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Waldröschen V. Ein Gardeleutnant

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2. Kapitel

Der Leutnant fühlte sich gedemütigt wie noch nie in seinem Leben. Er knirschte vor Wut Dieser Backfisch sollte ihm diese Abfertigung entgelten! Da erblickte er eine leere Droschke, die ihm entgegenkam. Er wandte sich sofort wieder um, ließ sie herankommen, stieg ein und befahl dem Rosselenker, der Equipage zu folgen, die in der Feme noch zu erkennen war. Er wollte um jeden Preis erfahren, wo die Damen wohnten.

Die Fahrt ging durch einen großen Teil des Tiergartens und dann in die Stadt zurück. Die Equipage hielt in einer der belebtesten Straßen vor einem palastähnlichen Gebäude. Die Damen stiegen aus, empfangen von einem livrierten Lakaien, und die Equipage fuhr in den Torweg ein. Ravenow hatte genug gesehen. Er bemerkte vis-à-vis dem Haus eine Restauration, wo er seine Erkundigungen einzuziehen beschloß.

Nun ließ er sich nach seiner Wohnung fahren, legte da seine Uniform ab und einen einfachen Zivilanzug an und suchte das Schenklokal auf, sicher, daß man ihn von dem gegenüberliegenden Haus aus nicht erkennen werde.

Der Weinrausch war ihm schnell genug vergangen, so daß er es recht gut wagen konnte, einige Glas Bier zu trinken, um zu erfahren, was er gern wissen wollte. Leider aber befand sich der Wirt ganz allein in dem Lokal, und dieser schien ein mürrischer, verschlossener und wortkarger Mann zu sein, so daß Ravenow es vorzog, auf eine bessere Gelegenheit zu warten.

Seine Geduld sollte auf eine nicht zu lange Probe gestellt werden, denn er sah einen Mann drüben aus dem Haus treten, der über die Straße herüber und in das Schenklokal kam. Derselbe bestellte sich ein Glas Bier, nahm ein Zeitungsblatt, legte es aber bald wieder weg und blickte sich im Zimmer um, als suche er eine bessere Unterhaltung als diejenige, die ihm die Zeitung bieten konnte.

Diese Gelegenheit ergriff der Leutnant Er vermutete aus der ganzen Haltung des Mannes, daß derselbe Soldat gewesen sei, und beschloß, ihn als Kameraden zu behandeln. So begann er also ein Gespräch mit ihm, und es dauerte nicht lange, so saßen die beiden beisammen und sprachen von Krieg und Frieden und allem, was auf der Bierbank Gesprächsthema zu sein pflegt

»Hören Sie«, meinte endlich der Leutnant, »nach dem, wie Sie sich ausdrücken, scheinen Sie beim Militär gewesen zu sein.« —

»Das will ich meinen, ich war Unteroffizier«, lautete die Antwort. – »Ah, ich bin auch Unteroffizier!« – »Sie?« fragte der andere, indem er die zarten Hände und die ganze Gestalt seines Gegenübers erst jetzt sorgfältig musterte. »Hm! Warum tragen Sie keine Uniform?« – »Ich bin beurlaubt.« – »So! Hm! Und was sind Sie denn sonst?«

Man hörte dem Ton seiner Stimme an, daß er nicht so recht an den Unteroffizier glaubte. Ravenow trug zwar Zivil, aber der Offizier war ihm dennoch auf tausend Schritt anzusehen.

»Kaufmann«, antwortete er. »Wie heißen Sie?« – »Mein Name ist Ludwig, nämlich Ludwig Straubenberger dahier.« – »Wohnen Sie in Berlin?« – »Das versteht sich. Ich wohne da drüben im Palais des Herzogs von Olsunna.« – »Ah, dieses Palais gehört einem Herzog?« – »Ja, einem spanischen, er hat es erst vor kurzer Zeit gekauft.« – »Hat er viel Dienerschaft?« – »Hm, nicht sehr übermäßig.« – »Heißt vielleicht einer seiner Beamten Sternau?«

Ludwig, der alte Jägerbursche, wurde aufmerksam. Er war ein einfacher Naturmensch, aber mit dem Scharfsinn dieser Art von Leuten erriet er sofort, daß er ausgehorcht werden solle. Die vergangenen Ereignisse, die mit dem Namen Sternau zusammenhingen, waren derart, daß man vorsichtig sein mußte. Dieser Mann, der sich für einen Unteroffizier ausgab, schien mehr zu sein, und da Ludwig bereits von dem Kutscher erfahren hatte, was im Tiergarten geschehen war, so nahm er sich vor, sich nicht überlisten zu lassen.

»Sternau?« sagte er. »Ja.« – »Was ist der Mann?« – »Kutscher.« – »Alle Teufel, Kutscher. Hat er eine Frau und eine Tochter?« – »Das versteht sich dahier.« – »Sind es die beiden Frauen, die vorhin im Tiergarten spazierenfuhren?« – »Ja.« – »Aber die sahen doch wahrhaftig nicht wie die Frau und die Tochter eines Kutschers aus.« – »Warum nicht? Der Herzog bezahlt seine Leute so gut, daß ihre Weiber und Töchter schon Parade machen können. Übrigens sind sie nicht, was man so nennt, spazierengefahren dahier. Der Sternau sollte die neuen Trakehner einfahren, und da es egal ist, ob der Wagen leer geht oder nicht, so hat er eben seine beiden Weibsen mitgenommen.« – »Donnerwetter! Ja, grob wie Fuhrmannsweiber waren sie!« entfuhr es dem Leutnant. – »Ah, grob sind sie gewesen? Haben Sie das gehört dahier?«

Bei dieser Frage blickte Ludwig den Leutnant mit einem unendlich pfiffigen Ausdruck in das Gesicht. Dieser sah ein, daß er eine große Unvorsichtigkeit begangen habe, und versuchte einzulenken:

»Ja, etwas habe ich gehört. Ich war im Tiergarten. Gerade vor mir hielt eine Kutsche, ein Offizier mußte aussteigen und wurde von den beiden Frauen auf das maliziöseste beschämt« – »So! Hm! Und woher wissen Sie, daß diese Frauen Sternau heißen, he?« – »Sie nannten dem Schutzmann, der dabeistand, ihren Namen.« – »Und wie kommen Sie nun sogleich hierher und fragen mich nach ihnen?« – »Der reine Zufall!« – »Zufall, schön! Da nehmen Sie sich ja in acht daß hier diese meine Hand nicht vielleicht an Ihre Backen klatscht natürlich auch bloß aus reinem Zufall!« – »Oho, was soll das heißen?« – »Das soll heißen, daß sich der Ludwig Straubenberger nicht für einen Narren halten läßt. Sie hätten mir ganz das Aussehen eines Unteroffiziers dahier! Sie sind jedenfalls der Leutnant selber, der Luftikus, dem die ›Fuhrmannsweiber‹ so hübsch heimgeleuchtet haben. Nun kommen Sie hierher, um zu spionieren und die Gelegenheit weiter zu verfolgen. Aber davon lassen Sie ab, denn Sie tragen doch weiter nichts davon, als einen tüchtigen Buckel voll Prügel dahier. In Beziehung auf Keile bin ich gleich bei der Hand, das merken Sie sich! Jetzt gehe ich fort, in fünf Minuten komme ich wieder, ich bringe den Kutscher mit und noch einige andere, die sich gern ein Gaudium machen. Werden Sie von dem Kutscher erkannt so gerben wir Ihnen Ihr Leutnantsleder, bis es Löcher kriegt Damit Punktum und adieu dahier!«

Nach dieser kräftigen Rede erhob sich der biedere Straubenberger, bezahlte sein Bier und ging. Er war kaum drüben im Torweg verschwunden, so verließ auch Ravenow das Lokal. Er hatte nicht die mindeste Lust, sich mit dieser Art von Leuten in einen Faustkampf einzulassen, und fluchte ingrimmig in sich hinein, daß sich heute alles gegen ihn verschworen zu haben schien. Daß Ludwig ihn bezüglich der beiden Frauen ganz und gar falsch berichtet hatte, ahnte er nicht.

Mittlerweile war die Zeit gekommen, in der die unverheirateten Offiziere sich im Kasino zu versammeln pflegten, um zu dinieren. Ravenow stellte sich auch ein. Unter den Anwesenden war bereits von seiner Wette gesprochen worden, und so wurde er mit hundert Fragen begrüßt Er suchte die Beantwortung derselben zu umgehen, als man ihm aber keine Ruhe ließ und ihn aufforderte, sein Abenteuer zu erzählen, meinte er:

»Was soll ich weiter darüber sagen? Ich habe zwar volle fünf Tage Zeit, aber die Wette ist bereits gewonnen.« – »Beweise es, so bezahle ich sie bereits heute!« erklärte Golzen, der auch mit zugegen war. – »Beweisen?« lachte Ravenow zynisch. »Was gibt es hier zu beweisen? Man wird mir doch wohl zutrauen, die Tochter eines Kutschers zu besiegen.« – »Eines Kutschers?« fragte Golzen erstaunt. »Unmöglich!« – »Pah! Ihr Vater heißt Sternau und ist der Kutscher des Herzogs von Olsunna.« – »Das kann ich nicht glauben. Diese Dame kann unmöglich die Tochter eines Kutschers sein.« – »So gehe und überzeuge dich.« – »Das werde ich allerdings tun. Eine solche Schönheit ist es wert, daß man sich nach ihr erkundigt. Übrigens hast du Beweise zu bringen, daß du bei ihre reüssiert hast. Ich werde den Fuchs natürlich nicht ohne Beweise von mir geben.« – »Pah, so schenke ich ihn dir! Man kann nicht von mir verlangen, daß ich mich mit einem Kutschermädchen öffentlich zeige, nur um zu beweisen, daß sie mich mit ihrer hohen Zuneigung beglückt.« – »Es handelt sich um eine Wette, also um einen Gewinn oder Verlust, nicht aber um ein Geschenk. Ich muß dich wirklich bitten, den Beweis zu liefern, in welcher Weise du das tust, ist lediglich deine Sache. Eine bloße Versicherung kann keine Wette endgültig entscheiden. Was meinen Sie, Kapitän? Sie sind hier fremd und also über den Parteien.«

Diese Frage war an einen langen, hageren Mann gerichtet, der mit am Tisch saß. Er trug zwar Zivil, war aber als Kapitän Parkert von der US-Marine in die Räume des Kasinos eingeführt worden. Er mochte bereits über sechzig zählen, hatte ein echtes Yankeegesicht und ließ verlauten, daß er vom Kongreß gesandt sei, um Einsicht in die Marineverhältnisse Deutschlands zu nehmen. Er war dem Gespräch erst mit Gleichgültigkeit gefolgt, hatte aber gelauscht, als er die Namen Olsunna und Sternau hörte. Eben wollte er antworten, als sich die Tür öffnete und ein Oberleutnant der Gardehusaren eintrat, der das Abzeichen des Adjutanten trug. Er hatte ein etwas echauffiertes Aussehen und warf seine Kopfbedeckung mit einer Miene auf den Stuhl, die deutlich zeigte, daß er sich in einer höchst verdrießlichen Stimmung befinde.

»Holla, Branden, was ist‘s?« fragte einer der Anwesenden. »Hat es etwa beim Alten eine Nase gegeben?« – »Das und noch anderes«, antwortete der Mann mit einem Fluch. – »Alle Teufel, also doch eine Nase! Weshalb?« – »Das Regiment reitet zu kurz, hat überhaupt keine schneidigen Offiziere mehr, so meinte der Oberst. Ich soll das den Herren privatim mitteilen, damit es ihnen nicht später öffentlich vor der Front gesagt werden muß.«

Damit warf er sich auf seinen Sitz, ergriff das erste beste Weinglas und stürzte es hinab.

»Keine schneidigen Offiziere mehr! Hölle und Teufel! Darf man uns so kommen! Das lassen wir nicht auf uns sitzen!«

 

So und ähnlich rief es rund im Kreis. Man fühlte sich allgemein empört über die private Nase, die nächstens vor der Front verlängert werden sollte. Der Adjutant nickte, stieß abermals einen Fluch aus und fügte hinzu:

»Wenn man da oben eine solche Meinung von uns hat, so ist es nicht zu verwundern, daß das Gardeoffizierskorps jetzt aus den obskursten Elementen recroutiert wird. Ich habe einen neuen Kameraden anzumelden.« – »Ah! Für die Gardehusaren? An des verstorbenen von Wiersbicky Stelle? Wer ist es?« – »Ein hessendarmstädtischer Linienleutnant« – »Alle Teufel! Einer von der Linie unter die Husaren! Und die Gardekavallerie?« – »Zweiundzwanzig Jahre alt« – »Unmöglich! Noch dazu aus Hessen! Der Henker hole die neuen Verhältnisse!« – »Und den Namen müßt ihr hören, den Namen!« – »Wie heißt er?« – »Helmers.« – »Helmers?« fragte Ravenow. »Kenne keine Familie Helmers, auf Ehre, von Helmers, hm, kenne wahrhaftig keine!« —»Ja, wenn es noch ein ›von Helmers‹ wäre«, meinte der Adjutant erbost. »Der Kerl heißt eben einfach Helmers.«

Da fuhren alle von ihren Sitzen empor.

»Ein Bürgerlicher? Nicht von Adel?« fragte es durcheinander.

Der Adjutant nickte.

»Ja, es scheint weit zu kommen mit der Gardekavallerie«, sagte er. »Wenn mir der Grimm in den Kopf steigt, so fordere ich meinen Abschied. Ich dachte, mich rührte der schönste Nervenschlag, als ich das Nationale dieses neuen sogenannten Kameraden einzutragen hatte. Der Kerl heißt Helmers, ist zweiundzwanzig Jahre alt, diente in der Darmstädter Linie und hat einen Vater, der Pächter eines kleinen Vorwerks bei Mainz ist und nebenbei auf irgendeinem alten Kahn als Steuermann funktioniert. Vermögen gibt es ganz und gar nicht, aber eine Protektion seitens des Großherzogs von Hessen scheint vorhanden zu sein. Der Major flucht über diesen Streich, den man uns spielt, der Oberst flucht, der General flucht, alle Exzellenzen fluchen, aber alles Fluchen hilft nichts, denn der neue Leutnant ist uns von hoher Seite her beschert worden. Man muß ihn nehmen und dulden.« – »Nehmen, aber keineswegs dulden!« rief Graf Ravenow. »Wenigstens was mich betrifft, so dulde ich keinen Bauern- oder Schifferjungen neben mir. Der Kerl muß aus dem Regiment hinausignoriert werden.« – »Allerdings, hinausignoriert, das sind wir einander schuldig«, stimmte ein anderer bei, und alle gaben ihm recht.

Man glaubt nicht, wie exklusiv der Korpsgeist bei der Kavallerie ist und bei der Gardekavallerie noch viel mehr. Dort hält ein jeder Offizier sich als zur Elite gehörig. Man unterscheidet sogar zwischen einem Ahnen mehr oder weniger, und darum war es leicht erklärlich, daß der Eintritt von Kurt Helmers eine ebenso tiefe wie allgemeine Entrüstung hervorrief. Man einigte sich wirklich zu dem festen, ausgesprochenen Entschluß, ihn aus dem Regiment hinaus zu maßregeln.

Dabei blieb es, ohne daß man beachtete, mit welchem Interesse der amerikanische Kapitän dem Lauf der Unterhaltung folgte. Zwar gab er sich Mühe, die außerordentliche Teilnahme, die er hegte, zu verbergen, aber trotz seines verschleierten Auges hätte man doch die Blitze bemerken können, die es zuweilen unter den dichten, buschigen Lidern hervorschoß.

»Und wann wird man diesen Phönix von einem Gardehusarenleutnant zu sehen bekommen?« fragte einer der Herren. – »Bereits heute«, antwortete der Adjutant. »Er hat heute seine Antrittsvisite zu machen, wird sich im Lauf des Nachmittags beim Obersten vorstellen, und dann werde ich wohl die Ehre haben, ihn des Abends hier den Kameraden zu präsentieren.« – »So erscheinen wir heute nicht«, meinte Ravenow. – »Warum nicht, lieber Ravenow? Es würde dies zu nichts führen, denn die Stunde kommt doch, in der wir gezwungen sind, Stellung gegen ihn zu nehmen. Besser ist es auf jeden Fall, wir versammeln uns hier vollzählig und zeigen ihm sofort offen, was er von uns zu erwarten hat.«

Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen, und so zog sich gegen den jungen Ankömmling ein Gewitter herauf, von dem er keine Ahnung hatte.

3. Kapitel

Kurt befand sich in Berlin. Der Herzog von Olsunna hatte Gründe gefunden, seine Einsamkeit auf Schloß Rheinswalden zuweilen zu unterbrechen, und sich darum in Berlin das Palais gekauft, um einige Wochen hier zuzubringen. Er befand sich seit einer Woche zum ersten Male in der Residenz, begleitet von seiner Gemahlin, der früheren Frau Sternau. Gestern war Otto von Rodenstein mit seiner Frau, der Tochter des Herzogs, angekommen, und beide hatten Röschen mitgebracht! Erst heute morgen war es Kurt Helmers möglich gewesen, von Darmstadt nach Berlin zu kommen. Er war kurz vorher im Palais abgestiegen, ehe die Herzogin mit Röschen von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt war.

Wir werden baldigst erfahren, wie sich das Leben der so befreundeten Familien in Rheinswalden gebildet hatte, und müssen nur erwähnen, daß Kurt sehr oft zu militärischen Reisen attachiert worden war und seit einigen Jahren Röschen gar nicht gesehen hatte. Er war erst seit einigen Tagen aus der Türkei zurückgekehrt und hatte, von dienstlichen Pflichten zurückgehalten, noch nicht einmal Zeit gefunden, nach Rheinswalden zu kommen. Und als er dann die Mutter und seinen alten Hauptmann von Rodenstein besuchte, hörte er, daß Röschen bereits nach Berlin abgereist sei.

Jetzt stand er in seinem Zimmer im Palais des Herzogs und legte die Paradeuniform an, um seine dienstlichen Besuche zu beginnen. Der Husarenanzug stand ihm ausgezeichnet Aus dem vielversprechenden Knaben war ein prächtiger junger Mann geworden. Zwar besaß seine Gestalt keine allzu große Ausdehnung in die Länge oder Breite, aber man sah es den kraftvollen Formen an, daß seine Muskeln und Nerven sich in einer ungewöhnlichen Schulung befunden hatten. Von dem tiefgebräunten unteren Teil seines Gesichtes stach die hohe, breite, elfenbeinweiße Stirn in eigentümlicher, aber keineswegs unschöner Weise ab, und wenn seine Oberlippe auch erst nur den Anflug eines Bärtchens zeigte, so lag über seinen Zügen doch ein hoher, männlicher Ernst ausgebreitet der ganz geeignet war, vor dem jugendlichen Offizier Respekt einzuflößen. Wer in seine offenen, intelligenten Augen blickte, kam sicherlich zu der Überzeugung, daß er keinen gewöhnlichen Durchschnittsmenschen, sondern einen Jüngling vor sich habe, der alle Eigenschaften besaß, als Mann Ungewöhnliches zu leisten.

Da rollte die Equipage vor das Tor. Kurt trat an das Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen, aber er konnte nur noch den Schatten der im Eingang verschwindenden Damen erkennen.

»Röschen«, sagte er, indem ein glückliches Lächeln sich über seine Züge breitete. »Ah, wie lange habe ich sie nicht gesehen! Eine ganze Ewigkeit! Sie steht in dem Alter, in dem man sich in Wochen mehr verändert als in Jahren. Wie werde ich sie sehen? Ich muß doch sogleich hinab!«

Er stieg die Treppe hinab in den Salon, in dem sich der Herzog befand, um die beiden Damen bei ihrer Rückkehr zu empfangen. Hier im freien Raum des Zimmers, wo Röschens Erscheinung noch viel mehr zur Geltung kommen konnte als im engen Wagen, machte sie allerdings noch einen ganz anderen Eindruck. Sternau, ihr Vater, war ja eine hohe, mächtige, männlich schöne Gestalt gewesen, und Rosa de Rodriganda, ihre Mutter, hatte sich in Beziehung auf Reiz und Schönheit getrost mit jeder anderen messen können. So war es also zu erwarten gewesen, daß die Tochter dieser beiden die vorzüglichen Eigenschaften ihrer Eltern in sich vereinigen werde. Und wirklich war die nordischblonde Erscheinung Sternaus und die südlich-dunkle Persönlichkeit Rosas in Röschen zu einer Gestaltung zusammengeflossen, deren fast wunderbarer Zauber jedes Herz gefangennehmen mußte, Sie war das verkörperte Bild einer Juno, einer Hebe und einer Kleopatra zu gleicher Zeit.

Kurt blieb entzückt am Eingang stehen. Zwar hatte er gedacht, daß sie sich sehr zu ihrem Vorteil entwickeln werde, aber jetzt war es ihm, als sei dieses Wesen von einer Strahlenkrone umleuchtet, von deren Glanz sein Auge geblendet wurde. Sie hatte sich nach ihm umgedreht und ihn sofort erkannt.

»Das ist ja Kurt, unser guter Kurt!« rief sie, indem sie auf ihn zueilte und ihm beide Hände zur Begrüßung entgegenstreckte.

Er versuchte den gewaltigen Eindruck, unter dem sein Herz jetzt erbebte, zu bemeistern, verbeugte sich tief vor ihr, nahm eines ihrer kleinen Händchen und führte es leise an die Lippen. Zu sprechen vermochte er in diesem Moment noch kein Wort. Das Zittern seiner Stimme hätte ihn verraten.

Sie blickte erstaunt auf ihn, zog die feingezeichneten Brauen ein wenig in die Höhe und sagte:

»So fremd und förmlich! Kennt der Herr Leutnant mich nicht mehr?« – »Sie nicht mehr kennen?« fragte er, indem er sich mächtig zusammennahm. »Eher würde ich mich selbst nicht mehr kennen, Hoheit.« – »Hoheit!« rief sie, dann schlug sie die Händchen zusammen und stieß jenes goldene Lachen aus, das man nur aus ihrem Mund so rein, so entzückend zu hören vermochte. »Ah, Sie erinnern sich wohl plötzlich des Umstandes, daß Mama eine Gräfin de Rodriganda war?« – »Allerdings«, antwortete er, ziemlich verlegen. – »Und daß Papa Sternau jedenfalls der Sohn des Herzogs von Olsunna ist?« – »Auch das, Prinzeß!« – »Oh, nun gar Prinzeß?« lachte sie. »Kurt, warum haben Sie früher nicht an diese Verhältnisse gedacht? Ich bin Röschen gewesen, und Sie waren Kurt, so war es, und so bleibt es hoffentlich! Oder ist der Herr Leutnant stolz geworden, seit man ihn zu den Gardehusaren versetzt hat, wie ich höre?«

Erst jetzt betrachtete sie ihn genauer. Das schelmische Lächeln, das bisher zwei allerliebste Grübchen in ihre Wangen gegraben hatte, verschwand und machte einer feinen Röte Platz. Diese war die unmittelbare Folge des unwillkürlichen Gedankens, daß dieser kleine Kurt doch eine ausgezeichnete Erscheinung geworden sei.

Jetzt hatte er seine Aufwallung bemeistert. Mit einem treuen, leuchtenden Blick ergriff er ihre Hände, und in seinen Augen glänzte es feucht, als er im Ton des Glückes sagte:

»Ich danke Ihnen, Röschen! Ich bin noch ganz der Alte, voller Bereitwilligkeit, für Sie durch tausend Feuer zu gehen oder mich um Ihretwillen mit einer ganzen Armee von Feinden zu schlagen.« – »Ja, so waren Sie stets als Knabe; Sie haben sich immer für das mutwillige, undankbare Röschen aufgeopfert. Jetzt aber bin ich hoffentlich verständiger und weniger anspruchsvoll geworden. Ich werde Sie wohl nicht durchs Feuer jagen und auch nicht einer ganzen Armee von Feinden gegenüberstellen, obgleich ich wohl gerade heute Veranlassung hätte, Ihnen als meinem treuen Ritter das Schwert in die Hand zu drücken.« —»Ah, ist‘s möglich, Röschen? Hat man Sie beleidigt?« fragte er mit blitzenden Augen. – »Ein wenig«, antwortete sie.

Jetzt griff auch der Herzog in das Gespräch ein, indem er sich rasch erkundigte:

»Beleidigt bist du worden? Von wem, mein Kind?« – »Von einem Leutnant von Ravenow. Er steht bei den Gardehusaren, gerade wie unser Kurt. Ich habe diese infame Attacke übrigens sehr siegreich zurückgeschlagen, wie ich glaube; nicht wahr, Großmama?«

»Ja, allerdings«, antwortete die frühere Frau Sternau und jetzige Herzogin von Olsunna. »Ich habe wirklich kaum geglaubt, daß dieses liebe Kind gleich bei seinem ersten Schritt in die Welt eine solche Schlagfertigkeit entwickelt.«

»Ich bin höchst wißbegierig«, meinte der Herzog. »Erzählt doch bitte einmal!«

Man nahm Platz, und nun berichtete die Herzogin den Hergang der Sache. Olsunna bewahrte seine Ruhe, aber Kurt rückte erregt auf seinem Sessel hin und her. Als die Berichterstatterin geendet hatte, rief er aufspringend:

»Bei Gott, das ist stark! Dieser Mensch muß vor meine Klinge!«

Der Herzog wehrte mit einer Handbewegung ab und sagte ernst: »Das nicht, lieber Kurt! Du würdest dir gleich bei deinem Eintritt in das Offizierskorps die Kameraden zu Feinden machen. Ich selbst werde diese Angelegenheit in die Hand nehmen und mir Genugtuung verschaffen.« – »Genugtuung? Sie werden sie nicht erhalten. Dieser Ravenow wird sich erfolgreich damit entschuldigen, daß er die Damen nicht gekannt hat.« – »Das ist möglich. Er konnte sie allerdings für gewöhnliche Frauen halten, da ich es unterließ, an meinem Wagen ein Wappen anzubringen. Doch ist es dann immer noch Zeit, mit der Waffe einzutreten. Ich bin außer Übung gekommen, aber ich werde, will‘s Gott, doch noch so viel Gewandtheit besitzen, um diesen Leutnant selbst bestrafen zu können.« – »Das werde ich auf keinen Fall zugeben, Hoheit«, meinte Kurt. »Sie waren lange krank, und wenn Sie sich auch während der letzten Jahre wieder erholt haben, so gehört eine solche Angelegenheit doch in jüngere Hände. Und was die Kameraden betrifft, so bin ich bereits gewarnt worden, daß man bei meinem Eintritt wahrscheinlich Front gegen mich machen werde. Es herrscht bei der Garde ja bekanntlich der Modus, bürgerliche Offiziere totzuschweigen oder lahm zu malträtieren. Eine Forderung gegen diesen Ravenow wird mir also nicht mehr Feinde erwecken, als ich außerdem auch bereits finden würde.« – »Darüber läßt sich später sprechen«, meinte der Herzog begütigend. »Deine letzten Worte aber erinnern mich daran, daß die Stunde fast da ist, in der du beim Kriegsminister zu erscheinen hast. Du bist bei ihm gut akkreditiert, hast dich ja durch deine bisherigen Leistungen selbst bestens empfohlen und wirst also einen freundlichen Empfang finden. Ich wünsche, daß dies bei deiner heutigen Tournee überall der Fall sein mag.«

 

Damit war die Angelegenheit einstweilen erledigt, und Kurt verabschiedete sich, um die vorgeschriebenen Besuche bei seinen Vorgesetzten zu machen. Im stillen gelobte er sich aber, keinem der Offiziere die leiseste Trübung seiner Ehre zu gestatten und insbesondere diesem Ravenow bei erster, bester Gelegenheit auf die Finger zu klopfen.

Es wurde nun für ihn ein hübsches, einspänniges Kabriolett bereitgehalten, das er bestieg, um die anstrengende Arbeit des sich Vorstellens schnell zu vollenden. Kurt fuhr zunächst zum Kriegsminister, denn er hatte den Befehl erhalten, sich bei demselben vorzustellen, was sonst bei jungen Offizieren, die nur an ihren Regimentskommandeur gewiesen sind, nicht der Fall ist. Dieser Umstand bewies ihm, daß man Gründe habe, mit ihm eine für ihn höchst ehrenvolle Ausnahme zu machen. Und eine ganz außerordentliche Bevorzugung war es, daß er nicht zu warten brauchte, sondern sogleich vorgelassen wurde, obgleich im Vorzimmer zahlreiche Personen auf Audienz warteten und es neidisch bemerkten, daß dieser junge Mann den Vortritt erhielt.

Der Minister empfing ihn freundlich, überflog seine Erscheinung mit einem befriedigten Lächeln und sagte:

»Sie sind noch jung, Herr Leutnant, außerordentlich jung, aber Sie wurden mir empfohlen, und ich bin geneigt, diese Empfehlung zu berücksichtigen. Sie haben trotz Ihrer Jugend die militärischen Institutionen mehrerer Teile des Auslandes eingehend studiert und kennengelernt, ich habe Ihre bezüglichen Arbeiten gelesen und kann meinen Beifall nicht versagen. Ich meine, daß Ihr Talent zu guten Hoffnungen berechtigt, und so habe ich den Entschluß gefaßt, Sie im großen Generalstab zu beschäftigen, sobald Sie unser Gardekorps kennengelernt haben. Ich verhehle Ihnen nicht, daß Sie auf Schwierigkeiten stoßen werden, die sich auf die Tradition dieses Korps stützen mögen, ich ersuche Sie, diese Schwierigkeiten so weit zu ignorieren, als es Ihre Offiziersehre möglich macht. Man wird Ihnen kalt und zurückweisend begegnen, und darum habe ich einige Zeilen verfaßt, die Sie Ihrem Obersten überreichen sollen. Es ist das eine Ausnahme, die den Zweck hat, Ihnen die ersten Schritte zu erleichtern. Gehen Sie mit Gott und lassen Sie mich recht bald erfahren, daß Sie in Ihrem neuen Kreis an Ihrer Stelle sind, obgleich Sie nicht das Glück haben, den exklusiven Kreisen unseres Adels anzugehören.«

Er gab Kurt ein versiegeltes und an den Obersten adressiertes Kuvert und machte mit wohlwollender Miene das Zeichen der Entlassung, nachdem er ihn aufmerksam gemacht hatte, sich zunächst auch dem Divisions- und dann dem Brigadekommandeur vorzustellen.

Dieser Anfang war sehr ermutigend, leider aber zeigte sich die Fortsetzung als viel weniger erfreulich. Der Divisionsgeneral ließ sagen, daß er nicht zu Hause sei, trotzdem Kurt ihn am Fenster bemerkt hatte, und der Brigadier empfing ihn zwar, aber mit einem sehr finsteren Gesicht.

»Sie heißen Helmers?« fragte er. – »Zu Befehl, Exzellenz.« – »Weiter nichts? Sie haben kein ›Von‹ vor Ihrem Namen?« – »Nein«, antwortete Kurt ruhig. – »So kann ich nicht begreifen, wie man Sie zur Garde versetzen kann!«

Das war eine direkte, rücksichtslose Malice, und darum antwortete Kurt:

»Vielleicht begreift es Seine Exzellenz der Herr Kriegsminister. Ich kenne übrigens kein adliges Geschlecht, dessen Ahne ein ›Von‹ vor dem Namen gehabt hätte. Sollte die jetzige Generation der Geschlechter wirklich höher zu achten sein als der bürgerlich Geborene, so bin ich wenigstens dem Ahnen vollständig ebenbürtig, und das genügt mir.«

Eine solche Zurechtweisung war dem Reitergeneral noch nie geworden. Er kniff die Augen zusammen und versetzte mit scharfer Stimme:

»Wie? Was? Antworten wollen Sie? Ah, das muß man sich merken! Sie sind entlassen. Gehen Sie!«

Kurt salutierte und ging. Sein Weg führte ihn zum Obersten. Hier mußte er fast eine Stunde lang antichambrieren, obgleich sich kein Mensch im Vorzimmer befand. Endlich wurde er eingelassen. Der Oberst saß am Pult und drehte ihm in nachlässiger Weise den Rücken zu. An einem Seitentisch schrieb Branden, der Adjutant. Dieser letztere warf einen einzigen kalten Blick auf den Eintretenden und schrieb dann weiter.

Es vergingen einige Minuten, ohne daß es schien, als ob Kurts Eintritt bemerkt worden sei. Da hustete er laut und vernehmlich, vielleicht auch ein wenig maliziös, und nun drehte sich der Oberst langsam um.

»Wer hustet da? Ah, es ist jemand hier! Wer sind Sie?« – »Leutnant Helmers, zu Ihrem Befehl, Herr Oberst.«

Da erhob sich der Regimentskommandeur, setzte das Monokel ein und betrachtete den Leutnant mit eisigem Blick. Als er an dem Äußeren desselben nicht das geringste auszusetzen fand, meinte er:

»Also eingetroffen! Melden Sie Ihre Wohnung auf der Adjutantur. Ich muß Ihnen sagen, daß man bei der Garde anspruchsvoll ist. Kennen Sie die Herren Offiziere bereits?« – »Nein.« – »Hm! Werden Sie im Kasino speisen?« – »Ich wohne und esse bei Bekannten.« – »Ah so! Hm! Da weiß ich nun allerdings nicht, wie man Sie mit den Herren bekannt machen soll!«

Kurt verstand, was man meinte, doch antwortete er in höflichem Ton:

»Ich glaube es ist Brauch, daß stets die Herren Adjutanten es übernehmen, die Bekanntmachung der Kameraden untereinander zu vermitteln. Ich weiß nicht, ob ich annehmen muß, daß bei der Garde ein anderer Modus gebräuchlich ist.«

Der Oberst räusperte sich sehr vernehmlich und antwortete:

»Sie können doch nicht verlangen, daß man beim Gardekorps, welches die Elite des Adels in sich vereinigt, eine so – gelinde gesagt – bürgerliche Gepflogenheit akzeptiert – einem der infolge seiner Geburt außerhalb dieses Kreises steht, ist es nicht leicht in denselben einzudringen. Ein vernünftiger Gärtner wird niemals der gemeinen Kartoffel einen Platz anweisen neben der vornehmen Kamelie oder Rose…« – »Und doch bringt diese ›gemeine‹ Kartoffel vielen Millionen Heil und Segen, während Rose und Kamelie nur für das Auge oder die – Nase sind«, fiel Kurt schnell ein. »Ich bin überzeugt, daß selbst die vom Herrn Oberst erwähnte Elite des Adels eine geschmorte Rose oder Kamelie für ein Unding hält, während die so ordinäre Kartoffel längst den vornehmen Kreis, von dem ich soeben hörte, siegreich gesprengt hat.«

Der Oberst kniff das Monokel fester ein, warf einen höchst erstaunten Blick auf den Sprecher und sagte in scharfem Ton:

»Herr Leutnant, ich bin nicht gewöhnt, mich unterbrechen zu lassen; merken Sie sich das gefälligst!« Und sich zum Adjutanten wendend, fragte er: »Mein lieber Branden, werden Sie dieser Tage das Kasino besuchen?« – »Ich bezweifle es«, antwortete dieser kühl und ohne von seiner Schreiberei aufzublicken. Und mit noch größerer Kälte meinte nun der Oberst zu Kurt: »Sie hören es, Leutnant. Es wird Ihrem eigenen Ermessen anheimgestellt bleiben, sich auf irgendeine Weise den Herren Offizieren zu nähern.«

Kurt nickte sehr gleichgültig und sagte:

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