Don Quijote

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11. Kapitel
Von dem, was Don Quijote mit den Ziegenhirten begegnete

Er wurde von den Ziegenhirten mit Freundlichkeit aufgenommen, und nachdem Sancho den Rosinante und sein Eselein, so gut er konnte, versorgt hatte, ging er dem Geruche nach, den etliche Stücke Ziegenfleisch von sich gaben, welche brodelnd in einem Kessel am Feuer standen; und wiewohl er gern auf der Stelle nachgesehen hätte, ob sie schon so weit wären, um sie aus dem Kessel in den Magen zu versetzen, so mußte er es doch unterlassen, weil die Hirten sie bereits vom Feuer wegnahmen, Schaffelle auf den Boden breiteten, schleunigst ihre ländliche Tafel zurichteten und die beiden mit freundlicher Bereitwilligkeit zu dem einluden, was sie vorzusetzen hatten. Sie lagerten sich zu sechsen – so viele waren ihrer zur Hütung bei den Ziegen – um die Felle her, nachdem sie zuvor Don Quijote mit bäurischen Höflichkeiten ersucht hatten, sich auf einen Kübel zu setzen, den sie zu diesem Zwecke umgestülpt und ihm hingestellt hatten. Don Quijote setzte sich, und Sancho blieb stehen, um ihm den Becher, der von Horn war, zu kredenzen.

Als ihn nun sein Herr stehen sah, sprach er zu ihm: »Auf daß du innewerdest, Sancho, wieviel Gutes das fahrende Rittertum in sich begreift und wie diejenigen, die in irgendwelcher Stellung in seinem Dienste arbeiten, bald dahin gelangen, bei der Welt in Ehre und Achtung zu stehen, so will ich, daß du hier an meiner Seite und in Gesellschaft dieser biederen Leute niedersitzest und daß du ganz eins und dasselbe mit mir seiest, der ich doch dein Brotherr und angeborener Gebieter bin, aus meiner Schüssel issest, und trinkest, woraus ich trinke; denn von der fahrenden Ritterschaft kann man dasselbe sagen wie von der Liebe: sie macht alle Dinge gleich.«

»Große Gnade!« entgegnete Sancho; »allein ich kann Euer Gnaden sagen, wenn ich was Gutes zu essen hätte, so würde ich ebensogut und noch besser stehend und für mich allein essen, als wenn ich neben dem Kaiser säße. Ja, wenn ich die Wahrheit sagen soll, weit besser schmeckt mir, was ich in meinem Winkel ohne Umstände und Reverenz verzehre, wenn’s auch nur Brot mit einer Zwiebel ist, als die Truthähne andrer Tafeln, wo ich genötigt wäre, hübsch langsam zu kauen, wenig zu trinken, mich jeden Augenblick abzuwischen, nicht zu niesen noch zu husten, wenn’s mich ankommt, und noch andre Dinge zu unterlassen, die das Frei- und Alleinsein vergönnt. Sonach, edler Herre mein, diese Ehren, die Euer Gnaden mir dafür antun will, daß ich Diener und Genosse der fahrenden Ritterschaft bin, wie ich es denn als Euer Gnaden Schildknappe wirklich bin: verwandelt sie in etwas andres, das mir ersprießlicher und vorteilhafter sein würde; denn selbige Ehren, obschon ich sie für richtig empfangen annehme, ich verzichte darauf für alle Zeit von jetzt ab bis zum Ende der Welt.«

»Trotz alledem mußt du dich setzen; denn wer sich erniedrigt, den wird Gott erhöhen.« Und ihn am Arme fassend, nötigte er ihn, sich an seiner Seite niederzusetzen.

Die Ziegenhirten konnten das Kauderwelsch von Schildknappen und fahrenden Rittern nicht verstehen und taten nichts als essen und schweigen und ihren Gästen ins Gesicht sehen, wie sie mit viel Anstand und Appetit faustgroße Stücke hinunterschluckten.

Als man mit dem ersten Gang, der Fleischspeise, zu Ende war, schütteten sie einen großen Haufen getrockneter Eicheln auf die Schaffelle und setzten zugleich einen halben Käse auf, härter als Mörtel. Dabei blieb der Hornbecher nicht müßig; denn bald voll und bald leer, wie ein Eimer am Ziehbrunnen, ging er so häufig in die Runde, daß er von den zwei Schläuchen, die da zu sehen waren, einen mit Leichtigkeit leerte.

Nachdem Don Quijote seinen Magen gehörig befriedigt hatte, nahm er eine Handvoll Eicheln auf, betrachtete sie nachdenklich und erhob die Stimme zu folgender Rede: »Glückliche Jahrhunderte, glückliches Zeitalter, dem die Alten den Namen des Goldenen beilegten, und nicht deshalb, weil das Gold, das in unserm eisernen Zeitalter so hoch geschätzt wird, in jenem beglückteren ohne Mühe zu erlangen gewesen wäre, sondern weil, die damals lebten, die beiden Worte dein und mein nicht kannten. In jenem Zeitalter der Unschuld waren alle Dinge gemeinsam. Keiner bedurfte, um seinen täglichen Unterhalt zu gewinnen, einer andern Mühsal, als die Hand in die Höhe zu strecken, um ihn von den mächtigen Eichen herabzuholen, die freigebig jeden zu ihren süßen gereiften Früchten einluden. Klare Quellen und rieselnde Bäche boten ihnen in herrlicher Fülle ihr wohlschmeckendes, kristallhelles Wasser. In den Spalten der Felsen, in den Höhlungen der Bäume hatten die sorgsamen klugen Bienen ihr Gemeinwesen eingerichtet und boten ohne Eigennutz einer jeglichen Hand die reiche Ernte ihrer köstlich süßen Arbeit. Die gewaltigen Korkbäume spendeten von selbst, ohne andre Bemühung als die ihrer freundlichen Bereitwilligkeit, ihre breite leichte Rinde, und mit dieser begannen die Menschen ihre auf rohen Pfählen ruhenden Häuser zu decken, lediglich zum Schutze gegen des Himmels Unfreundlichkeit. Alles war Friede damals, alles Freundschaft, alles Eintracht; noch hatte des gekrümmten Pfluges schwere Schar sich nicht erdreistet, die heiligen Eingeweide unsrer Urmutter zu zerreißen und zu durchfurchen; denn ohne Nötigung bot sie überall aus ihrem weiten fruchtbaren Schoße, was nur immer die Söhne, deren Eigentum sie damals war, zur Sättigung, Erhaltung und Ergötzung bedurften. Ja, damals wandelten die unschuldigen schönen Mägdlein von Tal zu Tal und von Hügel zu Hügel, das Haar in Flechten oder frei fliegend, ohne andre Bekleidung, als was erforderlich, um zu verschleiern, was die Ehrbarkeit zu verhüllen gebietet und stets geboten hat; und ihr Putz war nicht solcher Art, wie er jetzt bräuchlich, den der Purpur von Tyrus und die mit so mannigfachen Zubereitungen zermarterte Seide kostbar machen, sondern er bestand aus ineinandergeflochtenen Blättern von grünem Kletterkraut und Efeu, womit sie vielleicht ebenso prächtig und geschmückt einhergingen wie jetzt unsre Hofdamen mit den seltenen und erstaunlichen Erfindungen, die der müßige Drang nach Neuem sie gelehrt hat.

Damals schmückten sich die Liebesworte des Herzens mit derselben Einfachheit und Unschuld, wie das Herz sie gedacht, ohne nach künstlichen Wendungen und Redensarten zu suchen, um ihnen einen vornehmen Anstrich zu geben. Noch hatten Betrug, Arglist, Bosheit sich nicht unter Wahrheit und Einfalt gemischt. Die Gerechtigkeit hielt sich innerhalb ihrer eignen Grenzen, ohne daß die Herrschaft der Gunst oder des Eigennutzes sie zu stören oder zu verletzen wagte, welche jetzt das Recht so arg schädigen, verwirren und verfolgen. Das Gesetz der Willkür hatte sich noch nicht im Geiste des Richters festgesetzt; denn es gab damals nichts und niemanden zu richten. Die Jungfrauen und die Ehrbarkeit wandelten, wie ich gesagt, allerwegen einsam und allein, ohne Besorgnis, daß fremde Dreistigkeit und lüsterne Absicht sie schädigten, und Unkeuschheit entsprang bei ihnen nur aus ihrer Neigung und eignem freiem Willen. Jetzt aber, in diesen unsren abscheulichen Zeiten, ist keine sicher, wenn auch ein neues Labyrinth wie das kretische sie verbärge und verschlösse; denn auch hier dringt mit der Anreizung der verruchten Umwerbungen die Liebespest herein und bringt ihre ganze Enthaltsamkeit zum Scheitern. Ihnen zur Beschirmung wurde, da im Fortgang der Zeiten die Schlechtigkeit stets höher wuchs, der Orden der fahrenden Ritter eingesetzt, um die Jungfrauen zu verteidigen, die Witwen zu schützen und den Waisen und Hilfsbedürftigen beizustehen. Zu diesem Orden gehöre auch ich, ihr guten Ziegenhirten, denen ich für die Gastlichkeit und freundliche Aufnahme, die ihr mir und meinem Schildknappen zuteil werden lasset, herzlich danke; denn obwohl nach dem Naturgesetz jeder Lebende verpflichtet ist, den fahrenden Rittern Gunst zu erweisen, so weiß ich doch, daß ihr, ohne diese Verpflichtung zu kennen, mich aufgenommen und wohl bewirtet habt; und darum ist es recht und billig, daß ich mit aller Freundlichkeit, deren ich fähig bin, die eure dankend anerkenne.«

Diese lange Rede, welche ganz gut hätte unterbleiben können, hielt unser Ritter aus dem Anlaß, daß die ihm gespendeten Eicheln ihm das Goldne Zeitalter in Erinnerung brachten, und so gelüstete es ihn, diese zwecklosen Worte an die Ziegenhirten zu richten, welche ohne ein Wort der Erwiderung ihm mit offenem Munde und still vor Verwunderung zuhörten.

So schwieg auch Sancho und verzehrte Eicheln und besuchte gar häufig den zweiten Schlauch, den sie, um den Wein zu kühlen, an einer Korkeiche aufgehängt hatten.

Don Quijote brauchte mehr Zeit zum Reden als das Abendmahl, um zum Schluß zu kommen. Als dieses zu Ende war, sagte einer der Hirten: »Auf daß Euer Gnaden mit um so mehr Recht sagen könne, daß wir Euch, Herr fahrender Ritter, bereitwilligst und freundlichst aufnehmen, wollen wir Euch noch eine Lust und Ergötzlichkeit bereiten und einen unsrer Kameraden bitten, daß er Euch was singt. Er wird bald hier sein; er ist ein gar geschickter Bursche und gar sehr verliebt, und obendrein kann er lesen und schreiben und spielt die Fiedel, daß man sich nichts Schöneres wünschen kann.«

Kaum hatte der Hirte ausgeredet, als der Ton der Fiedel zu ihren Ohren drang, und bald kam auch der Fiedelspieler selbst, ein Jüngling von etwa zweiundzwanzig Jahren und äußerst angenehmen Manieren. Seine Kameraden fragten ihn, ob er schon zu Abend gegessen, und da er mit Ja antwortete, sagte ihm der Hirte, der dem Ritter das Anerbieten gemacht hatte: »Demnach, Antonio, kannst du uns gewiß den Gefallen tun, ein wenig zu singen, damit hier unser Herr Gast sieht, daß es auch im Gebirg und Wald Leute gibt, die etwas von der Musik verstehen. Wir haben ihm von deinen Kunstfertigkeiten erzählt und wünschen, daß du sie ihm zeigst und ihm beweist, daß wir die Wahrheit gesagt; und so bitte ich dich denn bei deinem Leben, setz dich und sing uns das Lied von deiner Liebschaft, das dein Oheim, der Kaplan, verfaßt hat und das allen Leuten im Ort so gut gefallen hat.«

 

»Sehr gern«, erwiderte der Jüngling, und ohne sich lange bitten zu lassen, setzte er sich auf den Stumpf einer gestutzten Eiche, stimmte seine Fiedel und begann alsbald mit anmutigem Gebaren zu singen:

Antonio an Olalla

Ja, du liebst mich, und ich weiß es,

Wenn dein Mund auch schweigsam bliebe,

Deine Augen selbst nie sprachen,

Stumme Zungen sie der Liebe.

Da ich weiß, du bist verständig,

Mußt du wahrlich mich erkiesen,

Denn wenn Liebe recht erkannt wird,

Wird sie nie zurückgewiesen.

Manchmal hast du zwar, Olalla,

Mir gezeigt so rauhe Mienen,

Daß von Stein dein weißer Busen,

Und die Seel aus Erz erschienen.

Doch in deinem spröden Zürnen,

Das als Tugend wird gepriesen,

Hat gar manchmal mir die Hoffnung

Ihres Mantels Saum gewiesen.

Deinem Lockton fliegt mein Herz nach,

Dessen Glut nie konnte sinken,

Wenn du zürntest, und nie steigen,

Wenn Erhöhung schien zu winken.

Doch wenn holde Miene Lieb ist,

Dann schließ ich aus deinen Mienen,

Daß mein Hoffen an das Ziel kommt,

Das als Traumbild mir erschienen.

Und wenn treue Dienste helfen

Spröder Herzen Gunst erringen,

Muß gar manches, das ich tat,

Meiner Sache Hilfe bringen.

Oft ja sahst du, wenn Beachtung

Meinem Tun du hast geliehen,

Daß ich montags trug, was sonst mich

Freut’ am Sonntag anzuziehen.

Weil sich Lieb und schmucke Kleidung

Immer gut zusammen schicken,

Wollt ich stets, daß deine Augen

Mich in feiner Tracht erblicken.

Wie ich tanzte dir zuliebe,

Kam, um Ständchen dir zu bringen,

Rühm ich nicht; du hörtest nachts oft

Bis zum Hahnenschrei mein Singen.

Nicht sag ich, wie deiner Schönheit

ich manch Loblied angestimmet,

Daß, obwohl ich Wahrheit sprach,

Manche Maid mir drob ergrimmet.

Die aus Berrocal, Teresa,

Sprach, als ich dich jüngst gepriesen:

»Manch Verliebter sieht als Engel,

Was sich bald als Aff erwiesen.

Das kommt von erborgten Haaren

Und den Futtern, Bändern, Ringen

Und von den erlognen Reizen,

Die selbst Amor hintergingen.«

Gleich straft ich sie Lügen; kam ihr

Vetter gleich, ihr beizuspringen,

Bot mir Kampf; du weißt, was er da

Und was ich vermocht im Ringen.

Nicht lieb ich so oberflächlich,

Nicht auch wag ich dich zu minnen

Von gemeiner Lüste wegen;

Tugendsamer ist mein Sinnen.

Seidne Bande hat die Kirche,

Gut, um sich darein zu schmiegen;

Unters Joch leg deinen Nacken,

Werd ich meinen drunter biegen.

Sonst, beim größten Heilgen schwör ich,

Wenn du deinem treuen Diener

Absagst, zieh ich vom Gebirge

Fort und werd ein Kapuziner.

Hiermit beschloß der Ziegenhirte sein Lied, und während Don Quijote ihn bat, noch etwas zu singen, wollte doch Sancho Pansa nichts davon wissen, weil er mehr Lust hatte zu schlafen, als Lieder zu hören. Und so sagte er denn zu seinem Herrn: »Euer Gnaden könnte sich wohl jetzt gleich niederlegen, wo Ihr diese Nacht zubringen sollt; denn die braven Leute haben den ganzen Tag über so viel Arbeit, daß sie ihnen nicht erlaubt, die Nächte mit Gesang zu verbringen.«

»Ich verstehe dich schon«, entgegnete Don Quijote, »und es ist mir ziemlich klar, daß deine Besuche beim Weinschlauch mehr mit Schlaf als mit Musik belohnt sein wollen.«

»Es schmeckt gottlob uns allen gut«, antwortete Sancho.

»Das leugne ich nicht«, versetzte Don Quijote; »aber mache dir’s bequem, wo du willst; denn denen von meinem Beruf ist es ziemlicher zu wachen, als zu schlafen. Jedoch bei alledem war’s gut, wenn du noch einmal nach meinem Ohre sähest; denn es schmerzt mich mehr als nötig.«

Sancho tat, wie ihm befohlen, und als einer der Hirten die Wunde bemerkte, sagte er ihm, er möge nur unbesorgt sein; er wolle ein Mittel anwenden, womit sie leicht heilen würde. Er pflückte einige Blätter vom Rosmarin, der dort herum in Menge wuchs, kaute sie und mengte etwas Salz darunter, legte sie aufs Ohr und verband es sorgfältig, mit der Versicherung, daß er keines Heilmittels weiter bedürfe; und so war es in der Tat.

12. Kapitel
Von dem, was ein Ziegenhirt der Tischgesellschaft Don Quijotes erzählte

Indem kam ein anderer Junge herzu, einer von denen, die ihnen die Lebensmittel aus dem Dorfe holten, und sagte: »Wißt ihr, was im Dorf vorgeht, Kameraden?«

»Wie können wir das wissen?« antwortete einer von ihnen.

»So hört denn«, fuhr der Junge fort, »heute morgen ist der berühmte studierte Schäfer, der Grisóstomo, gestorben, und man munkelte, er sei aus Liebe zu jenem Teufelsmädchen gestorben, der Tochter des reichen Guillermo, derselben, die in Hirtentracht durch die abgelegenen Wildnisse dorten herumzieht.«

»Du meinst wohl Marcela«, sagte einer.

»Die mein ich«, antwortete der Ziegenhirt, »und was das schönste ist, er hat in seinem Letzten Willen verordnet, man solle ihn im freien Feld begraben, als wäre er ein Mohr gewesen, und zwar unten am Felsen, wo die Quelle bei dem Korkbaum ist; denn wie es heißt – und sie erzählen, er selbst habe es gesagt –, ist das der Ort, wo er sie zum erstenmal gesehen. Und noch andere Dinge hat er bestimmt, die, wie die Geistlichen im Dorf sagen, nicht geschehen dürfen und die auch nicht recht sind; denn sie kommen einem vor wie Bräuche von Heiden. Auf all das aber entgegnet sein Herzensfreund, der Student Ambrosio, der auch die Hirtentracht wie er angelegt, daß alles so geschehen muß, ohne daß ein Tüpfelchen daran fehlt, wie es der Grisóstomo verordnet hinterlassen hat, und darüber ist der ganze Ort in Aufruhr. Aber wie die Leute sagen, wird zuletzt doch alles geschehen, was Ambrosio und alle die Schäfer, seine guten Freunde, wollen, und morgen kommen sie und wollen ihn mit großer Pracht begraben, an derselben Stelle, wie ich gesagt. Und ich denke mir, da gibt es viel zu sehen; ich wenigstens will nicht unterlassen hinzugehen, auch wenn ich wüßte, daß ich morgen nicht mehr ins Dorf zurück könnte.«

»Wir alle tun das gleiche«, erwiderten die Hirten und wollten das Los werfen, wer dableiben sollte, für alle andern die Ziegen zu hüten.

»Hast recht, Pedro«, sprach einer von ihnen, »aber zu losen braucht ihr gar nicht; ich will für alle dableiben; und nicht aus tugendsamen Beweggründen oder Mangel an Neugier, sondern weil ich wegen des Splitters, den ich mir vor einigen Tagen in den Fuß gestochen habe, nicht gehen kann.«

»Trotz alledem sind wir dir dankbar dafür«, entgegnete Pedro.

Don Quijote fragte Pedro, wer jener Verstorbene und wer jene Schäferin sei. Darauf erwiderte Pedro, alles, was er wisse, sei, daß der Verstorbene ein reicher und vornehmer Herr gewesen, aus einem Dorfe dort im Gebirge; er sei lange Jahre in Salamanca Student gewesen und dann mit dem Ruf eines hochgelahrten und sehr belesenen Mannes in sein Dorf zurückgekommen. »Sonderlich, sagten die Leute, verstand er die Wissenschaften von den Sternen und wußte, was Sonne und Mond dort am Himmel treiben; denn er sagte uns jedesmal pünktlich die Hindernisse von Sonne und Mond.«

»›Finsternisse‹ heißt’s, guter Freund, und nicht ›Hindernisse‹, wenn diese beiden großen Himmelslichter sich verdunkeln«, sagte Don Quijote.

Aber Pedro kümmerte sich nicht um Kleinigkeiten und fuhr mit seiner Erzählung fort: »So hat er auch proffenzeit, ob es eine gute Ernte oder ein Mistjahr gäbe.«

»›Mißjahr‹ wollt Ihr sagen«, fiel Don Quijote ein.

»Mißjahr oder Mistjahr«, antwortete Pedro, »kommt alles auf eins heraus. Und ich sag Euch, durch all das, was er ihnen sagte, wurde sein Vater samt Freunden steinreich; denn sie taten, was er ihnen riet, je nachdem er ihnen sagte: ›Säet dieses Jahr Gerste und keinen Weizen; dieses Jahr könnt ihr Kichererbsen säen und keine Gerste; das nächste Jahr wird ein Jahr reichster Ölernte sein, in den drei folgenden wird man keinen Tropfen eintun.‹«

»Diese Wissenschaft heißt man Astrologie«, sagte Don Quijote.

»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, versetzte Pedro; »aber ich weiß, daß er alles das wußte und noch mehr. Kurz und gut, es gingen nicht viel Monate ins Land, seit er von Salamanca kam, da zeigte er sich auf einmal als Schäfer gekleidet mit seinem Krummstab und Schafpelz; den langen Rock, den er als ein studierter Mann trug, hatte er abgelegt, und zugleich mit ihm kleidete sich als Schäfer sein Herzensfreund Ambrosio, der beim Studieren sein Kamerad gewesen. Ich hab zu sagen vergessen, daß der Grisóstomo, der Verstorbene, ein großer Mann war im Dichten und Reimen, so daß er es war, der die Hirtenlieder für die Christnacht machte, auch Fronleichnamsstücke, die die Burschen aus unserem Ort aufführten, und jeder sagte, sie wären über alle Maßen schön. Wie die Leute vom Ort plötzlich die beiden studierten Jünglinge in Schäfertracht erblickten, waren sie höchlich verwundert und konnten den Grund nicht erraten, der sie zu einer so sonderbaren Verwandlung bewogen hatte. Inzwischen war der Vater des Grisóstomo gestorben, und er erbte ein sehr großes Vermögen sowohl an fahrender Habe als auch an Grund und Boden und eine nicht geringe Menge von großem und kleinem Vieh und einen großen Haufen bares Geld; über alles das war er nun der uneingeschränkte Herr. Und in Wahrheit, er war das alles wert, denn er war ein guter Kamerad und war mildtätig und ein Freund der Redlichen und hatte ein Gesicht wie ein wahrer Segen Gottes. Später hat man in Erfahrung gebracht, daß er aus keiner andern Ursach seine Tracht veränderte, als weil er in diesen abgelegenen Gründen jener Marcela nachgehen wollte, die unser Junge vorher genannt hat; in die hatte sich der arme Kerl von Grisóstomo, der anjetzo tot ist, verliebt. Und jetzt will ich Euch sagen, denn es gehört sich, daß Ihr es wisset, wer dies Mägdlein ist, vielleicht, oder auch ganz gewiß, habt Ihr dergleichen Euer Lebtage nicht gehört, und wenn Ihr auch länger lebt als Jerusalem.«

»Sagt ›Methusalem«‹, versetzte Don Quijote, der die Wortverwechslung des Ziegenhirten nicht leiden mochte.

»Ach, das Jerusalem hat auch ein langes Leben gehabt«, entgegnete Pedro, »und wenn es so geht, Herr, und Ihr mir jeden Ritt an den Worten mäkeln wollt, so werden wir in einem Jahr nicht fertig.«

»Entschuldiget, guter Freund«, entgegnete Don Quijote, »ich sagte es nur, weil ein so großer Unterschied zwischen Jerusalem und Methusalem ist; aber Eure Antwort war sehr gut, denn allerdings hat Jerusalem noch ein längeres Dasein als Methusalem. Und fahret nun mit Eurer Geschichte fort, ich will Euch in nichts mehr hineinreden.«

»Ich sage also, liebster, bester Herr«, sprach der Ziegenhirt, »daß in unserm Dorf ein Bauer lebte, der noch reicher war als Grisóstomos Vater; der hieß Guillermo, und ihm schenkte Gott neben dem vielen und großen Reichtum eine Tochter, deren Geburt die Mutter das Leben kostete; das war die bravste Frau, die man weit und breit im Lande finden mochte. Mir kommt’s vor, ich sehe sie noch, mit jenem Gesicht, auf dem zu einer Seite die Sonne und zur andern der Mond leuchtete, und vor allem war sie fleißig zur Arbeit und eine Freundin der Armen, weshalb ich glaube, ihre Seele wohnt jetzt zur Stunde in jener Welt im Genusse von Gottes Seligkeit. Aus Schmerz über den Tod einer so vortrefflichen Frau starb ihr Mann Guillermo und ließ seine Tochter Marcela unter der Vormundschaft ihres Oheims, eines Geistlichen, der in unserm Ort die Pfründe innehat. Das Kind wuchs zu solcher Schönheit heran, daß es uns an die erinnerte, die seine Mutter in so hohem Grade besessen, und bei alldem war doch das allgemeine Urteil, daß die der Tochter sie noch übertreffen werde. Und so ist’s auch gekommen; denn als sie zum Alter von vierzehn bis fünfzehn Jahren gelangte, schaute sie keiner an, ohne daß er nicht Gott lobpries, der sie so schön geschaffen, und schier jeder war auf den Tod verliebt in sie. Ihr Oheim hielt sie unter guter Aufsicht und in großer Eingezogenheit; aber trotzdem verbreitete sich der Ruf ihrer absonderlichen Schönheit so sehr, daß um derentwillen sowohl als ihres großen Reichtums wegen nicht nur von den Leuten aus unserem Dorfe, sondern von denen aus der ganzen Gegend, viele Meilen in der Runde, und zwar von den angesehensten, der Oheim täglich angegangen, mit Bitten bestürmt und heftig gedrängt wurde, sie ihnen zum Weibe zu geben. Aber er, ein richtiger guter Christ, wenn er sie auch gern verheiratet hätte, als er sie in dem Alter dazu sah, wollte es nicht ohne ihre Einwilligung tun, – gewißlich ohne daß er ein Auge auf den Vorteil und Erwerb hatte, den ihm die Verwaltung von Hab und Gut des Mädchens bot, wenn er ihre Verheiratung hinausschob. Und wahrlich, in mehr als einem Plauderkränzchen im Dorfe ist das zum Lobe des geistlichen Herrn gesagt worden. Ihr müßt nämlich wissen, fahrender Herr Ritter, daß in diesen kleinen Ortschaften über alles geschwatzt und alles bös mitgenommen wird; und seid überzeugt, wie ich es bin, daß der Geistliche über die Maßen brav sein muß, der seine Pfarrkinder nötigt, Gutes von ihm zu reden, zumal auf dem Lande.«

 

»So ist’s in Wahrheit«, sagte Don Quijote, »und fahrt weiter fort; denn die Erzählung ist sehr anziehend, und Ihr, mein guter Pedro, erzählt sie so hübsch, daß man sein Wohlgefallen daran haben muß.«

»Möge Gottes Wohlgefallen mir nicht gebrechen, denn das ist die Hauptsache. Und fürs übrige müßt Ihr wissen, daß, obschon der Oheim seiner Nichte Vorschläge tat und ihr die Vorzüge eines jeden ihrer vielen Freier im besondern auseinandersetzte und sie bat, zu heiraten und die Wahl nach ihrem Geschmack zu treffen, sie nie eine andre Antwort gab, als daß sie sich für jetzt nicht verheiraten wolle, und sie halte sich wegen ihrer großen Jugend nicht für geeignet, die Lasten der Ehe zu tragen. Auf diese dem Anscheine nach ganz triftigen Gründe hörte der Oheim mit seinem Zureden auf und wartete ab, bis sie etwas mehr in die Jahre käme und selbst nach ihrer Neigung einen Lebensgefährten wählen würde. Denn er sagte, und sagte sehr mit Recht, die Eltern sollten ihren Kindern nicht wider ihren Willen einen Hausstand gründen. Aber sieh da, ehe man sich’s versieht, eines Tages kommt die launische Marcela in der Tracht einer Schäferin gegangen; und ohne daß ihr Oheim oder die Leute im Ort, die es ihr alle abrieten, etwas dagegen vermochten, fiel es ihr ein, mit den andern Mädchen vom Dorf aufs Feld zu gehen und ihre Herde selbst zu hüten. Und wie sie nun unter die Leute ging und man ihre Schönheit ohne Schleier erblickte, da kann ich gar nicht gebührend sagen, wieviel reiche Jünglinge, so Junker wie Bauern, seitdem die Tracht des Grisóstomo angenommen haben und überall auf der Flur umher ihr den Hof machen.

Zu denen, wie ich Euch schon gesagt, gehörte auch der Verstorbene, und die Leute sagten, er habe zuletzt aufgehört, sie zu lieben, und sie nur noch angebetet. Man muß aber nicht denken, daß Marcela, weil sie sich solcher Freiheit und solch zwanglosem Leben, wobei so wenige oder gar keine Zurückgezogenheit möglich, ergeben hat, darum irgendein Merkmal, auch nur mit dem geringsten Anschein, hätte sehen lassen, das ihrer Ehrbarkeit und Züchtigkeit zur Schädigung gereichte; vielmehr ist die Wachsamkeit, mit der sie ihre Ehre hütet, so groß und solcher Art, daß von allen, die ihr dienen und um sie werben, keiner sich je gerühmt hat noch in Wahrheit je rühmen kann, sie hätte ihm nur die kleinste Hoffnung vergönnt, seinen Wunsch zu erreichen. Denn sie will zwar die Gesellschaft und Unterhaltung mit den Hirten nicht fliehen noch vermeiden und behandelt sie höflich und freundlich; sobald aber einer von ihnen, wer auch immer, so weit geht und ihr seine Absichten entdeckt, seien sie auch so redlich und heilig, wie es das Begehren einer Heirat ist, schleudert sie ihn weit von sich weg, wie aus einer Wurfmaschine geschossen. Und mit dieser Art von Benehmen richtet sie mehr Schaden in diesem Lande an, als wenn die Pest darin einzöge. Denn ihre Umgänglichkeit und Schönheit verleitet die Herzen derer, die mit ihr verkehren, ihr Huldigung und Liebe zu widmen; aber die Verschmähung und Enttäuschung, die sie ihnen werden läßt, treibt die Leute der Verzweiflung entgegen, und so wissen sie nicht mehr, was sie ihr sagen sollen, außer sie mit lauter Stimme grausam und undankbar zu schelten, nebst andren Benennungen solcher Art; Ausdrücken, die ganz richtig ihre Gemütsart kennzeichnen. Wenn Ihr, Herr, Euch einmal hier verweiltet, würdet Ihr finden, wie die Berge und Täler hier widerhallen von den Wehklagen der Verschmähten, die ihr nachlaufen. Nicht weit von hier ist ein Platz, wo etwa zwei Dutzend hoher Buchen stehen, und da ist keine, die nicht auf ihrer glatten Rinde den Namen Marcela eingegraben und eingezeichnet trägt, und hie und da ist eine Krone darüber in den Baum geschnitten, als ob der Verliebte sagen wollte, daß Marcela die Krone aller irdischen Schönheit trägt und verdient. Hier stößt ein Schäfer Seufzer aus, dort wehklagt ein andrer, an jener Stelle hört man verliebte Lieder, an dieser verzweiflungsvolle Trauergesänge. Es gibt manchen, der die ganze Nacht unter einer Eiche oder einem Felsgrat sitzen bleibt; und ohne daß er die tränenvollen Augen schließt, in seine Gedanken verloren und verzückt, hat ihn öfters die Sonne noch am Morgen dort gefunden; es gibt manchen, der, ohne seiner Qual einen Ausweg oder einen Augenblick Ruhe zu vergönnen, sich mitten in der Hitze des drückendsten Sommermittags auf den glühenden Sand hinstreckt und seine Klagen zum erbarmungsvollen Himmel schickt; und über diesen und über jenen und über all diese und all jene, frei und unbefangen, triumphiert die schöne Marcela. Und wir alle, die wir sie kennen, stehen in Erwartung, wo ihre Hoffart am Ende hinauswill und wer der Glückliche sein wird, der einen so schrecklichen Charakter bändigen und einer so außerordentlichen Schönheit Herr werden soll. Sintemal nun alles, was ich berichtet, so zweifellos wahr ist, so denke ich, es ist ebenso mit den Angaben über die Ursache vom Tode des Grisóstomo, die unser Bursche uns berichtet hat. Und so rat ich Euch, Señor, unterlasset nicht, Euch morgen bei seinem Begräbnis einzufinden; es ist gewiß sehr sehenswert; denn Grisóstomo hat viele Freunde, und von hier bis zu der Stelle, wo er begraben sein wollte, ist’s keine halbe Meile.«

»Ich halt es wohl im Sinn«, sagte Don Quijote, »und danke Euch für das Vergnügen, das Ihr mir mit dem Vortrag einer so anziehenden Geschichte gewährt habt.«

»Oh!« entgegnete der Hirt, »ich weiß lange nicht die Hälfte von all dem, was sich mit den Liebhabern der Marcela zugetragen hat; aber möglicherweise finden wir morgen unterwegs einen Schäfer, der uns alles erzählt. Jetzt aber wird’s gut sein, wenn Ihr unter Dach und Fach schlafen geht; denn die Nachtluft könnte Eurer Wunde Schaden tun, wiewohl das Heilmittel, das Euch aufgelegt worden, derart ist, daß von keinem widrigen Zufall mehr etwas zu besorgen steht.«

Sancho Pansa, der schon längst das lange Gerede des Hirten zum Teufel wünschte, bat auch seinerseits darum, sein Herr möge in Pedros Hütte schlafen gehen. So tat er es denn, und der größte Teil der Nacht verging ihm unter Gedanken an seine Gebieterin Dulcinea, in Nachahmung der Liebhaber Marcelas. Sancho Pansa machte sich’s zwischen Rosinante und seinem Esel bequem und schlief, nicht wie ein verschmähter Liebhaber, sondern wie ein wohlzerprügelter Schildknappe.

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