Unter Löwentötern

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Kai Althoetmar

Unter Löwentötern

Leben in einem Massai-Dorf

Nature Press

Niemand bläst zum Halali, keiner hat sich Jagdschale geschmissen, keine Hundemeute wird die Witterung des Wildes aufnehmen. Die merkwürdigste Jagdgesellschaft unter Afrikas Sonne schleicht geräuschlos durch den Kral in Richtung Savanne: drei junge Hausfrauen in Sommerkleidern à la „Woolworth“-Wühltisch, nur mit leeren Getreidesäcken bewaffnet, ein kaum zehnjähriger Bub in Shorts und zerrissenem T-Shirt, der Fährtenleser, an die fünfzig, mit seinem ulkigen Zylinder und abgetragenem dunklen Flickenjacket, Daniel, der 17jährige Oberschüler, im Sonntagsgarn, voran der alte Jäger mit seinem Gewehr, auf dem Kopf eine beige Safari-Kappe.

Die drei Frauen sollen auf dem Rückweg das Fleisch tragen. Fragt sich nur, von welchem Tier. Mich interessiert: „Daniel, can I come with you?“ Niemand hat etwas dagegen. Sieben Schwarze und ein Weißer ziehen in die Savanne Ostafrikas, sieben wegen der Dürre und der schlechten Maisernte im Norden Tansanias, einer aus Neugier. Die Savanne beginnt direkt vor den Lehmhütten und Steinhäusern der dreitausend Massai von Longido und wird nur von der Nationalstraße A 104 zerschnitten, die von Arusha durch das Massailand immer nach Norden führt, bis nach Nairobi.

Wir überqueren die Straße, lassen die Polizeistation und den Gemischtwarenladen an der A 104 hinter uns liegen. Vor uns die Trockensavanne: hüfthohes Buschgras, Schirmakazien, Dorngestrüpp. Achtzig Kilometer westwärts sind es bis zum Natronsee, weitere achtzig bis zum Ostrand der Serengeti, der „unendlichen Ebene“, wie es in der Sprache der Massai heißt, dem „Weltnaturerbe der Menschheit“, das im Westen den Viktoriasee berührt und im Norden bis zur kenianischen Grenze reicht, Weidegrund von 1,3 Millionen Gnus, 500.000 Thomson-Gazellen, 200.000 Zebras, ungezählte Giraffen, Elefanten, Spitzmaulnashörnern und Kaffernbüffeln, Jagdgrund von 2.000 Löwen, 700 Geparden, einem nimmersatten Heer von Leoparden, Hyänen, Wildhunden, Schakalen und anderen Bekannten aus Brehms Tierleben.

Die Serengeti, so groß wie Schleswig-Holstein, ist „der letzte Fleck in Afrika, wo es noch Riesenherden gibt, die über die Steppen stampfen wie einst das Meer der Bisons über die Graswellen der Prärien Nordamerikas“, schrieb Bernhard Grzimek 1959 in seinem Klassiker „Serengeti darf nicht sterben“.

Nur wenige Runddörfer viehtreibender Massai zeugen heute von menschlichem Dasein in der Wildnis zwischen dem Serengeti-Nationalpark und der A 104. Die Nachmittagssonne treibt den Schweiß. Die Furcht, im Buschgras einer aggressiven Schwarzen Mamba über den Weg zu laufen, ist ein treuer Begleiter. Schon nach zehn Minuten Fußmarsch macht der Fährtenleser eine Schar Thomson-Gazellen aus. Aber 200 Meter sind eine weite Schußdistanz. Der Jäger pirscht sich allein an die scheuen Tiere heran.

***

Szenenwechsel. Mittwoch in Longido. Es ist Viehmarkt. Massai aus der ganzen Region, etliche aus Kenia, treiben ihre Rinder in den von Steinmauern umfriedeten Auktionspferch. Manche kaufen dazu, andere verkleinern ihre Herden. Vor allem aber ist der wöchentliche Markt Neuigkeitenbörse - für Nachrichten von Geburt und Tod, Heirat und Beschneidungsfesten, für Spekulationen über Regen und das Ende der Dürre. Rinder sind Statussymbol, der Stolz der traditionellen Massai, die sich für Gottes auswerwähltes Volk halten. Gott, so glauben sie, hat das Vieh allein für sie bestimmt. Fremden Vieh zu stehlen, halten sie daher für legitim. Ackerbau und staatliche Autorität aber lehnen sie ab.

Die Herden vermehren sich wie die Menschen. Überweidung und Bodenerosion sind die Folgen. Die Savanne wird zur Wüste. Die Massai selber schlagen Bäume und Büsche ab, wenn sie auf ihren Wanderungen neue Hütten aus Lehm und Dung bauen und Dornwälle um ihre Viehpferche und bomas, ihre primitiven Savannen-Gehöfte, auftürmen. Wo der Boden seinen Schatten verliert, trocknet er aus. Gewöhnlich schlachten die Massai nur ihre Ziegen, zu besonderen Festen auch Rinder - ein Volk, das sich nur von Fleisch, Milch, Tierblut, Wildhonig und Getreide ernährt.

Unter einem Baum schächtet eine Gruppe Massai-Männer seit dem frühen Morgen Ziegen. Es riecht nach Innereien und ausgeleerten Därmen. Ein Messerschnitt durch die Kehle, dann bluten die Böcke aus und werden auf Holzgestellen ausgenommen. In einem Haus wird das Ziegenfleisch mit Reis zubereitet - Mittagessen für die Marktbesucher, Imbißbude à la Massai.

Frauen sind auf dem Viehmarkt nicht zu sehen. Die schlanken, großen, schmallippigen Jünglinge lachen und tratschen. Kaum einer der moranis, der Männer der Kriegerkaste, ist älter als 25, alle tragen die blutrote shuka, das togaartige Umschlagtuch, mit Ockerschlamm gefärbte Haarzöpfe, Ohrgehänge aus bunten Perlen, Gummisandalen, geschnitten aus alten Autoreifen. Einige trinken Coca-Cola aus Flaschen - der Clanchef sieht es ja nicht. Manche stützen sich auf ihre Speere, mit denen die jungen Krieger ihr Vieh selbst gegen Löwen verteidigen. Notfalls verfolgen Massai den Löwen, der ihr Vieh reißt, tagelang - bis es zum Showdown kommt. Der Staat verbietet dieses Mannbarkeitsritual. Stolz sind die Massai auf ihr Vieh, stolz auf ihre stehengebliebenen Quarzarmbanduhren, die für sie Schmuck und nicht Zeitmesser sind.

Die Zeit ist für das Nilotenvolk aber keineswegs stehengeblieben, seit es vor Jahrhunderten von Nordafrika nach Süden zog, sich auf dem langen Weg mit den schwarzen Völkern des oberen Nils vermischte und das Riesental des Großen Afrikanischen Grabenbruchs, das Great Rift Valley, im heutigen Süden Kenias und im Norden Tansanias einnahm. Vor allem britische Siedler nahmen den Massai während der Kolonialzeit ihr Land, dann zerschnitt die tansanisch-kenianische Grenze das Massailand, schließlich wurden sie aus den Nationalparks ausgesperrt.

Jene Massai, die ihre Naturreligion aufgaben und ins Christenlager wechselten, schworen Viehdiebstahl und Polygamie ab. Ein Volk wandernder Hirten blieben sie aber. In Longido treffen Moderne und Tradition aufeinander: Die Massai von Longido sind seßhaft und doch Nomaden. Tagsüber treiben sie ihre Herden durch die Savanne, abends kehren sie in die Hütten und Häuser von Longido zurück. Sogar Mais pflanzen sie an und halten Hühner. Das Wild der Savanne jagen nur die wenigen modernen Massai, jene, die die roten Umhänge gegen Baumwollhemd und Jeans eingetauscht haben.

***

Den Jäger haben wir aus dem Blickfeld verloren. Es ist auch kein Schuß gefallen. Wir irren durch die Savanne, halten nach Jäger und Gejagten Ausschau und hoffen, nicht versehentlich ins Schußfeld zu geraten. Da! Hinter einer Schirmakazie, etwa 250 Meter entfernt, ein langer Hals - eine äsende Giraffe. Ob der Jäger sie auch entdeckt hat? Die Giraffe ist das Wappentier von Tansanias alter Flagge. Auf ihren Abschuß stehen als Strafe einige Jahre Gefängnis. Ohnehin ist Wilderei ein schweres Delikt - auch außerhalb der tansanischen Nationalparks. Aber der Hunger ist stärker als das Gesetz. Die Maisfelder sind abgeerntet, Geld ist rar, nicht jeder hat Vieh, und die kostenlosen Lebensmittelrationen auf Coupon, mit denen die Regierung auf die Dürre reagiert hat, sind knapp kalkuliert.

Die vergangenen Tage war der Jäger vergebens in die Wildnis gezogen. In der Not, das erzählt Daniel mir, habe man auch schon Giraffen erlegt, meist aber Antilopen oder Gazellen. Die Tiere sind extrem scheu, nehmen Reißaus, sobald sich ihnen Menschen auf Schußweite nähern. Der leiseste Mucks kann das Wild verscheuchen. Seit einer halben Stunde ist mir - verdammte Gräser! - zum Niesen zumute. Niesen oder nicht - eine Gewissensentscheidung. Ich unterdrücke es, und der Suchtrupp erspäht kurz darauf einen Kudubock. Vom Jäger dagegen keine Spur. Bis ein Schuß die Stille durchbricht.

***

Longido. Es fehlt wieder an Schaufeln, und der Zement geht auch zur Neige. Niemand fühlt sich für den Nachschub verantwortlich. Der Rohbau des Gemeindezentrums von Longido stand schon bei unserer Ankunft. Es geht nicht vorwärts. Workcamp-Frust. Drei Leute arbeiten im Schatten der Schirmakazie an der Steinpresse, der einzigen, zwei mischen Sand, Zement, Schotter und Wasser, zwei räumen die gepreßten Steinquader zum Trocknen beiseite. Die restlichen acht deutschen Jugendlichen starren Löcher in die Luft. Kaum siebzig Steine, Bausubstanz für ein Nebengebäude des Community Center, werden pro Tag fertig. Mittags schwirren alle wie hungrige Heuschrecken aus, grasen das dürregeplagte Longido nach Eßbarem ab. Einheimische verirren sich selten auf die Baustelle, nur drei Schwarze arbeiten mit - gegen Lohn.

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