Don Quijote

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14. Kapitel
Welches Grisóstomos Gesang der Verzweiflung enthält, nebst andern unerwarteten Ereignissen
Grisóstomos Gesang

Da du es willst, daß rings von Mund zu Munde,

Von Volk zu Volk erschallt, grausame Schöne,

Wie hart dein Herz und wie es mir ergrimme,

So leih ich Schmerzenston mir aus dem Grunde

Der Hölle selbst, daß mir die grausen Töne

Entstellen den gewohnten Klang der Stimme.

Und meinem Wunsch gehorchend, der das schlimme

Geschick, so deine Frevel mir verheißen,

Laut künden will, wird wilder Schmerz erbrausen

Und wird mir, um zu steigern Qual und Grausen,

Vom blutgen Herzen Stücke mit sich reißen.

Sollst du Gehör leihn, nein, dem krassen Stöhnen

Des Jammers, der tief aus erkrankten Herzen

Hervor sich ringt mit Wahnsinn, mit Entsetzen,

Um mich zu letzen

und dich doch zu schmerzen.

Des Wolfes fürchterlich Geheul, des Leuen

Gebrüll, das gräßliche Gezisch der schuppigen Schlange,

Aus fremden Untiers Schlund das heisere Bellen;

Und das Gekrächz der Krähen, die da dräuen,

Daß Unheil naht; die Stürm im Donnergange,

Wild kämpfend auf empörten Meereswellen;

Des Stiers Gebrülle, den im Kampf zu fällen

Dem Feind gelang; der Turteltaube Girren

Um ihres Gatten Tod; der düstre Sang der Eule,

Der vielbeneideten; das Angstgeheule

Verdammter Geister, die im Dunkel schwirren;

Mir sollen sich all diese Kläng entringen,

Mit meiner Seele ineinanderklingen

In einem Schrei, daß wirr zusammenbrechen

Die Sinne all; denn was mein Herz bedränge,

Heischt neue Klänge,

um es auszusprechen.

Nicht soll des Vaters Tajo Sandgefilde

Mich hören, nicht der Bätis, der in Düften

Des Ölbaums hinwallt zu des Südens Pforten:

Ausklingen soll mein Schmerz, der grimme, wilde,

Auf hohen Felsen und in tiefen Klüften,

Von toter Zunge, in lebendigen Worten;

Oder in dunklen Tälern und an Orten,

In deren Öde Menschen nie verkehren

Oder die nie den Sonnenstrahl gewahren,

Oder wo wilder Bestien giftge Scharen

Sich an des flachen Nils Gestade nähren.

Und wenn auch nur in leblos öder Heide

Das Echo, auferweckt von meinem Leide,

Verkündet deine Härte sondergleichen,

So wird es doch – ein Vorrecht meinem

Wehe – In Fern und Nähe

rings die Welt durchstreichen.

Verschmähn bringt Tod; Verdacht, ob er vergebens

Sich regt, ob wahr, weiß die Geduld zu morden;

Tod bringt auch Eifersucht, die schlimmste Plage.

Zu lange Trennung nagt am Mark des Lebens;

Gegen die Angst, daß du vergessen worden,

Hilft auch kein sichres Hoffen beßrer Tage.

Dies all ist sichrer Tod. Ich aber frage:

Welch Wunder, daß ich fort mein Dasein führe,

Entfernt, verschmäht, von Eifersucht durchlodert!

Wahrheit der Argwohn, der mein Leben fordert!

In der Vergessenheit, an der ich schüre

Des Busens Glut, in soviel Qualen, nimmer

Ersah mein Blick der Hoffnung fernsten Schimmer,

Ich wage selbst nicht mehr, ihr nachzustreben,

Nein, um mich zu versenken in mein Leiden,

Schwör ich zu meiden

sie fürs ganze Leben.

Kann man im selben Augenblicke hoffen

Und fürchten? Wer mag hoffen und vertrauen,

Wo für das Fürchten stärkre Gründe walten?

Vom Blick der nahenden Eifersucht getroffen,

Soll schließen ich mein Äug; ich muß sie schauen

Durch tausend Wunden, so die Seel zerspalten.

Wer wird dir nicht die Tür weit offenhalten,

Mißtrauen, wenn Mißachtung ihre Züge

Entschleiert zeigt, in jeder kleinsten Handlung

Verdacht zur Wahrheit wird, o schlimme Wandlung!

Und reine Wahrheit sich verkehrt zur Lüge?

Gib, Eifersucht, Tyrannin in den Landen

Der Liebe einen Dolch! Mit Todesbanden,

Verschmähung, komm, mit festgedrehten Stricken!

Doch ach, schon fühl ich, wie Erinnerungen,

Die mich bezwungen,

alles Leid ersticken.

Doch muß ich sterben. Und damit ich künftig

Nie Heil erhoffen darf in Tod und Leben,

Will ich festhalten meinen Wahn und sagen:

Daß, wer recht liebt, recht handelt und vernünftig;

Daß der am freisten, der zumeist ergeben

Sich von der Liebe läßt in Bande schlagen;

Daß dir die Feindschaft stets zu mir getragen,

Schönheit der Seele wie des Leibs beschieden;

Daß ich’s verschulde, wenn du mich vergessen;

Daß durch das Leid, das sie uns zugemessen,

Die Lieb ihr Reich hält in gerechtem Frieden.

Mit solchem Wahn und mit grausamem Strange

Das Ziel beschleunigend, zu dem seit lange

Dein Hohn mich führt, geb ich, dem Erdenqualme

Entrückt, den Lüften Leib und Seele, ohne

Daß einst mir lohne

Lorbeer oder Palme.

Durch soviel Unrecht, das du mir erwiesest,

Gabst du das Recht mir und gabst mir die Lehre:

Sein Recht zu tun dem lang verhaßten Leben.

Sieh meines Herzens Wunden an, du liesest

Darin, wie freudevoll ich dir’s gewähre,

Mich deinem Groll als Opfer hinzugeben.

Erkennst du dann vielleicht, mein treues Streben

War wert, daß deiner Augen Himmelshelle

Bei meinem Tod sich trübe – doch geschehe

Das nie! Dich rühre nie das kleinste Wehe,

Wenn ich mein Herze dir zur Beute fälle.

Nein, lachend, wenn zum Grab gehn meine Reste,

Zeig, daß mein letzter Tag dir wird zum Feste!

Doch töricht, daß ich solchen Rat verschwende;

Da es ja anerkannt, wie Ruhm und Ehre

Es dir gewähre,

wenn so rasch mein Ende.

Nun kommt, ‘s ist Zeit, vom schwarzen Höllenpfade,

Kommt! Tantalus, der ewgen Dursts Geplagte,

Und Sisyphus, den Stein emporzuschwingen

Bemüht, Ixion unter seinem Rade,

Und Tithyus, der vom Geier stets Genagte,

Die Schwestern, die in ewger Mühsal ringen:

Laßt euren Jammerschrei herüberklingen

In meine Brust, kommt all mit dumpfer Klage,

Und – falls sie dem Verzweifelten gebühren

Dem Leichnam Totenchöre aufzuführen,

Ob auch die Welt das Bahrtuch ihm versage.

Du, Höllenpförtner, auch mit den drei Rachen,

Ihr Ungeheuer, all ihr tausendfachen,

Eur Grundbaß klinge drein, der rauhe, harte;

Denn wert ist keiner Beßren Leichenfeier

Ein toter Freier,

den die Liebe narrte.

Lied der Verzweiflung, nun du von mir scheidest,

Glaub, daß du darum nicht Verlust erleidest;

Denn da dem Quell, draus deine Tön entspringen,

Mein Unglück wird zur reichern Glückesgabe,

Darfst du am Grabe

selbst nicht traurig klingen.

Grisóstomos Gesang gefiel allen Zuhörern wohl; wiewohl der Vorleser sagte, das Gedicht scheine ihm nicht dem Bericht zu entsprechen, den er über Marcelas Züchtigkeit und Tugend vernommen, denn darin klage Grisóstomo über Eifersucht, Verdacht und Abwesenheit, alles zum Nachteil von Marcelas gutem Ruf und unbescholtenem Namen.

Darauf antwortete Ambrosio als der genaue Kenner der geheimsten Gedanken seines Freundes: »Damit Ihr, edler Herr, Euch wegen dieses Zweifels beruhigt, wird es Euch angenehm sein zu erfahren, daß der Unglückliche damals, da er dieses Gedicht schrieb, sich aus Marcelas Nähe fernhielt; er hatte sich freiwillig von ihr entfernt, um zu erproben, ob die Abwesenheit ihre gewöhnlichen Rechte bei ihm geltend machen würde. Und da es nichts gibt, was den entfernten Liebenden nicht quälte, und sich keine Besorgnis denken läßt, die ihn nicht ergriffe, so fühlte sich Grisóstomo gepeinigt von eingebildeter Eifersucht und von einem Argwohn, vor dem er sich ängstigte, als ob er wirklich in seiner Seele vorhanden wäre. Und so bleibt alles völlig in seiner Wahrheit, was der Ruf von Marcelas Tugend rühmt. Denn außer daß sie grausamen Sinnes ist und etwas Hoffart und sehr viel Geringschätzung an den Tag legt, darf und kann der Neid selbst Ihr keinen Fehler anheften.«

»So ist’s in Wahrheit«, erwiderte Vivaldo; und eben war er im Begriff, ein andres Blatt, das er gleichfalls aus dem Feuer gerettet, zu lesen, als eine wunderbare Erscheinung – so kam sie allen vor – ihn davon abhielt, welche unversehens sich den Blicken zeigte. Hoch oben nämlich auf dem Felsen, an dessen Fuße man das Grab aufwarf, erschien die Schäferin Marcela in so hoher Schönheit, daß sie ihren Ruf noch weit überstrahlte. Die sie bis jetzt noch nicht gesehen hatten, schauten mit schweigender Bewunderung zu ihr hinauf, und die bereits ihres Anblicks gewohnt waren, blieben nicht weniger gefesselt als jene, die sie nie gesehen.

Aber kaum hatte Ambrosio sie gewahrt, als er mit Gebärden lebhafter Entrüstung ihr zurief: »Kommst du vielleicht, du grimmer Basilisk dieser Berge, um zu sehen, ob in deiner Gegenwart die Wunden dieses Unglücklichen, dem deine Grausamkeit das Leben geraubt, zu fließen beginnen, oder um von dieser Höhe wie ein anderer Nero gefühllos auf die Flammen seines brennenden Roms zu schauen oder um diesen unseligen Leichnam mit Füßen zu treten wie die undankbare Tochter den ihres Vaters Servius Tullius? Sag uns nur unverzüglich, warum du kommst oder was eigentlich dein Begehr ist; denn da ich weiß, daß alle Gedanken Grisóstomos nie einen Augenblick im Leben aufhörten, dir dienstbar zu sein, so will ich es bewirken, daß, obschon er selber tot, dir das ganze Denken und Wollen all derer zu Diensten sei, die seine Freunde waren.«

»Ich komme keineswegs, Ambrosio«, antwortete Marcela, »in einer Absicht, wie du deren manche genannt hast, sondern um mich selbst zu verteidigen und klarzumachen, wie vernunftwidrig sie alle denken, die mir an Grisóstomos Leiden und Tod schuld geben. Und so bitte ich euch alle, die ihr zugegen seid, mir Aufmerksamkeit zu schenken; denn es wird nicht vieler Zeit noch der Aufwendung vieler Worte bedürfen, um die Verständigen von einer wahren Tatsache zu überzeugen.

 

Der Himmel schuf mich, wie ihr es saget, schön, und von solcher Schönheit, daß sie, ohne daß ihr anders vermöchtet, euch zwinge, mich zu lieben; und um der Liebe willen, die ihr mir bezeigt, sagt ihr, ja fordert ihr, soll ich verpflichtet sein, euch zu lieben. Wohl kann ich mit dem natürlichen Verstande, den Gott mir gegeben, einsehen, daß alles Schöne liebenswert ist; aber das kann ich nicht begreifen, wieso aus dem einzigen Grunde, daß es geliebt wird, dasjenige, was man um seiner Schönheit willen liebt, auch verpflichtet sein soll, den Liebenden wiederzulieben. Zumal es sich ja ereignen könnte, daß der Liebhaber des Schönen häßlich wäre, und da das Häßliche Haß verdient, ziemt es einem Manne gar übel, dem Weibe zu sagen: Ich liebe dich, weil du schön bist; du mußt mich lieben, obschon ich häßlich bin. Aber gesetzt den Fall, es sei die Schönheit beiderseits gleich, so müssen darum noch nicht die Neigungen beiderseits gleiche Wege verfolgen; denn nicht jede Schönheit erweckt Liebe, manche erfreut den Anblick und unterwirft sich nicht die Herzen. Wenn aber jede Schönheit Liebe erweckte und die Herzen unterwürfe, so würden die Neigungen in Wirrsal und ohne sichern Weg hin und her schwanken, so daß sie gar nicht wüßten, auf welches Ziel sie ausgehen sollten; denn da die schönen Menschen zahllos sind, müßten auch die Wünsche zahllos sein, und doch, wie ich sagen hörte, kann sich wahre Liebe nicht teilen und muß freiwillig sein und nicht erzwungen. Da dem nun so ist – und ich bin überzeugt, es ist so –, warum wollt ihr, daß ich mein Herz mit Gewalt bezwinge, da ich doch durch nichts weiter verpflichtet bin, als daß ihr versichert, mich zu lieben? Wo nicht, so sagt mir doch: wenn der Himmel, wie er mich schön erschuf, mich häßlich geschaffen hätte, wäre es gerecht, wenn ich mich über euch beschwerte, weil ihr mich nicht liebtet? Außerdem müßt ihr erwägen, daß ich die Schönheit, die ich besitze, mir nicht selbst erkoren; wie sie eben ist, so hat der Himmel sie mir als Gnadengabe verliehen, ohne daß ich sie mir erbeten oder auserwählt habe. Und wie die Viper wegen des Giftes, das sie in sich trägt, obwohl sie damit tötet, keine Anschuldigung verdient, weil die Natur es ihr gegeben, so verdiene auch ich deshalb, weil ich schön bin, keinen Vorwurf; denn die Schönheit ist bei einem sittsamen Weibe wie das entfernte Feuer oder wie die scharfe Schwertklinge: jenes brennt und diese schneidet keinen, der ihnen nicht nahe kommt. Die Ehre, die Tugenden sind der Seele Zierden, ohne welche der Leib, mag er auch schön sein, nicht als schön betrachtet werden kann. Da nun Sittsamkeit eine der Tugenden ist, die den Leib am meisten zieren und verschönern, weshalb soll diejenige, die um ihrer Schönheit willen geliebt wird, die Tugenden aufgeben, um den Wünschen dessen zu entsprechen, der bloß seiner Neigung wegen mit allen Kräften und Künsten danach trachtet, sie ihr zu rauben? Frei bin ich geboren, und um in Freiheit leben zu können, hab ich die Einsamkeit der Fluren erkoren; die Bäume dieser Berghöhen sind meine Gesellschaft, die klaren Fluten dieser Bäche sind meine Spiegel; den Bäumen und Bächen geh ich teil an meinen Gedanken und meiner Schönheit. Ich bin ein entferntes Feuer, eine beiseite gelegte Schwertklinge. Die ich durch meinen Anblick mit Liebe erfüllte, hab ich durch meine Worte enttäuscht; und wenn Wünsche sich von Hoffnungen nähren, so habe ich weder Grisóstomo noch sonst jemandem irgendeine Hoffnung gewährt, und so kann man wohl sagen, daß ihn eher sein eigensinniges Beharren als meine Grausamkeit getötet hat. Legt man mir aber zur Last, daß seine Absichten redlich waren und daß ich deshalb verpflichtet gewesen, ihnen Gehör zu geben, so sage ich: als an diesem nämlichen Orte, wo jetzt sein Grab gegraben wird, er mir das redliche Ziel seiner Wünsche offenbarte, erklärte ich ihm, daß die meinigen dahin gingen, in beständiger Einsamkeit zu leben und nur den Schoß der Erde dereinst die Frucht meiner Zurückgezogenheit, und was von meiner Schönheit alsdann noch übrig, genießen zu lassen. Und wenn er nun trotz dieser Aufklärung, der versagten Hoffnung zu Trotz, beharrlich bleiben und gegen den Wind segeln wollte, was Wunder, daß er mitten auf dem Meere seiner sinnlosen Torheit unterging? Hätt ich ihn hingehalten, so wäre ich falsch gewesen; hätt ich ihn zufriedengestellt, so hätte ich gegen meine bessere Überzeugung und Absicht gehandelt.

Er beharrte auf seinem Sinn, wiewohl über alles im klaren; er verzweifelte, ohne gehaßt zu werden: erwäget nun, ob es recht ist, seines Leidens Schuld mir aufzubürden. Es beschwere sich, wer getäuscht worden; es verzweifle, wem erweckte Hoffnungen fehlgeschlagen; den ich zu mir rufe, der hege Zuversicht; wem ich Zugang verstatte, der rühme sich dessen; aber es nenne nicht der mich grausam und Mörderin, dem ich nichts verspreche, den ich nicht täusche, nicht rufe, nicht zulasse. Der Himmel hat bis jetzt nicht gewollt, daß ich durch den Zwang des Geschickes liebe, und zu glauben, daß ich aus freier Wahl lieben werde, ist zwecklos. Diese allgemeine Absage diene allen, die mich zu ihrem eignen Besten umwerben; und fürderhin sei es klargestellt, daß, wenn jemand um meinetwillen sterben sollte, er nicht aus Eifersucht oder Zurücksetzung stirbt; denn wer keinen liebt, darf auch keinem Eifersucht einflößen, und Enttäuschung darf man nicht für Verschmähung erklären. Wer mich ein Untier, einen Basilisken nennt, der soll mich als etwas Schädliches und Böses meiden; wer mich undankbar nennt, soll mir nicht huldigen; wer unerkennbar, möge mich nicht kennenlernen; wer grausam, suche nicht meine Nähe: denn dies Untier, dieser Basilisk, diese Undankbare, diese Grausame, diese Unerkennbare wird nie und nimmermehr jene herbeiwünschen, ihnen huldigen, ihre Bekanntschaft und ihren Umgang suchen.

Wenn rastlose Leidenschaft und ungestümes Begehren Grisóstomo den Tod gebracht haben, warum soll mein sittsames Benehmen, meine züchtige Zurückhaltung beschuldigt werden? Wenn ich meine Reinheit im Verkehr mit den Bäumen des Waldes bewahre, wie kann der verlangen, daß ich sie opfere, der da verlangt, daß ich Verkehr mit Männern unterhalte? Ich besitze eigne Habe, wie ihr wisset, und begehre fremder nicht; ich bin freien Standes, und es behagt mir nicht, mich von jemand abhängig zu machen. Ich liebe und hasse niemand; nicht täusche ich daher diesen und werbe um jenen, nicht treibe ich Spiel mit dem einen noch Scherz mit dem andern. Der sittsame Umgang mit den Mägdlein dieser Dörfer und das Hüten meiner Ziegenherde ist meine Unterhaltung; meine Wünsche haben diese Berghöhen zur Grenze, und wenn sie je darüber hinausstreben, so geschieht es doch nur, um die Schönheit des Himmels zu betrachten, eine Beschäftigung, die die Seele zu ihrer ersten Wohnung zurückleitet.«

Und mit diesen Worten, ohne eine Entgegnung hören zu wollen, wandte sie ihnen den Rücken und bog ins tiefste Dickicht eines nahen Bergwaldes ein, während sie alle Anwesenden in hohem Staunen über ihren Verstand und über ihre Schönheit zurückließ. Und einige aus der Zahl jener, die sich vom mächtigen Geschoß ihrer schönen Augenstrahlen getroffen fühlten, machten Miene, ihr zu folgen, ohne die unumwundene Absage, die sie vernommen, sich zunutze zu machen.

Sowie Don Quijote dies bemerkte, erachtete er hier sogleich die rechte Gelegenheit gekommen zur Übung seiner Ritterpflicht, bedrängten Jungfrauen beizustehen; und die Hand an den Knauf seines Schwertes legend, sprach er mit lauter, vernehmbarer Stimme: »Keiner, wes Standes und Ranges er auch sei, erkühne sich, der schönen Marcela zu folgen, bei Strafe, meinen wütigen Groll zu erfahren. Sie hat mit klaren, genügenden Gründen dargelegt, wie sie geringe oder gar keine Schuld an Grisóstomos Tode trägt und wie fern sie dem Gedanken steht, auf die Wünsche irgendeines ihrer Liebeswerber einzugehen; und aus sotanen Gründen ist es gebührend, daß, anstatt Marcela zu folgen und zu verfolgen, sie geehrt und hochgeschätzt werde von allen Redlichen auf dieser Erde, sintemal sie erweiset, daß auf selbiger sie allein es ist, die in so tugendsamen Gesinnungen lebt.«

Ob es nun um der Drohungen Don Quijotes willen geschah oder weil Ambrosio sie ersuchte, bald zu Ende zu bringen, was sie ihrem guten Freunde schuldig waren, keiner von den Hirten rührte sich oder wich von der Stelle, bis das Grab fertiggegraben, Grisóstomos Papiere verbrannt und sein Leichnam – nicht ohne reichliche Tränen der Umstehenden – in die Erde versenkt worden. Dann verschlossen sie die Gruft einstweilen mit einem Felsblock, bis der Grabstein bereit wäre, den Ambrosio, wie er mitteilte, fertigen zu lassen gedachte, mit einer Inschrift, die folgendes aussagen sollte:

Hier ruht aus ein liebend Herz,

Und sie, die ihm schuf die Leiden,

Da die Herd er ging zu weiden,

Weidet sich an seinem Schmerz.

Schön war, die den Tod ihm gab,

Aber grausam ohnegleichen: –

So führt nun in Amors Reichen

Tyrannei den Herrscherstab.

Sodann streuten sie auf das Grab viele Blumen und Zweige, und nachdem sie alle ihrem Freunde Ambrosio ihr Beileid bezeigt, nahmen sie von ihm Abschied. So taten auch Vivaldo und sein Gefährte, und Don Quijote nahm Urlaub von seinen Wirten und den beiden Reisenden, welche ihn baten, mit ihnen nach Sevilla zu kommen, weil dieser Ort sich so dazu eigne, Abenteuer zu finden, daß sie sich in jeder Gasse und hinter jeder Ecke häufiger bieten als irgendwo auf Erden. Don Quijote dankte ihnen für den guten Rat und für den ihm bezeigten Willen, ihm förderlich zu sein, erklärte aber, daß er für jetzt nicht nach Sevilla gehen wolle und dürfe, bis er dieses ganze Gebirge von den Räubern und Wegelagerern gesäubert habe, mit denen es, wie es allgemein heiße, angefüllt sei.

Da die Reisenden sein edles Vorhaben ersahen, wollten sie nicht weiter in ihn dringen, sondern nahmen nochmals Abschied, verließen ihn und verfolgten ihren Weg weiter, wobei es ihnen nicht an Stoff zur Unterhaltung fehlte sowohl über Marcelas und Grisóstomos Geschichte als auch über die Narreteien Don Quijotes. Dieser indessen beschloß, die Hirtin Marcela aufzusuchen und alles ihr zu erbieten, was er zu ihrem Dienste vermöchte. Allein es erging ihm anders, als er dachte; wie dieses nun im Fortgang unserer wahrhaftigen Geschichte erzählt werden soll.

15. Kapitel
Worin das unglückliche Abenteuer erzählt wird, welches Don Quijote begegnete, als er den ruchlosen Yanguesen begegnete

Es erzählt der gelahrte Sidi Hamét Benengelí, daß Don Quijote, sobald er sich von seinen Wirten und von allen andern, die der Beerdigung des Schäfers Grisóstomo beigewohnt, verabschiedet hatte, sofort mit seinem Schildknappen den Weg in denselben Wald nahm, in welchen, wie sie gesehen, die Schäferin Marcela sich begeben hatte. Sie waren zwei Stunden lang darin umhergeschweift, hatten sie allerorten gesucht, ohne sie finden zu können, und gelangten endlich an eine Wiese voll frischen Grases, an der ein Bach vorbeifloß, so anmutig und kühl, daß er sie einlud, ja sie nötigte, hier die Stunden der Mittagshitze zu verbringen, die sich bereits mit drückender Gewalt einzustellen begann.

Don Quijote und Sancho stiegen ab, und das Grautier und Rosinante frei umher das reichlich vorhandene Gras abweiden lassend, gingen sie daran, alles Eßbare aus Sanchos Habersack in den Magen einzusacken, und ohne viel Umstände wurde, was darin war, in gemütlicher Eintracht und Kameradschaft von Herrn und Diener aufgegessen.

Sancho war es nicht zu Sinn gekommen, dem Rosinante eine Spannkette anzulegen; er war unbesorgt, da er den Gaul als ein so sanftes und so wenig brünstiges Tier kannte, daß alle Stuten von den Gehegen von Córdoba ihn nicht zu etwas Ungebührlichem hätten verleiten können.

Nun aber fügten es das Schicksal und der Teufel, der nicht immer schläft, daß eine Koppel galizischer Stuten in diesem Tale weidete, geführt von Treibern aus Yanguas, die die Gewohnheit haben, Mittagsruhe mit ihren Tieren an Orten, wo es Gras und Wasser gibt, zu halten; und der Platz, wo Don Quijote sich gelagert, war den Yanguesen sehr gelegen. Da geschah es denn, daß den Rosinante die Lust ankam, mit den jungen Galizierinnen zu kurzweilen, und gleich wie er sie witterte, ganz aus der Art schlagend, ohne seinen Herrn um Erlaubnis zu bitten, setzte er sich kecklich in einen kurzen Hundetrab und sprengte hin, um seinem Herzensdrang bei ihnen obzuliegen; aber die Stuten, die offenbar mehr Lust zur Weide als zu anderm hatten, empfingen ihn so mit Hufen und Zähnen, daß sie ihm alsbald den Gurt sprengten und er ohne Sattel und Bügel dastand. Was ihn dabei am schmerzlichsten berühren mußte, war, daß die Säumer, sobald sie sahen, daß ihren Stuten Gewalt geschehen sollte, mit Knütteln herzuliefen und ihm so viel Prügel aufzählten, daß sie ihn übel zugerichtet zu Boden streckten.

 

Don Quijote und Sancho, welche die Abprügelung Rosinantes mit angesehen, kamen jetzt keuchend herbei, und der Ritter sprach zu seinem Knappen: »Soviel ich sehe, Freund Sancho, sind dies nicht Ritter, sondern gemeines Volk und von niedriger Herkunft; ich sage dies, weil du hier mir allerdings beistehen kannst, die gebührende Rache zu nehmen für die Schmach, die vor unsern Augen Rosinante zugefügt worden.«

»Was Teufel für Rache sollen wir nehmen«, entgegnete Sancho, »wenn ihrer mehr als zwanzig und unser nur zwei sind, und vielleicht gar nur anderthalb?«

»Ich zähle für hundert«, entgegnete Don Quijote. Und ohne mehr Worte zu verlieren, griff er zum Schwert und fiel über die Yanguesen her; und dasselbe tat Sancho Pansa, befeuert und angetrieben durch das Beispiel seines Herrn. Und gleich zum Beginn versetzte Don Quijote dem einen einen Hieb, der ihm den Lederkittel samt einem großen Teil der Schulter spaltete. Die Yanguesen, die von nur zwei Leuten sich mißhandelt sahen, während ihrer so viele waren, griffen zu ihren Knütteln, und die beiden in die Mitte nehmend, begannen sie mit gewaltigem Nachdruck und Ingrimm auf sie loszudreschen. Die Wahrheit verlangt zu sagen, daß sie schon mit dem zweiten Schlag Sancho zu Boden streckten und dem Ritter das nämliche geschah, ohne daß seine Gewandtheit oder sein mutiger Sinn ihm geholfen hätten, und sein Geschick wollte, daß er zu Rosinantes Füßen zu Fall kam, der sich noch nicht wiederaufgerichtet hatte. Woraus man denn ersehen kann, wie wütig die Knüttel in den Händen ergrimmter Bauern dreinschlagen.

Als nun die Yanguesen die arge Bescherung sahen, die sie hier angerichtet, packten sie mit größtmöglicher Schnelligkeit ihren Tieren die Traglasten wieder auf, verfolgten ihren Weg und ließen die beiden Abenteuergierigen in übler Verfassung und noch üblerem Gemütszustand liegen.

Der erste, der wieder zu sich kam, war Sancho Pansa, und da er sich neben seinem Herrn hingestreckt sah, sagte er mit schwacher, kläglicher Stimme: »Señor Don Quijote! Ach, Señor Don Quijote!«

»Was willst du, Freund Sancho?« versetzte Don Quijote mit demselben schwächlichen, jammervollen Ton wie Sancho.

»Ich möchte, wenn’s möglich wäre«, antwortete Sancho Pansa, »daß mir Euer Gnaden ein paar Tropfen von jenem Tranke des Schwerenbrast gäbe, wenn Ihr ihn hier zuhanden habt; vielleicht nützt er ebenso für zerschlagene Knochen wie für Hieb- und Stichwunden.«

»Hätt ich ihn hier, ich Unseliger, was ginge uns dann ab?« entgegnete Don Quijote. »Aber ich schwöre dir, Sancho Pansa, auf fahrenden Ritters Wort, ehe zwei Tage ins Land gehen, wenn es das Glück nicht anders fügt, wird er in meinem Besitz sein, oder ich müßte keine Hand mehr regen können.«

»So? In wieviel Tagen meinen denn Euer Gnaden, daß wir die Füße rühren können?« versetzte Sancho.

»Soviel mich angeht, muß ich sagen«, antwortete der wohlzerdroschene Ritter Don Quijote, »daß ich diesen Tagen eine Frist nicht bestimmen kann. Aber ich trage Schuld an allem, ich durfte nicht zum Schwerte greifen gegen Leute, die nicht wie ich zum Ritter geschlagen sind; und so glaube ich, daß zur Strafe für diese Übertretung der Gesetze des Rittertums der Gott der Schlachten verstattet hat, daß mir diese Züchtigung zuteil geworden. Deshalb, Sancho Pansa, ist es gebührlich, daß du wohl auf das merkest, was ich dir jetzt sagen will; denn es ist hochwichtig für unser beider Wohlfahrt: wenn du nämlich siehst, daß solches Gesindel uns eine Unbill zufügt, so warte nicht ab, daß ich zum Schwert greife, denn das werde ich unter keinerlei Umständen tun, sondern lege du Hand ans Schwert und züchtige sie gehörig nach Herzenslust. Kommen ihnen aber Ritter zu Hilfe und Beistand, so werde ich dich zu verteidigen und sie aus aller Macht zu befehden wissen; denn du wirst schon an tausend Merkzeichen und Proben gesehen haben, wieweit die Gewalt dieses starken Armes reicht.«

Mit solcher Hoffart hatte den armen Herrn die Besiegung des mannhaften Biskayers erfüllt.

Aber die Anweisung, die Don Quijote ihm gegeben, gefiel dem Knappen keineswegs so sehr, daß er eine Antwort darauf hätte unterlassen mögen. Und so sagte er: »Edler Herr, ich bin ein friedfertiger Mann, sanftmütig, geruhigen Sinnes, und weiß mich über jede Unbill hinwegzusetzen; denn ich habe Frau und Kinder zu ernähren und zu erziehen. Und so bitte auch ich Euer Gnaden, wohl darauf zu merken, denn vorschreiben kann ich ja nichts: daß ich unter keinerlei Umständen je zum Schwert greifen werde, weder gegen Bauern noch gegen Ritter, und daß ich von jetzt ab, bis ich vor Gott erscheine, jede Ungebühr verzeihe, die man mir angetan hat oder antun wird, einerlei ob der mir sie angetan oder antut oder antun wird, vornehm oder gering, reich oder arm, adelig oder bürgerlich ist, ohne irgendeinen Stand oder Beruf auszunehmen.«

Als sein Herr ihn so reden hörte, entgegnete er: »Ich möchte nur, daß ich Atem genug hätte, um ohne Beschwer reden zu können, und daß der Schmerz an der Rippe hier sich ein klein wenig lindern wollte, um dir klarzumachen, in welchem Irrtum du befangen bist. Gib acht, du sündiger Tropf: Wenn der Wind des Glückes, der uns bisher so zuwider war, sich zu unsern Gunsten dreht und uns die Segel unsres Wunsches schwellt, auf daß wir sicher und ohne Gegenwind noch Hindernis an einer der Insuln landen, die ich dir versprochen habe, wie würde es um dich stehen, wenn ich sie unterwürfe und dich zu ihrem Herrn einsetzte? Du wirst mir dieses ja zur Unmöglichkeit machen, weil du weder Ritter bist noch es werden willst und weil du weder Mut noch Willen hast, zugefügte Unbilden zu rächen und dein Fürstentum zu verteidigen. Denn du mußt wissen, in neu eroberten Reichen und Provinzen sind die Gemüter der Eingeborenen nie so ruhig noch so völlig auf seiten des neuen Herrn, daß man nicht stets besorgen müßte, daß sie irgendwelche Neuerung vornehmen wollen, um die Zustände wieder zu ändern und aufs neue, wie man sich ausdrückt, ihr Glück zu versuchen. Notwendig also muß der neue Besitzer den Verstand haben, sich richtig zu benehmen, und tapfern Mut, um bei jedem Vorkommnis zu Angriff und Abwehr bereit zu sein.«

»Bei dem Vorkommnis von heute«, antwortete Sancho, »hätte ich wohl den Verstand nebst dem tapfern Mut besitzen mögen, worüber Euer Gnaden sprechen; aber ich schwör’s auf armen Mannes Wort, mir steht der Sinn mehr nach einem Pflaster als nach Unterhaltung. Seht zu, gnädiger Herr, ob Ihr Euch aufrichten könnt, und dann wollen wir Rosinante auf die Beine helfen, wiewohl er’s nicht verdient. Nie hätt ich so was von Rosinante geglaubt; denn ich hielt ihn für einen keuschen, so friedfertigen Jungen wie mich selbst. Freilich, mit Recht sagt man, es braucht geraumer Zeit, um die Leute kennenzulernen, und nichts Gewisses gibt’s in diesem Leben. Wer hätte gedacht, daß nach jenen so gewaltigen Schwerthieben, wie sie Euer Gnaden dem Unglücksmann, dem fahrenden Ritter von dazumal, versetzt hat, gleich darauf mit der Eilpost dieses gewaltige Unwetter von Prügeln kommen sollte, das sich über unsre Rücken entladen hat?«

»Jedenfalls muß der deinige, Sancho«, entgegnete Don Quijote, »auf solche Ungewitter eingerichtet sein; jedoch der meinige, von Jugend auf an feine Leinwand und Batist gewöhnt, muß natürlich den Schmerz dieses Mißgeschicks weit mehr fühlen; und wäre es nicht darum, daß ich denke – was sage ich, denke? –, daß ich mit völliger Gewißheit weiß, wie solche Unannehmlichkeiten von dem Waffenhandwerk unzertrennlich sind, so möchte ich gleich vor lauter Ingrimm des Todes sein.«

Darauf entgegnete der Schildknappe: »Werter Herr, da solcherlei Unannehmlichkeiten doch einmal die Ernte sind, die das Rittertum einheimst, so sagt mir, ob solche Ernten sehr häufig oder ob sie an ihre bestimmten Zehen gebunden sind, wo sie eintreffen? Denn mich wahrlich will’s bedünken, daß nach zwei Ernten wir für eine dritte nicht mehr nützlich sind, wenn Gott uns nicht mit seinem unendlichen Erbarmen beisteht.«

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