Satan und Ischariot I

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»Nein,« antwortete das Täubchen.



»Ich suche eine Hazienda del Arroyo, welche nicht sehr weit von Ures zu liegen scheint. Vielleicht können Sie mir Auskunft erteilen?«



»Nein. Auch du nicht, mein Täubchen?«



»Nein,« echote das Täubchen.



»Timoteo Pruchillo hat deutsche Emigranten kommen lassen, welche auf seiner Hazienda arbeiten sollen. Wer hat diese Leute zu beschützen, falls er es nicht ehrlich mit ihnen meint?«



»Ich nicht, Sennor.«



»Aber wer denn sonst?« fragte ich.



»Deutschland mit seinen Gesandtschaften oder Konsulaten.«



»Giebt es hier ein Konsulat?«



»Nein.«



»Aber wenn diese Leute in Not oder gar Gefahr kommen, so muß doch jemand hier sein, der sich ihrer annimmt!«



»Nein, es ist niemand da.«



»Aber, Sennor, selbst angenommen, daß die Leute rechts- und schutzlos sind, weil kein Vertreter ihres Vaterlandes sich im hiesigen Distrikte befindet, so ist doch zu erwarten, daß ein Mexikaner, falls er unehrlich oder gar noch schlimmer an ihnen handelte, von der hiesigen Behörde zur Verantwortüng gezogen würde?«



»Nein, Sennor. Was mit Ausländern geschieht, geht mich nichts an.«



»Wenn nun ein Bewohner Ihres Distriktes einen Deutschen tötete, was würden Sie da thun, Sennor?«



»Nichts, gar nichts. Meine Unterthanen machen mir soviel zu schaffen, daß ich mich mit Angehörigen fremder Länder nicht befassen kann. Mit ausländischen Personen, Angelegenheiten, Verhältnissen und Dingen können wir uns unmöglich abgeben. So etwas dürfen Sie von uns nicht verlangen. Wünschen Sie sonst noch etwas, Sennor?«



»Nein, Ihre bisherigen Antworten haben mich aller weiteren Fragen enthoben.«



»So werde ich Sie entlassen, sobald Sie den Wert meiner Auskünfte anerkannt haben.«



»Ja, anerkannt haben,« stimmte die Sennora in bezauberndem Tone bei, wozu der Papagei ein allerliebstes, halblautes Klingen und Singen hören ließ.



»Ich werde Sie über diesen Wert auf das gewissenhafteste aufklären,« antwortete ich. »Da Sie immer nur mit ›Nein‹ geantwortet haben, besitzen Ihre Antworten für mich leider nicht eine Spur von Wert.«



»Wie? Was? Wollen Sie damit sagen, daß Sie nichts zahlen wollen?«



»Allerdings.«



Er trat zwei Schritte zurück, maß mich mit zornigen Augen und drohte:



»Ich kann Sie zwingen, Sennor!«



»Nein! Auch ich bin ein Deutscher. Ich habe nur ausländisches Geld bei mir, und da ich Ihnen nach Ihren eigenen Worten nicht zumuten darf, sich mit ausländischen Angelegenheiten, Personen, Verhältnissen und Dingen zu befassen und mein Geld doch sicher zu den ausländischen Dingen gehört, so kann ich doch unmöglich mich an Ihrer inländischen Selbstachtung dadurch versündigen, daß ich Ihnen eine fremde Münze anbiete.«



Die Sennora warf ihre Cigarette weg und wetzte ihre Lippen an den Zähnen. Der Papagei hob die Flügel und riß den Schnabel auf. Der Sennor trat noch einen Schritt zurück und fragte in kollerndem Tone:



»Also nur fremdes Geld?«



»Ja. Die einzigen einheimischen Gegenstände, welche ich Ihnen verehren kann, sind diese beiden Cigaretten, die ich hiermit in den Tabakskasten lege.«



Ich warf die Cigaretten in den Tabak, wobei der Papagei mit dem Schnabel nach meiner Hand hackte.



»So wollen Sie nichts, gar nichts zahlen?«fragte der Sennor.



»Nein.«



Ich griff nach meinen Gewehren, welche ich an die Wand gelehnt hatte, um mich schnell zu entfernen.



»Ein Geizhals, ein wortbrüchiger Mensch!« donnerte der ewig Lange mit seiner Bauchrednerstimme.



»Ein Ausländer, ein Habenichts, ein Vagabund!« kreischte die Donna wütend hinter mir her.



»Eres ratero, eres ratero, ratero – du bist ein Spitzbube, du bist ein Spitzbube, ein Spitzbube!« hörte ich den Papagei schreien, als ich mit raschen Schritten über den Hof eilte, um hinaus auf die Straße zu gelangen. Da stand, meiner wartend, der Polizist, streckte mir die Hand entgegen und meinte:



»Eine Gabe für die Auskunft, welche ich Ihnen erteilt habe! Mein Gehalt ist so gering, und ich habe ein Weib mit vier Kindern zu ernähren!«



»Dafür kann ich nicht; da ist nichts zu machen,« antwortete ich ihm mit seinen eigenen Worten, band mein Pferd los, stieg auf und ritt davon. Wäre ich bei nur einigermaßen besserer Laune gewesen, so hätte wenigstens er etwas bekommen.



Die Hoffnung, welche ich auf die Meldung bei der hiesigen Behörde gesetzt hatte, war eine vergebliche gewesen. Bei solchen Zuständen, welche heutzutage wohl andere sind, ist es am besten, stets nach dem Grundsatze »Selbst ist der Mann« zu handeln. Fort also mit der Rechnung auf fremde Leute und auf fremde Hilfe! –



Als ich mich weit genug von dem Stadthause entfernt hatte, stieg ich an einem »Hotel« ab, um da etwas zu essen und zu trinken, das Pferd tränken und füttern zu lassen und mich nach einem Kleiderladen zu erkundigen. Ein solcher lag in der Nähe, und ich bekam da, allerdings zu einem sündhaften Preise, das, was ich suchte, einen guten, mexikanischen Anzug, der wie für mich gefertigt war, aber eine fast vollständige Ebbe in meinem Beutel zur Folge hatte. Die Sorge für die nächste Zukunft riet mir, mich in ausgiebiger Weise mit Schießbedarf zu versehen, und als ich dies gethan hatte, war mein Bargeld so zur Neige gegangen, daß ich trotz alles Schüttelns der Tasche und des Beutels nichts mehr klingen hörte. Das konnte mir aber keine Sorgen machen, da ich jetzt voraussichtlich in Verhältnisse und durch Gegenden kam, in denen der Besitz von Geld nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich gewesen wäre. In jenen Breiten und Verhältnissen war damals und ist wohl unter Umständen auch noch heute ein zuverlässiges Gewehr in der Hand besser, als ein voller Beutel in der Tasche. So ritt ich denn, den in die Decke gewickelten neuen Anzug hinter mir aufgeschnallt, wohlgemut zur Stadt hinaus, um eine kleine Hoffnung getäuscht, doch um eine wichtige Erfahrung reicher.



Ich hatte mich nämlich im Gasthofe nach der Hazienda del Arroyo erkundigt und erfahren, daß dieselbe einen vollen Tagesritt weit ostwärts zwischen bewaldeten Bergen an einem Bache liege, von welchem ein kleiner See gespeist werde. Man hatte mir die Gegend und den Weg nach derselben so genau beschrieben, daß ich gar nicht irren konnte. Zugleich hatte ich über die Verhältnisse und den Charakter des Besitzers näheres erfahren.



Sennor Timoteo Pruchillo war ein ehrlicher Mann, hatte früher zu den reichsten Leuten der Provinz gehört, aber durch die oft wiederkehrenden politischen Aufstände und die Überfälle der Indianer viel gelitten, sodaß er nun nur noch als ziemlich wohlhabend galt. Von mehreren großen Landgütern war ihm nur noch das einzige, die Hazienda del Arroyo geblieben. Außerdem gehörte ihm ein Quecksilberbergwerk zu eigen, über dessen Lage ich nichts Genaues erfahren hatte, man wußte nur, daß es noch weit, weit hinter der Hazienda in einer höchst unfruchtbaren Gegend liege und früher reiche Erträge gemacht habe, dann aber wegen Mangels an Arbeitern und des Herumschweifens wilder Indianer aufgegeben und verlassen worden sei.



Über den Weg, den ich heut zurücklegte, ist nichts zu sagen. Ich war allein und kam durch eine völlig uninteressante Gegend. Ich übernachtete in einem Thale, welches von kahlen Höhen eingeschlossen war, auf seinem Grunde aber doch so viel Gras trug, daß mein Pferd sich sattfressen konnte. Während mir von Ures bis hieher kein Mensch in den Weg gekommen war, hatte ich am nächsten Vormittage eine Begegnung und zwar eine unter den gegebenen Verhältnissen sehr wichtige, eine Begegnung, bei welcher leider Blut fließen sollte.



Ich ritt durch ein langes, schmales Thal, welches sich in vielen Windungen aufwärts in die Berge zog. Diese lagerten kahl und baumlos vor dem höhern Gebirge, in welchem ich die Hazienda zu suchen hatte. Sie waren felsig und besaßen so eigenartige, abenteuerliche Formen, daß ich hier und da an die fernen Bad-lands erinnert wurde. Nur selten war ein Baumkrüppel oder Strauch zu sehen, der aus einer Spalte ragte, in welcher es die Feuchtigkeit zu einem spärlichen Gedeihen für ihn gab. Ich dachte an meine Erlebnisse in jenen Bad-lands, an die Kämpfe mit den Sioux, mit denen ich dort oft zusammengeraten war; ich bildete mir ein, ihr schrilles Kriegsgeheul und die Stimmen ihrer Gewehre zu hören. Da – – war das nur die Erinnerung, die es mir vorspiegelte, oder war es die Wirklichkeit: ein Schuß war gefallen. Ich hielt mein Pferd an und horchte. Es war die Wirklichkeit, denn jetzt fiel ein zweiter und ein dritter Schuß, vor mir im Thale, hinter der nächsten Krümmung, welche dasselbe machte.



Ich trieb mein Tier an, war aber, als ich die Krümmung erreichte, nicht so unvorsichtig, um dieselbe zu biegen. Ich wollte vorher wissen, mit wem ich es zu thun hatte. Darum stieg ich ab, ließ das Pferd stehen und ging zu Fuß nach der Ecke des Felsens, um nach der andern Seite derselben zu blicken. Als ich den Hut, dessen breite Krämpe mich leicht verraten konnte, abgenommen hatte und dann den obern Teil des Kopfes bis zu den Augen vorstreckte, sah ich, daß sich jenseits des Felsens das Thal erweiterte, indem es eine Seitenschlucht aufnahm, welche rechtwinklig in dasselbe mündete. Unten, in der Sohlenmitte des Hauptthales, standen zwei Männer, die empor nach dem Felsen blickten, welcher die Ecke des Haupt- und Nebenthales bildete. Es war ein Weißer und ein Indianer. Beide hatten ihre Gewehre in den Händen. Sie legten dieselben jetzt eben an, zielten nach oben und drückten ab; die Schüsse knallten schnell hintereinander.



Auf was oder wohl gar auf wen schossen die beiden Menschen? Es standen drei Pferde in ihrer Nähe. Sie waren also zu dritt. Wo befand sich der dritte? Ich schob den Kopf weiter vor und sah nun unten, hart an der Felsenecke, drei fernere Pferde liegen, welche tot zu sein schienen, denn sie bewegten sich nicht. Über denselben, vielleicht dreißig Ellen hoch, an einer Stelle, welche nur ein guter Kletterer zu erreichen vermochte, kauerten drei Personen hinter einem Felsenvorsprunge, der ihnen Schutz gegen die nach ihnen gesandten Kugeln bot. Diese drei waren ein Weib und zwei Knaben. Vielleicht wäre der Ausdruck Jünglinge richtiger; ich konnte ihre Gesichtszüge nicht genau erkennen. Sie waren nicht mit Gewehren, sondern nur mit Bogen bewaffnet, und sandten gegen ihre Angreifer zuweilen einen Pfeil herab, welcher aber immer zu kurz fiel.

 



Männer gegen Knaben, gegen ein unbewaffnetes Weib! Pfui! Was für Männer konnten das sein! Doch nur ehrlose Menschen! Ich war augenblicklich entschlossen, den Knaben zu Hilfe zu kommen, denn es war klar, daß es auf deren Leben abgesehen war. Um das mit möglichst wenig Gefahr für mich thun zu können, mußte ich die beiden Angreifer überrumpeln, mußte sie in einem Augenblicke überraschen, an welchem sie ihre Gewehre abgeschossen hatten. Ich ging also wieder zu meinem Pferde und stieg auf. Nachdem ich meine beiden Gewehre aus ihrer Umhüllung gezogen hatte, nahm ich den Bärentöter auf den Rücken, den Henrystutzen aber in die Hand und lockerte auch die beiden Revolver im Gürtel. Nun wartete ich. Ein Schuß fiel, gleich darauf ein zweiter, und da flog auch schon mein Pferd hinter dem Felsen hervor und auf die beiden zu. Sie sahen mich kommen und standen, ohne sich zu bewegen, so überrascht waren sie von diesem unerwarteten Erscheinen eines hier und jetzt gar nicht vermuteten Menschen.



Der Weiße war mittellang und mittelstark, trug einen leichten Anzug nach dem hier zu Lande gebräuchlichen Schnitte, und hatte sehr scharfe, ausgeprägte Gesichtszüge, die man, einmal gesehen, wohl nicht wieder vergessen konnte. Eine Pistole und ein Messer stak in seinem Gürtel, und in der Rechten hielt er die soeben abgeschossene einläufige Flinte.



Der Rote war ähnlich gekleidet, doch trug er sein Haupt unbedeckt und die Häuptlingsfeder in dem langen, schlaffen Haare. Aus seinem Gürtel ragte nur der Griff eines Messers; sein Gewehr war auch nur einläufig und soeben abgeschossen.



»Guten Morgen, Sennores!« grüßte ich, indem ich mein Pferd vor ihnen parierte und den Stutzen in der Rechten hielt. »Was für eine Jagd treiben Sie hier? Doch nur auf Tiere?«



Sie antworteten nicht. Ich that, als ob ich erst in diesem Augenblicke die toten Pferde sähe, und fuhr fort:



»Ah! Auf Pferde schießen Sie? Und die Pferde sind gesattelt! So haben Sie es also auf die Reiter abgesehen? Wo befinden sich dieselben?«



Der Rote griff in seinen Kugelbeutel, um wieder zu laden. Der Weiße that dasselbe und antwortete dabei:



»Was geht Sie das an? Machen Sie sich davon! Sie haben sich um unsere Angelegenheiten nicht zu kümmern!«



»Nicht? Wirklich nicht? Das ist eine Ansicht, über welche sich noch streiten läßt. Wer auf seinem ehrlichen Wege Männern begegnet, welche auf Knaben und Frauen schießen, der hat wohl ein Recht, nach dem Grunde eines solchen Verhaltens zu fragen.«



»Aber welche Antwort wird er bekommen?«



»Diejenige, welche er fordert, falls er nämlich der Mann ist, seiner Frage Nachdruck zu geben.«



»Und für einen solchen halten Sie sich wohl?« fragte der Weiße in höhnischem Tone, während der Rote kaltblütig um seine Kugel ein Pflaster wickelte, um sie dann in den Lauf zu stoßen.



»Allerdings,« antwortete ich.



»Lassen Sie sich nicht auslachen, sondern verschwinden Sie schleunigst, sonst werden Ihnen unsere Kugeln zeigen – –«



»Eure Kugeln, Schurke?« unterbrach ich ihn, indem ich den Lauf auf seine Brust richtete. »Fühle erst die meinigen! Weißt du, wieviel Kugeln in einem Henrystutzen stecken? Laßt augenblicklich eure Gewehre fallen, sonst fährt mein Metall euch durch die Köpfe!«



»Hen-ry-stu-tzen!« stieß der Weiße in einzelnen Silben hervor, indem er mich mit weitgeöffneten Augen anstarrte und sein Gewehr aus der Hand gleiten ließ.



Wie kam es doch, daß dieses eine Wort »Henrystutzen« ihm einen solchen Schrecken einjagte? Der Indianer war fern davon, ein solches Entsetzen zu fühlen. Er erwog mit kaltem Blute die Situation. Mein Lauf war nicht auf seine Brust, sondern auf diejenige des Weißen gerichtet, dennoch durfte er es nicht wagen, sein Gewehr vollends zu laden. Aber es gab doch ein Mittel, mich schnell unschädlich zu machen. Der Rote gedachte, es auszuführen; das sah ich seinen Augen an und war gefaßt darauf. Er riß nämlich mit einem blitzschnellen Griffe dem Weißen das Pistol aus dem Gürtel und schlug es auf mich an. Ebenso schnell aber hatte ich meinen Lauf gegen seine Hand gerichtet, und ehe er vermochte, den Hahn der Pistole mit dem Daumen aufzudrücken, krachte mein Schuß, und die Kugel fuhr ihm in die Hand. Er stand einen Augenblick wie erstarrt, sah auf die blutende Hand, welcher die Pistole entfallen war, dann auf mich und rief hierauf dem Weißen zu:



»Tave-schala!«



Nach diesen beiden Worten that er, ohne nach seinem Gewehre und der Pistole, welche beide am Boden lagen, zu sehen, einen Satz zu den Pferden hin, sprang auf eines derselben und jagte davon.



»Tave-schala!« wiederholte der Weiße, welcher bis zu diesem Augenblicke unbeweglich gestanden hatte. Dann fügte er in englischer Sprache hinzu: »Alle Teufel, wo habe ich meine Augen gehabt! Der Häuptling hat recht!«



In einem Nu war er beim zweiten Pferde, im Sattel und hinter dem Roten her, sein Gewehr auch liegen lassend. Es fiel mir nicht ein, ihn oder den andern zurückzuhalten. Was hatten die beiden Worte Tave-schala zu bedeuten? Sie gehörten einer Sprache an, welche ich nicht kannte.



Als die beiden davongaloppierten, ertönte von dem Felsen herab ein dreistimmiges Jubelgeschrei. Die Frau und die beiden Knaben hatten gesehen, was geschehen war; sie sahen sich gerettet, und gaben durch diese Laute ihre Freude kund. Sie schrien und jubelten zu früh, das sah ich gerade in diesem Augenblicke von unten, während sie es von da oben aus, wo sie standen, nicht zu sehen vermochten.



Es erschien nämlich über ihnen auf der obersten Höhe des Felsens, an der Kante desselben, ein Kopf, welcher auf sie herabblickte; dann kam ein Gewehr zum Vorscheine, erst der Doppellauf desselben, und dann die Arme, welche es hielten. Der Mensch, welcher sich da oben befand, wollte auf sie zielen, auf sie schießen. Sie befanden sich in der größten, unmittelbarsten Todesgefahr. Die Worte, welche sie mir jubelnd herabgerufen hatten, gehörten der Sprache der Mimbrenjos an, welche mir, da der Apatschenhäuptling Winnetou in derselben mein Lehrmeister gewesen war, ziemlich geläufig zu Gebote stand. Darum rief ich zu ihnen hinauf:



»To sa arkonda; nina akhlai to-sikis-ta – drückt euch an die Felswand; über euch ist ein Feind!«



Sie gehorchten augenblicklich meinem Rufe und zogen sich so nahe an den Felsen zurück, daß ich sie von hier unten nicht mehr zu sehen vermochte. Der Mann da oben schien sie mit seinen Augen auch nicht mehr erreichen zu können; aber er gab seine Absicht doch nicht auf, sondern er verschwand nur für einen Augenblick und erschien an einer andern Stelle, welche kanzelähnlich weiter vorwärts lag und von welcher aus er, wie mir schien, sie doch zu sehen und mit seinen Kugeln zu treffen vermochte. Es galt, drei Menschen zu retten. Dies konnte nicht geschehen, wenn ich diesen einen schonte. Es war ein schwerer Schuß in diese Höhe hinauf. Der Stutzen reichte nicht soweit. Und traf meine erste Kugel nicht, so fand der Mann Zeit, seine Absicht auszuführen. Mein Pferd stand nicht ruhig. Ich sprang also aus dem Sattel, warf den Stutzen weg und nahm den Bärentöter vor. Eben als ich den Lauf desselben erhob, richtete der Mann den seinigen nach unten. Ein kurzes aber festes Zielen – ich drückte ab. Der Schuß krachte und hallte von den Thalwänden wider. Das alte, schwere Gewehr hatte hier eine wahre Böllerstimme. Der Körper des Mannes lag oben auf der Felsenhöhe; ich hatte nur seinen Kopf und seine Vorderarme sehen können, und auch das nicht deutlich, der großen Entfernung wegen. Es war mir, als ob der Kopf nach meinem Schusse zur Seite zucke, aber er zog sich nicht zurück, und die Arme hielten das Gewehr nach unten gerichtet. Ich schickte also eine zweite Kugel hinauf. Der Mann verschwand noch immer nicht: aber er schoß auch nicht. Darum lud ich schnell wieder. Dabei sah ich, daß meine drei Schützlinge wieder nach vorn traten, und der eine Knabe rief mir zu:



»Schießt nicht mehr; er ist tot. Wir kommen zu dir hinab.«



Es kommt vor, daß man nach einer Schlacht die Leichen von Soldaten genau in derselben Stellung findet, in welcher sie von den Geschossen getroffen worden sind. Sollte diese augenblickliche Erstarrung auch hier eingetreten sein? Ich sah die drei herunterklettern, ging auf sie zu und traf am Fuße des Felsens mit ihnen zusammen. Die Frau war eine noch junge und nach indianischen Begriffen sehr schöne Squaw. Die Knaben schätzte ich den einen auf fünfzehn und den andern auf siebzehn Jahre. Ihre Anzüge zeigten, daß sie längere Zeit unterwegs gewesen waren. Ich reichte allen dreien die Hand und fragte, da es bei den Indianern Sitte ist, sich bei solchen Veranlassungen lieber an einen Knaben, als an ein Weib zu wenden, den ältesten:



»Kanntest du eure Feinde?«



»Das Bleichgesicht nicht, aber die beiden roten Männer. Der Alte war Vete-Ya, der Häuptling der Yuma, und der andere Gaty-ya, sein Sohn.



Da ich trotz ihrer Jugend nicht so unhöflich sein wollte, sie, die vielleicht noch gar keine Namen hatten, nach ihren Verhältnissen zu fragen, so erkundigte ich mich zunächst:



»Ich kenne weder den großen noch den kleinen Mund, und habe nie von ihnen gehört. Welchen Grund hatten diese roten Männer, euch töten zu wollen?«



»Sie kamen vor vielen Monden, unsern Stamm zu überfallen und zu berauben, obgleich wir mit dem ihrigen in Frieden lebten. Wir erfuhren es zu rechter Zeit und besiegten die Yuma. Dabei wurde der Häuptling gefangen genommen. Nalgu Mokaschi, dessen Söhne wir sind, schlug ihm den Kampf der Ehre vor und besiegte ihn in demselben. Anstatt ihn darauf zu töten, ließ er ihn laufen. Das ist eine große Schande, weil es ein Beweis der Geringschätzung ist, was du wohl nicht wissen wirst, weil du ein Bleichgesicht bist.«



»Ich weiß es, denn ich kenne die Sitten und Gewohnheiten der roten Männer sehr genau. Ich habe viele Sommer und Winter mit den tapfersten Stämmen verkehrt, und auch mit dem starken Büffel, eurem Vater, die Friedenspfeife getrunken.«



»So kannst du kein gewöhnliches Bleichgesicht sein und mußt einen großen Namen haben, denn unser Vater ist ein tapferer Krieger und pflegt nur mit berühmten Männern das Calumet zu trinken.«



»Ihr werdet meinen Namen erfahren. Jetzt erzähle mir zunächst weiter, wie ihr hier mit den beiden Yumas und dem weißen Manne zusammengetroffen seid!«



»Diese Squaw ist unsere Schilla. Als sie noch Mädchen war, kam ein Häuptling der Opata, um sie zur Frau zu begehren. Der Vater erlaubte es ihr, ihm zu folgen. Wir beide sehnten uns nach ihr und machten uns auf, sie zu besuchen. Wir waren zwei Monde bei den Opata, und als wir wieder gingen, begleitete sie uns, um den Vater zu sehen.«



»Das war unvorsichtig!«



»Verzeihe! Wir leben mit allen Stämmen in Frieden; eine Schar von Opatas begleitete uns eine große Strecke, und als sie uns verließen, waren wir und sie überzeugt, daß nun an eine Gefahr nicht mehr gedacht werden könne. Die Yuma wohnen weit von hier, und wir konnten nicht ahnen, daß ihr Häuptling sich hier in der Gegend befindet. An Squaws und Knaben zieht jeder ehrliche Krieger vorüber. Der große Mund aber erkannte uns und schoß auf uns. Wir sind noch keine Krieger und haben noch keine Namen. Wir hatten nur Pfeile bei uns und konnten uns nicht wehren. Darum sprangen wir schnell von den Pferden und flüchteten uns auf den Felsen. Wir konnten uns hinter demselben verstecken, und wenn die Feinde es gewagt hätten, uns nachzuklettern, hätten wir sie mit unseren Pfeilen getötet. Dennoch wären wir verloren gewesen, wenn du uns nicht gerettet hättest; denn als der große Mund sah, daß wir vor ihren Kugeln sicher waren, sandte er den kleinen Mund, seinen Sohn, auf einem Umwege noch höher als wir zu steigen und uns von oben herab zu erschießen!«



»Und der Weiße schoß auch?«



»Ja, obwohl wir ihn nicht kannten und ihm nie etwas zuleid gethan hatten. Er gab sogar dem kleinen Mund sein Gewehr mit, weil dasselbe zwei Läufe hatte und wir mit demselben leichter und schneller getötet werden konnten. Er wird dafür sterben müssen, sobald er mir begegnet; ich habe mir sein Gesicht genau betrachtet.«

 



Er zog bei diesen Worten sein Messer und machte mit demselben eine Bewegung, als ob er jemandem das Herz durchbohre. Ich sah, daß es dem Knaben Ernst mit dieser Drohung war. Dabei dachte ich an die beiden Worte, welche der große Mund ausgerufen hatte, als meine Kugel seine Hand traf. Darum fragte ich:



»Ist dir vielleicht die Sprache der Yuma bekannt?«



»Wir kennen sehr viele Worte aus derselben.«



»So kannst du mir vielleicht sagen, was die Worte Tave-schala bedeuten?«



»Das weiß ich sehr wohl. Sie bedeuten ›die zerschmetternde Hand‹. Das ist der Name eines großen weißen Jägers, welcher Freund des berühmten Apatschenhäuptlings Winnetou ist. Er wird von den Bleichgesichtern Old Shatterhand genannt, und unser Vater hat einmal an seiner Seite gegen die Comantschen gekämpft und mit ihm das Calumet des Friedens und der ewigen Freundschaft getrunken. Wo hast du diese beiden Worte gehört?«



»Der große Mund rief sie aus, als ich ihm vorhin mit meiner Kugel die Hand zerschmetterte.«



»Da hast du so gethan, wie Old Shatterhand zu handeln pflegt. Er tötet keinen Feind, den er durch eine Verwundung unschädlich machen kann. Seine Kugeln gehen niemals fehl. Er sendet sie entweder aus einem Schosch-sesteh , den nur ein sehr starker Mann zu handhaben vermag, oder aus einem kurzen Gewehre, welches soviele Kugeln hat, daß er mit demselben ohne Ende zu schie – –«



Er hielt mitten im Worte inne, betrachtete mich von oben bis unten und rief dann, zu seinen Geschwistern gewendet, aus:



»Uff! Meine Augen sind blind gewesen! Dieser weiße Krieger hatte auf so weite Entfernung unsern Feind getroffen. Seht das schwere Gewehr in seiner Hand! Dort, wo er vorhin stand, liegt sein zweites Gewehr, mit welchem er die Hand des großen Mundes zerschmetterte. Dieser Häuptling hat ihn Tave-schala genannt. Mein jüngerer Bruder und meine ältere Schwester, tretet in Ehrfurcht zurück, denn wir stehen vor dem großen, weißen Krieger, von welchem unser Vater, der doch ein großer Held ist, gesagt hat, daß er nicht mit ihm verglichen werden könne!«



Das war eine indianische Redensart, eine Übertreibung, mit welcher der Knabe es allerdings aufrichtig meinte. Die drei wichen zurück und verneigten sich tief vor mir; ich aber reichte ihnen abermals die Hand und sagte:



»Ja, ich bin derjenige, den man Old Shatterhand nennt. Ihr seid die Kinder meines tapfern und berühmten Freundes, und mein Herz ist erfreut darüber, daß ich zur rechten Zeit kam, euern Todfeind von hier zu vertreiben. Seine rechte Hand ist zerschmettert, und er wird den Tomahawk des Krieges nie wieder in derselben führen können. Ihr sollt ein Andenken an den Tag haben, an welchem ihr ihn als feigen Flüchtling davonreiten sahet. Kommt mit hin zu den Pferden!«



Sie folgten mir zu der Stelle, an welcher mein Pferd stand, in seiner Nähe noch dasjenige des kleinen Mundes. Da lag mein Henrystutzen, den ich weggeworfen hatte, und da lagen auch die beiden einläufigen Gewehre und die Pistole. Ich sah, daß meine Stutzenkugel erst durch den Griff der letzteren und dann in die Faust des Roten gedrungen war, also matt; sie hatte infolgedessen eine viel bösere Wunde gerissen, als wenn sie die Hand scharf und glatt durchschlagen hätte. Die beiden Einläufer hatten den Indianern gehört. Der Weiße hatte seinen Zweiläufer nur für kurze Zeit zu dem bereits angegebenen Zweck an den kleinen Mund abgegeben und dafür die einläufige Flinte behalten. Die Beute gehörte natürlich mir. Ich schenkte jedem der Knaben eine der Flinten und dem älteren die Pistole dazu. Sie waren jedenfalls entzückt darüber, denn ein Indianerknabe bekommt sonst kein Feuergewehr, nahmen sie aber schweigend entgegen, da ein Roter nicht nur den Schmerz, sondern auch die Freude zu beherrschen wissen muß.



Das Pferd des kleinen Mundes war ein schönes Tier; ich schenkte es der jungen Squaw, welche sich an den Männersattel nicht zu kehren brauchte, weil die Indianerfrauen wie die Männer zu Pferde sitzen.



Nun ging es zu den drei erschossenen Pferden, welche, wie schon erwähnt, nahe am Felsen lagen. Die Angreifer hatten sich nicht nach dieser Stelle getraut, da sie hier von den Pfeilen der Knaben erreicht worden wären. Aus diesem Grunde fehlte nichts von dem, was die Pferde getragen hatten. Es waren Geschenke an die Knaben von ihrem Schwager und auch solche, welche die Squaw für ihren Vater mitgenommen hatte. Die Gegenstände mußten ebenso wie Sattel- und Zaumzeug mitgenommen werden.



Nun wollte ich nach der Höhe des Felsens, um nach dem kleinen Mund zu sehen. Die Knaben baten mich, mitgehen zu dür

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