Der mondhelle Pfad

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Der mondhelle Pfad
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Petra Wagner

Der mondhelle Pfad


„Der mondhelle Pfad“ – die Fortsetzung zu „Die Macht der weisen Schlange“

Impressum

Umschlaggestaltung und Titelbild: Hauke Kock, Kiel

1. Auflage 2015

ISBN 978 - 3-86777 - 909-8 - 0

ISBN 978 - 3-86777 - 957-9, E-Book [ePUb]

Lektorat: Anne-Cathrin Rost, Jena

Innenlayout: Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaber: Harald Rockstuhl

Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

Lange Brüdergasse 12 in D-99947 Bad Langensalza/​Thüringen

Telefon: 03603/​81 22 46 Telefax: 03603/​81 22 47

www.verlag-rockstuhl.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Die Hüter des weißen Goldes

Fragen sind der Anfang allen Wissens

Drei gängige Schlüssel, um Gedanken aufzuschließen: Trunkenheit, Vertrauensseligkeit, Liebe

Weisheit verdient Achtung

Die Zeit geht vorbei, ob bei Spiel oder Arbeit

Wer schenkt, findet eine offene Tür

Vögel einer Farbe treffen sich am selben Ort

Sein und Schein

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Wo ein Wille, ist eine Tat

Was der Mund spricht, kann nur die Tat beweisen

Ohne Hoffnung bricht jedes Herz

Das Ende eines Tages ist gut zum Feiern

Übung ist die Mutter der Meisterschaft

Unverhofft kommt oft

Nach Regen folgt Sonnenschein

Eile mit Weile

Drei Erfordernisse für Gerechtigkeit: Urteilsvermögen, Mäßigung und Gewissen

Hochzeit

Was, außer ein Kätzchen, sollte man von einer Katze erwarten

Wer eine Reise tut, kann vieles erleben

Wo Frauen sind, da sind auch Zaubermittel

Himmelhoch jauchzend

Zu Tode betrübt

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Kommt Zeit, kommt Rat

Personen bei den Hermunduren

Personen bei den Treverern um Confluentes (Koblenz)

Die Karte

Die Autorin

Der mondhelle Pfad

Die Hüter des weißen Goldes

Eine sanfte Brise strich durch die Schatten der Wälder, erklomm die sonnigen Bergkuppen, senkte sich hernieder in die kühlen Auen. Jedem Kiesel in den gewundenen Bächen, jedem Grashalm auf den saftigen Wiesen, jedem Blatt in den hohen Wipfeln raunte sie zu:

„Dreht euch, wiegt euch und tanzt beschwingt, denn seht:

Dieser Tag der Eiche ist einmalig.

Selbst der Strahlende strebt heute seinem Zenit besonders gleißend entgegen.“

Und so wurde es heiß, sehr heiß. Über der Antsanvia begann die Luft zu flimmern. Verlassen lag die breite Straße, wartete.

Die Alten und Mütter des Hirschclans hatten sich längst vom Wegesrand ins schattige Unterholz zurückgezogen. Auch sie warteten.

Sie warteten auf diejenigen, wegen deren Mut sie überhaupt noch warten konnten, wegen deren Tapferkeit sie noch ein Leben hatten, eine Heimat, Freiheit.

Doch vorerst war es noch nicht soweit, die siegreich Heimkehrenden in die Arme zu schließen. Noch wurden gemurmelte Worte ausgetauscht, manchmal erklang auch helles Lachen, ansonsten döste jeder vor sich hin. Nur die Kinder tobten lärmend um die Bäume herum.

Auch sie warteten – auf ihre Art.

Drei mal schon hatten sie mitten im Lauf inne gehalten und dem Erschallen der Hörner gelauscht. Jedes mal hatte ihnen eine sanfte Brise den mahnenden Ruf zugetragen – der erste nur eine Ahnung, der zweite bereits laut und vernehmlich, der dritte war das gewohnte Dröhnen.

Die Berge ringsum hatten den Schall bis tief hinein ins schattige Unterholz geworfen und der dumpfe Klang die Kinder in helle Aufruhr versetzt; ihr Spiel noch ausgelassener gemacht. Ihre Mütter und Großeltern jedoch waren träge liegen geblieben.

Nun endlich erschallten die Hörner das vierte Mal und bewirkten ein allgemeines Aufsetzen und Glieder strecken, nur die Hunde gähnten gelangweilt.

Es war immer noch Zeit.

„Beim Geweih Cernunnos! Halt endlich still, Robin!“

Im Takt ihrer Worte klatschte Lavinia ihre Hand auf Robins Rücken und schleuderte mit einem „Ich brauch Platz!“ seinen langen roten Zopf über die Schulter nach vorne. „So, freie Bahn und jetzt Ruhe! Wie soll ich denn einen ordentlichen Buchstaben auf deinen Rücken bekommen, wenn du so zappelst!“ Rabiat packte sie seine Schultern und zerrte ihn in eine gerade Sitzposition.

„He! Lass das Schütteln sein! Ich bin doch kein Apfelbaum!“

„Mit welchem Buchstaben fängt Apfelbaum an?!“, rief Lavinia sofort und schüttelte noch mehr, so dass jetzt auch ihre eigenen nussbraunen Locken ordentlich mitwippten.

„Mir ist so heiß!“

„Von dem Buchstaben hab ich noch nie was gehört und mir reißt jetzt gleich der Geduldsfaden! Also! Konzentriere dich endlich, Robin! Ich habe dich ge …“

„Ich will jetzt endlich spielen!“

„Dummes Zeug!“, schnarrte Lavinia und gab ihm einen derben Klaps auf den Rücken.

Den Schwung nutzte sie schnell noch aus, um sich ein paar hängengebliebene Ringellocken aus dem Mund zu zerren, schon hatte sie ihn wieder gepackt. Robin war allerdings auch nicht untätig geblieben und hatte es geschafft, seinen Zopf zurückzuwerfen, doch der klatschte ihm so schnell gegen die Stirn retour, dass er nicht einmal bis eins zählen brauchte. Lavinia grummelte wesentlich länger und schüttelte noch wilder, da sie eine Abneigung gegen widerspenstige Sprösslinge jedweder Art hatte, die nur mit Gewalt in die richtige Richtung gezogen werden konnten. Bloß gut, dass gerade Sommer war. Bis da die Sonne unterging …

„Ich will spielen! Ich will sp …“

„Ruhe! Der Tag ist bereits zur Hälfte um! Die Hörner sind schon ganz laut! Jetzt ist keine Zeit mehr für …“

„Dafür reicht die Zeit allemal noch! Und seit wann ist Verstecken spielen dummes Zeug?! Du redest Schwachsinn, Lavinia! Ich bin nämlich ein Kind! Genau wie du übrigens! Mit fünf Jahren dürfen wir dummes Zeug machen, soviel wir wollen! Immerzu!“

„Wer sagt das?!“

 

„Medan.“

„Me-dan!?“, knurrte Lavinia und zog entrüstet die Augenbrauen hoch. Doch dann entschied sie sich für ein herablassendes Schulterzucken und verzog das Gesicht zu einem verheißungsvollen Lächeln.

„Nun, ja. Medan, als mein jüngster großer Bruder, muss es wohl wissen! Wenn der erst seine Weihe hat, ist die Zeit der Dummheiten vorbei! Einen Mond später, höchstens zwei, und er will wieder ein Kind sein! Garantiert!“

„Wer sagt das!?“

„Schwatz nicht so altklug daher!“

„Nun, ja. Du musst’s ja wissen, Tantchen!“, plusterte sich Robin auf und zupfte einen langen, imaginären Bart an seinem Kinn zurecht. „Das Studium der Altklugheit hast du bekanntlich schon vor drei Jahren mit Bravour gemeistert! Vielleicht wirst du später mal … Druidin der Altklugheit!“

Lavinia klappte die Kinnlade herunter. Ihre Hand zuckte verdächtig in die Höhe und strich betont würdevoll eine äußerst widerspenstige, nussbraune Locke aus der leicht geröteten Stirn.

„Wie recht du doch hast, liebster und – bis jetzt – einziger Neffe, Robin!“, säuselte sie honigsüß und leckte sich die Lippen. „Auch du kannst klug werden im Alter. Es ist nicht schwerer, als ein Feld mit einem Holzlöffel zu beackern.“

Robin brauchte einen Augenblick, um die versteckte Botschaft zu entschlüsseln, doch da hatte sie seinen Gedankengang schon ausgenutzt und versuchte, ihn in die Spur zu lenken. Eigentlich tat sie das immer; im konkreten Fall drückte sie allerdings dermaßen derb in Richtung Gras – je schneller er von ihr wegkam desto besser. Die einzig mögliche Option war Kapitulation – wie jedes Mal – und es war ja nicht so, dass er sich geschlagen gab … oh, nein.

Höchst betrübt drehte Robin seinen Kopf nach hinten, hielt sich an seinem Zopf fest und konterte Lavinias ironisches Grinsen mit einem bockig-verzweifelten Blick.

Tief seufzend maulte er: „Ich lerne dieses schwierige Geschreibsel sowieso nie! Da kann ich es auch gleich sein lassen!“ Und damit hatte er ihre Schwachstelle getroffen.

Wie erwartet tätschelte Lavinia sofort seine leidende Miene, nahm ihn unter ihre Lockenpracht und gurrte beschwichtigend: „Wir schaffen das gemeinsam, Robin! So wahr ich hier sitze, du lernst schreiben! Da gebe ich dir Brief und Siegel drauf.“

Robins Augen leuchteten ehrlich begeistert auf und er wurde so rot wie seine Haare.

„So einen Brief wie Afal in der Hand hatte, als er mit Königin Elsbeth bei uns war? Der mit dem Hirsch auf dem Siegel?“

„Genau so einen meine ich.“ Alles an Lavinia wippte.

„Aber der war doch in Geheimschrift, Lavinia! Da müsstest du schon eine echte Druidin werden, um den zu lesen! So eine, wie deine Schwester, Viviane!“

Lavinia ruckte kerzengerade und löste tatsächlich ihre Armklammer, um sich nachdenklich gegen die Wange tippen zu können. Mit der anderen Hand drehte sie sich noch mehr Locken.

„Jaaa, das wäre eine Überlegung wert, mein schlauer und, wie schon erwähnt, einziger Neffe … Nora sagt, ich hätte das Zeug dazu.“

Diese Reaktion hatte er zwar nicht einkalkuliert, doch Robin nutzte die Gelegenheit und rutschte ein Stück weg. Belustigt zog er die Augenbrauen hoch und kiekste: „Nora ist unsere Schafhirtin.“

„Na, und!?“

Lavinia reckte das Kinn in Angriffsposition und kniff ihre Augen bedrohlich zusammen; Robin schaute so unschuldig drein wie das frommste aller Lämmchen … ein besonders niedliches, liebes Lämmchen mit flauschiger roter Wolle … so rot wie die Rübe, die das wehrlose Lämmchen scheinbar gerade kaute, weil es nichts Besseres zu essen hatte … und so konnte sie nur nachsichtig lächeln. Natürlich nicht, ohne Achtung heischend den Zeigefinger zu heben – den, mit den aufgewickelten Haaren.

„Nora ist die beste Freundin meiner lieben Schwester Viviane, also muss sie es auch am besten wissen. Die beiden haben schließlich gemeinsam die Schafe gehütet, als sie so alt waren wie wir.“ Und bestimmt hatten auch sie ein kleines, knuddeliges und ach so treuherzig drein blickendes Lämmchen dabei gehabt, einfach zum …

„Was meinst du, Lavinia!?“, raunte Robin und beugte sich gewagt in ihre Reichweite. „Haben die Kinder früher auch Buchstaben und Zahlen gelernt, als sie auf den Weiden waren?“

„Natürlich!“, rief Lavinia und wickelte schnell ihre Haare ab, um den Finger besser schwenken zu können. „Das ist doch wohl klar wie ein Gebirgsbach! Was sollte der Hirte denn sonst den Kindern beibringen!? Ist doch viel zu langweilig, den ganzen Tag nur den Hunden Befehle geben und in aufgeblähte Bäuche stechen, damit den vollgefressenen Schafen die Luft ausgeht!“

„Oooch, Steine schleudern macht auch Spaß! Und Hirtenflö …“

„Lenke nicht vom Thema ab, Robin! Wir wollen schließlich gut dastehen, wenn unsere Leute heimkommen! Was meinst du wohl, wie dein Vater guckt, wenn wir schon Conall schreiben können! Also, mit Schwung! Wir probieren es mal im Liegen. Das Hemd kommt weg!“

Ehe Robin begriff, sprang Lavinia auf, versetzte ihm einen kräftigen Stoß in den Rücken und kletterte auf sein Hinterteil.

Dieser neuartigen Lernmethode zu entkommen, war jetzt schlichtweg unmöglich und so blieb ihm nur noch ein sehnsüchtiger Seitenblick auf die anderen Kinder, die keine angehende Druidin als Spielgefährtin hatten. Daher durften sie johlend über die Wiese tollen und Hermunduren gegen Chatten spielen, während er sich seinem Schicksal ergeben musste. Er hätte einen perfekten Chatten abgegeben, sogar freiwillig.

Seufzend legte Robin den Kopf ins Gras und überlegte, wann er das letzte Mal im Ringkampf gewonnen hatte. Wie schon erwähnt: Er war immer der Chatte.

Lavinia gab sich diesmal aber nicht mit einem klassischen Sieg zufrieden, sondern raffte energisch sein Hemd unter dem Gürtel heraus, zerrte es ihm über die Schultern, stopfte seinen Zopf umsichtig hinein und setzte mit konzentrierter Miene ihren Zeigefinger auf seinen entblößten Rücken.

Sie hatte ihren Buchstaben noch nicht ganz fertig aufgemalt, da waren Robins Augen schon geschlossen und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. So machte verlieren …

„Also, Robin! Was habe ich geschrieben?“

„He? Ein A“, nuschelte er.

„Und? Ausführlich!“

„In Griechisch Alpha und Apfel fängt damit an. Womit wir wieder beim Apfelbaum wären!“

„Höchstens Sprössling, du Klugscheißer! Was noch? Ein Name, zum Beispiel!“

„Ein Name … ein Name … Ah, ich weiß! Mein Großvater! Sein Name! Arminius!“

„Sehr gut, Robin. Arminius ist absolut richtig. Aber für mich ist Arminius mein Vater.“

Ermutigt von dem Lob drehte Robin seinen Kopf bis zum Anschlag und grinste breit.

„Weiß ich doch, du kleines Nesthäkchen.“

Kaum hatte er das letzte Wort gesagt, hob Lavinia ihr Hinterteil und ließ es mit Schwung auf seinen Po sausen. Sein Gefasel über tieffliegende Hausdrachen überhörte sie galant und malte konzentriert weiter.

„Ich erwarte Respekt“, säuselte sie nebenbei. „Ich bin schließlich deine Tante, kleiner Neffe Robin! Und bald bin ich eine große Schwester. Den laschen Spruch kannst du dir also schon mal abgewöhnen. Ansonsten …“ Sie stemmte sich wieder ein Stück in die Höhe, setzte sich diesmal jedoch sachte. „Was jetzt?“

„Ein S. Griechisch Sigma und Salz fängt damit an und … Silvanus“, leierte Robin so schnell wie möglich herunter.

Lavinia inspirierte die deutliche Antwort auch prompt zu einem Lob. Sie tätschelte ihm die Flanke wie einem Pferd.

„Perfekt! Prima, Robin! Jetzt bin ich dran.“

„Oooch! Jetzt schon?“

Widerwillig erhob sich Robin, um den Platz mit ihr zu tauschen. Dabei fiel sein Blick auf die Wegbiegung am Ende der Straße.

„Was meinst du, Lavinia, wann sind sie endlich da?“

„Hm. Mal überlegen …“, murmelte Lavinia und ließ ihren Blick die Antsanvia hoch und runter schweifen.

Die Straße selbst war leer. Die Kinder ihres Clans hatten sich überall am Wegesrand zwischen den Büschen verteilt und spielten, je nach Alter – doch immer ziemlich laut – Verstecken, Fangen, Zielwerfen oder Schwertkampf. Letzteren hatte ihr Bruder Medan gerade gewonnen und stolzierte mit hochgerecktem Schwert umher wie der Gockel auf dem Mist. Seine langen kupferroten Haare gaben einen prima Hahnenkamm ab, er krähte sogar recht authentisch. Alle fast-erwachsenen Mitstreiter hielten sich die Ohren zu, bis auf einen. Der hielt sich die Hand mit dem abgebrochenen Holzschwert.

Etwas weiter die Straße hinauf hatte es sich Großmutter Mara mit den anderen alten Leuten unter mächtigen Eichen bequem gemacht. Hanibu saß mitten unter ihnen wie ein junges, schwarzes Schaf zwischen alten, weißen und redete – wie so oft – mit Händen und Füßen. Ab und zu schallte Gelächter herüber, denn Hanibu artikulierte manchmal die Mundart der Hermunduren so verquer, dass am Ende nur unsinniges Zeug heraus kam. Lavinia kannte sich damit aus, weil sie umgekehrt die Sprache der Äthiopier fleißig lernte und daher auf die gleiche Weise ihre dunkelhäutige Freundin zum Lachen brachte.

Die einzigen, bei denen es sehr ruhig zuging, waren die Frauen mit kleinen Kindern, die noch nicht schnell genug weg krabbeln konnten. Dort saß ihre Mutter, Flora, und tat so, als würde sie sehr aufmerksam ihre Schwiegertöchter, Noeira und Taberia, sowie Enkeltöchter, Belisama und Armanu, betrachten. Ihre wahren Absichten verbarg sie hinter üppig herabwallendem Kupferhaar. Lavinia hatte schon fünf Jahre geübt, diesem getarnten Kontrollblick zu entkommen und tat so, als würde sie die Mittagssonne blenden.

Mit der Hand über den Augen drehte sie sich wieder zu Robin um.

„Nun, ja … Wann werden unsere Leute endlich da sein. Gute Frage. Also: Der letzte Hörnerklang kam vom Schleidsberg und sie sind ja nicht so schnell, weil sie im Tross ziehen. Also Geduld, Robin, Geduld. Es dauert nicht mehr lange. Mama hat gesagt, die Zeit des Hoffen und Bangen ist vorbei!“

„Den Göttern sei Dank! Meine Mama heult nachts lauter als meine kleine Schwester!“

„Wem erzählst du das?!“, seufzte Lavinia und setzte sich ins Gras. „Immerhin habe ich die ganze Zeit neben Noeira gelegen! Du schläfst ja bei Medan! Ich bin froh, wenn ihr endlich wieder in euer eigenes Haus zieht.“

„Nichts lieber als das, Medan zieht mir immer die Decke weg! Was meinst du, Lavinia? Wird mein Papa seinen Arm je wieder gebrauchen können? Königin Elsbeth hat gesagt, er hätte einen schlimmen Schwerthieb abbekommen und Onkel Tarian hat es extrem am Bein erwischt.“

„Nur keine Sorge, Robin. Meinen großen Brüdern geht es bestimmt gut! Schließlich haben sie die beste Ärztin dabei, die es hierzulande gibt. Viviane flickt alles wieder zusammen, es sei denn, der Kopf ist ab.“

Robin verzog das Gesicht und fasste sich an den Hals.

„Königin Elsbeth hat gesagt, unser Clan hätte nur vier Krieger verloren, aber es gab viele Verwundete. Im Allgemeinen hätten sämtliche Hermunduren-Clans jedoch großes Glück gehabt.“

„Dieses Glück heißt Viviane. Sie hat schließlich alles zum Guten gewendet. Sie hat die Späher der Chatten in eine Falle gelockt und sie hat unserem Amaturix geholfen, als er gegen die Könige der Chatten gezogen ist. Die Beiden haben heroisch gekämpft und unserem Hirschclan enorm viel Ehre gebracht. Sie sind unsere Helden, die Helden des geeinten Großkönigreiches der Hermunduren.“

„Genau. Wir Hermunduren haben die große Salzschlacht im hercynischen Wald gewonnen. Wir Hermunduren haben von den Göttern das Salz geschenkt bekommen. Wir Hermunduren sind die Hüter ihres weißen Goldes. So war es, so ist es, so wird es auch bleiben. Unser Land steht den Göttern am nächsten und deshalb haben die berühmt-berüchtigten Chatten jetzt Respekt vor uns ehrbaren Hermunduren.“

„Garantiert. Aber nur vor denen, die ordentlich schreiben können, besonders, wenn sie aus dem ehrenhaften Hirschclan kommen.“

Demonstrativ verdrehte Lavinia ihren Arm und tippte sich auf den Rücken, den sie schön krumm zum Buckel formte. Hinlegen tat sie sich nicht, verschränkte aber wenigstens die Hände vor den Knien und stützte ihr Kinn darauf ab.

Robin seufzte ergeben, klemmte sich die Zungenspitze zwischen die Zähne und malte auf ihren gesamten Rücken ein …

„T, griechisch Tau wie Teller, Tasse oder Tarian. Jetzt haben wir alle durch, die von unserer Familie in die Schlacht ziehen mussten. C wie Conall und V wie Viviane haben wir ja schon vorhin mit Steinchen gelegt.“

 

„Einen hast du noch vergessen!“

Robin malte wieder hochkonzentriert.

„Ach ja! Da hast du natürlich recht, Robin! L, griechisch Lambda wie Lamm, lesen oder Loranthus. Aber eigentlich war unser Loranthus ja nicht richtig in der Schlacht dabei, weil er ein Grieche ist und kein Hermundure. Er ist unser Gast, und Gäste dürfen nur von Weitem zusehen.“

„Aber er könnte einer von uns werden, Lavinia! Immerhin hat er sich in Elektra verliebt und Elektra sich auch in ihn!“

„Richtig. Wenn Loranthus eine Königstochter ausschlägt, und auch noch eine solche Schönheit wie Elektra, wäre er wirklich ein Dussel. Dümmer geht’s schon gar nicht mehr.“

In Anbetracht dieser potentiellen Fehlentscheidung verzog Lavinia schon einmal geringschätzig das Gesicht. Robin hingegen wiegte den Kopf, als pendele er selbst zwischen dem Leben eines Königs und dem eines Seefahrers hin und her.

„Ich weiß nicht, Lavinia … Großmutter Flora sagt, er könnte dann kein Händler mehr werden wie sein Vater! Er käme nie mehr in seine Heimat, diese herrliche griechische Insel, Kreta!“

„Da hat meine Mutter vollkommen recht, Robin. Großmutter Mara sieht das als seine schwerste Entscheidung an, immerhin ist Loranthus der Spross einer uralten und enorm reichen Händlerdynastie.“

„Da hat meine Urgroßmutter Mara vollkommen recht, Lavinia. Medan hat sie übrigens belauscht, als sie gerade über seine Sklavin Hanibu geredet haben. Er hat sich doch tatsächlich auf eine Wette mit mir eingelassen.“

Lavinias Kopf ruckte hoch und bis zum Anschlag herum.

„Hanibu mag die Sklavin von Loranthus sein, aber sie ist auch unsere Freundin, Robin!“, schnaubte sie tadelnd, um ihre wahre Absicht zu kaschieren, doch der lauernde Ausdruck in ihren Augen sagte alles. „Um was hat mein jüngster Bruder mit dir gewettet?“

„Kannst du schweigen?“

„Selbstverständlich!“

„Siehst du, ich auch!“

„Ts, dann eben nicht“, winkte Lavinia verächtlich ab und säuselte einen Wimpernschlag später: „Aber wir zwei könnten ja auch eine Wette abschließen, Robin!“

„Gut. Warum nicht.“

Ihr Blick bekam sofort einen geschäftsmäßigen Ausdruck.

„Also. Ich wette mit dir um einen Kieselstein meiner Wahl, dass Loranthus und Hanibu hier bei uns Hermunduren bleiben.“

„Dann halte ich dagegen und wette mit dir um einen ausgetrockneten Frosch meiner Wahl, dass Loranthus mit Hanibu zurück nach Kreta reist.“

„Wette angenommen!“, sagte Lavinia und verrenkte sich, um Robin mit feierlicher Miene die Hand zu schütteln.

Robin drückte fest zu und schob sie sorgsam in Richtung ihrer Füße zurück; ein bisschen schräger drücken, noch schräger nach unten, Übergewicht ausnutzen, Achtung! Drache fällt! Füße hinten … festhalten! Und mit Schwung auf das Hinterteil! Drache fixiert!

Triumphierend reckte Robin die Finger in die Luft und … fing wieder an zu malen. „Mama …“, rief Lavinia sofort und schmiegte sich ins Gras, als hätte sie sowieso dorthin gewollt.

„Nein, Lavinia! Doch nicht M wie Mama! Es ist doch ein N wie Noeira! Wie meine Mama!“

Lavinia presste ihr Ohr ins Gras und zischte: „Lass mich doch ausreden! Ich wollte sagen: Mama hat recht gehabt. Sie kommen.“

Sofort reckte Robin den Kopf, wohlgemerkt nur den, und seine Augen visierten die ferne Wegbiegung an. Feixend drehte er sich wieder zu Lavinia um.

„Da musst du dich getäuscht haben, Tantchen! Nichts zu sehen, aber guter Versu …“

Lavinia zerrte so abrupt an seinem Arm, dass er einfach zur Seite kippte und sie ihm eine Hand auf die Wange klatschen konnte. Zornig wollte er aufbegehren, doch sie hatte seinen Kopf bereits seitwärts ins Gras gedrückt, der Rest war auch schon da.

„Zu sehen vielleicht noch nicht, aber horch mal, Robin! Das hat uns doch Oen am letzten Tag auf den Weiden beigebracht, bevor er in die Schlacht ziehen musste. Deshalb ist doch seine Schwester, Nora, jetzt unsere Schafhirtin.“

Robins verdrießliche Miene hellte sich sofort auf, denn nun konnte er es auch hören: Das Trampeln der Pferde und Ochsen, das Rumpeln der Wagenräder … Er bildete sich sogar ein, die Schritte der Leute auszumachen, als er sein Ohr ganz fest ins Gras presste. Jauchzend sprang er hoch. Wo war sein Hausdrache? Ah, genau vor seiner Nase.

Wild packte er Lavinia und zerrte sie hinter sich her zu den Erwachsenen.

„Sie kommen!“, jubelte er. „Jaaa! Sie kommen endlich heim!“ Lavinia johlte mit und flatterte mit ihrem frisch gewaschenem grünen Leinkleid neben ihm her.

Auch auf der anderen Straßenseite riefen die Kinder durcheinander. Medan rannte quer durch die Büsche, stob über die Antsanvia, riss die Arme hoch und Lavinia sprang jauchzend in diese hinein. Er drückte sie an sich, schob Robin an seine Seite und sie legten das letzte Stück gemeinsam zurück, wobei Robin den beiden neidische Blicke zuwarf oder vielleicht eher skeptische.

Er selbst hatte leider nur eine kleine Schwester, Belisama, und musste daher selbst laufen. Dafür konnte er von einem winzigen, haarlosen Baby aber auch nicht herumkommandiert werden, so wie es Medan mit ihnen versucht hatte – wohlgemerkt nur ‚versucht‘. Schließlich hatte dieser Halbstarke noch nicht mal seine Weihe, auf die er sehr sehnsüchtig wartete und die Robin ihm auch gönnte. Dann hätte Medan nämlich mit in die Schlacht ziehen dürfen und er wäre der einzige Mann im Dorf gewesen. Erste Betonung auf ‚Mann‘, zweite auf ‚einzig‘.

Robin war so mit diesem verlockenden Szenario beschäftigt, dass er gar nicht merkte, wie sich die Leute erhoben und nach Familien ordneten. Erst als Hanibu in ihre dunkelbraunen Hände klatschte, erkannte er seine Chance und hüpfte in ihre ausgebreiteten Arme. Er widerstand allerdings der Versuchung, auf ihre Schultern zu klettern, so wie es Lavinia gerade bei Medan tat, und begann schon ein wenig zu schmollen, da fühlte er plötzlich, wie ihm jemand zärtlich von hinten den Zopf aufmachte und noch einmal neu flocht.

Es war Flora. Sie gab ihm noch einen großmütterlichen Kuss auf die Wange, bevor sie sich mit jugendlichem Schwung über die Lockenpracht ihrer Tochter, Lavinia, hermachte. Nach erfolgreicher Entfernung jeglicher Grasrückstände legte sie ihre Hände irgendwie feierlich bei Medan und Hanibu auf die Schultern, um ihre Ruhe auf die Gruppe zu übertragen.

Gleich daneben kämmte sich Noeira ebenfalls ihre rotblonde Mähne durch. Kaum war sie damit fertig, hatte Belisama auch schon ein paar Strähnen in der Zerre und riss ihr kleines Mündchen auf. Ungeduldig brummelte Noeira vor sich hin und rutschte Belisama im Tragetuch zurecht, denn ganz offensichtlich hatte die Kleine Hunger, ausgerechnet jetzt. Taberia brachte schnell ihren langen blonden Zopf in Sicherheit und lugte zu ihrer Armanu hinunter, die gerade mit der gleichen Absicht und ziemlich gierig an ihrem Kleid zerrte. Seufzend öffnete sie gleichfalls die Fibel auf der rechten Schulter und zog das Gewand ein Stück herab, während kleine Füße gegen ihren Bauch rempelten und grapschende Finger sich ihre Brustwarze einverleibten.

Großmutter Mara schnalzte belustigt mit der Zunge, als die Babys zu schmatzen begannen und legte den beiden jüngeren Generationen feierlich die Hand auf. Es war wirklich schön, Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zu sein. So war es, so ist es, so würde es auch bleiben, dank derer, die da siegreich heimkehrten.

Aufrecht und voller Freude standen alle Leute da wie angewurzelt und schauten gespannt in die gleiche Richtung, weit die Straße hinunter zur Biegung, wo endlich König Gort erschien. Hoch zu Ross, Langschwert und Kurzschwert im Gürtel, den runden Schild leger daneben gehängt, den Speer triumphierend in der Hand und das Haupt hoch erhoben wie der stolze Hirsch, trabte er majestätisch um die Biegung der Antsanvia. Seine langen braunen Haare wehten weit über sein grau glänzendes Kettenhemd, als wollten sie nach hinten deuten. Da setzten sich ihre Füße von ganz alleine in Bewegung – zögerlich; sie brauchten noch mehr Gewissheit.

Und wirklich: Die ersten Krieger kamen hinter König Gort in Sicht, während er sein Signalhorn an den Mund hob und ein herrlicher, tiefer, dumpfer Klang die Luft zum Vibrieren brachte.

Plötzlich ertönte auch bei ihnen das Dröhnen und Afal, in seinem reinweißen Druidengewand, das Horn an den Lippen, hob die Hand und schwenkte sie weit ausholend zum Gruß. Sämtliche Kinder, Mütter und alte Leute jauchzten auf und rannten los, rannten, sprangen, hüpften, schritten dem Tross entgegen, der sich schwerfällig um die Biegung wand.

Beim Anblick der heranpreschenden Meute aus stampfenden Füßen, aufgerissenen Mündern und fuchtelnden Armen kam der Wagenzug ins Stocken.

Nun brachen auch die Heimkehrenden in Jubelgeschrei aus, sprangen von den Ochsenkarren und stürmten den langen Tross entlang, eilten den Daheimgebliebenen entgegen. Manch einer entwickelte auch ohne Pferd eine so extrem schnelle Gangart, dass die Krieger ihre tänzelnden Pferde zügeln mussten, damit niemand zu Schaden kam. Umsichtig warteten sie daher auf ihre Kameraden in den Streitwagen, die nur langsam über den bebenden Boden rumpelten, weil sie nicht an ein paar humpelnden Männern vorbei kamen, die wuchtig ihre Gehstöcke schwangen. Die Insassen der Streitwagen stiegen jedoch einfach heraus und huschten wie der Wind an den Hindernissen vorbei. Johlend sprangen auch die anderen Krieger von ihren Pferden und mischten sich ins Gedränge.

König Gort blieb auf seinem Hengst sitzen und stieß die ganze Zeit ins Horn; am anderen Ende der Straße tat es Afal, sein oberster Druide, ihm gleich.

Der mächtige Hörnerklang und Jubel von zwei Seiten schwoll zu einem einzigen, vielstimmigen Triumphgetöse, auf dessen Höhepunkt sich die Menschen beider Seiten mit Wucht vermischten wie zwei Flüsse, die ineinander brausten.

Sofort ebbte der Strom ab und jeder versuchte, so schnell wie möglich seine Lieben in die Arme zu schließen. Namen wurden gerufen, Leiber schoben sich gegeneinander vorbei, prallten zusammen, pressten sich aneinander, umarmten sich … Kleine Kinder wurden hochgehoben, jauchzten gemeinsam mit ihren Eltern, Brüdern, Schwestern, Großeltern. Die Freudenschreie triumphierten über die besorgten Rufe wegen der Verletzungen. Tränen tropften aus glücklichen Augen.

Aber es gab auch einige in dieser mächtig wogenden Menschenmenge, die still dastanden und unförmige Lederbeutel an ihr Herz pressten. Auch sie wurden umarmt, gedrückt, gestreichelt, geküsst und getröstet, doch bedächtig traten sie aus dem Freudentaumel heraus, stellten sich abseits unter die Bäume.

Voll Wehmut schauten sie auf die kläglichen Reste ihrer Angehörigen herab und betrachteten die, die lebend heimgekommen waren, mit einem suchenden Blick, als müssten ihre Leute doch unter ihnen sein – irgendwo, sie sahen sie in dem Gewühl nur nicht.

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