Eine Zukunft für meine Kinder

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DER VATER MEINER KINDER

Mponela war eine große Ortschaft im Zentrum des Landes, und der Markt war ein konzentriertes Gemisch aus Gerüchen, Geräuschen und Farben. Dort lernte ich James, den Vater meiner Kinder, kennen. Er eroberte mein Herz im Sturm. Er war viel größer als ich, und bei ihm fühlte ich mich geliebt und beschützt. In den Tagen nach unserer ersten Begegnung behandelte er mich respektvoll und sanft. Obwohl alle schlecht von ihm redeten, machte ich mir nichts daraus und glaubte niemandem. Ich dachte, sie seien eifersüchtig und neidisch, weil ich einen schönen und freundlichen Mann gefunden hatte, der mich mit Aufmerksamkeiten überschüttete, aus einer guten Familie kam – sein Vater war Lehrer – und eine gute Stelle in einem staatlichen Büro bekleidete. Auch meine Verwandten waren nicht glücklich und wollten, dass ich nach Hause, nach Lilongwe, zurückkehrte, doch das interessierte mich nicht. Ich hatte den Richtigen gefunden. Und ich konnte über meine Zukunft entscheiden. Ich fühlte mich frei.

Nach etwa einem Jahr wurde ich schwanger, und 1999 kam mein erster Sohn, Maupo, zur Welt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich trotz allem ein privilegiertes Leben geführt. Ich kam aus einer wohlhabenden Familie, hatte studiert und in der Stadt gelebt. Verglichen mit dem größten Teil meiner Altersgenossinnen war ich eine Ausnahme. Doch mit einem Mal und ohne es wirklich zu begreifen, hatte ich alle meine Privilegien verloren. Als mein früherer Verlobter aus Lilongwe, der in der Zwischenzeit sein Studium abgeschlossen und eine Stelle angetreten hatte, erfuhr, dass ich ein Kind bekommen hatte, litt er heftig und war sehr enttäuscht. Ich machte ihn ausfindig und traf mich mit ihm. Er war zornig und verbittert, er fühlte sich hintergangen. Ich bat ihn, mir zu verzeihen, und dankte ihm für alles, was er für mich getan hatte. Ich fühlte mich schuldig und war ehrlich zu ihm. Wir gingen als gute Freunde auseinander, er verstand mich.

Zwei Jahre vergingen. Meine Verwandten weigerten sich, ihre Zustimmung zur Ehe zu geben. Ich fühlte mich allein, isoliert. Ich war gekränkt. Aber ich liebte James und wusste, dass ich tun musste, was ich für richtig hielt. Ich blieb hart, und am Ende gaben sie nach. Sie akzeptierten einen Brautpreis von sechs Kühen und gaben uns ihren Segen : 2001 heirateten wir vor dem District Commissioner der Stadt.

Mein Leben änderte sich, es nahm eine für mich völlig unerwartete Wendung.

James schlug mir vor, das Unterrichten aufzugeben, er sagte, ich solle mich um das Haus und um den kleinen Maupo kümmern. Ich wehrte mich, doch er bestand darauf, und so gab ich nach. Anfangs war es kein Problem, es machte mir nichts aus. Ich war in meinem Zuhause und hatte unzählige Dinge zu tun. Außerdem konnte ich mich, anders als bei meinem Onkel, einrichten und organisieren, wie ich es selbst für am besten hielt. Ich stand um fünf Uhr morgens auf – das ist in Afrika ganz normal : Die Tage beginnen früh, weil man das Sonnenlicht ausnutzen muss –, brachte das Wasser zum Kochen und kümmerte mich um die Mahlzeiten, ich wusch die Wäsche, putzte und räumte auf. Nachmittags ging ich zu den Nachbarn, und wir hielten vor den Haustüren ein Schwätzchen, wie es in den afrikanischen Dörfern üblich ist. Um vier, ehe James von der Arbeit zurückkam, ging ich wieder nach Hause. Nach dem Abendessen ging er aus, und ich musste zuhause bleiben. Mein einziger Trost war der Fernseher, wahrscheinlich einer der ersten in ganz Malawi, den mein Vater gekauft hatte, als wir nach mehreren Umwegen wieder nach Lilongwe zurückgekehrt waren. Ich blieb also dort und tat nichts. Ich schlug die Zeit tot.

Meine Brüder und den Rest der Familie sah ich praktisch nie. Sie waren gegen meine Heirat gewesen und besuchten mich nur ungerne. Und auch ich besuchte sie selten. James kam nie mit. Er war immer in der Bar. Er trank. Wenn er heimkam, schlug er mich. Er brauchte keinen Grund, ein Nichts genügte. Er schrie, dass ich eine Null sei, dass ich in meinem Leben nichts zustande gebracht hätte. Er war gnadenlos und aggressiv. Ich wusste, dass die Frauen in Malawi oft von ihren Männern geschlagen wurden, aber ich hätte nie gedacht, dass es mir auch einmal so ergehen würde. Und dass ich es einfach so hinnehmen musste, machte alles nur noch schlimmer. Nach einiger Zeit gab er mir kein Geld mehr, um Lebensmittel zu kaufen, er sagte, er hätte nichts, obwohl er seine Abende nach wie vor in der Bar verbrachte. Trotzdem erwartete er, dass es immer etwas zu essen gab. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich fragte den Direktor der Sekretärinnenschule, ob ich wieder bei ihm arbeiten dürfe, wenigstens ein paar Stunden pro Woche, doch er lehnte ab, er sagte, er könne das nicht tun, er wolle keinen Ärger. Er nannte keinen Namen, aber es war klar, dass er dabei an James dachte.

Ich warnte ihn : »Wenn du mir kein Geld gibst, mache ich dir nichts zu essen.« Doch es half nichts, er änderte sich nicht. Er war nicht mehr der Mann, den ich geheiratet und von dem ich geglaubt hatte, dass er ein Ruhepol in meinem Leben sein würde. Ich war verängstigt, eingeschüchtert und hatte niemanden, mit dem ich reden konnte. Meine Verwandten ahnten wahrscheinlich etwas : Jedes Mal, wenn sie mich sahen, war ich dünner und schlimmer zugerichtet. Obwohl ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, zeigte mein Körper allzu deutlich, wie es in meinem Inneren aussah. Doch meine Brüder stellten nicht viele Fragen, und ich erzählte ihnen nichts. Sie hatten mich gewarnt, ich hatte meinen Kopf durchgesetzt, und jetzt musste ich die Folgen tragen. Ich hätte gerne jemandem mein Herz ausgeschüttet, geweint, geschrien. Ich hätte gerne jemanden gehabt, der mich verstand und dem ich alles erzählen konnte. Ich fühlte mich allein, es war furchtbar. Manchmal vertraute ich mich den Nachbarn an, aber ich brachte es nicht über mich, mich ganz zu öffnen. Meine Zukunft wurde immer düsterer. War das die Familie, von der ich geträumt hatte ? War das der Mann, mit dem ich mein Leben teilen sollte ? Dieser Mann, der alles Geld vertrank, statt es in die Ausbildung seines Sohnes zu investieren ? Dieser Mann, der mich nicht einmal eines Blickes würdigte ?

»Ich habe mich geirrt«, sagte ich mir, »aber wie mache ich es wieder gut ?«

Ich ging zu meinen Brüdern und bat sie um Geld. Ich erzählte ihnen nichts, aber das war auch gar nicht nötig. Sie dachten sich ihren Teil. Mit dem Geld organisierte ich ein kleinen »Laden« : Ich kaufte drei Paletten Eier, insgesamt etwa neunzig Stück, die ich am Morgen kochte und auf der Straße verkaufte. Das ging nicht lange gut. Kaum hatte er davon erfahren, zwang James mich auch schon, damit aufzuhören und auf dieses Wenige zu verzichten, das uns weitergeholfen hätte. Das uns geholfen hätte, zu überleben. Wieder gab ich nach. Ich wollte immer noch glauben, dass er mich auf seine Weise liebte, dass es zu unserem Besten war, wenn er mich so behandelte. Damals war mir die Bedeutung der Arbeit und insbesondere der Frauenarbeit noch nicht klar. Arbeiten heißt nicht nur Geld verdienen. Es bedeutet viel mehr. Arbeiten hilft dir, einen Platz in der Gesellschaft zu finden, es bringt dich mit anderen Menschen in Kontakt. Es öffnet dir die Augen und lässt dich von einer anderen Zukunft träumen. Es gibt dir Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit. Würde. Es spielt keine Rolle, ob du auf der Straße Eier verkaufst, als Sekretärin arbeitest oder Schreibmaschinenkurse hältst. Wichtig ist nur, dass du es tust, dass du etwas auf die Beine stellst. Als ich jung war, glaubte ich wie so viele Frauen, dass es nur auf die Familie ankomme und dass mein Partner der einzige Mensch sei, auf den ich mich verlassen und auf den ich zählen könne. Doch so war es nicht, ich hatte mich getäuscht. Er wurde immer eifersüchtiger und hörte nicht auf, mich zu schlagen. Ich bereute meinen Starrsinn. Ich war die Gefangene meiner eigenen Entscheidungen.

Im Viertel gingen inzwischen Gerüchte um. Die Nachbarn erwähnten seine vorige Frau, die seit einigen Jahren tot war. Sie tratschten und sagten, er gehe zu anderen Frauen. Ich verschloss Augen und Ohren und redete mir ein, das sei alles üble Nachrede und ein Produkt ihrer Eifersucht. Doch es ging mir schlecht. Ich fühlte mich nicht geliebt. Ich ertrug es nicht, dass ich mit niemandem darüber sprechen konnte und so völlig auf mich alleine gestellt war.

HUNGER

In Mponela lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben den Hunger kennen.

Die Probleme begannen im Vorfeld der Regenzeit 2002, zwischen Oktober und November, und dauerten bis Ende Februar, als die Maisernte anfing. Es war ein furchtbares Jahr, es regnete wenig, und die Ernte war nicht ausreichend. Meine Familie gehörte zum Glück nicht zu denen, die es am härtesten traf, weil mein Mann eine Arbeit und ein festes Gehalt hatte und wir nicht völlig von den Erträgen der Landwirtschaft abhingen – anders als die Bauern und viele andere arme Menschen.

Ich erinnere mich noch gut an ihre Verzweiflung.

Alles war geschlossen, kam zum Erliegen. Die Kinder gingen nicht zur Schule, weil sie bei der Nahrungsbeschaffung helfen mussten. Die Preise waren astronomisch hoch, und auch die Viehzüchter hatten Schwierigkeiten. Wenn man Ziegen und Hühner hatte, musste man mit Bedacht vorgehen : Man durfte sie nicht alle auf einmal essen, konnte das Fleisch jedoch der Hitze wegen auch nicht konservieren. Die einzige Möglichkeit war, sie zu verkaufen und Nsima davon zu kaufen, die haltbar war und den Magen für einige Tage füllte. Doch die Tiere waren ein grundlegendes Kapital und eine Investition, die große Opfer verlangt hatte, und so war es schwer, sich – zumal zu einem Schleuderpreis – von ihnen zu trennen. Hinzu kam, dass der Maispreis explodierte und unter den armen Leuten Gerüchte kursierten, wonach einige große Konzerne, die über die entsprechenden Mittel verfügten, genau darauf spekuliert hatten : Sie hätten große Vorräte für wenig Geld aufgekauft und würden sie nun zu exorbitanten Preisen weiterverkaufen.

 

Die Straßen waren voller erschöpfter und verzweifelter Menschen, die alles Mögliche aßen, nur um sich den Magen zu füllen. Einige starben, weil sie giftige Wurzeln gegessen hatten, andere, weil sie nicht einmal mehr die Kraft hatten, zu reagieren. Zuhause aßen wir nur einmal am Tag, mittags. Ich kochte keinen Maisbrei mehr, sondern eine Art Porridge aus Getreide, Wasser und Zucker. Das war alles, was wir uns erlauben konnten. Dabei konnten wir uns, verglichen mit der Mehrheit der Bevölkerung, noch glücklich schätzen. Die Nachbarn und die Freunde wurden argwöhnisch. Jeder misstraute jedem. Sie waren neidisch. Sie hatten Angst, bestohlen zu werden. In den Straßen der Stadt herrschte eine leidende, resignierte Stimmung. Die Tage verstrichen immer langsamer, immer leerer.

HIV

In der Schule hatte ich zum ersten Mal von Aids gehört.

Eine meiner Freundinnen hatte die gleiche Zahnbürste wie ich : dieselbe Marke und dasselbe Modell, und einmal hatte ich aus Versehen ihre genommen. »Vorsicht !«, schrie sie. »Das ist meine !«

»Woher weißt du das ?«

»Ich habe den Griff markiert.«

Ich fragte sie nach dem Grund, ich wollte wissen, weshalb sie so sehr auf ihre Zahnbürste achtete. Wir waren Kinder, Freundinnen, und hatten schon oft unsere Seife oder unsere Kleider getauscht. Das war zwar etwas anderes als eine Zahnbürste, aber ihre Reaktion kam mir trotzdem übertrieben vor. Sie erklärte mir, dass wir vorsichtig sein müssten, weil es eine neue Krankheit gebe, Aids, die sich über das Blut übertrage, und dass ich sie, wenn ich damit infiziert wäre, hätte anstecken können, wenn ich mir beim Zähneputzen das Zahnfleisch verletzt hätte.

Meine zweite, sehr viel schmerzlichere Begegnung mit Aids hatte ich – auch wenn es im Grunde niemand hatte zugeben wollen –, als meine Eltern daran starben. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nur eine vage Vorstellung, worum es sich handelte. Ich wusste, dass es eine unbekannte Krankheit und anders als alle anderen Krankheiten war, aber ich kannte weder ihren Charakter noch ihre Wirkung. Ich versuchte mich zu informieren, aber ich wurde zum Schweigen gebracht. »Frag nicht und sprich mit niemandem darüber«, schärften mir meine Großeltern und der Rest der Familie ein. Wer an dieser Krankheit starb, musste das im Stillen tun und durfte keine Spuren hinterlassen.

In den darauffolgenden Jahren war Aids jedoch in der gesamten Region südlich der Sahara zu einem wirklichen und echten Notfall geworden. Im Radio brachten sie ständig Berichte und gaben Anweisungen, wie man mit dem Virus und mit den Menschen umgehen sollte, die sich damit infiziert hatten. Ich traf mich mit den Nachbarn zu stundenlangen Diskussionen an der Türschwelle. Am besten wäre es doch wohl, so sagten wir, jeden Kranken mit einem Zeichen auf der Stirn zu markieren. Das sei das Nächstliegende. Da er eine Gefahr für den Rest der Bevölkerung sei, könne man ihn ebenso gut kenntlich machen und von den anderen fernhalten. Die Straßen der Stadt hatten sich geleert und waren stiller geworden. Beinahe täglich wurde jemand beerdigt. Der Präsident hatte die Straßen mit großen Bekanntmachungen plakatiert, auf denen er eine einzige Lösung propagierte, das »Rezept der drei A«: »Abstinenz, Abstinenz, Abstinenz.«

Ich begann darüber nachzudenken, ob es nicht angebracht sei, den Test zu machen. Ich wollte sichergehen, dass ich nicht krank war, und falls doch, dann wollte ich mir die nötigen Medikamente verschaffen. Mir war bewusst, dass sie mich nicht würden retten können, aber sie hätten zumindest die Beschwerden gelindert und mein Leben um einige Jahre verlängert, das Ende hinausgezögert. Ich wusste, dass ich im Fall der Fälle stark, fest und entschlossen würde sein müssen. Dass der gesellschaftliche Tod dem physischen vorangehen würde. Dass ich wahrscheinlich im Stich gelassen, verraten und diskriminiert werden würde. Dass das Wenige, was die Krankheit unversehrt ließ, von Angst, Unwissenheit und Hoffnungslosigkeit getroffen werden würde.

MELINDA

Wenn ich durch unser Viertel ging, traf ich oft meine Schwäger, die viel jünger waren als James. Eines Tages begegnete ich dem Kleinsten von ihnen, der das vierte Jahr der weiterführenden Schule besuchte, und einem Mädchen, das ich zunächst für seine Mitschülerin hielt. Im Näherkommen hörte ich jedoch, wie mein Schwager zu dem kleinen Mädchen sagte : »Sag Pacem guten Tag, sie ist deine Tante.«

Ich verstand nicht, weshalb er das sagte, und achtete nicht weiter darauf. Doch von diesem Tag an lächelte das Mädchen mich an, wann immer wir uns begegneten, und gab mir die Hand.

Ich fragte einen anderen Schwager, wer sie sei.

»Das ist eine von James’ Töchtern«, sagte er ganz unbefangen.

Ich wurde zornig, ich war schockiert. Ich verstand nicht, warum er mir nie etwas gesagt hatte. Wir lebten seit einigen Jahren zusammen, wir waren eine Familie – wie hatte James etwas so Wichtiges vor mir geheim halten können ? Ich wusste, dass er schon einmal verheiratet gewesen war, aber er hatte nie erwähnt, dass er Kinder hatte. Als ich ihn zur Rede stellte, tat er es mit einem Achselzucken ab, als sei die Sache nicht der Rede wert. Dann teilte er mir wenige Tage später mit, wir müssten das Haus aufgeben und zu seiner Familie ziehen. Er sagte es einfach so, als ob das keine große Sache wäre und als ob es keine Alternative gäbe. Er versuchte nicht, sich zu rechtfertigen oder irgendetwas zu erklären.

Ich reagierte nicht, ich wehrte mich nicht. Ich nahm es hin.

Wir zogen einige Blocks weiter in ein großes Haus, das im selben Bezirk lag.

Wir lebten mit seinen drei Kindern aus erster Ehe, mit seiner Schwägerin, die sich um ihre Nichten und Neffen kümmerte, seinen beiden jüngsten Brüdern, seiner Schwester und einigen Cousinen und Cousins zusammen. Mit mir und Maupo waren wir zwölf.

Ich fühlte mich verloren, im Stich gelassen. Aber ich hatte keine Wahl. Was konnte ich schon tun ? Ich war allein und hatte ein kleines Kind. Wenn ich fortgegangen wäre und meinen Mann verlassen hätte, hätte ich auf niemanden zählen können. Ich hätte aufs Geratewohl losziehen und mir einen Mann suchen müssen, der bereit gewesen wäre, sich um mich und Maupo zu kümmern. Um was zu erreichen ? Zu welchem Zweck ? Wahrscheinlich hätte er ein Kind von mir haben wollen, und ich hätte mich wieder an demselben Punkt, in exakt derselben Situation befunden, der ich vermeintlich entronnen war. Und dann hätte ich wieder fortgehen und mir wieder einen anderen Mann suchen müssen, und womöglich wäre diese Irrfahrt mein ganzes Leben lang so weitergegangen. Das war nicht die Zukunft, die ich mir vorgestellt hatte. Ich wollte doch nur Stabilität, Frieden. Ich biss die Zähne zusammen, versuchte mit aller Kraft, durchzuhalten. Wieder und wieder sagte ich mir, dass James sich ändern, dass er wieder der werden würde, der er gewesen war : der Mann, in den ich mich verliebt hatte.

Seine Brüder und seine Schwester, die noch zu jung waren, um alleine zu leben und auf eigenen Füßen zu stehen, waren grob und unerzogen und respektierten mich nicht im Geringsten. Nie bezogen sie mich mit ein, und sie sprachen nur das Allernotwendigste mit mir. Jedes Mal, wenn ich sie beim Wasserholen oder Feuermachen um Hilfe bat, erhielt ich eine Abfuhr. Also gab ich es auf und bemühte mich, das Haus auf Vordermann zu bringen. Ich konnte nicht anders, obwohl es nicht mein Zuhause war und sich für mich auch nicht so anfühlte. Ich hatte niemanden, bei dem ich mich aussprechen und mit dem ich meine Gedanken und Gefühle hätte teilen können. Manchmal, wenn ich ein wenig Zeit übrig hatte, unterhielt ich mich ein bisschen mit den Nachbarn, aber ich vertraute mich ihnen nicht an. Ich fragte mich, was sie wohl von mir denken, was James und seine Verwandten ihnen erzählt haben mochten. Meine Brüder sah ich selten, und wenn, dann blieben unsere Gespräche an der Oberfläche : Ich erzählte ihnen nicht, wie die Dinge in Mponela wirklich standen. Sie hatten mich gewarnt, und ich hatte meinen Kopf durchgesetzt. Jetzt musste ich für meine Fehler bezahlen. Wenn ich an jene Jahre zurückdenke, erinnere ich mich vor allem an die große Traurigkeit, die mich in den Momenten der Einsamkeit überkam. Mein einziger Trost war Maupo, der zu einem hübschen und kräftigen Jungen heranwuchs. Er war meine Hoffnung und meine Kraft.

Eines Abends kam James wieder betrunken nach Hause und schlug mich ohne Grund. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der letzte, der entscheidende Tropfen. »Es reicht«, sagte ich mir. »Ich halte es nicht mehr aus. Ich gehe fort.« Am nächsten Morgen packte ich meine Sachen, band mir meinen Sohn auf den Rücken und machte mich auf den Weg nach Lilongwe zu meinem älteren Bruder.

Ich ging nicht ins Detail, ich erzählte ihm nicht, dass James mich schlug und all das. Ich sagte nur, dass ich eine Weile bei ihm bleiben wolle, dass ich Abstand bräuchte von der Familie meines Mannes. Ich bat ihn um Verzeihung für all die Sorgen und Probleme, die ich ihm bereitet hatte, und vor allem dafür, dass ich seinem Rat nicht gefolgt war. Er war verärgert und billigte mein Verhalten nicht, doch er nahm mich auf in sein Haus, das er gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Kindern bewohnte. Es war ein kleiner, bescheidener Bau mit nur einem Schlafzimmer. Maupo und ich mussten uns mit dem Gemeinschaftsraum begnügen, der an Regentagen als Esszimmer diente.

Während meines ganzen Aufenthalts dort brachte ich es nicht über mich, meinem Bruder alles zu erzählen und ihm zu sagen, wie es mir wirklich ging. Ich arbeitete nicht und verbrachte viel Zeit alleine. Es gab nicht viel zu essen, und es war nun einmal nicht mein Leben. Nach etwa einem Monat fasste ich einen Entschluss, ich sagte zu meinem Bruder : »Ich gehe zurück zu meinem Mann.«

Er antwortete nicht. Er widersprach nicht. Ich packte meine wenigen Habseligkeiten und machte mich auf den Weg – in der Hoffnung, dass er sich verändert, dass mein Weggang etwas genutzt hatte. Ich betete : »Mach, dass er wieder der ist, der er früher war.«

Es ging weiter, wie es aufgehört hatte. Ich wurde schwanger.

Während der Schwangerschaft tat ich alles, was ich konnte, um das Leben zu schützen, das in mir heranwuchs, und ging regelmäßig zum besten Antenatal Care der Region in Mtenga Wa Ntengha. Ein Antenatal Care ist eine medizinische Station, die sich auf die Schwangerschaftsbetreuung spezialisiert hat und sich bis zur Geburt um schwangere Frauen kümmert. Diese Stationen sind im ganzen Land verbreitet. Es handelt sich um eine öffentliche Dienstleistung, die vollkommen kostenlos ist. Die in Mtenga Wa Ntengha war die beste. Die Ärzte maßen meine Größe und mein Gewicht und verschrieben Medikamente, wenn es nötig war. Sie rieten mir, ein Eisenpräparat gegen die Blutarmut zu nehmen, die infolge der Ernährungslage und der Malaria in Malawi weit verbreitet ist. Außerdem gaben sie mir Tipps für die Hygiene und Lebensweise. Eine Schwester riet mir, zum VCT zu gehen und den HIV-Test machen zu lassen, und sie sprach mit mir über Aids. Die Untersuchung war noch nicht obligatorisch, das wurde sie erst einige Jahre später, aber sie war gratis und wurde nachdrücklich empfohlen.

Ich sprach mit James darüber, und er antwortete : »Damit bin ich nicht einverstanden.« Ich insistierte, doch er wollte nichts davon wissen. Er sagte, es gebe keinen Grund zur Sorge, ich solle ihm vertrauen, und seine erste Frau sei an einer Lungenerkrankung gestorben, die nichts mit Aids zu tun gehabt habe.

Das überzeugte mich nicht, ich machte mir Sorgen. Immer wieder musste ich an den Tratsch und die Gerüchte denken, dass er zu anderen Frauen ging. Hinzu kam, dass er sich in letzter Zeit zunehmend schlecht fühlte. Er schluckte ein Paracetamol pro Tag und hustete ständig.

»Keine Sorge«, sagte er dann, »das sind noch die Nachwirkungen der Tuberkulose.«

Im Oktober 2004 kam meine zweite Tochter zur Welt, Melinda, während mein Mann Blut und Schleim aushustete.

»Das reicht«, dachte ich bei mir, »wir dürfen nicht länger warten, wir müssen den Test machen.« Wenn er nicht dazu bereit war, würde ich es eben alleine machen, heimlich. Und wenn ich das Ergebnis hatte, würde ich entsprechend reagieren. Wir waren für unsere Familie verantwortlich, für Maupo und für die kleine Melinda. Wir konnten nicht einfach so tun, als ob nichts wäre.

 
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