Virtueller Terror

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Virtueller Terror
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Roland Reitmair

Virtueller Terror

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Der Polizeirat schüttelte den Kopf. Wieder und wieder starrte er ratlos auf den zerknitterten Zettel.

Gestern, Freitag kurz nach 17:00 Uhr, hatte ihn der Kommissar über ein Flugblatt informiert. Zur Auffindungszeit befand es sich in einem Rinnstein am Karlsplatz, unweit der Karlskirche. Doch, so vermutete er und so vermutete auch der Kommissar, dürfte dieses Schriftstück nicht dort verteilt worden sein. Aufgrund einiger Schuhabdrücke, des zerknitterten Zustandes und eines am Rand deutlich erkennbaren Reifenprofils, sowie einiger Einrisse, war zu schließen, dass es sozusagen schon einen gewissen Leidensweg hinter sich hatte, bis es dort zu liegen kam.

Der Kommissar befand sich nach Dienstschluss bereits am Weg zu seiner Mutter, als er zufällig des Flugblattes ansichtig wurde. Er versicherte sich des Beweismittels und informierte sofort seinen Vorgesetzten.

Unter dem Titel: „Wir werden Wallfahren“ warb eine offensichtlich linke Gruppierung mit dem Namen „xxx“ für ein umstürzlerisches 10 Punkteprogramm – für eine umfassende, undemokratische Staatsreform.

Punkt eins wandte sich hetzerisch gegen Intoleranz und ausgrenzende Politik etwa, oder unter Punkt drei wurde gegen die Europäische Union Stellung bezogen, mit der üblichen Propaganda von wegen totale Kontrolle, UDSSR von morgen usw., selbst von Gehirnwäsche stand da zu lesen, und wie der verfahrene Karren durch Wir werden wallfahren wieder flott gemacht werden könnte. Soweit also nichts Neues. Doch Punkt zehn war so etwas wie der Aufruf zu öffentlichem Terror, auch wenn man daraus nicht ganz schlau wurde, da hieß es:

Öl ins Osterfeuer! – Die Kirche wird ein blaues Wunder erleben!

Gezeichnet war das Beweisstück mit „xxx und Zwerg frei!“

An und für sich alles nichts Beunruhigendes. Doch, Öl ins Osterfeuer, was mochte das heißen?

„Was denken Sie?“, fragte er den Kommissar. Der unterzog das von ihm gefundene Flugblatt einer nochmaligen genauen Prüfung, schüttelte wie sein Vorgesetzter den Kopf und machte schließlich den Vorschlag, es von der Spurensicherung untersuchen zu lassen.

Der Polizeirat veranlasste also eine sofortige Überprüfung des Beweisstücks durch die neu geschaffene, seit den Briefbombenattentaten wohl ausgerüstete Abteilung. Des Weiteren setzte er den Bundeskanzler in Kenntnis, dass subversive linke Elemente, offenbar Teilnehmer der wöchentlichen Kundgebung gegen die Regierung (der sogenannten Donnerstagsdemo) womöglich irgendeinen Anschlag zu Ostern planten.

Hierauf kontaktierte er den Kriminalpsychologen der Sicherheitsabteilung, um mit diesem gemeinsam ein Täterprofil auszuarbeiten – „schließlich ist morgen schon Palmsonntag!“

Seiner Frau ließ er durch den Kommissar ausrichten, dass der Osterausflug nach Lignano dieses Jahr vermutlich nicht stattfinden könne, da seine Person aufgrund eines möglichen Terroranschlags unabkömmlich sei. Es gäbe Sicherheitsstufe 3.

„Sicherheitsstufe 3?“, wunderte sich der Kommissar.

„Naja, Sie wissen ja wie die Frauen sind, die glauben immer sie sind das wichtigste – da muss man sich schon gute Gründe einfallen lassen um sie in so einem Fall nicht zu verärgern... Unter uns, - was interessiert mich zu Ostern der Hausmeisterstrand in Lignano? Dass ich all die Gfrieser z‘Ostern dort sehe, die ich übers Jahr hier sehe? Nein wirklich nicht. Also: Sicherheitsstufe 3, nun gehen S‘ schon. Sie müssen noch viel lernen!“

2

„Und sie glauben wirklich, dass jene Demonstranten Urheber dieses Flugblatts sind?“, fragte der Kriminalpsychologe den Polizeirat.

„Sicher“, erläuterte dieser, „Sehen Sie, die Demonstranten lassen sich in drei grobe Gruppen einteilen: Da haben wir zuerst einmal linke Chaoten, weiters die unverbesserlichen Alt68er und als dritte noch eine Handvoll Internetfreaks, die den Haufen staatsfeindlicher Elemente koordinieren. Und nun passen Sie genau auf: Der Inhalt wurde eindeutig von Linksaktivisten verfasst – da ist das Bekenntnis zu immerwährender Neutralität, die kritische Haltung zum Ausverkauf verstaatlichter Betriebe, der Vorwurf an die Regierung, asoziale Steuerpolitik zu machen – alle Stichwörter sind da, sogar ihr Feindbild Nummer eins, das Kindergeld für alle... Jede Parole, die meine Exekutivbeamten bei den wöchentlichen Straßenschlachten zu hören kriegen, ist hier schriftlich festgehalten.

Meine Beamten haben mittlerweile hunderte dieser Zettel sicher gestellt, unter anderem einen vor der Parteizentrale der Kommunisten und einen vor der Zentrale der JUSO. Und sehen sie, zum Schluss: Zwerg frei! – doch wohl eindeutig in Anlehnung an das „Berg frei!“ diverser sozialistischer Bergsteiger. Schlagende Beweise, wie ich denke. Aber jetzt kommt das wichtigste: Wir werden wallfahren... WWW!

Na, was sagen Sie?“

„Hm“, brummte der Psychologe.

„Was hm, was heißt hm?!“, - hatte der Polizeirat vorher noch gestrahlt wie ein Heiligenschein, so war ihm nun sein überlegenes Lächeln mit dem spöttischen Zug um den Mund gelinde gesagt eingeschlafen.

Der Kriminalpsychologe bemühte sich, die Scharte auszuwetzen – „Ihre Beweisführung ist natürlich bestechend“, gab er zu, „Doch was ist da mit dem: UDSSR von morgen? – So etwas schreibt kein Linksaktivist, denke ich, ansonsten...“

„Mein lieber Freund, erstens hat es in der Sowjetunion, heutige GUS, einen politischen Wechsel gegeben, falls Ihnen das entgangen ist, und zweitens könnte sich ja irgendein linker Grünaktivist in die Flugblattredaktion verirrt haben, von dem wiederum könnte man auch bei Ihrer Auslegung des Satzes UDSSR von morgen solche Aussagen erwarten, nicht wahr?“

Der Unterausschuss der in Windeseile gebildeten Untersuchungskommission der Flugblatttäteraffäre kam also zusammen mit der Kriminalpsychologischen Abteilung einhellig – wie es hieß – zu dem Schluss, dass der Linksterror in Österreich nach wie vor lebt, auch nach Ebergassing (so zumindest titulierte eine kleinformatige Tageszeitung).

Schon am Montag liefen die ersten Fahndungen und Hausdurchsuchungen. EKIS hatte einige Namen Verdächtiger ausgeworfen. Doch konnte man keiner dieser habhaft werden. Am Gründonnerstag gaben sich die Geheimpolizisten in den durchsuchten Wohnungen die Klinke in die Hand. Die Vögel aber blieben ausgeflogen.

Bis zum Karsamstag wurden die Beamten immer nervöser. Noch hatte man keine konkreten Ergebnisse. Viele hielten die Flugblattaffäre für eine Farce und die Aufregung der hohen Politik für übertrieben. Doch gerade diese Aufregung in jenen Kreisen forderte zwingend Ergebnisse.

 

Der Kanzler selber bezeichnete zwar die Geschichte in einer Besprechung als aufgeblasene Hysterie, doch konnte und vielleicht wollte man nun nicht mehr zurück.

Und auf den Karsamstag folgte der Ostersonntag.

3

Am Ostersonntag segeln nur ein paar dicke Wolken wie Wattebausche über den hellblauen Frühlingshimmel. Ein paar Vögel zwitschern.

Die Katze liegt nicht auf der Ofenbank, sondern sitzt draußen im Feld, welches sich braun und grau von der bereits saftig grünen und vom kräftigen Gelb des Löwenzahns belebten Wiese abhebt.

Wenn dann die Eier alle gefunden worden sind, die der Osterhase im Garten versteckt hat, geht man mit den Kindern an der Hand in die Kirche, gähnt gelangweilt und wartet nach dem Essen auf die Verwandten, die sich zum Kaffee angemeldet haben.

So irgendwie erwartet man sich Ostern – wenn man nicht gerade auf dem Weg nach Lignano im Stau steht.

Doch dieses Jahr sollte vieles ganz anders kommen. Schon am Gründonnerstag zeichnete sich ab, dass heuer der (ORF-) Wettergott den Frischluftfetischisten gehörig ein Ei legen würde – reichliche Niederschläge, Schnee bis in die Niederungen und kaum Aussicht auf Besserung.

Die Folge waren noch ausgedehntere Staus als üblich und katastrophale Unfälle auf den Routen nach Süden. Lediglich die fehlenden Tagesausflügler am Ostersonntag wirkten sich positiv auf die Unfallstatistik aus.

Wie schon am Karfreitag und am Karsamstag regnete es auch am Sonntagmorgen. Unaufhörlich trommelte der Regen auf das Garagendach vor dem Fenster. Den Kindern war es egal, wo der Hase die Nester versteckt hatte, drinnen oder draußen, draußen oder drinnen – die Hauptsache war, dass er überhaupt ein paar von den zarten in Silberfolie gewickelten, luftgefüllten Versuchungen für sie zusammen mit bunten Eiern und der neuen Playstation auf Gras gebettet hatte.

In Wien musste die Frau Polizeirat heuer alleine die mit Schokolade verschmierten Gesichter der Enkel waschen, bevor es dann zur Kirche ging, der Gatte war leider vom Dienst unabkömmlich.

4

An einem ganz anderen Ort, nämlich in St. Pölten, befanden sich zur selben Zeit die meisten gottesfürchtigen Familien schon auf dem Weg in die Messe. Kurz später, noch während die letzten zu spät Gekommenen hastig beim großen Portal hereinschlüpften und eilig den Finger in das Weihwasser tauchten, um sich zu bekreuzigen, setzte die Orgel ein. Dann der Chor. Und schon marschierte das etwas dickliche Geistige Oberhaupt der Diözese mit seiner Schar Ministranten auf.

In Rom würde der noch ältere Kollege gerade seinen Segen „Urbi et Orbi“ spenden...

Alles lief wie immer.

Und doch war irgendetwas anders dieses Jahr.

Irgendetwas, das Aufmerksamkeit erregte, obwohl vorerst kaum wer erkennen konnte, was es war. Der Gemeindehirte war gekleidet wie immer, der Stab, die Kappe... auch die Ministranten hatten nichts Außergewöhnliches an sich...

Die Stimme des Bischofs schien verändert, irgendwie weich, gütig, aber das konnte täuschen.

Er schwitzte nicht. Hatte er oft schon ganz verzerrte Züge, wenn ihm dicke Schweißperlen von der Stirn in die Augen rannen und man bis in die letzte Reihe sehen konnte, wie ihn das Salz quälte, so stand er dieses Jahr ganz gelöst am Altar und predigte, anstatt wie sonst zu sitzen.

Viele merkten trotzdem nichts, weil sie voller Inbrunst den Chor unterstützten. Einige wenige jedoch fingen zu tuscheln an, schauten ungläubig.

Wahrhaftig.

Der Bischof lächelte, nein er strahlte. Er hatte ganz weite, glänzende Augen, und mit diesen Augen schien er seine Schäfchen zu umfangen. Was er sagte, sagte er fließend, die Worte kamen wie von selber, doch schweifte er ab.

Fast visionär verkündete er den Osterfrieden und bat: „Gebet auch ihr einander ein Zeichen dieses Friedens weiter“ und in der Tat schien in der ganzen Kirche ein völlig neuer Geist zu herrschen.

Für einen Großteil der Gläubigen war vielleicht alles normal, die Frohbotschaft der Auferstehung tat Jahr um Jahr die gleiche Wirkung.

Doch schon vor der Wandlung tätschelte der Bischof einem der Ministranten den Kopf und zwinkerte irgendwem auf der, von den Gläubigen aus gesehen, linken Seite zu.

Auch bemerkten scharfe Beobachter, dass jener Ministrant mit dem Weihrauchschiffchen, der etwas abseits unter der Kanzel stand, ganz seltsam mit den Augen rollte.

Nichtsdestotrotz war es eine wirklich gelungene Messe, fanden die meisten, weil der Bischof so eine Begeisterung auf alle übertragen hatte. Soviel Nächstenliebe. Selbst die konservativen Kirchgänger, von bösen Zungen als Scheinheilige bezeichnet, verziehen dem Geistlichen, dass er sich plötzlich, selig lächelnd, übergangslos zurückzog.

„Gehet hin in Frieden“, sagte er, dann war er weg. Einige Ministranten folgten ihm blitzartig, andere blieben unschlüssig stehen.

Vor der Kirche wartete der ORF.

Durch seine ungewöhnlichen Ansichten war der Bischof meistens in den Medien präsent, wie man so schön sagt. Das musste wohl der Grund sein, warum gerade heute, am Ostersonntag, das Fernsehen da war. Zumindest dacht das Gros der Gläubigen so.

Oder verschwand der Hirte deswegen so plötzlich? Wollt er den Fernsehjournalisten aus dem Weg gehen – das war eigentlich nicht seine Art. Sonst.

Aber heute war er ja wie ausgewechselt.

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