Dichtung und Wahrheit

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Из серии: Klassiker bei Null Papier
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Mein Va­ter hat­te, so­bald er von Rei­sen zu­rück­ge­kom­men, nach sei­ner ei­ge­nen Sin­nes­art den Ge­dan­ken ge­fasst, dass er, um sich zum Diens­te der Stadt fä­hig zu ma­chen, eins der sub­al­ter­nen Äm­ter über­neh­me und sol­ches ohne Emo­lu­men­te füh­ren wol­le, wenn man es ihm ohne Bal­lo­ta­ge über­ge­be. Er glaub­te nach sei­ner Sin­nes­art, nach dem Be­grif­fe, den er von sich selbst hat­te, im Ge­fühl sei­nes gu­ten Wil­lens, eine sol­che Aus­zeich­nung zu ver­die­nen, die frei­lich we­der ge­setz­lich noch her­kömm­lich war. Da­her, als ihm sein Ge­such ab­ge­schla­gen wur­de, ge­riet er in Är­ger und Miss­mut, ver­schwur, je­mals ir­gend­ei­ne Stel­le an­zu­neh­men, und um es un­mög­lich zu ma­chen, ver­schaff­te er sich den Cha­rak­ter ei­nes kai­ser­li­chen Ra­tes, den der Schult­heiß und die äl­tes­ten Schöf­fen als be­son­dern Ehren­ti­tel tra­gen. Da­durch hat­te er sich zum Glei­chen der Obers­ten ge­macht und konn­te nicht mehr von un­ten an­fan­gen. Der­sel­be Be­weg­grund führ­te ihn auch dazu, um die äl­tes­te Toch­ter des Schult­hei­ßen zu wer­ben, wo­durch er auch auf die­ser Sei­te vom Rate aus­ge­schlos­sen ward. Er ge­hör­te nun zu den Zu­rück­ge­zo­ge­nen, wel­che nie­mals un­ter sich eine So­zie­tät ma­chen. Sie ste­hen so iso­liert ge­gen­ein­an­der wie ge­gen das Gan­ze, und umso mehr, als sich in die­ser Ab­ge­schie­den­heit das Ei­gen­tüm­li­che der Cha­rak­tere im­mer schrof­fer aus­bil­det. Mein Va­ter moch­te sich auf Rei­sen und in der frei­en Welt, die er ge­se­hen, von ei­ner ele­gan­tern und li­be­ra­lern Le­bens­wei­se eine Be­griff ge­macht ha­ben, als sie viel­leicht un­ter sei­nen Mit­bür­gern üb­lich war. Zwar fand er dar­in Vor­gän­ger und Ge­sel­len.

Der Name von Uf­fen­bach ist be­kannt. Ein Schöff von Uf­fen­bach leb­te da­mals in gu­tem An­se­hen. Er war in Ita­li­en ge­we­sen, hat­te sich be­son­ders auf Mu­sil ge­legt, sang einen an­ge­neh­men Te­nor, und da er eine schö­ne Samm­lung von Mu­si­ka­li­en mit­ge­bracht hat­te, wur­den Kon­zer­te und Ora­to­ri­en bei ihm auf­ge­führt. Weil er nun da­bei selbst sang und die Mu­si­ker be­güns­tig­te, so fand man es nicht ganz sei­ner Wür­de ge­mäß, und die ein­ge­la­de­nen Gäs­te so­wohl als die üb­ri­gen Lands­leu­te er­laub­ten sich dar­über man­che lus­ti­ge An­mer­kung.

Fer­ner er­in­ne­re ich mich ei­nes Barons von Hä­kel, ei­nes rei­chen Edel­manns, der, ver­hei­ra­tet aber kin­der­los, ein schö­nes Haus in der An­to­ni­us­gas­se be­wohn­te, mit al­lem Zu­be­hör ei­nes an­stän­di­gen Le­bens aus­ge­stat­tet. Auch be­saß er gute Ge­mäl­de, Kup­fer­sti­che, An­ti­ken und man­ches an­de­re, wie es bei Samm­lern und Lieb­ha­bern zu­sam­men­fließt. Von Zeit zu Zeit lud er die Ho­no­ra­tio­ren zum Mit­ta­ges­sen und war auf eine eig­ne acht­sa­me Wei­se wohl­tä­tig, in­dem er in sei­nem Hau­se die Ar­men klei­de­te, ihre al­ten Lum­pen aber zu­rück­be­hielt und ih­nen nur un­ter der Be­din­gung ein wö­chent­li­ches Al­mo­sen reich­te, dass sie in je­nen ge­schenk­ten Klei­dern sich ihm je­des Mal sau­ber und or­dent­lich vor­stell­ten. Ich er­in­ne­re mich sei­ner nur dun­kel als ei­nes freund­li­chen, wohl­ge­bil­de­ten Man­nes; de­sto deut­li­cher aber sei­ner Auk­ti­on, der ich vom An­fang bis zu Ende bei­wohn­te und teils auf Be­fehl mei­nes Va­ters, teils aus ei­ge­nem An­trieb man­ches er­stand, was sich noch un­ter mei­nen Samm­lun­gen be­fin­det.

Frü­her, und von mir kaum noch mit Au­gen ge­se­hen, mach­te Jo­hann Mi­cha­el von Loen in der li­te­ra­ri­schen Welt so wie in Frank­furt ziem­li­ches Auf­se­hen. Nicht von Frank­furt ge­bür­tig, hat­te er sich da­selbst nie­der­ge­las­sen und war mit der Schwes­ter mei­ner Groß­mut­ter Tex­tor, ei­ner ge­bor­nen Lind­hei­mer, ver­hei­ra­tet. Be­kannt mit der Hof- und Staats­welt und ei­nes er­neu­ten Adels sich er­freu­end, er­lang­te er da­durch einen Na­men, dass er in die ver­schie­de­nen Re­gun­gen, wel­che in Kir­che und Staat zum Vor­schein ka­men, ein­zu­grei­fen den Mut hat­te. Er schrieb den »Gra­fen von Ri­ve­ra«, einen di­dak­ti­schen Ro­man, des­sen In­halt aus dem zwei­ten Ti­tel »oder der ehr­li­che Mann am Hofe« er­sicht­lich ist. Die­ses Werk wur­de gut auf­ge­nom­men, weil es auch von den Hö­fen, wo sonst nur Klug­heit zu Hau­se ist, Sitt­lich­keit ver­lang­te; und so brach­te ihm sei­ne Ar­beit Bei­fall und An­se­hen. Ein zwei­tes Werk soll­te da­ge­gen de­sto ge­fähr­li­cher für ihn wer­den. Er schrieb »Die ein­zi­ge wah­re Re­li­gi­on«, ein Buch, das die Ab­sicht hat­te, To­le­ranz, be­son­ders zwi­schen Luthe­r­a­nern und Cal­vi­nis­ten, zu be­för­dern. Hier­über kam er mit den Theo­lo­gen in Streit; be­son­ders schrieb Dr. Ben­ner in Gie­ßen ge­gen ihn. Von Loen er­wi­der­te; der Streit wur­de hef­tig und per­sön­lich, und die dar­aus ent­sprin­gen­den Unan­nehm­lich­kei­ten ver­an­lag­ten den Ver­fas­ser, die Stel­le ei­nes Prä­si­den­ten zu Lin­gen an­zu­neh­men, die ihm Fried­rich der Zwei­te an­bot, der in ihm einen auf­ge­gär­ten und den Neue­run­gen, die in Frank­reich schon viel wei­ter ge­die­hen wa­ren, nicht ab­ge­neig­ten vor­ur­teils­frei­en Mann zu er­ken­nen glaub­te. Sei­ne ehe­ma­li­gen Lands­leu­te, die er mit ei­ni­gem Ver­druss ver­las­sen, be­haup­te­ten, dass er dort nicht zu­frie­den sei, ja nicht zu­frie­den sein kön­ne, weil sich ein Ort wie Lin­gen mit Frank­furt kei­nes­wegs mes­sen dür­fe. Mein Va­ter zwei­fel­te auch an dem Be­ha­gen des Prä­si­den­ten und ver­si­cher­te, der gute Oheim hät­te bes­ser ge­tan, sich mit dem Kö­ni­ge nicht ein­zu­las­sen, weil es über­haupt ge­fähr­lich sei, sich dem­sel­ben zu nä­hern, so ein au­ßer­or­dent­li­cher Herr er auch üb­ri­gens sein möge. Denn man habe ja ge­se­hen, wie schmäh­lich der be­rühm­te Vol­taire, auf Re­qui­si­ti­on des preu­ßi­schen Re­si­den­ten Frei­tag, in Frank­furt sei ver­haf­tet wor­den, da er doch vor­her so hoch in Guns­ten ge­stan­den und als des Kö­nigs Lehr­meis­ter in der fran­zö­si­schen Poe­sie an­zu­se­hen ge­we­sen. Es man­gel­te bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten nicht an Be­trach­tun­gen und Bei­spie­len, um vor Hö­fen und Her­ren­dienst zu war­nen, wo­von sich über­haupt ein ge­bor­ner Frank­fur­ter kaum einen Be­griff ma­chen konn­te.

Ei­nes vor­treff­li­chen Man­nes, Dok­tor Orth, will ich hier nur dem Na­men nach ge­den­ken, in­dem ich ver­dien­ten Frank­fur­tern hier nicht so­wohl ein Denk­mal zu er­rich­ten habe, viel­mehr der­sel­ben nur in­so­fern er­wäh­ne, als ihr Ruf oder ihre Per­sön­lich­keit auf mich in den frühs­ten Jah­ren ei­ni­gen Ein­fluss ge­habt. Dok­tor Orth war ein rei­cher Mann und ge­hör­te auch un­ter die, wel­che nie­mals teil am Re­gi­men­te ge­nom­men, ob ihn gleich sei­ne Kennt­nis­se und Ein­sich­ten wohl dazu be­rech­tigt hät­ten. Die deut­schen und be­son­ders die Frank­fur­ti­schen Al­ter­tü­mer sind ihm sehr viel schul­dig ge­wor­den; er gab die »An­mer­kun­gen« zu der so­ge­nann­ten »Frank­fur­ter Re­for­ma­ti­on« her­aus, ein Werk, in wel­chem die Sta­tu­ten der Reichs­stadt ge­sam­melt sind. Die his­to­ri­schen Ka­pi­tel des­sel­ben habe ich in mei­nen Jüng­lings­jah­ren flei­ßig stu­diert.

Von Och­sen­stein, der äl­te­re je­ner drei Brü­der, de­ren ich oben als un­se­rer Nach­barn ge­dacht, war, bei sei­ner ein­ge­zo­ge­nen Art zu sein, wäh­rend sei­nes Le­bens nicht merk­wür­dig ge­wor­den, de­sto merk­wür­di­ger aber nach sei­nem Tode, in­dem er eine Ver­ord­nung hin­ter­ließ, dass er mor­gens früh, ganz im Stil­len und ohne Beglei­tung und Ge­folg, von Hand­werks­leu­ten zu Gra­be ge­bracht sein wol­le. Es ge­sch­ah, und die­se Hand­lung er­reg­te in der Stadt, wo man an prunk­haf­te Lei­chen­be­gäng­nis­se ge­wöhnt war, großes Auf­sehn. Alle die­je­ni­gen, die bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten einen her­kömm­li­chen Ver­dienst hat­ten, er­hu­ben sich ge­gen die Neue­rung. Al­lein der wack­re Pa­tri­zi­er fand Nach­fol­ger in al­len Stän­den, und ob man schon der­glei­chen Be­gäng­nis­se spott­wei­se Och­sen­lei­chen nann­te, so nah­men sie doch zum Bes­ten man­cher we­nig be­mit­tel­ten Fa­mi­li­en über­hand, und die Prunk­be­gäng­nis­se ver­lo­ren sich im­mer mehr. Ich füh­re die­sen Um­stand an, weil er eins der frü­hern Sym­pto­me je­ner Ge­sin­nun­gen von De­mut und Gleich­stel­lung dar­bie­tet, die sich in der zwei­ten Hälf­te des vo­ri­gen Jahr­hun­derts von oben her­ein auf so man­che Wei­se ge­zeigt ha­ben und in so un­er­war­te­te Wir­kun­gen aus­ge­schla­gen sind.

Auch fehl­te es nicht an Lieb­ha­bern des Al­ter­tums. Es fan­den sich Ge­mäl­de­ka­bi­net­te, Kup­fer­stich­samm­lun­gen, be­son­ders aber wur­den va­ter­län­di­sche Merk­wür­dig­kei­ten mit Ei­fer ge­sucht und auf­ge­ho­ben. Die äl­te­ren Ver­ord­nun­gen und Man­da­te der Reichs­stadt, von de­nen kei­ne Samm­lung ver­an­stal­tet war, wur­den in Druck und Schrift sorg­fäl­tig auf­ge­sucht, nach der Zeit­fol­ge ge­ord­net und als ein Schatz va­ter­län­di­scher Rech­te und Her­kom­men mit Ehr­furcht ver­wahrt. Auch die Bild­nis­se von Frank­fur­tern, die in großer An­zahl exis­tier­ten, wur­den zu­sam­men­ge­bracht und mach­ten eine be­sond­re Ab­tei­lung der Ka­bi­net­te.

Sol­che Män­ner scheint mein Va­ter sich über­haupt zum Mus­ter ge­nom­men zu ha­ben. Ihm fehl­te kei­ne der Ei­gen­schaf­ten, die zu ei­nem recht­li­chen und an­ge­seh­nen Bür­ger ge­hö­ren. Auch brach­te er, nach­dem er sein Haus er­baut, sei­ne Be­sit­zun­gen von je­der Art in Ord­nung. Eine vor­treff­li­che Land­kar­ten­samm­lung der Schen­ki­schen und an­de­rer da­mals vor­züg­li­cher geo­gra­fi­schen Blät­ter, jene ober­wähn­ten Ver­ord­nun­gen und Man­da­te, jene Bild­nis­se, ein Schrank al­ter Ge­weh­re, ein Schrank merk­wür­di­ger ve­ne­zia­ni­scher Glä­ser, Be­cher und Po­ka­le, Na­tu­ra­li­en, El­fen­bein­ar­bei­ten, Bron­zen und hun­dert an­de­re Din­ge wur­den ge­son­dert und auf­ge­stellt, und ich ver­fehl­te nicht, bei vor­fal­len­den Auk­tio­nen mir je­der­zeit ei­ni­ge Auf­trä­ge zu Ver­meh­rung des Vor­han­de­nen zu er­bit­ten.

 

Noch ei­ner be­deu­ten­den Fa­mi­lie muss ich ge­den­ken, von der ich seit mei­ner frühs­ten Ju­gend viel Son­der­ba­res ver­nahm und von ei­ni­gen ih­rer Glie­der selbst noch man­ches Wun­der­ba­re er­leb­te; es war die Sen­cken­ber­gi­sche. Der Va­ter, von dem ich we­nig zu sa­gen weiß, war ein wohl­ha­ben­der Mann. Er hat­te drei Söh­ne, die sich in ih­rer Ju­gend schon durch­gän­gig als Son­der­lin­ge aus­zeich­ne­ten. Der­glei­chen wird in ei­ner be­schränk­ten Stadt, wo sich nie­mand we­der im Gu­ten noch im Bö­sen her­vor­tun soll, nicht zum Bes­ten auf­ge­nom­men. Spott­na­men und selt­sa­me, sich lang’ im Ge­dächt­nis er­hal­ten­de Mär­chen sind meis­tens die Frucht ei­ner sol­chen Son­der­bar­keit. Der Va­ter wohn­te an der Ecke der Ha­sen­gas­se, die von dem Zei­chen des Hau­ses, das einen, wo nicht gar drei Ha­sen vor­stellt, den Na­men führ­te. Man nann­te da­her die­se drei Brü­der nur die drei Ha­sen, wel­chen Spitz­na­men sie lan­ge Zeit nicht los­wur­den. Al­lein, wie große Vor­zü­ge sich oft in der Ju­gend durch et­was Wun­der­li­ches und An­schick­li­ches an­kün­di­gen, so ge­sch­ah es auch hier. Der äl­tes­te war der nach­her so rühm­lich be­kann­te Reichs­ho­frat von Sen­cken­berg. Der zwei­te ward in den Ma­gis­trat auf­ge­nom­men und zeig­te vor­züg­li­che Ta­len­te, die er aber auf eine ra­bu­lis­ti­sche, ja ver­ruch­te Wei­se, wo nicht zum Scha­den sei­ner Va­ter­stadt, doch we­nigs­tens sei­ner Kol­le­gen in der Fol­ge miss­brauch­te. Der drit­te Bru­der, ein Arzt und ein Mann von großer Recht­schaf­fen­heit, der aber we­nig und nur in vor­neh­men Häu­sern prak­ti­zier­te, be­hielt bis in sein höchs­tes Al­ter im­mer ein et­was wun­der­li­ches Äu­ße­re. Er war im­mer sehr nett ge­klei­det, und man sah ihn nie an­ders auf der Stra­ße als in Schuh und St­rümp­fen und ei­ner wohl­ge­pu­der­ten Lo­cken­pe­rücke, den Hut un­term Arm. Er ging schnell, doch mit ei­nem selt­sa­men Schwan­ken vor sich hin, so­dass er bald auf die­ser, bald auf je­ner Sei­te der Stra­ße sich be­fand und im Ge­hen ein Zick­zack bil­de­te. Spott­vö­gel sag­ten: er su­che durch die­sen ab­wei­chen­den Schritt den ab­ge­schie­de­nen See­len aus dem Wege zu ge­hen, die ihn in gra­der Li­nie wohl ver­fol­gen möch­ten, und ahme die­je­ni­gen nach, die sich vor ei­nem Kro­ko­dil fürch­ten. Doch al­ler die­ser Scherz und man­che lus­ti­ge Nach­re­de ver­wan­del­te sich zu­letzt in Ehr­furcht ge­gen ihn, als er sei­ne an­sehn­li­che Woh­nung mit Hof, Gar­ten und al­lem Zu­be­hör, auf der Eschen­hei­mer­gas­se, zu ei­ner me­di­zi­ni­schen Stif­tung wid­me­te, wo ne­ben der An­la­ge ei­nes bloß für Frank­fur­ter Bür­ger be­stimm­ten Ho­spi­tals ein bo­ta­ni­scher Gar­ten, ein ana­to­mi­sches Thea­ter, ein che­mi­sches La­bo­ra­to­ri­um, eine an­sehn­li­che Biblio­thek und eine Woh­nung für den Di­rek­tor ein­ge­rich­tet ward, auf eine Wei­se, de­ren kei­ne Aka­de­mie sich hät­te schä­men dür­fen.

Ein an­de­rer vor­züg­li­cher Mann, des­sen Per­sön­lich­keit nicht so­wohl als sei­ne Wir­kung in der Nach­bar­schaft und sei­ne Schrif­ten einen sehr be­deu­ten­den Ein­fluss auf mich ge­habt ha­ben, war Karl Fried­rich von Mo­ser, der sei­ner Ge­schäftstä­tig­keit we­gen in un­se­rer Ge­gend im­mer ge­nannt wur­de. Auch er hat­te einen gründ­lich-sitt­li­chen Cha­rak­ter, der, weil die Ge­bre­chen der mensch­li­chen Na­tur ihm wohl manch­mal zu schaf­fen mach­ten, ihn so­gar zu den so­ge­nann­ten From­men hin­zog; und so woll­te er, wie von Loen das Hofle­ben, eben so das Ge­schäfts­le­ben ei­ner ge­wis­sen­haf­te­ren Be­hand­lung ent­ge­gen­füh­ren. Die große An­zahl der klei­nen deut­schen Höfe stell­te eine Men­ge von Her­ren und Die­nern dar, wo­von die ers­ten un­be­ding­ten Ge­hor­sam ver­lang­ten und die an­de­ren meis­ten­teils nur nach ih­ren Über­zeu­gun­gen wir­ken und die­nen woll­ten. Es ent­stand da­her ein ewi­ger Kon­flikt und schnel­le Ver­än­de­run­gen und Ex­plo­sio­nen, weil die Wir­kun­gen des un­be­ding­ten Han­delns im klei­nen viel ge­schwin­der merk­lich und schäd­lich wer­den als im großen. Vie­le Häu­ser wa­ren ver­schul­det, und kai­ser­li­che De­bit­kom­mis­sio­nen er­nannt; an­de­re fan­den sich lang­sa­mer oder ge­schwin­der auf dem­sel­ben Wege, wo­bei die Die­ner ent­we­der ge­wis­sen­los Vor­teil zo­gen, oder ge­wis­sen­haft sich un­an­ge­nehm und ver­hasst mach­ten. Mo­ser woll­te als Staats- und Ge­schäfts­mann wir­ken, und hier gab sein er­erb­tes, bis zum Me­tier aus­ge­bil­de­tes Ta­lent ihm eine ent­schie­de­ne Aus­beu­te; aber er woll­te auch zu­gleich als Mensch und Bür­ger han­deln und sei­ner sitt­li­chen Wür­de so we­nig als mög­lich ver­ge­ben. Sein »Herr und Die­ner«, sein »Da­niel in der Lö­wen­gru­be«, sei­ne »Re­li­qui­en« schil­dern durch­aus die Lage, in wel­cher er sich zwar nicht ge­fol­tert, aber doch im­mer ge­klemmt fühl­te. Sie deu­ten sämt­lich auf eine Un­ge­duld in ei­nem Zu­stand, mit des­sen Ver­hält­nis­sen man sich nicht ver­söh­nen und den man doch nicht los­wer­den kann. Bei die­ser Art, zu den­ken und zu emp­fin­den, muss­te er frei­lich mehr­mals an­de­re Diens­te su­chen, an wel­chen es ihm sei­ne große Ge­wandt­heit nicht feh­len ließ. Ich er­in­ne­re mich sei­ner als ei­nes an­ge­neh­men, be­weg­li­chen und da­bei zar­ten Man­nes.

Aus der Fer­ne mach­te je­doch der Name Klop­stock auch schon auf uns eine große Wir­kung. Im An­fang wun­der­te man sich, wie ein so vor­treff­li­cher Mann so wun­der­lich hei­ßen kön­ne; doch ge­wöhn­te man sich bald dar­an und dach­te nicht mehr an die Be­deu­tung die­ser Sil­ben. In mei­nes Va­ters Biblio­thek hat­te ich bis­her nur die frü­he­ren, be­son­ders die zu sei­ner Zeit nach und nach her­auf­ge­kom­me­nen und ge­rühm­ten Dich­ter ge­fun­den. Alle die­se hat­ten ge­reimt, und mein Va­ter hielt den Reim für poe­ti­sche Wer­ke un­er­läss­lich. Ca­nitz, Ha­ge­dorn, Drol­lin­ger, Gel­lert, Creuz, Hal­ler stan­den in schö­nen Franz­bän­den in ei­ner Rei­he. An die­se schlos­sen sich Neu­kirchs »Te­le­mach«, Kop­pens »be­frei­tes Je­ru­sa­lem« und an­de­re Über­set­zun­gen. Ich hat­te die­se sämt­li­chen Bän­de von Kind­heit auf flei­ßig durch­ge­le­sen und teil­wei­se me­mo­riert, wes­halb ich denn zur Un­ter­hal­tung der Ge­sell­schaft öf­ters auf­ge­ru­fen wur­de. Eine ver­drieß­li­che Epo­che im Ge­gen­teil er­öff­ne­te sich für mei­nen Va­ter, als durch Klop­stocks »Mes­si­as« Ver­se, die ihm kei­ne Ver­se schie­nen, ein Ge­gen­stand der öf­fent­li­chen Be­wun­de­rung wur­den. Er selbst hat­te sich wohl ge­hü­tet, die­ses Werk an­zu­schaf­fen; aber un­ser Haus­freund, Rat Schnei­der, schwärz­te es ein und steck­te es der Mut­ter und den Kin­dern zu.

Auf die­sen ge­schäftstä­ti­gen Mann, wel­cher we­nig las, hat­te der »Mes­si­as« gleich bei sei­ner Er­schei­nung einen mäch­ti­gen Ein­druck ge­macht. Die­se so na­tür­lich aus­ge­drück­ten und doch so schön ver­edel­ten from­men Ge­füh­le, die­se ge­fäl­li­ge Spra­che, wenn man sie auch nur für har­mo­ni­sche Pro­sa gel­ten ließ, hat­ten den üb­ri­gens trock­nen Ge­schäfts­mann so ge­won­nen, dass er die zehn ers­ten Ge­sän­ge, denn von die­sen ist ei­gent­lich die Rede, als das herr­lichs­te Er­bau­ungs­buch be­trach­te­te und sol­ches alle Jah­re ein­mal in der Kar­wo­che, in wel­cher er sich von al­len Ge­schäf­ten zu ent­bin­den wuss­te, für sich im Stil­len durch­las und sich dar­an fürs gan­ze Jahr er­quick­te. An­fangs dach­te er sei­ne Emp­fin­dun­gen sei­nem al­ten Freun­de mit­zu­tei­len; al­lein er fand sich sehr be­stürzt, als er eine un­heil­ba­re Ab­nei­gung vor ei­nem Wer­ke von so köst­li­chem Ge­halt, we­gen ei­ner, wie es ihm schi­en, gleich­gül­ti­gen äu­ßern Form, ge­wahr wer­den muss­te. Es fehl­te, wie sich leicht den­ken lässt, nicht an Wie­der­ho­lung des Ge­sprächs über die­sen Ge­gen­stand; aber bei­de Tei­le ent­fern­ten sich im­mer wei­ter von­ein­an­der, es gab hef­ti­ge Sze­nen, und der nach­gie­bi­ge Mann ließ sich end­lich ge­fal­len, von sei­nem Lieb­lings­wer­ke zu schwei­gen, da­mit er nicht zu­gleich einen Ju­gend­freund und eine gute Sonn­tags­sup­pe ver­lö­re.

Pro­se­ly­ten zu ma­chen, ist der na­tür­lichs­te Wunsch ei­nes je­den Men­schen, und wie sehr fand sich un­ser Freund im Stil­len be­lohnt, als er in der üb­ri­gen Fa­mi­lie für sei­nen Hei­li­gen so of­fen ge­sinn­te Ge­mü­ter ent­deck­te. Das Exem­plar, das er jähr­lich nur eine Wo­che brauch­te, war uns für die üb­ri­ge Zeit ge­wid­met. Die Mut­ter hielt es heim­lich, und wir Ge­schwis­ter be­mäch­tig­ten uns des­sel­ben, wann wir konn­ten, um in Frei­stun­den, in ir­gend ei­nem Win­kel ver­bor­gen, die auf­fallends­ten Stel­len aus­wen­dig zu ler­nen und be­son­ders die zar­tes­ten und hef­tigs­ten so ge­schwind als mög­lich ins Ge­dächt­nis zu fas­sen.

Por­ti­as Traum re­zi­tier­ten wir um die Wet­te, und in das wil­de ver­zwei­feln­de Ge­spräch zwi­schen Sa­tan und Adra­me­lech, wel­che ins Tote Meer ge­stürzt wor­den, hat­ten wir uns ge­teilt. Die ers­te Rol­le, als die ge­walt­sams­te, war auf mein Teil ge­kom­men, die an­de­re, um ein we­nig kläg­li­cher, über­nahm mei­ne Schwes­ter. Die wech­sel­sei­ti­gen, zwar gräss­li­chen, aber doch wohl­klin­gen­den Ver­wün­schun­gen flos­sen nur so vom Mun­de, und wir er­grif­fen jede Ge­le­gen­heit, uns mit die­sen höl­li­schen Re­dens­ar­ten zu be­grü­ßen.

Es war ein Sams­tags­abend im Win­ter – der Va­ter ließ sich im­mer bei Licht ra­sie­ren, um Sonn­tags früh sich zur Kir­che be­quem­lich an­zie­hen zu kön­nen – wir sa­ßen auf ei­nem Sche­mel hin­ter dem Ofen und mur­mel­ten, wäh­rend der Bar­bier ein­seif­te, un­se­re her­kömm­li­chen Flü­che ziem­lich lei­se. Nun hat­te aber Adra­me­lech den Sa­tan mit ei­ser­nen Hän­den zu fas­sen, mei­ne Schwes­ter pack­te mich ge­wal­tig an und re­zi­tier­te, zwar lei­se ge­nug, aber doch mit stei­gen­der Lei­den­schaft:

Hilf mir! ich fle­he dich an, ich bete, wenn du es for­derst,

Un­ge­heu­er, dich an!… Ver­worf­ner, schwar­zer Ver­bre­cher,

Hilf mir! ich lei­de die Pein des rä­chen­den ewi­gen To­des!

Vor­mals konnt’ ich mit heißem, mit grim­mi­gem Has­se dich has­sen!

Jetzt ver­mag ich’s nicht mehr! Auch dies ist ste­chen­der Jam­mer!

Bis­her war al­les leid­lich ge­gan­gen; aber laut, mit fürch­ter­li­cher Stim­me, rief sie die fol­gen­den Wor­te:

O wie bin ich zer­malmt! …

Der gute Chir­ur­gus er­schrak und goss dem Va­ter das Sei­fen­be­cken in die Brust. Da gab es einen großen Auf­stand, und eine stren­ge Un­ter­su­chung ward ge­hal­ten, be­son­ders in Be­tracht des Un­glücks, das hät­te ent­ste­hen kön­nen, wenn man schon im Ra­sie­ren be­grif­fen ge­we­sen wäre. Um al­len Ver­dacht des Mut­wil­lens von uns ab­zu­leh­nen, be­kann­ten wir uns zu un­sern teuf­li­schen Rol­len, und das Un­glück, das die Hexa­me­ter an­ge­rich­tet hat­ten, war zu of­fen­bar, als dass man sie nicht aufs neue hät­te ver­ru­fen und ver­ban­nen sol­len.

So pfle­gen Kin­der und Volk das Gro­ße, das Er­ha­be­ne in ein Spiel, ja in eine Pos­se zu ver­wan­deln; und wie soll­ten sie auch sonst im stan­de sein, es aus­zu­hal­ten und zu er­tra­gen!

1 Ser­sche (Sar­sche, franz. ser­ge), sei­de­ne, halb­sei­de­ne, kamm­wol­le­ne, fünf- und sie­ben­bin­di­ge At­las­ge­we­be, die haupt­säch­lich zu Da­men­schu­hen, Mö­bel­be­zü­gen be­nutzt wer­den. Leich­te­re wol­le­ne Ser­sche dient als Fut­ter­stoff. <<<

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