Der Wildtöter

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Der Wildtöter
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Der Wildtöter

James Fenimore Cooper

Inhaltsverzeichnis

Noch ist Frieden am Glimmersee

Der geheimnisvolle Mokassin

Der Angriff der Rothäute

Die Wilden machen Gefangene

Wildtöters Falkenauge bewährt sich

Die »Große Schlange« wird erwartet

Ein mißglückter Überfall

Hettys Befreiungsversuch

Der Schatz aus der Truhe

Wah-ta-Wah wird befreit

Wildtöter in der Hand der Mingos

Der Kampf in der Biberburg

Ein Gefangener erhält Urlaub

Verlorenes Spiel

Am Marterpfahl

Ein Abschied für immer

Impressum

Noch ist Frieden am Glimmersee

Zur Zeit unserer Geschichte – zwischen den Jahren 1740 und 1745 – war nur ein schmaler Streifen Landes an beiden Ufern des Hudson von der Mündung bis zu den Fällen unweit seiner Quelle von Siedlern bewohnt und bildete mit ein paar vorgeschobenen Siedlungen am Mohawk und am Schoharie die Kolonie New York. Mit mächtigen Wäldern drängte die Urwildnis vom Westen her noch an den Hudson heran und darüber hinweg nach Neu-England hinüber. In diesem unübersehbaren Gebiet von noch unberührten Wäldern, mit glänzenden Seen und rauschenden Flüssen, war der Indianer unumschränkter Herr seiner angestammten Jagdgründe, und auf lautlosen Mokassins zog er hier gegen die weißen Eindringlinge auf Kriegspfad, die ihm das Land seiner Väter streitig machen wollten.

Eine klare Junisonne lag über den hohen Baumkronen eines dichten Waldes, aus dem ab und zu die lauten Rufe zweier Männer drangen. Eine Gestalt arbeitete sich durch das verschlungene Gestrüpp am sumpfigen Rande einer Lichtung, die die Natur durch Brand und Sturm selbst geschaffen hatte und dem Wanderer den Ausblick auf ein Stückchen Himmel gestattete.

»Hier kann man wieder atmen!« rief der rissige Wanderer vergnügt, »Hurra, Wilötöter, jetzt haben wir wieder Licht und sind nahe am See!« Da bog auch schon der zweite Wanderer das Gebüsch auseinander und trat ins Freie. Er ordnete seine verschobene Kleidung und ging zu seinem Gefährten herüber, der sich zur Rast niederlassen wollte.

»Kennt ihr den Platz hier?« fragte der mit Wildtöter Angeredete, »oder habt ihr nur die Sonne so freudig begrüßt?«

»Beides, mein Junge, und ich will nicht Hurry Harry heißen, wenn an dieser Stelle nicht die Jäger im Sommer ihr Lager gehabt haben. Aber daß es bereits Mittag ist, braucht mir die Sonne nicht erst zu sagen, mein Magen hier ist eine Uhr, wie sie in der ganzen Kolonie nicht zu finden ist und zeigt stark auf halb eins. Laß uns also eine gründliche Mahlzeit halten.«

Es gab kaum ein prächtigeres Bild kraftvoller Männlichkeit als diesen Hurry Harry, den »flinken Heinz«, wie er allgemein genannt wurde. Sein richtiger Name war Henry March, aber die Grenzleute hatten es sich von den Indianern angewöhnt, Spitznamen zu erteilen, und so verdankte March seinen Beinamen seinem heftigen, ungestümen Wesen und seiner ständigen Unrast. Ueberall in den zerstreuten Siedlungen Zwischen der Provinz und Kanada war er wohlbekannt. Hurry maß sechs Fuß vier Zoll der Länge nach und war prachtvoll gewachsen, seine Körperkraft entsprach durchaus dem Eindruck, den seine riesige Gestalt machte. Aus einem offenen, hübschen Gesicht blickte er mit biederer Offenheit in die Welt, sein Benehmen war von der frischen Derbheit, wie sie den Grenzbewohnern eigen war.

Wildtöter, wie Harry seinen Gefährten nannte, unterschied sich in Wuchs und Wesensart sehr von diesem. Etwas kleiner von Gestalt, leicht und schlank, ließen seine Muskeln zwar nicht auf ungewöhnliche Körperstärke, aber auf ungemeine Gewandtheit schließen. Sein jugendliches Gesicht verriet nichts Besonderes, aber es lag ein gewinnender Ausdruck von Ehrlichkeit und Lauterkeit darin, der jedem Vertrauen einflößen mußte.

Die beiden Grenzer waren noch jung, Hurry mochte 26 Jahre zählen, Wildtöter etwas weniger. Ihrer aus gegerbten Wildhäuten angefertigten Kleidung sah man die Spuren jahrelangen Waldlebens an. Jedoch erkannte man in Wildtöters Anzug eine Bemühung, straff und gefällig zu erscheinen, besonders, was seine Ausrüstung anging. Seine Büchse war ordentlich gepflegt, der Griff seines Jagdmessers zierlich geschnitzt und bunte Stickerei zierte die Jagdtasche.

»Kommt her, Wildtöter«, rief er, »greift zu und zeigt mir euren Delawarenmagen, ihr seid doch auf Delawarenart groß geworden. Laßt nun den Hirsch eure starken Zähne fühlen, wie er euer Schießeisen schon zu spüren bekam!«

»Einen Hirsch zu schießen, hat mit Männlichkeit wenig zu tun«, erwiderte Wildtöter. »Einen Panther oder eine Wildkatze auf die Decke zu legen, mag schon eher angehen. Die Delawaren haben mir meinen Namen auch nicht für ein kühnes Herz, sondern für meine guten Augen und meine Behendigkeit gegeben.«

»Die Delawaren«, spottete Hurry, »sind selber keine Helden, sonst hätten sie sich nicht von den jämmerlichen Mingos unterkriegen lassen.«

»Das sind Lügen der Mingos«, erwiderte Wildtöter, »ich lebe jetzt schon zehn Jahre unter den Delawaren und weiß, daß sie sich ebenso tapfer schlagen werden wie jedes andere Volk, wenn es sein muß.«

»Nun, da wir gerade dabei sind«, fuhr Hurry fort, »antwortet mir doch ehrlich auf eine andere Frage: Ihr verdankt euren Namen eurem Jagdglück, Wildtöter, aber habt ihr schon jemals auf menschliches Wild geschossen, auf einen Feind, der auch auf euch abgedrückt hatte?«

Auf dem offenen Gesicht des so Gefragten spiegelte sich eine leichte Verlegenheit, doch dann antwortete er: »Offen gesagt, nein. Während meines Aufenthaltes bei den Delawaren habe ich keine Gelegenheit dazu gehabt und es erscheint mir unrecht, einem Menschen, außer im offenen Kampfe, das Leben zu nehmen.«

»Ihr habt also noch nie einen Kerl erwischt, der hinter euren Fallen und Häuten her war und ihn kurzerhand selbst bestraft mit Pulver und Blei?«

»Ich bin kein Fallensteller, Hurry«, gab der junge Mann stolz zurück, »und lebe nur von meiner Büchse. Die Felle, die ich verkaufe, haben neben den natürlichen Löchern zum Sehen und Atmen auch alle ein Loch von meiner Kugel.«

»Alles schön und gut«, warf Hurry ein, »aber heute handelt es sich nicht um Vierfüßler, sondern um die tückischen Rothäute, mit denen wir einen regelrechten Krieg haben. Jeder Skalp von ihnen ist ein Feind weniger. Ich werde eure Gesellschaft nicht lange in Anspruch nehmen, wenn ihr nicht größeren Ehrgeiz kennt, als eure Schießkunst nur am Wild zu üben.«

»Wenn ihr euch meiner deshalb schämt, können wir uns heute abend schon trennen. Wir sind, wie ihr sagt, sowieso bald am Ziel unserer Wanderung. Ich erwarte einen Freund, der es nicht für schändlich hält, mit einem Menschen umzugehen, der noch nicht seinesgleichen umgebracht hat.«

»Ich möchte nur wissen, was der Delaware schon so früh im Jahr hier zu suchen hat«, brummte Hurry vor sich hin, und an Wildtöter gewandt, fragte er: »Wo soll euch der junge Häuptling treffen?«

»An einer kleinen Felsenkuppe, am Ende des Sees. Die Stämme kommen dort zusammen, um Verträge abzuschließen oder das Kriegsbeil zu begraben. Ich habe bisher weder den See noch den Felsen gesehen. Mingos und Mohikaner behaupten beide, ihnen gehöre das Land, und im Frieden wird es ja wohl auch von beiden Stämmen zum Jagen und Fischen benutzt, aber wie das jetzt im Kriege aussehen wird?«

»Gemeinsames Gebiet!« lachte Hurry, »da möchte ich nur hören, was der schwimmende Tom Hutter dazu sagen würde. Er sitzt seit 15 Jahren auf dem See und wird ihn gegen beide Stämme verteidigen.«

»Muß ein sonderbarer Mann sein, dieser Tom Hutter, nach dem, was ihr mir von ihm erzählt habt.«

»Es wird gemunkelt, daß er in seiner Jugend Seeräuber gewesen sei und sich in die Wälder zurückgezogen habe, um hier seine Beute in Ruhe zu verzehren. Vor zwei Jahren ist seine Frau gestorben und er hat sie nach Seemannsart im See versenkt. Nun lebt er hier noch mit seinen zwei Töchtern Judith und Hetty. Diesem Kleeblatt gilt mein Besuch.«

»Ja, ich weiß. Von der schönen Judith habe ich schon bei den Delawaren erzählen hören. Man sagt ihr nach, daß sie sehr putzsüchtig und eitel sei.«

»Nun, sie ist nicht nur anziehend und wird von den Offizieren der Forts umworben, sie ist auch sehr gescheit, und ich würde sie auf der Stelle heiraten. Den alten Vater mag ihre Schwester Hetty pflegen, die ist zwar nicht so schön und besitzt wenig Verstand, ist aber herzensgut.«

»Die Indianer betrachten solche Menschen als begnadete Geschöpfe, und keine Rothaut würde ihr ein Leid antun. Aber nun laß uns aufbrechen, damit wir die sonderbaren Schwestern kennenlernen, die Sonne geht schon in den Nachmittag hinein.«

 

Die Wanderer nahmen ihre Packtaschen auf, hängten die Waffen um und tauchten wieder in das Dunkel des Waldes.

Hurry kannte nun die Richtung, nachdem er den offenen Fleck und die Quelle wiedergefunden hatte, und mit sicheren Schritten ging er durch das dichte Unterholz voran. Nach ungefähr einer Meile stockte er, seine Blicke gingen suchend umher.

»Das muß die Stelle sein, Wildtöter!« meinte er endlich. »Hier ist eine Buche neben einem Schierling, drei Fichten sind dicht dabei, und dahinter eine Birke mit abgeknickter Spitze. Ich sehe aber keine heruntergebogenen Zweige, die müßten auch da sein!«

»Geknickte Zweige sind schlechte Wegzeichen, auch der Dümmste merkt, daß sie nicht von selbst brechen, und das erweckt Verdacht und führt zur Entdeckung.«

Wilötöter blickte forschend umher und seinen scharfen Augen war ein gekrümmtes Bäumchen nicht entgangen, das Menschenhand in den Spalt einer vermodernden Linde hineingezwängt hatte.

»Seht her, Hurry, da ist das Zeichen, das ihr sucht!«

»Ich muß zugeben, Wildtöter, ihr habt ein gutes Auge für euer Alter.«

»Es macht sich, Hurry, es macht sich. Aber es gibt noch bessere. Da ist Tamemund, der schon so alt ist, daß keiner eigentlich weiß, wann er mal jung gewesen ist – und der nichts seinem Blick entgehen läßt, und Unkas, der Vater Chingachgooks, der rechtmäßige Häuptling der Mohikaner – und Chingachgook selber –«

»Wer ist eigentlich dieser Chingachgook, mit dem ihr euch verabredet habt? Eine herumstreifende Rothaut und weiter nichts?«

»Die beste Rothaut, die ich kenne! Wenn es rechtmäßig zuginge, wäre er heute ein großer Häuptling. So ist er nichts weiter als ein tapferer und geachteter Delaware, denn sein Volk und sein Geschlecht sind gesunken. Es würde auch euch rühren, wenn ihr an den Winterabenden in ihren Wigwams säßet und die Geschichten vom einstigen Glanz der Mohikaner mit anhören würdet.«

»Man kennt die Prahlereien der Indianer«, versetzte Hurry stehenbleibend, »die Hälfte ihrer Überlieferungen ist für mich pures Geschwätz.«

»Gewiß, Hurry,« entgegnete Wildtöter, »sie prahlen, das ist nun einmal eine ihrer Eigenarten. Aber hier« – Wilötöter zeigte auf einen alten umgestürzten Lindenbaum – »haben wir das Versteck gefunden!«

»Jawohl, das ist der Baum,« sagte Hurry erfreut, indem er in die Höhlung des Baumes hineinsah, »und alles ist noch so hübsch ordentlich beisammen wie in Großmutters Kommode.«

Mit Bedacht gingen die beiden Männer ans Werk und legten ein Rindenkanu frei, das Hurry dort geschickt versteckt hatte, und das mit Sitzen und Rudern, Angelschnüren und Ruten vollständig ausgerüstet war. Der bärenstarke Hurry nahm das nicht kleine Kanu ohne Mühe auf die Schulter und lehnte alle Hilfe ab.

»Geht voraus, Wildtöter, und haltet die Büsche auseinander!« Wildtöter bahnte seinen Gefährten einen Weg durch das Gestrüpp, und sie waren noch keine zehn Minuten gegangen, als sie plötzlich in das Licht der Sonne heraustraten, das von einer weiten Wasserfläche zurückstrahlte.

Ein Ausruf der Ueberraschung entfuhr Wildtöter beim Anblick des großen Gewässers, das er zum erstenmal sah. Es war ein herrliches Bild! Still und durchsichtig, wie ein Kristall, der von Hügeln und Wäldern köstlich eingefaßt wurde, lag der See. Er mochte wohl drei Meilen lang sein, die Breite war unregelmäßig, da die Linie der bergigen Ufer durch viele Buchten und Landzungen unterbrochen wurde. Am nördlichen Ende erhob sich einsam ein Berg.

Eine feierliche Stille und tiefster Friede lag über der ganzen Landschaft. Wohin der Blick sich auch wendete, nichts als die spiegelglatte Fläche des Sees, der seines Glanzes wegen den Namen Glimmersee erhalten hatte.

Wildtöter konnte sich nicht sattsehen an diesem Stück unberührter Natur, mit großen Augen schaute er nach rechts und links, nach Norden und Süden, und fand immer wieder neue Bilder, die sein Entzücken hervorriefen. »Aber halt – was ist das?« rief er nach einer Weile Hurry zu, »das ist für eine Insel zu klein und für ein Boot zu groß! Was steht dort vor uns, mitten im Wasser?«

»Das ist die Wasserburg Tom Hutters, die von den Herren aus den Forts auch die Biberburg genannt wird. Dies ist sein festes Haus. Das andere schwimmt irgendwo im Wasser, und ist unter dem Namen Arche bekannt. In einer Viertelstunde bringt uns das Kanu hinüber.«

Wildtöter half beim Zurichten des Bootes, und in kurzer Zeit schwamm es auf dem Wasser. Mit schnellen Ruderschlägen glitten sie über die spiegelglatte Fläche des Sees hin, der eigenartigen Biberburg entgegen. »Bei den Kämpfen mit den Indianern hier am See ist der alte Tom Hutter dreimal ausgeräuchert worden, und bei einem Gefecht verlor er seinen einzigen Sohn,« erzählte Hurry. »Seit der Zeit hat er sich aufs Wasser gemacht. Da kann ihn keiner angreifen, außer mit Booten. Und das kann den Rothäuten teuer zu stehen kommen, denn Hutter ist mit Waffen und Munition gut versorgt.«

Der geheimnisvolle Mokassin

Das Kanu war dem Kastell immer näher gekommen, und Wildtöter sah, daß das aus dicken Fichtenstämmen errichtete Gebäude viel besseren Schutz bot als die üblichen Blockhäuser. Es stand auf dicken Pfählen mitten im Wasser auf einer Sandbank.

»Habe mirs schon gedacht,« rief Hurry aus, als sie das Boot festmachten und ausstiegen, »keine Menschenseele zu Hause. Wahrscheinlich ist die ganze Familie auf Biberfang.«

Während sich Hurry mit den auf der Plattform ausgelegten Angelgeräten und Fallen beschäftigte, trieb Wildtöter die Neugierde ins Haus, das äußerlich von dicken rohen Fichtenstämmen gezimmert, im Innern recht behaglich eingerichtet war und von Sauberkeit glänzte. Neben groben Geräten, wie sie in Blockhäusern üblich sind, sah er auch manche feinen Einrichtungsgegenstände, die sich aus einem besseren Haus hierher verirrt haben mußten. Hinter einem großen Gemach, das als Stube und Küche zu dienen schien, lag die Kammer der beiden Mädchen.

»Tom Hutter versucht sich im Fallenstellen!« rief Hurry Wildtöter zu, als dieser nach seinem Rundgang durch das Haus wieder ins Freie trat, »wenn es euch Spaß macht, können wir uns beim Biberfang mit dem Alten einige schöne Tage machen.«

Wildtöter war stehen geblieben und sah mit großen Augen auf die gläserne Flut und die schwärzlichen Hügel im Hintergrund. »Hat der See eigentlich einen Namen?« fragte er unvermittelt, »es ist doch sicher auch ein Abfluß da?«

»Man nennt den See allgemein den Glimmersee – wegen seines glänzenden Spiegels –, und der Susquehannah, den ihr unten im Delawarengebiet wohl schon gesehen habt, ist sein Abfluß.«

»Gewiß, schon hundertmal habe ich an seinen Ufern gejagt.«

Inzwischen hatte Hurry unter den Gerätschaften des alten Tom ein altes Schiffsfernrohr gefunden und suchte damit die Buchten und Landzungen des Sees sorgfältig ab.

»Der alte Knabe treibt sich scheinbar im Süden herum, jagen wir ihn also in seinem Schlupfwinkel auf!«

Sie bestiegen wieder das Boot und ruderten hart am westlichen Ufer entlang, um sich nicht der Entdeckung durch umherstreifende feindliche Indianer auszusetzen. Mit angespannten Sinnen waren sie so dem Südende des Sees nahegekommen, als Hurry auf einen aus dem Wasser ragenden Felsen deutete. »Hier in der Nahe muß der Abfluß sein, in dem sich auch Hutter mit seiner Arche versteckt haben wird.«

Der Felsen war nur an die sechs Fuß hoch und war durch die Wirkung des Wassers, das ihn Jahrhunderte unablässig bespült hatte, oben vollkommen rund geworden, so daß er einem Bienenkorb ähnlich sah. Es war derselbe Felsen, an dem sich Wildtöter mit seinem Freunde, dem jungen Häuptling Chingachgook, treffen wollte.

Der Abfluß des Sees war kaum zu erkennen; Bäume und Buschwerk, die weit über das Wasser ragten, verdeckten ihn vollständig. Mit der Strömung ließen sie das Boot den Fluß hinuntertreiben, über dem uralte Bäume und üppiges Buschwerk ein dichtes Laubdach gebildet hatten.

Durch Festhalten an einem Busch brachte Hurry das Boot plötzlich zum Stehen. »Da ist er ja, der alte Knabe, und wie ich vermutet habe, bis an die Knie im Wasser und Schmutz, um den Bibern nachzustellen. Aber von der Arche bemerke ich noch nichts!«

In diesem Augenblick kam, in Reichweite von Wildtöters Ruder, in einer Oeffnung des Laubwerks ein auffallend hübsches Mädchengesicht zum Vorschein, und freundliches Lächeln begrüßte die beiden. Ohne es zu wissen, hatten sie neben der Arche haltgemacht, die in den Büschen sorgfältig versteckt lag. Judith Hutter brauchte nur die Büsche vor ihrem Fenster etwas wegzuschieben, um die Ankömmlinge willkommen zu heißen.

Die Arche, wie Hutters schwimmende Festung allgemein hieß, bestand aus einer Art Fähre, auf die ein niedriges Holzhaus – ähnlich wie die Wasserburg, aber mit dünneren Brettern, die eben einer Gewehrkugel standhalten mochten – aufgesetzt war. Sie war zwar roh, aber recht geschickt zusammengezimmert, und enthielt zwei Gemächer; eins für den Vater, das andere für die beiden Mädchen. Die Küche befand sich auf dem freien Teil der Fähre unter freiem Himmel, da dies Hausboot doch nur während des Sommers benutzt wurde.

Hurry war gleich mit einem Satz an Bord gesprungen und begann mit Judith eine angeregte Unterhaltung. Wildtöter sah sich erst einmal das seltsame Bauwerk genauer an und prüfte mit fachmännischem Blick Sicherheit und Festigkeit, nicht ohne auch das Versteck noch einmal zu untersuchen, das sie selbst so genarrt hatte. Bei seinem Rundgang durch die beiden Räume traf er schließlich auf Hetty, die am anderen Ende der Fähre unter dem Laubdach des Buschwerks bei einer Nadelarbeit saß.

»Ihr seid wohl Hetty Hutter,« sprach er das junge Mädchen an, »Hurry Harry hat mir von euch erzählt.«

»Ja, ich bin Hetty«, gab das Mädchen mit sanfter Stimme zurück, »und wie ist euer Name?«

»Mein Vater hieß Bumppo, und mit Vornamen nannte man mich Natty. Nicht lange übrigens, denn bald fanden die Delawaren, unter denen ich aufwuchs, daß ich kein Freund von Lügen war, und nannten mich zuerst »Gerade Zunge«. Da ich schnell zu Fuß war, hieß ich bald die »Taube«.«

»Das war ein hübscher Name!« rief Hetty aus, »und Tauben sind schöne Vögel.«

»Aber ich trug ihn nicht länger, bis ich mir ein Gewehr einhandeln konnte; da zeigte sich, daß ich einen Wigwam wohl mit Wildbret zu versorgen verstand, und ich erhielt meinen jetzigen Namen »Wildtöter«. Nur Leuten, die mehr Wert auf den Skalp eines Mitmenschen als auf ein Hirschgeweih legen, gefällt er weniger.«

»Ich gehöre nicht zu diesen«, erwiderte Hetty schlicht, »Judith liebt Soldaten und bunte Federn und Röcke. Mir gefallen sie nicht, denn ihr Beruf ist das Umbringen ihrer Mitmenschen. Der eure gefällt mir besser und euer letzter Name ist sehr schön.«

Inzwischen hatte auch Tom Hutter mit seinem Kanu an der Arche angelegt und war keineswegs erstaunt, Besuch vorzufinden.

»Ich habe schon eine Woche nach euch ausgespäht«, begrüßte er Hurry freundlich. »Es kam ein Eilbote hier durch mit der Warnung an alle Jäger und Fallensteller, daß sich die Kolonie mit dem französischen Kanada wieder in den Haaren liegt. Da fühlte ich mich mit den beiden Mädchen einsam genug hier in den Bergen. Ihr seid auch nicht allein in diese Wildnis gekommen«, setzte er mit einem forschenden und mißtrauenden Blick auf Wildtöter hinzu.

»Warum auch nicht? Auch ein schlechter Reisegesell hilft immer noch den Weg verkürzen, und dies ist noch dazu ein guter. Es ist Wildtöter, alter Thomas, unter den Delawaren als Jäger berühmt, aber als Christenmensch aufgezogen wie du und ich. Wenn wir in die Lage kommen sollten, unsere Fallen und unser Land hier verteidigen zu müssen, wird er uns gut mit Wildbret versorgen können.«

»Ihr seid willkommen, junger Mann«, brummte Tom und streckte ihm seine starke, knochige Hand hin, »in solchen Zeiten ist ein weißes Gesicht ein Freundesgesicht, und ich rechne auf euren Beistand. Schon sind Wilde am Ufer des Sees, und keiner kann wissen, wie nahe sie schon herangekommen sind.«

»Wenn das wahr ist, Tom Hutter, dann steckt eure Arche in der schlechtesten Lage. Uns hat das Schutzdach ja getäuscht, aber ob sich ein Indianer, der auf Skalpe aus ist, an der Nase herumführen läßt, ist noch die Frage.«

»Ich denke wie ihr, Hurry, und wünsche, wir lägen in diesem Augenblick woanders als in diesem engen Loche, in dem wir verloren sind, wenn sie uns hier finden. Die Schwierigkeit ist nur, aus dem Fluß herauszukommen, ohne gesehen zu werden von Wilden.«

 

»Seid ihr sicher, Meister Hutter, daß die Rothäute, die ihr hier vermutet, auch wirklich von Kanada herübergekommen sind, und könnt ihr welche beschreiben?« fragte Wildtöter bescheiden.

»Gesehen habe ich zwar keine, aber als ich nach meinen Biberfallen schaute, fand ich eine halbe Stunde von hier eine frische Indianerfährte, und überdies einen abgetragenen Mokassin, den sein Besitzer fortgeworfen hatte.«

»Das sieht allerdings nicht nach einer Rothaut auf dem Kriegspfad aus«, meinte Wilötöter und schüttelte den Kopf, »ein erfahrener Krieger hätte dergleichen Spuren verbrannt oder eingegraben. Wenn ich den Mokassin sehen könnte, würde ich vielleicht Genaueres sagen können. Ich erwarte hier einen jungen Häuptling, vielleicht war es seine Spur.«

»Hurry Harry, ihr seid hoffentlich genau bekannt mit dem jungen Mann hier, der sich in einer fremden Gegend mit einer Rothaut verabredet«, fragte Hutter in einer Art und Weise, die über den Beweggrund zu seiner Frage keinen Zweifel ließ. »Möchte schon wissen, was er hier in dieser abgelegenen Gegend zu bestellen hat.«

»Ihr habt ein Recht, so zu fragen«, erwiderte Wildtöter mit ruhiger Stimme. »Ich bin ein junger Mensch, der bis jetzt noch nicht auf Kriegspfad gewesen ist. Als nun zu den Delawaren die Nachricht kam, daß ihnen das Kriegsbeil übersandt werden würde, da baten sie mich, in die Siedlungen der Weißen zu gehen, um auszukundschaften, wie es um ihre Sache steht. Das habe ich getan, und nachdem ich den Häuptlingen berichtet hatte, hielt Chingachgook, ein junger Häuptling, die Zeit für günstig, mit ihm gemeinsam zum ersten Mal auf Kriegspfad zu gehen. Er hat bisher auch noch mit keinem Feind zu tun gehabt. Ein alter Delaware schlug uns als Treffpunkt den Felsen am Ende des Sees vor. Ich will nicht verheimlichen, daß Chingachgook noch etwas anderes vor hat, doch davon kann ich noch nicht sprechen, das sind seine Angelegenheiten.«

»Und ihr meint, die Spur, die ich gesehen habe, sei vielleicht die eures Freundes gewesen, der sich verfrüht hat?« fragte Hutter.

»Wenn ich den Mokassin zur Hand hätte, wollte ich es in einer Minute heraushaben.«

»Hier ist er schon!« sagte die flinke Judith, die inzwischen zu Hutters Kanu gelaufen war, ihn zu holen, »nun sagt uns, ob Freund oder Feind!«

»Das ist keine Delawaren-Arbeit«, erklärte Wildtöter, »möchte fast behaupten, daß er aus dem Norden stammt.«

»Dann sollten wir nicht einen Augenblick länger hier liegen, als unbedingt notwendig ist. In einer Stunde ist es Nacht – und dann ohne Geräusch vorwärts zu kommen, dürfte unmöglich sein.«

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