James Bond 15: Colonel Sun

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Из серии: James Bond #15
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James Bond 15: Colonel Sun
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JAMES BOND


COLONEL SUN

von

ROBERT MARKHAM

Ins Deutsche übertragen von Anika Klüver und Stephanie Pannen


Die deutsche Ausgabe von JAMES BOND – COLONEL SUN

wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern,

Übersetzung: Anika Klüver und Stephanie Pannen;

verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde;

Lektorat: Katrin Aust und Gisela Schell; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik;

Cover Artwork: Michael Gillette. Printausgabe gedruckt von

CPI Morvia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice.

Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: JAMES BOND – COLONEL SUN

German translation copyright © 2014, by Amigo Grafik GbR.


Copyright © Ian Fleming Publications Limited 1968 The moral rights of the author have been asserted. Die Persönlichkeitsrechte des Autors wurden gewahrt.

JAMES BOND and 007 are registered trademarks of Danjaq LLC, used under license by Ian Fleming Publications Limited. All Rights Reseved.

Print ISBN 978-3-86425-432-1 (September 2014) E-Book ISBN 978-3-86425-462-8 (September 2014)

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ÜBER DEN AUTOR

Robert Markham war das Pseudonym von Kingsley Amis, dessen Karriere als einer der am meisten respektierten Romanschriftsteller Großbritanniens mit dem Werk Glück für Jim begann, das im Jahr 1954 veröffentlicht wurde. Sein Roman The Old Devils wurde mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Er starb im Jahr 1995.

Im Gedenken an IAN FLEMING

EINLEITUNG

Ich schrieb dieses Buch, für das ich aus meiner Karriere als ordentlicher Romanschriftsteller ausbrechen musste, weil man mich bat, es zu tun, und weil ich das Projekt unwiderstehlich fand. Als Ian Fleming 1964 viel zu früh verstarb, war man der Meinung, James Bond sei eine so beliebte Figur, dass man ihm nicht einfach erlauben könne, seinem Schöpfer zu folgen. Wen gab es also, der in der Lage wäre, einen angemessenen Nachfolger für den Fleming-Kanon zu schreiben?

Ich war zweifellos eine ebenso gute Wahl wie jeder andere. Mein letzter Roman, der unter meinem eigenen Namen erschienen war, handelte teilweise von Spionage. Wichtiger war jedoch, dass ich 1965 Geheimakte 007. Die Welt des James Bond veröffentlicht hatte, das als unbeschwerter und einfühlsamer Überblick über die bis dahin veröffentlichten dreizehn Bände gedacht war. Einen Großteil davon hatte ich vor Flemings Tod geschrieben, und er hatte alles bis auf drei Kleinigkeiten abgesegnet, die ich berichtigte. Und wie ich schon sagte, ich konnte es kaum abwarten, mich daran zu versuchen.

Die grobe Handlung hatte ich recht schnell entwickelt, allerdings kann ich mich wie bei meinen anderen Romanen nicht daran erinnern, in welcher Reihenfolge die einzelnen Ideen in meinem Kopf auftauchten. Doch die Frage nach dem Schauplatz, dem Wo, das in allen Bond-Abenteuern so wichtig ist, muss ganz am Anfang aufgekommen und eine meiner frühsten Entscheidungen gewesen sein. Er war noch nie auf dem griechischen Festland im Einsatz gewesen, ganz zu schweigen von den Inseln, ebenso wenig wie ich, aber ich hatte einen amerikanischen Freund, der Griechisch sprach und mir bereits versprochen hatte, mir alles von der Akropolis in Athen (und dem Restaurant Dionysos, von dem aus man sie überblicken kann) bis nach Rhodos auf der anderen Seite der Meerenge zwischen Griechenland und der Türkei zu zeigen (einschließlich Tintenfisch und Ouzo am Hafen).

Und das tat er dann auch und noch einiges mehr. Bevor ich mit dem Schreiben anfing, hatte ich schon eine ziemlich genaue Vorstellung, warum Bond nach Griechenland reisen muss. Der bösartige Colonel Sun befindet sich auf einer Insel in der Ägäis. Er wurde von seinen abenteuerlustigen Befehlshabern, den Chinesen, auf eine Mission geschickt, um einen Schlag auszuführen, der sich nicht nur gegen den Westen im Allgemeinen und Griechenland im Besonderen richtet, sondern gegen Russland (also bekommt Bond eine russische Gehilfin). Außerdem ist M dort, allerdings nicht freiwillig – und es gibt einen guten Grund für seine Anwesenheit: Bei einem Blick auf die Landkarte fiel mir auf, dass sein Haus in Windsor Park nur ein paar Kilometer vom Londoner Flughafen entfernt liegt, sodass jeder, der planen würde, ihn zu entführen und außer Landes zu schmuggeln …

Ich musste natürlich zwei Reisen unternehmen, nach Athen und Piräus und vorbei am Kap Sounion zur Kykladengruppe, bestehend aus Kea, Kythnos, Serifos, Sifnos, Paros, Naxos und Ios – zwischen den letzten drei platzierte ich meine erfundene Insel Vrakonisi. Die erste Reise diente der Inspiration, die zweite unternahm ich, um sicherzustellen, dass die Details stimmten, die in jedem Bond-Roman essenziell sind. Es war nicht weiter schwierig, die besten Oliven, die besten Krustentiere und den besten örtlichen Wein zu finden, und mit den Beschreibungen der Sonne, des Meers und der Inseln hätte ich Dutzende von Notizbüchern füllen können. Wir reisten mit einem fünfzehn Meter langen umgebauten Fischerboot namens Altair, dem Zwilling und Namensvetter des Boots im Buch, und über dieses Fahrzeug und diese Erfahrung gab es eine Menge zu erzählen. (Noch mal würde ich mich wohl nicht in diese trügerischen Gewässer wagen.)

Dieses Material besserte ich mit dem Geheimdienstjargon und dem mutmaßlichen organisatorischen Hintergrundwissen auf, das ich durch meine Lektüre von Flemings Romanen und bestimmten sachbezogenen Broschüren aufgesogen hatte. Es gab ein nützliches Themengebiet, mit dem ich mich aus persönlicher Erfahrung bestens auskannte: ein paar der Infanteriewaffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Also erschießt der Gute den Bösen in Colonel Sun nicht mit einer zeitgenössischen Waffe, sondern mit einem etwas genaueren Lee-Enfield-Geradezugverschlussgewehr, und die Heldin benutzt eine Thompson-Maschinenpistole, eine Waffe, mit der ich mich wieder näher beschäftigte, als sich herausstellte, dass die echte Altair ein funktionstüchtiges Exemplar in ihrem Ausrüstungsschrank hatte – »in Griechenland kann man nie wissen«, sagte der Kapitän.

Doch der James Bond aus Dr. No und Goldfinger hätte sehr viel mehr technisches Fachwissen benötigt, als ich liefern konnte. Der Amis-Bond greift seinen Feind mit Handgranaten oder einem Jagdmesser an, vertilgt vor einem nächtlichen Angriff Würstchen und Obst und marschiert zu Fuß los, um seinen Feind zu töten. Kein Hovercraft, keine Hubschrauber, keine Raketen, keine doppelten Portionen Beluga-Kaviar, die weiß gekleidete Kellner im Kerzenlicht eines Restaurants servieren. Er hat keine Verwendung für einen Dietrich und einen Sendeempfänger und den ganzen Rest der technischen Spielereien, die ihm die Q-Abteilung bei seiner Abreise mitgibt. Seine eigene Stärke, Entschlossenheit und Erfindungsgabe genügen ihm.

Der Unterschied zum ursprünglichen Bond, dem echten Bond aus den Fleming-Romanen, ist geringer als der zum Bond aus den Filmen, dieser verwegenen, aber unbedeutenden Figur, die vor oder nach der Flucht mit dem Raketenrucksack oder dem tauchfähigen Auto mit eingebautem Raketenwerfer oder dem reaktorbetriebenen Eisberg ganz beiläufig lässige Sprüche reißt. Die bislang aberwitzigste Abweichung ist die zwischen dem Buch Der Spion, der mich liebte (1962), das von einer netten jungen Kanadierin handelt, die gerade ein wenig Pech im Leben hat und von einem anständigen englischen Polizisten namens James Bond vor zwei Schmalspurganoven gerettet wird, und dem Film mit demselben Titel (1977), in dem ein Psychopath versucht, den Dritten Weltkrieg auszulösen, indem er amerikanische und russische U-Boote entführt, und Bond sich enorm ins Zeug legen muss, um ihn aufzuhalten.

Flemings Bond fand jede Menge Zeit, sich ins Zeug zu legen (und zwar wesentlich glaubwürdiger und spannender), während er sich verhielt wie ein glaubhaftes reales menschliches Wesen. Niemand würde in ihm eines der bedeutenden Charakterporträts der englischen Literatur sehen, aber er hat sehr viel mehr Persönlichkeit als die bloße »Silhouette«, die ihn sein Schöpfer abschätzig nannte. Zäh, ja, einfallsreich, zweifellos, aber gleichzeitig durchaus fähig, Empörung, Gewissensbisse, Reue und Zärtlichkeit zu empfinden und einen Beschützerinstinkt gegenüber hilflosen Wesen zu entwickeln, wie zum Beispiel in »Die Hildebrand-Rarität« und Feuerball. Und deswegen sind seine Abenteuer so viel interessanter als die jugendlichen Fantasien des filmischen »James Bond«.

Es erscheint mir angemessen, diese Einleitung im Gedanken an Ian Fleming zu beenden, der ein meisterhafter Schriftsteller spannender Geschichten in der Tradition von Conan Doyle und John Buchan war. Ich persönlich fand es unmöglich, auf würdige Weise in seine Fußstapfen zu treten, aber ich fühle mich geehrt, dass ich die Gelegenheit erhielt, es zu versuchen, und es hat mir sehr viel Spaß gemacht.

 

Kingsley Amis

London, 1991

INHALT

1. Der Mann mit Sonnenbrille

2. In den Wald

3. Nachwirkungen

4. Grüße aus Paris

5. Nächtliche Beobachtungen

6. Der Schrein der Athene

7. Ein unsicheres Versteck

8. Kriegsrat

9. Die Altair

10. Dracheninsel

11. Tod im Wasser

12. Allgemeine Inkompetenz

13. Das kleine Fenster

14. Der Schlächter von Kapoudzona

15. »Gehen Sie, Mr Bond«

16. Der vorübergehende Kapitän

17. Über Bord

18. Die Klauen des Drachen

19. Die Theorie und Praxis der Folter

20. »Leb wohl, James«

21. Ein Mann aus Moskau


DER MANN MIT SONNENBRILLE

James Bond stand am mittleren Abschlag des achtzehnten Lochs auf dem neuen Golfplatz in Sunningdale und genoss die ruhige Normalität eines sonnigen englischen Nachmittags Anfang September. Er dachte darüber nach, dass der alte Platz mit seinen dichten Gruppen aus majestätischen Eichen und Kiefern landschaftlich charmant gestaltet war, aber etwas in seiner Natur fühlte sich von der nüchternen Strenge des neuen angesprochen. Hier gab es weniger Bäume, einen offenen Blick auf den Himmel und Flecken aus Heidekraut und schlanken Büschen auf dem sandigen Boden – und, weniger subjektiv betrachtet, eine Reihe von Löchern, die einen wirklich forderten. Bond war einigermaßen zufrieden mit sich, weil er auf der berüchtigten sechsten Bahn lediglich vier Schläge benötigt hatte. Dort sorgte eine leicht erhöhte Scholle in der Bahn schnell dafür, dass der Ball in einem teuflischen Gewirr aus Büschen und sumpfigen Hügeln landete. Er hatte es jedoch geschafft, den Ball zweihundertfünfzig Meter weit genau in die Mitte zu befördern, ein Schlag, der ihm seine gesamte Konzentration abverlangt und (welcher Segen) nicht die geringsten Beschwerden in dem Bereich hervorgerufen hatte, wo sich im vergangenen Sommer Scaramangas Derringerkugel in seinen Bauch gebohrt hatte.

In der Nähe wartete Bonds Gegner, der gleichzeitig auch sein bester Freund war, darauf, dass die vier Spieler vor ihnen zum nächsten Grün weiterzogen. Es handelte sich um Bill Tanner, Ms Stabschef. Nachdem Bond die tiefen Erschöpfungsfalten um Tanners Augen und seine fast schon alarmierende Blässe aufgefallen waren, hatte er den ungewöhnlich ruhigen Morgen im Hauptquartier dazu genutzt, ihn zu einem Ausflug in dieses verschlafene Eckchen von Surrey zu überreden. Zuerst hatten sie im Scott’s in der Coventry Street zu Mittag gegessen. Das Mahl hatte aus einem Dutzend frischer Whitstable-Austern pro Person bestanden, auf die ein kaltes Stück des besten Roastbeefs mit Kartoffelsalat gefolgt war. Begleitet wurde das Ganze von einer gut gekühlten Flasche Rosé d’Anjou. Das war vielleicht nicht der ideale Auftakt für eine Runde Golf und vermutlich sogar ein wenig maßlos. Aber Bond hatte kürzlich gehört, dass die gesamte Nordseite der Straße abgerissen werden sollte, und betrachtete daher jede Mahlzeit, die er in diesen ernsten, aber gemütlich eingerichteten Räumen genoss, als kleinen Sieg über das neue, verhasste London, das voll von eckigen Konstruktionen aus Stahl und Glas, Über- und Unterführungen sowie dem endlosen schrillen Dröhnen der Presslufthammer war.

Der Letzte der vier, der zuständige Caddie, trottete zum nächsten Grün weiter. Tanner ging zu seiner Schlägertasche – da sie sich während des Spiels über ein paar unwichtigere Geheimdienstangelegenheiten unterhalten wollten, trugen sie ihre Schläger selbst – und zog den neuen Ben-Hogan-Driver heraus, den er schon seit Wochen unbedingt ausprobieren wollte. Dann näherte er sich mit der für ihn typischen Bedächtigkeit seinem Ball. Der Einsatz bei diesem Spiel betrug lediglich symbolische fünf Pfund, aber Bill Tanner verfolgte jedes Ziel mit dem Maximum seines Könnens – eine Eigenschaft, die ihn zur besten Nummer zwei in der Branche machte.

Die Sonne brannte unerbittlich vom Himmel. Insekten summten in dem kleinen Gürtel aus Brombeersträuchern, Vogelbeerbäumen und Weißbirkentrieben zu ihrer Linken. Bonds Blick wanderte von der schlanken, konzentrierten Gestalt des Stabschefs zum Grün, das sich etwa vierhundert Meter entfernt befand, dann weiter zu der berühmten alten Eiche am achtzehnten Grün des alten Platzes und schließlich zu der reglosen Reihe geparkter Autos. War das die richtige Art zu leben? – eine anspruchslose Partie Golf mit einem Freund, auf die zu gegebener Zeit eine gemütliche Fahrt zurück nach London folgte (bei der man die M4 mied), und dann ein leichtes Abendessen allein in der Wohnung, ein paar Runden Piquet mit einem anderen Freund – 016 von Station B hatte Urlaub und war für zehn Tage aus Westberlin nach Hause gekommen – und zu guter Letzt um halb zwölf ab ins Bett. Es war zweifellos eine sehr viel vernünftigere und erwachsenere Routine als die Runde Gin und die Beruhigungsmittel, die er noch vor ein paar Jahren gebraucht hatte, vor seiner albtraumhaften Odyssee durch Japan und die UdSSR. Er sollte sich dafür auf die Schulter klopfen, dass er es durch diese schwierige Zeit geschafft hatte. Und dennoch …

Mit dem Geräusch eines hinabsausenden Säbels zischte Bill Tanners Driver durch die stehende, warme Luft, und sein Ball, der für einen Augenblick aus der Realität zu verschwinden schien, tauchte wieder auf und beschrieb einen weiten Bogen. Es war ein wundervoller, hoher Schlag, der so ausgeführt war, dass er den Ball weit genug nach links brachte, um nicht zwischen der Gruppe aus Waldkiefern zu landen, die schon viele vielversprechende Spielstände in letzter Minute ruiniert hatte. So wie die Dinge standen, musste er nur einen Gleichstand erzielen, um zu gewinnen.

»Sieht so aus, als wäre das Ihr Fünfer, so ungern ich es zugebe, Bill.«

»Wurde auch Zeit, dass ich Ihnen mal einen abnehme.«

Als James Bond vortrat, um seinen Schlag zu machen, kam ihm der Gedanke, dass es eine noch schlimmere Sünde als die Todsünde der Langeweile geben mochte. Gleichgültigkeit. Zufriedenheit mit dem Zweitbesten. Weich zu werden, ohne es zu merken.

Der Mann mit der ungewöhnlich großen und dunklen Sonnenbrille, der an den offenen Fenstern der Clublounge vorbei in Richtung des Grüns schlenderte, hatte keine Schwierigkeiten, die große Gestalt zu identifizieren, die sich in diesem Augenblick bereit machte, am achtzehnten Loch abzuschlagen. Er hatte im Laufe der vergangenen Wochen jede Menge Übung darin bekommen, sie zu identifizieren, sogar auf noch größere Entfernungen als diese. Und in diesem Moment schärfte Dringlichkeit seinen Blick.

Falls irgendein Mitglied des Clubs den Fremden mit der Sonnenbrille bemerkt hätte und mit der Frage, ob man ihm helfen könne, auf ihn zugekommen wäre, hätte diese Person die höfliche Antwort erhalten, dass er keine Hilfe benötige. Diese Antwort wäre mit einem nicht ganz britisch klingenden Akzent gegeben worden – nicht unbedingt fremdsprachlich, vielleicht südafrikanisch. Der Fremde hätte erklärt, dass er sich hier mit Mr John Donald treffen wolle, der jeden Moment zu ihm stoßen werde, um mit ihm die Möglichkeiten einer Mitgliedschaft zu besprechen. (Tatsächlich befand sich Mr John Donald derzeit in Paris, wie ein paar sorgsam geführte Telefonate früher an diesem Tag ans Licht gebracht hatten.) Doch niemand sprach den Mann mit der Sonnenbrille an. Keiner der Anwesenden bemerkte ihn auch nur. Das war nicht überraschend, weil eine langwierige, kostspielige Ausbildung dafür gesorgt hatte, dass er sehr gut darin war, nicht bemerkt zu werden.

Der Mann schlenderte über das Grün und schien mit Interesse das beeindruckende Zierblumenbeet mit seinen dichten Reihen aus Fackellilien und früh blühenden Chrysanthemen zu betrachten. Seine Haltung war vollkommen entspannt und sein Gesicht ausdruckslos, während die Augen hinter der Sonnenbrille in Richtung der Blumen schauten. Sein Verstand jedoch lief auf Hochtouren. Die heutige Operation war bereits drei Mal vorbereitet und dann jedes Mal in letzter Sekunde abgebrochen worden. Der Terminplan war so straff, dass eine weitere Verschiebung das gesamte Vorhaben zum Scheitern verurteilen mochte. Das hätte ihn sehr verärgert. Er wollte, dass die Operation durchgeführt werden konnte – nicht aus irgendwelchen ausgefallenen idealistischen oder politischen Gründen. Es ging um seinen beruflichen Stolz. Dieses Unternehmen wäre – sofern alles glatt lief – die unfassbarste und tollkühnste Gesetzesübertretung, von der er je gehört hatte. Mit dem Erfolg eines solchen Projekts in Verbindung gebracht zu werden, würde ihm zweifellos einen Aufstieg bei seinen Arbeitgebern einbringen. Ein Scheitern des Projekts hingegen …

Der Mann mit der Sonnenbrille schlang für einen Augenblick die Arme um seinen Körper, als hätte die herannahende Abenddämmerung eine verirrte kühle Brise mitgebracht, die ihn frösteln ließ. Der Moment verging. Er hatte kein Problem damit, sich wieder zu entspannen. Er dachte leidenschaftslos über die nicht zu leugnende Tatsache nach, dass der Zeitplan, nach dem er arbeitete, sogar noch straffer war als der Terminplan und kaum noch einzuhalten. Sie waren bereits eine halbe Stunde im Verzug. Dieser Bond und sein Begleiter hatten sich viel Zeit gelassen, um sich bei ihrem Mittagessen in dem Restaurant für reiche Aristokraten den Bauch vollzuschlagen. Wenn sie sich nun auch noch bei den Drinks Zeit ließen, die solche Leute um diese Uhrzeit einzunehmen pflegten, würde es sehr unangenehm werden.

Ein beiläufiger Blick zeigte ihm, dass die beiden Engländer ihre Runde dieses kindischen Spiels beendet hatten und sich nun dem Clubhaus näherten. Der Mann mit der Sonnenbrille, dessen Augen hinter den dunklen Gläsern nicht zu erkennen waren, beobachtete sie von der Seite, bis sie unter albernem Gelächter aus seinem Sichtfeld verschwanden. Es hatte keine weitere Verzögerung gegeben. Obwohl er seit einer halben Stunde nicht mehr auf seine Uhr geschaut hatte und es auch jetzt nicht tat, wusste er auf die Minute genau, wie spät es war.

Eine Pause entstand. Abgesehen von ein paar entfernten Stimmen, einem Motor, der auf dem Parkplatz angelassen wurde, und einem Jet irgendwo weit oben am Himmel herrschte Stille. Irgendwo schlug eine Uhr. Der Mann inszenierte eine knappe Geste, wie eine Person, die mit Bedauern beschloss, dass sie wirklich nicht noch länger warten konnte. Dann ging er gemächlich Richtung Eingang. Als er sich der Straße näherte, nahm er seine Sonnenbrille ab und ließ sie vorsichtig in die obere Jacketttasche seines unauffälligen hellgrauen Anzugs gleiten. Seine Augen waren von einem verwaschenen Blau, das auf seltsame Weise zu seinem tiefschwarzen Haar passte. In ihnen lag das kontrollierte Interesse eines Scharfschützen, der nach seinem Gewehr greift.

»Finden Sie, dass ich weich werde, Bill?«, fragte Bond zwanzig Minuten später, als sie an der Bar standen.

 

Bill Tanner grinste. »Ärgern Sie sich immer noch darüber, dass Sie mit zwei Punkten Abstand gegen mich verloren haben?« (Bond hatte auf dem letzten Grün einen Putt aus nur gut einem Meter Abstand verpatzt.)

»Das meine ich nicht, es ist nur … Also, es fängt schon damit an, dass ich unterbeschäftigt bin. Was habe ich dieses Jahr denn schon gemacht? Eine Reise in die Staaten, um etwas zu erledigen, das sich als eine Art Unhöflichkeitsbesuch herausstellte, und dann dieses elende Fiasko im Juni drüben im Osten.«

Bond war nach Hongkong geschickt worden, um den Transport eines gewissen Chinesen und einer Anzahl ungewöhnlicher Waren auf das kommunistische Festland zu überwachen. Der Mann war kurz vor Bonds Ankunft verschwunden und zwei Tage später in einer Gasse in der Nähe des Hafens gefunden worden. Sein Kopf war fast vollständig vom Körper abgetrennt. Nach drei weiteren Tagen, die hauptsächlich deswegen unvergesslich waren, weil in dieser Zeit ein gewaltiger und anhaltender Taifun tobte, war die Mission abgebrochen und Bond zurückgerufen worden.

»Es war nicht Ihre Schuld, dass unser Kontaktmann vor Ihrer Ankunft krank wurde«, sagte Tanner und verfiel automatisch in den Standardjargon des Secret Service, den sie in der Öffentlichkeit benutzten.

»Nein.« Bond starrte in seinen Gin Tonic. »Aber was mir Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass es mir nicht allzu viel auszumachen schien. Ich war sogar regelrecht erleichtert, dass mir diese Anstrengung erspart blieb. Irgendetwas stimmt nicht mit mir.«

»Aber nicht körperlich. Sie sind in besserer Form als in den letzten paar Jahren.«

Bond schaute sich in dem einfachen Raum mit den bequemen Bänken aus dunkelblauem Leder und den kleinen Gruppen aus Geschäftsleuten um – stillen, anständigen Männern, die sich in ihrem ganzen Leben noch nie gewalttätig oder verräterisch verhalten hatten. Sie waren bewundernswert, aber der Gedanke, zu einem von ihnen zu werden, widerte Bond plötzlich an.

»Ich höre langsam auf, ein tödliches Individuum zu sein«, sagte Bond nachdenklich. »Ich werde zu einem Gewohnheitstier. Seit meiner Rückkehr bin ich an drei von vier Dienstagen hier gewesen, komme immer ungefähr zur gleichen Zeit an, umgebe mich stets mit einem von drei immer gleichen Freunden, verlasse den Platz gegen halb sieben und fahre nach Hause, um dort meinen Abend auf die ewig gleiche Weise zu verbringen. Und ich kann daran nichts Falsches finden. Ein Mann in meiner Branche sollte aber nach einem Zeitplan leben. Das wissen Sie.«

Es stimmte durchaus, dass ein Geheimagent bei einem Auftrag nie in irgendeine Art von Routine verfallen durfte, die es seinen Gegnern ermöglichte, seine Schritte vorherzusehen, aber Bill Tanner sollte die seltsame unbeabsichtigte Bedeutung von Bonds Worten erst später erkennen.

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, James. Das trifft doch sicher nicht auf Ihr Leben in England zu«, entgegnete Tanner mit ebenso unbeabsichtigter Ironie.

»Ich dachte eher an das große Ganze. Mein Leben verfällt in eine Art Muster. Ich muss eine Möglichkeit finden, daraus auszubrechen.«

»Meiner Erfahrung nach ereignet sich eine solche Umstrukturierung von ganz allein, sobald die Zeit reif dafür ist. Man muss deswegen nicht selbst etwas unternehmen.«

»Meinen Sie damit etwa das Schicksal oder so etwas?«

Tanner zuckte mit den Schultern. »Nennen Sie es, wie Sie wollen.«

Für einen Augenblick machte sich eine seltsame Stille zwischen den beiden Männern breit. Dann schaute Tanner auf die Uhr, leerte sein Glas und sagte munter: »Nun, ich denke, Sie wollen sicher langsam los.«

Bond wollte gerade zustimmen, doch er hielt sich zurück. »Zum Teufel damit«, sagte er. »Wenn ich mein Leben ein bisschen durcheinanderbringen will, kann ich ebenso gut sofort damit anfangen.«

Er wandte sich an die Bardame. »Noch mal das Gleiche, Dot.«

»Kommen Sie dann nicht zu spät zu Ihrem Treffen mit M?«, fragte Tanner.

»Er wird sich wohl einfach in Geduld üben müssen. Er isst nicht vor Viertel nach acht zu Abend, und momentan reicht mir eine halbe Stunde in seiner Gesellschaft vollkommen.«

»Ich weiß, was Sie meinen«, erwiderte Tanner mitfühlend. »Ich darf ihm im Büro immer noch nicht zu nah kommen. Wir sind dazu übergegangen, die meisten unserer Plaudereien über die Gegensprechanlage abzuhalten, was mir bestens passt. Ich muss nur sagen, dass es nach Regen aussieht, und schon schreit er mich an und verlangt, dass ich aufhöre, um ihn herumzuwuseln wie ein verwirrtes altes Weib.«

Es war eine lebensechte Imitation, und Bond lachte, aber er wurde schnell wieder ernst, als er sagte: »Das ist nur natürlich. Seeleute hassen es, krank zu sein.«

Im vergangenen Winter hatte sich M einen beunruhigenden Husten zugezogen und er weigerte sich standhaft, etwas dagegen zu unternehmen. Er hatte behauptet, dass er schon von allein verschwinden würde, sobald das Wetter wärmer wurde. Doch der Frühling und der Frühsommer hatten mit der Wärme auch Regen und Feuchtigkeit gebracht, und der Husten war nicht verschwunden. An einem Morgen im Juli hatte Miss Moneypenny einen Stapel Telegramme in sein Büro gebracht und ihn halb bewusstlos über seinen Schreibtisch gebeugt vorgefunden. Sein Gesicht war aschfahl gewesen, und er hatte nach Luft gerungen. Sie hatte Bond aus seinem Büro im fünften Stock nach oben gerufen, und auf das nachdrückliche Beharren des medizinischen Offiziers des Hauptquartiers hin hatten sie M halb mit Gewalt in seinen alten Silver Wraith Rolls Royce bugsiert und ihn nach Hause gebracht. Nach drei Wochen Bettruhe unter der hingebungsvollen Pflege des ehemaligen Chief Petty Officer Hammond und seiner Frau hatte sich M weitestgehend von seiner Bronchialanschoppung erholt, auch wenn seine Laune – wie Bond bei seinen regelmäßigen Besuchen hinreichend feststellte – wohl länger brauchen würde, um auszuheilen … Seitdem hatte Bond es sich zur Gewohnheit gemacht, bei seiner wöchentlichen Rückkehr von Sunningdale beim Achterdeck vorbeizuschauen, dem hübschen kleinen Herrenhaus im Regency-Stil am Rande von Windsor Park. Dabei tat er immer so, als wolle er ganz formlos ein wenig über die Angelegenheiten des Secret Service plaudern, doch in Wahrheit ging es ihm darum, Ms Gesundheit im Auge zu behalten und ein paar heimliche Worte mit den Hammonds zu wechseln, um herauszufinden, ob sich der alte Man auch an die Anweisungen des Arztes hielt, viel Ruhe bekam und, was besonders wichtig war, die Finger von seiner Pfeife und seinen täglichen giftigen schwarzen Zigarrenstumpen ließ. Er war auf einen von Ms typischen Wutausbrüchen vorbereitet gewesen, als er ihm den ersten dieser Besuche vorgeschlagen hatte, doch M hatte nur eine umgehende, wenn auch säuerliche Zustimmung gebrummt. Bond vermutete, dass er sich von der Welt abgeschnitten fühlte, da man ihn vorübergehend zu einer Dreitagewoche verdonnert hatte. (Der medizinische Offizier hatte dieses Zugeständnis nur erhalten, weil er damit gedroht hatte, ihn auf eine Kreuzfahrt zu schicken, wenn er nicht einwilligte.)

Nun sagte Bond: »Warum kommen Sie nicht auch mit, Bill? Ich könnte Sie danach mit zurück nach London nehmen.«

Tanner zögerte. »Ich denke nicht, James, aber trotzdem danke. Später wird noch ein recht wichtiger Anruf von Station L ins Büro durchgestellt, den ich gerne persönlich entgegennehmen würde.«

»Wofür gibt es denn den diensthabenden Offizier? Sie arbeiten doch jetzt schon so viel, dass es für zwei Männer reicht.«

»Nun ja … es ist nicht nur das. Ich würde M ohnehin nicht besuchen wollen. Dieses alte Haus ist mir irgendwie unheimlich.«

Eine Viertelstunde später, nachdem er den Stabschef am Bahnhof abgesetzt hatte, lenkte Bond die lange Motorhaube seines Bentley Continental nach links von der A30 hinunter. Vor ihm lag eine angenehme, gemütliche Fahrt von etwa zehn Minuten, die ihn über gewundene Nebenstraßen zum Achterdeck bringen würde.

Der Mann, der Bond zuvor beobachtet hatte, saß in einem gestohlenen Ford Zephyr, der unauffällig in fünfzig Metern Entfernung von der Abzweigung geparkt war. Nun sprach er ein einzelnes Wort in seinen Hitachi-Sendeempfänger. Gut sieben Kilometer entfernt bestätigte ein anderer Mann die Durchsage mit einem einsilbigen Wort, schaltete sein eigenes Gerät ab und stieg mit seinen beiden Begleitern aus dem dichten Walddickicht, in dem sie die vergangenen zwei Stunden gelegen hatten.

Der Fahrer des Zephyr saß eine weitere Minute lang still da. Es lag in seiner Natur, unnötige Bewegung zu vermeiden, selbst in Momenten wie diesem, in denen er so angespannt war, wie er es sich nur gestattete. Der Zeitplan der Operation war nun fünfzig Minuten im Verzug. Eine weitere große Verzögerung würde nicht nur einen Abbruch nach sich ziehen, sondern eine Katastrophe, denn die Phase, die sein Funksignal soeben eingeleitet hatte, war ebenso unumkehrbar wie brutal. Aber es würde keine weitere Verzögerung geben. Momentan kündigte sich keine an. Das verriet ihm seine Ausbildung.

Am Ende der Minute, die er nach sorgfältigen Berechnungen als den optimalen zeitlichen Abstand bestimmt hatte, um dem Bentley zu folgen, legte er den Gang ein und startete den Zephyr, um in Richtung der Abzweigung zu fahren.

Bond überquerte die Grafschaftsgrenze nach Berkshire und fuhr ohne Eile zwischen den hässlichen Ansammlungen moderner Wohnhäuser hindurch – Herrenhäuser in halbherzig nachgeahmtem Tudor-Stil, Bungalows und zweistöckige Kästen mit sinnlos bunten Holzverkleidungen und Ziegeln sowie verrückten Pflastersteinanordnungen vor den Haustüren und den unvermeidbaren Fernsehantennen, die aus jedem Dach emporwuchsen. Sobald er den Ort Silwood hinter sich gelassen und die A329 überquert hatte, lagen diese Anzeichen des Wohlstands hinter ihm, und der Bentley fuhr brummend einen sanft abfallenden Hügel zwischen Kiefernwäldern hinunter. Schon bald zeigten sich weitläufige Ackerböden zu seiner Linken und der künstlich angelegte Wald zu seiner Rechten. Orte wie dieser würden am längsten als Denkmäler dessen Bestand haben, was England einst gewesen war. Als wollte sie seiner Überlegung widersprechen, tauchte vor ihm eine Trident-Maschine von British European Airways auf, die gerade vom Londoner Flughafen abgehoben hatte und voller Touristen war, die ihre Fish-and-Chips-Kultur in die spanischen Urlaubsgebiete, in Portugals schöne Algarve-Region und nun, da sich die Reichweite der Flugrouten ständig vergrößerte, sogar bis nach Marokko trugen. Aber es war ungehobelt, das alles und die steigenden Gehälter, die es möglich machten, zu verdammen. Vergiss es. Konzentriere dich darauf, M aufzumuntern. Und auf die Piquet-Runde heute Abend. Erhöhe die Einsätze und spiele ernsthaft. Oder sag die ganze Sache ab. Ein paar Anrufe und ein Abend zu viert in der Stadt. Brich aus dem Muster aus …

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