Abende auf dem Gut Dikanka

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8

Dem Hunde gleich, dem man den Schwanz geklemmt,

So steht dies Jammerbild, wie Kain zitternd,

Und aus der Nase tropft Tabak aufs Hemd.

Kotljarewski: »Äneas«

Entsetzen packte alle in der Stube. Der Gevatter saß offenen Mundes da und schien zu Stein erstarrt; seine Augen krochen hervor, als ob sie schießen wollten, und die Finger blieben regungslos in der Luft gespreizt. Der lange Kerl, der so mutig getan hatte, sprang in unverkennbarer Angst bis zur Decke und stieß mit dem Kopf gegen den Balken; die Bretter klafften auseinander, und der Popensohn flog Knall und Fall zu Boden.

»Au! au! au!« schrie der eine verzweifelt, fiel entsetzt auf eine Bank und zappelte mit Armen und Beinen.

»Hilfe!« brüllte ein anderer und zog sich schnell seinen Pelz über die Augen.

Der Gevatter, den dieser zweite Schreck aus seiner Erstarrung geweckt hatte, kroch, an allen Gliedern zitternd, seiner Ehefrau unter den Rock. Der lange Maulheld kroch, trotz der kleinen Öffnung, in den Ofen und schlug selbst die Klappe zu. Tscherewik stülpte sich, wie von brühheißem Wasser begossen, statt der Mütze einen Topf über den Kopf, stürzte zur Tür hinaus und rannte besinnungslos, ohne auf den Weg zu achten, wie ein Wahnsinniger durch die Straßen; erst die Ermüdung zwang ihn, seinen schnellen Lauf zu hemmen. Sein Herz ratterte wie eine Mühlenstampfe, und die Schweißtropfen rollten an ihm herunter wie die Hagelkörner. Ganz erschöpft wäre er fast zu Boden gesunken, als er auf einmal hörte, wie jemand hinter ihm herjagte ... Sein Atem stockte ...

»Der Teufel! der Teufel!« schrie er ganz außer sich, seine Kräfte verdreifachend, und einen Augenblick später stürzte er besinnungslos zu Boden.

»Der Teufel! der Teufel!« schrie es hinter ihm her: er hörte nur noch, wie etwas lärmend auf ihn herabstürzte; aber da verließ ihn die Besinnung, und er blieb wie der grausige Bewohner eines engen Sarges stumm und reglos mitten auf dem Wege liegen.

9

Vorne geht die Sache noch halbwegs,

Aber hinten ist’s der ganze Teufel!

Aus einem Volksmärchen

»Hörst du, Wlas!« sprach einer von den Leuten, die im Freien geschlafen hatten, nachts aus dem Schlafe auffahrend. »Jemand in der Nähe hat hier ›Teufel‹ geschrien.«

»Was geht mich das an?« brummte der neben ihm liegende Zigeuner, sich räkelnd. »Mag er doch nach der ganzen Sippe schreien!«

»Aber er hat doch so geschrien, als ob man ihn abwürgte!«

»Was schreit ein Mensch nicht alles im Schlaf!«

»Na, wie du meinst. Ich geh’ nachsehen. Mach mal Feuer!«

Der andere Zigeuner stand brummend auf, ließ ein paar Funken wie Blitze vor sich aufstieben, blies den Zunder mit dem Munde an und ging mit seinem Lämpchen in der Hand — einer der üblichen kleinrussischen Lampen, die aus einem zerbrochenen Scherben, der mit Hammelfett gefüllt ist, bestehen — die Straße hinunter.

»Halt, hier liegt jemand! Komm her und leuchte mir!«

Noch einige Menschen schlossen sich ihm an.

»Was liegt da, Wlas?«

»Es sieht ganz nach zwei Menschen aus: der eine liegt oben, der andere unten; wer von ihnen der Teufel ist, weiß ich nicht!«

»Wer liegt oben?«

»Ein Frauenzimmer!«

»Dann ist das der Teufel!«

Ein allgemeines Gelächter weckte fast die ganze Straße.

»Ein Frauenzimmer ist auf einen Kerl raufgekrochen, na, die versteht das Kutschieren!« sprach einer aus der herumstehenden Menge.

»Seht doch bloß, Brüder!« sprach ein anderer und hob einen Scherben des Topfes auf, von dem nur noch die eine Hälfte auf dem Kopfe Tscherewiks ganz geblieben war. »Was der gute Mann sich für eine Mütze aufgesetzt hat!«

Der Lärm und das Gelächter, die immer mehr anschwollen, riefen unsere beiden Toten wieder ins Leben zurück, Tscherewik und seine Frau, die voll Entsetzen über den überstandenen Schreck, mit starrem Blick in die braunen Gesichter der Zigeuner schauten. Beim unsicheren Flackern des Lichts erschienen sie wie ein Haufen Gnomen, umhüllt von einem unterirdisch schweren Qualm in der Finsternis einer tiefen Nacht.

10

Packe dich, Satansbrut!

Aus einem kleinrussischen Schwank

Die Frische des Morgens wehte über der erwachten Stadt. Aus allen Schloten stiegen Rauchsäulen der Sonne entgegen. Auf dem Jahrmarkt wurde es wieder lebendig. Schafe blökten, Pferde wieherten, das Schnattern der Gänse und der Händlerinnen erfüllte wieder das ganze Lager — und die schrecklichen Gerüchte vom roten Kittel, die in der geheimnisvollen Stimmung der Dämmerstunde die Menschen in eine solche Angst versetzt hatten, waren mit dem Heraufkommen des Morgens verschwunden.

Gähnend und sich räkelnd schlummerte Tscherewik in der strohgedeckten Scheune seines Gevatters unter Ochsen, Mehlsäcken und Weizen weiter und schien gar keine Lust zu haben, sich von seinen Träumen zu trennen, als er auf einmal eine Stimme vernahm, die ihm ebenso vertraut vorkam, wie der gesegnete Ofen seiner Stube oder die Kneipe einer entfernten Verwandten, die keine zehn Schritt von der Schwelle seines Hauses entfernt war, diese Zufluchtsstätten seiner großen Faulheit.

»Steh auf! Steh auf!« knurrte die zärtliche Gattin, die ihn aus aller Kraft am Arm zerrte, über seinem Ohr.

Statt jeder Antwort blies Tscherewik die Backen auf und begann mit den Armen zu fuchteln wie ein Trommelschläger.

»Du verrückter Kerl!« schrie sie und prallte vor dem Schwung seiner Hand, die ihr beinahe ins Gesicht gefahren wäre, zurück.

Tscherewik erhob sich, rieb sich die Augen und sah sich um.

»Hol’ mich der Henker! Aber deine Fratze kam mir wie eine Trommel vor, auf der ich den Zapfenstreich schlagen mußte, mein Täubchen. Akkurat wie die Moskowiter! diese Schweinsfratzen, von denen der Gevatter sagt ...«

»Laß das Tratschen! Geh, führ die Stute auf den Markt. Es ist einfach zum Lachen. Wir sind auf den Jahrmarkt gekommen, und bisher ist noch keine Handvoll Hanf verkauft ...«

»Ja, Frauchen,« sagte Tscherewik, »jetzt wird man schön über uns lachen!«

»Geh, geh! Man lacht ohnehin über dich!«

»Du siehst ja, ich habe mich noch nicht gewaschen!« fuhr Tscherewik gähnend und sich den Rücken kratzend fort, um Zeit für seine Faulheit zu gewinnen.

»Du hast dir ja eine recht passende Zeit für deine Reinlichkeit gewählt! Wann war sowas bei dir Sitte? Da ist ein Handtuch für dich, wisch dir deine Fresse ab.«

Sie ergriff etwas, das zu einem Knäuel geballt dalag, und — schleuderte es entsetzt von sich: es war der Ärmelaufschlag eines roten Kittels.

»Geh schon, geh an deine Sachen!« wiederholte sie, bereits wieder ermutigt, als sie sah, daß ihm vor Angst die Beine gelähmt waren und die Zähne klapperten.

»Das wird ja jetzt ein schönes Geschäft werden!« brummte er bei sich, während er die Stute losband und sie auf den Platz führte. »Nicht ohne Grund also lag mir’s, als ich zu diesem verfluchten Jahrmarkt fuhr, so schwer auf der Seele, als hatte mir jemand eine krepierte Kuh aufgeladen; und die Ochsen sind ja auch zweimal von selbst mitten auf dem Wege umgekehrt. Und da fällt mir ein, wir sind ja auch am Montag abgereist. Da haben wir die Bescherung! ... Ein schöner Störenfried ist mir dieser verdammte Teufel: Kann er nicht seinen Kittel ohne den einen Ärmel tragen! Aber nein, er gönnt den Leuten ihre liebe Ruhe nicht. Wenn ich beispielsweise, was Gott bewahre, der Teufel wäre, — hätte ich mich da um solch einen verfluchten Fetzen herumgetrollt?«

Hier wurde unser Tscherewik durch eine fette und schrille Stimme in seinem Philosophieren unterbrochen. Vor ihm stand ein großer Zigeuner.

»Was hast du zu verkaufen, guter Mann?«

Der Händler blieb eine Weile stumm, sah ihn vom Kopf bis zu den Füßen an und sagte dann mit ruhiger Miene, ohne stehen zu bleiben oder die Zügel aus der Hand zu lassen: »Du siehst ja selbst, was ich zu verkaufen habe!«

»Riemen?« fragte der Zigeuner und blickte auf die Zügel in Tscherewiks Hand.

»Jawohl, Riemen — wenn eine Stute 'nem Riemen ähnelt!«

»Potztausend, Landsmann! Du hast sie wohl mit Stroh gefüttert!«

»Mit Stroh?«

Tscherewik wollte eben die Zügel anziehen, um seine Stute vorzuführen, und den schamlosen Beleidiger Lügen zu strafen; aber seine Hand fuhr ihm mit ungewöhnlicher Leichtigkeit ans Kinn. Was sah er! — Die Zügel waren durchgeschnitten, und daran gebunden sah man — oh Entsetzen! Seine Haare standen ihm zu Berge! — den Ärmelfetzen eines roten Kittels! ... Ausspuckend, sich bekreuzigend, und mit den Armen fuchtelnd floh er von dannen vor diesem unerwarteten Geschenk, und verschwand flinker als irgendein junger Bursch in der Menge.

11

Wes das Korn, des die Prügel.

Sprichwort

»Haltet ihn! Haltet ihn!« so schrien einige Burschen am schmalen Ende der Straße, und Tscherewik fühlte, wie er plötzlich von festen Händen gepackt wurde.

»Bindet den Kerl! 's ist derselbe, der dem guten Mann die Stute gestohlen hat!«

»Gott mit euch, warum wollt ihr mich denn binden?«

»Er fragt noch! Und warum hast du dem fremden Bauern, dem Tscherewik, seine Stute gestohlen?«

»Seid ihr bei Sinnen, Leute? Wo hat man denn je gesehen, daß einer sich selbst etwas stiehlt?«

»Alte Possen, alte Possen! Warum bist du denn so atemlos davongelaufen, als wenn der Satan selbst dir auf den Fersen wäre?«

»Soll man denn nicht laufen, wenn einem der Teufelsrock ...«

»He, Bester, das lüg’ du anderen vor. Du wirst noch was Schönes vom Präsidenten erleben, weil du die Leute mit Teufelsgeschichten erschreckst!«

 

»Haltet ihn, haltet ihn!« ertönte da ein Ruf am anderen Ende der Straße, »da ist der Ausreißer!«

Und vor unserem Tscherewik erschien der Gevatter im allerjämmerlichsten Aufzug, er hielt die Arme auf dem Rücken und wurde von einigen Burschen vorwärts gestoßen.

»Wunder über Wunder,« rief einer von ihnen.

»Ihr solltet nur hören, was dieser Halunke erzählt. Man braucht ihm doch nur ins Gesicht zu schauen, und man sieht ihm den Dieb an! Als man ihn fragte, warum er so wahnsinnig davonrannte, da sagte er: ›Ich steckte die Hand in die Tasche, um eine Prise zu nehmen, aber statt der Tabaksdose zog ich ein Stück von dem teuflischen Kittel heraus, und eine rote Flamme sprang auf.‹ — Darum sei er davongerannt!«

»He he! Es sind also beides Vögel aus demselben Nest! Bindet sie alle beide!«

12

»Was hab’ ich denn getan, ihr lieben Leute?

Was glotzt ihr mich so an?« sprach unser Bursche,

»Was spottet ihr und höhnt ihr denn mich Armen?

Warum, warum?« so ruft er aus und flennt,

Daß ihm die Träne auf der Backe brennt.

Artemowski-Gulak: »Der Herr und der Hund«

»Gevatter, vielleicht hast du in der Tat etwas stibitzt?« fragte Tscherewik, der zusammen mit seinem Gevatter gebunden in einer Strohhütte lag.

»Also auch du, Gevatter! Hände und Füße sollen mir verdorren, wenn ich je etwas gestohlen habe, höchstens Krapfen mit Rahm bei meiner Mutter, aber auch das nur, als ich erst zehn Jahr alt war.«

»Wofür werden wir denn so gestraft, Gevatter? Bei dir ist’s ja noch nicht schlimm: du wirst doch wenigstens nur beschuldigt, einen anderen bestohlen zu haben; aber mich Unglücksmenschen verleumdet der Satan: ich soll mir selbst 'ne Stute gestohlen haben. Es ist uns wohl nicht beschieden, auch mal ein bißchen Glück zu haben, Gevatter!«

»O weh uns armen Waisen!« Und die beiden Gevatter fingen heftig an zu schluchzen.

»Was hast du, Tscherewik?« fragte da Grytzko, der in diesem Augenblicke eintrat. »Wer hat dich gebunden?«

»Ach, Golupupenko, Golupupenko!« schrie Tscherewik freudig. »Gevatter, das ist der, von dem ich dir erzählt habe. O, das ist ein tüchtiger Kerl! Gott soll mich hier auf der Stelle töten, wenn er nicht einen Krug ausgelutscht hat, so groß wie dein Kopf; und dabei verzog er keine Miene!«

»Nun, Gevatter, und warum hast du einen solchen Prachtkerl abgewiesen?«

»Sieh,« fuhr Tscherewik zu Grytzko gewandt fort: »Gott straft mich wohl, weil ich mich gegen dich versündigt habe. Vergib mir, lieber Junge! Bei Gott, ich hätte ja alles für dich getan ... Aber was soll man da machen! Der Satan sitzt in meiner Alten!«

»Ich trage nie jemandem Böses nach! Wenn du willst, so befreie ich dich!« Er winkte den Burschen, und dieselben jungen Leute, die Tscherewik bewacht hatten, eilten herbei, ihn zu entfesseln.

»Nun aber wird Hochzeit gemacht, wie’s sich gehört! Und wir wollen tanzen, daß uns vom Hopsen die Beine ein ganzes Jahr lang weh tun!«

»Recht so!« rief Tscherewik und klatschte in die Hände. »Nun bin ich wieder so vergnügt, als ob meine Alte von den Moskowitern geholt worden wäre! Was ist da viel zu bedenken! Ob’s nun recht ist oder nicht — heute ist Hochzeit und damit Schluß!«

»Nur sieh zu, Tscherewik, in einer Stunde komm’ ich zu dir, und jetzt geh nach Hause, dort warten Käufer auf dich, die deine Stute und den Weizen haben wollen.«

»Wie? Hat sich die Stute gefunden?«

»Ja, sie hat sich gefunden!« Tscherewik blickte dem Grytzko starr vor Freude nach.

»Na, Grytzko, haben wir unsere Sache gut gemacht?« fragte der lange Zigeuner den vorübereilenden Burschen. »Jetzt kriege ich doch die Bullen?« »Ja, ja, du sollst sie haben!«

13

Fürcht dich nicht, lieb Mütterchen,

Zieh die roten Schühchen an.

Tritt mit Füßen

Deine Feinde.

Wenn die Schuh‹

Von Eisen klirren,

werden alle Feinde schweigen.

Hochzeitslied

Das liebliche Kinn auf die Hand gestützt saß Paraßka sinnend allein im Zimmer. Mancherlei Träume umschwirrten ihr blondes Köpfchen. Manchmal berührte plötzlich ein leichtes Lächeln ihre rosigen Lippen, und ein freudiges Gefühl ließ sie die dunklen Brauen emporheben, bald aber senkte sich wieder ein Sinnen wie eine Wolke auf ihre grauen klaren Augen.

»Wie wenn es nun doch nicht so käme, wie er gesagt hat!« flüsterte sie mit einem Ausdruck des Zweifels. »Wenn er mich nun aber doch nicht bekommt? Wenn ... Nein, nein! Das kann nicht sein! Die Stiefmutter tut alles, was sie will! Kann ich nicht auch tun, was ich will? Mein Trotz ist groß genug! Wie schön ist er doch! Wie wunderbar glühen seine schwarzen Augen! Wie lieb kann er sagen: ›Paraßja, mein Täubchen!‹ — Wie gut steht ihm der weiße Kittel! Wenn er noch dazu einen hellen Gürtel ... Ja ich will ihm einen machen, wenn wir zusammen in die neue Wohnung ziehen. O wie ich mich darauf freue!« fuhr sie fort, indem sie ein kleines, mit rotem Papier beklebtes Spiegelchen aus dem Busen zog, das sie auf dem Jahrmarkt gekauft hatte, und in das sie mit geheimem Vergnügen hineinschaute. »Wenn ich ihr später begegne, so grüße ich sie nicht, und wenn sie platzt! Nein, Stiefmütterchen, du hast deine Stieftochter genug geprügelt! Eher wächst Sand auf Steinen, und neigt sich die Eiche wie eine Weide zum Wasser herab, als daß ich mich vor dir neige! Aber ich habe ja ganz vergessen ... ich will doch das Häubchen umbinden; ob es mir wohl gut steht; wenn’s auch der Stiefmutter gehört.«

Sie stand auf, den Spiegel in der Hand und den Kopf über ihn geneigt, und ging behutsam durch die Stube, als fürchtete sie sich hinzufallen; denn statt des Fußbodens sah sie die Decke mit den Brettern, von denen neulich der Popensohn heruntergefallen war, und die Wandborde mit den Töpfen drauf vor sich.

»Ich bin doch wirklich wie ein Kind!« rief sie lachend aus, »ich hab Angst, einen Fuß vor den andern zu setzen!«

Und sie begann laut mit den Füßen aufzustampfen, immer mutiger und mutiger. Endlich sank ihre linke Hand herab und stemmte sich auf die Hüfte, und sie tanzte, mit den Sporen der Stiefelchen klirrend, drauf los, hielt sich den Spiegel vor und sang ihr Lieblingsliedchen:

Grüne Gräser, grüne Auen,

Wachset nicht zu sehr!

Liebster mit den schwarzen Brauen,

Schmieg dich zu mir her!

Grüne Gräser, grüne Auen,

Wachset nimmermehr!

Liebster mit den schwarzen Brauen,

Schmieg dich näher her!

In diesem Augenblicke blickte Tscherewik durch die Türöffnung, und als er seine Tochter vor dem Spiegel tanzen sah, blieb er stehen. Lange sah er ihr zu, über die seltsame Laune des Mädchens lachend, das ganz in Gedanken versunken, nichts um sich herum zu bemerken schien; als er aber die bekannten Laute des Liedes hörte, da wurde es ihm heiß ums Herz; stolz die Hände auf die Hüften gestemmt, sprang er vor und begann so zu hopsen, daß er all seine andern Geschäfte vergaß. Das laute Lachen des Gevatters ließ beide auffahren.

»Großartig! Vater und Tochter feiern hier selber Hochzeit! Kommt! kommt! der Bräutigam ist da!«

Bei den letzten Worten glühte Paraßka in einem Rot auf, das tiefer war als das, welches das leuchtende Band auf ihrem Kopfe färbte. Dem sorglosen Vater fiel es erst jetzt ein, warum er eigentlich hierher gekommen war.

»Töchterchen, komm schnell! Chiwrja ist vor Freude, daß ich die Stute verkauft habe, fortgelaufen, um sich feine Tücher und allerhand Schmucksachen zu kaufen!« sprach er und sah sich dabei ängstlich nach allen Seiten um. »Bis zu ihrer Rückkehr wollen wir alles erledigt haben!«

Kaum hatte Paraßka die Schwelle des Hauses überschritten, da fühlte sie sich schon in den Armen des Burschen im weißen Kittel, der sie inmitten einer Menge von Leuten auf der Straße erwartete.

»Gott segne euch!« sagte Tscherewik, ihre Hände vereinend. »In Glück und Glanz haltet fest wie ein Kranz!«

Da gab’s plötzlich einen Lärm.

»Eher will ich zerspringen, als daß ich das zulasse!« schrie Tscherewiks Ehehälfte, die von der lachenden Menge zurückgedrängt wurde.

»Wüt nicht so, wüte doch nicht!« sprach Tscherewik kaltblütig, als er sah, wie ein paar handfeste Zigeuner sich ihrer Arme bemächtigten. »Geschehen ist geschehen! Ich bin nicht für Änderungen!«

»Nein, nein, das darf nicht sein!« schrie Chiwrja, aber niemand hörte auf sie; ein paar lustige Leute umringten das junge Paar und bildeten eine undurchdringliche, tanzende Mauer um sie.

Ein sonderbares unsagbares Gefühl mußte einen Zuschauer ergreifen, der mit ansah, wie beim ersten Bogenstrich des Fiedelmanns in dem groben Rock, mit dem langgeschweiften Schnurrbart, alles unwillkürlich ein einiges Ganzes bildete und zu friedlicher Eintracht überging. Leute, deren mürrische Gesichter offenbar ihr Lebtag niemals ein Lächeln erhellt hatte, stampften mit den Füßen und warfen die Schultern empor. Alles wirbelte im Tanze durcheinander. Aber ein noch sonderbareres, noch unsagbareres Gefühl mußte in der Tiefe der Seele beim Anblick jener Greisinnen erwachen, über deren uralten Gesichtern schon die Gleichgültigkeit des Grabes wehte — und die sich unter die neuen Menschen drängten, die dem Leben angehörten und dem Lachen. Die Sorglosen! Selbst sie, die keine kindliche Freude und keinen Funken des Mitgefühls kannten, die erst der Rausch, wie ein Mechaniker seine leblosen Automaten, zu einer menschlichen Äußerung zwingt, — selbst sie nickten leise mit den berauschten Köpfen und hüpften ein wenig hinter der lustigen Menge her, ohne auf das junge Paar zu achten.

Das Lärmen, Lachen, Singen verklang zu einem leisen und immer leiseren Summen. Die Fiedel erstarb, ertönte schwächer und schwächer und ließ nur noch ein paar undeutliche Töne durch die leere Luft zittern. Noch hörte man hie und da ein Stampfen, gleich dem Tosen des fernen Meeres, aber bald lag alles wieder öde und stumm da.

Fliegt uns nicht so auch die Freude davon, die schöne und flatterhafte Freundin? Vergeblich sucht ein einsamer Klang, von Lust und Seligkeit zu singen. Im eignen Echo schon vernimmt er die Laute der Trauer und Einsamkeit, und er lauscht ihnen voller Schrecken. Stieben nicht so auch die ausgelassenen Freunde der freien stürmischen Jugend einer nach dem andern in alle Winde und lassen ihren alten Herzensbruder allein? Bang wird dem Verlassenen! Voller Schwermut und Traurigkeit ist sein Herz, doch für ihn gibt es keine Hilfe!

Die Johannisnacht
Eine Sage erzählt vom Küster an der Kirche zu …

Foma Grigorjewitsch hatte eine merkwürdige Eigentümlichkeit: Er konnte es auf den Tod nicht leiden, ein und dieselbe Geschichte mehrmals erzählen zu müssen. Gab er aber schon einmal den Bitten nach und erzählte etwas zum zweiten Male, dann fügte er entweder hier eine neue Wendung hinzu, oder änderte dort etwas, so daß man die Geschichte kaum wiedererkennen konnte. Einmal hatte einer jener Herren — wir einfachen Leute wissen nicht recht, wie wir sie nennen sollen: Schreiber oder dergleichen, so was ähnliches wie die Makler auf unseren Jahrmärkten; sie kramen, betteln und stehlen sich allerhand Zeug zusammen und senden dann jeden Monat oder gar jede Woche ein Büchelchen so dick wie eine Fibel in die Welt hinaus, — einmal also hatte einer jener Herren unserem Foma Grigorjewitsch die folgende Geschichte hier abgeluchst, und der hatte das ganz vergessen. Aber eines Tages kommt dasselbe Herrchen im erbsengrauen Kaftan aus Poltawa, von dem ich schon einmal sprach, und von dem ihr wohl die eine Geschichte schon gelesen habt, — er kommt also, bringt ein kleines Büchelchen mit, schlägt’s in der Mitte auf und zeigt uns die Sache. Foma Grigorjewitsch war schon im Begriff, seine Nase mit der Brille zu besatteln, aber da fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, ein Stück Faden um sie zu wickeln und Wachs drauf zu kleben, und so gab er denn mir das Buch. Ich verstehe mich nun mal leidlich aufs Lesen und brauche keine Brille, und so begann ich denn. Aber ich hatte noch keine zwei Seiten umgewendet, als er mich fest bei der Hand nahm und unterbrach.

»Halt, sagt mir zuerst, was Ihr da lest?«

Ich muß gestehen, diese Frage verblüffte mich ein wenig.

»Wie, Foma Grigorjewitsch? Was ich da lese? Das ist doch Eure Geschichte, es sind Eure eigenen Worte!«

 

»Wer hat Euch das erzählt, daß das meine Worte sind?«

»Was wollt Ihr denn noch mehr? Da steht’s doch gedruckt. Erzählt von dem Küster Soundso.«

»Spuckt dem Jungen auf den Kopf, der das darauf gedruckt hat! Er lügt, der Saukerl! Das soll ich gesagt haben? Das ist ja fast so, als hätte der Satan einen Sparren! Hört zu, die muß ich Euch selbst erzählen!«

Wir rückten am Tische zusammen, und er begann.

Mein Großvater (Gott hab’ ihn selig! Möge er in jener Welt nur Weizenbrot und Mohnkuchen mit Meth zu essen bekommen!) mein Großvater verstand es wunderbar zu erzählen. Wenn der erst einmal damit anfing, so mochte man sich am liebsten den ganzen lieben Tag nicht vom Platze rühren und nur immer zuhören. Und er redete nicht etwa wie einer von den heutigen Faselhänsen; wenn so einer anfängt, sein Garn herunter zu spinnen, und dabei noch mit einem Maul, als hätte er drei Tage lang nichts zu essen gekriegt, dann möchte man am liebsten nach der Mütze greifen und davonlaufen. Ich erinnere mich noch, wie wenn es heute wäre, — meine Mutter selig war noch am Leben, — an die langen Winterabende, wenn draußen heftiges Frostwetter herrschte und das schmale Fensterchen unserer Stube dicht mit Schnee verklebte, wie sie da am Spinnrocken saß, mit der Hand den langen Faden zog, mit dem Fuß die Wiege schaukelte und ein Lied dazu sang, das ich jetzt noch im Ohr habe. Das Lämpchen beleuchtete zitternd und wie im Schreck aufflackernd die Stube. Die Spindel surrte; und wir Kinder hörten alle, zu einem Haufen zusammengedrängt, dem Großvater zu, der vor Alter schon über fünf Jahre nicht mehr hinterm Ofen hervorgekrochen war. Aber keiner der wundersamen Berichte aus den alten Tagen von den Ritten der Saporoger, von den Polen, von den kühnen Taten des Podkowa, des Poltora-Koschucha oder des Sagajdatschny ergriffen uns so stark wie die Berichte über eine alte, sonderbare Begebenheit, bei der einem ein Schauer über den Leib lief und das Haar sich sträubte. Manchmal kam eine solche Angst über einen, daß man abends Gott weiß was für Ungeheuer zu sehen meinte. Hattest du mal nachts die Stube verlassen, um etwas zu besorgen, so glaubtest du sicher, es habe sich ein Fremdling aus jener Welt in dein Bett gelegt, um zu schlafen. Ich will auf der Stelle sterben, wenn ich nicht oft meinen eignen Kittel am Kopfende des Bettes für einen zusammengekauerten Teufel hielt. Aber die Hauptsache an den Erzählungen des Großvaters war, daß er sein Lebtag nie gelogen hat, und wie er’s sagte, genau so war es auch.

Eine von seinen sonderbaren Geschichten will ich euch jetzt erzählen. Ich weiß wohl, es werden sich schon etliche Klüglinge finden, die Gerichtsschreiber sind oder gar neumodische Schriften lesen, — welche zwar keinen Deut verstehen, wenn man ihnen ein Stundenbuch in die Hand drückt, — aber dafür um so besser die Zähne zu fletschen wissen. Was man denen auch erzählen mag, sie lachen ja doch. Was hat sich doch jetzt für ein Unglaube in der Welt verbreitet! Gott und die unbefleckte Jungfrau mögen mir beistehen — ihr werdet’s vielleicht nicht glauben: als ich einmal von Hexen sprach — da fand sich doch wahrhaftig so ein Springinsfeld, der nicht an Hexen glauben wollte! Gott sei Dank, ich lebe schon viele Jahre; ich habe schon Menschen gesehen, die solche Heiden waren, daß es ihnen leichter wurde, in der Beichte zu lügen, als unsereinem, eine Prise zu nehmen; aber auch die schlugen vor einer Hexe das Kreuz. Wenn denen einmal im Traum ... na, ich will’s gar nicht erst über die Zunge bringen ... was soll man über sowas noch Redens machen.

Vor vielen vielen Jahren, 's werden wohl sicher über hundert sein, — erzählte mein Großvater selig — war unser Dorf noch etwas ganz anderes als jetzt! Da war’s noch ein Weiler, der allerärmste Weiler! Zehn ungetünchte und ungedeckte Hütten lagen mitten im Felde verstreut, und es gab weder einen Zaun, noch einen anständigen Schuppen, in dem man Vieh oder einen Wagen hätte unterstellen können. Und die, die so lebten, das waren noch die Reichen, was aber erst unsereiner von der Brüderschaft der Habenichtse für ein Leben hatte, das läßt sich kaum beschreiben! Ein Loch in der Erde — das war das ganze Haus! Nur an dem Rauch konnte man merken, daß da ein Menschenkind unseres lieben Herrgotts hauste. Ihr werdet nun fragen, warum lebten die wohl so? Armut allein war’s nicht, denn damals war fast jeder ein freier Kosak und hatte sich in fremden Ländern nicht wenig Reichtümer erbeutet; nein, man sehnte sich gar nicht nach einem richtigen Hause. Was trieben sich damals nicht allerorts für Menschen herum: Leute aus der Krim, Polen, Litauer usw. Oft geschah es auch, daß man von den eigenen Landsleuten geschunden wurde. Ja ja, da kam mancherlei vor.

In diesem Weiler nun tauchte zuweilen ganz plötzlich ein Mensch oder richtiger gesagt, ein Teufel in Menschengestalt auf. Woher er kam und zu welchem Zwecke — das wußte niemand. Er soff, vergnügte sich, — und auf einmal war er verschwunden, wie wenn er in die Erde gesunken wäre. Dann kam er wieder, wie vom Himmel gefallen, trieb sich auf den Straßen des Dorfes umher, von dem jetzt keine Spur mehr übrig ist, und das vielleicht nicht mehr als hundert Schritte von Dikanka entfernt war, sammelte die ersten besten Kosaken um sich, und dann ging ein Lachen und Singen an: das Geld wurde nur so ausgeschüttet, und der Schnaps rann dahin wie Wasser. Dann ging er zu den Mädchen und schenkte ihnen Bänder, Ohrringe und Perlen — in vollen Haufen! Freilich, so manches Mädel wurde bedenklich bei diesen Geschenken: Weiß Gott, am Ende waren sie in der Tat durch unreine Hände gegangen. Die leibliche Tante meines Großvaters, die damals auf der heutigen Landstraße von Oposchnjani einen Ausschank hatte, in dem Bassawrjuk (so hieß dieser Teufelskerl) oft zechte, pflegte zu sagen, sie würde um keinen Preis in der Welt ein Geschenk von ihm annehmen. Aber wie konnte man wiederum etwas zurückweisen? — Jedem wurde gruselig zumute, wenn er seine borstigen Brauen runzelte und einen finstern Blick auf einen warf, daß man am liebsten ausgerissen wäre; nahm man aber das Geschenk an, so konnte man schon in der nächsten Nacht einen Gast aus dem Moor, einen mit Hörnern auf dem Kopfe, erwarten. Und der würgte einen, wenn man Perlen am Halse trug, biß einen in den Finger, wenn ein Ring darauf steckte, oder riß einer Frau fast den Zopf aus, wenn sie ein Band darein geflochten hatte. Zehn Schritt vom Leibe mit solchen Geschenken! Eine neue Not aber war es, sie los zu werden: Man wirft sie ins Wasser — aber der teuflische Ring oder die Perlen schwimmen oben auf und springen einem wieder in die Hand zurück.

Im Dorfe stand auch eine Kirche, die, wenn ich mich recht besinne, dem heiligen Pantelej angehörte. Damals nun waltete in ihr ein Priester namens Vater Afanassi, seligen Angedenkens. Als er gewahrte, daß Bassawrjuk sogar am Ostersonntag nicht in die Kirche kam, wollte er ihn ausschelten und ihm eine Kirchenbuße auferlegen; aber sieh da, er kam kaum mit heiler Haut davon. »Hör mal, Herr!« brüllte ihn jener an, »kümmere dich lieber um deine Geschäfte, anstatt dich in fremde zu mischen, wenn du nicht willst, daß dir dein Ziegenhals mit einem heißen Sterbekuchen verkleistert wird!« Was konnte man mit diesem Gottverdammten anfangen? Vater Afanassi erklärte nun jeden, der mit Bassawrjuk verkehren würde, für einen Römling, und für einen Feind der Christenkirche und des ganzen Menschengeschlechts.

In demselben Dorfe hatte auch ein Kosak namens Korsch einen Arbeiter, den die Leute Peter Heimatlos nannten, vielleicht deshalb, weil er weder seinen Vater noch seine Mutter kannte. Der Kirchenvorstand hatte zwar gesagt, die wären schon in seinem zweiten Lebensjahr an der Pest gestorben; aber die Tante meines Großvaters wollte es nicht wahrhaben und war aus aller Kraft bemüht, ihm Eltern aufzudrängen, obgleich der arme Peter sich gerade so viel um diese Frage kümmerte, wie wir um den vorjährigen Schnee. Sie behauptete, sein Vater befinde sich jetzt noch in der Saporoger Gegend, sei in Gefangenschaft bei den Türken gewesen, habe Gott weiß welche Qualen erdulden müssen, und habe nur durch ein Wunder, als Eunuch verkleidet, Reißaus nehmen können. Die schwarzbrauigen Mädels und die jungen Weibsleute scherten sich wenig um seine Verwandtschaft. Sie äußerten nur, wenn man ihm einen feinen Rock — etwa einen neuen Schupan — anzöge, einen roten Gürtel umlegte, eine neue Mütze aus schwarzem Lammfell mit einer schmucken blauen Kappe aufsetzte, ihm einen türkischen Säbel an die Seite schnallte, und in die eine Hand einen langen Degen und in die andere eine hübsch eingefaßte Pfeife gäbe — dann würde er alle andern Burschen in die Tasche stecken. Aber der arme Petrusj besaß alles in allem nur einen einzigen grauen Kittel, der mehr Löcher hatte, als mancher Jude Dukaten in der Tasche. Doch das wäre noch nicht schlimm gewesen, was schlimm war, war vielmehr dies: der alte Korsch hatte ein Töchterchen, eine Schönheit, wie ihr sie wohl kaum je gesehen habt. Die Tante des seligen Großvaters pflegte zu erzählen, — und ihr wißt ja, ein Weib wird, mit Verlaub zu sagen, eher den Teufel küssen, als eine andere schön nennen, — daß die runden Bäckchen des Kosakenmädchens so frisch und glänzend waren wie die allerzarteste rote Mohnblume, die sich in Gottes Tau gebadet hat und nun aufleuchtet, ihre Blättchen ausbreitet und sich vor der aufgehenden Sonne putzt. Wie schwarze Schnürchen, die die Mädchen heutzutage bei den Hausierern in den Dörfern für ihre Kreuze und Schmuckdukaten kaufen, so zart schwangen sich die Brauen über ihren Augen, als spiegelten sie sich in ihrem klaren Kristall. Ihr Mündchen, nach dem der ganzen jungen Welt von damals der Mund wässerte, schien wie geschaffen für die Gesänge einer Nachtigall. Ihr Haar, schwarz wie Rabenfittiche und weich wie junger Flachs (denn damals flochten es die jungen Mädchen noch nicht zu kleinen Zöpfchen, durch die sie sich jetzt hübsche bunte Bänderchen ziehen) fiel in vollen Locken auf den goldbestickten Überwurf herab. Ei, da soll mich doch Gott von der Kanzel nie wieder das Hallelujah singen lassen, wenn ich sie nicht auf der Stelle abküssen möchte, und wenn auch der alte Wald auf meinem Schädel schon so ziemlich grau ist, und meine Alte sich mir an die Seite heftet, wie ein Star ins Auge. Na, wenn ein Bursch und ein Mädel nah beieinander wohnen ... ja, da wißt ihr schon, was draus wird. Man konnte stets in aller Herrgottsfrühe den Abdruck der Stiefeleisen auf der Stelle sehen, wo Pidorka mit ihrem Petrusj gestanden hatte. Korsch hätte immer noch nichts Schlimmes geahnt, aber einst, — und das kam durch nichts anderes als durch die List eines Teufels — da fiel es Petrusj ein, ohne sich genauer im Flur umzusehen, sozusagen von ganzer Seele einen Kuss auf die rosigen Lippen des Kosakenmädchens zu pressen. Und dieser selbe Teufel, — mag doch der Hundesohn vom heiligen Kreuz träumen! — ritt den alten Knasterbart, daß er gerade zu dieser Zeit die Tür öffnete. Korsch stand da wie ein Holzklotz, sperrte den Mund auf und mußte sich an die Tür lehnen. Der verdammte Kuss schien ihn vollkommen betäubt zu haben. Er kam ihm lauter vor als der Schlag eines Mörserstößels auf ein Brett, mit dem zu unserer Zeit die Bauern in Ermangelung von Pulver und Flinte den Festschmaus zu Ehren Johannes des Täufers begleiten. Als er wieder zu sich gekommen war, nahm er seine Nagaika aus Urväter Zeiten von der Wand und wollte sie schon auf den Rücken des armen Peter niedersausen lassen, da erschien auf einmal Pidorkas sechsjähriges Brüderchen Iwasj, kam erschreckt herbeigelaufen, umschlang seine Beine mit den Händchen und schrie: »Vater, Vater, schlag den Petrusj nicht!« Was war da zu machen? Ein Vaterherz ist nicht von Stein: er hing die Nagaika an die Wand und führte ihn leise aus dem Zimmer hinaus. »Wenn du dich jemals wieder hier im Hause sehen läßt oder auch nur am Fenster, so höre, Petrusj: Bei Gott, dein schwarzer Schnurrbart ist dahin und auch deine Kosakenlocke, die du dir doppelt ums Ohr wickelst, — ich will nicht Terenti Korsch sein, wenn sie nicht von deinem Schädel Abschied nimmt!« Bei diesen Worten versetzte er ihm einen leichten Stoß in den Nacken, so daß Petrusj Hals über Kopf hinausflog. So weit hatten sie es mit dem Küssen gebracht. Ein schwerer Kummer überfiel unser Täubchen; dazu ging noch im Dorfe das Gerücht um, zu Korsch ins Haus käme ein goldbeladener Pole mit Schnurrbart, Säbel und Sporen, dessen Taschen so klirrten wie der Klingelbeutel, den unser Messner Taras täglich in der Kirche umgehen läßt. Nun man weiß ja, wozu man einen Vater besucht, der eine schwarzäugige Tochter hat. Einmal schlang Pidorka die Arme um ihren Bruder Iwasj: »Iwasj, mein Liebling, bester Iwasj! Lauf zu Petrusj, mein goldenes Kind, rasch wie ein Pfeil vom Bogen schnellt, und erzähl ihm alles: ich möchte seine grauen Augen liebkosen und sein weißes Antlitz küssen, aber das Schicksal will es nicht. Manches Tuch habe ich mit meinen heißen Tränen benetzt, mir ist so bang und so schwer ums Herz. Mein eigner Vater ist mir feind und zwingt mich, dem ungeliebten Polen in die Ehe zu folgen. Sag ihm, man bereite schon die Hochzeit vor, doch es soll keine Musik auf unserer Hochzeit geben, und nur die Küster werden plärren, statt daß Zither und Schalmei erklingen. Und nicht werde ich mit meinem Gemahl zum Tanze gehen, sondern hinaustragen wird man mich aus dem Hause. Dunkel und düster wird mein enges Haus sein — aus Ahornbrettern wird es gezimmert sein, und statt eines Schlotes wird ein Kreuz auf dem Dache stehn!«

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