glatze, da ich bei andern Gelegenheiten beobachtet habe, daß seine wahre Gemüthsstimmung sich gerade an dieser Stelle zu verrathen pflegte.

»Vor einigen Wochen,« fuhr der alte Herr fort, »theilte mir mein Sohn mit, daß Fräulein Verinder ihm die Ehre erwiesen habe, sich mit ihm zu verloben. Ist es möglich, Rachel, daß er Deine Worte falsch oder zu sehr zu seinen Gunsten ausgelegt haben kann?«

»Ganz gewiß nichts« antwortete sie, »ich habe mich mit ihm verlobt.«

»Sehr offen geantwortet« sagte Herr Ablewhite, »und höchst befriedigend so weit. In Bezug auf das was vor einigen Wochen geschah, hat Godfrey sich nicht geirrt. Sein Irrthum muß daher offenbar in dem bestehen, was er mir gestern mitgetheilt hat. Jetzt wird es mir klar. Ihr Beiden habt mit einander einen Wortwechsel gehabt, wie er unter Verliebten vorkommt, und mein närrischer Sohn hat denselben für Ernst genommen. Ich hätte mich in seinem Alter besser auf dergleichen verstanden.«

Die gefallene Natur in Rachel – die Mutter Eva so zu sagen – begann sich bei diesen Worten zu regen.

»Bitte,« sagte sie, »Herr Ablewhite, lassen Sie uns einander nicht mißverstehen. Nichts einem Wortwechsel Aehnliches hat gestern zwischen Ihrem Sohn und mir stattgefunden. Wenn er Ihnen gesagt hat, daß ich ihm proponirt habe, unsere Verlobung wieder aufzulösen und daß er seinerseits sich einverstanden erklärt hat – so hat er Ihnen die Wahrheit gesagt.«

Der Thermometer auf Herrn Ablewhites Glatze fing zu steigen an. Der Ausdruck seines Gesichts war liebenswürdiger als je, aber das Rosenroth auf seinem Kopf war schon um eine Nuance dunkler geworden!

»Komm’, komm’, liebes Kind!« sagte er in seinem beschwichtigendsten Tone, »sei nicht böse und sei nicht hart gegen den armen Godfrey! Er hat offenbar ein unglückliches Wort gesagt. Er war sein Lebelang unbeholfen, aber er meint es gut, Rachel, er meint es gut!«

»Herr Ablewhite, ich habe mich entweder sehr schlecht ausgedrückt, oder Sie mißverstehen mich absichtlich. Ein für allemal, es ist zwischen Ihrem Sohn und mir eine abgemachte Sache, daß wir für den Rest unsers Lebens Vetter und Cousine bleiben und nichts mehr. Ist das klar genug?«

Der Ton, in welchem sie diese Worte sprach, machte es selbst für den alten Herrn Ablewhite unmöglich, sie noch länger mißzuverstehen. Sein Thermometer stieg wiederum einen Grad, und seine Stimme hatte, als er wieder zu sprechen anfing, aufgehört das Organ eines für gutmüthig anerkannten Mannes zu sein.

»Ich muß Dich also dahin verstehen« sagte er, »daß Deine Verlobung aufgehoben ist.«

»Wenn ich bitten darf,« erwiderte Rachel.

»Ich habe es ferner als eine Thatsache zu betrachten, daß der Vorschlag, die Verlobung aufzuheben, von Dir ausgegangen ist«

»Der Vorschlag ging von mir aus« und fand, wie ich Ihnen sagte, die Zustimmung und Billigung Ihres Sohnes.«

Der Thermometer erreichte seinen höchsten Grad, das heißt das Rosenroth verwandelte sich plötzlich in Scharlach.

»Mein Sohn ist ein niedrig-gesinnter Hund!« schrie jetzt der wüthende alte Weltling »Als Genugthuung für mich, seinen Vater, nicht als Genugthuung für ihn, bitte ich Sie, Fräulein Verinder, mir zu sagen, welche Beschwerden Sie gegen Herrn Godfrey Ablewhite haben?«

Hier legte sich Herr Bruff zum ersten Male in’s Mittel.

»Sie sind nicht verpflichtet, diese Frage zu beantworten,« sagte er zu Rachel.

Sofort stürzte sich der alte Herr Ablewhite auf ihn.

»Vergessen Sie nicht, Herr Bruff,« sagte er, »daß Sie hier ein Gast sind, der sich selber eingeladen hat. Ihre Einmischung würde von besserer Wirkung gewesen sein, wenn Sie gewartet hätten, bis man dieselbe erbeten haben würde.«

Herr Bruff nahm keine Notiz von diesen Worten. Der glatte Firniß auf seinem verschmitzten alten Gesicht erlitt nie einen Bruch. Rachel dankte ihm für den Rath, den er ihr gegeben hatte, und wandte sich dann wieder gegen den alten Herrn Ablewhite mit einer Fassung in ihrem ganzen Wesen, die man in Rücksicht auf ihr Alter und ihr Geschlecht geradezu furchtbar finden mußte.

»Dieselbe Frage, die Sie eben an mich gerichtet haben, hat auch Ihr Sohn mir gethan,« sagte sie. »Ich hatte nur eine Antwort für ihn und habe auch nur eine Antwort für Sie. Ich habe ihm vorgeschlagen, uns gegenseitig unseres Wortes zu entbinden, weil ich mich durch Nachdenken überzeugt hatte, daß ich sowohl sein, wie mein Bestes fördern würde, wenn ich ein zu rasch gegebenes Versprechen zurücknähme und ihm die Freiheit seiner Wahl zurückgäbe.«

»Was hat mein Sohn gethan?« beharrte Herr Ablewhite. »Ich habe ein Recht, das zu erfahren! Was hat mein Sohn gethan?«

Sie beharrte ihrerseits ebenso eigensinnig bei dem einmal Gesagten.

»Ich habe Ihnen die einzige Erklärung gegeben, die ich Ihnen oder ihm zu geben für nothwendig halte,« antwortete sie.

»Mit andern Worten, es beliebt Ihnen, Fräulein Verinder, Ihr Spiel mit meinem Sohn zu treiben?«

Rachel schwieg einen Augenblick. Da ich dicht hinter ihr saß, vernahm ich, wie sie seufzte. Herr Bruff ergriff ihre Hand und drückte dieselbe. Sie erholte sich wieder und antwortete Herrn Ablewhite so kühn wie vorher.

»Ich habe mich schon schlimmeren Mißdeutungen als dieser ausgesetzt gesehen,« sagte sie, »und habe es ruhig ertragen. Die Zeit ist vorüber, wo man mich kränken konnte, wenn man mich eine alte Coquette nannte.«

Sie sprach diese Worte mit einer Bitterkeit des Tons, welche mich überzeugte, daß die scandalöse Mondstein-geschichte sich ihrem Gedächtniß wieder aufgedrängt haben mußte.

»Ich habe weiter nichts zu sagen,« fügte sie matt hinzu, gegen Niemanden im Zimmer gewandt, sondern von allen abgewandt, zu dem ihr zunächst befindlichen Fenster hinausblickend.

Herr Ablewhite sprang auf und stieß seinen Stuhl mit solcher Gewalt bei Seite, daß derselbe zu Boden fiel.

»Aber ich habe noch etwas zu sagen,« rief er aus, indem er mit der flachen Hand heftig auf den Tisch schlug. »Ich habe zu sagen, daß, wenn mein Sohn dieses Verfahren nicht als eine Insulte empfindet, ich thue es.«

Rachel stand auf und sah ihn mit überraschtem Staunen an.

»Insulte?« wiederholte sie. »Was wollen Sie damit sagen?«

»Insulte!« wiederholte Herr Ablewhite. »Ich kenne den Grund, Fräulein Verinder, aus welchem Sie Ihr meinem Sohne gegebenes Versprechen gebrochen haben! Ich kenne ihn so gut, als ob Sie ihn ausdrücklich zugestanden hätten. Euer verfluchter Familienstolz insultirt jetzt Godfrey, wie er mich insultirte, als ich Deine Tante heirathete. Deine Familie – Deine Bettlerfamilie – kehrte ihr den Rücken, weil sie einen braven Mann heirathete, der sich selbst seine Stellung in der Gesellschaft und sein Vermögen erworben hat. Ich hatte keine Vorfahren. Ich stammte nicht von einer Bande gurgelabschneidender Schufte, die sich von Raub und Mord ernährten. Ich war nicht im Stande, die Zeit nachzuweisen, wo die Ablewhite’s kein Hemd auf dem Leibe hatten und ihren Namen nicht schreiben konnten. Ha! ha! ich war nicht gut genug für die Herncastle’s, als ich heirathete. Und jetzt ist mein Sohn nicht gut genug für Dich. Ich argwöhnte die Sache schon von Anfang an. Sie haben das Herncastle’sche Blut in Ihren Adern, mein verehrtes Fräulein. Ich habe die Sache von Anfang an vorausgesehen.«

 

»Ein sehr unwürdiger Verdacht,« bemerkte Herr Bruff. »Ich bin erstaunt, daß Sie den Muth haben, denselben auszusprechen.«

Bevor noch Herr Ablewhite Worte finden konnte, zu antworten, sprach Rachel in einem Tone geringschätzender Bitterkeit:

»Gewiß,« sagte sie, zu dem Advocaten gewandt, »ist es unter meiner Würde, darauf zu antworten. Wenn er solcher Gedanken fähig ist, so wollen wir ihn ungestört seinen Gedanken überlassen.«

Das Scharlach der Glatze des Herrn Ablewhite verwandelte steh nun in Purpur. Er schnappte nach Luft; seine Augen schweiften zwischen Rachel und Herrn Bruff mit dem Ausdruck einer wahnsinnigen Aufregung hin und her, in der er nicht zu wissen schien, wen von beiden er zuerst angreifen solle. Seine Frau, die bis zu diesem Augenblicke unbeweglich dagesessen und sich gefächelt hatte, fing an, sich zu beunruhigen und versuchte es, wiewohl ganz vergeblich, ihn zu beschwichtigen.

Ich hatte während der ganzen Dauer dieser peinlichen Scene mehr als einmal den inneren Beruf gefühlt, mich mit einigen ernsten Worten in’s Mittel zu legen und hatte mich, einer christlichen englischen Frau sehr unwürdig, die nicht der gemeinen Klugheit, sondern dem sittlich Rechten Gehör geben soll, durch die Furcht vor den Folgen zurückhalten lassen. Bei dem Höhepunkt aber, den die Dinge jetzt erreicht hatten, erhob ich mich unbekümmert um alle Erwägungen reiner Zweckmäßigkeit. Wenn ich an die mögliche Zurückweisung meines bescheidenen Raths gedacht hätte, so würde ich vielleicht auch jetzt noch gezaudert haben. Aber für die betrübende Familienscene, deren Zeugin ich jetzt war, fand sich eine außerordentlich schöne und wunderbar zutreffende Stelle in der Correspondenz von Miß Jane Ann Stamper im 1001-sten Brief über »Familienfrieden.« Ich erhob mich in meiner bescheidenen Ecke und öffnete mein köstliches Buch.

»Lieber Herr Ablewhite,« sagte ich, »ein Wort!«

In dem Augenblick, als ich durch mein Aufstehen die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf mich zog, war er ersichtlich im Begriff mir eine Grobheit zu sagen, aber meine schwesterliche Art ihn anzureden hielt ihn zurück. Er starrte mich in heidnischem Erstaunen an.

»Als einer wohlwollenden Freundin,« fuhr ich fort, »und als Einer, die seit langer Zeit gewohnt ist, Andere zu erwecken, zu überzeugen, vorzubereiten, zu erleuchten und zu stärken, gestatten Sie mir die verzeihlichste aller Freiheiten – die Freiheit, Ihr Gemüth zu beruhigen.«

Er fing an, seine Fassung wieder zu gewinnen, er war im Begriff auszubrechen, und würde ohne Zweifel gegen jeden Andern seinen Gefühlen freien Lauf gelassen haben. Aber meine gewöhnlich so sanfte Stimme gebietet über einen wunderbar kräftigen Ton bei außerordentlichen Vorfällen. Bei dem gegenwärtigen Vorfall fühlte ich mich gebieterisch berufen, meine Stimme über die seinige zu erheben.

Ich hielt ihm mein kostbares Buch entgegen; ich wies nachdrücklich mit meinem Zeigefinger auf die offene Seite. »Nicht meine Worte!« rief ich heftig unterbrechend aus, »glauben Sie nicht, daß ich Ihre Aufmerksamkeit für meine geringen Worte in Anspruch nehme! Manna in der Wüste, Herr Ablewhite! Thau auf die versengte Erde! Worte des Trostes, Worte der Weisheit, Worte der Liebe – die drei Mal gesegneten Worte von Miß Jane Ann Stamper!«

Hier wurde ich durch ein augenblickliches Hinderniß im Athmen zu einer Pause genöthigt. Bevor ich fortfahren konnte, schrie mir das Scheusal in Menschengestalt wüthend zu: »Miß Jane Ann Stamper soll —!«

Es ist mir unmöglich, das furchtbare Wort niederzuschreiben, an dessen Stelle ich hier eine Lücke gelassen habe. Ich fuhr zusammen, als er es über die Lippen brachte; ich flog nach meiner kleinen Handtasche auf dem Nebentisch; ich schüttelte alle meine Tractate aus; ich ergriff ein speciell von Flüchen handelndes Tractätchen, das den Titel führt: »Still, um Gotteswillen!«; ich überreichte ihm dasselbe mit einem Ausdruck flehentlicher Bitte. Er riß es in Stücke und warf es mir über den Tisch wieder zu. Die Uebrigen erhoben sich bestürzt; in dem Gefühl der Ungewißheit über das, was folgen möchte. Ich setzte mich sofort wieder in meine Ecke. Bei einer ähnlichen Gelegenheit war Miß Jane Ann Stamper bei den Schultern gefaßt und aus dem Zimmer geschoben worden. Ich erwartete, von ihrem Geiste beseelt, eine Wiederholung ihres Märtyrerthums.

Aber nein – es sollte nicht sein. Seine Frau war die nächste Person, an die er sich wandte.

»Wer – wer – wer,« sagte er vor Wuth stammelnd, »hat diese unverschämte Fanatikerin eingeladen? Du?«

Bevor Tante Ablewhite ein Wort erwidern konnte, antwortete Rachel für sie.

»Miß Clack ist hier,« sagte sie, »als mein Gast.«

Diese Worte übten eine eigenthümliche Wirkung auf Herrn Ablewhite. Sie verwandelten den rothglühenden Zorn des Mannes plötzlich in eiskalte Verachtung.

Es war klar für Jeden, daß Rachel etwas gesagt hatte, was ihn – kurz und deutlich wie ihre Antwort gewesen war – doch schließlich die Oberhand über sie gewinnen ließ.

»O,« sagte er, »Miß Clack ist hier als Ihr Gast in meinem Hause?«

Jetzt war die Reihe an Rachel, ihre Fassung zu verlieren. Sie wurde roth und ihre Augen glänzten vor Zorn. Sie wandte sich gegen den Advocaten und fragte, indem sie auf Herrn Ablewhite deutete, in geringschätzendem Tone: »Was meint er?«

Herr Bruff legte sich zum dritten Mal ins Mittel.

»Sie scheinen zu vergessen,« sagte er gegen Herrn Ablewhite gewandt, »daß Sie dieses Haus als Fräulein Verinder’s Vormund für dieselbe gemiethet haben.«

»Nicht so rasch!« unterbrach ihn Herr Ablewhite.

»Ich habe ein letztes Wort zu sagen, was ich schon früher würde ausgesprochen haben, wenn diese —« er sah nach mir hinüber, zweifelhaft, mit welchem abscheulichen Namen er mich belegen solle – »wenn diese schwatzhafte alte Jungfer uns nicht unterbrochen hätte. Ich erkläre Ihnen hiermit, Herr Bruff, daß, wenn mein Sohn nicht gut genug ist, Fräulein Verinders Gatte zu sein, ich nicht glauben kann, daß sein Vater gut genug ist, Fräulein Verinder’s Vormund zu sein. Verstehen Sie wohl, wenn ich bitten darf, daß ich die mir in Lady Verinders Testament angebotene Stellung ablehne. Dies Haus hat nothwendiger Weise in meinem Namen gemiethet werden müssen, wie es mir gefällt. Ich will Fräulein Verinder nicht drängen. Im Gegentheil, ich bitte sie, die Entfernung ihres Gastes und ihres Gepäcks ganz nach ihrer Convenienz zu bewerkstelligen.«

Er machte eine kleine Verbeugung und ging zum Zimmer hinaus.

Das war Herrn Ablewhite’s Rache an Rachel dafür, daß sie seinen Sohn nicht heirathen wollte!

In dem Augenblick, wo sich die Thür hinter ihnen schloß, äußerte sich Tante Ablewhite in einer für uns Alle wunderbar überraschenden Weise. Sie raffte sich energisch dazu auf, durch’s Zimmer zu gehen!

»Liebes Kind« sagte sie, indem sie Rachel’s Hand ergriff. »Ich müßte mich meines Mannes schämen, wenn ich nicht wüßte, daß nur sein Temperament mit Dir gesprochen hat und nicht er selbst. Du,« fuhr Tante Ablewhite zu mir in meiner Ecke gewandt mit einem andern Aufgebot von Energie fort, die sich dieses Mal nicht sowohl in ihren Gliedern als in ihren Blicken äußerte, »Du bist die boshafte Person, die ihn gereizt hat. ich hoffe weder Dich noch Deine Tractate je wiederzusehen.«

Sie ging wieder zu Rachel und küßte sie.

»Ich bitte Dich um Verzeihung, liebes Kind,« sagte sie, »im Namen meines Mannes. Was kann ich für Dich thun?«

Durch und durch verkehrt in allen Dingen, launenhaft und unvernünftig in allen Handlungen des Lebens, zerfloß Rachel in Thränen bei diesen Gemeinplätzen und erwiderte schweigend den Kuß ihrer Tante.

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