Royal Cheese

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Royal Cheese
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Prolog

Peter nippte vorsichtig am frisch gebrühten Milchschaum-Kaffee, ohne den Blick von den Zeilen zu lösen. Regelmäßig saß er hier im hintersten Winkel zwischen Bücherwand und Fensterfront, um für zwei, drei Stunden in die angestaubten Werke geistiger Wissenschaft abzutauchen. Der erste Ansturm auf die Sitznischen im Café Unitass löste sich auf, die jungen Interpreten aus den Lautsprecherboxen eroberten die Klangkulisse langsam zurück.

Sein kraftvoller Biss ins Plunderhörnchen stob Puderzucker auf das schwarze Baumwollhemd und die abgegriffenen Buchseiten. Wer, wie Peter, im anregenden Aroma frisch gemahlener Bohnen mit verstorbenen Psychologen verkehrt, erfährt im Allgemeinen durchaus Wissenswertes über seine Mitmenschen.

Heute führte ihn der zufällige Griff ins Regal zu Maslows Bedürfnispyramide, in welcher Peter sich selbstzufrieden auf der höchsten Ebene verortete. Weit oben also, wo wir uns selbst finden, oder viel zu oft von geschäftstüchtigen Strategen finden lassen.

Fernab dieser höchsten Stufe des bekannten Ordnungssystems, so ist zu erfahren, gibt es eine Niederung, die wir mit den Tieren teilen. Wo, im Ringen um das Gefühl der Sicherheit, die zum Erhalt des Lebens essenziellen Bedürfnisse unser Tun bestimmen: Atmen, Trinken, Essen, Schlafen, Sex – Gewalt.

Peter kaute, trank, schluckte, blätterte und las weiter.

Eine Niederung, so sind wir sicher, in die nur ein Mensch zu stürzen vermag, der eh schon am untersten Rand der Gesellschaft baumelt.

Der sein tierisches Verhalten an den Tag legt, weil wir es von ihm erwarten können. Wir lauern darauf, schüren es und sind bestürzt, wenn es dann endlich herausbricht …

Peters Blick glitt über die, zwischen Halbschatten und Morgensonne herumirrenden, Gestalten vor dem Fenster.

„Darf es noch was sein?“, wollte die adrette Blonde mit gezücktem Stift wissen. Peter wehrte schweigsam ab. „Also alles in Ordnung...“, schnaufte sie genervt.

Also alles in Ordnung.

In allgemeiner Ordnung.

Wäre da nicht jener kurze Augenblick.

Der winzige Hauch, der uns jederzeit streifen, kurz vor der ewigen Glückseligkeit zu Boden schleudern kann und vor unserem geistigen Auge die gesamte Existenz in Scherben zu legen vermag.

Dieser winzige Hauch, der das Tier weckt.

Es reizt. Es fordert. Und der es bekommt.

Weitaus gefährlicher, als jenes, das nur nach

dem Überleben trachtet …

Peter leerte die Tasse, bezahlte hastig ohne Trinkgeld und stürzte durch das eng gestellte Mobiliar zum Ausgang.

Ein abschätziger Blick der jungen Kellnerin folgte ihm auf die gegenüberliegende Straßenseite. Kopfschüttelnd über das eigentümliche Verhalten des täglichen Gastes, schwang sie den Lappen über den krümeligen Tisch und schob das Psychologie-Buch zurück ins Regal.

„Der ist bestimmt kein Student mehr“, lachte ihre Kollegin und knuffte sie im Vorbeigehen mit dem Ellenbogen. „Vom Alter her eher Professor...“, befand sie und servierte Kaffee und Kuchen am Nebentisch.

„So einer würde sich aber hier nicht durch die Café-Bibliothek schmökern“, erwiderte Beate, blies sich die blonden Fransen aus dem Gesicht und beobachtete, wie Peter hinter einer vollbusigen Frau in den Bus huschte, die gerade das Institut verlassen hatte.

„Heute darf ich sie nicht verlieren“, dachte er.

SAMSTAG

#Köstlichkeiten

Hauptkommissar Balthasar Kurz bohrte das fingerlange Edelholzstäbchen genüsslich durch die gelbe Masse. Auf keinen Fall war bei ihm eine derartige Begeisterung zu erwarten gewesen. Der ranghohe Kriminalbeamte naschte Probe Nummer elf hastig in sich hinein, schloss diesmal aber sogar aufgefordert die Augen und ließ die angekündigten Aromen seinen Gaumen erobern.

„Schmecken sie die blumige Note der natürlichen Wildwiese?“, hauchte Margit in den Saal.

„Jaaaa“, stimmte nun auch Balthasar in den kaufreudigen Käse-Chor ein. Für ihn unerwartet, entpuppte sich dieser Samstagabend als außerordentlich geschmackvoll. Eine aufwendig inszenierte Verkostung beim Käse-Start-up der Stunde – im heimischen Upperstadt seit einem viertel Jahr sozusagen in aller Munde.

Als Ersatzmann in der Rolle seiner untröstlichen, weil unpässlichen Tante, gab er an der Seite von Hedwig Monheim den Gegenüber, das offene Ohr, den Unternehmungslustigen.

Und natürlich die logistische Begleitung. Darauf war er bei derlei Aktivitäten der beiden Mittsiebzigerinnen aber abonniert. Geduldig gondelte er nach Feierabend, an Sonn- und Feiertagen per Bus oder Tram kreuz und quer über den Stadtplan – wohin auch immer es die rüstigen Damen zog. Um stets pünktlich zur vereinbarten Zeit wieder als galanter Schutz für die Heimfahrt bereitzustehen.

Als lediger Dritter im Bunde einer familiären Zweckgemeinschaft mit Hedwig und Bärbel, übernahm der Beamte diese Pflichten gern, um seinerseits in den Genuss hauswirtschaftlicher Sorgfalt zu gelangen. Dieser Status ermöglichte es dem auffallend großen Mann, sein Leben nach Wunsch zu gestalten. So viel Zeit wie möglich verbrachte er mit Erkundungsgängen an der frischen Luft, inspirierenden Beobachtungen aller Art und ausgedehnter Achtsamkeit – was ihm sein athletischer Körper wohl bis ins hohe Alter danken dürfte.

Bissen um Bissen kam es Balthasar vor, als flögen ihm die Glückshormone scharenweise um die Ohren. „So ein Käse“, dachte er amüsiert, als Probe Nummer zwölf und dreizehn in seinem Mund verschwanden. Waldmeister und Wiesenstrauß im Schafsfell sozusagen.

„Genießen, Balthasar“, rügte Hedwig spitz.

Exemplarisch langsam fischte sie Nummer zwölf aus einem der vierundzwanzig polierten Holzschälchen, die mit frischen, heimischen Kräutern stilvoll verziert auf einem Silbertablett vor ihr ruhten. Sie ließ den diesmal zartgelben, in seiner Konsistenz an eine weiche Apfelsine erinnernden Happen langsamst zwischen den kunstvoll gestalteten Zahnreihen verschwinden.

„Wie recht du hast, Hedwig“, mimte Balthasar schelmisch und nahm einen vollen Schluck des gereichten Rotweins. Zufrieden wischte er sich mit der Serviette über den Henriquatre-Bart und löste auch den zweitobersten Knopf des schlichten Hemds.

Er war sich sicher: Niemals wurde ein ödes Produkt wie Käse so stilvoll und aufwendig verkostet, wie an diesem Abend im Freigeist.

Wenn man dem gut inszenierten Imagefilm anfangs der Veranstaltung glaubte, war das aber auch der einzige, dem Sortiment des heimischen Produzenten gerecht werdende Rahmen. Versprach Geschäftsführer Martin von Meringer darin doch nicht weniger, als die Evolution des Gaumens, eine Revolution in der Käsewelt – den Royal-Cheese. Dabei war das Produkt in den Augen des Ermittlers so banal. Käsestücke von der Größe eines Würfelzuckers – quadratisch oder in Form einer Kugel. Exakt mittig befand sich eine rund zwei Millimeter durchmessende Bohrung, mit würzigen Elixieren verfüllt, die das Geschmackserlebnis vollendeten.

„So einfach, wie genial“, schwärmte er.

Wie alle Anwesenden im restlos gefüllten Hauptsaal, lauschte Balthasar den gehauchten Worten einer weiteren brünetten Dame, die sich als Barbara vorstellte und das mit Probe Nummer vierzehn zu erwartende Geschmackserlebnis malerisch in Worte fasste. Das gelang ihr derart glaubhaft, dass jeder den Geschmack des Wildklees wahrnahm, der vom Nektar einer rastenden Biene geküsst wurde.

„Kaum zu glauben, was die Verpackung alles ausmacht“, diktierte Balthasar anerkennend über die Smartwatch ins digitale Tagebuch.

„Der Meringer ist die Blaupause des richtungsweisenden Unternehmers durch und durch.“

Balthasar selbst war bisher lückenlos im städtischen Kriminaldienst tätig gewesen. Treffend beschriebe man den höchst intelligenten 57-Jährigen als selbstlosen Einzelgänger. Trotzdem eroberte er sich durch Kontinuität und traumhafte Aufklärungsquoten schon früh die aktuelle, leitende Funktion.

In diesem Glanz sonnten sich schon immer auch Karrieristen aus Politik und Juristerei, weshalb sie möglichst oberflächlich seine Nähe suchten. Ein Umstand, der wiederum seine beiden Tanten höchst erfreute, durften sie doch mit ihm dem breiten gesellschaftlichen Leben frönen. So fieberten die Damen dem täglichen Halt des Postboten schon fast rituell entgegen, um die unzähligen, ansprechend gestalteten Einladungen abzugreifen. Vom späten Frühling bis in den goldenen Herbst hinein, gerne auch auf den beiden,

für diesen Zweck neben den Strauchrosen bereitgestellten Gartenstühlen.

Im kollektiven „Mmhmmm“ verschwanden Probe siebzehn, achtzehn und neunzehn in den gierigen Mündern der begeisterten Gäste. Während sich die kollektive Stimmung unweigerlich dem kauf- und zahlungsfreudigen Siedepunkt näherte, erlag auch Balthasar beinahe der Versuchung, sich reichlich mit dem trendigen Milchgold beschenken zu wollen. Glücklicherweise trat seine knauserige Ratio beim Anblick der extra dezent gestalteten Preisangaben auf die innere Begeisterungsbremse. Die letzten Hürden auf dem Weg zum Käsegourmet nahm er dann auch etwas ernüchtert, jenseits des Gruppenzwangs, und formulierte stattdessen seine Erkenntnis ins Aufnahmemikrofon am Handgelenk:

„Geschmackserlebnis bis in den Rausch. Unbewusster Kaufzwang. Geschickt, aber wohl nicht zu beanstanden.“

Als Tante Hedwig in einer der Menschentrauben verschwand und über persönliche Geschmackserlebnisse philosophierte, studierte Balthasar beim dritten Glas Spätburgunder die Broschüre des Käse-Hipsters etwas genauer.

„Royal-Cheese – Göttlicher Genuss aus Von Meringers Käse-

himmel“, las er auf dem Titel – und bewunderte die samtige Haptik des schillernden Naturpapiers. Immer wieder nickte Balthasar zustimmend, als er beim Blättern die locker gesetzten Zeilen überflog und schmunzelte über die folkloristische Garderobe der, nach den vielfältigen Kreationen des heimischen Herstellers lechzenden, Fotomodelle.

 

„Käse-Erotik pur...“

Dass die präsentierten Oberweiten unterschwellig an den natürlichen Quell aller Käsemanufaktur erinnern sollten, war sicher nicht nur für den kriminalistischen Spürsinn von Balthasar offensichtlich.

„Wahrscheinlich muss es deswegen auch dieses Umfeld sein“, kombinierte er zufrieden.

„Willkommen im Freigeist“, waren er und Tante Hedwig um kurz vor acht am Eingang des früheren Rotlichttempels von einer der vielen Heidis empfangen und vorbei an zwei breitschultrigen Anzugträgern ins schwarz-rote Ambiente begleitet worden.

Um ehrlich zu sein, stand Balthasar dem Abendtermin nur deshalb wohlwollend gegenüber, weil ihn angesichts der Adresse die Neugier überkam. Der mondäne Bau im Stil der späten Gründerzeit umspannte mit seinem Ensemble aus Restaurant, Nachtklub und Hotellerie nahezu den ganzen Block. Dass das Käse-Start-up der Stunde den zahlungswilligen Kundenkreis bester gesellschaftlicher Mischung ausgerechnet hierher lockte, schien ungewöhnlich – offenbar feilte Unterweltkönig Roland Hinterberger erfolgreich am schmuddeligen Image.

„Hat es ihnen gefallen, Balthasar?“

Aufgeschreckt blickte er hoch und direkt in die grünen Augen von Margit Mattoscheck. Wie die anderen, mit Tabletcomputer bewaffneten Damen, in einem körperbetonten Schnürkleidchen.

„Ja… ja sicher.“

Balthasar schob sich verlegen auf dem Stuhl zurecht. Einen Moment lang stutzte er, woher sie seinen Vornamen wusste. Dann erkannte er den gut vorbereiteten Sitzplan auf dem spiegelnden Display.

„Leckerer Käse, den sie da haben“, lobte er.

„Das freut uns sehr. Wir arbeiten auch sehr hart für die Zufriedenheit unserer Kunden. Kennen sie eigentlich schon die Königsmischung oder das Alpenpanorama?“.

Sein Blick folgte den flinken Fingern, die für ihn über das Display glitten, um ihm die genannten Köstlichkeiten brillant vor Augen zu führen. Ihr schulterfreier Oberkörper bog sich ihm dabei derart entgegen, dass seine Augen unweigerlich im formschönen Dekolleté landen mussten.

„Alles heimisch und von bester Qualität...“, schmeichelte sie und beugte sich tiefer.

„Und alles Natur...“

Balthasar gelang es, dem massigen Angebot zu widerstehen. Angespannt pendelten seine Blicke im Dreieck aus ihren geheimnisvollen Augen, einer neckischen Haarsträhne über ihrem linken Ohr und der mittlerweile nachgefüllten Probenschale auf dem unbehandelten Edelholztisch vor ihm.

„Vielleicht haben sie ja Geschmack gefunden und möchten tiefer in die Materie vordringen…?“

Balthasar lauschte seinem bebenden Puls – unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Wir präsentieren unser exklusives Edelsortiment auch im ungestörten Rahmen, wenn sie wollen...?“, bohrte sie weiter.

Während er ihrem Blick zu den angrenzenden Türen folgte, um sich dort festzusaugen, drückte Margit ihm zärtlich ihre persönliche Visitenkarte in die Hand.

„Ich schau mal besser, wo meine Begleitung ist“, räusperte sich Balthasar etwas verlegen und flüchtete vor der knisternden Erotik in die Menge.

„Die versteht ihr Geschäft“, dachte er jäh ernüchtert und war seinem Spürsinn dankbar, dem professionellen Verkaufstrick widerstanden zu haben. Doch jenseits jeglichen Grolls zollten seine folgenden Gedanken dem aufstrebenden Unternehmen durchaus Tribut.

Eine derart hochrangige Gesellschaft hatte er bei einer Käse-Verkostung hier in Upperstadt wirklich nicht erwartet. Er entsorgte den Verkaufsprospekt im Vorbeigehen auf einem der Tische und übernahm die Daten von Margits Visitenkarte ins persönliche Protokoll – war ja nicht ausgeschlossen, auf das lockende Angebot der attraktiven Vertriebschefin zurückzukommen.

Er schob sich suchend durch das schnatternde Wirrwarr bekannter Gesichter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und B-Prominenz.

Polizeichef Manfred Gux nickte grüßend mit erhobenem Glas herüber, als Staatsanwalt Christian Zummermann eine seiner Zoten zum Besten gab. Amüsierte Gesichter und lautes Gelächter ließen vermuten, dass sie ausnahmsweise gezündet hatte.

„Schau an...“ Balthasar erkannte unweit auch die Gestalt mit zwei Käse-Damen im Arm.

„Unseren Bürgermeister Freudenheim sucht die Freude heim.“

Balthasar registrierte immer klarer, dass die Stimmung im Saal zu dieser frühen Stunde überwältigend positiv und gelöst war. Rotweingläser klangen, Gesprächsfetzen beiderlei Geschlechts fingen sich mit unaufdringlicher Begleitmusik unter der mit beigem Stoff bespannten Decke. Neugierige und gierige Blicke des Sehens und Gesehenwerdens verloren sich mit zunehmender Entfernung im schummrigen Halbdunkel. Hier und da sah Balthasar Herren in Begleitung attraktiver Käse-Damen in Nebenzimmern verschwinden.

Dann entdeckte er Tante Hedwig. Ihr verschämtes Gähnen signalisierte, dass der Abend bald zu Ende gehen konnte.

Doch vorher drängte Balthasar die Blase zum Besuch des Sanitärbereiches.

„Bin sofort wieder an deiner Seite, Tante Hedwig.“

Sein Blick glitt unter der samtigen Decke in die Ecken des großen Saals und fand alsbald die leuchtende Erlösung in Form einer schwarzen maskulinen Silhouette. Nach kurzem Personen-Slalom glitt er durch die edel-hölzerne Pforte ins Innere eines Toilettentempels. Die Lichtdesigner hatten auch für diese intimen vier Wände ein ansprechendes Ambiente kreiert. Ebenso die Duftvirtuosen, wie Balthasar erfreut wahrnahm. Die Architekten gaben ihm vom Vorraum aus drei Möglichkeiten. Er betrat zunächst den linken Flügel, hinter den Waschbecken – um unsicher innezuhalten.

Der Abend hatte ihn gelehrt, dass der Freigeist für seine Gästeschaft einige überraschende Besonderheiten parat hielt. Aber das, was sich seinem erfahrenen Auge hier bot, war dann doch des Guten zu viel. Anstelle der erwarteten Pissoirs fand er eine Vielzahl an sichtlich weich umfassten Öffnungen entlang der mit großen Schieferplatten gestalteten Wand vor. Offenbar zu dem Zweck, das eigene Gemächt zum Verschaffen der Erleichterung dort einzuführen. Ein Vorgang, der augenscheinlich ganz nebenbei auch ursprünglichste männliche Instinkte zu befeuern geeignet war. „Wer denkt sich nur so etwas aus?!“

Es den beiden Männern gleich zu tun, die ihr Geschäft vor seinen Augen sichtlich genossen, war ihm suspekt. Er machte kehrt, entschied sich dringlich für die mittlere Tür und verschwand erleichtert in einer der gewohnten Kabinen – um seine Blase sicherheitshalber sitzend zu entleeren.

Ehe er Hedwig an der Garderobe in die leichte Strickjacke half, erhaschte Balthasar im vorbeigehen noch die eine oder andere Zugabe aus hochgradig vorzüglichem Käse.

„Wirklich schöner Abend. Schade, dass Bärbel darauf verzichten mochte. Habe ihr aber ein paar Kronjuwelen einpacken lassen“, lächelte Hedwig verschmitzt und klopfte vorsichtig von außen gegen ihre betagte Stoff-Handtasche.

„Kronjuwelen?“

„Die königliche Käsemischung“, triumphierte Hedwig stolz.

„Und, ach... was haben die angenehme Toiletten hier.“

Balthasar nickte schnell während er sie zum Ausgang führte. Angesichts seines Erlebnisses ersparte er sich die Nachfrage. Er wollte gar nicht wissen, welche Besonderheiten es unter dem Leuchtschild mit der wohlproportionierten pinken Silhouette zu entdecken gab.

Über den, punktuell mit viktorianischen Laternen ins Licht getauchten, Parkplatz im Innenhof schlenderten sie in Richtung Bushaltestelle. Als städtischer Beamter konnte er die öffentlichen Verkehrsmittel kostenfrei nutzen. Oder vielmehr, musste. In seiner Position auch in Begleitung.

„Als Beamte dienen sie der Öffentlichkeit und sollen Vorbild sein“, begründete der Bürgermeister seine diesbezügliche Offensive seinerzeit und entledigte sich so des verzichtbaren Fuhrparks. Auch bei der Polizei. Ermittelnde Beamte befuhren Upperstadt fortan öffentlich, Einsatzkräfte weiter autonom. Ein Novum im ganzen Land. Was dem Mittfünfziger anfangs oft hinderlich schien, schätzte Balthasar Kurz inzwischen sehr: Abtauchen in der Menge, Balthasar Normalbürger sein. Eine bessere Tarnung gab es für seinen Ermittlungsstil nicht. Es entsprach seiner Lust an der Beobachtung und entschleunigte den Berufsalltag auf ein fast esoterisches Maß. Außerdem konnte er so noch besser allein arbeiten.

Niemals würde sich Kollege Jens Schneider seiner Ermittlungsweise unterwerfen. Und einem Fahrplan schon gar nicht. Unvorstellbar. Er grinste.

„Aber das ist gut so.“

Der feine Kies begleitete knirschend ihren Weg und Balthasars Spürsinn registrierte unablässig, was um sie herum geschah. Etwa die Umrisse der Person im dunkelgrünen Sportwagen, unweit der südlichen Ausfahrt, das sich in den Schatten der Linde am zentralen Wendeplatz drückende Pärchen oder die noch zahlreichen Gäste hinter den sanft leuchtenden Glasquadern.

Eindrücke wie diese drängten sich dem Ermittler ungefragt auf – ohne Unterlass. Undenkbar also, dass sich Balthasar zu irgendeiner Zeit nicht im Dienst befand. Vor allem in der eigens für ihn geschaffenen Position bei Beta.

„Schön, dass der Bus so leer ist, Balthasar, wir können ganz hinten sitzen.“ Hedwig ließ sich glücklich in die gepolsterte Sitzschale fallen, als Balthasar über die Smartwatch den letzten Eintrag ins digitale Tagebuch diktierte.

„Musst du denn ständig mit dem Ding da sprechen?“, rügte sie. Er drückte sich lächelnd neben sie. „Ist dienstlich, Tante Hedwig, das weißt du doch.“

Linie 5 nahm langsam Fahrt auf und beförderte das ungleiche Paar zurück zu Tante Bärbel in den zentrumsfernen Finkenweg, der auch für Balthasar seit Jahren als Wohnsitz eingetragen war.

Den Großteil seiner Tage verbrachte der Junggeselle aber jenseits der vielen Wände des villenartigen 60er-Jahre-Domizils. Dienstlich.

#Zuschlag

Rund eine Stunde später hallte ein dezentes elektronisches Signal durch das offen gestaltete Wohnzimmer, wo sich die drei auf der oberen der beiden Ebenen zurückgezogen hatten. Tante Bärbel durfte dank Hedwigs Bericht in aller Ausführlichkeit dem verpassten Abend beiwohnen und befand sich daraus resultierend ebenso erschöpft im gemütlichen Sessel wieder, wie die wortgewaltige Freundin. Ihrer beider Augenlider waren unter dem begleitenden Monolog der Dokumentation im Fernsehen gewillt, der Schwerkraft nachzugeben. Einzig das wiederholte Piepen schreckte sie unsanft auf.

„Entschuldigt bitte, dienstlich...“

Balthasar reckte die Smartwatch. Als oberster Ermittler ließ er sich viele interne Dokumente und Kommunikationsströme auf seinen digitalen Helfer leiten, um rund um die Uhr über alle Vorfälle und laufende Ermittlungen im Bilde zu sein. Gerne nahm er eines dieser schicken akustischen Signale aber auch zum Vorwand, sich aus der heimeligen Geselligkeit zurückzuziehen.

Die Tanten lächelten sich zu und nickten verständnisvoll, um im nächsten Moment wieder ins hochaufgelöste Natur-wunder-Reich der über den Bildschirm schwimmenden Delfine abzutauchen.

Balthasar leerte den Espresso, glitt von der Couch und wünschte eine angenehme Nachtruhe.

Er griff sich die, ausschließlich für abendliche Aktionen wie die folgende erstandene, Tweed-Jacke und verließ das Anwesen fußläufig – um drei Minuten später in die Nachtlinie Richtung Zentrum zu steigen.

„Meinst du, er macht es schon wieder?“

Hedwig blickte sorgenvoll zu ihrer Freundin. Bärbel nickte kaum merklich und wog das Smartphone unsicher in ihrer schmalen Hand. Fast automatisch hatte sich ihr Daumen auf den Sensor geschlichen und das Tableau freigeschaltet.

Der Finger kreiste über dem grünen Telefonsymbol. Würde ein Anruf jetzt helfen, oder alles nur noch schlimmer machen?

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