Das Gehirn eines Buddha

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• Denken Sie an jemanden, für den Sie natürlicherweise Mitgefühl empfinden, zum Beispiel an ein Kind oder einen Menschen, den Sie lieben – dieser einfache Strom des Mitgefühls erregt seine neuronale Basis (einschließlich des Neuropeptids Oxytocin, der Insula [die den inneren Zustand Ihres Körpers wahrnimmt], und des PFC) und „wärmt sie auf“ für das Selbstmitgefühl.

• Beziehen Sie sich selbst in dieses Mitgefühl mit ein – seien Sie sich Ihres eigenen Leidens bewusst und weiten Sie Anteilnahme und gute Wünsche auf sich selbst aus; spüren Sie, wie Mitgefühl in wunde Stellen in Ihrem Inneren hinunterrieselt, wie es fällt wie sanfter Regen, der alles berührt. Die Handlungen, die mit einem Gefühl verbunden sind, stärken dieses (Niedenthal 2007); legen Sie also Ihre Handfläche mit der Zärtlichkeit und Wärme an Ihre Wange oder an Ihr Herz, wie Sie sie einem verletzten Kind geben würden. Sagen Sie sich im Geiste Sätze wie: Möge ich wieder glücklich sein. Möge der Schmerz dieses Augenblicks vorübergehen.

• Öffnen Sie sich insgesamt dem Gefühl, dass Sie Mitgefühl empfangen – tief im Inneren Ihres Gehirns spielt die tatsächliche Quelle guter Gefühle keine große Rolle; ob das Mitgefühl also von Ihnen stammt oder von einer anderen Person – lassen Sie das Gefühl, getröstet und umsorgt zu werden, in sich einsinken.

KAPITEL 2Hauptpunkte

• Drei grundlegende Strategien haben sich herausgebildet, um uns bei der Weitergabe unserer Gene zu helfen: das Schaffen von Trennungen, das Stabilisieren von Systemen und das Sichnähern an Chancen bei gleichzeitigem Meiden von Bedrohungen.

• Obwohl diese Strategien zu Überlebenszwecken sehr wirksam sind, bringen sie Sie doch auch zum Leiden.

• Das Bemühen, Trennungen aufrechtzuerhalten, steht im Widerspruch zu den unzähligen Arten und Weisen, auf die Sie in Wirklichkeit mit der Welt verbunden und von ihr abhängig sind. Als Folge davon können Sie sich auf subtile Weise isoliert, entfremdet oder überwältigt fühlen oder so, als lägen Sie mit der Welt im Kampf.

• Wenn die Systeme innerhalb Ihres Körpers, Ihres Geistes und Ihrer Beziehungen instabil werden, erzeugt Ihr Gehirn unangenehme Signale der Bedrohung. Weil sich alles immer verändert, kommen diese Signale immer wieder.

• Ihr Gehirn malt Ihre Erfahrungen mit einem Gefühlston aus – angenehm, unangenehm oder neutral –, damit Sie sich dem nähern, das angenehm ist, meiden, was unangenehm ist, und bei dem, was neutral ist, einfach weitergehen.

• Im Besonderen haben wir uns so entwickelt, dass wir unangenehmen Erfahrungen große Aufmerksamkeit schenken. Diese Negativitätstendenz schafft Angst und Pessimismus und sorgt dafür, dass gute Nachrichten übersehen werden und schlechte Nachrichten hervorgehoben werden.

• Das Gehirn hat die wunderbare Fähigkeit, Erfahrungen zu simulieren, aber dafür gibt es einen Preis: Der Simulator reißt Sie aus dem aktuellen Augenblick und bringt Sie dazu, Freuden hinterherzujagen, die so großartig nicht sind, und sich Schmerzen zu erwehren, die aufgebauscht werden oder nicht einmal real sind.

• Mitgefühl für Sie selber hilft Ihnen, Ihr Leiden zu verringern.

KAPITEL 3

Der erste und der zweite Pfeil

Letztendlich ist Glück eine Frage des Wählens

zwischen dem Unbehagen, sich seiner geistigen Nöte

bewusst zu werden, und dem Unbehagen,

von ihnen beherrscht zu werden.

YONGEY MINGYUR RINPOCHE

Manches körperliche Unbehagen ist unvermeidlich; es ist ein entscheidendes Signal dafür, dass Sie etwas unternehmen müssen, um Leib und Leben zu schützen – wie der Schmerz, der Sie dazu veranlasst, Ihre Hand von einer heißen Herdplatte zurückzuziehen. Manches geistige Unbehagen ist ebenfalls unumgänglich. Zum Beispiel motivierte die im Zuge unserer Evolution anwachsende emotionale Investition in Kinder und andere Mitglieder der Gruppe unsere Vorfahren dazu, diese Träger ihrer Gene am Leben zu erhalten; verständlicherweise sind wir in Sorge, wenn geliebte Menschen bedroht sind, und es bereitet uns Kummer, wenn ihnen Leid angetan wird. Wir haben uns außerdem dahin gehend entwickelt, dass uns unser Platz in der Gruppe und in den Herzen anderer sehr wichtig ist, deshalb ist es normal, dass es uns wehtut, wenn wir zurückgewiesen oder verachtet werden.

Um einen Ausdruck des Buddha zu übernehmen: Unvermeidliches körperliches oder geistiges Unbehagen ist der „erste Pfeil“ der Existenz. Solange Sie leben und lieben, werden Ihnen einige dieser Pfeile begegnen.

Die Pfeile, die wir selber werfen

Erste Pfeile sind wohl unangenehm. Aber dann fügen wir ihnen noch unsere Reaktionen hinzu. Diese Reaktionen sind „zweite Pfeile“ – diejenigen, die wir selber werfen. Der größte Teil unseres Leidens entsteht durch zweite Pfeile.

Nehmen wir an, Sie gehen nachts durch ein dunkles Zimmer und stoßen mit Ihrem Zeh an einen Stuhl; gleich nach dem ersten Pfeil des Schmerzes kommt ein zweiter Pfeil des Ärgers: „Wer hat diesen verfluchten Stuhl verrückt?!“ Oder vielleicht ist eine geliebte Person Ihnen gegenüber kühl, wenn Sie auf Warmherzigkeit hoffen; zusätzlich zu dem natürlichen Schmerz in Ihrer Magengrube (erster Pfeil) fühlen Sie sich möglicherweise dadurch, dass Sie als Kind ignoriert worden sind, unerwünscht (zweiter Pfeil).

Zweite Pfeile lösen häufig durch assoziative neuronale Netzwerke weitere zweite Pfeile aus: Sie könnten Schuld über Ihren Ärger verspüren, dass jemand den Stuhl verrückt hat, oder Traurigkeit darüber, dass Sie sich ein weiteres Mal von jemandem verletzt fühlen, den Sie lieben. In Beziehungen erzeugen zweite Pfeile Teufelskreise: Ihre Zweiter-Pfeil-Reaktionen lösen Reaktionen von der anderen Person aus, die noch mehr zweite Pfeile von Ihrer Seite auslösen, und so weiter.

Bemerkenswerterweise treten die meisten unserer Zweiter-Pfeil-Reaktionen ein, wenn tatsächlich nirgendwo ein erster Pfeil zu finden ist – wenn den Situationen, auf die wir reagieren, kein Schmerz innewohnt. Wir fügen ihnen Leiden hinzu. Beispielsweise komme ich manchmal von der Arbeit heim und das Haus ist ein einziges Chaos; überall liegen die Sachen der Kinder herum. Das ist die Situation. Ist da ein erster Pfeil in den Jacken und Schuhen auf dem Sofa oder in dem Durcheinander auf der Küchentheke? Nein. Niemand hat einen Ziegelstein auf mich fallen lassen oder meine Kinder verletzt. Muss ich mich aufregen? Nicht wirklich. Ich könnte die Sachen ignorieren, sie ruhig aufsammeln oder mit den Kindern darüber sprechen. Manchmal schaffe ich es, mit der Situation so umzugehen. Schaffe ich es aber nicht, dann beginnt der zweite Pfeil zu landen, bestückt mit den Drei Giften: Habgier macht mich unbeugsam im Hinblick darauf, wie ich die Dinge haben möchte, Hass sorgt dafür, dass ich mich gestört und verärgert fühle, und Verblendung bringt mich dazu, die Situation persönlich zu nehmen.

Am traurigsten ist, dass einige Zweiter-Pfeil-Reaktionen auf Gegebenheiten hin erfolgen, die in Wirklichkeit positiv sind. Wenn Ihnen jemand ein Kompliment macht, ist das eine positive Situation. Aber dann könnten Sie mit etwas Nervosität und sogar ein bisschen Scham anfangen zu denken: Oh, ich bin nicht wirklich so ein guter Mensch. Vielleicht werden sie herausfinden, dass ich ein Betrüger bin. Genau dort beginnt das unnötige Leiden des zweiten Pfeils.

Moment des Aufheizens

Leiden ist nicht abstrakt oder konzeptuell. Es ist verkörpert: Sie fühlen es in Ihrem Körper, und es setzt sich durch Körpermechanismen fort. Den physischen Mechanismus des Leidens zu verstehen wird Ihnen dabei helfen, es zunehmend als einen unpersönlichen Zustand zu sehen – der zwar unangenehm ist, es aber nicht wert ist, dass man sich über ihn aufregt, was nur weitere zweite Pfeile bescheren würde.

Leiden strömt kaskadenartig über das sympathische Nervensystem (SNS) und die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPAA) des endokrinen (hormonellen) Systems durch Ihren Körper. Lassen Sie uns diese Buchstabensuppe entschlüsseln und uns ansehen, wie all dies funktioniert. Sind das SNS und die HPAA auch anatomisch eigenständig, sind sie doch so eng miteinander verknüpft, dass sie am besten gemeinsam beschrieben werden, als ein integriertes System. Und wir konzentrieren uns hier auf solche Reaktionen, die von einer Abneigung gegen Stöcke (z. B. Furcht, Wut) statt von einem Greifen nach Karotten bestimmt sind, da aversive Reaktionen aufgrund der Negativitätstendenz Ihres Gehirns normalerweise eine größere Auswirkung haben.

Alarmsignale gehen los

Etwas passiert. Es könnte ein Auto sein, das Sie plötzlich schneidet, eine Abfuhr von einem Kollegen oder sogar einfach nur ein beunruhigender Gedanke. Soziale und emotionale Gegebenheiten können genauso einen starken Effekt haben wie körperliche, da psychischer Schmerz sich zu einem großen Teil auf dieselben neuronalen Netzwerke stützt wie körperlicher (Eisenberger und Lieberman 2004); dies ist der Grund, warum ein Zurückgewiesenwerden sich genauso schlimm anfühlen kann wie eine Wurzelbehandlung. Selbst die bloße Erwartung eines herausfordernden Ereignisses – wie das Halten eines Vortrags in der kommenden Woche – kann eine ebenso große Wirkung haben wie das tatsächliche Durchleben desselben. Was immer die Quelle der Bedrohung sein mag, die Amygdala läutet die Alarmglocken und löst mehrere Reaktionen aus:

• Der Thalamus – die Relaisstation in der Mitte Ihres Kopfes – sendet ein Wecksignal zu Ihrem Hirnstamm, der im Gegenzug stimulierendes Noradrenalin durch Ihr ganzes Gehirn schickt.

• Das SNS sendet Signale zu den wichtigen Organen und Muskelgruppen Ihres Körpers und macht sie damit bereit für Kampf oder Flucht.

• Der Hypothalamus – die primäre Region im Gehirn für die Regulation des endokrinen Systems – veranlasst die Hypophyse dazu, den Nebennieren zu signalisieren, die „Stresshormone“ Epinephrin (Adrenalin) und Cortisol auszuschütten.

 

Handlungsbereit

Innerhalb von ein oder zwei Sekunden nach dem ersten Alarmsignal ist Ihr Gehirn in höchster Alarmbereitschaft, Ihr SNS leuchtet wie ein Weihnachtsbaum und Stresshormone strömen durch Ihr Blut. Mit anderen Worten: Sie sind zumindest ein bisschen aus der Fassung. Was geschieht in Ihrem Körper?

Epinephrin erhöht Ihren Herzschlag (damit Ihr Herz mehr Blut befördern kann) und erweitert Ihre Pupillen (damit Ihre Augen mehr Licht aufnehmen). Noradrenalin verlagert Blut hin zu großen Muskelgruppen. Zwischenzeitlich erweitern sich die Bronchiolen Ihrer Lungen für einen erhöhten Gasaustausch – der es Ihnen ermöglicht, härter zuzuschlagen oder schneller zu rennen.

Cortisol unterdrückt das Immunsystem, um die Entzündung von Wunden zu verringern. Außerdem bringt es Stressreaktionen auf zwei zirkuläre Weisen auf Touren: Erstens veranlasst es den Hirnstamm, die Amygdala weiter zu stimulieren, was die Aktivierung des SNS/HPAA-Systems durch die Amygdala steigert – wodurch mehr Cortisol produziert wird. Zweitens unterdrückt Cortisol die Aktivität des Hippocampus (der normalerweise die Amygdala hemmt); dies nimmt der Amygdala die Bremsen weg und führt zu noch mehr Cortisol.

Die Fortpflanzung wird ausgesetzt – für Sex ist keine Zeit, wenn Sie nach Schutz suchen. Dasselbe gilt für die Verdauung: Die Speichelbildung nimmt ab und die Peristaltik verlangsamt sich, so dass sich Ihr Mund trocken anfühlt und Sie Verstopfung bekommen.

Ihre Emotionen werden stärker, organisieren und mobilisieren das gesamte Gehirn zum Handeln. Die Erregung des SNS/HPAA-Systems stimuliert die Amygdala, die dazu veranlagt ist, auf negative Information zu fokussieren und intensiv auf diese zu reagieren. Folglich werden Sie, wenn Sie sich gestresst fühlen, auf Furcht und Wut programmiert.

Während die limbische und endokrine Aktivität ansteigen, nimmt die relative Stärke der exekutiven Kontrolle des PFC ab. Es ist so, als säßen Sie in einem Auto, in dem das Gaspedal außer Kontrolle geraten ist: Die Fahrerin hat weniger Kontrolle über ihr Fahrzeug. Zudem wird der PFC auch durch die Erregung des SNS/HPAA-Systems beeinflusst, wodurch Bewertungen, das Zuschreiben von Absichten gegenüber anderen sowie Prioritäten in eine negative Richtung getrieben werden: Jetzt glaubt die Fahrerin des schlingernden Autos, dass jeder andere ein Idiot ist. Denken Sie zum Beispiel an den Unterschied zwischen Ihrer Ansicht über eine Situation, wenn Sie aufgebracht sind, und Ihrer Meinung darüber zu einem späteren Zeitpunkt, wenn Sie ruhiger sind.

In den rauen physischen und sozialen Umgebungen, in denen wir uns im Zuge der Evolution entwickelt haben, half diese Aktivierung zahlreicher Körpersysteme unseren Vorfahren zu überleben. Aber was ist heute, bei den chronischen kleinen Stressfaktoren des modernen Lebens, der Preis dafür?

Hauptbestandteile Ihres Gehirns

Jeder dieser Teile Ihres Gehirns verrichtet viele Dinge; bei den hier aufgelisteten Funktionen handelt es sich um diejenigen, die für dieses Buch relevant sind.

Präfrontaler Kortex (PFC) setzt Ziele, macht Pläne, leitet das Handeln; prägt Emotionen, teilweise durch das Steuern und gelegentliche Hemmen des limbischen Systems

Anteriorer cingulärer Kortex (ACC) festigt die Aufmerksamkeit und überwacht Pläne; hilft bei der Integration von Denken und Fühlen (Yamasaki, LaBar und McCarthy 2002); ein „Cingulum“ ist ein gewölbtes Bündel an Nervenfasern

Insula nimmt den inneren Zustand Ihres Körpers – einschließlich Bauchgefühlen – wahr; hilft Ihnen, empathisch zu sein; liegt im Inneren der Temporallappen (Schläfenlappen) auf jeder Seite Ihres Kopfes (Temporallappen und Insula sind in Abbildung 6 nicht zu sehen)

Thalamus die wichtigste Relaisstation für sensorische Information

Hirnstamm sendet Neuromodulatoren wie Serotonin und Dopamin zum Rest des Gehirns

Balken dient dem Informationsaustausch zwischen den beiden Hemisphären des Gehirns

Kleinhirn reguliert Bewegung

Limbisches System von zentraler Bedeutung für Emotion und Motivation; umfasst die Basalganglien, den Hippocampus, die Amygdala, den Hypothalamus und die Hypophyse; manchmal werden auch Teile des Kortex zu ihm gezählt (z. B. der cinguläre Kortex, die Insula), der Einfachheit halber aber definieren wir es hier anatomisch als Teil der subkortikalen Strukturen; neben dem limbischen System haben viele weitere Teile des Gehirns mit Emotion zu tun

Basalganglien haben mit Belohnungen, der Suche nach Stimulation sowie mit Bewegung zu tun; „Ganglien“ sind Anhäufungen von Nervengewebe

Hippocampus generiert neue Erinnerungen, spürt Bedrohungen auf

• Amygdala – eine Art von „Alarmglocke“, die insbesondere auf emotional geladene oder negative Stimuli reagiert (Rasia-Filho, Londero und Achaval 2000)

Hypothalamus reguliert Urtriebe wie Hunger und Sex; bildet Oxytocin; aktiviert die Hypophyse

Hypophyse bildet Endorphine; löst Stresshormone aus, speichert Oxytocin und setzt es frei


Abb. 06 Hauptbestandteile Ihres Gehirns

Wenn das Leben köchelt

Sich aus gutem Grund zu entflammen – wenn man zum Beispiel leidenschaftlich und enthusiastisch wird, Notsituationen bewältigt oder sich energisch für eine gute Sache einsetzt – hat definitiv seinen Platz im Leben. Zweite Pfeile aber sind ein schlechter Grund für das Anfachen des SNS/HPAA-Systems, und wenn sie zur Routine werden, können sie die Nadel auf Ihrem persönlichen Stresszähler in den roten Bereich treiben. Überdies leben wir, ungeachtet Ihrer individuellen Situation, in einer „Vollgas-Gesellschaft“, die auf pausenlose Aktivierung des SNS/HPAA-Systems angewiesen ist; unglücklicherweise ist dies im Hinblick auf unsere evolutionäre Schablone vollkommen unnatürlich.

Aus all diesen Gründen erleben die meisten von uns eine fortlaufende Erregung des SNS/HPAA-Systems. Selbst wenn Ihr Topf nicht überkocht, ist das bloße Vor-sich-hin-Köcheln durch die Aktivierung zweiter Pfeile doch durchaus ungesund. Hierdurch werden Langzeitprojekten – wie dem Aufbau eines starken Immunsystems oder dem Bewahren einer guten Stimmung – ständig zugunsten kurzzeitiger Krisen Ressourcen entzogen. Und das hat nachhaltige Folgen.

Körperliche Folgen

In unserer evolutionären Vergangenheit, als die meisten Menschen mit etwa 40 Jahren starben, machten die kurzzeitigen Vorteile einer Erregung des SNS/HPAA-Systems deren langfristige Kosten wett. Für die Menschen heute aber, die Interesse daran haben, in ihren vierziger Lebensjahren und danach gut zu leben, ist der zunehmende Schaden eines überhitzten Lebens eine wahre Bedrohung. Beispielsweise stört die chronische Stimulation von SNS und HPAA diese Systeme und erhöht das Risiko für folgende Gesundheitsprobleme (Licinio, Gold und Wong 1995; Sapolsky, 1998; Wolf 1995):

Gastrointestinal Geschwüre, Dickdarmentzündung, Reizdarmsyndrom, Durchfall und Verstopfung

Immunologisch häufigere Erkältungen und Grippen, langsamere Wundheilung, stärkere Anfälligkeit für ernsthafte Entzündungen

Kardiovaskulär Arterienverkalkung, Herzinfarkte

Endokrin Typ-2-Diabetes, prämenstruelles Syndrom, Erektionsstörungen, niedrigere Libido

Geistige Folgen

Bei all ihren Auswirkungen auf den Körper haben zweite Pfeile ihre größte Wirkung doch normalerweise auf das psychische Wohlergehen. Schauen wir uns an, wie sie in Ihrem Gehirn am Werke sind und so die Angst erhöhen und die Stimmung senken.

Angst

Die wiederholte Aktivität des SNS/HPAA-Systems erhöht die Reaktivität der Amygdala auf scheinbare Bedrohungen, was wiederum die Aktivierung des SNS/HPAA-Systems erhöht, womit die Amygdala noch weiter sensibilisiert wird. Das geistige Korrelat dieses körperlichen Prozesses ist eine zunehmend schnelle Erweckung von Zustandsangst (auf speziellen Situationen basierende Angst). Außerdem hilft die Amygdala bei der Bildung impliziter Erinnerungen (Spuren vergangener Erfahrungen, die unterhalb der bewussten Wahrnehmung existieren); bei zunehmender Sensibilisierung überschattet sie diese Reste in immer stärkerem Maße mit Furcht und intensiviert damit die Eigenschaftsangst (unabhängig von der Situation andauernde Angst).

Währenddessen verschleißt eine häufige Aktivierung des SNS/HPAA-Systems den Hippocampus, der für die Bildung expliziter Erinnerungen – eindeutigen Aufzeichnungen dessen, was tatsächlich passiert ist – unerlässlich ist. Cortisol und ähnliche Glucocorticoide schwächen bestehende synaptische Verbindungen im Hippocampus und hemmen die Bildung neuer. Des Weiteren ist der Hippocampus eine der wenigen Regionen im menschlichen Gehirn, die neue Neurone hervorbringen können – doch Glucocorticoide verhindern die Entstehung von Neuronen im Hippocampus und beeinträchtigen seine Fähigkeit, neue Erinnerungen zu generieren.

Es ist eine schlechte Kombination, wenn die Amygdala übersensibilisiert und der Hippocampus beeinträchtigt ist: Schmerzvolle Erfahrungen können im impliziten Gedächtnis gespeichert werden – mit all den Verzerrungen und der Turboaufladung einer im Schnellgang operierenden Amygdala –, ohne dass es eine exakte explizite Erinnerung an sie gibt. Das könnte sich z. B. so anfühlen: Etwas ist passiert, ich weiß nicht, was, aber ich bin richtig durcheinander. Dies mag helfen zu erklären, warum Trauma-Opfer sich von den schrecklichen Dingen, die sie erlebt haben, distanziert fühlen können, aber dennoch stark auf jeden Auslöser reagieren, der sie unbewusst an das erinnert, was einst passiert ist. In weniger extremen Situationen kann der Eins-Zwei-Schlag einer hochgedrehten Amygdala und eines geschwächten Hippocampus dazu führen, dass man sich einen großen Teil der Zeit ein wenig durcheinander fühlt, ohne genau zu wissen, warum.

Depressive Stimmung

Eine laufende Aktivierung des SNS/HPAA-Systems untergräbt die biochemische Basis eines ausgewogenen – geschweige denn heiteren – Gemüts auf zahlreiche Weise:

• Noradrenalin hilft Ihnen, sich wach und geistig voller Energie zu fühlen, aber Glucocorticoide dezimieren dieses Hormon. Ein verringerter Noradrenalinspiegel kann bewirken, dass Sie sich matt – oder sogar apathisch – fühlen und sich nur schlecht konzentrieren können; dies sind klassische Symptome einer Depression.

• Mit der Zeit führen Glucocorticoide zu einer Verringerung der Produktion von Dopamin. Dies führt zu einem Verlust der Freude an Aktivitäten, die einst als vergnüglich empfunden wurden: ein weiteres klassisches Merkmal einer Depression.

• Stress verringert den Wert an Serotonin, dem wahrscheinlich wichtigsten Neurotransmitter für das Bewahren einer guten Stimmung. Wenn die Serotoninwerte fallen, kommt es auch zur einer Verminderung des Noradrenalins, dessen Wert bereits von Glucocorticoiden reduziert worden ist. Kurz, weniger Serotonin bedeutet eine höhere Anfälligkeit für eine niedergeschlagene Stimmung und weniger waches Interesse an der Welt.

Ein intimer Prozess

Natürlich ist unsere Erfahrung dieser physiologischen Prozesse eine sehr intime. Wenn ich aus der Fassung bin, denke ich gewiss nicht an alle diese biochemischen Details. Aber eine generelle Vorstellung von ihnen im Hinterkopf zu haben, hilft mir, diese schiere Körperlichkeit einer Kaskade zweiter Pfeile zu verstehen, ihre unpersönliche Natur, ihre Abhängigkeit von vorausgegangenen Ursachen und ihre Vergänglichkeit.

Dieses Verständnis verleiht Hoffnung und Motivation. Das Leiden hat klare Ursachen in Ihrem Gehirn und Ihrem Körper, wenn Sie also seine Ursachen verändern, werden Sie sehr viel weniger leiden. Und Sie können diese Ursachen verändern. Von diesem Punkt an werden wir uns darauf konzentrieren, wie eben dies geht.

Das parasympathische Nervensystem

Bisher haben wir untersucht, wie durch Habgier und Hass – besonders durch Letzteren – angetriebene und durch das sympathische Nervensystem geprägte Reaktionen durch Ihr Gehirn und Ihren Körper fließen. Aber das SNS ist nur eines der drei Zweige des autonomen Nervensystems (ANS), das vorwiegend unter der Bewusstheitsebene operiert, wo es viele Körpersysteme und deren Reaktionen auf wechselnde Gegebenheiten reguliert. Die anderen zwei Zweige des ANS sind das parasympathische Nervensystem (PNS) und das enterische Nervensystem (welches Ihr gastrointestinales System reguliert). Lassen Sie uns auf das PNS und das SNS fokussieren, da sie entscheidende Rollen bei Ihrem Leiden spielen – und bei dessen Ende.

 

Das PNS speichert Energie in Ihrem Körper und ist verantwortlich für die kontinuierliche Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts. Es erzeugt ein Entspannungsgefühl, das häufig mit Zufriedenheit einhergeht – dies ist der Grund, warum es manchmal das Ruhe- und Verdauungssystem („rest-and-digest system“) genannt wird, im Gegensatz zum SNS, dem Kampf-oder-Flucht-System („fight-or-flight system“). Diese zwei Zweige des ANS sind miteinander verbunden wie die zwei Hälften einer Wippe: Geht der eine nach oben, geht der andere nach unten.

Die parasympathische Aktivierung ist der normale Ruhezustand Ihres Körpers, Gehirns und Geistes. Würde Ihr SNS chirurgisch abgetrennt, würden Sie am Leben bleiben (wenngleich Sie in einer Notsituation nicht sehr nützlich wären). Würde jedoch Ihr PNS abgetrennt, würden Sie aufhören zu atmen und rasch sterben. Die sympathische Aktivierung ist eine Veränderung am Grundgleichgewicht des PNS, die der Reaktion auf eine Bedrohung oder eine Chance dient. Der kühlende, beruhigende Einfluss des PNS hilft Ihnen, klar zu denken und hitzköpfig ausgeführte Handlungen zu vermeiden, die Ihnen selber und anderen schaden würden. Das PNS beruhigt auch den Geist und fördert die innere Ruhe, was die kontemplative Erkenntnis begünstigt.

Das Gesamtbild

Die Evolution des PNS ging mit der des SNS Hand in Hand, zu dem Zweck, Tiere – einschließlich Menschen – in potentiell tödlichen Umgebungen am Leben zu erhalten. Wir brauchen sie beide.

Machen Sie zum Beispiel fünf Atemzüge und atmen Sie dabei ein bisschen voller ein und aus als gewöhnlich. Dies verleiht gleichzeitig Energie und ist entspannend, da zuerst das sympathische System und dann das parasympathische aktiviert werden, hin und her, in einem sanften Rhythmus. Achten Sie darauf, wie Sie sich anschließend fühlen. Diese Kombination aus Lebendigkeit und Zentriertheit ist das Wesen der von Athleten, Geschäftsleuten, Künstlern, Liebenden und Meditierenden erkannten Höchstleistungszone. Sie ist das Ergebnis der harmonischen Zusammenarbeit des SNS und des PNS, des Gaspedals und der Bremsen.

Glück, Liebe und Weisheit werden nicht dadurch gefördert, dass das SNS abgeschaltet wird, sondern dadurch, dass das autonome Nervensystem als Ganzes in einem optimalen Gleichgewichtszustand gehalten wird:

• Parasympathische Erregung hauptsächlich für einen Grundzustand der Ruhe und Leichtigkeit und ein Gefühl des Friedens

• Milde Aktivierung des SNS für Begeisterung, Lebenskraft und gesunde Leidenschaften

• Gelegentliche Steigerungen in der Aktivierung des SNS, um mit herausfordernden Situationen fertig zu werden – von einer großen Chance bei der Arbeit bis zu einem spätabendlichen Anruf eines Teenagers, der von einer Party abgeholt werden muss, die aus den Fugen geratenen ist

Mit diesem Rezept haben Sie die besten Chancen auf ein langes, produktives, glückliches Leben. Natürlich erfordert es Übung.

Ein Weg der Übung

Wie es heißt, ist Schmerz unvermeidbar, Leiden aber optional. Wenn Sie einfach im Augenblick verweilen können, mit dem, was im Gewahrsein aufsteigt, was auch immer es ist – egal, ob es sich um einen ersten Pfeil handelt oder um einen zweiten –, ohne zusätzlich zu reagieren, werden Sie die Kette des Leidens genau dort durchbrechen. Mit der Zeit, durch Training und das Prägen Ihres Geistes und Gehirns, können Sie sogar das verändern, was aufsteigt, können vermehren, was positiv ist, und vermindern, was negativ ist. In der Zwischenzeit können Sie in einem wachsenden Gespür für den Frieden und die Klarheit, die in Ihrer wahren Natur vorhanden sind, ruhen und durch dasselbe genährt werden.

Diese drei Prozesse – sein mit dem, was aufsteigt, arbeiten mit den Neigungen des Geistes, das Aufsteigende zu transformieren, und Zuflucht suchen im Seinsgrund – sind die wesentlichen Praktiken des Pfads des Erwachens. Auf vielerlei Weise korrespondieren sie jeweils mit Achtsamkeit, Tugend und Weisheit – und mit den drei grundlegenden neuronalen Funktionen des Lernens, Regulierens und Selektierens.

Wenn Sie sich auf Ihrem Pfad des Erwachens mit unterschiedlichen Schwierigkeiten befassen, werden Sie wiederholt diesen Wachstumsstufen begegnen:

Erste Stufe – Sie sind in einer Zweiter-Pfeil-Reaktion verfangen und bemerken es nicht einmal: Ihr Partner hat vergessen, Milch mitzubringen, und Sie beklagen sich wütend, ohne zu sehen, dass Ihre Reaktion übertrieben ist.

Zweite Stufe – Sie erkennen, dass Sie von Habgier oder Hass (im weitesten Sinne) übermannt worden sind, aber Sie können nicht anders: Innerlich winden Sie sich, aber Sie können nicht aufhören, heftig wegen der Milch zu murren.

Dritte Stufe – einige Aspekte der Reaktion tauchen auf, aber Sie leben sie nicht aus: Sie sind gereizt, aber Sie rufen sich ins Gedächtnis, dass Ihr Partner auch so schon viel für Sie tut und dass es die Sache nur noch schlimmer macht, wenn Sie mürrisch werden.

Vierte Stufe – die Reaktion kommt gar nicht auf, und manchmal vergessen Sie, dass Sie das Problem jemals hatten: Sie verstehen, dass keine Milch da ist, und Sie überlegen in Ruhe mit Ihrem Partner, was jetzt zu tun ist.

In der Pädagogik werden diese Stufen prägnant als unbewusste Inkompetenz, bewusste Inkompetenz, bewusste Kompetenz und unbewusste Kompetenz beschrieben. Diese Bezeichnungen sind insofern nützlich, als Sie es Ihnen ermöglichen, zu sehen, wo Sie bei einem bestimmten Problem stehen. Die zweite Stufe ist die härteste und häufig die, bei der wir aufgeben wollen. Deshalb ist es wichtig, beständig die dritte und die vierte Stufe anzustreben – lassen Sie einfach nicht locker, und Sie werden definitiv dort ankommen! Es erfordert Mühe und Zeit, alte Strukturen zu beseitigen und neue zu bauen. Ich nenne dies das Gesetz der kleinen Dinge: Auch wenn kleine Augenblicke der Habgier, des Hasses und der Verblendung Leidensreste in Ihrem Geist und Gehirn hinterlassen haben, werden viele kleine Augenblicke der Übung diese Drei Gifte und das Leiden, das sie verursachen, doch durch Glück, Liebe und Weisheit ersetzen.

Wir haben bis hierher einen großen Themenbereich abgedeckt und vieles über die evolutionären Ursprünge und neuronalen Ursachen des Leidens gelernt. Lassen Sie uns nun im Rest des Buches sehen, wie man es beendet.

KAPITEL 3Hauptpunkte

• Manches körperliche und geistige Unbehagen ist unvermeidbar. Diese Beschwernisse sind die „ersten Pfeile“ des Lebens.

• Wenn wir auf einen ersten Pfeil mit einem oder mehr der Drei Gifte Habgier, Hass und Verblendung (im weitesten Sinne) reagieren – in deren Zentrum jeweils Verlangen steht – beginnen wir, uns selbst und andere mit zweiten Pfeilen zu bewerfen. Wir werfen sogar häufig zweite Pfeile, wenn kein erster Pfeil zu finden ist. Noch erschreckender ist, dass wir manchmal zweite Pfeile als Reaktion auf Situationen werfen, die eigentlich gut sind, wie solche, in denen wir ein Kompliment bekommen.

• Leiden ist zutiefst körperlich. Körperliche Reaktionen, an denen Ihr sympathisches Nervensystem (SNS) und Ihre Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPAA) beteiligt sind, bewirken, dass das Leiden lawinenartig anwachsend durch Ihren gesamten Körper fließt.

• Die meisten Menschen erleben chronische Kaskaden an zweiten Pfeilen, was negative Folgen für ihre körperliche und geistige Gesundheit hat.

• Das nach dem Prinzip „ruhen und verdauen“ operierende parasympathische Nervensystem (PNS) dämpft die Aktivierung des SNS/HPAA-Systems.

• Das viel versprechendste Rezept für ein langes, gutes Leben ist ein Grundzustand, der durch die hauptsächliche Erregung des PNS und eine milde Aktivierung des SNS zu Zwecken der Vitalität gekennzeichnet ist, kombiniert mit gelegentlichen Steigerungen der SNS-Aktivität für den Umgang mit großen Chancen oder Bedrohungen.

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