Abbazia

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ABBAZIA



Am Strand. Algraphie von Stephanie Glax aus dem Zyklus „Der Tag einer Dame“, geschaffen 1900 während ihres letzten Studienjahrs an der Kunstgewerbeschule in Wien.

Johannes Sachslehner


K. u. k. Sehnsuchtsort an der Adria



INHALT

Cover

Titel

SEHNSUCHT NACH DEM SÜDEN

EIN BRIGHTON IM SOMMER UND EIN CANNESIM WINTER

Eine neue Epoche beginnt

Schüler und sein Team

Unser Abbazia: Theodor Billroths Werbefeldzug

DIE ERSTEN HOTELS

Der Mann, der die Villen baut

Steter Aufschwung

Das kleine Monte Carlo

VORNEHME GÄSTE

Ein Steirer am Strand von Abbazia

Von Abbazia nach Mayerling

„Bolla“ und Nora

KUR-ALLTAG MIT GRANTIGEM HELDEN

Um die Meisterschaft von Abbazia

TRAGÖDIE AM KARFREITAG

Max Constantin Herz: Unser Abbazia gegenacute chronische Männerscheu

KAISERTREFFEN AM QUARNERO

Wilhelm, Phili, Linschi und Lilli beim Lawn-Tennis

Entrevue mit Oskar

ANTON TSCHECHOW TRIFFT IN ABBAZIAEINEN K. U. K. GENERAL

Ein Posträuber in Abbazia

Flora Horn: Wie lebt sich’s in Abbazia

OLGA, ARTHUR & SOPHIE: FLUCHTPUNKT ABBAZIA

AUS DEM LEBEN EINES KURARZTS

Die alte Lynker

Flora Horn: Abbazias Mondnächte

SKANDAL UM LOUISE

ICH BADE IM MEERE MEIN HERZ

Skandal um Isadora Duncans Badekostüm

Ida Barber: Frühlingsmoden in Abbazia

DER LETZTE RITTER DES KÖNIGSGAMBITS

AUTOMOBILE, MOTORBOOTE & SCHLACHTSCHIFFE

UND DANN KOMMEN AUCH DIE MINISTERNACH ABBAZIA …

Am Vorabend des Großen Kriegs

LITERATURVERZEICHNIS

Ein herzliches Danke

Bildnachweis

Impressum

Attraktion für die Gäste aus dem Norden: die Palmen von Abbazia. Ansichtskarte, um 1905.

SEHNSUCHT NACH DEM SÜDEN


ür die Menschen Kakaniens, des Landes unter dem Doppeladler, ist es das Traum-Reiseziel schlechthin: Abbazia, die aus dem Nichts gewachsene Versammlung von kaisergelben Hotelpalästen und Villen im nordwestlichen Winkel des Golfs von Fiume. Klimatischer Curort und Seebad zugleich, verheißt es seinen Gästen den Eintritt in die elitäre Welt des Müßiggangs und des exklusiven Vergnügens. „Herrliche Paläste winken mir zu im Lorbeerhaine, Prunk und Pracht, schöne Frauen, liebliche Musik! Als ob das Feinste der feinen Welt sich hier versammelt hätte, um mich zu grüßen“, schwärmt Besucher Peter Rosegger in seiner Reiseskizze Am Strande von Abbazia. Ja, ihm, dem Dichter aus dem Norden, der ansonsten den Besuch von Kurorten vermeidet, ist hier am Ufer des Quarnero so „wohl wie einem Seligen nach Erdennoth und Sterben“, er feiert hier die mystische Begegnung mit dem „sommerlich sonnigen Meer“, der „gewaltigen Harfe Gottes“: „Ich liebe das Meer und bade in demselben mein Herz.“

Für die eleganten Damen und Herren aus Wien und Budapest, aus Prag, Krakau und Lemberg, die plaudernd den Strandweg am Felsenufer entlang promenieren, ist der Aufenthalt in Abbazia zum willkommenen gesellschaftlichen Ritual geworden. Es ist ein „Bild voll Leben, Bewegung und Fashion“, die Damen beeindrucken mit „lichten, duftigen Toiletten“, die Herren tragen schon zur Mittagszeit den Smoking. Man ist stolz darauf, dass man hier, an diesem einzigartigen kakanischen „Sammelpunkt des high-life“, präsent ist, genießt nach „Lust und Laune sociale Amusements“ oder gibt sich auch nur der ungestörten Ruhe hin. Belohnt wird der Erholungsreisende mit der „Empfindung gehobener Kraft und frischesten Lebensmuthes“; Voraussetzung dafür sind eine gut gefüllte Reisekasse und eine entsprechende seelische und charakterliche Disposition: „Abbazia ist nichts für Herdenmenschen! Es ist ein vornehm stiller Kurort, ein zur Wirklichkeit gewordenes süßes Märchen, das seine eigens dafür gestimmten Gemüther verlangt“, schreibt 1897 die Reisejournalistin Flora Horn aus Grüna in Sachsen über die ganz besondere Atmosphäre des Seebads, dem sie, angezogen von der unwiderstehlichen „Sehnsucht nach Blüthenduft und lauen Lüften“, im Frühling und Sommer 1896 einen Besuch abstattet: wohlhabende, distinguierte Menschen in gepflegter Umgebung, ohne Hektik, eingebettet in die lichtdurchflutete Welt der Adriaküste. „Es lernt sich hier sehr schnell das Nichtsthun, eine Fähigkeit, die zu üben der an Thätigkeit gewöhnte Mensch an anderen Orten oft viele Mühe braucht“, weiß Flora Horn ihren Lesern zu berichten. Das dolce far niente erfüllt den Augenblick, der Alltag des Nordens verliert in diesem „köstlichen Hafen des Friedens“ seine Bedeutung, Dasein ist wunschloses Genießen: „Wir schwelgen in Meereswollust und dem schmeichelnden Musikgesang … nur der Minute gehört jetzt unser ganzes Sein, kein Vorwärts, kein Zurück … eine stumme Bitte: ,O Sonne, stehe still!‘ und ein Zurückdrängen alles Kommenden: ,après nous le déluge!‘“

Attraktion für die Gäste aus dem Norden: die Palmen von Abbazia. Ansichtskarte, um 1905.

„Nach uns die Sintflut!“ – nirgendwo passt dieses Wort besser als hier, wo sich ein distinguirtes Curpublicum allenfalls über die Höhepunkte des nächsten „Weißen-Kreuz-Balls“ im Hotel Kronprinzessin Stephanie echauffiert, nicht aber über Preiserhöhungen bei Brot und Fleisch, die die Arbeiter Wiens auf die Straße treiben. Abbazia, das „gottgesegnete Stück Land an der Küste des Quarnero“, ist die Enklave des Mondänen in Altösterreich, ein Ort, an dem das Verdrängen und Vergessen der wirklichen Welt zum Prinzip erhoben worden ist, glanzvolle Bühne für eine Gesellschaft, die in Ruhe und Stille genießt, die das Laute scheut, manches Unangenehme ausblendet. Ein Ort mit eigenem Rhythmus, frei vom „modernen Teufel, genannt Nervosität“ (Peter Rosegger), ihn „zu preisen reicht weder Zunge noch Feder hin“, schwärmt 1890 der bekannte Kurarzt k. k. Sanithäts-Rat Dr. Alexander Wettendorfer aus Baden. Ja, man ist stolz auf Abbazia, denn es ist die Geschichte eines kakanischen Erfolgs, über die man berichten kann; wo einst „Dürftigkeit und Weltvergessenheit vorwalteten“, blüht nun ein Winter-Kurort und Seebad, der „wirtschaftlichen Segen“ entlang der ganzen Küste, der „Österreichischen Riviera“, verbreitet, der dem „internationalen High-life Rendezvous“ gibt und für immer mehr gut betuchte Gäste zur Alternative für Nizza, Cannes oder Hyère wird. „Jedem Österreicher“, so behauptet die „illustrirte Cur- und Bade-Zeitung“ Hygiea, „ist Abbazia in’s Herz gewachsen“, sein „Aufstreben“ bedeute ein „österreichisches Interesse“.

 

In Abbazia erschafft sich Kakanien in wenigen Jahrzehnten eine eigentümliche Parallelwelt, aufgebaut aus an den Quarnero exportierten kulturellen Versatzstücken, die das Land der Lorbeerhaine in ein zauberhaftes Stück „Österreich am Meer“ verwandeln, in eine perfekte „Heillandschaft“, in der die „fröhliche Apokalypse“, von der Hermann Broch später spricht, virtuos zelebriert wird: Nirgendwo sonst blühen Tratsch und Klatsch prächtiger, nirgendwo sonst fühlen sich die Kranken gesünder und die Einsamen glücklicher, nirgendwo sonst gibt man sich sorgloser angesichts einer Welt, die immer dreister mit dem Feuer spielt. Das Amüsement kennt hier keine Pause und kurz ist die Langeweile, immer raffinierter, immer vielfältiger wird das Angebot: Zwischen weichen Walzerklängen und schmetternden Märschen, zwischen Konfettischlachten und Varietéabenden, Tanzkränzchen und Parkfesten, Lawn-Tennis-Turnieren und Schwimmkonkurrenzen fällt es leicht, sich unbeschwert und unpolitisch zu geben; es ist ein Schweben in Genuss und Glück und Leichtsinn vor prachtvoller Kulisse und in herrlichen Dekorationen. Ja, hier am Quarnero will man diese Augenblicke ungetrübter Lebensfreude festhalten, sie festzurren unter diesem unheimlich blauen Himmel und nie mehr entfliehen lassen. Die Erste Gesellschaft Kakaniens feiert in Abbazia, der heiteren Bastion des Doppeladlers am Meer, ihre letzte Erfüllung, findet hier zu ihrer vollendeten, reinen Form, ehe sie mitgerissen wird vom verhängnisvollen Gang der Weltgeschichte. Was blieb, ist der Traum von einem Ort im Süden, der „einmal bei Österreich war“, der italienisch wurde, später jugoslawisch und kroatisch und in dem die Hauptstraße „Marschall-Tito-Straße“ heißt und nicht mehr „Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums-Reichsstraße“, in dem die Hotels und Villen zwar vielfach andere Namen tragen, aber heller in imperialem Glanz erstrahlen denn je. Der alte Geist Kakaniens ist noch zu spüren, wer ihn fassen, ihm ahnend begegnen möchte, muss nur die Augen öffnen … Abbazia ist versunken, Opatija jedoch nicht unerreichbar. Wie sang man doch im Wien der Zwischenkriegszeit so treffend:

Wer a Göd hot, der foahrt noch Abbazia,

und wer kans hot, foahrt in ’n Übazieha …

Erstes Südbahnhotel in Abbazia: das Hotel Quarnero. Photochromdruck, um 1890.

Das Hotel Kvarner heute.

EIN BRIGHTON IM SOMMER UND EIN CANNES IM WINTER


urch Jahrhunderte, ja, Jahrtausende war es das Land der Fischer und der Piraten gewesen. Nie hätte sich hier jemand freiwillig niedergelassen, nur um die Schönheit der Landschaft zu genießen. Liburnia hatten die Römer diesen Küstenstrich Illyriens genannt und seine Bewohner, die Liburnier, waren geschätzt für ihre Fertigkeit im Bau seetüchtiger Schiffe, gefürchtet für ihre Raubzüge über Meer. Eine ganze Kriegsflotte hatte das Imperium zur Unterwerfung der Liburnier in das Meer vor der istrischen Küste entsandt; einen Winter lang lagen die Galeeren im Hafen von Val Augusta (Mali Lošinj) und machten von hier aus Jagd auf die liburnischen Schiffe. Den Schauplatz dieser langwierigen Kämpfe bezeichnete man als Mare Quaternarium, das „aus vier Teilen bestehende Meer“, für dessen merkwürdig zerrissene Inselwelt die Römer im Mythos eine makabre Erklärung fanden: Medea, die mörderische Königstochter aus Kolchis, hätte auf der Flucht ihren Bruder Absyrtos zerstückelt, um so König Aetes, ihren Vater und Verfolger, aufzuhalten. Die einzelnen Gliedmaßen des armen Absyrtos lägen so noch immer verstreut im Meer: einen Schenkelknochen könne man in der Insel Cherso (Cres) erkennen, einen dünnen Armknochen in Lussin (Lošinj), Veglia (Krk) sei sein Schulterblatt gewesen und die Inseln Unie, Levrera und Sansego seien weitere Knöchelchen des Ermordeten. Die Eilande des Quarnero (heute: Kvarner) trugen daher in alter Zeit auch den Namen „Absyrtische Inseln“. Freilich gab es auch andere Erklärungsversuche: Eingedenk der zahlreichen Opfer, die schwere Stürme hier immer wieder unter den Seeleuten forderten, leiteten die Venezianer, jahrhundertelang Herrscher über den Quarnero, seinen Namen von italienisch carnivoro (= „der Fleischfressende) ab. Und nüchterne Interpreten aus dem Norden wollten noch später eine Verwandtschaft zu „Karst“ und „Kärnten“ erblicken – Quarnero hätte also seine Wurzel in kar, dem keltischen Wort für „Stein, Felsen“.


Wäschermädchen am Strand von Abbazia. Gemälde von Olga Wisinger-Florian.

© Giese & Schweiger, Kunsthandel Wien.

Die Mönche von St. Jakob. Algraphie von Stephanie Glax aus dem 1906 entstandenen Mappenwerk „Abbazia“.

Wie dem auch sei – die Liburnier unterwarfen sich schließlich im 2. Jahrhundert vor Christus den Römern und bauten nun Schiffe für ihre neuen Herren. Iulius Caesar und später die Feldherren der Kaiser fuhren auf ihnen gegen die Feinde Roms. Nach dem Untergang des Imperium Romanum, in den Stürmen der „Völkerwanderung“, verwandelte sich auch die Welt am Quarnero; der byzantinische Kaiser Heraklios erlaubte schließlich im 7. Jahrhundert die Landnahme durch das slawische Volk der Chrovati (Kroaten); das alte Liburnien fiel an das Patriarchat von Aquileja, das wiederum die Grafen von Duino als Lehensherren einsetzte. Doch 1372 kündigten die Grafen von Duino dem Patriarchen die Lehenspflicht auf und wandten sich neuen mächtigen Herren zu, die von nun an die Geschicke Istriens mitbestimmten: den Habsburgern.

Irgendwann zwischen 1422 und 1431 kamen Benediktinermönche aus der zerstörten friulanischen Abtei St. Peter in Rosazzo an den Quarnero und gründeten hier ein kleines Kloster, das sie Abbazia S. Giacomo al palo nannten, die „Abtei St. Jakob am Stöckchen“. Eine Urkunde aus dem Jahre 1449 erwähnt ein erstes Mal diese bescheidene Niederlassung des mächtigen Benediktinerordens im istrischen Küstenland, die bald schwer unter den häufigen Einfällen der Türken und Venezianer zu leiden hatte. Zu Anfang des 16. Jahrhunderts verließen die Mönche des heiligen Benedikt das Kloster, das nun von Weltpriestern geführt wurde und der kleinen Ansiedlung, die rund um die Abtei herangewachsen war, ihren Namen gab. Ferdinand I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, schenkte San Giacomo 1560 den Augustinern von Fiume für „immerwährende Zeiten“, doch auch diese sollten zu Ende gehen: 1723 erwarben die Jesuiten des Fiumaner Seminars um 2.650 Gulden die Abtei im grünen Lorbeerwald; mit der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 und der Einziehung seiner Besitzungen wurde der größte Teil der Klostergründe an Private verkauft; den kleinen Rest verlieh man an den Archidiakon von Fiume, der sich nun auch „Abt von St. Jakob“ nennen durfte. Verbunden war diese Verleihung einzig mit der Auflage, dass der Archidiakon einen Priester zum Kirchendienst in Abbazia unterhalten müsse – es wurde still um das „ärmliche Kirchlein“ am Gestade der Adria.

EINE NEUE EPOCHE BEGINNT

Am Gang der Dinge auf diesem verträumten Flecken Erde ändert sich wenig – bis eines Tages der Holz- und Weizenhändler Higinio Scarpa (1794 – 1866) aus Fiume sich für das Terrain rund um die Abtei zu interessieren beginnt. Scarpa, Freimaurer und tüchtiger Geschäftsmann, zählt zu den Patriziern Fiumes und hat sich einen beachtlichen Wohlstand erarbeitet. Er will sein Geld sinnvoll investieren und kauft so zu Beginn der 1840er-Jahre einem gewissen Baron Haller von Hallerstein aus Triest in Abbazia ein Grundstück mit Gebäude ab, der Kaufpreis ist ein wahres Schnäppchen: Scarpa zahlt 700 Gulden für das gesamte riesige Areal – allein der heutige Park umfasst 3,64 Hektar. Er lässt das vorhandene kleine Gebäude, das Wohnsitz eines Abbazianer Seemanns namens Matija Justi ist, im Stil des späten Biedermeiers zur eleganten Sommerresidenz umbauen und nennt es nach seiner bereits 1832 verstorbenen Frau, einer geborenen Sartori, „Villa Angiolina“. Das Gebäude weist im oberen Stockwerk – im Unterschied zu heute – noch zwei offene Terrassen auf, von denen sich ein herrlicher Blick auf den Quarnero bietet.

Das Herrenhaus der Familie Scarpa: die Villa Angiolina.

Die besondere Aufmerksamkeit Scarpas gilt der Gestaltung des Parks, für den er zahlreiche exotische Pflanzen nach Istrien bringen lässt, darunter Magnolien, Libanonzedern, Himalayazypressen und die japanische Kamelie (Camelia japonica). Um mit seiner Jacht bequem unmittelbar vor dem Ort vor Anker gehen zu können, investiert Higinio Scarpa auch noch in den Ausbau des Hafens, genannt „Porto Herdt“ – eine Verballhornung des Wortes rt (= „Landzunge“). Der leutselige Unternehmer führt ein offenes Haus und lädt immer wieder Gäste ein, für die er sogar einen eigenen Pendelverkehr mit Zweispännern zwischen Abbazia und Fiume einrichtet. Seine glanzvollen Feste erfreuen sich in der Fiumaner Gesellschaft großer Beliebtheit und bald kann er sich spektakulärer Besuche rühmen: 1854 kommen der Banus von Kroatien, Josef Freiherr von Jellačić, und seine Frau; 1860 hält sich Kaiserin Maria Anna zur Kur in Abbazia auf – die Villa Angiolina wird zum beliebten Anlaufpunkt der Ersten Gesellschaft des Reichs und mit ihr rückt auch die Region am Quarnero allmählich immer deutlicher ins Blickfeld des österreichischen und ungarischen Adels. Noch ist Abbazia ein Geheimtipp, doch langsam beginnt das einst so verschlafene Fischerdorf sein Gesicht zu verändern: Gegen Ende der 1860er-Jahre werden erste private Hotels und Gästehäuser errichtet und die Zahl der Besucher steigt. Unter jenen nicht allzu vielen „Touristen“, die in dieser Zeit bereits den Weg in den österreichischen Süden finden, ist auch der bayrische Reiseschriftsteller Heinrich Noe (1835 – 1896). Auf seinen Wanderungen durch die Karstlandschaften Istriens und Dalmatiens kommt der polyglotte Münchner – angeblich kann er sich in 18 Sprachen verständigen – auch in das kleine Fischerdorf Abbazia und genießt hier die Gastfreundschaft der Familie Scarpa.

Im alten Hafen: Ein „Barcarole“ wartet auf Ausflügler. Foto, um 1885.

Scheitert an der Wiener Bürokratie: Georg Mathias Šporers visionäres „Programm“ aus dem Jahre 1872 zur Errichtung einer „Balnear und Inhalations Heilanstalt“ in Abbazia.

Paolo Ritter von Scarpa, „Gutsbesitzer, Besitzer mehrerer hoher Amten, Consul mehrerer Mächte, Patrizier und Gemeinderath von Fiume“, pflegt wie sein Vater sorgfältig die gesellschaftlichen Verbindungen der Familie; 1855 heiratet er Maria von Bruck, die Tochter des angesehenen Wirtschaftsfachmanns Karl Ludwig von Bruck, der eben in diesem Jahr von Franz Joseph auf den Posten des Finanzministers berufen wird. Bruck, ein glühender Patriot, tatkräftiger Reformer und eifriger Verfechter des Culturfortschritts in allen Bereichen, wird 1860 durch ungerechtfertigte Anschuldigungen in den Selbstmord getrieben; sein Schwiegersohn trägt diesen unruhigen Geist jedoch weiter, seine große Vision: der Ausbau Abbazias zu einem Bade- und Kurort.1869 gründet Paolo von Scarpa eine Aktiengesellschaft, die „Elisabeth Bad Aktiengesellschaft“. Ihr Ziel es ist, in Abbazia ein maritimes „Badeinstitut“, das „Elisabeth Bad“, zu errichten. Dafür sollen weitere, an seinen Besitz angrenzende Grundstücke erworben werden, die allesamt der Kirche gehören. Es gelingt ihm sogar, die Zustimmung der kirchlichen Autoritäten zum Kauf dieser Grundstücke zu erlangen, allerdings scheitert die Aktiengesellschaft, die mit Entscheidung vom 12. August 1870 ihre Konzession erhält, am Auftreiben der entsprechenden Geldmittel. Auch in Wien, wo er seinen Plan möglichen Geldgebern vorlegt, findet dieser wenig Anklang – noch scheint die Zeit nicht reif dafür. Nach 1874 gerät das visionäre Projekt Scarpas in Vergessenheit.

 

Heinrich Noe

Unabhängig von Paolo von Scarpa verfolgt auch der aus Karlovac stammende Schriftsteller und Arzt Dr. Georg Mathias Šporer (1795 – 1884) den Plan, in Abbazia ein Sanatorium zu errichten. Protomedicus und k. k. Gubernial Rath Šporer hat als Arzt in Laibach gearbeitet und ist nach seiner Pensionierung an die Adriaküste übersiedelt; er empfiehlt vor allem für „anämische und schwächliche Individuen, namentlich für blutarme Kinder“ einen Aufenthalt in Abbazia, positive Effekte möchte er aber auch bei lungen-, magen- und herzkranken Menschen sowie bei Patienten mit einem Nervenleiden erkennen. Hartnäckig unternimmt er einige Anläufe zur Verwirklichung seiner Idee; 1872 schafft es Šporer immerhin, ein Consortium zur Gründung der Balnear und Inhalations Heilanstalt in Abbazia zu bilden, bestehend aus wohlhabenden und einflussreichen Bürgern aus Fiume, Abbazia und Volosca. Statuten werden ausgearbeitet und ein ambitioniertes „Programm“ zur Finanzierung des Instituts, das beim Innenministerium in Wien eingereicht wird. Šporers Idee dabei ist es, eine Aktiengesellschaft mit einer humanitären Non-profit-Organisation zu verbinden – die Mühlen der Wiener Bürokratie mahlen jedoch derart langsam, dass auch Šporer sein Projekt schließlich aufgeben muss. Die Verwandlung Abbazias zum Kur- und Badeort bleibt also vorerst ein Wunschtraum.

Nachdem Paolo von Scarpa mit einem Geschäft Schiffbruch erlitten hat, ist er durch Geldnot 1875 gezwungen, die Villa Angiolina um 80.000 Gulden an den mährischen Adeligen Graf Viktor von Chorinsky (1838 – 1901) zu verkaufen. Ein Jahr später, 1876, schreibt Dr. Šporer einen Brief an den bedeutenden Wiener Laryngologen Leopold Schrötter Ritter von Kristelli, in dem er dem Kollegen seine Pläne mit Abbazia schildert. Der Versuch, endlich einen Verbündeten in der Hauptstadt zu gewinnen, gelingt tatsächlich – Schrötter verspricht, Abbazia seinen Patienten zu empfehlen, geht aber dann noch weiter: In seinen Schriften verweist er erstmals auf die „hervorragende Konzentration des Areosols in der Luft Abbazias“ und ruft damit auch das Interesse seiner Kollegen wach.

Damit ist der verträumte Ort an den Felsufern des Quarnero endgültig ein Thema in Wiener medizinischen Kreisen geworden; dazu tragen nicht zuletzt auch die enthusiastischen Schilderungen Heinrich Noes bei, der, nunmehr in der Hauptstadt als Herausgeber der Alpenzeitung tätig, in den Salons das Loblied Abbazias singt. Es sei dies eine Örtlichkeit geeignet zum „Seebad und zum Wintergarten von Wien“, zu einem „maritimen Vorort der Metropole“. Angesichts dieser Elogen wird ein Mann hellhörig, der es üblicherweise nicht bei Worten belässt: Friedrich Julius Schüler (1832 – 1894). Der aus Buchsweiler (Bouxwiller) im Elsass stammende Manager hat eine wahre Blitzkarriere im Eisenbahngeschäft hinter sich: mit 29 Jahren Generalinspektor der Südbahn und mit 39 deren Betriebsdirektor, seit 1878 Generaldirektor der Südbahngesellschaft, des größten österreichischen Bahnkonsortiums. Schüler ist unermüdlich auf der Suche nach besonderen Attraktionen für die Fahrgäste der Gesellschaft, denn er hat klar erkannt, dass mit der Schaffung neuer touristischer Ziele auch ein Ansteigen des Bahnreiseverkehrs erzielt werden kann und damit eine weitere Konsolidierung der angespannten Finanzen – die Südbahn lebt vor allem vom Personenverkehr.

Nach Triest der wichtigste Handelshafen Österreich-Ungarns: die Hafenmole von Fiume. Photochromdruck, um 1890.

Inspiriert von einem Vortrag Noes über die Bucht des Quarnero, greift Schüler daher dessen Idee begeistert auf und entwickelt sein eigenes Konzept: Hier, wo jetzt nur Fischerhütten stehen und grüne Lorbeerwälder, soll für die Reichen der Monarchie eine neue Attraktion aus dem Boden gestampft werden, ein „Brighton im Sommer und ein Cannes im Winter“, wie es Noe formuliert. Nach dem Vorbild der großen Eisenbahnhotels am Semmering und in Toblach soll nun auch an der Adria ein neues Tourismuszentrum entstehen, die „Gesellschaftlichen Hotels“ am Quarnero sollen Kristallisationspunkte für den wachsenden Trend zum Meer werden und entsprechend Geld in die Kassen spülen. Der notwendige Bahnanschluss ist bereits vorhanden: 1873 hat die Südbahn die Strecke von St. Peter in der Krain (Pivka) nach Fiume fertiggestellt; von der Station Mattuglie sind es noch sieben Kilometer mit dem Pferdefuhrwerk nach Abbazia, das so von Wien aus direkt und bequem „über Nacht“ erreicht werden kann.

Verwitterte Erinnerung: das Denkmal für Südbahn-Generaldirektor Friedrich Julius Schüler im Angiolina-Park.

Abbazia wird zum „maritimen Vorort der Metropole“ Wien: Die 1873 fertig gestellte Südbahn knüpft die entscheidende Verbindung. Aus: Heinrich Noe, Österreichische Südbahn. Von der Donau zur Adria (Zürich o. J.).

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