Auferstehung

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Und Geschrei und Späße und Keilereien und Musik, Tabak und Wein, und Wein und Tabak, und Musik vom Abend bis zum Morgengrauen. Und nur am Morgen Erlösung und ein schwerer Schlummer. Und so jeden Tag, die ganze Woche hindurch. Am Ende der Woche aber die Fahrt in ein staatliches Institut, das Polizeibureau, wo im Staatsdienste stehende Beamte, Ärzte, Männer, — zuweilen ernst und streng, zuweilen unter Scherzen und Späßen, die von der Natur, zur Verhütung des Verbrechens, nicht nur dem Menschen, sondern auch den Tieren verliehene Scham vernichtend — diese Frauen untersuchten und ihnen dann das Patent zur Fortsetzung derselben Verbrechen, die sie mit ihren Genossen die Woche über vollführt hatten, erteilten. Und wieder eine eben solche Woche. Und so jeden Tag — im Sommer und im Winter, an Wochen- und an Feiertagen.

So lebte die Maslowa sieben Jahre hindurch. Während dieser Zeit hatte sie zweimal die Anstalt gewechselt und war einmal im Krankenhause gewesen. Im siebenten Jahre ihres Aufenthaltes im öffentlichen Hause und im achten Jahre nach ihrem ersten Fall, als sie sechs und zwanzig zählte, ereignete sich das, wofür man sie ins Gefängnis gesperrt hatte und jetzt, nach sechsmonatlicher Untersuchungshaft in Gesellschaft von Mörderinnen und Diebinnen, vors Gericht brachte.

Drittes Kapitel

Um die nämliche Zeit, als die Maslowa, ermüdet vom langen Gehen, mit ihrer Eskorte vor dem Gebäude des Bezirksgerichts anlangte, lag derselbe Neffe ihrer Erzieherinnen, der sie verführt hatte, Fürst Dmitrij Iwanowitsch Nechljudow, noch in seinem hohen, zerwühlten Sprungfederbett. In sauberem holländischen Nachthemd mit feingebügelten Brustfalten, lag er mit aufgeknöpftem Kragen und rauchte eine Cigarette. Unverwandten Auges sah er vor sich hin und dachte darüber nach, was ihm heute bevorstünde und was gestern gewesen war.

Er dachte an den gestrigen Abend, den er bei Kortschagins, reichen und angesehenen Leuten, deren Tochter er nach der Meinung Aller heiraten sollte, verbracht hatte, und seufzte. Er warf die ausgerauchte Cigarette weg und wollte sich aus dem silbernen Etui eine neue holen, bedachte sich aber, streckte seine glatten weißen Füße zum Bett hinunter, und suchte mit ihnen die Pantoffeln auf. Dann warf er sich um die vollen Schultern einen seidenen Schlafrock und ging, mit schnellen, schweren Schritten in das neben dem Schlafgemach gelegene Toilettenzimmer, welches von einem künstlichen Geruch von Elixiren, Eau de Cologne, Vixatoirs und Parfüms durchsogen war. Dort putzte er sich die an vielen Stellen plombierten Zähne mit einem besonderen Pulver, spülte sich den Mund mit einem aromatischen Wasser, begann sich dann von allen Seiten zu waschen und mit verschiedenen Handtüchern abzureiben. Nachdem er sich die Hände mit einer parfümierten Seife gewaschen und die langen Nägel sorgfältig gebürstet, spülte er sich vor einem Marmorbecken das Gesicht und den dicken Hals ab und ging in ein drittes Zimmer, wo eine Dusche bereitet war. Dort übergoß er seinen muskulösen, fettbelegten weißen Körper mit kaltem Wasser und trocknete sich mit einem zottigen Handtuch. Dann zog er sich reine gebügelte Wäsche an, wie ein Spiegel glänzende Schuhe, und setzte sich vor den Toilettentisch, um sich, mit Hilfe zweier Bürsten, den kleinen, krausen schwarzen Bart und das vorne gelichtete, lockige Haupthaar zu glätten.

Alle Toilettengegenstände, die er benutzte, die Wäsche, die Kleider, das Schuhwerk, die Kravatten, Nadeln, Hemdknöpfe waren von der besten, teuersten Qualität, unauffällig, schlicht, dauerhaft und kostbar.

Nachdem er sich aus einem Dutzend Kravatten und Nadeln die ersten besten gewählt hatte — früher einmal war das noch neu gewesen, und hatte ihm Spaß gemacht, während er jetzt kein Interesse mehr dafür hatte — zog Nechljudow die gebürsteten und auf einem Stuhl bereitgelegten Kleider an. Dann trat er, zwar nicht besonders frisch, aber sauber und duftend, in das lange Speisezimmer, dessen Parkettboden gestern von drei Männern gebohnert worden war. Im Speisezimmer stand ein riesiges Eichen-Buffet und ein ebenso kolossaler Ausziehtisch, der mit seinen weit auseinanderstehenden, in Form von Löwentatzen geschnitzten Füßen etwas feierliches an sich hatte. Auf dem, von einem feinen Linnentuch mit gestickten Monogrammen bedeckten Tisch standen: eine silberne Kanne mit duftendem Kaffee, eine ebensolche Zuckerdose, ein Kännchen mit gekochter Sahne und ein Körbchen mit frischen Semmeln, Zwieback und Biskuits. Neben dem Service lagen die eingegangenen Briefe, Zeitungen und das neueste Heft der »Revue des deux Mondes«. Nechljudow wollte eben die Briefe vornehmen, als durch die in den Korridor führende Thür eine volle ältere Frau, in Trauer und mit einem Spitzenaufsatz, der den etwas lichten Scheitel verdeckte, hereinsegelte. Es war Agrafena Petrowna, das Stubenmädchen der seeligen, unlängst in ebendieser Wohnung verstorbenen Mutter Nechljudows, die jetzt beim Sohn die Stelle einer Wirtschafterin versah.

Agrafena Petrowna hatte zu verschiedenen Zeiten mit Nechljudows Mutter gegen zehn Jahre im Auslande verbracht und hatte das Aussehen und die Manieren einer Dame. Sie lebte im Nechljudowschen Hause von Kind auf und hatte Dmitrij Iwanowitsch noch als Mitenjka gekannt.

»Guten Tag, Dmitrij Iwanowitsch.«

»Guten Morgen, Agrafena Petrowna. Was giebt’s Neues?« fragte Nechljudow scherzend.

»Ein Brief von der Frau Fürstin, oder viel leicht auch von der Prinzeß. Das Mädchen hat ihn schon lange gebracht und wartet jetzt bei mir«, sagte Agrafena Petrowna, den Brief mit bedeutungsvollem Lächeln überreichend.

»Gut, gleich«, sagte Nechljudow. Als er aber den Brief entgegennahm, bemerkte er das Lächeln und machte ein finsteres Gesicht.

Das Lächeln Agrafena Petrownas bedeutete, daß der Brief von der Prinzeß Kortschagina war, mit welcher sich, ihrer Meinung nach, Nechljudow verheiraten wollte. Und diese, durch Agrafena Petrownas Lächeln ausgedrückte Annahme war dem Fürsten unangenehm.

»Ich werde ihr also sagen, daß sie wartet«, und Agrafena Petrowna segelte, nachdem sie eine nicht am Platz liegende Tischbürste im Vorbeigehen genommen und an den richtigen Ort gethan hatte, wieder zur Thür hinaus.

Nachdem Nechljudow den von Agrafena Petrowna überreichten parfümierten Brief geöffnet hatte, begann er zu lesen:

»Indem ich der von mir übernommenen Verpflichtung, Ihnen Ihr Gedächtnis zu ersetzen, nach komme«, so stand auf dem dicken, grauen Bogen mit gerissenen Rändern, in scharfer aber weiter Schrift, »erinnere ich Sie daran, daß Sie heute, am 28. April, im Geschworenengericht sein müssen und daher durchaus nicht in der Lage sind, mit uns und Kolossow nach der Gemäldeausstellung zu fahren, wie Sie es gestern mit dem Ihnen eigenen Leichtsinn versprochen hatten. A moins que Vous ne soyez disposé à payer a la, cour d’assises les 300 roudles d’amende que Vous Vous refusez pour Votrs cheval dafür, daß sie nicht rechtzeitig erscheinen. Es fiel mir gestern, als Sie eben gegangen waren, ein. Vergessen Sie es also nicht.

Pr. M. Kortschagina.«

Auf der anderen Seite war hinzugesetzt:

»Maman Vous fait dire que Votre couvert Vous attendra jusqu’à la nuit. Venez absolument à quelle heure que cela soit.« M.K.

Nechljudow runzelte die Stirn. Dieses Briefchen war die Fortsetzung jener geschickten Arbeit, die von der Prinzeß Kortschagina nun schon seit zwei Monaten betrieben wurde und darin bestand, ihn mit unsichtbaren Fäden immer mehr und mehr mit der Prinzeß zu verknüpfen. Nechljudow dagegen hatte, außer der bei nicht mehr ganz jungen und nicht leidenschaftlich verliebten Männern gewöhnlichen Zaghaftigkeit der Ehe gegenüber, noch einen andern wichtigen Grund, weshalb er, auch wenn er gewollt hätte, nicht gleich um die Hand der Prinzeß an halten konnte. Dieser Grund bestand nicht darin, daß er vor zehn Jahren Katjuscha betrogen und verlassen hatte — dieses hatte er völlig vergessen und hielt es nicht für ein Hindernis für seine Ehe. Der Grund war vielmehr der, daß er zu gleicher Zeit mit einer verheirateten Frau ein Verhältnis unterhielt, das zwar von seiner Seite jetzt gelöst, von ihr aber noch nicht als gelöst betrachtet wurde.

Nechljudow war Frauen gegenüber sehr schüchtern, und eben diese Schüchternheit hatte in jener verheirateten Frau den Wunsch erweckt, ihn sich zu unterwerfen. Sie war die Gattin des Adelsmarschalls von dem Kreise, in welchem Nechljudow wählte. Und diese Frau hatte Nechljudow in ein Verhältnis gezogen, welches für ihn mit jedem Tage immer bindender und zugleich immer ab stoßender wurde. Anfangs hatte Nechljudow der Versuchung nicht widerstehen können; nachher, im Bewußtsein der Schuld ihr gegenüber, konnte er das Verhältnis nicht ohne ihre Einwilligung lösen. Dieses war eben der Grund, weswegen Nechljudow sich nicht für berechtigt hielt, auch wenn er es gewollt hätte, bei der Kortschagina anzuhalten.

Auf dem Tisch lag gerade ein Brief von dem Manne dieser Frau. Als Nechljudow die Handschrift und den Stempel erkannte, errötete er und empfand sofort jenen Zufluß von Energie, der sich bei ihm immer beim Nahen einer Gefahr einstellte. Aber seine Aufregung war unnütz: der Mann, der Adelsmarschall jenes Kreises, in welchem die Hauptgüter Nechljudows lagen, setzte den Fürsten davon in Kenntnis, daß zu Ende Mai eine Extrasitzung der »Landschaft« einberufen war. Zu dieser Sitzung bat er nun Nechljudow durchaus zu kommen, um bei den wichtigen Beratungen bezüglich der Schulen und Zufuhrwege, wo man eine starke Opposition von Seiten der Reaktionspartei erwartete, »donner un coup d’épaule.«

Der Adelsmarschall gehörte zu den Liberalen, kämpfte mit einigen Gesinnungsgenossen gegen die unter Alexander III. eingetretene Reaktion, ging im Parteikampfe ganz auf und wußte nichts von seinem unglücklichen Familienleben.

 

Nechljudow dachte an alle die qualvollen Augen blicke, die er in feinen Beziehungen zu diesem Menschen durchlebt hatte. Er erinnerte sich, wie er einmal geglaubt hatte, daß der Mann alles wisse, und auf ein Duell, bei welchem er in die Luft schießen wollte, gefaßt gewesen; er erinnerte sich an die furchtbare Szene mit ihr, wo sie in Verzweiflung in den Garten zum Teich hinunter gelaufen war, mit der Absicht, sich zu ertränken, während er ihr nachstürmte.

»Ich kann jetzt nicht fahren und kann nichts unternehmen, ehe sie mir geantwortet hat«, dachte Nechljudow. Vor einer Woche hatte er ihr einen entschlossenen Brief geschrieben, in welchem er sich für schuldig und bereit zu jeder Sühne erklärte, aber dennoch, in ihrem eigenen Interesse, seine Beziehungen zu ihr endgültig abgebrochen wissen wollte. Auf diesen Brief erwartete er eine Antwort, erhielt sie aber nicht. Daß eine Antwort nicht kam, war in gewisser Hinsicht ein gutes Zeichen. Wäre sie mit einem Bruch nicht einverstanden gewesen, so hätte sie schon längst geschrieben, oder wäre sogar selbst gekommen, wie sie es früher gethan. Nechljudow hatte gehört, daß augenblicklich irgend ein Offizier bei ihr sei, der ihr den Hof mache, und dieses quälte ihn mit Eifersucht und erfüllte ihn zugleich mit Hoffnung auf Befreiung von dem peinlichen Lügengespinst.

Ein anderer Brief war von dem Verwalter seiner Landgüter. Der Verwalter schrieb ihm, daß er, Nechljudow, selbst kommen müsse, um sich in seine Erbschaftsrechte introduzieren zu lassen, und außerdem auch, um nun die Frage zu entscheiden, wie die Bewirtschaftung der Güter weitergeführt werden sollte: ob in der Weise, wie es bisher geschehen war, oder so, wie er es schon der seligen Fürstin vorgeschlagen hatte und es jetzt ihm selbst, dem Fürsten, vorschlägt? In letzterem Falle müßte man das Inventar vergrößern und das ganze, den Bauern verpachtete Land selbst bewirtschaften. Der Verwalter schrieb, daß eine solche Art der Exploitation bedeutend vortheilhafter sein würde. Bei dieser Gelegenheit entschuldigte sich der Verwalter, daß er sich mit der Absendung der plan mäßig zum 1. fälligen 3000 Rubel verspätet hätte. Das Geld würde mit der nächsten Post abgefertigt werden. Aufgehalten sei die Sendung dadurch worden, daß er das Geld von den Bauern auf keine Weise habe eintreiben können; sie seien in ihrer Gewissenlosigkeit so weit gegangen, daß man sich, um sie zu zwingen, an die Behörden hätte wenden müssen.

Dieser Brief war Nechljudow zugleich angenehm und unangenehm. Angenehm berührte ihn das Bewußtsein der Macht über ein großes Besitztum, und unangenehm war das, daß er, während er in seiner Jugend ein eifriger Verehrer Herbert Spencers gewesen war, jetzt als Großgrundbesitzer durch den Satz der Sozialen Statik, daß die Gerechtigkeit einen Grundbesitz nicht zulasse, ganz besonders getroffen wurde. Mit der der Jugend eigenen Geradheit und Entschiedenheit hatte er damals nicht nur behauptet, daß der Boden kein Objekt des Privatbesitzes bilden dürfe, und darüber in der Universität einen Aufsatz verfaßt, sondern auch in der That damals ein vom Vater ererbtes, kleines Stück Land unter den Bauern verteilt, um nicht gegen seine Überzeugung Grundbesitzer zu bleiben. Jetzt, wo er durch Erbschaft Großgrundbesitzer geworden war, blieb ihm nur eines von beidem übrig: entweder seinem Besitze zu entsagen, wie er es vor zehn Jahren, bezüglich der zweihundert Deßjatinen väterlichen Bodens gethan hatte, oder durch stillschweigendes Eingeständnis alle seine früheren Ideen für irrig und falsch zu erklären.

Das erstere konnte er nicht, weil er, außer vom Grundbesitz, keine anderen Einkünfte hatte. In den Staatsdienst wollte er nicht treten, anderseits aber hatte er bereits luxuriöse Lebensgewohnheiten angenommen, von denen er sich nicht mehr freimachen zu können glaubte. Und es hätte auch keinen Zweck gehabt, da er nunmehr weder jene Kraft der Überzeugung, noch jene Entschlossenheit, noch jenen Ehrgeiz und Wunsch besaß, andere in Erstaunen zu setzen, die er in der Jugend hatte.

Das zweite aber, — sich von den Begründungen der Unrechtmäßigkeit des Grundbesitzes, die er damals aus Spencers Sozialer Statik geschöpft hatte und deren Bestätigung er viel später in den Werken Henry Georges gefunden hatte, sich davon lossagen, — das konnte er unmöglich.

Und daher war ihm der Brief des Verwalters unangenehm.

Viertes Kapitel

Nachdem Nechljudow Kaffee getrunken hatte, ging er in sein Kabinett, um im Vorladungsschreiben nachzusehen, zu welcher Zeit er im Gericht sein müsse, und um der Prinzessin zu antworten. Ins Kabinett mußte er durch sein Atelier gehen. Im Atelier stand auf einer Staffelei ein angefangenes Bild, das umgekehrt war, und hingen an den Wänden Studien. Der Anblick dieses Bildes, an welchem er sich zwei Jahre lang abgemüht hatte, der Studien und des ganzen Ateliers — alles erinnerte ihn an das, in letzter Zeit besonders stark zum Bewußtsein gekommene Gefühl des Unvermögens, in der Malerei fortzuschreiten. Er erklärte sich dieses Gefühl durch ein zu fein entwickeltes ästhetisches Empfinden, aber immerhin war ihm diese Erkenntnis sehr unangenehm.

Vor sieben Jahren hatte er den Staatsdienst aufgegeben, in der Meinung, ein Talent zur Malerei zu haben. Und von der Höhe seiner künstlerischen Thätigkeit hatte er mit gewisser Verächtlichkeit auf alle anderen Berufsarten hinabgesehen. Jetzt zeigte es sich nun, daß er dazu kein Recht gehabt. Und darum war ihm jede Erinnerung daran unangenehm. Mit einem drückenden Gefühl betrachtete er die luxuriöse Ausstattung des Ateliers und betrat in nicht besonders heiterer Stimmung sein Kabinett, ein großes, hohes Zimmer, mit allen erdenklichen Einrichtungen, Bequemlichkeiten und Schmuckgegenständen ausgestattet.

In der Schublade des großen Tisches fand er unter der Rubrik »Terminsachen« sogleich das Vorladungsschreiben, in welchem es hieß, daß er um elf Uhr im Gericht sein mußte. Dann setzte Nechljudow sich, um der Prinzeß einen Brief, des Inhalts, daß er danke und sich bemühen werde, zu Mittag zu erscheinen, zu schreiben. Aber als er den Brief geschrieben hatte, zerriß er ihn wieder, denn er schien ihm zu intim. Der zweite Brief war wieder zu kalt, beinahe beleidigend; er zerriß auch ihn und drückte auf den Knopf an der Wand. Ein nicht mehr junger Lakai mit finsterem Gesichtsausdruck, rasiertem Kinn und Kotelettes, in einer grauen Kalikoschürze, trat ein.

»Bitte, schicken Sie nach der Droschke.«

»Zu Befehl.«

»Und sagen Sie, — hier wartet jemand von Kortschagins, — ich ließe danken und würde mich bemühen zu kommen.«

»Jawohl.«

»Höflich ist’s ja nicht, aber ich kann nicht schreiben. Ich sehe sie doch noch heute«, dachte Nechljudow und ging, um sich anzukleiden.

Als er angekleidet auf die Freitreppe hinaustrat, erwartete ihn schon seine ständige Droschke auf Gummirädern.

»Und gestern waren Sie eben vom Fürsten Kortschagin weg, als ich angefahren kam«, sagte der Kutscher, seinen braungebrannten, feisten Hals im weißen Hemdkragen halb umwendend, »der Portier sagte mir: »»eben durchgegangen.««

Sogar die Droschkenkutscher wissen von meinen Beziehungen zu Kortschagins«, dachte Nechljudow, und jene ungelöste Frage, ob er die Kortschagina heiraten sollte, stand wie fast immer in letzter Zeit, wieder vor ihm. Und wie die meisten Fragen, die sich ihm in dieser Zeit entgegenstellten, ließ sie sich auf keine Weise, weder so noch so, entscheiden.

Zu Gunsten der Ehe überhaupt sprach erstens das, daß die Ehe außer den Annehmlichkeiten eines häuslichen Herdes, auch die Möglichkeit eines »moralischen Lebenswandels«, wie er ein solches Familienleben nannte, bot. Zweitens und hauptsächlich erhoffte Nechljudow von der Ehe, daß Familie und Kinder seinem Dasein den inneren Gehalt verleihen würden, den er bis jetzt vermißte. Das alles sprach für die Ehe überhaupt.

Gegen die Ehe aber war erstens die, allen älteren Junggesellen eigene Furcht vor dem Verlust der Freiheit, und zweitens ein unbewußtes Bangen vor dem geheimnisvollen Wesen der Weiblichkeit.

Für die Ehe, mit Missy im besonderen (Prinzeß Kortschagina hieß Marie, hatte aber, wie es in allen Familien ihrer Kreise üblich, einen besonderen Zunamen) — war erstens das, daß sie Rasse hatte und in allem, von der Toilette, bis zu ihrer Manier zu sprechen, zu gehen, zu lachen, sich von gewöhnlichen Leuten unterschied. Dieser Unterschied bestand nicht gerade in etwas Besonderem, Exceptionellen, sondern einfach in ihrer »Anständigkeit«, — er fand für diese Eigenschaft keine andere Bezeichnung und schätzte diese Eigenschaft sehr hoch. Zweitens fiel auch das ins Gewicht, daß sie ihn höher als alle anderen Leute schätzte und folglich, wie er es auffaßte, ihn verstand. Und dieses Verstehen, diese Anerkennung seiner vorzüglichen Eigenschaften, galt Nechljudow als ein Beweis ihres Verstandes und sicheren Urteils.

Gegen die Ehe, mit Missy im besonderen, war erstens die große Wahrscheinlichkeit, daß man ein Mädchen mit noch viel größeren Vorzügen als Missy, ein ihm selbst also auch ebenbürtigeres, finden konnte; zweitens aber, daß sie bereits sieben und zwanzig Jahre zählte und daher wahrscheinlich schon früher Passionen gehabt hatte, und dieser Gedanke war für Nechljudow qualvoll. Sein Stolz konnte sich damit nicht aussöhnen, daß sie, wenn auch nur in der Vergangenheit, nicht ihn geliebt hatte. Sie konnte natürlich nicht wissen, daß sie ihm begegnen würde, aber der bloße Gedanke, daß sie früher jemand anderes geliebt haben konnte, verletzte ihn.

So gab es also ebenso viel Gründe dafür, als auch dagegen; in ihrer Überzeugungskraft wenigstens waren die Gründe vollkommen gleichwertig, und so verglich sich Nechljudow, sich selbst ironisierend, mit Buridans Esel. Und er blieb ein solcher auch in der That, da er nicht wußte, welchem der beiden Bündel er sich zuwenden wollte.

»Übrigens, so lange ich von Marja Wassiljewna, der Frau des Adelsmarschalls, noch keine Antwort habe, kann ich nichts unternehmen«, sagte er sich selbst.

Und dieses Bewußtsein, daß er die Entscheidung aufschieben könne und müsse, war ihm angenehm.

»Übrigens, das alles kann ich auch später über legen«, dachte er, als sein Wagen geräuschlos zur Asphaltrampe des Gerichtsgebäudes auffuhr.

»Jetzt aber muß ich gewissenhaft, wie ich es immer zu thun pflege und es für meine Schuldigkeit halte, meine öffentlichen Verpflichtungen er füllen. Zudem ist das zuweilen auch nicht uninteressant«, und mit diesen Gedanken trat er, an dem Portier vorbei, in die Vorhalle des Gerichts ein.

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