Abende auf dem Gut Dikanka

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Wie versteinert und ohne sich von der Stelle rühren zu können, hörte Petrusj das unschuldige Kind Pidorkas Worte nachlallen. »Dacht’ ich Unglücklicher nicht schon daran, in die Krim oder ins Türkenland zu ziehen, mir Gold zu erbeuten und mit vielen Gütern beladen zu dir zurückzukehren, du meine Schönste? Doch es sollte nicht sein. Ein böser Blick hat uns getroffen. Wohl werden wir Hochzeit feiern, mein teures Fischlein du, aber kein Küster wird auf unserer Hochzeit singen — statt eines Popen krächzt mir zu Häupten ein schwarzer Rabe, das weite Feld wird mein Haus und die graue Wolke mein Dach sein; meine grauen Augen hackt der Adler aus; der Regen wird mir die Kosakenknochen bleich waschen, und der Sturmwind wird sie austrocknen. Doch was tu ich? Wem klag’ ich was vor? Gott hat’s wohl so angeordnet! Verloren ist verloren!« — Und stracks zog er in die Schenke.

Die Tante meines seligen Großvaters war nicht wenig erstaunt, als sie Petrusj in der Schenke sah, und dazu noch zu einer Zeit, wo ein braver Mensch zur Frühmesse geht. Sie glotzte ihn mit ihren Augen an, wie wenn sie noch im Schlafe läge, als er einen Krug — oder richtiger fast einen halben Eimer voll Branntwein bestellte. Allein vergebens suchte der Ärmste seinen Kummer zu ertränken. Der Schnaps brannte ihm auf der Zunge wie Nesseln und dünkte ihn bitterer als Wermut. Weit von sich warf er den Krug zu Boden. Da dröhnte es im Bass über seinem Kopfe: »Laß doch das Trauern, Kosak!« Er schaut auf: Es war Bassawrjuk! Uh, welche Fratze! Der hatte Haare wie ein Borstenvieh und Augen wie ein Bulle! »Ich weiß, was dir fehlt: das da!« rief er und klirrte teuflisch grinsend mit seiner ledernen Geldkatze, die ihm am Gürtel hing. Petrusj erbebte. »Hehe, wie die glühen!« brüllte er und schüttete sich die Dukaten auf die Hand. »Hehe, die klimpern! Und doch heißt’s nur eine einzige Tat vollbringen, um einen ganzen Berg solcher Schnipsel!« — »Satan!« schrie da Petrusj. »Her damit! Ich bin zu allem bereit!« Beide gaben sich den Handschlag und waren einig. »Sieh, Petrusj, du kommst gerade zur rechten Zeit: morgen ist Johannistag. Nur in dieser einen Nacht des Jahres treibt das Farnkraut Blüten. Du darfst es nicht verpassen. Ich erwarte dich um Mitternacht in der Bärenschlucht.«

Ich glaube, die Hühner warten nicht so auf den Augenblick, wo ihnen die Hausfrau Krumen streut, wie Petrusj auf den Abend wartete. Immerwährend blickte er aus, ob die Baumschatten nicht länger würden, ob nicht die tief herabgesunkene Sonne in Purpur erglömme, und je länger er wartete, um so ungeduldiger wurde er. Wie lange dauerte das doch! Gottes Tag konnte wohl kein Ende finden. — Nun ist die Sonne fort. Nur noch auf einer Seite rötet sich der Himmel noch. Und schon erlischt er. Es wird kälter im Felde; dunkler und dunkler wird’s, und alles liegt in nächtlicher Finsternis da. Endlich! Das Herz wollte ihm schier aus der Brust springen, als er sich auf den Weg machte und mit Vorsicht durch den dichten Wald zu dem tiefen Grunde herabstieg, der Bärenschlucht genannt wurde. Bassawrjuk wartete schon auf ihn. Es war so finster, daß man die Hand vor den Augen nicht sah. Hand in Hand schlichen sie durch die Sümpfe des Moors, verfingen sich im dichten Gestrüpp und strauchelten fast bei jedem Schritte. Endlich fanden sie einen ebenen Platz. Petrusj sah sich um: Er war noch nie hier gewesen. Auch Bassawrjuk blieb stehen.

»Siehst du: da vor dir liegen drei Hügel. Viel mannigfache Blumen wachsen dort; doch alle Mächte der Welt mögen dich bewahren, auch nur eine zu pflücken. Kaum aber erblüht der Farn, so greif nach ihm und blick dich nicht um, was du auch hinter dir dünken magst.«

Petrusj wollte noch etwas fragen ... aber jener war verschwunden. Er ging auf die Hügel zu: wo waren die Blumen? Es war nichts zu sehen. Schwarz lag das wilde Steppengras da und überwucherte alles mit seinem Gestrüpp. Da blitzte ein Wetterleuchten auf, und vor ihm erschien ein ganzes Beet voll wundersamer und nie gesehener Blumen; darinnen sah er auch die einfachen Blätter des Farnkrautes. Voller Zweifel stemmte Petrusj beide Hände in die Hüften und stellte sich nachdenklich vor sie hin.

»Was ist denn Wunderbares dabei? Zehnmal des Tages sehe ich solches Kraut: was ist denn das für ein Mirakel? Am Ende macht sich die Teufelsfratze nur über mich lustig!«

Auf einmal aber glüht ein kleines Knöspchen rot auf und rührt sich wie wenn es lebendig wäre. Seltsam fürwahr! Rührt sich, wird immer größer und größer und glüht heiß wie eine rote Kohle. Da flammte ein Sternchen auf, etwas knisterte leise, und vor seinen Augen entfaltet sich die Blume wie eine Flamme, loht leuchtend auf und überstrahlt alles rings herum.

»Jetzt ist’s Zeit,« dachte Petrusj und streckte die Hand aus. Aber siehe, da strecken sich noch hundert andere zottige Hände nach der Blume aus, und hinter ihm läuft raschelnd etwas von Ort zu Ort. Er drückte die Augen zu, riß am Stengel, und die Blume blieb in seiner Hand. Alles verstummte. Da tauchte Bassawrjuk, auf einem Baumstumpf sitzend, empor: ganz bläulich wie eine Leiche. Er rührte keinen Finger, seine Augen waren starr auf etwas gerichtet, das nur ihm allein sichtbar war; sein Mund stand halb offen, aber er sprach nichts. Ringsum rührte sich nichts. Wie furchtbar war Petrusj zumute! ... Aber nun vernahm Petrusj ein Pfeifen, daß ihm das Herz im Leibe erstarrte, und es kam ihm so vor, als ob das Gras summe, und die Blumen sich mit dünnen Stimmchen unterhielten, die wie silberne Glöcklein klangen. Die Bäume donnerten grollend durcheinander ... Bassawrjuks Antlitz wurde auf einmal lebendig. Seine Augen funkelten. »Endlich ist sie da, die Hexe,« grunzte er durch die Zähne. »Petrusj schau, bald wird dir eine schöne Frau erscheinen: Tu alles, was sie dir befiehlt, sonst bist du auf ewig verloren!« Er zerteilte das Dickicht mit einem Knotenstock, und vor ihnen erschien ein Häuschen, das auf Hühnerfüßchen stand, wie es im Märchen heißt. Bassawrjuk schlug mit der Faust dagegen, und die Wand wankte. Ein großer, schwarzer Hund kam winselnd herausgelaufen, verwandelte sich plötzlich in eine Katze und warf sich ihnen entgegen. »Tobe nicht, wüte nicht, alte Teufelin,« rief Bassawrjuk und würzte seine Rede mit so einem Wörtlein, daß sich ein rechtschaffener Mensch dabei die Ohren zugestopft hätte. Da wurde die Katze zu einem alten Weibe mit einem so runzligen Gesicht wie ein gebratener Apfel, und krümmte sich wie ein Bogen; Nase und Kinn glichen einem Nussknacker. »Welch herrliche Schönheit!« dachte Petrusj, und es überlief ihn kalt. Die Hexe riß ihm die Blume aus der Hand, beugte sich über sie, flüsterte einen langen Spruch vor sich hin und besprengte sie mit einer unbekannten Flüssigkeit. Funken stoben aus ihrem Munde, und Schaum trat ihr auf die Lippen. »Wirf sie hin«, rief sie, indem sie ihm die Blume reichte. Petrusj warf die Blume hin, aber — o Wunder: die Blume fiel nicht gleich zur Erde, sondern leuchtete lange wie eine Feuerkugel mitten im Dunkel und segelte wie ein Kahn durch die Luft; endlich begann sie sich leise zu senken und fiel so fern von ihnen herab, daß das Sternchen kaum mehr zu sehen war und nicht größer erschien, denn ein Mohnkorn. »Hier!« krächzte die Alte dumpf, und Bassawrjuk reichte ihm einen Spaten hin und rief: »Grabe hier nach, Petrusj! Da wirst du so viel Gold finden, als weder du noch Korsch je geträumt haben!« — Petrusj spie sich in die Hände, ergriff den Spaten, trat mit dem Fuß darauf und wühlte die Erde auf, einmal, noch einmal, ein drittes Mal, noch einmal ... Da stieß er auf etwas Hartes! ... Der Spaten klirrte und wollte nicht tiefer in die Erde hinein. Jetzt begannen seine Augen plötzlich ganz deutlich eine kleine, eisenbeschlagene Kiste wahrzunehmen. Schon wollte er sie mit der Hand erfassen, aber die Kiste begann immer tiefer und tiefer in die Erde zu sinken, und hinter sich vernahm er ein Lachen, das dem Zischen von Schlangen glich. »Nie sollst du das Gold erschauen, ehe du nicht Menschenblut herbeischaffst!« rief die Hexe und führte auf einmal ein etwa sechsjähriges Kind vor ihn hin, das mit einem weißen Tuch bedeckt war; sie deutete ihm mit Zeichen an, er müsse dem Kinde den Kopf abhacken. Petrusj erstarrte. Ist’s denn eine Kleinigkeit, so mir nichts, dir nichts einem Menschen den Kopf abzuhacken, und dazu noch einem unschuldigen Kinde! Wütend riß er das Tuch vom Kopfe, und was sah er? Vor ihm stand Iwasj! Das arme Kind stand mit gekreuzten Händchen und gesenktem Köpfchen da ... Wie ein Rasender sprang Petrusj mit dem Messer auf die Hexe los und erhob die Hand ...

»Was versprachst du, für das Mädchen zu tun?« donnerte ihn Bassawrjuk an, und versetzte ihm einen Schlag in den Rücken, der ihn traf wie ein Schuss. Die Hexe stampfte mit dem Fuße, und eine blaue Flamme sprang aus dem Boden. Das Innere der Erde strahlte auf und war wie aus Glas, und alles in der Erde wurde so deutlich sichtbar, gleich als läge es auf der flachen Hand! In Kisten und Kesseln waren Dukaten und Edelsteine haufenweise aufgestapelt, genau unter der Stelle, auf der sie standen. Des Petrusj Augen brannten, ... sein Verstand verfinsterte sich ... wie ein Toller packte er das Messer, und das unschuldige Blut spritzte ihm in die Augen. Ein teuflisches Gelächter toste auf allen Seiten. — Widerwärtige Ungeheuer sprangen scharenweise vor ihm auf und ab. Wie ein Wolf, die Hände in den enthaupteten Leichnam gekrallt, sog die Hexe das Blut. In Petrusj Kopf kreiste alles, und mit dem Aufwand seiner letzten Kräfte begann er zu laufen. Alles vor ihm versank in rotes Licht. Alle Bäume brannten in rotem Blut und stöhnten. In Rotglut getaucht wankte der Himmel hin und her. Feuerflecke zuckten glimmend vor seinen Augen auf. Entkräftet lief er bis in seine Hütte, sank dort zu Boden wie eine Ähre und ein totenähnlicher Schlaf umfing ihn.

Zwei Tage und zwei Nächte schlief Petrusj, ohne zu erwachen. Als er am dritten Tage wieder zu sich kam, betrachtete er lange alle Ecken und Winkel seiner Stube, doch vergeblich suchte er sich an die Begebenheiten der letzten Zeit zu erinnern: sein Gedächtnis glich der Tasche eines alten Geizhalses, aus der man keinen Heller herauslocken kann. Nachdem er sich ein wenig gereckt hatte, vernahm er plötzlich zu seinen Füßen ein Klirren. Sieh da: vor ihm lagen zwei Säcke voll Gold. Erst jetzt erinnerte er sich wie in einem Träume, daß er einen Schatz gesucht hatte, und wie es grausig im Walde gewesen war ... Aber um welchen Preis er ihn erhalten hatte, darauf konnte er sich durchaus nicht mehr besinnen.

 

Sowie Korsch die Säcke erblickte, da wurde er seidenweich. »Petrusj, so ein Herzensjung‹, den sollt’ ich nicht lieben? Der war mir doch stets wie mein eigner Sohn!« Und der alte Knurrhahn begann so zu schwefeln, daß dem Petrusj die Tränen in die Augen kamen. Da lief Pidorka bestürzt herbei und begann zu erzählen, Iwasj sei von vorbeiziehenden Zigeunern gestohlen worden. Aber Petrusj konnte sich nicht einmal mehr auf ihn besinnen, so sehr stand er im Banne des verdammten Teufelsspukes! Nun war keine Zeit mehr zu verlieren. Der Pole wurde vor die Tür gesetzt, und man feierte Hochzeit: da wurden Kuchen gebacken, Wäsche genäht, man rollte ein Fässchen Schnaps herbei, das junge Paar ward an den Tisch gesetzt, das Hochzeitsgebäck aufgeschnitten, da klimperten Harfen und die Saiten des Zymbals, es kreischten die Schalmeien und die Zithern summten — und die Lustbarkeit begann ...

Ein Hochzeitsfest aus alten Tagen ist nicht mit einem in unserer Zeit zu vergleichen. Die Tante meines Großvaters erzählte — hei juchhei! Ei wie da die Mädels im prächtigen Kopftuch mit den gelben, blauen und rosa Bändern und der Goldtresse daran darauf lossprangen. Sie hatten feine Hemden an, deren Nähte mit roter Seide bestickt waren und die kleine silberne Blümchen zierten, und hohe Saffianstiefelchen, die mit Hufeisen beschlagen waren; stolz wie Pfauen flogen sie gleich einem Wirbelwind rauschend durchs Zimmer. Wie da die jungen Frauen eine nach der anderen hervortraten mit ihrem bootsartigen Kopfputz, dessen Kappe aus Brokat gewirkt war, mit einem Nackenausschnitt, durch den das goldene Häubchen mit den zwei herabbaumelnden Zipfelchen aus feinstem schwarzen Lammfell hervorguckte, in ihren blauen Überwürfen aus herrlichstem Seidenstoff mit roten Aufschlägen — ei wie sie da gar würdig, die Hände auf die Hüften gestützt, eine nach der anderen hervortraten, und im Takt ihren Hopak tanzten. Wie da die Burschen in ihren hohen Kosakenmützen, in feinen Tuchkitteln mit silbergesticktem Gürtel, und die Pfeife zwischen den Zähnen um sie herum scharwenzelten und ihr Licht durchaus nicht unter den Scheffel stellten! Korsch selbst konnte beim Anblick des jungen Volkes nicht mehr an sich halten und legte los wie in alten Tagen. Mit der Harfe in der Hand, aus der Pfeife paffend und ein Lied vor sich hin singend, so begann der Alte, mit dem Schnapsglas auf dem Kopf, beim lauten Geschrei der lustigen Kumpanei seinen Hopser herunter zu stampfen. Was die nicht alles in ihrer Lustigkeit anstifteten! Schon wenn man anfing, Mummenschanz zu treiben, Gott, was gab’s da nicht alles. Das war eine ganz andere Mummerei als auf unseren heutigen Hochzeiten. Was macht man denn heute? Man verkleidet sich als Zigeunerinnen und Moskowiter, das ist alles! Nein, damals verkleidete sich einer als Jude und der andere als Teufel; erst küßte man sich, und dann packte man einander beim Schopf ... Ich bitt’ euch, das gab ein Lachen, daß man sich den Bauch halten mußte. Oder man legte türkische und tatarische Gewänder an, die da glühten wie das reine Feuer ... Und wenn man erst wirklich anfing, Unsinn und Schabernack zu treiben ... das war geradezu zum Platzen! Mit der Tante meines verstorbenen Großvaters, die mit auf dieser Hochzeit war, begab sich eine drollige Geschichte. Sie trug damals ein weites tatarisches Kleid und ging mit dem Schnapsglas in der Hand umher, um alle wohl zu versorgen. Da mußte einen der Teufel reiten, daß er sie von hinten mit Branntwein begoß, ein anderer mußte gerade in diesem Augenblick Feuer schlagen, und so setzten sie sie denn lichterloh in Brand. Die Flammen flackerten im Nu hoch auf: die arme Tante begann sich voller Schrecken in aller Gegenwart die Kleider vom Leibe zu reißen ... Was sich da für ein Lärm, Gelächter und ein wildes Durcheinander erhob, rein wie auf einem Jahrmarkt! Kurz, die ältesten Leute konnten sich nicht auf eine so lustige Hochzeit besinnen.

Pidorka und Petrusj begannen ein Leben miteinander wie die feinsten Herrschaften. Alles war in Hülle und Fülle vorhanden, alles blinkte und funkelte nur so ... Doch die lieben Nachbarn, die ihren Wohlstand mitansahen, schüttelten nur den Kopf. »Vom Teufel kommt nichts Gutes!« sagten sie alle einstimmig. »Woher hat er denn den Reichtum, wenn nicht vom Versucher aller rechtgläubigen Christen? Wo hätte er einen solchen Haufen Goldes wohl hergenommen? Warum ist Bassawrjuk gerade an demselben Tage verschwunden, als Petrusj zu seinem Reichtum kam?« — Und was die Leute noch alles redeten. Und in der Tat; es war noch kein Monat vergangen, da war Petrusj nicht mehr wiederzuerkennen. Was mit ihm geschehen war, das weiß Gott allein. Sitzt immer auf ein und derselben Stelle fest und redet kein Wort; er grübelt nur immer, als wollte er sich auf etwas besinnen. Wenn es Pidorka gelang, ein Wort aus ihm herauszupressen, sodaß er sich vergaß, ins Gespräch kam und sogar ganz heiter wurde, dann brauchte er nur wie zufällig auf die Geldsäcke zu blicken, und sofort schrie er los: »Halt, halt, ich hab’s vergessen!« Und wieder verfiel er in Sinnen und quälte sich ab, eine Erinnerung heraufzurufen. Manchmal, wenn er lange Zeit still auf einem Flecke saß, kam es ihm so vor, als ob etwas Längstvergangenes wieder in sein Gedächtnis zurückkehrte ... aber gleich darauf verschwand alles wieder. Es dünkt ihn, er sitzt in der Schenke, man bringt ihm Schnaps, der Schnaps brennt ihm auf der Zunge und widert ihn an; jemand tritt zu ihm — schlägt ihm auf die Schulter, und er ... Aber dann schien alles vor ihm in einen Nebel zu sinken, der Schweiß rann ihm vom Gesicht, und er sank erschöpft wieder auf seinen Platz zurück.

Was auch Pidorka tun mochte: Kluge Frauen befragen, Zinndeuten, Wasser besprechen — nichts wollte helfen. So verging der Sommer. Manch ein Kosak hatte schon sein Korn abgemäht und sein Heu geschnitten; manch kühnerer Kosak war ins Feld gezogen. Schwärme von Enten drängten sich auf unseren Weihern, und der Zaunkönig war schon längst verschwunden. Die Steppen färbten sich rot, Getreidehaufen lagen hie und da verstreut wie Kosakenmützen auf dem Felde. Auf den Wegen konnte man schon Wagen begegnen, die mit Reisig und Holz beladen waren. Die Erde wurde hart, und zeitweise gab es schon Frost. Schon rieselte der Schnee vom Himmel herab, und die Zweige der Bäume waren mit Raureif verziert wie mit Hasenpelzchen. Schon stolzierte in klaren Wintertagen der rotbrüstige Gimpel wie ein eitler, polnischer Schlachziz auf den Schneehaufen umher und suchte sich Körner, und die Kinder trieben mit Riesenstäben hölzerne Bälle übers Eis, während ihre Väter ruhig hinter den Öfen lagen und nur ab und zu mit der brennenden Pfeife im Munde vors Haus gingen, um tüchtig auf den russischen Frost zu schimpfen, um sich mal auszulüften, oder weil sie das Korn in den Schobern noch einmal durchdreschen wollten. Endlich begann der Schnee zu schmelzen, und der Hecht schlug mit dem Schwanz das Eis auf; Petrusj aber war derselbe geblieben, und nur um so düsterer geworden, je weiter die Zeit vorrückte. Wie angeschmiedet saß er mitten im Zimmer, die Säcke mit dem Golde zwischen den Beinen. Er verwilderte, war ganz und gar mit Haaren bewachsen, und wurde ein wahres Schreckbild; immer denkt er an ein und dasselbe, will sich etwas ins Gedächtnis zurückrufen, grollt mit sich und wütet, daß es ihm nicht gelingt. Oft springt er wild von seinem Sitze auf, fährt mit den Händen umher und heftet seine Augen auf etwas, als ob er es festhalten wollte; seine Lippen bewegen sich, als wollten sie ein längst vergessenes Wort aussprechen und — erstarren ... Tobsucht packt ihn; wie toll nagt und beißt er an seinen Händen, und voll Grimm reißt er sich ganze Büschel von Haaren aus, bis er wieder still wird, bewußtlos hinsinkt, wieder zu sinnen anfängt; und dann wieder dieselbe Wut, und dieselbe Qual ... Was für eine Strafe Gottes war das! Was Pidorka durchmachen mußte, das war kein Leben mehr! Zuerst graute sie’s, allein im Hause zu bleiben, aber dann gewöhnte sich die Ärmste an ihr Unglück. Die Pidorka von einst war nicht mehr wiederzuerkennen. Ihr Gesicht hatte weder Farbe noch ein Lächeln mehr; abgehärmt und abgezehrt war’s, ausgeweint waren die klaren Augen. Einst gab ihr jemand aus Erbarmen den Rat, sie solle zu der Zauberin gehen, die in der Bärenschlucht hauste, und von der der Ruf ausging, sie könne alle Gebreste der Welt heilen. Sie beschloß, dies letzte Mittel zu versuchen. Nach vielem Hin und Her überredete sie endlich die Alte, mit ihr mitzugehen. Es war gegen Abend und gerade vor Johannisnacht. Petrusj lag besinnungslos auf der Bank und nahm den neuen Gast gar nicht wahr. Doch bald begann er sich nach und nach aufzurichten und um sich zu blicken. Plötzlich erbebte er wie auf dem Schafott; sein Haar sträubte sich ... und er brach in ein solches Lachen aus, daß die Angst Pidorka ins Herz schnitt. »Ich hab’s, ich hab’s!« schrie er in fürchterlicher Lustigkeit, schwang das Beil hoch empor und ließ es aus aller Leibeskraft auf die Alte fallen. Das Beil sauste zwei Zoll tief in die Eichentür hinein. Die Alte war verschwunden, und mitten in der Stube stand ein Kind von sieben Jahren in weißem Hemdchen mit verhülltem Haupte ... Das Tuch flog herunter. »Iwasj!« schrie Pidorka und stürzte auf ihn zu; doch das Gespenst war vom Kopf bis zu Füßen mit Blut bedeckt und erglühte in rotem Lichte, das die ganze Stube in brennendes Rot tauchte. Voller Angst lief sie auf den Flur; als sie wieder ein wenig zu sich gekommen war, wollte sie ihm helfen; aber vergebens! Die Tür war so fest hinter ihr zugeschlagen, daß man nicht imstande war, sie wieder zu öffnen. Die Leute liefen zusammen, begannen zu klopfen, schlugen die Tür ein: Keine Seele war da! Die ganze Stube war voll Rauch, nur in der Mitte, wo Petrusj gestanden hatte, lag ein Haufen Asche, von dem hie und da ein Qualm aufstieg. Man eilte zu den Säcken, darin lagen statt der Dukaten nur zerbrochene Scherben. Mit glotzenden Augen, aufgesperrten Mäulern, und ohne den Mut, sich zu regen, standen die Kosaken wie angewurzelt da. In solche Angst hatte sie dies Wunder versetzt.

Was weiter geschah, das weiß ich nicht. Pidorka legte das Gelübde ab, eine Pilgerfahrt zu machen; sie suchte ihr Hab und Gut zusammen, das ihr vom Vater übrig geblieben war, und war in der Tat einige Tage später aus dem Dorfe verschwunden. Wohin sie sich begeben hatte, das wußte niemand zu sagen. Geschwätzige alte Weiber wollten wissen, sie sei dort, wo auch Petrusj sei; aber ein Kosak, der aus Kiew kam, erzählte, er habe im Kloster eine zum Skelett abgemagerte Nonne gesehen, die immerwährend betete und in der ihre Landsleute allen Anzeichen nach Pidorka wiedererkannt hätten. Bis jetzt, hieß es, habe noch niemand von ihr ein einzig Wörtlein gehört, sie solle allein zu Fuß gekommen sein und habe eine Fassung für das Heiligenbild der Mutter Gottes mitgebracht, eine Fassung, die mit solchen bunten Steinen besetzt gewesen sei, daß allen die Augen flimmerten, wenn sie sie ansähen.

Mit Verlaub, aber damit war noch nicht alles zu Ende. An demselben Tage, als der Böse Petrusj zu sich genommen hatte, tauchte auch Bassawrjuk wieder auf; aber alle mieden ihn von nun ab. Man wußte jetzt, was das für ein Vogel war: niemand anders als der Satan war’s, der Menschengestalt angenommen hatte, um Schätze zu heben; und da unreine Hände nicht Schätze heben können, so lockte er brave Burschen an sich. Noch in demselben Jahre ließen alle ihre Lehmhütten stehen und liegen und zogen ins Kirchdorf; aber auch dort hatte man keine Ruhe vor dem verfluchten Bassawrjuk. Die Tante meines verstorbenen Großvaters erzählte, er habe eine besondere Wut auf sie gehabt, weil sie ihre alte Schenke auf der Landstraße nach Oposchnjany aufgegeben hatte, und er habe mit allen Mitteln versucht, seinen Zorn an ihr auszulassen. Einst waren die Dorfältesten in der Schenke beieinander; sie saßen und unterhielten sich, wie man so sagt, nach Amt und Würden am Tisch, auf dessen Mitte ein gewiß nicht allzu kleiner gebratener Hammel stand. Man schwatzte über dies und jenes, auch über mannigfache Wunder und Ungeheuerlichkeiten. Auf einmal schien’s, und nicht nur einem, — was ja nichts bedeuten würde, — sondern allen, als ob der Hammel den Kopf erhob, die gebrochenen Augen wie lebendig leuchteten, und als ob plötzlich ein borstiger schwarzer Schnurrbart sich auf die Anwesenden zubewegte. Alle erkannten in dem Hammelkopf sofort die Fratze Bassawrjuks, und die Tante meines Großvaters dachte schon, er würde gleich Schnaps bestellen! ... Die guten Leutchen griffen nach ihren Mützen und zogen ihres Weges. Ein anderes Mal sah der Kirchenvorstand in eigener Person, der es liebte, ab und zu ein Stündchen bei Großvaters Schnapsglas zu verbringen, noch ehe er zum zweiten Male das Glas geleert hatte, auf einmal, wie das Glas anfing, sich ehrerbietigst vor ihm bis zur Erde zu verneigen. »Hol’ dich der Teufel!« rief er und begann sich zu bekreuzigen ... Aber da widerfuhr seiner Ehehälfte gleichfalls ein Wunder: sie hatte gerade begonnen, Teig in einem mächtigen Trog zu kneten, da sprang der Trog auf einmal in die Höhe. »Halt! Halt! Wohin willst du?« rief sie. Aber da begann er, die Henkel in die Hüften gestemmt, ehrwürdig in der Stube umherzutänzeln ... Ja lacht nur! Aber unserem Großvater war’s nicht zum Lachen zumute. Vergeblich ging Vater Afanassi im ganzen Dorfe mit Weihwasser umher und suchte den Teufel durch Besprengen aller Straßen zu vertreiben. Es half nichts. Noch lange klagte die Tante meines verstorbenen Großvaters darüber, daß, sobald es Abend wurde, jemand aufs Dach klopfte und an den Wänden kratzte.

 

Aber das ist noch nicht alles! Jetzt scheint ja auf der Stelle, wo unser Dorf steht, alles ruhig zu sein; aber es ist noch garnicht so lange her, — mein verstorbener Vater und ich haben es noch erlebt — daß kein ehrenwerter Mensch an der verfallenen Schenke, die noch lange Zeit danach immer wieder von den unreinen Geistern ausgebessert wurde, ohne Furcht vorbeigehen konnte. Aus dem rußigen Schlot schlugen Säulen Qualms empor, die so hoch in die Luft stiegen, daß einem beim Hinaufsehen die Mütze herunterfiel, und aus dem Qualm fielen glühende Kohlen über die ganze Steppe. Und der Teufel — gar nicht nennen dürft’ man den Hundesohn — schluchzte so jämmerlich in seiner Kammer, daß die Aasgeier erschreckt in ganzen Scharen aus dem nahen Eichenwäldchen emporstießen und mit wildem Geschrei am Himmel umherschossen.

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