Kirchliches Begräbnis trotz Euthanasie?

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Из серии: Erfurter Theologische Studien #113
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In Konsequenz der terminologischen Unzulänglichkeiten gibt es im deutschen Sprachraum kein einheitliches terminologisches Konzept, welches ganzheitliche Akzeptanz erhält. Es existieren nebeneinander Ansätze von absoluter Vermeidung des Euthanasiebegriffs61 über die Verwendung beider Begriffe als synonyme Oberbegriffe62 mit partieller adjektivischer Spezifizierung63 bis hin zum Gebrauch von Euthanasie als Äquivalent zur direkten, aktiven Sterbehilfe.64 Zudem gibt die Divergenz der terminologischen Konzepte kontinuierlich Anlass für neue Vorschläge, um irreführende und missverständliche Begriffe abzulösen.

Im Kontext eines Entwurfs eines Sterbehilfegesetzes in Deutschland wurde bereits 1986 die klassische Dreiteilung in aktive, passive und indirekte Sterbehilfe scharf kritisiert und als veraltet bezeichnet. Bei gleichzeitigem Verzicht der gängigen Begriffe wurde die Verwendung von Tötung auf Verlangen, Abbruch oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen und leidensmindernden Maßnahmen vorgeschlagen.65 Die jeweiligen medizinischen Handlungen sollten individuell benannt und nicht durch Subsumtion unter einen Oberbegriff sowohl formal wie auch materiell miteinander verknüpft werden. Für den medizinischen Bereich in Deutschland plädierte die Bundesärztekammer (=BÄK) in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung von 1998, 2004 sowie letztmalig 2011 konsequent für den Verzicht auf den Sterbehilfebegriff.66 Auch der Nationale Ethikrat forderte 2006,

„die eingeführte, aber missverständliche und teilweise irreführende Terminologie von aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe aufzugeben. Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken, können angemessen beschrieben und unterschieden werden, wenn man sich terminologisch an folgenden Begriffen orientiert: Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende, Sterbenlassen, Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen.“67

Sofern der Nationale Ethikrat den Behandlungsabbruch bzw. -verzicht unter Sterbebegleitung verstanden wissen wollte, wurde wiederum kritisiert, dass er zumindest aus strafrechtlicher Perspektive ebenfalls missverständlich sei.68 Daher stand der Rechts- und Staatswissenschaftler Thomas Verrel in seinem Gutachten zu Patientenautonomie und Strafrecht bei der Sterbebegleitung für den 66. Deutschen Juristentag im Jahr 2006 für die Verwendung einer klaren und emotionsentladenen Terminologie wie Tötung auf Verlangen, Behandlungsbegrenzung und Leidensminderung ein.69

Trotz der stichhaltigen und schlüssigen Argumente gegen die Verwendung des Sterbehilfebegriffs konnte sich zumindest in der gesellschaftlichen Debatte im deutschsprachigen Raum keiner der vormals benannten Ablösungsvorschläge durchsetzen, ohne dies als Kompetenzzuweisung an den Sterbehilfebegriff aufgrund seiner Tradition misszuverstehen.

2.1.3. Zusammenfassung

Der Begriff Euthanasie diente in der Antike lediglich der Beschreibung eines guten Todes, der den Sterbenden auf leichte, schnelle, ruhmreiche oder auch würdevolle Art und Weise ereilte. Der Gedanke, selbst für einen guten Tod zu sorgen, trat erstmalig in den utopischen Schriften der Renaissance zum Vorschein, womit der Euthanasiebegriff einen ersten aktiven Einschnitt erfuhr. Zur Zeit der Aufklärung wurde unter Euthanasie die Aufgabe der Ärzte verstanden, für ein schmerzloses und angenehmes Sterben im Sinn einer palliativmedizinischen Sterbebegleitung zu sorgen. Im Horizont darwinistischen, selektionstheoretischen und utilitaristischen Gedankenguts wurde unter Zuhilfenahme des Euthanasiebegriffs ein Recht auf Tötung auf Verlangen in der Hermeneutik menschlichen Mitleids reflektiert. Diese theoretischen Gedanken setzte das NS-Regime in die Praxis um und verfolgte zur Stärkung der arischen Rasse die Vernichtung lebensunwerten Lebens, wodurch der Euthanasiebegriff im deutschsprachigen Raum konterkariert wurde. Während er im internationalen Kontext über die Nachkriegszeit hinaus für die Debatte über Tötung auf Verlangen kontinuierlich Verwendung fand, ist für den deutschsprachigen Raum ein Austausch zugunsten des Sterbehilfebegriffs zu verzeichnen. Zwar werden einerseits sowohl der Begriff selbst als auch die zur Differenzierung verwendeten Adjektive kritisch betrachtet, sodass aus dem medizinischen, juristischen und politischen Bereich terminologische Vorschläge geäußert werden, andererseits aber konnten sich diese nicht durchsetzen.

Nicht nur für den Seelsorger, der eine medizinische Handlung vor dem Hintergrund der kirchlichen Lehre nach ethischen Kriterien bewerten muss, um Möglichkeiten und Grenzen der Seelsorgegestaltung zu eruieren, sondern auch für den um die Feier eines kirchlichen Begräbnisses bittenden Gläubigen kann die aufgezeigte terminologische Varianz erhebliche Konsequenzen haben. Konfrontiert mit dem Vollzug von Tötung auf Verlangen oder Behandlungsabbruch bzw. -verzicht und der entsprechenden Entscheidung seitens des schwerkranken Menschen muss der Seelsorger die konkret verwendeten Begriffe auf ihre Valenz hinterfragen, um zu wissen, welche medizinische Handlung auch tatsächlich vollzogen wurde. In diesem Stadium seines Entscheidungsprozesses wird er aber mit weiteren disparaten terminologischen Konzepten konfrontiert, mit denen einerseits in Politik und Gesellschaft, andererseits vom kirchlichen Lehramt die Oberbegriffe spezifiziert werden. Hierin konkretisiert sich bereits ein erster und ernster Moment des Zweifels.

2.2. Terminologische Konzepte

Wie bereits angedeutet, finden sowohl der Sterbehilfe- als auch der Euthanasiebegriff im deutschsprachigen wie internationalen Kontext trotz Kritik und Ablösungsversuche weiterhin Verwendung. Ungeachtet seiner ungenügenden und unzureichenden Klarheit soll daher in einem ersten Schritt das geläufige Konzept zur Unterscheidung von lebensverkürzenden bzw. -beendenden Maßnahmen am Lebensende anhand der Begriffe aktive und passive Sterbehilfe bzw. euthanasia70 auf der Handlungsebene, direkte und indirekte auf der Intentionsebene sowie freiwillige, nichtfreiwillige und unfreiwillige auf der situativen Ebene dargestellt werden.71 Diese notwendige Differenzierung dient der Analyse jener Handlungen und Sachverhalte, die aus Sicht der katholischen Kirche eventuell als ethisch unzulässig zu bewerten sind und Konsequenzen für die Anwendung des kirchlichen Rechts nach sich ziehen könnten. So ist beispielsweise die Intention, mit der ein Medikament verabreicht wird, kirchenrechtlich höchst relevant. Die Intention, den Tod durch Medikamentengabe vorzeitig herbeizuführen, stellt einen vollkommen anderen Sachverhalt dar, als die anvisierte Schmerzlinderung mit in Kauf genommener Todesfolge. Zudem ist die Willenshaltung des Patienten bezüglich der vollzogenen Handlung für deren ethische Beurteilung und somit auch über die kirchenrechtlichen Konsequenzen bezüglich Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses entscheidend. Aus diesem Grund soll in einem zweiten Schritt das terminologische Konzept dargestellt und hinterfragt werden, das in den lehramtlichen Dokumenten Verwendung findet. Diese Differenzierung dient der Klärung und Sondierung jener Sachverhalte, die aufgrund ihrer moralischen Fragwürdigkeit für die vorliegende kirchenrechtliche Studie von Belang sind.

2.2.1. Gängige Differenzierung des Sterbehilfebegriffs

Trotz vorgebrachter Alternativen wird auch weiterhin auf die klassische Dreiteilung des Sterbehilfebegriffs in aktiv, passiv und indirekt zurückgegriffen, obwohl diese unter medizinischen und juristischen Gesichtspunkten unzulänglich ist.72 Dem früheren Bamberger Moraltheologen Volker Eid zufolge wurde bereits 1975 unter

- aktiver Sterbehilfe die direkte Herbeiführung des Todes,

- unter passiver das durch Behandlungsverzicht oder -abbruch zugelassene Sterben und

- unter indirekter die intendierte Schmerzlinderung mit nicht intendierter, aber billigend in Kauf genommener Todesfolge als Nebenwirkung der Medikamentengabe

verstanden.73 Die erste offensichtliche Unterscheidung in aktiv/passiv bezeichnet kein physisches Handeln oder Unterlassen eines Dritten am Patienten, sondern qualifiziert das äußere Einwirken auf den natürlichen Sterbeprozess. Aktiv ist Sterbehilfe dann, wenn sie den natürlichen Sterbeprozess abbricht und der Tod aufgrund der Handlung eintritt. Sie ist passiv, wenn der Sterbeprozess nicht mehr mithilfe von Medikamenten oder Therapien verlangsamt oder aufgehalten wird und der Tod durch die Krankheit verursacht wird. An dieser Stelle ist klar hervorzuheben, dass die Begriffe aktiv wie passiv ohne nähere Bestimmung auf deskriptiver Ebene verharren und daher als solche wertneutral bleiben. Sie geben über die Todesursache Auskunft: Abbruch des natürlichen Sterbeprozesses (aktiv) oder das ungebremste und ungehinderte Zulassen des Sterbens durch die Krankheit (passiv).74

Eid verknüpfte den Begriff aktive Sterbehilfe mit der direkten Absicht, den Tod herbeizuführen. Er verstand darunter die direkte (aktive) Sterbehilfe, deren sachlogisches Pendant die indirekte Sterbehilfe darstellt, da auch sie de facto eine Herbeiführung des Todes und den Abbruch des natürlichen Sterbeprozesses bezeichne, auch wenn diese nicht intendiert wurden. Aufgrund ihrer Natur aber muss sie als Teilbereich der aktiven Sterbehilfe betrachtet werden, der bei gleichem Handlungsergebnis, der, wenn auch nicht intendierten Herbeiführung des Todes durch das Begriffspaar direkt/indirekt auf der Intentionsebene näher differenziert wird.75

 

Es bedarf für die moralische und juridische Klärung noch einer dritten Differenzierung, die im Kriterium der Willenshaltung des Patienten angesiedelt und durch freiwillig, nichtfreiwillig und unfreiwillig zu klassifizieren ist. Diese wird oftmals außer Acht gelassen, obwohl sie den Unterschied zwischen direkter aktiver, indirekter aktiver sowie passiver Sterbehilfe einerseits und Mord, Totschlag sowie fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung andererseits ausmacht.

Unterscheidung auf der Ebene der Todesursache – aktiv/passiv

Es wurde aufgezeigt, dass die erste Unterscheidung lebensverkürzender bzw. -nichterhaltender medizinischer Maßnahmen im Kontext von unheilbarer Krankheit in aktive und passive Sterbehilfe keine Information über die Intention oder die Art der Handlung seitens eines Dritten preisgibt, sondern etwas über die Qualität der Todesursache aussagt: Verstarb der Patient an der durch Behandlungsabbruch bzw. -verzicht ermöglichten ungehinderten Ausbreitung der Krankheit (passiv) oder aber ist der Tod als direkte Folge eines Eingriffs einer außenstehenden Person (aktiv) eingetreten.

Als aktive Sterbehilfe sind jene medizinischen Eingriffe einzuordnen, die unmittelbar zum Tod des schwerkranken Patienten führen, sodass der Todeseintritt primär als Folge des äußeren Eingriffs und nicht der bestehenden Krankheit anzusehen ist. Im Gegensatz zu einem üblicherweise präsumierten Tod durch Krankheit kommt es zu einem Wechsel der Todesursache im Zeichen eines dem natürlichen krankheitsbedingten Tod vorweggegriffenen Todes. Für die Charakterisierung einer Handlung als aktive Sterbehilfe ist die Intention des Handelnden irrelevant. Tritt der Tod unabhängig der Intention zur Todesherbeiführung oder zur Schmerzlinderung als Resultat einer Medikamentengabe ein, erfolgte unweigerlich ein Austausch der Todesursache, sodass die Handlung als aktive Sterbehilfe zu qualifizieren ist. Ebenso irrelevant für die Bestimmung einer Handlung als aktiv oder passiv ist die Situation der schweren, unheilbaren Krankheit selbst, die ein entsprechendes (ärztliches) Handeln erst möglich bzw. nötig gemacht hat. Sie ist zwar die conditio sine qua non für das äußere Handeln, nicht aber die direkte Ursache für den Tod.

Als passive Sterbehilfe werden indes jene medizinischen Interventionen angesehen, bei denen die Verlängerung des Lebens bzw. Verzögerung des Sterbeprozesses mithilfe lebenserhaltender oder -verlängernder Therapien nicht mehr verfolgt wird.76 Nach Änderung des Therapieziels gemäß einem würdevollen Sterben wird dem Sterbeprozess nicht mehr mithilfe therapeutischer und intensivmedizinischer Maximalbehandlung entgegengewirkt, sondern stattdessen das aufgrund der Krankheit unausweichliche Sterben lediglich palliativmedizinisch und schmerzlindernd begleitet. Der schwerkranke Patient stirbt zwar in Folge des Behandlungsabbruchs und -verzichts, der Tod aber ist keine direkte Folge des ärztlichen Einwirkens ist, sondern tritt aufgrund der fortschreitenden Krankheit als natürlicher Tod eintritt.77 Weder wird der Tod herbeigeführt noch der Sterbeprozess verkürzt, da lediglich die lebenserhaltenden bzw. -verlängernden therapeutischen Maßnahmen beendet werden oder bereits vor deren Beginn auf diese verzichtet wurde.

Als Argument gegen die Verwendung des Begriffspaares aktiv/passiv wird immer wieder die Konnotation dieser beiden Adjektive mit der Beschreibung menschlichen Handelns als Tun (aktiv) und Unterlassen (passiv) ins Feld geführt. Diese Hermeneutik hätte das Missverständnis zur Folge, dass jedes Tätigwerden eines Dritten – z. B. des Arztes oder Krankenpflegers – als aktive Sterbehilfe und einzig das physische Nichtagieren als passive Sterbehilfe zu bezeichnen seien. Demnach müssten neben der Tötung auf Verlangen und der intendierten Schmerzlinderung mit billigend in Kauf genommener Todesfolge auch sämtliche Formen des Behandlungsabbruchs wie das Abschalten von Beatmungsgeräten oder die Beendigung von künstlicher Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr zum Bereich der aktiven Sterbehilfe gezählt werden, da sie alle eine Tätigkeit implizieren. Als passive Sterbehilfe könnte nach diesem Verständnis einzig der Verzicht auf eine Therapie oder Behandlung verstanden werden.78 Dem ist logisch zu erwidern, dass gerade die Zuordnung sowohl des Behandlungsabbruchs (aktives Verhalten) als auch -verzichts (passives Verhalten) zum Bereich der passiven Sterbehilfe zeigt, dass sich der Begriff passiv eben nicht am menschlichen Tun oder Unterlassen orientiert, zumal weder nach deutschem noch internationalem Recht in der juristischen Bewertung zwischen der Einstellung einer bereits laufenden Therapie und des Behandlungsverzichts unterschieden wird.79

Vor der Assoziation von passiver Sterbehilfe mit einem passiven Verhalten gegenüber Sterbenden im Sinn eines Nichtstuns ist auch mit Blick auf die palliativmedizinische Versorgung zu warnen, da diese dann auch abgebrochen werden müsste, obwohl sie neben „menschenwürdige[r] Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Linderung von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst“80 zur immer verpflichtend auszuübenden Basisversorgung des Patienten gehört. Ein auf der Fehlinterpretation des Begriffs passive Sterbehilfe beruhendes inaktives Verhalten seitens des medizinischen Personals würde beträchtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Unterscheidung auf der Ebene der Intention – direkt/indirekt

Die vorhergehende Differenzierung in aktive und passive Sterbehilfe impliziert sie Subsumtion jener Handlungen unter aktive Sterbehilfe, die einen Wechsel der Todesursache bewirken. Für ihre juristische wie moralische Bewertung gilt es zu klären, ob der durch die medizinische Intervention verursachte Tod vom Handelnden bewusst und zielgerichtet herbeigeführt oder lediglich billigend in Kauf genommen wurde. Dies zieht je nach Sach- und Rechtslage unterschiedliche Konsequenzen nach sich. Vom verwendeten Begriffspaar direkt und indirekt wird das jeweils Zutreffende dem Terminus der aktiven Sterbehilfe vorangestellt.

Als direkte aktive Sterbehilfe sind jene medizinischen Handlungen am Lebensende zu qualifizieren, die erstens den Tod verursacht haben (aktiv) und bei denen zweitens die Herbeiführung des Todes seitens des Handelnden zielgerichtet intendiert war (direkt). Im Gegensatz dazu sind medizinische Interventionen am Lebensende als indirekte aktive Sterbehilfe zu bezeichnen, wenn sie zwar ebenso den Tod verursachen (aktiv), diesen aber aufgrund ihrer palliativmedizinischen Ausrichtung und der schmerzlindernden Intention lediglich billigend, d. h. als vollkommen unbeabsichtigte Nebenwirkung in Kauf nehmen (indirekt).81 Eine solche schmerzlindernde Handlung mit billigend in Kauf genommener Todesfolge wird auf Basis des ethischen Prinzips der Doppelwirkung einer Handlung, welches auf den Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225-1274) zurückgeht,82 nicht als Tötung auf Verlangen gewertet, da sie aufgrund ihres sittlichen Gehalts eindeutig als eine das Gut der Schmerzenslinderung intendierende Handlung zu qualifizieren ist. Alle Handlungen, die dem Bereich der indirekten aktiven Sterbehilfe zuzurechnen sind, gelten daher sowohl nach ethischen wie rechtlichen Maßstäben als zulässig und geboten. Als positives Gut der palliativmedizinischen Umsorgung verfolgen sie langfristig ein würdevolles Sterben.83

Unbeschadet der notwendigen theoretischen Differenzierungen im Bereich der aktiven Sterbehilfe existiere nach Borasio in der Realität jedoch nur noch die direkte aktive Sterbehilfe. Aufgrund der bestehenden Möglichkeiten einer nahezu fehlerlosen Schmerzeinstellung sei die indirekte aktive Sterbehilfe eigentlich inexistent.84

Unterscheidung auf der Ebene der Willenshaltung – freiwillig/unfreiwillig/nichtfreiwillig

Nach der Differenzierung in direkte aktive, indirekte aktive und passive Sterbehilfe mithilfe der Kriterien der Todesursache und der Handlungsintention bedarf es noch einer dritten Unterscheidung, um die moralischen wie rechtlichen Implikationen der Handlung vollends zu erfassen. Dazu sind die verschiedenen Willenshaltungen zu betrachten, die ein schwerkranker Patient in Relation zur jeweiligen medizinischen Handlung einnehmen kann. In der Literatur werden insgesamt drei Sachverhalte unterschieden: freiwillig, unfreiwillig und nichtfreiwillig.85 Wird vom Schwerkranken der Wunsch nach Herbeiführung des Todes, Linderung der Schmerzen durch Medikamente oder Behandlungsabbruch bzw. -verzicht geäußert und in freier Entscheidung einem Vollzug zugestimmt, dann wird von freiwilliger Sterbehilfe gesprochen.86 Werden entsprechende medizinische Eingriffe vorgenommen, obwohl der einwilligungs- und entscheidungsfähige Patient diese abgelehnt bzw. seine Einwilligung verweigert hat oder aber sein Wille von vornherein nicht erfragt wurde, handelt es sich um unfreiwillige Sterbehilfe.87 Als ebenso unfreiwillig werden alle unter Zwang und Druck getroffenen mutmaßlichen Einwilligungen erachtet.88 Der Vollzug von aktiver oder passiver Sterbehilfe an einem entscheidungs- bzw. einwilligungsunfähigen Patienten, der im Zustand der Bewusstlosigkeit verharrt oder seines Vernunftgebrauchs entbehrt, wird nach aktueller Terminologie als nichtfreiwillig bezeichnet.89 Der Patient war nicht in der Lage, eine Entscheidung über den weiteren Behandlungsverlauf zu fällen oder bereits getroffene Entscheidungen zu kommunizieren. In solchen Fällen müssen die behandelnden Ärzte den weiteren Therapieverlauf und das Therapieziel an der medizinischen Indikation auszurichten und weitere Interaktionen mittels einer eventuell vorliegenden Patientenverfügung bzw. bei deren Fehlen durch Eruierung des mutmaßlichen Willens der Person bestimmen.90 Der Begriff nichtfreiwillig bezeichnet die aktuelle Nichtfähigkeit des Patienten zur Willensbekundung.

Zusammenfassung

Als Zusammenfassung der dargelegten Differenzierungen von Sterbehilfe in aktiv/passiv, direkt/indirekt sowie freiwillig/unfreiwillig/nichtfreiwillig soll das folgende Schaubild91 fungieren:


Inmitten der Unterscheidung in aktive und passive Sterbehilfe wurde die (ärztliche) Beihilfe zum Suizid92 aufgenommen, wobei die gestrichelte Linie bewusst die Ambivalenz dieser Subsumtion verdeutlicht. Für eine Aufnahme der Beihilfe zum Suizid in den Bereich der Sterbehilfehandlungen wird ins Feld geführt, dass die außenstehende Person dem darum bittenden schwerkranken Menschen alle benötigten Mittel derart zur Verfügung stellt, dass dieser sich eigenständig das Leben nehmen kann. Der Suizid hätte zwar nicht ohne äußere Handlung vollzogen werden können, dennoch wird die Handlung vom Suizidanten selbst ausgeübt, wodurch dieser den Tod direkt herbeiführt. Als Argument gegen eine Auslegung der Suizidbeihilfe als Sterbehilfe vorgebracht, dass eine Einwirkung auf das Leben bzw. den Sterbeprozess seitens des Außenstehenden weder aktiv noch passiv gegeben ist.93 Dass dem Suizidant die Tatherrschaft zukommt, ist vor allem für die rechtliche Qualifizierung eines Suizids als Suizid und nicht als Sterbehilfehandlung von immenser Bedeutung.94

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass zwischen Suizidbeihilfe und Sterbehilfe zwar eine gewisse Ähnlichkeit besteht, die im Versuch zur Realisierung des Patientenwillens gründet. Die gleichzeitige Unähnlichkeit der beiden Handlungen insinuiert daher auch eine Ungleichwertigkeit.

2.2.2. Die Terminologie des kirchlichen Lehramts seit 1980

Das Lehramt der katholischen Kirche gebraucht in seinen zurückliegenden Verlautbarungen und Stellungnahmen zum ethischen Gehalt von medizinischen Handlungen am Lebensende eine eigene Terminologie. Indem die Teilbereiche Euthanasie als Herbeiführung des Todes, die Anwendung therapeutischer Mittel und die Anwendung schmerzstillender Mittel nach Art ihrer Handlung differenziert und deskribiert werden, wird auf einen terminologischen Oberbegriff wie Sterbehilfe oder Euthanasie sowie dessen adjektivische Ergänzung gänzlich verzichtet. Dadurch bedarf es auch zum näheren Verständnis der terminologischen Differenzierung der einzelnen Handlungskategorien im Gegensatz zur Sterbehilfeterminologie keines verborgenen Kriterienkatalogs (Todesursache, Intention, Willenshaltung).95

 

Die lehramtlichen Terminologie wurde nicht explizit konstruiert, sondern ist im Kontext des immensen medizinischen Fortschritts in den 1940-50er Jahren gewachsen. Pius XII. wurde als Gesprächspartner nach der ethischen Beurteilung bzw. moralischen Zulässigkeit diverser medizinischer Handlungen gefragt und äußerte sich grundlegend zur euthanasia96 als Herbeiführung des Todes zum Erlös von Schmerzen durch Handlung oder Unterlassung.97 Er prägte „den Unterschied zwischen ordentlichen, immer einzusetzenden, und außerordentlichen, nicht in jedem Fall einzusetzenden Mitteln, um damit die Fragen um einen möglichen Behandlungsabbruch bzw. -verzicht bei einem schwer Leidenden bzw. Sterbenden differenzierter betrachten zu können“98 und verwies hinsichtlich der Schmerzmittelgabe mit nichtintendierter Todesfolge auf das traditionelle Prinzip der Doppelwirkung einer Handlung.

Nach einer gewissen Ruhephase in der Nachkriegszeit, die sich auch im Fehlen kirchlicher Stellungsnahmen abbildet, ist parallel zum Anstieg des politischen, medizinischen und gesellschaftlichen Reflektierens über Tötung auf Verlangen, Behandlungsabbruch und -verzicht sowie Schmerzlinderung mit unbeabsichtigter Todesfolge auch seitens des kirchlichen Lehramts eine Zunahme entsprechender Veröffentlichungen zu verzeichnen. Inhaltlich auf die gesellschaftlichen Fragen und Tendenzen reagierend haben diese die kirchliche Lehre von der Unantastbarkeit menschlichen Lebens und die ethische Beurteilung medizinischer Handlungen am Lebensende zum Inhalt. Der Umstand, dass seitens des Apostolischen Stuhls zwischen 1980 und 1995 insgesamt fünf eigenständige Dokumente veröffentlicht wurden, die allgemein dem Kontext von schwerer Krankheit, der Lebenswirklichkeit schwerkranker Patienten und dem Dienst der im medizinischen und pflegerischen Bereich Tätigen gewidmet sind und speziell zur Euthanasie und zur Anwendung therapeutischer und schmerzstillender Mittel Stellung nehmen, zeigt die Bedeutung und Relevanz des gesamten Themenkomplexes, die ihnen seitens des kirchlichen Lehramtes für den christlichen Glauben, den einzelnen Gläubigen als auch die Menschheit selbst beigemessen wurde.

Die päpstlichen Aussagen von Pius XII. aufgreifend veröffentlichte die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre am 5. Mai 1980 die Erklärung Iura et bona99 zu einigen Fragen zur kirchlichen Lehre bezüglich der Euthanasie. Obwohl die von den vorangegangenen Päpsten herausgestellten Grundsätze der kirchlichen Lehre zur Euthanasie und anderen medizinischen Handlungen am Lebensende ihr volles Gewicht behielten, erforderten der medizinische Fortschritt und mit ihm die gewachsenen medizinischen Möglichkeiten eine Klärung hinsichtlich der ethischen Zulässigkeit entsprechender Eingriffe seitens des kirchlichen Lehramts.100 Da die Erklärung der Glaubenskongregation als Grundlagendokument verstanden und in den nachfolgenden lehramtlichen Veröffentlichungen kontinuierlich rezitiert wurde, prägte sie die lehramtliche Terminologie entschieden. Nur ein Jahr später publizierte der Päpstliche Rat Cor Unum am 27. Juni 1981 aufgrund des regen Interesses ein internes Arbeitsdokument aus dem Jahr 1976, welches sich vorwiegend pastoralen Fragen widmete.101 Als dritte Veröffentlichung ist der am 11. Oktober 1992 publizierte Catechisme de l’Église catholique102 zu nennen, der bewusst nicht als theologischwissenschaftliches Lehr- und Arbeitsbuch konzipiert wurde. Als Kompendium der katholischen Glaubenslehre sollte er die kirchliche Glaubens- und Sittenlehre als ganze normativ zusammenfassen, um ein Werkzeug des katechetischen und verkündenden Wirkens der Kirche zu sein.103 Im Jahr 1995 wurden noch zwei weitere kirchenamtliche Lehrschreiben veröffentlicht, die sich mit Euthanasie als Angriff auf das menschliche Leben und der ethischen Beurteilung anderer medizinischer Handlungen am Lebensende beschäftigten, wobei das zweite im Schatten des ersten fast der öffentlichen Wahrnehmung entzogen blieb: die Enzyklika Evangelium vitae104 von Papst Johannes Paul II. vom 25. März 1995 und die Charta der im Gesundheitsdienst tätigen Personen105 des Päpstlichen Rates für die Seelsorge im Krankendienst vom Mai 1995. Während der Papst das von Gott geschenkte Leben als hermeneutischen Zugang zur Betrachtung menschlicher Eingriffe auf selbiges und deren ethischer Bewertung gebrauchend unter anderem die kirchliche Lehre zu Euthanasie und anderen medizinischen Interventionen am Lebensende darlegte,106 verfolgte der päpstliche Rat mit seiner Charta die Verbreitung, Erklärung und Verteidigung der kirchlichen Lehre im Bereich der Gesundheitsversorgung.107 In inhaltlicher Kontinuität mit den vorausgegangenen lehramtlichen Dokumenten bezieht die Charta als vollständig und unverzüglich von der Glaubenskongregation approbierter und bestätigter Text volle Gültigkeit und zuverlässige lehramtliche Autorität zuzuerkennen.108

Im Folgenden wird ein systematischer Überblick über die vom Lehramt verwendete Terminologie bezüglich Euthanasie, Anwendung therapeutischer Mittel und Anwendung schmerzstillender Mittel gegeben. Die ethische Beurteilung der entsprechenden Handlungen erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit.109

Euthanasie

Bereits 1980 wies die Glaubenskongregation darauf hin, dass die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Euthanasie verloren gegangen sei und „vielmehr an einen ärztlichen Eingriff [gedacht werde], durch den die Schmerzen der Krankheit oder des Todeskampfes vermindert werden“110. In der Beschreibung von Euthanasie, die grundlegend auf den Differenzierungen von Pius XII. basiert und in den nachfolgenden Dokumenten rezipiert wurde, fehlt das Element des ärztlichen Eingriffs jedoch:

„Unter Euthanasie wird hier eine Handlung oder Unterlassung verstanden, die ihrer Natur nach oder aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden. Euthanasie wird also auf der Ebene der Intention wie auch der angewandten Methoden betrachtet.“111

Eine erste Unterscheidung ist in der Differenzierung in Handlung oder Unterlassung zu sehen. Dabei erscheint es als irrelevant, ob die medizinische Intervention als ein Tätig-Werden zu werten ist oder nicht. Ebenso ist unwesentlich, ob „die Herbeiführung des Todes methodenimmanent ist (z.B. tödliche Injektion) oder etwa durch die Unterlassung einer Therapiemaßnahme unmittelbar intendiert ist.“112 Eine zweite Unterscheidung erfährt die mit dem Euthanasiebegriff bezeichnete Handlung durch ihre Eigenarten, da sie entweder mit der Intention ausgeübt worden sein muss, den Tod herbeizuführen, oder aber – und hierin liegt ein entscheidender Zusatz – den Tod aus ihrer Natur heraus herbeigeführt hat. Die Glaubenskongregation gibt zu bedenken, dass die Kriterien zur Unterscheidung, wann medizinische Eingriffe am Lebensende unter die Kategorie Euthanasie fallen, in der Intention und der inneren Wirkweise implizit enthalten sind und sich grundlegend an jenem zu verurteilenden Wunsch bzw. Willen orientieren, sich „zum Herrn über den Tod zu machen, indem man ihn vorzeitig herbeiführt und so dem eigenen oder dem Leben anderer ‚auf sanfte Weise’ ein Ende bereitet.“113

Woran sich die Eigenschaft der Natur nach den Tod herbeiführen letztlich bestimmt, bleibt in den lehramtlichen Dokumenten unscharf. Die Frage ist, wie unterlassene oder abgebrochene medizinische Therapien, die ihrer Natur nach zum Tode führen, von denen zu unterscheiden sind, die ihrer Natur nach nicht zum Tode führen, aber dennoch das Sterben zulassen. Diese Unklarheit kommt besonders mit Blick auf die Unterscheidung der therapeutischen Mittel in ethisch verpflichtende und nicht verpflichtende zum Tragen.114 Es erwächst daraus die Frage, ob Verzicht oder Abbruch von ethisch verpflichtenden therapeutischen Maßnahmen als eigenständige Kategorie oder als Euthanasie im Sinn einer Unterlassung, die der Natur nach zum Tode führt, zu werten sind. Der Möglichkeit einer missverständlichen Nutzung des Euthanasiebegriffs Gewahr werdend, plädierte der Päpstliche Rat Cor Unum daher bereits 1981 für eine präzise Verwendung.115 Der Euthanasiebegriff sei weder als adäquate Bezeichnung für eine intendierte Schmerzlinderung mit Todesfolge noch für den Abbruch bzw. Verzicht ethisch nicht verpflichtender therapeutischer Mittel geeignet, da keiner der benannten Handlungen die Intention zugrunde liege, den Tod herbeizuführen, oder die Herbeiführung des Todes – nicht zu verwechseln mit dem annehmenden Sterbenlassen – in der Natur der Sache selbst liege.116 Vielmehr seien das Gewähren eines menschenwürdigen Sterbens und die Vermeidung eines unangemessenen Hinauszögerns des Sterbeprozesses intendiert und umgesetzt. Daraus lässt sich aber ableiten, dass der Euthanasiebegriff für den Abbruch bzw. Verzicht von ethisch verpflichtenden therapeutischen Maßnahmen durchaus geeignet wäre.

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