Alina und der Großmeister

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Alina und der Großmeister
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PAUL BALDAUF

Alina und der Großmeister

Alina und der Großmeister

Alina war zum ersten Mal allein in einem fremden Land. Als sie in ihrem Reiseführer blätterte, erinnerte sie sich an Worte ihrer Mutter:

‘Ich denke, es ist gut für dich, wenn du einmal allein verreist. So wirst du selbstständig.‘

Sie betrat den Balkon. Wie herrlich war der Ausblick von hier oben! Man konnte weit hinaussehen, über Dächer und auf Kirchtürme. Gebäude im benachbarten Ort Floriana waren gut zu erkennen. Gleich gegenüber stand der Präsidentenpalast und unweit, an einer Hauswand, entdeckte sie eine maltesische Flagge. Alina löste sich von dem Anblick und schritt munter zur Rezeption.

Es war ein – auch für maltesische Verhältnisse – besonders heißer Sommernachmittag. In der Eingangshalle des Hotel Castille in Valletta entspannten sich einige Gäste in bequemen Sesseln. Ronald De Giorgio blickte bald nach rechts, bald nach links. Vor ihm lagen große Pläne, auf denen die Namen der Hotelgäste, An- und Abreisedaten und Zimmernummern vermerkt waren. Als er Herrn Farrugia erblickte, atmete er auf: Endlich löst er mich jetzt ab…

Alina grüßte die beiden und Herr Farrugia nahm lächelnd ihren Schlüssel entgegen. Die Malteser schienen ihr überhaupt ein freundliches Volk zu sein.

„So, gehst du wieder aus? Machst du noch einen Ausflug?”

„Ja, ich werde gleich das Manoel Theatre besichtigen.“ Die Miene von Herrn Farrugia hellte sich auf und er blickte sie vielsagend an: „Ahaaa. Du hast Glück! Heute ist es lange geöffnet. Normalerweise finden Führungen nur um 10.45 und um 11.30 Uhr statt.“ Er hängte ihren Schlüssel an einen Haken und drehte sich auf dem Absatz um: „Einen schönen Tag noch, bis später!” Und schon wieder war er mit anderen Aufgaben beschäftigt, nahten doch Neuankömmlinge mit schweren Koffern.

Sie cremte sich noch einmal ein. Mmh, was für ein schöner Geruch nach Kokusnuss! Alina trug eine weiße Bluse. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden. Sie zückte ihre schwarze, in einem Souvenirladen in Valletta gekaufte Sonnenbrille, verstaute ihren Fotoapparat und verließ das Gebäude. Zur Sicherheit steckte sie ein kleines Wörterbuch ein und nahm eine Visitenkarte des Hotels mit: Hotel Castille, Castille Square, c/w St. Paul's Street, Valletta, Malta. Ich werde schon nicht verloren gehen... Wie hat dieser Herr De Giorgio noch gesagt: Malta ist ungefähr 28 km lang und 14 km breit? Für alle Fälle prägte sie sich den Namen der Straße ein. Sie blickte in ihren Reiseführer und suchte den Weg zur Old Theatre Street. Na also, wer sagt es denn? Ich komme doch gut zurecht. Sie schritt gemächlich auf Sandalen die Straße entlang, die sie zu dem Theater führen sollte. Nun, da sie im Freien war, bekam sie wieder zu spüren, wie heiß es war. Ein paar Tauben flatterten auf. Straßenhändler boten Schmuck an. Ein Mädchen spielte Geige. Passanten warfen Münzen in einen Hut, der in ihrer Nähe auf der Straße lag. An einem kleinen Stand pries ein Malteser lautstark Lotteriescheine an. Alina sah sich zufrieden um. Heute Vormittag hatte sie schon an einer Hafenrundfahrt teilgenommen und dabei viele Fotos vom Grand Harbour, dem großen Hafen, gemacht. Von den Erklärungen in Englisch hatte sie nicht allzuviel verstanden. Doch die Fahrt war ein wunderbares Erlebnis. Wie gut war es, dass diese Ausflugsboote für Touristen schön langsam fuhren. So hatte man alle Zeit der Welt, sich in Ruhe umzusehen, den Blick bald über das Wasser, bald über Festungsmauern, Dächer, Balkone oder eines der berühmten Forts wandern zu lassen. Sie schloss für einen Moment die Augen und ließ die Wärme auf sich wirken. Das tat richtig gut! Und nun stand die Besichtigung im berühmten Theater auf dem Programm. Hoffentlich bin ich nicht zu spät dran und kann noch an einer Führung teilnehmen. Sie beschleunigte ihren Schritt.

Im Souvenir Shop des Theaters angekommen, entdeckte sie ein verlockendes Angebot an Gläsern, Silber, Keramiken und CDs. Eine Gruppe wartete schon gespannt auf die angekündigte Fremdenführerin. Es dauerte nicht lange, und eine kurzhaarige Dame mittleren Alters kam herein. Sie begrüßte die wartenden Touristen und stellte sich als ‘Frau Grima‘ vor. Dann ging sie flink voraus und bat in den Innenhof. Alina setzte ihre Sonnenbrille wieder ab und schloss sich der Gruppe an. Teatru Manoel hieß das Theater auf maltesisch. Wie interessant das klingt! Da habe ich heute abend am Telefon wieder einiges zu erzählen.

Frau Grima führt durch das Theater

„Beginnen wir im Innenhof. Bitte, folgen Sie mir.“

Der überdachte Hof mit seinen Säulen, Palmen und Bogendurchgängen war eine Augenweide. Auch die Farbtönung der Wände, Tische und Stühle aus Holz trugen zu der besonderen Atmosphäre bei.

„Der zentral gelegene Hof ist eine der Attraktionen dieses Theaters. Besuchern gefällt die Atmosphäre, die ein wenig der einer kleinen Piazza ähnelt.”

Alle durften sich eine Weile umsehen und schon ging es weiter.

„Bitte, achten Sie auf die Stufen!“

Ein deutscher Tourist schlug die Warnung leichtfertig in den Wind. Seine Frau griff beherzt ein und konnte ihn gerade noch vor einem freien Fall bewahren. Alina musste kichern. Die Frau hakte sich nun bei ihm ein und beobachtete ihn so, als traue sie ihm nicht mehr zu, alleine zu gehen. Nun stieg die Gruppe Treppen aus Carraramarmor hinauf.

Alina betrachtete Portraits berühmter Komponisten, die in Nischen verewigt waren. Die beschwingte Fremdenführerin blieb auf einmal stehen und verkündete stolz:

„Das ‘Manoel Theatre’ ist das drittälteste Theater Europas. Es wurde am Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut.“

Nun sah man anerkennende Blicke. Die Fremdenführerin sprach bald Englisch, bald Französisch und Italienisch. Alina war beeindruckt. Ob sie auch Deutsch kann?

„Der Plan, ein Theater zu errichten, das für die Öffentlichkeit zugänglich ist, stammte vom früheren Großmeister António Manoel de Vilhena. Es war in den Märztagen des Jahres 1731...“

Das hört sich ja interessant an. Großmeister António Manoel de Vilhena? Woher der wohl stammte? 1731. Wenn man sich das vorstellt...Vor fast 300 Jahren… Diese Großmeister, so viel wusste sie schon, standen dem Orden der Ritter des heiligen Johannes vor. Unterstand ihnen ein ganzes Heer von Rittern? Manoel de Vilhena? Also ist das Theater nach ihm benannt! Aber für weitere Gedanken blieb keine Zeit. Die Fremdenführerin war schon wieder unterwegs, ging der Gruppe voran und blieb dann kurz stehen.

„Vielleicht fragen Sie sich, warum er ein Theater erbauen ließ? Nun, er wollte dafür sorgen, dass das Volk – so drückte er sich aus – ‘auf ehrenwerte Weise unterhalten‘ wird. Zu seiner Zeit war es für viele Leute durchaus üblich, eine Theateraufführung zu besuchen. Oper und Drama waren sehr beliebt. Es gab auch Freiluft-Aufführungen, in denen professionelle Künstler und Amateurschauspieler zu sehen waren. Wer von Ihnen Latein versteht, kann den Hinweis auf die gute Unterhaltung über dem Haupteingang lesen.“

Frau Grima sprudelte nur so. Es war offensichtlich, dass sie in dem Theater zu Hause war und hier jeden Stein kannte. Latein..., dachte Alina, kann ich leider nicht.

„Er wollte auch die jungen Ritter des Ordens vor Unheil bewahren: Er wird dabei gedacht haben: Wenn sie im Theater gut unterhalten werden, wird dies einen guten Einfluss auf sie ausüben. Bevor wir das Theater besichtigen, möchte ich Ihnen noch etwas über seine Geschichte erzählen. Der Großmeister zahlte den Großteil der Baukosten in Höhe von 2184 Scudi aus eigener Tasche.“

Sie machte eine entsprechende Geste – zog ihre Hand wieder aus der Hosentasche – und erntete Heiterkeit. Alina lachte hell auf. Einige Leute drehten sich nach ihr um und lächelten ihr wohlwollend-schmunzelnd zu. Nein, so viel Geld hatte er bestimmt nicht gerade in der Hosentasche greifbar, dachte Alina. Über 2000 Scudi? Sie erinnerte sich, dass der Name der damaligen Währung irgendwo in ihrem Reiseführer vorgekommen war. Scudi..., das klingt gut. Schön, dass Frau Grima betont langsam spricht, so verstehe ich doch recht viel.

„Sobald alle Formalitäten erledigt waren, begann man mit den Arbeiten. Nach nur 10 Monaten war das ganze Gebäude errichtet!“

Die Fremdenführerin ließ der Gruppe Zeit, bis bei allen der Groschen fiel. Die allgemeine Bewunderung wuchs. Das ging ja rasend schnell, dachte Alina: In nur 10 Monaten so einen Bau auf die Beine zu stellen. Die müssen aber geschuftet haben! Wieviel Mann da wohl beteiligt waren?

„Das Innere des Gebäudes bestand nur aus Holz. Vorbild war sehr wahrscheinlich das Theater von Palermo. Später wurde das Gebäude umgebaut, bis das Auditorium die ovale Form aufwies, die heute noch zu sehen ist. Zu Beginn hieß es einfach Öffentliches Theater. Später wurde Öffentlich durch Königlich ersetzt. 1866 nannte man es schließlich zu Ehren seines Gründers Manoel Theatre, und so heißt es noch heute. Das muss ein Gefühl sein, dachte Alina, wenn ein Theater nach einem benannt wird...

Frau Grima machte es spannend. Bevor sie die Besucher ins Theater hereineinließ, holte sie noch einmal aus:

„Für die erste Aufführung 1732 stand eine klassische italienische Tragödie auf dem Spielplan. Die Ritter traten selbst als Schauspieler auf. Der dauerhafte Austausch zwischen den Theatern von Neapel, Palermo und Valletta machte das Teatru Manoel, wie es auf Maltesisch heißt, zu einem begehrten Sprungbrett für ehrgeizige Künstler, die in der Scala oder in Covent Garden auftreten wollten.“

 

Die Scala? fragte sich Alina. Auf einmal dämmerte es ihr: Ah, natürlich, La Scala, das berühmte Theater in Mailand. Sie malte sich gerade aus, wie herrlich golden die Logen dort glänzten. Doch Frau Grima war schon wieder in ihrem Element:

„In seiner besten Zeit gab es herrliche Aufführungen, wie die legendäre Inszenierung einer Oper von Donizetti im Dezember 1838. Unter den Zuschauern war damals auch die Witwe des englischen Königs Wilhelm IV anwesend. Später verlor das Theater an Bedeutung und wurde durch den Bau einer neuen Oper ersetzt.”

Frau Grima hielt einen Moment inne und seufzte. Es schien, als müsse sie nun etwas sagen, was ihr schwer fiel.

„Das Manoel Theater wurde sogar als Tanzhalle und Kino genutzt.”

Unglaublich, dachte Alina, das muss ein schönes Kino gewesen sein...Da hätte ich mir auch gerne mal einen Film angesehen...

Die Miene von Frau Grima wirkte nun wieder entspannter.

„Auf Wunsch der Öffentlichkeit kaufte die Regierung das Theater wieder zurück. Experten aus England und Italien wurden hinzugezogen. Mit ihrer Hilfe und im Verein mit maltesischen Kunsthandwerkern wurde das Theater wieder zu altem Glanz renoviert. Die Beleuchtung wurde sogar verbessert und man sorgte für genügend Raum für das Orchester. Die alten Holzsitze ersetzte man durch bequeme Logenplätze. Auch die Decke wurde erneuert. Sie besteht aus 22 Karat Gold.“

Nun ging ein Raunen durch die Gruppe. Einigen Besuchern blieb der Mund offen. Frau Grima zeigte bedeutungsvoll auf eine Eingangstür. Nun war es endlich so weit. Sie öffnete die Tür und ließ der Gruppe den Vortritt. Nach und nach traten alle ein und bald hörte man Ausrufe des Staunens und lebhafter Bewunderung.

Was für eine Pracht! Alina blickte hingerissen – „Oooh!“ - nach oben und in die weite Runde, bewunderte Kronleuchter und Lampen, vergoldeten Logen mit ihren Verzierungen und die Stuckdecke. Was für ein Glanz: All das Gold, der Orchesterraum, der olivgrün-goldene Vorhang, der rote Teppich. Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Frau Grima war verstummt. Sie ließ der Gruppe genügend Zeit und lächelte vielsagend. Diesen Effekt kannte sie schon. Mit jeder Besuchergruppe, die sie hierher führte, erlebte sie dasselbe. Wie großartig müssen die Aufführungen früher gewesen sein…Man saß bequem, hörte wie das Orchester intonierte, der prächtige Vorhang öffnete sich…, Schauspieler in herrlichen Kostümen traten auf...Vorhin sagte Frau Grima doch etwas von der Witwe eines Königs...Wer weiß, vielleicht fand sie das Theater hier schöner als ihre eigenen königlichen Prunkräume...Sicher musste sie keinen Eintritt bezahlen...Doch Alina kam nicht mehr dazu, sich den Glanz vergangener Aufführungen auszumalen. Frau Grima nahm das Heft schon wieder in die Hand.

„Da drüben sehen Sie die Loge des Präsidenten. Der ganze Raum ist so angelegt, dass eine ungewöhnlich gute Akustik garantiert ist. Das Manoel Theater ist ein Gebäude von besonderer architektonischer Pracht, ein verborgenes Juwel mitten im Zentrum von Valletta.“

Alina spürte, wie sie nun doch langsam müde wurde. Die Hafenrundfahrt heute Vormittag, zuvor der Ausflug am frühen Morgen, nach Naxxar, Zabbar und Hamrun und die drückende Hitze. Später war sie noch durch die Straßen in Nähe ihres Hotels spaziert und hatte ein kleines Restaurant in der St. Paul’s Street entdeckt: Il Gifen hieß es, ’das Boot‘. Teresa, die Tochter des Inhabers, war so nett, ihr den Namen zu erklären. Er bezog sich auf die Landung des Apostels Paulus in Malta. Ach, wie gemütlich war es, in dem Restaurant zu sitzen...Am liebsten würde ich es mir hier auch für einen Moment in den schönen Sitzen bequem machen...Doch Frau Grima war noch nicht am Ende.

„Da drüben sehen Sie ein Gemälde des Gründers, des Großmeisters António Manoel de Vilhena.“

Alle traten näher und bewunderten das erstaunliche Kunstwerk.

„1722 wurde der Portugiese, der als sehr klug galt, zum Großmeister gewählt. Er fürchtete, dass die Osmanen – nach ihrem Angriff von 1565 – nochmals versuchen würden, mit ihrer Flotte die Insel Malta zu erobern. Deshalb war er sehr wachsam und unternahm alles, was ihm möglich war, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Als die Anführer der angreifenden Flotte bemerkten, dass er alle Vorkehrungen für die Verteidigung getroffen hatte, ordneten sie überraschend den Rückzug an. Sie versuchten noch nicht einmal, an Land zu gehen. Aber der Großmeister ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern unternahm weiterhin alle Anstrengungen, bis es ihm gelang, mit dem Sultan von Konstantinopel einen Friedensvertrag zu schließen.“

Aha, dachte Alina: Erst hat er eine mögliche Invasion verhindert. Doch dann ruhte er nicht, bis er einen Friedensvertrag unter Dach und Fach hatte. Was für ein großer Mann. Wahrlich ein Großmeister!

Sie trat noch näher heran und betrachtete das Gemälde. Zwei Gefolgsleute im Hintergrund, saß der Großmeister aufrecht in einem prächtigen Sessel. Er trug ein schwarzes Gewand mit einer Halskrause, das bis zu den Füßen reichte. In der Hand hielt er ein kleines Schriftstück. Etwa in der Mitte seines Gewandes entdeckte sie das Ordenskreuz. Er sah aus, als würde er nachdenken und jeden Moment eine Entscheidung treffen oder die Marschrichtung vorgeben. Im Zentrum des Gemäldes sah sie sein ausdrucksvolles, ovales Gesicht. Von langem, dunkel gelocktem Haar einer kolossalen Perücke umrahmt, strahlte es etwas aus, das sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Wachsam, ernst und hoch konzentriert, schien es fast, als würde er sie aus seinen großen, dunklen Augen mustern. Alina betrachtete seine lange, fein geformte Nase, die hohe Stirn. Er sieht so vornehm aus, dachte sie. Ich hätte ihn zu gerne mal kennen gelernt.

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