Der Flügelschlag des Zitronenfalters

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II.

Protokoll der 24. gemeinsamen Sitzung der zuständigen Organe von Partei und Volk zur Aufrechterhaltung der sozialistischen Ordnung der Deutschen Demokratischen Republik; Niederschrift und Ausfertigung 03. März 1986.

Krenz: Meine Herren ...

Mielke: Also, ich darf doch wohl bitten!

Krenz: Ach so, Verzeihung! Liebe Genossen ...

Mielke: Schon besser!

Krenz: Also liebe Genossen, wir haben mal wieder den ersten Montag im Monat, und ich darf mich zuvorderst herzlich für Ihr Erscheinen bedanken! Die Zeiten sind unruhig, und wir haben alle viel zu tun, deswegen erteile ich dem Genossen Mielke, da er ja heute sozusagen unser Gastgeber ist, das Wort und die Gesprächsführung, Genosse Mielke, bitte fahren Sie fort.

Mielke: Guten Morgen liebe Genossen und auch von mir verbindlichsten Dank, dass Sie alle hier in meinem, sagen wir Wohnzimmer zusammengefunden haben. Ich bin ja mittlerweile schon fast mehr hier wie zu Hause. Vorneweg darf ich Ihnen aber zunächst einmal die erfreuliche Meldung machen, dass es dem MfS gelungen ist, die vier hauptverantwortlichen Saboteure der DDR-Volkswirtschaft ausfindig und damit dingfest zu machen. Sie wurden natürlich umgehend zu Staatsfeinden der DDR erklärt.

Krenz: Und darf man fragen, um wen es sich dabei handelt?

Mielke: Frühling, Sommer, Herbst und Winter!

(Protokoll: Gelächter)

Mielke: Danke, danke. Aber Spaß beiseite, liebe Genossen, lassen Sie uns beginnen. Wir sind uns alle bekannt, aber ich möchte dennoch zunächst auf das zu führende Protokoll verweisen und darf jeden bitten, zur Feststellung der Anwesenheit seinen Namen und Funktion zu nennen, der Protokollschreiber, Leutnant Wachsmacher, wird dann alles entsprechend vermerken. Vertraulichkeitsklausel wie immer, nur Dienstgebrauch. Ich würde sagen, wir machen das im Uhrzeigersinn und dann Reihum. Genosse Krenz!

Krenz: Ja, denn. Egon Krenz, Mitglied des Politbüros, Stellvertreter des Ersten Vorsitzenden des Staatsrates der DDR Erich Honecker und zuständiger Sekretär für Sicherheitsfragen im Zentralkomitee der SED.

Mielke: Fein. Weiter.

Schalck: Ich jetzt?

Mielke: Sie jetzt.

Schalck: Gut, Danke. Also. Schalck-Golodkowski, Alexander. Leiter der KoKo, ach so, Verzeihung, Leiter des Bereichs für Kommerzielle Koordinierung im Ministerium für Außenhandel.

Mittag: Günter Mittag, Mitglied des Politbüros, zuständig für Planwirtschaft und Wirtschaftsfragen.

Mielke: Lametta Eins bitte.

Wolf: Wie bitte?

Mielke: Nu machen Se schon!

Wolf: Also wirklich, ich ... (Protokoll: räuspert sich) Generaloberst der Nationalen Volksarmee Markus Johannes Wolf, Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung HVA, Auslandsgeheimdienst der Deutschen Demokratischen Republik.

Mielke: Lametta Zwei!

Keßler: Armeegeneral der Nationalen Volksarmee Heinz Keßler, Minister für Nationale Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik und Mitglied des Nationalen Verteidigungsrates.

Mielke: Gut, Danke. Nu ich, zuletzt aber nicht das Letzte, wie man so schön sagt, nicht wahr? Erich Fritz Emil Mielke, Armeegeneral im Dienste der Deutschen Demokratischen Republik, Leiter des Ministeriums für Staatssicherheit und außerdem größter lebender Anhänger des BFC Dynamo, der wohl dieses Jahr wieder ganz überraschend Meister werden wird. (Protokoll: Gelächter)

Mielke: So, haben wir das auch. Nehmen Sie sich gern vom Kuchen, Genossen, es ist ja genug für alle da. Und nicht so zurückhaltend mit dem Heißgetränk, wenn ich bitten darf. Keine Sorge, ist kein Muckefuck, liebe Genossen. Ist echter Bohnenkaffee, extra und dankenswerter Weise vom Genossen Schalck aus der KoKo requiriert. Also greifen Sie nur zu. Na, Sie vielleicht nicht, Genosse Keßler, das ist Westkaffe von Jacobs, der könnte Ihnen wohl bisschen auf die Pumpe schlagen, ich lasse Ihnen lieber was Tee bringen. Wenn Sie mir hier umkippen – Sie wissen ja, was momentan in der Charité los ist. Da sehe ich für Sie so schwarz wie der Arabica vom Schalck hier gebrüht ist.

Keßler: Verbindlichsten Dank, Genosse Mielke. Und Ihre Spitzen will ich mal überhört haben. Aber Recht haben Sie schon, ich bin da seit meinem Fünfundsechzigsten etwas flatterig geworden. Wenn ich daran denke, was ich damals 1941 ...

Mielke: Nun wollen wir mal nicht schon wieder die ollen Kamingeschichten aufwärmen, lieber Genosse Keßler. Sie sind damals zur Roten Armee übergelaufen, ich glaube, das wissen wir mittlerweile alle. Also lassen Sie sich ruhig mal was Neues einfallen, nicht? Aber wenn wir gerade vom großen Bruder sprechen, dann wollen wir doch wohl auch gleich zur Sache kommen! Nächste Woche Dienstag ist es genau ein Jahr her, dass Michail Sergejewitsch Gorbatschow in Moskau das Zepter übernommen hat, und nun hat er am Sonnabend ja einige Dinger rausgehauen, die uns allen schwer zu denken geben. Ich sage mal Stichwort: Glasnost, Stichwort: Perestroika, Stichwort: Will der uns verarschen? Genosse Krenz, da Sie im Grunde für die Partei und das ZK sprechen, darf ich Sie einmal bitten zu referieren, wie man jetzt im Politbüro reagieren will, und vor allem, was man zu tun gedenkt.

Krenz: Nu gerne. Kurz und gut, Genossen, wir sind alle einigermaßen ratlos. Es war bekannt, dass Genosse Gorbatschow keine genagelten Stiefel trägt, aber ich denke, das haben wir alle nicht erwartet. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das nach der Solidarnosc und diesem sogenannten Tauwetter, was unsere Genossen in der CSSR und in Ungarn betreiben, jetzt zu einem weiteren Sargnagel für unseren Staat werden könnte. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein ...

Mielke: Genosse Krenz, das hier ist mein Ministerium, und ich verbitte mir ganz entschieden diese Begräbnis-Rhetorik von wegen Sargnagel. Wir sind schließlich hier, um Lösungen zu finden! Also reißen Sie sich ein bisschen zusammen, wenn ich bitten darf!

Krenz: Ich bitte um Verzeihung, Genossen, aber mir scheint die Lage wirklich ernst! Es hilft doch auch alles nichts, wenn wir gerade jetzt und gerade hier die Probleme nicht ansprechen!

Wolf: Also ich bin da ganz beim Genossen Mielke! Und Sie sagen es ja selbst, Genosse Krenz: Probleme. Ich habe gelernt, dass Probleme da sind, um gelöst zu werden, nicht um davor wegzulaufen!

Krenz: Ja natürlich, ja, das denke ich ja auch. Aber es scheint so, dass ... also ... ich will es Ihnen mal ganz mit den Worten des Klassenfeindes sagen, Genossen: die Russen sind pleite! Sie sind pleite, und da gibt es kein Wenn und kein Aber und ooch keen Zurück! Das Volksvermögen ist aufgebraucht, das Volkseigentum marode, und das Volk – na ja, das ist eben das Volk, nu wahr? Und wenn wir alle mal ehrlich sind, sieht es doch bei uns nicht ganz so anders aus!

Mielke: Sehr gutes Stichwort, da kommen wir der Sache doch schon näher! Genosse Schalck, Genosse Mittag, ich glaube, Sie können uns darüber wohl mehr erzählen.

Mittag: Also ich sehe das Ganze jetzt gar nicht so schwarz wie der Genosse Krenz, wenn ich ehrlich bin. Der Russe ist pleite? Na gut, schade um ihn. Aber was, frage ich, haben wir damit zu tun? In der Comecon hängt doch sowieso jeder an unserer Titte, da ist es ja kein Wunder, dass denen irgendwann die Puste ausgeht. Ich sage es nochmal: das ist alles sehr bedauerlich, aber es ist auch vorrangig das Problem der Russen! Unser Problem ist, dass wir in Berlin eine Mauer haben, über die hinweg die Bürger direkt in die vergoldete Visage des Westens gucken und sich von dem ganzen Geglitzer verführen lassen. Darüber sollten wir mal reden!

Keßler: Na, noch höher können wir die Mauer ja nun auch nicht mehr bauen! Und wir haben ja die allerneuste Technik gerade erst installiert. Da ist alles vom Feinsten! Wenn jetzt einer durch will, hat er Löcher in der Brust, so groß wie die Schlaglöcher in Bitterfeld.

Schalck: Ich glaube, was der Genosse Mittag meinte, war weniger die eigentliche Höhe und technische Ausstattung der Mauer als physische Barriere, Genosse Keßler. Ich glaube, er meinte eher, dass wir die steigenden Konsumbedürfnisse unserer Bürger nicht mehr ausreichend befriedigen können. Und das ist in der Tat ein Problem. Und weil wir gerade davon sprechen: Ich selbst habe doch dem Strauß die Milliarden aus der Tasche geleiert, und gekauft haben wir davon quasi wieder mal nur Stacheldraht. Aber den kann man nicht essen. Den kann man auch nicht anziehen und damit nach der neuesten Mode tanzen gehen.

Mittag: Ich glaube, an Kleidung besteht derzeit wohl kaum ein Mangel, Genosse Schalck!

Mielke: Na, wenn ich mich so auf Rügen und Usedom umgucke ...

Wolf: Na, da sagen Sie was, Genosse Mielke. Für mich grenzt dieses ganze FKK da im Norden sowieso an Insubordination! Ich habe schon vor Jahren gefordert, man sollte dieses ganze Sich-Frei-Machen einfach verbieten und gut! Aber stattdessen ...

Krenz: Ich glaube, wir schweifen ab, Genossen.

Mielke: Was sind Sie denn so kerzengerade, Genosse Krenz. FKK? Wird Ihnen da die Hose eng? Aber gut, meinetwegen, fahren wir fort. Wir stellen fest: an Kleidung besteht kein Mangel, ja richtig! Trotzdem: das Volk will wie immer sein Opium, und das kann nur bedingt geliefert werden, da sind wir uns wohl leider einig. Aber deswegen müssen wir ja jetzt nicht gleich die Republik abschaffen und einfach nach Hause gehen. Außerdem, Genosse Schalck, wenn ich mich richtig erinnere, war es doch Ihre IMES, die den von Ihnen erwähnten Stacheldraht damals bestellt hat.

 

Schalck: Eigentlich handelte es sich größtenteils eher um schweres Gerät und Kurzwaffen, aber ja, meinetwegen, schieben Sie es mir ruhig rüber. Das ändert aber nichts daran, dass der Bürger der DDR auch mal eine Banane essen will.

Keßler: Das musste ja von Ihnen kommen!

Schalck: Was soll das heißen? Wollen Sie etwa sagen, dass ich fett bin?

Keßler: Ich wollte lediglich ...

Mielke: Also, ich darf Sie doch nun wirklich zur Ordnung rufen, das ist ja wie bei der FDJ hier! Nun beherrschen Sie sich mal! Ich glaube, Sie haben vergessen, worum es hier geht!

Krenz: Die alles entscheidende Frage ist doch letztlich, was wir nun zu tun gedenken. Wie wir uns entscheiden und welchen Weg wir in Zukunft gehen wollen. Machen wir jetzt da mit, bei dem was Michail Sergejewitsch angekündigt hat oder gehen wir weiter unseren eigenen Weg! Und gleichwohl was wir nun tun, es stellt sich letztlich natürlich die Frage: Wie stellen wir das an?

Mielke: Gut, danke, Genosse Krenz. Ich glaube, das können wir ganz kurz machen. Wer dafür ist, sich dem großen Bruder anzuschließen und ganz auf Glasnost und Shake-Hands mit Ronald McDonald zu setzen, hebt bitte jetzt die Hand!

(Protokoll: keine Handzeichen)

Mielke: In Ordnung. Wer dafür ist, dass wir die erste sozialistische Republik auf deutschem Boden weiter verteidigen und zwar im schlimmsten Fall nicht nur gegen den Klassenfeind, sondern auch gegen die wachsende Unmoral der Bündnisgenossen, der hebt bitte jetzt die Hand!

(Protokoll: sechs Handzeichen)

Mielke: Damit wäre das geklärt. Kommen wir jetzt zu der zweiten Frage, die Genosse Krenz so schwungvoll formuliert hat: Wie stellen wir es an?

Mittag: Wir brauchen Geld.

Schalck: Wir brauchen kein Geld, wir brauchen Devisen.

Mittag: Meinte ich ja.

Krenz: Können Sie da nicht wieder was drehen, Genosse Schalck? So wie mit dem Strauß? Dann machen wir eben wieder einige Versprechen. Ein paar Zusagen, die keinem Weh tun, und ein paar Lippenbekenntnisse, bei denen wir einfach guten Willen zeigen. Das hat doch sonst auch immer prima hingehauen. Irgendwie jedenfalls.

Schalck: Das wird schwierig, darf ich sagen. Die BRD sitzt selbst ein wenig in der Klemme.

Mittag: In der Klemme?

Mielke: Vielleicht kann der Genosse Wolf uns darüber ein paar Worte sagen.

Wolf: Der Genosse Schalck hat da gar nicht so Unrecht, fürchte ich. Es wäre normalerweise an uns, jetzt erst mal etwas in Vorleistung zu gehen. Aber noch ein Passierscheinabkommen oder ähnliches – das wäre, na sagen wir mal, nicht so gut. Seit die den Schmidt rausgeworfen haben, weht in Bonn ein anderer Wind. Eigentlich stehen sich gegenüber: Konservativbürgerliche Regierung ...

Mielke: Bürgerlich? Na, dass ich nicht lache!

Wolf: Also konservative Reaktionäre gegen das Volk! Auf den Straßen in der BRD gibt es jetzt quasi täglich neue Demonstrationen.

Mittag: Gegen was demonstrieren die denn?

Wolf: Ach, na ja, so genau kann man das gar nicht sagen. Im Grunde gegen so gut wie alles. Gegen Aufrüstung, das Waldsterben, gegen die Regierung, gegen Müll, für mehr Geld, gegen die Armee, gegen die Amerikaner, gegen den Soldaten im Allgemeinen, ich habe irgendwann die Beobachtung einstellen lassen. Alles viel zu diffus. Im Grunde nur Wohlstandssorgen. Aber der entscheidende Punkt ist, dass man die überhaupt nicht ernst nimmt.

Keßler: Das Proletariat ist in der BRD auf den Strassen und wir können uns nicht mal anständigen Kaffee leisten. Der Genosse Marx würd’ sich wohl noch im Grabe umdrehen, wenn er ...

Mielke: Ja, würde er vielleicht. Aber das hilft uns hier nicht weiter, und außerdem haben Sie doch Tee, Genosse Armeegeneral! Weiter bitte.

Wolf: Also, wie gesagt, die Politische Führung zeichnet sich zunächst durch allzu reges Desinteresse an der Stimme des Volkes aus.

Krenz: Und was macht Kohl?

Mittag: Der wird immer fetter!

Schalck: Vielleicht hat er was mit den Drüsen.

Mielke: Sachlich bitte!

Schalck: Was denn? Kann doch sein.

Wolf: Also der BRD-Kanzler spielt auf jeden Fall die europäische Karte aus und ist ansonsten ganz das Äffchen der Amerikaner!

Keßler: Das hilft ihm aber nichts.

Wolf: Richtig. So wie es aussieht, sind die Mehrheitsverhältnisse in der BRD momentan sehr fluid. Im Januar wird drüben wieder gewählt, da macht es wohl noch mal der Kohl, das dürfte sicher sein. Auch weil sein Mehrheitsbeschaffer ...

Schalck: Dieser gottverdammte Genscher!

Mielke: So religiös, Genosse Schalck?

Schalck: Hab’ immer die Freunde auf Sichtweite und die Feinde in der Hosentasche!

Mielke: Bei Ihrer Hosengröße ...

Schalck: Wollen Sie etwa sagen, dass ich fett bin?

Mielke: Mann Schalck, Sie sind ja richtig empfindlich. Genosse Wolf, weiter bitte!

Wolf: Weil die FDP nach dem Rauswurf Schmidts jetzt zur Nibelungentreue verdammt ist, wird sie der CDU und damit Kohl also die Stange halten. Wenn die reaktionären und faschistischen Kräfte in der BRD jetzt nicht Ihre Mehrheit bis Januar verlieren wollen, wird kein Geld mehr zu uns fließen, soviel ist sicher. Damit vergraulen Sie endgültig Ihre Wähler, und das war’s dann.

Mittag: Was müssen die auch immerzu wählen?

Mielke: Ganz meine Meinung. Wolf?

Wolf: Ja. Sie – die BRD-Regierung meine ich – wird sich also weiter bei den Yankees anbiedern und mit den Franzosen Händchen halten, während wir in die Röhre gucken! Aber, und das ist das Gute: die Zeit spielt voll für uns, liebe Genossen!

Mielke: Erläutern bitte.

Wolf: Die Wirtschaft der BRD schrumpft wieder, die Friedensbewegung gewinnt an Kontur und langsam aber sicher auch an Einfluss. Mit der Grünen Partei ist mittlerweile eine neue Kraft in Bonn etabliert, die Länder werden folgen. Kohl mag jetzt im Januar noch einmal gewinnen, aber wenn 1991 schon wieder gewählt wird, dann ist er weg, das ist so sicher wie Zeiss-Ikon!

Krenz: ich verstehe noch nicht, wo da die Zeit für uns spielt.

Wolf: Wenn nicht ein absolutes Wunder geschieht, dann wird die CDU Kohl 1991 nicht noch einmal antreten lassen. So richtig geliebt haben sie den sowieso noch nie. Aber die wissen, dass es dann um alles geht.

Keßler: Und wen wollen die aufstellen? Da denkt doch jetzt noch niemand dran! Wer weiß, was in vier Jahren ist, das kann man doch jetzt noch gar nicht sagen, Genosse Wolf.

Wolf: Nun ja, also erstens weiß man ja nie, ob da nicht vorher einer das Handtuch wirft. Demokratie macht die Leute sehr unstet. Es muss also nicht bis 91 dauern. Und zweitens habe ich mit Ihren Einwänden wohl gerechnet, Genossen. Deswegen habe ich einen Gast eingeladen.

(Protokoll: Generaloberst Wolf über die Gegensprechanlage: ›Bitte Männchen reinschicken‹; Tür öffnet sich, Generalmajor Männchen betritt den Raum)

Keßler: Männchen, na das ist ja eine Überraschung, je später die Runde, desto lieber die Gäste.

Mielke: Ich darf ans Protokoll erinnern. Sie kennen das ja, Männchen, also bitte!

Männchen: Generalmajor der Nationalen Volksarmee Dr. Horst Männchen, Leiter der Hauptabteilung III des Ministeriums für Staatssicherheit, Funk- und Spionageabwehr im Bereich von Fernmeldewesen und elektronischer Aufklärung.

Schalck: Damit haben Sie den Preis für den längsten Titel des Tages schon mal sicher!

Männchen: Ich bitte Sie, Genosse Schalck, lieber Länge als Umfang, nicht wahr?

Schalck: Was wollen Sie damit sagen?

Männchen: Gar nichts, Genosse Schalck.

Schalck: Von wegen gar nichts. Wollen Sie etwa sagen, dass ich fett bin?

Mielke: Jetzt beherrschen Sie sich schon, Genosse Schalck, das ist ja nicht zum Aushalten. Und wenn Sie sich da so angreifbar fühlen, dann specken Sie doch endlich ab, um Himmels Willen!

Schalck: Würde ich sofort. Aber bei mir sind’s die Drüsen!

Mittag: So wie beim Kohl, oder was?

Mielke: Die Drüsen? Ich lach mich hier ja neukrank. Jedes Pfund muss durch den Mund, Genosse Schalck! Und jetzt weiter hier. Aber unverzüglich! Also Herr Wolf ...

Krenz: Jetzt darf ich doch wohl bitten!

Mielke: Himmel, Arsch und Zwirn, Genosse Wolf dann eben, Du meine Güte! Wenn hier bald das Licht ausgeht, ist das sowieso alles egal! Nu machen Sie schon, verdammt nochmal!

Wolf: Genosse Dr. Männchen hat im Fernmeldewesen auch unsere Richtfunkstationen in der HA III unter sich.

Keßler: Sie meinen Horchposten!

Wolf: Ich glaube, Sie wissen, was ich meine. Ich habe den Genossen Männchen gebeten, zu gerade besprochenem Komplex einmal eine gesonderte Auswertung der letzten sechs Monate in Bezug auf die politische Entwicklung seitens der Regierungsparteien der BRD vornehmen zu lassen. Das Exposé wird Ihnen im Anschluss auf Wunsch schriftlich auszuhändigen sein. Genosse Männchen, bitte!

Männchen: Zur gesonderten Auswertung kamen im Speziellen die Protokolle der Stationen Falke in Helleberg, Albatros in Kühlungsborn und natürlich Urian auf dem Brocken. Nach eingehender Analyse aller mitgeschnittenen Gespräche der privaten, dienstlichen und auch der Telefone im beweglichen elektronischen Landfunk der Zielobjekte, konnte die klare Tendenz ermittelt werden, wonach die Führung der Regierungsparteien der BRD ihren momentanen Kanzler 1991 nicht noch einmal zur Aufstellung bringen wird. Die sozialdemokratische Partei ist sich demgegenüber im Klaren, dass Ihr momentaner Kandidat die Wahl 1987 verlieren wird und findet sich damit ab. Dass all dies bereits auf beiden Seiten wie beschlossen scheint, hat uns zunächst selbst ein wenig überrascht, doch dann tauchten immer wieder zwei neue Namen auf, mit denen sich die Parteien der BRD offenbar einen jeweils deutlichen Erfolg für 1991 versprechen. Die Namen sind Udo Bartels, aktuell Regierungschef des Landes Schleswig-Holstein, sowie sein direkter Kontrahent, der Oppositionsführer Bernd Lindholm, ehemals Bundesminister unter Schmidt. Wir konnten bezüglich Bartels sogar ein Telex abfangen, in welchem seine Kandidatur eindeutig abgezeichnet wird, selbiges gilt für Lindholm.

Wolf: Verstehen Sie, Genossen? Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren! Schleswig-Holstein! Das ist Zonenrandgebiet, einfacher geht es doch gar nicht mehr. Außerdem gilt Lindholm als absoluter Freund der Deutschen Demokratischen Republik!

Mittag: Und was ist mit Bartels? Soweit ich weiß, hat der letztes Mal die absolute Mehrheit in Schleswig-Holstein geholt.

Wolf: Der ist beliebt, das stimmt. Aber ‘83 war Lindholm noch nicht da, und allem Anschein nach ist der noch beliebter, vor allem bei den Frauen! Und das Beste kommt ja noch: In Schleswig-Holstein wird schon nächstes Jahr gewählt! Die Wahl wird jetzt schon von allen relevanten Kräften als Richtungswahl für die nächste Kanzlerschaft eingestuft. Und wenn Lindholm dann den Thron besteigt, sind wir erst mal aus dem Schneider! Der hat schon jetzt immer wieder betont, wie grausam er das unterkühlte Verhältnis zu uns findet und für neue Kredite geworben. Will wohl einen auf Willy Brandt machen. Wenn der regiert, können wir alle Fäden ziehen. Wie im Puppentheater, glauben Sie mir, Genossen! Nur leider hat er ja noch nichts zu sagen. Aber wenn der in Kiel ganz vorne sitzt, oder sogar im Kanzleramt in Bonn ...

Krenz: Ich verstehe, worauf Sie hinaus wollen, Genosse Wolf. Wenn wir also davon ausgehen, dass für Herrn Kohl nicht doch noch die ganz große Wende kommen wird, und seien wir mal ehrlich: das ist allzu unwahrscheinlich, dann ist der Sieger in Schleswig-Holstein der nächste Bundeskanzler?

Wolf: Exakt!

Keßler: Und wenn Lindholm nicht in unserem Sinne arbeitet? Was machen wir dann?

Wolf: Er wird.

Keßler: Ja, möglich. Vielleicht sogar wahrscheinlich. Aber was, wenn nicht? Wir hängen hier ja quasi das Wohlergehen unserer Republik an seinen Rocksaum.

 

Wolf: Glauben Sie mir, Genosse Keßler, er wird. Man kann das sozusagen mit Staatssicherheit behaupten.

Mielke: Genosse Wolf!

--- Protokollseite wurde entfernt ---

Mielke: Das heißt also im Klartext, dass wir nur fünf Jahre ordentlich die Arschbacken zusammenkneifen müssen, und dann geht es wieder bergauf. Ich werde mir mal die Akten von Lindholm und Bartels kommen lassen, vielleicht kann man da ja was machen. Und Genosse Wolf: Sie bitte anschließend an unser Treffen einmal unter vier Augen zu mir, ja? Also: Lindholm wird drüben Chef und dann bis ‘91 noch! Halten wir das durch?

Wolf: Ich kann nur für die HVA und unseren Bereich sprechen, aber wir stehen wie ein Mann.

Keßler: Die Nationale Volksarmee ebenfalls, da gibt es nichts neben der Linie, dafür kann ich garantieren!

Mittag: Es werden einige weitere Maßnahmen notwendig sein, aber fünf Jahre – ich denke das geht schon in Ordnung!

Schalck: Ich werde sehen, was ich tun kann, vielleicht will der Vorsitzende des Staatsrates ja doch noch die Einladung der BRD annehmen und mal nach Bonn reisen. Bei solchen Gelegenheiten lässt sich immer was rausschlagen. Ich sage also: Ja!

Krenz: Was sehen Sie mich so an? Die Haltung der Partei und des ZK dürfte hier ja wohl kaum zur Debatte stehen, oder was? Und wegen des Staatsbesuchs – also ich werde da mal mit dem Genossen Honecker sprechen!

Männchen: Derweil werden meine Leute ihre Arbeit noch intensivieren. Wir können mittlerweile jedes Gespräch bis hinter die holländische Grenze mitschneiden, wenn wir wollen!

Mielke: Gut so! Und mit den paar Freigeistern in Leipzig werden unsere Leute hier schon fertig, lassen Sie das ruhig meine Sorge sein. Dann sind wir uns ja alle einig. Jetzt müssen wir nur noch dafür sorgen, dass dieser Lindholm auch wirklich Ministerpräsident wird!

Schalck: Gibt es Schlagrahm? Ich glaube nämlich, ich werde jetzt doch ein Stück von dem Kuchen nehmen.

III.

„In die DDR?“ Pfeffer war fassungslos.

„In die DDR!“ Müller war die Ruhe selbst.

„Ich soll ... also Sie wollen, dass ... IN DIE DDR?“

„In die Deutsche Demokratische Republik, ja.“

„Ich fahre nicht in die DDR!“

„Natürlich fahren Sie dahin.“

„Ich fahre nicht in die DDR, niemals. Ich nicht, keine Chance. Und wenn Sie mich mit Ihrem Geld noch so vollscheissen, ich fahre da nicht hin. Wissen Sie, was man da mit einem wie mir macht? Die zerren mich doch gleich nach der Grenze aus dem Auto und stellen mich hinter irgendeinem Schuppen an die Wand.“

„Kein Mensch wird Sie an die Schuppenwand stellen, Pfeffer. Die kidnappen Sie höchstens, um ein anständiges Lösegeld in Westmark zu erpressen.“

„Ich ... Sie ...“ Pfeffer hyperventilierte.

„Das war ein Witz. Mein Gott, Sie sind ja paranoid, Mann!“ Müller konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Kein Mensch wird Ihnen dort auch nur ein Haar krümmen.“

„Aber ich kann das nicht. Sie wissen doch, was ich alles über die Roten geschrieben habe. Und die kriegen alles mit. Alles! Sie haben selbst gesagt, dass es total einfach ist, hier bei uns Spione einzuschleusen, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Die wissen alles! Und wenn da einer den Namen Rick Pfeffer hört, läuten doch alle Glocken! Nein, ehrlich, ich kann das nicht für Sie machen, Müller. Behalten Sie Ihr Geld!“

Müller zog die Augenbrauen hoch, wiegte kurz seinen Kopf hin und her, nickte dann und war bereits im Aussteigen begriffen, als er sagte: „Ist gut, Pfeffer, ich verstehe das. Dann lösen wir unseren Kontrakt hiermit auf, und Sie geben mit das Geld zurück. Dann ist die Angelegenheit erledigt, und Sie werden nie wieder von mir hören.“

Mist.

„Das Geld zurückgeben?“

„Na klar, keine Leistung ohne Gegenleistung. Marktwirtschaft, Pfeffer. Nicht so wie Drüben, wo Sie fürs Nichtstun bezahlt werden!“

„Aber ich habe das Geld nicht mehr.“ Pfeffer wurde blass und in diesem Moment dämmerte ihm, wie das Gespräch wohl enden würde. Müller hingegen machte es sich wieder bequem.

„Na, dann haben wir jetzt aber ein Problem.“

Gut. Dann eben betteln.

„Ich kann da nicht hin, Müller. Es geht nicht. Bitte. Bitte, so verstehen Sie doch! Sobald ich meinen Pass zeige, werde ich doch bestimmt gleich verhaftet.“

„Und das ist Ihr einziges Problem? Lassen Sie sich doch helfen! Sehen Sie, vielleicht hat da drüben wirklich jemand Herrn Richard Pfeffer auf dem Radar, aber ich bin mir sicher, dass nirgendwo eine Akte über Christian Gelsenberg existiert.“

Während er dies sagte, zog er einen abgeriebenen grünen Reisepass mit goldenem Adler aus der Innentasche seines Mantels hervor und reichte ihn Pfeffer. Der schlug ihn auf, blätterte kurz darin herum und sah dabei ein Foto von sich selbst. Daneben persönliche Daten sowie der Name Christian Gelsenberg.

„Das ... das ist ein gefälschter Pass“, stammelte Pfeffer.

Müller grinste. „Jetzt tun Sie mal nicht so. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie doch auch schon mal einen Pass gefälscht, von anderen Dingen ganz zu schweigen. Außerdem ist das kein gefälschter Pass. Der ist echt! Frisch aus der Bundesdruckerei in Berlin!“

„Aber der sieht so ... alt aus! Oh Gott, Sie haben doch wohl nicht jemanden umgebracht für den Pass“, wieder hyperventilierte Pfeffer.

„Mann Pfeffer, Was haben Sie denn bloß immer mit Ihrem Umbringen? Was glauben Sie eigentlich, was wir den ganzen Tag machen? Wenn es nach Ihnen ginge, dann würde hier ja bald keiner mehr leben. Der Pass sieht deswegen so alt aus, weil ein nagelneuer Pass ja wohl ein bisschen auffallen würde. Und was habe ich Ihnen gerade über das Auffallen gesagt?“

„Nicht auffallen.“

„Sehr gut! Immerhin sind Sie lernfähig. Und jetzt machen Sie sich mal nicht in die Hose. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir nichts Großes von Ihnen verlangen. Sie fahren in die DDR, machen da einen Wochenendurlaub zur Regatta in Warnemünde, übergeben einen Umschlag, lassen es sich gut gehen, und wenn Sie wieder da sind, bekommen Sie noch mal 5.000 Mark in bar. Leichter können Sie gar kein Geld verdienen.“

„Und die Einreisegenehmigung?“ Eine letzte Hoffnung.

„Alles schon erledigt“, sagte Müller, zog abermals Papiere aus seiner Manteltasche und reichte sie Pfeffer hinüber, darunter ein handelsüblicher Briefumschlag mit der Aufschrift „Warnemünde“. „Ihre Einreise ist schon genehmigt. Grund des Aufenthalts ist Tourismus, auch wenn das schwer zu glauben ist. Na ja, aber Warnemünde ist ganz nett. Wir haben da auch schon ein Zimmer für sie reservieren lassen. Hotel Neptun, das ist die beste Adresse am Platz. Sie sollten sich lieber freuen, auf Vater Staats Kosten Urlaub zu machen und dabei auch noch den Roten eins hinter die Ohren zu geben, als hier nur zu jammern und rumzulamentieren.“

Dieser Gedanke schien Pfeffer nun doch einleuchtend. Und das mit der neuen Identität hatte schon was. Na gut, also dann.

„Was ist das für ein Umschlag. Wem soll ich den denn geben?“ Pfeffers Resignation war tatsächlich hörbar. Müller hingegen grinste breit.

„Also“, begann Müller „das ist wirklich das einzige, bei dem Sie etwas vorsichtig sein müssen. Ich sagte Ihnen ja bereits, dass es für uns relativ schwierig ist, im Osten Leute anzuwerben. Und wenn ich sage schwierig, dann meine ich: fast unmöglich. Wir können eigentlich nur auf Dissidenten hoffen, oder uns so lange umsehen, bis uns wirklich einer ins Auge sticht. Die Stasi ist überall, wissen Sie? In dem Umschlag sind die Adressen von zwei BND-Kontaktleuten in der DDR, die schon seit Jahren für uns arbeiten. Der Mann, dem Sie diesen Umschlag überreichen werden, ist ein Dissident. Ein ranghoher Militär der NVA. Der Kontakt zu ihm ist momentan noch im Aufbau. Er soll sich an unsere Leute wenden können, wenn er etwas weiß, was für uns von Interesse ist. Deshalb die Adressen.“

Pfeffer wog den Umschlag in der rechten Hand. „Aber wieso lassen Sie Ihre Leute dort nicht direkt an den Mann herantreten? Vor Ort sozusagen. Warum muss jemand wie ich extra rüberfahren?“

„Weil wir nicht wissen, ob der Typ uns verscheißert! Die Adressen, die wir ihm geben sind in Wahrheit tot. Das ist alles ex. Ungültiges Material. Da ist gar nichts. Aber wenn er darauf eingeht und es nicht gleich nach Moskau meldet, wissen wir, dass er es ernst meint. Falls nicht, und die Informationen wären echt, würden wir die Sicherheit unserer Leute in der DDR gefährden, und somit wäre das gesamte Netzwerk auf einmal fragil. Sie sind aber nicht echt. Und bevor die Genossen das kapiert haben, sind Sie, mein lieber Pfeffer, schon lange wieder Drüben und essen Sahnetorte bei Mutti. Und nach einem Gelsenberg können die hier zielfahnden bis sie schwarz werden. Für Sie bedeutet das also unterm Strich: selbst, wenn Sie in der DDR geschnappt werden sollten, beinhaltet der Umschlag kein relevantes Material, um Sie festzusetzen.“

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