Hekate

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Der Name der Göttin ist bis heute rätselhaft und allem Anschein nach nichtgriechischen Ursprungs, so dass die etymologischen Erklärungen der Alten wohl kaum seine ursprüngliche Bedeutung treffen. Auffällig ist hierbei, dass ihr Name als weibliches Gegenstück zu dem Apollo-Namen „Hekatos“ gedeutet werden kann, was „Strahlender“ oder „Fernwirkender“ (´εκάς = fern) heißen soll, wie schon der italienische Humanist Lilius Gyraldus 1548 mutmaßt: Hecate primum sic nuncupata, quod ´εκάς hekas – id est longe – radios iaciat.56 Einer anderen Erklärung zufolge leitet sich beides aus „wekat“ (indogermanisch. *Veknt-) „wollend“ (griech. ´εκών), ab. Ein Holz, an das Verbrecher zur Auspeitschung gebunden wurden, hieß nach Hesychios ebenfalls „΄εκάτη“. Am wahrscheinlichsten ist, Hekate als die „Strahlende, Fernwirkende“ zu übersetzen – was wieder an einen Ursprung als Sonnengöttin denken lässt. Die Vorstellung einer in die Ferne reichenden Wirkung begünstigte sicherlich die Gleichsetzung mit der Pfeile verschießenden Jägerin Artemis-Diana, mit der Hekate in der Spätantike oft verschmilzt. Die „Pfeile“, die die Götter verschießen, sind jedoch nicht nur Lichtstrahlen, sondern können auch Krankheiten und Schmerzen sein, wie man im ersten Gesang der „Ilias“ und bei den Tragikern sehen kann.57 In Ägypten wurde Hekate mit dem ägyptischen Begriff „heku“ in Verbindung gebracht, der soviel wie „Magie“ oder „magische Kraft“ bedeutet – nicht ganz unpassend, wie man zugeben muss (es gab sogar einen Frosch-Gott Hekt – bei den Griechen hat Hekate, soweit ich sehe, aber nie etwas mit Fröschen zu tun). Walkers Theorie, Hekate habe ihren Ursprung „in der ägyptischen Göttin der Geburtshelferinnen Heqit, Heket oder Hekat, die sich wiederum aus der heq oder Stammesmutter des vordynastischen Ägyptens entwickelte“58, entbehrt allerdings jeder Grundlage.

Bedenkenswerter sind die Überlegungen, die Alfred Laumonier anstellt. Als ursprüngliche karische Namensform der Hekate rekonstruiert er *Akta, was als Namensbestandteil auch in Aktaion, Aktis und Hektor enthalten sein soll. Hektor sei eigentlich Hekator, und auch Frauennamen wie Hekabe, Hekamede, Hekaerge wiesen einen Bezug zu unserer Göttin auf. Da der phrygische Name „Hek(a)tor“ einer Notiz bei Hesychius zufolge wörtlich „der Weise“ bedeutet habe, hält es Laumonier für möglich, dass auch Hekate wörtlich „die Weise“ sei – eine durchaus ansprechende These.

Trimorphos - Das Rätsel der drei Gestalten

Ihre Darstellung ändert sich im Lauf der Jahrhunderte kaum. Ihre Attribute sind: Schlüssel, ein Apfel, Fackel, Dolch und Schwert, ein Hund, Schlangen, eine Geißel. Sie wird häufig mit drei Leibern dargestellt, was auf die drei Phasen des Mondes bezogen wird, auf die Wegkreuzungen, an denen sich die Hekataien meist befanden, oder auf die drei Elemente Erde, Wasser, Himmel, über die sie Gewalt hatte. Letzteres ist die ältere Zuordnung.

Hekate wurde im eigentlichen Griechenland erst ab dem 5. Jahrhundert v. Z. dreigestaltig dargestellt, wie Pausanias in seinem Reiseführer für Griechenland bestätigt: „Alkamenes hat nach meiner Meinung als erster Hekatebilder gemacht zu dritt aneinander, die die Athener die Epipyrgidia nennen.“59 Laumonier weist allerdings darauf hin, dass es auf der Insel Rhodos, die vor der karischen Küste liegt, schon 150 Jahre früher eine dreigestaltige archaische Darstellung der Hekate gab, die wie eine hethitische Göttin als „Herrin der Tiere“ auf zwei Löwen steht.60 Da es auch bei den Hethitern schon dreigestaltige Götter gab, stellt sich in der Tat die Frage, ob diese Darstellung der Göttin nicht auch aus dem Osten kommt.61 In der Folgezeit wurde diese dreigestaltige Form zur häufigsten und erfreut sich auch heute wieder einiger Beliebtheit; es gab jedoch immer auch eingestaltige Darstellungen. Die dreigestaltige Darstellung konnte auch Tierköpfe haben, in den Orphischen Argonautika (V. 977 - 980) erscheint sie mit einem Pferde-, Schlangen- und Hundekopf. Andere Kombinationen sind: Hündin-Jungfrau-Kuh (PGM IV, 2119), Frau-Rind-Hund (Lukian, Philops. 14), Stier-Hund-Löwin (Porphyrios, De abstin. 3,17,2).

Spätantike Gemme, nach Roscher

Schon von den antiken Gelehrten wurde die Dreigestalt der Hekate unterschiedlich erklärt. Wenn Vergil etwa in der Aeneis von der „am Himmel und in der Unterwelt mächtigen Hekate“ (voce vocans Hecaten, Caeloque Ereboque potentem; VI, 247) spricht, greift er Hesiod auf, bei dem Hekate, wie wir noch sehen werden Allgöttin über Himmel, Erde und Meer ist. Der Verfasser des als „Servius auctus“ bekannten spätantiken Vergil-Kommentars deutet Hekates Macht genauer als Macht über Geborenwerden, Leben und Sterben (potestas nascendi valendi moriendi) und stellt sie als Triade Lucina-Diana-Proserpina neben die Moiren, macht Hekate also zur Schicksalsgöttin, die das zyklische Werden und Vergehen der Lebewesen beherrscht. Augenscheinlichstes Beispiel für zyklisches Werden sind die Mondphasen, mit denen Hekate zuerst in der römischen Kaiserzeit von dem stoischen Philosophen und Astronomen Kleomedes gebracht wird (Kleomedes 2,5; ähnlich auch L. Annäus Cornutus, De natura deorum, c. 34). Allerdings nennt Kleomedes die Mondgöttin Artemis, und nicht Hekate, so dass die Übertragung der Mondphasen auf Hekate erst durch die Gleichsetzung Hekate-Diana zustande gekommen sein kann, die allerdings durch einen Vers Vergils (Aeneis IV,511) nahe gelegt wird, in dem der Dichter sowohl Hekate als auch Diana als „dreiköpfig“ (tergeminamque Hecaten, tria Virginis ora Dianae) bezeichnet. Dass solche späten naturphilosophisch-theologischen Spekulationen aber für die künstlerische Darstellung maßgebend gewesen sein sollten, wird von Theodor Kraus zu Recht bezweifelt, da die dreigestaltige Darstellung ja schon lange vor der Stoa aufkam. Dass die drei Herrschaftsbereiche in den drei Leibern dargestellt sein sollten, erscheint auch unwahrscheinlich; und wenn die Auffassung von Hekate als einer Mondgöttin zur Dreigestalt geführt hätte, hätte eigentlich auch die eigentliche Mondgöttin Selene dreigestaltig abgebildet werden müssen, was aber nicht der Fall ist. Plausibler erscheint da, dass die drei Körper etwas mit den drei Wegen zu tun haben, an deren Kreuzung Hekate verehrt wurde. Ist die τριοδίτις (trioditis, lateinisch: trivia) also zur τρίμορφος trímorphos, geworden, die Wegegöttin zur Dreileiber-Statue?

Dafür spricht insbesondere eine Stelle bei Ovid, in der der römische Gott Janus sich selbst mit Hekate vergleicht (Fasten I, 142 f.). Janus ist der Gott der Schwelle (ianua), und als solcher wie Hekate ein Gott, der den Übergang und die Zeit des Übergangs symbolisiert (er wird daher auch von Proklos neben Hekate gestellt, wie wir später noch sehen werden). So wie Janus nach innen und außen schaut bzw. in die Zukunft und in die Vergangenheit, schaut Hekate in die drei Richtungen der Wegkreuzung:

Ora vides Hecates in tres vergentia partes,

Servet ut in ternas compita secta vias.

Nach drei Seiten gekehrt erscheint dir auch Hecates Antlitz,

Nach drei Seiten sich hin theilenden Pfaden zur Hut.62

Theodor Kraus erscheint auch das nicht überzeugend genug. Er verweist vielmehr darauf, dass vor allem Gottheiten der Unterwelt dreigestaltig dargestellt werden: Neben dem dreiköpfigen Hadeswächter Kerberos, neben Hermes, der als Totengott mehrköpfig wurde, wurde auch der Riese Geryon dreiköpfig dargestellt, der wie alle Titanen ein Kind der Erdgöttin Gaia ist. Dass Hekate eine chthonische Gottheit ist, haben wir bereits gesehen, und dass sie von Titanen abstammt, werden wir gleich bei Hesiod sehen. In ähnlicher Weise ist auch die germanische Hel eine Tochter Lokis und der Riesin Angrboda (die Parallele geht sogar noch weiter: eine Variante des Mythos erzählt, Hekate sei von Zeus in die Unterwelt hinabgeworfen worden, ähnlich wie auch Hel von Wotan unter die Erde verbannt wird).

Kraus spekuliert, ob es nicht einen Brauch gegeben haben könnte, an den Dreiwegen an einem Pfahl drei Masken aufzuhängen, die die Göttin darstellen sollten, und dass hieraus die Dreigestalt entstanden sei. Das ist denkbar, es gibt jedoch keinerlei Beleg dafür. Eine befriedigende religionswissenschaftliche Erklärung für die Dreigestalt der Hekate gibt es jedenfalls bis heute nicht, wie Karin Zeleny 1999 feststellt. Denkbar wäre es, die Dreigestalt der Göttin mit den drei Parzen und Nornen in Verbindung zu bringen, und die drei Leiber als Symbole für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen, wofür auch der oben zitierte Vergil-Kommentar spricht. Dies ließe sich dadurch plausibel machen, dass Hekate schon in der Antike mit Janus in Verbindung gebracht wurde, der offensichtlich ein Gott der Zeit ist. Dass die Römer den Janus von den Etruskern übernahmen, und dieser Gott wohl wie Hekate kleinasiatischen Ursprungs war, macht die Zeit-Symbolik ebenfalls wahrscheinlich.

Dreigestaltige Hekate, St. Petersburg

Es gibt noch rund 300 antike Hekate-Darstellungen. Meist handelt es sich dabei um Bruchstücke und Fragmente von Statuen, Darstellungen auf Münzen, Vasen und Amuletten (wie bei dem Anhänger in Brüssel, Musées Royaus, Inv. A 1662). Einigermaßen vollständige Statuen stehen u. a. in der St. Petersburger Eremitage, im kunsthistorischen Museum Wien, im Vatikan (Museo Chiaramonti Inv. 192263), im Museo archeologico in Venedig, im Museo Torlonia in Rom (Abb. 104 in C. G. Jungs „Symbolen der Wandlung“), in der Münchener Glyptothek, in der Bibliothèque Nationale in Paris und im Riijksmuseum van Oudheden in Leiden. Eine der schönsten, eine aus Ägina stammende Dreiergruppe aus der Sammlung Metternich, befindet sich in Prag (NM 4742). Wer sich kunstgeschichtlich mit den erhaltenen Hekate-Darstellungen beschäftigen will, greife zu dem von H. C. Ackermann herausgegebenen Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC), speziell zu Band VI/1 (Zürich,München 1992, S. 985 - 1010) und Band VI/2 (S. 655 - 673), sowie zu den Dissertationen von Tatjana Brahms und Nina Werth.64

 

Typische Attribute der Hekate sind Fackel, Hund, Oinochoe (Schöpfkanne), Phiale (Trinkschale), Frucht, Mondsichel, Dolch, Peitsche, Schlange, Schlüssel, selten sind Darstellungen mit Lotusblüte, Hirsch, Altar oder Sonnenscheibe (auf ägyptischen Münzen, wo Hekate mit Isis gleichgesetzt wird).

Aus der Antike ist im Übrigen keine einzige Darstellung überliefert, die Hekate als alte Frau oder „Hexe“ zeigt. Diese Vorstellung stammt aus der Zeit der Renaissance bzw. dem späten 19. Jahrhundert (Crowley), von wo sie an die Esoterik des 20. Jahrhunderts vermittelt wurde.

Frühe literarische Zeugnisse
Der Hekate-Hymnus in Hesiods „Theogonie“

Dass Hekate bei Homer nicht erwähnt wird (genau so wenig wie Dionysos) berechtigt uns jedoch nicht zu der Annahme, sie sei damals noch ganz unbekannt gewesen. Göttin des Todes ist bei Homer Persephone, die von ihm häufig als „he Kêr“, die Todesgöttin, apostrophiert wird. Die Nichterwähnung der Hekate in der „Ilias“ und der „Odyssee“ könnte ein Indiz dafür sein, dass sie ursprünglich keine griechische Gottheit war und von der homerischen Adelsgesellschaft nicht verehrt wurde, da sie eher eine Göttin für Frauen und für nichtadlige Schichten der Bevölkerung war. Schon Wilamowitz-Moellendorf meint daher:

Sie ist also nicht durch Homer verbreitet, war aber in anderen Kreisen als denen, für die er dichtete, wohl schon verehrt; das südliche Ionien liegt ihm ja überhaupt ferner, und von da muss der Kult der Hekate ausgegangen sein.65

Die erste ausführliche Erwähnung der Göttin finden wir bei Hesiod in der Theogonie, v. 411 - 452. Der dort eingeschobene Hekate-Hymnus, dessen Echtheit heute weitgehend anerkannt wird, ist oft kommentiert worden.66 Er ist eingebaut in eine Reihe von Amtszuteilungen und Ehrenbekundungen, die Zeus ab Vers 348 den Töchtern der Tethys, der Göttin Styx und eben der Hekate zuteil werden lässt. Den Kontrast hierzu bilden die Besiegung der Titanen, die Ablösung des Kronos durch Zeus und die Bestrafung des Prometheus (ab V. 507).

Für Verwirrung unter den Philologen sorgt, dass Hekate hier nicht als dämonisch-blutrünstige Herrin der Nacht und der Zauberei erscheint, sondern als eine alte, sehr mächtige Göttin, die ihrem Verehrer Reichtum und Glück bescheren kann. Der Aufbau des Hymnus ist kompliziert, zerfällt aber doch organisch in zwei Hauptteile, deren erster Hekates Macht beschreibt, die sich über Himmel, Erde und Meer erstreckt und auch von Zeus anerkannt wird, während der zweite Teil an einzelnen Beispielen beschreibt, wie ihre Gnade dem einzelnen Menschen Glück und Sieg zuteil werden lässt.

Hekate stammt nach Hesiod von der Titanin Asteria und dem Titanen Perses ab, die ihrerseits Kinder der Gaia und des Uranos bzw. der Gaia und des Pontos sind. Hekate gehört also der vierten Generation der Götter an, ist damit gleichalt mit Zeus und stammt von den Elementen Erde (Gaia), Himmel (Uranos) und Meer (Pontos) ab. Ihr Vater Perses ragt „unter allen an Wissen und Klugheit hervor“ (V. 377). Ihre Mutter Asteria (benannt nach „aster“, „der Stern“?) ist eine Schwester der Leto, der Mutter von Apollo und Artemis, deren Cousine sie somit ist. Ihre Großeltern mütterlicherseits sind der Titan Koios, dessen Name auf vorgriechische Ursprünge verweist und die „goldbekränzte“ Titanin Phoibe („die Glänzende“, Theogonie Vers 146); ihre Großeltern väterlicherseits sind der Titan Kreios (ebenfalls ein vorgriechischer Gott, der auf dem Peloponnes verehrt wurde) und die Titanin Eurybia („die weithin mächtig ist“, V. 375), „die mit dem härtesten Herzen“ (t’ adamantos eni presi thymon echousan, V. 239). Nach späteren Autoren ist sie entweder ein Kind der Nacht (so Bacchylides), des Tartaros oder eine Tochter von Zeus und Asteria; nach orphischer Überlieferung gar eine Tochter der Demeter.67 Hervorzuheben ist, dass Hekate monogenes ist, „alleingeboren“, sie hat keine Geschwister, und wie Diana-Artemis verzichtet sie auf Mutterschaft. Sie ist keine Göttin der Fruchtbarkeit und der Liebe.

Merkwürdig ist, wie stark Hesiod betont, dass Hekates Macht von Zeus so sehr respektiert wird, dass er keinen Versuch macht, sie zu schwängern oder zu unterwerfen (was mythologisch gesehen auf dasselbe hinausläuft: Der Vatergott Zeus unterwirft sich die Göttin, indem er sie zu seiner Gattin, Liebhaberin oder Tochter macht). Im Gegensatz zu Hera, die Zeus als Gemahlin beigeordnet ist und nur indirekt gegen Zeus aufbegehrt, indem sie seine zahllosen Geliebten und Kinder verfolgt, hat sich Hekate ihre Unabhängigkeit erhalten können und sich nicht in die patriarchale Hierarchie der olympischen Götter integriert.

Der Name von Hekates Vater Perses führt uns wieder auf eine nicht-indogermanische Wortwurzel *persa mit der Bedeutung „Licht, Feuer, Sonne“, wie sie auch in den Namen Persephone und Perse enthalten ist. Perses dürfte daher auf einen vorgriechischen Sonnengott zurückgehen, der wiederum Sohn der Erdgöttin ist. Tatsächlich ist Perses’ Mutter die Titanin Eurybie, die als Tochter der Gaia selbst eine Hypostase der Erdgöttin ist, so dass wir in dem Mutter-Sohn-Verhältnis zwischen Eurybie und Perses wiederum den altorientalischen Mythos vorfinden, in dem der Sonnengott ein Kind der Erdgöttin ist.68

Hier nun der Text aus Hesiods „Theogonie“:

Phoibe aber bettete sich in Liebe mit Koios.

In der Umarmung empfing den Samen des Gottes die Göttin,

und sie gebar die schwarzgewandete Leto, die sanfte,

sanften Sinns seit Beginn, die friedlichste in des Olympos

Reich, den Menschen so freundlich gesinnt wie den ewigen Göttern.

Ferner gebar sie die namenschöne Asteria; Perses

Führte sie heim in sein Haus, auf dass sie Gattin ihm heiße.

Diese empfing und gebar dann Hekate, die der Kronide

Zeus vor allen geehrt, indem er sie herrlich begabte,

Teil an der Erde zu haben und an der Öde des Meeres.

Hohe Ehre auch ward ihr zuteil unter Himmelsgestirnen,

höchste Achtung genießt sie im Kreis der unsterblichen Götter.

Denn noch jetzt ist es so: Wenn einer der irdischen Menschen

Gnade erfleht, im heiligen Opfer dem Brauche genügend,

ruft er Hekate an. Und reichen Segen gewinnt er

mühelos, wenn nur die Göttin sein Bitten gnädig erhört hat.

Aus der Fülle der Macht gewährt sie Glück ihm und Wohlstand.

Denn von allen Göttern, die Erde und Himmel entstammen,

mögen sie noch so geehrt sein: Sie hält ihr Schicksal in Händen.

Niemals übte Gewalt gegen sie der Kronide, nie rührte

Er an die Macht, die ihr zukam unter den früheren Göttern.

Nein, was von Anfang an ihr heiliges Teil war, behielt sie:

Alle Ehre auf Erden, am Himmel wie auf dem Meere.

War sie auch einzeln geboren, empfing sie nicht kleineren Anteil,

nein, viel größeren noch, da Zeus sie achtet wie keine.

Ganz, wie sie will, gewährt sie Hilfe und Schutz einem Manne:

Ehrwürdig hohen Königen sitzt er als Richter zur Seite,

in der Versammlung ragt er hervor, der Günstling der Göttin.

So auch im Krieg: Wenn zum männermordenden Kampfe die Männer

Rüsten, hilft sie, die Göttin, dem Helden, dem ihre Gnade

Sieg zu schenken und Ruhm zu gönnen freundlich gewillt ist.

Gut ist sie auch, wenn Männer in sportlichen Kämpfen sich messen;

Denn auch denen leistet die Göttin Beistand und Hilfe.

Wer durch Kraft und Stärke gesiegt, den herrlichen Kampfpreis

Trägt er leicht, voller Freude davon, der Stolz seiner Eltern.

Gut ist ferner die Göttin den Reitern, denen sie wohl will,

auch den Männern zur See, die in schlimmer Bläue sich plagen,

wenn sie zu Hekate flehn und zum Erderschüttrer Poseidon.

Mühelos reichen Fang gewährt die erhabene Göttin,

leicht auch nimmt sie ihn fort aus dem Licht nach eignem Gefallen.

Hilfreich wirkt sie mit Hermes im Stall, dem Vieh zu Gedeihen.

Rinderherden und weithin weidende Ziegen und Scharen

Wolliger Schafe, und sind sie noch so gering: Sie vermehrt sie,

wie es ihr immer gefällt, und lässt sie auch wieder schwinden.

Also, obwohl als einziges Kind ihrer Mutter geboren,

steht sie dennoch in höchsten Ehren unter den Göttern.

Darum legt auch Zeus ihr ans Herz das Gedeihen der Jungen,

die das weithinschauende Licht des Morgens erblickten.

Uranfänglich hegt sie die Jugend. Das sind ihre Ehren.69

Der Hymnus zeigt Hekate als Schicksalsgöttin, die das Schicksal der Menschen in Händen hält. Hervorheben möchte ich die enge Verbindung zu Hermes, die hier hergestellt wird, und die Rolle der Hekate als Hüterin der Jugend (V. 452, όυτως εξ ‘αρχης κουροτρόφος, houtôs ex archês kourotróphos), die auch sonst mehrfach belegt ist. Als „kourotrophos“ bezeichnet man griechische Statuen der Göttin, in denen sie als Mutter eines kleinen Kindes dargestellt wird (wie Isis mit Osiris und später Maria mit dem Jesuskind). Wie sollen wir uns diesen scheinbaren Widerspruch zu ihrem sonstigen Erscheinungsbild als „Hexengöttin“ erklären? Ich glaube, man muss berücksichtigen, dass der Hymnus die Göttin gnädig stimmen soll, der Dichter also bewusst den segensreichen Aspekt betont und das ungnädige Gesicht der Göttin verschweigt. Vers 443 und 447 sind aber verräterisch: „leicht auch nimmt sie ihn (den Fischfang) fort aus dem Licht nach eignem Gefallen“, „wie es ihr immer gefällt, und lässt sie (die Tiere) auch wieder verschwinden“. Es ist erstaunlich, dass kaum einer der bisherigen Kommentatoren hier an das bekannte Motiv der Göttin als „Herrin der Tiere“ (potnia therôn) gedacht hat. Die Göttin kann Leben und Reichtum geben, genauso schnell kann sie aber auch Leben und Besitz wegnehmen. Sie ist also auch Göttin des Todes. Wenn ihr zum Schluss von Zeus die Kinder ans Herz gelegt werden, können wir daraus unausgesprochen die Angst vor der Kindestöterin Hekate herauslesen, die durch gutes Zureden davon abgebracht werden soll, die Kinder vorzeitig zu sich zu nehmen – ein Aspekt, der uns bei anderen Göttinnen (Ischtar, Lilith, Hel, Holle) ebenfalls begegnet. Sehr gut passt hierzu, dass Hekate an anderen Stellen als Geburtshelferin erscheint, die von den Gebärenden um Beistand angerufen wird, wie wir weiter unten noch sehen werden.

Ich komme daher zu dem Schluss, dass die Hekate-Episode bei Hesiod keineswegs im Widerspruch zu den sonstigen Zeugnissen steht, sondern die ambivalente Natur der Göttin sehr wohl erkennen lässt, obgleich ihre düsteren Züge nur vorsichtig angedeutet werden. Alle weiteren Informationen über Hekate ergänzen das Bild, das Hesiod zeichnet, aber widerlegen es nicht. Im Gegenteil, die Verbindung zu Hermes, die in V. 444 hergestellt wird, wird durch spätere Dokumente wie etwa die griechischen Zauberpapyri aus Ägypten nur bestätigt (s. unten). Insgesamt passt das Gesamtbild, das Hesiod von der Göttin zeichnet, gut zu einem mutmaßlichen Ursprung als kleinasiatische Sonnengottheit, die ähnlich ambivalent und ungezähmt ist wie die babylonische Ischtar und die phönizische Astarte.

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