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Rudin

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– Darja Michailowna hat nicht ganz Recht, begann er mit unsicherer Stimme: – ich greife nicht ausschließlich die Weiber au; das ganze Menschengeschlecht behagt mir nicht sehr.

– Was konnte Ihnen denn eine so schlechte Meinung von demselben einflößen? fragte Rudin.

Pigassow schaute ihm gerade in’s Gesicht.

– Vermuthlich meine Studien des eigenen Herzens, in welchem ich mit jedem Tage mehr und mehr Schlacken entdecke. Ich urtheile über Andere nach mir selbst. Das mag vielleicht ungerecht sein, und ich tauge viel weniger als Andere; was wollen Sie aber? Gewohnheit!

– Ich verstehe Sie und sympathisire mit Ihnen, erwiederte Rudin. Welche edle Seele hätte nicht Anwandlungen von Selbstunterschätzung gehabt! Man sollte aber doch aus dieser schlimmen Lage herauszukommen trachten.

– Danke recht sehr für die Adelsbescheinigung, die Sie meiner Seele ausstellen, erwiederte Pigassow: – mit meiner Lage hält sich’s noch – sie ist so übel nicht, und wenn es auch einen Ausgang aus ihr giebt, er mag bleiben, suchen will ich ihn nicht.

– Das hieße aber, verzeihen Sie den Ausdruck – die Befriedigung seiner Eigenliebe, dem Verlangen, in der Wahrheit zu verbleiben, vorziehen . . .

– Und was denn Anderes! rief Pigassow: – die Eigenliebe – das Ding verstehe ich, verstehen Sie, versteht ein Jeder; aber Wahrheit – was ist Wahrheit? Wo ist sie, diese Wahrheit?

– Sie verfallen in Wiederholungen, ich muß Ihnen diese Bemerkung machen, warf Darja Michailowna ein.

Pigassow zuckte die Achseln.

– Und was liegt daran? Ich frage: wo ist Wahrheit? Die Philosophen selbst wissen nicht, was sie ist. So sagt Kant: Das ist sie; Hegel aber – nein bewahre! Dies ist sie.

– Und wissen Sie, was Hegel darüber sagt? fragte Rudin. ohne die Stimme zu erheben.

– Ich wiederhole, eiferte Pigassow: – ich kann nicht begreifen, was Wahrheit ist. Meiner Ansicht nach giebt es eine solche nicht auf der Welt, das heißt, das Wort ist da, die Sache selbst aber existirt nicht.

– Ei! Ei! rief Darja Michailowna: – schämen Sie sich doch so zu sprechen, Sie alter Sünder! Es gäbe keine Wahrheit? Wozu nützte es denn auf der Welt zu leben?

– Und wissen Sie, Darja Michailowna, erwiederte ärgerlich Pigassow: – ich bin der Meinung, daß Sie, auf jeden Fall, das Leben ohne Wahrheit leichter finden würden, als ohne Ihren Koch Stephan, der so vortreffliche Bouillons kocht! Und wozu brauchten Sie überhaupt die Wahrheit, wenn ich fragen darf? ein Häubchen ließe sich doch nicht daraus machen!

– Spaßen ist nicht beweisen, bemerkte Darja Michailowna: – besonders wenn es in Verleumdung ausartet.

– Ich weiß nicht, wie es mit der Wahrheit bestellt ist, aber sie zu hören ist freilich Vielen schmerzlich, brummte Pigassow und zog sich mürrisch zurück.

Rudin jedoch begann von dein Selbstgefühl zu reden und sprach sehr verständig. Er bewies, daß der Mensch ohne Selbstgefühl nichts bedeute, daß Selbstgefühl »Archimedes’s Hebel« sei, durch welchen der Erdball aus seiner Stellung gehoben werden könne; doch verdiene in der That nur Derjenige »Mensch« genannt zu werden, der sein Selbstgefühl zu bändigen wisse, wie der Reiter sein Roß, der seine Persönlichkeit dem Wohle Alter zum Opfer bringe . . .

– Selbstsucht, so beschloß er seine Rede: – ist Selbstmord. Der selbstsüchtige Mensch verdorrt gleich einem vereinzelten, unfruchtbaren Baume; Selbstgefühl aber, als lebendiges Streben nach Vervollkommnung, ist der Ursprung alles Großen . . . Ja! es muß der Mensch den starren Egoismus seiner Persönlichkeit brechen, um ihr das Recht zu verschaffen, sich frei auszusprechen.

– Dürfte ich Sie wohl um einen Bleistift bitten? wandte sich Pigassow an Bassistow.

Bassistow faßte nicht gleich, was Pigassow von ihm verlangte.

– Wozu brauchen Sie einen Bleistift? brachte er I endlich hervor.

– Ich will diese letzte Phrase des Herrn Rudin notiren. Notire ich sie nicht, ich könnte sie vergessen, stehe nicht dafür! Und Sie werden selbst zugeben, solch eine Phrase kommt doch einem großen Schlemm im Whist gleich.

– Es giebt Dinge, Afrikan Semenitsch, über welche zu scherzen und zu spotten unschicklich ist! erwiederte Bassistow mit Wärme und drehte Pigassow den Rücken.

Unterdessen war Rudin zu Natalia getreten. Sie erhob sich und auf ihrem Gesichte zeigte sich Verwirrung.

Wolinzow, der neben ihr saß, erhob sich gleichfalls.

– Ich sehe da ein Klavier, begann Rudin mit weicher, wohlwollender Stimme, als wäre er ein Prinz auf Reisen: – spielen Sie vielleicht?

– Ja, ich spiele, sagte Natalia: – aber nicht besonders. Hier, Constantin Diomiditsch spielt bedeutend besser als ich.

Pandalewski streckte sein Gesicht vor und fletschte die Zähne.

– Sie sind ungerecht gegen sich, Natalia Alexejewna: ich spiele wirklich nicht besser als Sie.

– Spielen Sie den Erlkönig von Schubert? fragte Rudin.

– Er spielt ihn, er spielt ihn! nahm Darja Michailowna das Wort. – Sehen Sie sich, Constantin . . . Sie lieben die Musik, Dimitri Nikolaitsch?

Rudin verneigte sich leicht mit dem Kopfe und fuhr mit der Hand über das Haar, als bereite er sich zum Anhören vor . . . Pandalewski begann.

Natalia stellte sich an’s Klavier, Rudin gerade gegenüber. Gleich bei den ersten Tönen erhielt sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck. Seine tiefblauen Augen schweiften langsam umher, von Zeit zu Zeit auf Natalia haften bleibend. Pandalewski hatte geendet.

Rudin sagte kein Wort und trat an das geöffnete Fenster. Ein aromatischer Duft lag gleich einer leichten Hülle aus dein Garten, einschläfernde Kühle entstieg den nahegelegenen Bäumen. Sanft schimmerten die Sterne. Wonnig war die Sommernacht und Wonne verbreitete sie um sich her. Rudin schaute in den dunkeln Garten hinaus und – wandte sich um.

– Diese und diese Nacht, sagte er: – haben in mir Erinnerungen erweckt an meine Studentenzeit in Deutschland, an unsere Zusammenkünfte, unsere Serenaden . . .

– Sie waren in Deutschland? Fragte Darja Michailowna.

– Ich habe ein Jahr in Heidelberg studirt und etwa ebensolange in Berlin.

– Und Sie kleideten sich wie die Studenten? Die sollen dort, sagt man, eine eigenthümliche Kleidung tragen.

– In Heidelberg habe ich hohe Stiefel mit Sporen und einen kurzen Leibrock mit Schnurbesatz getragen und das Haar lang wachsen lassen bis herab aus die Schultern . . . In Berlin kleiden sich die Studenten wie Jedermann.

– Erzählen Sie uns Etwas aus Ihrem Studentenleben, bat Alexandra Pawlowna.

Rudin begann seine Erzählung. Er war kein guter Erzähler. In seinen Schilderungen vermißte man die Färbung. Er verstand es nicht, Heiterkeit zu erregen. Uebrigens ging er bald von der Erzählung seiner Abenteuer im Auslande auf allgemeine Betrachtungen über, von der Bedeutung der Aufklärung und Wissenschaft, den Universitäten und dem Universitätsleben überhaupt. Mit breiten und kühnen Zügen entwarf er ein riesiges Bild. Alle hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er sprach meisterhaft, hinreißend, nicht immer bestimmt . . . aber diese Unbestimmtheit selbst verlieh seiner Rede einen eigenthümlichen Reiz.

Der Reichthum seiner Gedanken hinderte Rudin, sich bestimmt und genau auszudrücken. Ein Bild drängte das andere; Gleichnisse, bald unerwartet kühn, bald merkwürdig treffend, folgten Schlag auf Schlag. Nicht selbstgefällige Worthascherei des geschulten Schönredners, sondern Begeisterung sprach aus seinem ungestümen Redefluß. Er war um Worte nicht verlegen: folgsam und frei traten sie ihm aus die Lippen, und jedes Wort schien, durchglüht vom Feuer der vollständigsten Ueberzeugung, direct aus der Seele zu strömen. Rudin besaß im höchsten Grade jene Eigenschaft, die man »Musik der Beredtsamkeit« nennen könnte. Er verstand es, indem er gewisse Saiten des Herzens anschlug, zugleich alle andern unbestimmt mittönen und erzittern zu machen. Es mag der Fall gewesen sein, daß der eine oder der andere seiner Zuhörer nicht recht verstand, wovon die Rede war, doch fühlte er die Brust schwellen, ein Schleier schien von seinen Augen zu fallen und in der Ferne stieg ein gewisses strahlendes Etwas vor seinen Blicken empor . . .

Alle Gedanken Rudin’s schienen der Zukunft zugewandt zu sein; dieser Umstand verlieh ihnen das Drangvolle und Jugendliche . . . Am Fenster stehend, Niemand vorzugsweise anblickend, sprach er – und begeistert durch die Zustimmung und Aufmerksamkeit Aller, durch die Nähe junger Frauen, die Schönheit der Nacht, hingerissen von der Fluth eigener Empfindungen – erhob er sich bis zur Beredtsamkeit, bis zur Poesie . . . der Klang seiner Stimme sogar, sonor und ruhig, vermehrte noch den Zauber; es schien, als redete aus seinem Munde etwas Höheres, ihm selbst Ungewohntes . . . Rudin sprach von Dem, was dem zeitlichen Leben des Menschen Bedeutung für die Ewigkeit verleiht.

– Dabei fällt mir eine skandinavische Sage ein, so beschloß er seine Rede: – Es sitzt ein König mit seinen Recken in einer langen, dunkeln Halle um ein Feuer herum. Es war zu Winterszeit und Nachts. Auf einmal kommt ein kleiner Vogel durch die offene Thür hereingeflogen und fliegt zur andern wieder hinaus. Der König sagt: »Das Vöglein ist wie der Mensch aus Erden: aus dem Dunkel kommt es geflogen, in das Dunkel fliegt es wieder zurück, und hat sich nur kurze Zeit der Wärme und des Lichtes erfreut« . . . »O König,« erwiedert der Aelteste der Krieger, »das Vöglein wird auch im Dunkeln nicht umkommen und sein Nest wieder finden« . . . In der That, unser Leben ist kurz und vergänglich; doch alles Große geschieht durch den Menschen. Das Bewußtsein, höheren Mächten zum Werkzeuge zu dienen, muß ihm Ersatz sein für alle übrigen Freuden; im Tode selbst wird er sein Leben, sein Nest finden . . .

Rudin hielt inne und senkte den Blick mit einem unwillkürlichen Lächeln der Verwirrung.

– Vous êtes un poëte, sagte halblaut Darja Michailowna.

 

Und Alle stimmten ihr im Stillen bei, – Alle, Pigassow ausgenommen. Ohne das Ende der langen Rede Rudin’s abzuwarten, hatte er leise den Hut genommen und,, sich entfernend, dem bei der Thüre stehen gebliebenen Pandalewski erbittert zugeflüstert: – Die klugen Leute machen es mir zu bunt! Ich begebe mich zu den Einfaltspinseln!

Es hatte ihn übrigens Niemand zurückgehalten, auch seine Abwesenheit nicht bemerkt.

Die Diener trugen das Abendessen auf und eine halbe Stunde darauf trennte man sich. Darja Michailowna hatte Rudin überredet, über Nacht zu bleiben. Alexandra Pawlowna drückte auf der Heimfahrt in der Kutsche gegen ihren Bruder unter vielen Ach’s ihr Erstaunen über Rudin’s ungewöhnlichen Geist aus. Wolinzow stimmte ihr bei, bemerkte jedoch, daß er sich zuweilen etwas unverständlich ausdrücke . . . das heißt nicht ganz überzeugend, fügte er hinzu, vermuthlich, um seinen Gedanken bessern Ausdruck zu geben; sein Gesicht verfinsterte sich jedoch, und der Blick, den er in die Ecke der Kutsche gerichtet hielt, war noch schwermüthiger geworden.

Pandalewski ließ, während er, sich zum Schlafengehen anschickend, seine seidengestickten Tragbänder löste, laut die Worte fallen: »ein sehr gewandter Mensch!« und befahl dann sogleich mit strengem Blicke seinem Kammerdiener, das Zimmer zu verlassen. Bassistow schlief die ganze Nacht nicht und kleidete sich nicht einmal aus; bis zum Anbruch des Tages schrieb er ununterbrochen einen Brief an einen seiner Freunde nach Moskau; Natalia hatte sich zwar ausgekleidet und zu Bette gelegt, aber gleichfalls nicht eine Minute geschlafen und sogar die Augen nicht einmal geschlossen. Den Kopf auf den Arm gestützt, hatte sie in das Dunkel hinausgeblickt; ihre Pulse pochten wie im Fieber und häufige schwere Seufzer hoben ihren Busen.

IV

Kaum halte sich Rudin am folgenden Morgen angekleidet, so erschien bei ihm ein Diener von Darja Michailowna mit der Einladung, sich zu ihr ins Cabinet zum Thee zu bemühen. Rudin traf sie allein. Sie bewillkommnete ihn höchst freundlich, erkundigte sich, ob er die Nacht gut verbracht habe und schenkte ihm selbst eine Tasse Thee ein, sie fragte sogar, ob Zucker genug darin sei, bot ihm eine Papiercigarre an, und äußerte wieder ein paar Male, daß sie sich wundere, wie sie nicht früher mit ihm bekannt geworden sei. Rudin hatte etwas entfernt Platz genommen; Darja Michailowna aber wies auf einen Diwan, der neben ihrem Sessel stand, und begann, sich ein wenig nach seiner Seite hinneigend, ihn über seine Verwandten, seine Pläne und seine Aussichten zu befragen. Darja Michailowna sprach leicht hingeworfen, und hörte zerstreut zu; Rudin aber merkte sehr wohl, daß sie ihm zu gefallen suche, ja, ihm sogar schmeichele: Nicht umsonst hatte sie also dieses Morgenstelldichein vorbereitet, nicht umsonst ein einfaches aber graziöses Kleid à la madame Récamir, angelegt! Uebrigens hörte Darja Michailowna bald auf, ihn auszufragen: sie fing an, ihm von sich zu erzählen, von ihren Jugendjahren und den Personen, mit denen sie bekannt gewesen war. Rudin hörte theilnehmend ihrem Gerede zu. doch – sonderbar! – von Wem Darja Michailowna auch sprechen mochte, ihre eigene Person stand stets im Vordergrunde, und drängte jede andere zurück; dabei erfuhr Rudin umständlich, was Darin Michailowna namentlich zu dieser bekannten, hochgestellten Persönlichkeit geredet, welchen Einfluß sie auf jenen berühmten Dichter ausgeübt hatte. Den Bekenntnissen Darja Michailowna’s zufolge hätte man glauben können, daß alle Bedeutenden unter ihren Zeitgenossen einzig und allein nur darnach getrachtet hätten, mit ihr bekannt zu werden, oder sich ihr Wohlwollen zu erwerben Sie sprach von ihnen in einfacher Weise, ohne besonderes Entzücken oder Lobeserhebung, wie von ihr nahestehenden Personen; Einige nannte sie sonderbare Käuze, immer aber reiheten sich ihre Namens wie bei einem kostbar gefaßten Edelsteine, in strahlendem Kranze um den einen Namen: Darja Michailowna.

Rudin hörte zu, rauchte seine Cigarrette und schwieg; nur hin und wieder unterbrach er durch kurze Bemerkungen den Redeschwall der gnädigen Frau. Er verstand und liebte zu sprechen; eine Unterhaltung im Gange zu halten, war ihm nicht eigen, doch verstand er auch zuzuhören. Jeder, den er nicht gleich Anfangs eingeschüchtert hatte, ließ sich in seiner Gegenwart zutraulich aus; so gefällig und ermunternd folgte er dem Faden der Erörterungen Anderer. Er besaß viel Gutmüthigkeit, viel von jener eigenthümlichen Gutmüthigkeit, welche Leuten eigen ist, die gewohnt sind, sich über Andere erhaben zu fühlen. Im Wortstreite ließ er selten seinem Gegner das letzte Wort, sondern überwältigte ihn mit seiner ungestümen und leidenschaftlichen Dialektik.

Darja Michailowna sprach russisch. Sie prahlte mit der Kenntniß ihrer Muttersprache, obgleich bei ihr oft Gallicismen und französische Worte mit unterliefen. Absichtlich gebrauchte sie einfache, volksthümliche Ausdrucksweisen, doch nicht immer an dem rechten Orte. Rudin’s Ohr fand sich durch die buntscheckige Sprache in Darja Michailowna’s Munde nicht unangenehm berührt wenn überhaupt er ein Ohr dafür hatte.

Diese hatte sich indeß bald erschöpft, sie ließ den Kopf aus das Hinterkissen des Lehnstuhls zurücksinken, richtete den Blick aus Rudin und verstummte.

– Jetzt begreife ich, begann langsam Rudin, – begreife ich es, weshalb Sie jeden Sommer auf’s Land reisen. Sie bedürfen dieser Erholung; die ländliche Stille, nach dem Leben in der Hauptstadt, muß Sie erfrischen und stärken. Ich bin überzeugt, Sie müssen ein tiefes Gefühl für die Schönheiten der Natur haben.

Darja Michailowna blickte Rudin von der Seite an.

– Die Natur . . . nun ja . . . ja, freilich . . . ich liebe sie außerordentlich; wissen Sie aber, Dmitri Nikolaitsch, selbst auf dem Lande lebt sich’s nicht ohne Menschen. Hier herum giebt’s aber keinen. Pigassow gilt hier als der Geistreichste.

– Der gestrige mürrische Graukopf? fragte Rudin.

– Nun ja, derselbe. Auf dem Lande übrigens nimmt man ihn schon mit – er heitert zuweilen auf.

– Er hat Verstand, erwiederte Rudin: – geht aber einen falschen Weg. Ich weiß nicht, ob Sie mir Recht geben werden, Darja Michailowna, es liegt aber wirklich kein Segen in dem unbegrenzten und vollständigen Verneinen. Verneinen Sie Alles, und man wird Sie möglicherweise für einen klugen Kopf halten: dieser Kunstgriff ist bekannt. Es werden Viele in ihrer Einfalt sogleich bereit sein, den Schluß zu ziehen, Sie ständen höher, als das, was Sie verneinen. Das ist aber oftmals falsch. Erstens, lassen sich in Allem Flecken finden, zweitens, wenn Sie auch Recht hätten, bleiben Sie im Nachtheile: Ihr Geist, fortwährend und ausschließlich zur Verneinung gestimmt, verliert seine Kraft, er stumpft ab. Indem Sie Ihre Selbstliebe befriedigen, rauben Sie sich den wirklichen Genuß der Erkenntniß; das Leben – der innere Werth des Lebens – entschlüpft Ihrem kleinlichen und erbitterten Beobachtungsgeiste und Sie sinken zuletzt zu einem Zänker und Spaßmacher herab. Rügen, schelten darf nur, wer liebt.

– Voilà Mr. Pigussoff enterré, sagte Darja Michailowna. Sie verstehen es aber meisterhaft, die Menschen zu schildern! Uebrigens würde Pigassow Sie wahrscheinlich nicht einmal begriffen haben. Liebt er ja doch ausschließlich nur seine eigene Person.

– Und er schilt dieselbe, um einen Vorwand zu haben, Andere schelten zu dürfen, fiel Rudin ein.

Darja Michailowna lachte.

– Ja, ja, wie das Sprichwort sagt: vom kranken Kopf auf den Gesunden! – À propos – was halten Sie von dem Baron?

– Vom Baron? Er ist ein vortrefflicher Mensch, mit gutem Herzen und erfahren . . . aber ohne Character . . . er wird sein ganzes Leben ein halber Gelehrter, halber Weltmann, d. h. Dilettant bleiben, kurz gesagt, ein – Nichts . . . Es ist aber schade um ihn!

– Das ist auch meine Ansicht, erwiederte Darja Michailowna. – Ich habe seinen Aufsatz gelesen . . . Entre nous . . . cela a assez peu de fond.

– Wen haben Sie sonst noch in der Nähe? fragte nach einigem Schweigen Rudin.

Darja Michailowna strich mit dem kleinen Finger die Asche von ihrer Cigarrette.

– Weiter giebt es wohl Niemand. Die Lipin, Alexandra Pawlowna, die Sie gestern gesehen haben: sie ist allerliebst, und weiter nichts. Ihr Bruder – ebenfalls ein vortrefflicher Mensch, un parfait honnête homme. Den Fürsten Garin kennen Sie. Das sind sie Alle. Es sind da noch zwei, drei Nachbarn, die sind aber ganz und gar unbedeutend. Entweder Wichtigthuer – mit ungeheuren Prätensionen oder menschenscheues, oft am unrichtigen Platze ungenirtes Volk. Mit den Damen gehe ich nicht um, wie Sie wissen. Wir haben wohl noch einen Nachbarn, einen sehr gebildeten, sogar gelehrten Mann, aber einen schrecklichen Sonderling, einen Schwärmer. Alexandrine kennt ihn und, wie es scheint, ist er ihr nicht gleichgültig . . . Sie sollten ihr wirklich Aufmerksamkeit schenken, Dmitri Nikolaitsch: das ist ein liebes Wesen; sie müßte nur etwas ausgebildet werden, ja sie muß es durchaus werden.

– Sie ist sehr anziehend, bemerkte Rudin.

– Ein wahres Kind, Dmitri Nikolaitsch, eine wahre Unschuld. Sie ist verheirathet gewesen, mais c’est tout comme . . . Wäre ich ein Mann, ich würde mich nur in solche Weiber verlieben.

– Wirklich?

– Gewiß! Dergleichen Frauen sind zum Mindesten frisch, und die Frische läßt sich nicht künstlich nachahmen.

– Alles Andere aber? fragte Rudin mit Lachen, was selten bei ihm der Fall war. Wenn er lachte, nahm sein Gesicht einen eigenthümlichen, fast greisenhaften Ausdruck an, die Augen zogen sich zusammen, er rümpfte die Nase . . .

– Wer ist denn aber jener Sonderling, wie Sie sagen, der Frau Lipin nicht gleichgültig wäre? fragte er.

– Ein gewisser Leschnew, Michael Michailitsch, ein Gutsbesitzer aus dieser Gegend.

Rudin erstaunte und erhob den Kopf.

– Leschnew, Michael Michailitsch? fragte er: – ist der denn Ihr Nachbar?

– Ja. Sie kennen ihn also?

Rudin schwieg.

– Ich habe ihn vormals gekannt . . . es ist schon lange her. Er ist reich, wie man sagt? fügte er hinzu indem er an den Fransen des Lehnstuhls zupfte.

– Ja, reich ist er, kleidet sich jedoch abscheulich und fährt auf einer Reitdroschke gleich einem Dorfverwalter umher. Ich habe den Versuch gemacht, ihn in mein Haus zu ziehen; er soll Verstand haben; dann stehe ich auch gewissermaßen in Geschäftsverbindung mit ihm . . . Sie wissen doch, daß ich mein Gut selbst verwalte?

Rudin nickte mit dem Kopfe.

– Ja, selbst, fuhr Darja Michailowna fort: – ich führe nichts von den fremdländischen Albernheiten bei mir ein, halte mich an dem Meinigen, dem Russischen, und Sie sehen, die Sache geht, denke ich, nicht schlecht, setzte sie hinzu, indem sie dabei mit der Hand einen Kreis durch die Luft beschrieb.

– Ich bin immer der Ueberzeugung gewesen, bemerkte Rudin verbindlich: – daß diejenigen schreiendes Unrecht begehen, die den Frauen praktischen Sinn absprechen.

Darja Michailowna lächelte.

– Sie sind sehr nachsichtig, sagte sie: – aber was wollte ich Ihnen doch erzählen? Wovon sprachen wir denn? Ja! von Leschnew. Ich habe mit ihm über Landvermessung zu verhandeln. Mehrmals schon habe ich ihn zu mir eingeladen und erwarte ihn sogar heute; er kommt aber nie . . . ein wahrer Sonderling.

Der Vorhang an der Thür wurde behutsam zurückgezogen und der Haushofmeister, ein hochgewachsener, grauer Mann, mit einer Glatze, in schwarzem Frack, weißer Halsbinde und weißer Weste, trat herein.

– Was willst Du? fragte Darja Michailowna, und setzte mit einer leichten Wendung zu Rudin halblaut hinzu: – n’est ce pas, comme il ressemble à canning?

– Michael Michailitsch Leschnew ist angekommen, meldete der Mann: – befehlen Sie zu empfangen?

– Ach, mein Gott! rief Darja Michailowna: – er kommt wie gerufen. Bitte ihn her!

Der Haushofmeister ging hinaus.

– Der sonderbare Mensch, da wäre er endlich, und doch nicht zur rechten Stunde; er unterbricht unser Gespräch.

Rudin erhob sich von seinem Platze, Darja Michailowna hielt ihn aber zurück.

– Wohin wollen Sie denn? Das läßt sich auch in Ihrer Gegenwart besprechen und dann wünsche ich, daß Sie mir sein Bild entwerfen, wie das von Pigassow. Wenn Sie reden, vous gravez comme avec un burin. Bleiben Sie?

Rudin wollte etwas einwenden, überlegte ein wenig und blieb.

Michael Michailowitsch, dem Leser bereits bekannt, trat in’s Cabinet. Er hatte denselben grauen Paletot an und hielt in den gebräunten Händen dieselbe alte Mütze. Er grüßte gelassen Darja Michailowna und trat an den Theetisch heran.

– Endlich sind Sie so gefällig gewesen, sich herzubemühen, Monsieur Leschnew! sagte Darja Michailowna. – Ich bitte, lassen Sie sich nieder. Sie sind mit einander bekannt, habe ich gehört, fuhr sie fort, auf Rudin deutend.

 

Leschnew blickte Rudin an und lächelte dabei sonderbar.

– Ich kenne Herrn Rudin, sagte er mit einer kurzen Verbeugung.

– Wir sind zusammen auf der Universität gewesen, bemerkte Rudin halblaut und schlug den Blick zu Boden.

– Auch später sind wir mit einander zusammen getroffen, sagte Leschnew kalt.

Daria Michailowna blickte Beide mit einigem Befremden an und bat Leschnew Platz zu nehmen.

Er setzte sich.

– Sie hatten gewünscht, mich zu sehen, begann er: es betrifft die Vermessung?

– Ja, die Vermessung, doch habe ich auch überhaupt Sie zu sehen gewünscht. Sind wir doch noch Nachbarn und auch wohl vielleicht verwandt miteinander.

– Sehr verbunden, erwiederte Leschnew: – was nun die Vermessung betrifft, so habe ich diese Angelegenheit bereits mit Ihrem Verwalter vollständig zum Abschluß gebracht: ich gehe auf alle seine Vorschläge ein.

– Das wußte ich.

– Nur, sagt er mir, könnten, ohne vorherige persönliche Zusammenkunft mit Ihnen, die Papiere nicht unterzeichnet werden.

– Ja; so ist es nun einmal bei mir eingeführt. Darf ich wohl fragen, ob die Bauern bei Ihnen zinspflichtig sind?

– So ist es.

– Und Sie selbst haben die Vermessung in Anregung gebracht? Das ist lobenswerth.

Leschnew schwieg einen Augenblick.

– Da bin ich denn der persönlichen Zusammenkunst wegen hergekommen, sagte er.

Darja Michailowna lächelte.

– Ich sehe, daß Sie gekommen sind. Sie sagen das in solch’ besonderem Tone . . . Gewiß hatten Sie sehr wenig Lust, zu mir zu kommen.

– Ich besuche Niemand, erwiederte Leschnew phlegmatisch.

– Niemand? Sie besuchen aber doch Alexandra Pawlowna?

– Ich bin ein alter Bekannter ihres Bruders.

– Ihres Bruders! Uebrigens, ich lege Niemandem Zwang auf . . . Indessen, Sie werden vergeben, Michael Michailitsch, ich bin älter als Sie an Jahren und darf Sie ein wenig schelten: wie können Sie an einem so zurückgezogenen Leben Vergnügen finden? Oder ist es mein Haus vielleicht, das Ihnen nicht gefällt? oder vielleicht gefalle ich Ihnen nicht?

– Ich kenne Sie nicht, Darja Michailowna, und deßhalb können Sie mir auch nicht mißfallen. Ihr Haus ist sehr schön; ich muß Ihnen aber offen gestehen, ich thue mir nicht gern Zwang an. Ich habe nicht einmal einen gehörigen Frack, keine Handschuhe; zudem passe ich auch nicht in Ihren Kreis.

– Der Geburt, der Erziehung nach, gehören Sie demselben an, Michael Michailitsch! vous êtes des nôtres.

– Wir wollen Geburt und Erziehung bei Seite lassen, Darja Michailowna! Nicht daraus kommt es an . . .

– Der Mensch soll unter Menschen leben, Michael Michailitsch! Was hat man davon, wie Diogenes, in der Tonne zu sitzen?

– Erstens, fühlte sich Diogenes sehr wohl dabei: zweitens, weshalb glauben Sie, daß ich nicht unter Menschen lebe?

Darja Michailowna biß sich in die Lippen.

– Das ist eine andere Sache! Mir bleibt also nur zu bedauern, daß ich mich zu Denen nicht zählen darf, die Sie Ihrer Bekanntschaft würdigen.

– Monsieur Leschnew, mischte sich Rudin ein: – treibt zu weit, wie mich dünkt, ein sonst sehr lobenswerthes Gefühl – die Liebe zur Freiheit.

Leschnew erwiederte nichts und blickte Rudin nur an. Ein kurzes Schweigen trat ein.

– Und somit, sagte Leschnew, sich erhebend: – darf ich unsere Angelegenheit als erledigt betrachten und Ihren Verwalter bedeuten, daß er mir die Papiere zur Unterschrift zustelle?

– Sie können es . . . obgleich Sie, ich gestehe es, so wenig liebenswürdig sind . . . daß ich es Ihnen abschlagen sollte.

– Aber diese Vermessung bringt Ihnen ja mehr Vortheil als mir.

Darja Michailowna zuckte die Achseln.

– Und Sie wollen nicht einmal das Frühstück bei mir einnehmen? fragte sie

– Danke Ihnen gehorsamst; ich früstücke niemals, und dann muß ich auch bald nach Hause.

Darja Michailowna erhob sich.

– Ich will Sie nicht aufhalten, sagte sie, an’s Fenster tretend: – ich darf Sie nicht aufhalten.

Leschnew verabschiedete sich.

– Adieu, Monsieur Leschnew! Verzeihen Sie, daß ich Sie belästigt habe.

– Oh ich bitte, hat nichts zu sagen, erwiederte Leschnew und ging hinaus.

– Wie gefällt er Ihnen! fragte Darja Michailowna Rudin. – Ich hatte wohl von ihm gehört, er sei ein sonderbarer Mensch; dies übersteigt aber doch Alles!

– Er leidet an demselben Uebel, wie Pigassow, erwiederte Rudin – dem Verlangen, originell zu erscheinen. Jener spielt den Mephistopheles, dieser den Cyniker. In allem Dem steckt viel Egoismus, viel Selbstsucht und wenig Wahrheit, wenig Liebe. Das ist ja auch eine Berechnung in ihrer Art: es bindet sich Einer die Larve der Gleichgültigkeit und der Nachlässigkeit vor, da muß denn gleich, denkt er, ein Jeder aus den Gedanken kommen, das; der Mensch auf unverantwortliche Weise sein Licht unter den Scheffel stellt! Aber näher betrachtet, ist gar kein Licht vorhanden!

– Et de deux! äußerte Darja Michailowna. – Sie sind furchtbar in der Charakterschilderung Ihnen entgeht man nicht.

– Glauben Sie? sagte Rudin . . . Uebrigens, fuhr er fort: – ich sollte eigentlich nicht von Leschnew sprechen: ich habe ihn geliebt, geliebt wie einen Freund . . . nachher aber, in Folge verschiedener Mißverständnisse . . .

– Haben Sie sich entzweiet?

– Das nicht. Wir haben uns getrennt, und, wie mir scheint, für immer getrennt.

– Das war es! Darum war Ihnen auch während seines Hierseins, wie mir däuchte, nicht wohl zu Muthe . . . Ich bin Ihnen aber doch sehr für den heutigen Morgen verbunden. Ich habe die Zeit überaus angenehm verbracht. Aber – Alles mit Maß! Ich gebe Ihnen Urlaub bis zum Frühstück, und will jetzt auch selbst an meine Geschäfte gehen. Mein Secretär, Sie haben ihn gesehen – Constantin, c’est lui qui est mon secrétaire – wartet gewiß schon auf mich. Ich empfehle Ihnen denselben: ein herrlicher, überaus dienstfertiger junger Mann und ganz entzückt von Ihnen. Auf Wiedersehen, eher Dmitri Nikolaitsch. Wie bin ich dem Barone zu Dank verpflichtet, daß er mir Ihre Bekanntschaft verschafft hat!

Und Darja Michailowna reichte Rudin die Hand. Er drückte sie zuerst, führte sie dann an die Lippen und begab sich in den Saal und von da auf die Terrasse, wo er Natalia traf.

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