Satan und Ischariot I

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»Hat er das gethan? Ich habe es nicht bemerkt.«

»Natürlich haben sie sich heimliche Blicke zugeworfen, gerade so, als ob sie alte Bekannte seien; und doch thun sie ganz fremd miteinander.«

Das war eine Beobachtung, die ich nicht gemacht hatte. Die Augen des Herkules waren von seiner Eifersucht geschärft worden. Freilich konnte er sich geirrt haben. Darum fragte ich:

»Haben Sie sich da nicht getäuscht? Der Wärter befindet sich dem Mormonen gegenüber in einer so tiefen Stellung, daß eine Vertraulichkeit, wie man sie infolge solchen heimlichen Zuwinkens annehmen müßte, fast ausgeschlossen ist. Sie können einander früher einmal gesehen haben; das wird aber auch alles sein. Vielleicht haben die Blicke, welche Sie beobachteten, nur ein Gruß sein sollen.«

»Reden Sie nicht! Ich kenne meine Augen. Was die sehen, das sehen sie richtig. Wenn die Kerls sich grüßen wollen, so können sie dies frei und offen thun. Wenn sie ihre Grüße aber nicht merken lassen wollen, so müssen sie einen Grund haben, ihr Bekanntsein nicht wissen zu lassen, und dieser Grund kann kein guter, kein ehrlicher sein.«

»Das ist richtig. Ich werde die beiden morgen schärfer beobachten, als ich es heute gethan habe.«

»Thun Sie das! Es steckt gewiß etwas dahinter. Ich habe zwar in Beziehung auf uns und unsere Zukunft keinerlei Sorge, denn unsere Kontrakte sind gut und stellen uns vollständig sicher; aber es ist zwischen Melton und dem Aufwärter irgend etwas vorhanden, was, wenn es sich auf uns beziehen sollte, uns wohl nicht gefallen würde. Ich möchte wissen, was es ist.«

»Hm, ich auch!«

»Vielleicht muß man auch dem Kapitän mißtrauen. Warum führte er den Mormonen, als dieser an Bord kam, nach hinten, um mit ihm zu reden? Konnten sie uns nicht wissen lassen, was sie zu sprechen hatten?«

»Der Kapitän ist ein ehrlicher Mann; das behaupte ich, und ich bin überzeugt, daß ich mich da nicht irre. Warum sollte er seine Schiffs- und Geschäftsangelegenheiten gerade vor unsern Augen und Ohren verhandeln? Aber wenn es wirklich wahr ist, daß der Mormone mit dem Wärter im Einvernehmen steht, so ist mir das interessant, und ich habe große Lust, hinter das Geheimnis zu kommen.«

»Das werden Sie nicht fertig bringen, weil man sich hüten wird, Ihnen die Sache auf die Nase zu binden.«

»Wenn ich nun aber meine Nase, ohne daß man es bemerkt, so tief in diese Sache stecke, daß ich dieselbe kennen lerne?«

»So wird man Ihnen einen tüchtigen Klapps darauf geben!«

»Darüber wird sie nicht allzusehr erschrecken, denn sie hat schon manchen Klapps bekommen. Ich möchte die beiden am liebsten gleich jetzt belauschen.«

»Verrückter Gedanke! Wissen Sie denn, wann und wo sie miteinander sprechen werden? Und sodann befinden wir uns auf einem Schiffe, nicht aber im Walde, wo man sich hinter einen Busch stecken kann, um seine Augen und Ohren im Verborgenen spielen zu lassen.«

»Mag sein. Aber was die Zeit und den Ort betrifft, so kenne ich beide genau. Zeit: heute, und Ort: oben das Deck. Hat der Mormone heimlich mit dem Wärter zu reden, so wird er dies thun, wenn es dunkel ist und wenn er glaubt, daß man es nicht bemerken wird. Er logiert eigentlich neben dem Kapitän, der sich wohl bald in seine Kajüte zur Ruhe begeben wird. Man weiß, wie dünn die Zwischenwände sind. Ließ der Mormone den Wärter heimlich nach der Kajüte kommen, so müßte er befürchten, von dem Kapitän beobachtet zu werden. Er muß sich also einen andern Ort suchen.«

»Wo denn?«

»Haben Sie denn nicht gesehen, daß man vorhin oben ein kleines Zelt errichtet hat? Wozu sollte dasselbe dienen? Für wen kann es sein? Doch nur für den Mormonen. Er wird gesagt haben, daß er lieber auf dem Deck, als in der dumpfen Kajüte schlafe.«

»Und da wollen Sie die beiden belauschen?«

»Wenigstens habe ich große Lust dazu.«

»Lassen Sie das sein, lieber Herr! Es könnte Ihnen schlecht bekommen. Wenn der Pudel über den Milchtopf gerät, der ihm verboten ist, bekommt er die Peitsche.«

»Ja; aber ich bitte sehr höflich, zu bemerken, daß ich kein Pudel bin und daß auch selbst ein Pudel nicht jedesmal erwischt wird. Haben Sie bemerkt, daß das Zelt aus dem Reserve-Großsegel errichtet worden ist?«

»Ich weiß nicht, wie die Segel alle heißen, habe aber gesehen, daß dieses so groß war, daß es nicht nur vollständig für das Zelt reichte, sondern hinter demselben auch noch eine Rolle bildet. Es mag also ein Großsegel sein.«

»Das ist's ja, was ich meine. Zum Zelte hat das halbe Segel genügt. Die andere Hälfte ist hinter demselben zusammengerollt. Unter dieser Rolle oder diesem Knäuel findet ein Mann sehr gut Platz, und wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich da schlafen.«

»Eine tolle Idee! Man wird Sie entdecken, wenn Sie husten oder niesen!«

»Ich werde beides bleiben lassen.«

»Sie scheinen Ihrer Nase sehr sicher zu sein. Aber selbst wenn man Sie nicht erwischen sollte, werden Sie sich vergeblich Mühe geben. Noch wissen Sie nicht, ob das Zelt wirklich für den Mormonen bestimmt ist, und falls Ihre Voraussetzung richtig sein sollte, ist es noch hundertmal fraglich, ob der Wärter dorthin kommen wird.«

»Das müßte ich mir gefallen lassen, doch bin ich der Meinung, daß die Mühe, welche ich mir geben werde, nicht vergeblich sein wird. Ich habe so eine Ahnung, und ich habe die Erfahrung gemacht, daß meine Ahnungen mich selten getäuscht haben.«

»Na, dann will ich Ihnen weder zu- noch abreden, Wenn Ihre Idee Ihnen tüchtige Matrosenhiebe einbringt, so ist's nicht mein Rücken, der sie auszuhalten hat.«

Ich gebe zu, daß das, was der Athlet »Ihre Idee« nannte, ein sehr fragwürdiges Geisteserzeugnis war, aber es lag mir, sozusagen, in den Fingerspitzen, daß ich diesen Gedanken ausführen müsse. Ich verließ also unsere Koje, um mich nach dem Deck zu schleichen. Das war nicht leicht. Die Kojen waren von einander und von dem engen Gange, durch den ich mußte, durch fast papierdünne Scheidewände getrennt; die Insassen konnten mich also leicht hören. Das war aber das wenigste. Viel bedenklicher war die Begegnung mit einer Person der Schiffsbemannung, oder gar mit einem der beiden, die ich belauschen wollte. Doch kam ich, ohne auf jemand zu treffen, bis an die Luke, welche sich vom Raume aus auf das Deck öffnete. Indem ich auf der Treppe stehen blieb und nur den Kopf vorsichtig hervorstreckte, konnte ich, obgleich es nicht sehr hell war, die zwischen mir und dem Zelte liegende Strecke überblicken. Sie war frei.

Hinten gab der Kapitän dem Steuermann Befehle für die Nacht. Er stand also im Begriffe, sich schlafen zu legen. Die Stimme des Mormonen sprach einige Worte drein; er befand sich folglich auch mit am Steuer. Vorn, in der Nähe des Buges, schwatzten und lachten die wenigen Matrosen; sie konnten mich nicht sehen. Ich schwang mich also schnell aus der Luke und huschte nach dem Zelte hin, um mich unter der übriggebliebenen Hälfte des Segels, aus welchem dasselbe gebildet war, zu verbergen. Das war in Zeit von nicht einer Minute geschehen. Ich lag zwar auf dem harten Deck, aber sonst ganz bequem und wurde von dem Segel so bedeckt, daß mich niemand sehen konnte. Mein Versteck war ein ganz vorzügliches; nur fragte es sich, ob dasselbe mir auch den erwarteten Nutzen bringen werde. Geschehen konnte mir nichts. Im schlimmsten Falle galt es eine kleine Geduldprobe, welche höchstens die Folge haben konnte, daß ich von dem Herkules ausgelacht wurde.

Ich legte mich so, daß ich den Kopf unten in das Zelt schieben konnte, und langte mit dem Arme in das Innere desselben. Ich fühlte ein dünnes, aber weiches Lager, welches aus Decken hergerichtet worden war. Sehen konnte ich nichts.

Nach kurzer Zeit hörte ich, daß der Kapitän dem Mormonen »gute Nacht« wünschte und nach der Kajüte ging. Der letztere spazierte noch eine Viertelstunde auf und ab und kam dann in das Zelt, um sich niederzulegen. Die eine Voraussetzung, nämlich die, daß das Zelt für ihn bestimmt sei, war also eingetroffen; es galt nun, abzuwarten, ob die andere, daß der Wärter kommen werde, sich ebenso bewahrheitete.

Es verging eine Stunde und noch eine; es wurde Mitternacht. Das Geplauder der Matrosen hatte längst aufgehört. Es war so still geworden, daß ich den Sog des Schiffes hörte. Einmal erklang die Stimme des Sprietmannes, welcher dem Steuerer eine Meldung zurief. Ich begann Langeweile zu fühlen. Da hörte ich eine Bewegung im Innern des Zeltes, nicht als ob der Schläfer sich umwendete, sondern als ob er sich aufrichtete. Ich schob den Kopf vor, um besser hören zu können. Da vernahm ich das Anstreichen eines Zündholzes und dann leuchtete das Flämmchen desselben auf. Beim Scheine des Hölzchens sah ich, daß der Mormone aufrecht saß und sich eine Cigarre anzündete. Er wartete also und hatte jedenfalls bisher noch nicht geschlafen. Hätte er mir nicht den Rücken zugekehrt, so wäre mein Kopf jedenfalls von ihm gesehen worden.

Wieder verging eine Weile, bis ich ihn leise fragen hörte:

»Weller, bist du's?«

»Ja, Master,« lautete vorn die ebenso leise Antwort in englischer Sprache.

»Dann rasch herein, damit du nicht gesehen wirst! Ich rücke zu.«

Der Wärter hieß also Weller. Er folgte der Aufforderung Meltons, indem er sagte:

»Habt keine Sorge, Master! Es giebt außer dem Steuermanne und dem Sprietwächter keinen wachen Menschen auf dem Deck, und diese beiden sind so plaziert, daß sie uns weder sehen noch hören können.«

Es entstand eine kurze Pause, während welcher der eine Platz machte und der andere sich niedersetzte. Dann meinte der Mormone:

»Du kannst dir denken, daß ich unendlich neugierig bin. Ich betrat das Schiff mit der größten Spannung, ob du dich an Bord befinden würdest.«

»Was das betrifft, Master, so ist es mir gar nicht schwer geworden, den Platz als Stewart zu bekommen.«

 

»Der Kapitän kennt dich doch nicht etwa?«

»Er hat nicht die Idee einer Spur von mir.«

»Und auch nicht erfahren, daß du mich kennst?«

»Werde mich hüten, so etwas auszuplaudern! Leider konnte ich die Heuer nicht nur für die Herfahrt bekommen; ich habe sie auch für die Rückfahrt nehmen müssen und bin also eigentlich gezwungen, von Lobos wieder mit nach Frisco zu segeln.«

»Das thut nichts, da es dir nicht schwer fallen wird, in Lobos auszukneifen.«

»Denke es auch und habe mich darum so wenig mit Sachen und Effekten geschleppt, daß ich augenblicklich ans Land gehen könnte, ohne etwas an Bord zurückzulassen.«

»Recht so, obgleich das nur Nebensache ist. Wie aber steht es mit der Hauptsache? Wann ist dein Alter fort?«

»Drei Wochen vor mir und er befindet sich unbedingt am Ziele. Er ist so oft dort gewesen und kennt alle Verhältnisse und Schliche so genau, daß es gar nicht fehlen kann.«

»Aber werden die Yuma ihm zu Willen sein?«

»Bin vollständig überzeugt davon. Wenn es sich um eine solche Beute handelt, ist jeder Rote schnell dabei.«

»Das beruhigt mich. Nur fragt es sich, ob sie auch rasch genug bei der Hand sein werden.«

»Es ist gewiß, Master, daß sie schon jetzt unterwegs sind. Aber hat es denn solche Eile, Master Melton? Es jagt uns kein Mensch. Wir können die Sache in aller Behaglichkeit abmachen.«

»Das dachte ich vorher auch, bin aber anderer Ansicht geworden.«

»Warum? Hat sich etwas ereignet?«

»Ja. Ich habe eine Begegnung gehabt.«

»Das heißt, Ihr habt jemand getroffen. Das kann doch nicht von so großem Einflusse auf unser Vorhaben sein!«

»Vom allergrößten sogar.«

»Dann müßte der Mann, den Ihr meint, von ganz verwunderlicher Wichtigkeit für uns sein.«

»Ist er auch! Es war eine wirkliche Überraschung für mich, ihn hier unten zu sehen, und wenn du seinen Namen hörst, wirst du gerade ebenso erstaunt sein, wie ich es war, als ich ihn erkannte.«

»So sagt mir doch, wer es ist!«

»Das solltest du eigentlich schon wissen, denn du hast ihn hier auf dem Schiffe gesehen.«

»Dann kann es nur der Mann sein, welcher Buchhalter werden soll. Ist es so richtig?«

»Natürlich! Es ist ja sonst niemand mit mir an Bord gekommen. Und du kennst ihn nicht, wirklich nicht? Du hast ihn schon gesehen, und zwar unter solchen Verhältnissen, daß es geradezu verwunderlich ist, daß du ihn für einen Unbekannten hältst. Ich war vollständig überzeugt, daß er von dir erkannt worden sei, und darum winkte ich dir einigemale zu, vorsichtig zu sein und dich so wenig wie möglich von ihm sehen zu lassen, da er sich sonst auch deiner erinnern könnte.«

»Diese Winke sah ich, habe sie aber nicht verstanden. Ihr habt da mit diesem Manne eine Wichtigkeit, die ich nicht begreife. Ein Landstreicher, der froh ist, auf einer entlegenen Hazienda Schreiber werden zu dürfen, kann für uns doch von gar keiner Bedeutung sein!«

»Das würde ich auch sagen, wenn dieser höchst gefährliche Mann überhaupt die Absicht hätte, Buchhalter zu werden.«

»Wollt Ihr etwa sagen, daß er sich verstellt, daß er die Absicht hat, Euch an der Nase zu führen? Dann ist er entweder der größte Dummkopf, den es giebt, oder ein feiner, gescheiter Kerl.«

»Das letztere, das letztere! Denke doch einmal an Fort Uintah und was du dort erlebtest!«

»Viel Erfreuliches ist das nicht gewesen. Es war zu einer Zeit, in welcher dort gespielt wurde, wie nirgends sonst. Ich hatte gute Geschäfte gemacht und mir einen tüchtigen Beutel voll Dollars gespart, verlor sie aber in Uintah im Laufe einer einzigen Stunde. Glücklicherweise war Euer Bruder da, der mir eine gute Hand voll Dollars schenkte und mir dann auch bei dem Wirte eine Stelle als Kellner verschaffte. Ich habe ihn seitdem nicht wieder gesehen. Ihr wißt ja, weshalb er diesen Ort so plötzlich verlassen mußte. Man spricht natürlich nicht gern davon.«

»Warum nicht? Wer ein Mensch ist, und das sind wir ja alle, dem darf Menschliches passieren. Übrigens hat er sich noch ganz gut aus der Affaire gezogen.«

»Das ist richtig. Er hatte sich eine so schöne, runde Summe zusammengespielt, als den Offizier der Teufel ritt, anzunehmen, daß Euer Bruder ein falscher Spieler sei. Es kam zum Streite; er sollte den Gewinn herausgeben, schoß aber den Offizier über den Haufen und machte sich davon. Zwei Soldaten, welche das Geschrei hörten und ihn draußen anhalten wollten, bekamen auch ihre Kugeln, sodaß sie umfielen wie die Hölzer; er gelangte aus dem Fort hinaus, nahm eins der dort grasenden Pferde und machte sich auf demselben aus dem Staube. Es war eine glorreiche That, unter diesen Verhältnissen und mitten aus einem befestigten Orte zu entkommen.«

»Entkommen? Ja, aus Uintah entkam er wohl – –«

»Nicht nur da, sondern später doch auch,« fiel Weller ihm in die Rede. »Freilich ist es ihm sehr hart an den Kragen gegangen. Er wäre überhaupt nie wieder ergriffen worden, wenn nicht Old Shatterhand sich hinter ihm hergemacht hätte. Muß der Mensch Augen haben! Volle vier Tage lang war man hinter Eurem Bruder her, ohne ihn zu finden, oder gar zu fassen; da mußte Old Shatterhand kommen und die Sache hören. Der erschossene Offizier war ein guter Bekannter von ihm und darum und ohne einen andern Grund zu haben, machte er sich augenblicklich wieder fort auf den Weg, um Euern Bruder zu erwischen.«

»Ja, volle vier Tage später und nachdem es keinem Soldaten oder Pfadfinder gelungen war, die Spur zu entdecken. Dieser Halunke aber hat die Nase eines Bluthundes; er fand die Fährte und jagte meinen Bruder bis nach Fort Edward hinüber, wo er ihn dem Kommandanten übergab. Der arme Teufel sollte gehängt werden, entkam aber noch in der letzten Nacht im Anzuge des Soldaten, der ihn zu bewachen hatte und die Dummheit besaß, sich von ihm erwürgen zu lassen. Du hast doch Old Shatterhand damals auf Fort Uintah gesehen?«

»Nur im Vorüberreiten. Er war vor kaum einer halben Stunde gekommen, hatte die Thatsache gehört und ritt eben wieder fort, als ich unter der Thür stand und von dem Nachbar hörte, daß dieser Jäger angekommen sei.«

»So ist es freilich kein Wunder, daß du ihn heute nicht erkannt hast.«

»Heute?« fragte der Aufwärter im Tone äußersten Erstaunens. »Was wollt Ihr damit sagen? Doch nicht etwa, daß der sogenannte Buchhalter gar Old Shatterhand sei?«

»Ja; gerade das ist's, was ich sagen will.«

»Welch ein Irrtum! Dieser Mensch und Old Shatterhand! Wer den Jäger selbst nur im schnellen Vorüberreiten gesehen hat, weiß ganz genau, daß er mit dem Schreiber nicht das mindeste zu thun haben kann!«

»Und dennoch ist er es. Zeit und Ort sind verschieden, und das Gewand, welches er heute trägt, ist auch anders als der Lederanzug, in dem du ihn jedenfalls gesehen hast.«

»Dennoch ist es unmöglich, ganz und gar unmöglich! Der Mensch mit dem dummen Gesicht, dem ich die Koje des Herkules anweisen mußte, soll Old Shatterhand sein? Sir, ich will alles glauben, alles, was Ihr mir sagt, doch dieses eine nicht, nein, niemals!«

»Ich habe unumstößliche Beweise. Hast du das Gewehr des Mannes gesehen?«

»Nein. Es schienen zwei zu sein; sie steckten in einem leinenen Futterale.«

»Es sind zwei, und jedermann weiß, daß Old Shatterhand stets seine beiden Gewehre bei sich hat, einen Bärentöter und einen Henrystutzen, Gewehre, welche ihresgleichen nicht wieder haben. Ich habe im Hotel gar wohl bemerkt, daß ich sie nicht sehen sollte, sie mir aber von dem Wirte, welcher sie in den Händen gehabt hatte, genau beschreiben lassen. Der Westmann trat als armer Teufel auf und hat doch den Wirt mit seiner ganzen Familie mit sich essen und trinken lassen. Wäre er wirklich der, für den er sich ausgiebt, so würde er auf mein Anerbieten sofort und mit Freuden eingegangen sein; er hat sich aber unter dem lächerlichsten Vorwande, den es geben kann, Bedenkzeit ausgebeten. Er hatte mich nie gesehen und beobachtete mich doch immerfort sehr scharf. Ich ließ ihm nicht merken, daß ich dies sah. Die Ähnlichkeit mit meinem Bruder ist ihm aufgefallen. Er kam von der Sierra Verde herab. In diese öde und gefährliche Gegend versteigt sich kein gewöhnlicher Mensch, am allerwenigsten aber einer, der fremd im Lande ist, zumal es jenseits Empörung und infolgedessen die unsichersten Verhältnisse gab. Da hinauf und da hinüber wagt sich nur ein kühner und erfahrener Mann, der sich auf sich und seine Waffen verlassen kann. Bedenke, daß er ohne alle Begleitung, also ganz allein gewesen ist!«

Es läßt sich denken, daß ich mit der größten Spannung Ohrenzeuge dieses Gespräches war. Mein Instinkt hatte mich nicht nur nicht betrogen, sondern, wie ich jetzt einsah, mir und voraussichtlich auch andern einen großen Dienst geleistet. Jetzt wußte ich mit einem Male, warum mir das Gesicht des Mormonen nicht nur wegen des Widerspruchs seiner Züge aufgefallen war. Der Grund lag, wie er selbst sagte, in der Ähnlichkeit mit seinem Bruder, dem Mörder jenes Offiziers, welcher mir sehr nahe gestanden hatte. Die Freundschaft für den Ermordeten hatte mich veranlaßt, dem Thäter zu folgen, den ich, wie soeben gesagt worden war, bis nach Fort Edward getrieben und dort ergriffen hatte. Ich wußte jetzt, woran ich war. Meine Ahnung hatte wieder einmal recht gehabt. Der Mormone war ein Bruder jenes Falschspielers und mehrfachen Mörders, und die Art, wie er sich über diesen und sein Verbrechen geäußert hatte, war Beweis genug, daß auch er mit den Gesetzen auf keinem guten Fuße stand.

Leider aber sah ich ein, daß ich durchschaut worden war, wie ich nun weiter hörte. Daß der eigentümliche Wirt des Hotels die Marotte gehabt hatte, ein Fremdenbuch zu führen, und daß ich meinen Namen in dasselbe gegeben hatte, das waren die ersten Ursachen davon gewesen, daß der Mormone auf den Gedanken gekommen war, ich sei Old Shatterhand. Dazu kam die Schwatzhaftigkeit des Wirtes, welcher meine Gewehre beschrieben hatte, und noch verschiedenes andere, was Melton jetzt erwähnte und aufzählte. Sogar das erwähnte er, daß ich nicht unter dem Dache, sondern im Hofe geschlafen hätte, weil ich als Westmann dies so gewöhnt sei. Er brachte all diese Gründe so gut vor, daß der Aufwärter doch auch zu der Überzeugung gelangte, welche der Mormone hegte. Er sprach seine Zustimmung aus und meinte dann:

»Also angenommen, daß wir es wirklich mit Old Shatterhand zu thun haben, welchen Grund kann der haben, mit nach der Hazienda gehen zu wollen?«

»Es werden mehrere und verschiedene Gründe sein. Hat er erkannt, daß ich der Bruder meines Bruders bin, so wird er glauben, denselben da suchen zu müssen, wo ich mich befinde. Er hängt sich also an mich. Sodann muß ihm als erfahrenem Manne und Kenner der Verhältnisse die Bestimmung auffallen, welcher die Menschenladung dieses Schiffes entgegengeht, wenigstens angeblich entgegengeht. Nach allem, was ich über den Mann gehört habe, muß das in ihm den Gedanken erwecken, sich den Leuten beizugesellen, um ihnen unter Umständen zu raten und zu helfen. Dabei hütet er sich, einen Kontrakt zu unterschreiben, denn er will Herr seiner Freiheit bleiben. Wir haben also mit ihm zu rechnen, und zwar sehr zu rechnen, und wenn ich auch nicht denke, daß er das Gelingen unseres Vorhabens ganz vereiteln kann, so steht doch zu erwarten, daß er uns Hindernisse in den Weg legt, wodurch dasselbe sehr verzögert wird.«

»So habt Ihr einen großen Fehler begangen, indem Ihr ihn mitgenommen habt. Ihr hättet Euch gar nicht mit ihm abgeben, sondern ihn einfach ignorieren und in Guaymas sitzen lassen sollen.«

»Das hätte ich gethan, wenn der Wirt, Don Geronimo, nicht so plauderhaft gewesen wäre, ihm von mir und dem Schiffe, welches ich erwartete, zu erzählen. Ich habe Old Shatterhand zwar gesagt, daß er ohne mich nicht an Bord gekommen wäre, bin aber überzeugt, daß ihn der Kapitän, welcher ein dummer, ehrlicher Kerl ist und unser eigentliches Geschäft nicht kennt, aufgenommen hätte. Und selbst wenn er nicht mit fortgekommen wäre, so traue ich ihm zu, daß er das nächste Schiff benutzt hätte, nach Lobos zu gehen und uns von dort aus nachzufolgen. Wir hätten uns dann keinen Augenblick sicher fühlen können.«

»Wir, so viele, diesem einen gegenüber? Das klingt übertrieben, trotzdem es Old Shatterhand ist. Eine Kugel könnte uns von ihm befreien.«

»Wenn er sich einer Kugel aussetzt, ja; aber das fällt ihm gar nicht ein. Das klügste war das, was ich gethan habe. Ist er als schlauer Fuchs bekannt, so werde ich ihm zeigen, daß andere weit schlauer sein können. Gerade weil er mich überlisten will, muß er überlistet werden. Ich habe mich also verstellt und ganz so gethan, als ob ich ihn wirklich für einen heruntergekommenen, abgelumpten Ausländer halte. Ich habe ihm die Stelle angeboten, um ihn mitzulocken. Auf diese Weise behalte ich ihn stets unter den Augen und kann ihn unschädlich machen, sobald es mir beliebt. Auf diese Weise ist es möglich, ihm zu jeder Zeit eine Kugel zu geben. Und die bekommt er sicherlich, denn ich habe meinen Bruder zu rächen, den er verfolgt und als Mörder außer Landes getrieben hat. Das soll und muß gerächt werden, und da der Kerl jetzt so dumm oder so verwegen ist, sich selbst mir auszuliefern, so werde ich die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne das zu thun, was ich für meine Pflicht, für meine blutige Pflicht halte.«

 

Er sagte das in so grimmigem und dabei feierlich schwörendem Tone, daß ich überzeugt war, er werde unbedingt Wort halten. Der Aufwärter meinte langsam und in nachdenklicher Weise:

»Hoffen wir, daß es so kommt! Aber es hat eine ganz eigene Bewandtnis mit diesem Menschen; es ist, als ob er mit dem leibhaftigen Satan im Bunde stehe. Je tiefer er sich in Gefahr befunden hat, desto schneller kam er heraus.«

»Das soll diesmal nicht der Fall sein. Unterwegs dürfen wir ihm nichts anhaben, weil das den Verdacht der andern erregen würde; aber laß uns nur erst auf der Hazienda sein, dann wird mit ihm abgerechnet. Ich brauche mich gar nicht an ihm zu vergreifen; die Yuma-Indianer werden das übernehmen.«

»Und wenn er ihnen entkommt? Wie oft hat er sich in der Gewalt blutdürstiger Roter befunden und ist ihnen entweder entflohen, oder hat es auf ganz unbegreifliche Weise dahin gebracht, daß sie aus grimmigen Feinden sich in seine allerbesten Freunde verwandelten. Hat er nicht auch mit Winnetou auf Leben und Tod gekämpft? Und heute sind beide bereit, ihr Leben für einander zu lassen!«

»Das waren andere Menschen und andere Verhältnisse; das war nicht ich. Ich habe seinen Hals in meiner Hand und presse denselben zusammen, sobald es mir beliebt. Ein Schwur ist ein Unsinn; aber blicke da hinauf zu den Sternen; ich schwöre dir zu: so sicher sie ihre Bahnen gehen, ohne abweichen zu können, so sicher geht dieser Mensch seinem Tode entgegen, denn ich will – –«

Er sprach nicht weiter und hatte eine sehr gute Ursache dazu, denn bei dem letzten Worte brach das Zelt über ihm zusammen. Er hatte, um einen Aufblick nach den Sternen zu ermöglichen, den oberenTeil des Segeltuches zurückziehen wollen und war dabei zu unvorsichtig verfahren. Die Stangen standen unbefestigt auf dem Holze des Deckes; sie gaben infolgedessen dem Drucke nach und fielen um, unter der Tuchlast, die sie getragen hatten, den Mormonen, den Aufwärter und – – auch mich begrabend.

Wollte ich nicht entdeckt sein, so galt es, nicht zu säumen. Ich bohrte mich schleunigst unter den auf mir liegenden Segelfalten heraus und schnellte mich fort nach der Luke hin. Sobald ich mich tief genug in derselben befand, sah ich, daß die beiden auch herausgekrochen kamen, ohne bemerkt zu haben, daß der Einbruch ihres Gebäudes noch einen dritten betroffen hatte. Vom Lauschen war jetzt natürlich keine Rede mehr; ich suchte meine Koje auf. Der Herkules schlief wie ein Bär, und da ich mir Mühe gab, leise zu sein, erwachte er nicht, sondern schlief fort, ohne mich zu hören.

Das war mir lieb, denn ich wußte in diesem Augenblicke nicht, was ich ihm auf seine Fragen hätte antworten sollen. Soviel aber stand fest, daß ich ihm die Wahrheit noch verschweigen mußte, da ich sonst zu erwarten hatte, daß er mir üblen Schaden anrichten werde. Ich legte mich also nieder, nicht um zu schlafen, sondern um über das Gehörte nachzudenken. Das Morgenlicht blickte bereits durch das kleine Lukenfenster, als ich die Augen schloß.

Also auf mein Leben war es abgesehen! Das klang gefährlich, machte mir aber keine Sorge. Ich wußte ja nun, woran ich war, und konnte mich auf alle Fälle hüten. Anders stand es mit der Gefahr, in welcher sich die Auswanderer befanden, denn daß es für sie eine Gefahr gab, davon war ich jetzt vollständig überzeugt. Und diese Gefahr war um so größer, je weniger ich eigentlich wußte, welcher Art sie sei und wo und wann sie eintreten werde. Unterwegs, also bis zur Hazienda, sollte nichts geschehen; das wußte ich. Der Mormone hatte gesagt, daß bis dahin nichts gegen mich unternommen werden dürfe, weil sonst das Mißtrauen der andern erregt werde; also konnte ihnen auch nichts drohen. Aber dann auf der Hazienda! Was aber und wie? Man hatte von den Yuma-Indianern gesprochen, welche das Rachewerk an mir ausführen sollten. Jedenfalls waren es auch sie, von denen den Auswanderern die Gefahr drohte. Ein Indianerüberfall? Das schien mir nicht allzu gefährlich. Doch warum sollten die polnischen Arbeiter überfallen werden? Sie waren so arm, daß, den Juden abgerechnet, bei ihnen nichts geholt werden konnte. Es mußte doch noch eine andere Bewandtnis damit haben, eine Bewandtnis, welche zu durchschauen ich jetzt noch nicht genug Beobachtungen gemacht hatte. Ich hoffte aber, unterwegs genug zu sehen und zu hören, um auf die richtige Spur zu kommen.

Unterwegs? Mußte ich denn mit? War ich verpflichtet dazu? Eigentlich wohl nicht. Ich konnte in Lobos aussteigen und mich aus dem Staube machen. In diesem Falle aber waren die Auswanderer ihrem bösen Schicksale verfallen, und wenn dasselbe über sie hereinbrach, so fiel die ganze Last desselben auf mein Gewissen. Das letztere befahl mir also, mitzugehen, und außerdem war es der mich nie verlassende Thatendrang, welcher es mir gerade als eine Lust erscheinen ließ, die Anschläge des Mormonen kennen zu lernen und zunichte zu machen. Er hatte gesagt: »Er will mich überlisten, folglich muß er selbst überlistet werden. Nun gut, List gegen List und Aberlist gegen Aberlist!«

Als ich erwachte, war der Athlet schon munter und fragte mich:

»Ich schlief fest und hörte Sie nicht zurückkommen. Sind Sie vielleicht ertappt worden?«

»Nein.«

»Aber haben Sie etwas erfahren?«

»Besonders Wichtiges nicht,« antwortete ich gleichgültig.

»Dachte es,« lachte er. »Habe es Ihnen übrigens vorhergesagt. Man sollte Sie tüchtig auslachen.«

»Thun Sie das; aber haben Sie die Güte, zu schweigen, damit ich nicht auch von andern ausgelacht werde.«

»Halten Sie mich für eine Plaudertasche?« fragte er in seiner grilligen Weise. »Ich bin niemals ein Plappermaul gewesen, und es fällt mir auch gar nicht ein, Ihretwegen eines zu werden. Ich werde Sie also nicht verraten, am allerwenigsten gegen die beiden Schufte, die ich nicht leiden kann. Ich habe nun einmal das Gefühl, wenigstens mit dem Mormonen einmal tüchtig zusammenzugeraten.« – – –

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