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Dunst

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Siebentes Capitel

In jenem Jahre besuchte der Hof Moskau. Feste folgten auf Feste; der gebräuchliche, der kaiserlichen Familie zu Ehren angeordnete Ball im adligen Club rückte heran.

Die Ankündigung desselben in den öffentlichen Blättern gelangte auch in das Haus am Hundeplatze.

Der Erste, den diese in Aufruhr setzte, war der alte Fürst. Er beschloß sogleich den Ball zu besuchen und wünschte Irina durchaus mitzunehmen, weil es ja unverzeihlich wäre, wenn sie diese Gelegenheiten vorüberließen, die kaiserliche Familie und den Hof zu sehen. Mit sonst bei ihm ganz ungewöhnlichem Eifer bestand er dieses Mal auf seinen Vorhaben; die Fürstin, obgleich sie zwar über die dadurch verursachten Ausgaben ächzte und jammerte, war im Ganzen auch nicht dagegen, nur allein in Irina fand dieser Entschluß heftigen Widerstand.

»Es ist nicht nöthig, ich werde nicht mitfuhren,« antwortete sie auf die elterliche Aufforderung.

Ihre Hartnäckigkeit war so groß, daß der alte Fürst sich endlich entschloß, Litwinow zu bitten, er möge sie bereden und ihr vorstellen, daß es sich für ein junges Mädchen nicht schicke, so die Welt zu meiden, und daß sie, ihren Eltern zu gefallen, doch mitkommen möge, da sie ja so schon Niemanden sehe.

Litwinow glaubte dem Fürsten nicht wohl seinen Wunsch abschlagen zu können, und sprach mit ihr.

Irina blickte ihn aufmerksam und prüfend an; so starr blickte sie ihm lange schweigend in’s Auge, daß er verlegen wurde; endlich, mit den Enden ihres Gürtelbandes spielend, fragte sie ihn langsam und gelassen: »Sie wünschen es auch, Sie?«

»Ja,« stotterte Litwinow, »ich glaube – ich meine, Sie sollten dem Wunsche ihrer Eltern nachgeben – ein- mal die Welt sehen – und,« fügte er lächelnd hinzu, »auch sich zeigen.«

»Mich – zeigen-?« wiederholte sie langsam fragend, »Nun wohl, – ich werde mitfahren. – — Nur vergessen Sie nicht, daß Sie es selbst gewünscht haben.«

»Ich? – was eigentlich mich betrifft —,« wollte Litwinow sie unterbrechen.

Sie ließ ihm aber keine Zeit zum Ausreden und fuhr hastig fort:

»Sie haben mich selbst dazu aufgefordert – und, hören Sie, noch eine Bedingung: Sie müssen mir versprechen, den Ball nicht selbst zu besuchen!«

»Warum wünschen Sie aber das?«

»Das ist einmal meine Bedingung, eine weibliche Caprice vielleicht, – genug, ich will es.«

Litwinow verbeugte sich.

»Ich gehorche, – aber ich gestehe, es hätte mir großes Vergnügen gemacht, Sie in Ihrem Triumphe zu sehen, – Zeuge des Eindrucks zu sein, den Sie unfehlbar machen werden – — Wie stolz hätte mich das gemacht!« fügte er seufzend hinzu.

Irina lächelte.

»Die ganze Herrlichkeit wird bei mir in einem weißen Kleide bestehen, und was den Eindruck betrifft – — Nun, kurz und gut, ich will, daß Sie nicht hingehen.«

»Irina, Du scheinst erzürnt?«

Sie lächelte wieder.

»O nein! Ich zürne nicht, – Du nur mit Deiner – —« Wieder heftete sie starr ihren Blick auf ihn, nie hatte sie ihn noch mit einem so sonderbaren Ausdruck angesehen. »Doch wer weiß, vielleicht ist es so Bestimmung,« fügte sie leise hinzu.

»Irina, liebst Du mich auch?«

»So wahr ich lebe und athme,« antwortete sie feierlich, ergriff seine Hand und drückte sie fest, fast männlich.

Die folgenden Tage vergingen unter verschiedenen Vorbereitungen zum Balle.

Am Tage vor dem Balle fühlte sich Irina unwohl, hatte nirgends Ruhe, weinte mehrere Male heimlich, suchte jedoch in Litwinow‘s Gegenwart heiter zu scheinen und war überaus mild und hingebend gegen ihn, wenn gleich etwas zerstreut und oft sich im Spiegel besehend. Am Balltage selbst war sie schweigend, bleich, aber gefaßt.

Gegen neun Uhr des Abends erschien Litwinow, um sie zu bewundern.

Als Irina aus ihrem Zimmer trat, in einem weißen Tüllkleide, einen kleinen blauen Kornblumenkranz im leicht nach oben gekämmtem dichten, vollen Haar, entwand sich ein Ruf der Bewunderung seiner Brust; so majestätisch schön erschien sie ihm, daß sie ihm um vieles älter vorkam.

»Sie scheint seit heute Morgen gewachsen zu sein,« dachte er, »und welch ein Anstand! Was hohe Geburt doch macht!«

Irina stand vor ihm, ungeziert, ohne Lächeln, den Blick fest, doch nicht auf ihn, sondern wie in eine unbestimmte Ferne gerichtet.

»Wie die Königin im Märchen-»sagte endlich Litwinow, »oder besser: wie der Feldherr vor der siegreichen Schlacht . . . Sie haben mir zwar nicht erlaubt, Sie zu begleiten,« fuhr er fort, während sie äußerlich unbeweglich zwar, aber innerlich mit irgend einem andern Gegenstande lebhaft beschäftigt schien, »aber Sie werden mir wohl die Annahme dieser Blumen nicht verweigern?« Und damit reichte er ihr ein Bouquet Heliotropblüthen.

Einen raschen Blick auf Litwinow werfend, erhob sie die Hand und ergriff den Kranz, der ihr Haar schmückte:

»Willst Du? noch ist es Zeit; sage ein Wort, dieser Kranz fällt – und ich bleibe zu Hause.«

Freudig erbebte Litwinow’s Herz, schon fing Irina’s Hand an den Kranz zu lösen.

»Nein, nein, wozu das?« stieß er, ohne zu denken, in einer plötzlichen edlen Anwallung von Vertrauen und ritterlichem Edelmuth hervor, »ich bin kein solcher Egoist; wie sollte ich Dir diese Zerstreuung mißgönnen, da ich ja weiß, daß Dein Herz . . .

»Nun, dann aber kommen Sie mir nicht zu nahe,« unterbrach sie ihn hastig. »Sie bringen mein Kleid in Unordnung.«

Litwinow wurde wieder verlegen.

»Und mein Bouquet? Nehmen Sie es?«

»Sicher! Es ist wunderhübsch, und Sie wissen, ich liebe diesen Geruch. Morei! . . . Ich behalte es zum Andenken . . .«

»An Ihre erste Ausfahrt,« fügte Litwinow hinzu, »an Ihren ersten Triumph!«

Irina blickte über die Schulter in den Spiegel, leicht den Kopf zurückbiegend.

»Bin ich denn wirklich hübsch? Sind Sie nicht vielleicht nur parteiisch?«

Litwinow ergoß sich in Complimenten, auf welche Irina kaum hörte, sondern das Bouquet dicht vor’s Gesicht haltend, ihren inneren Blick in ferne unbekannte Regionen vertiefte.

Der alte Fürst, im weißen Halstuch, das Haar frisirt, im altmodischen Frack mit dem Wladimirbande im Knopfloch, trat jetzt in’s Zimmer, nach ihm die Fürstin im seidenen Chinakleide alten Schnitts, im Gesicht dieselbe hastige Aengstlichkeit, unter welcher die Mütter ihre Aufregung zu verbergen streben, wenn sie ihre Töchter auf Bälle begleiten und indem sie ihnen ohne jede Noth die Falten des Kleides glattstreichen.

Ein alter viersitziger Miethwagen mit zwei mageren, langhaarigen Gäulen bespannt, dessen Räder im Schnee knirschten, fuhr schwerfällig vor, während ein bleicher, hagerer Diener in einer vorsintflutlichen Livree in’s Zimmer trat und in kläglichem Tone meldete, daß der Wagen vorgefahren sei.

Nachdem sie vorher den zu Hause bleibenden Kindern gute Nacht gesagt und segnend das Kreuz über sie geschlagen hatten, hüllten sich die Eltern in ihre alten warmen Pelze und setzten sich in den Wagen, ihnen folgte Irina im leichten kurzen Mäntelchen, – ach, wie verabscheute sie dies alte treue Mäntelchen! – schweigend und ohne sich umzusehen.

Litwinow, der sie hinausbegleitet hatte, hoffte vergebens noch auf ihren Abschiedsgruß, sie setzte sich ihren Eltern gegenüber, ohne weiter auf ihn zu achten.

Gegen Mitternacht ging er unter den Fenstern des adeligen Clubs vorbei. Die zahllosen Lichter der kolossalen Lustres erglänzten hell durch die rothsammtenen Vorhänge, der ganze Platz war mit Equipagen bedeckt, und wie neckend auffordernd ertönten die munteren Klänge eines Strauß’schen Walzers durch die tiefe Nacht!

Gegen ein Uhr am andern Tage begab sich Litwinow zu Ossinins. Er fand nur den alten Fürsten zu Hause, der ihm sogleich damit entgegenkam, daß Irina Kopfschmerzen habe, noch ruhe und erst gegen Abend aufstehen werde, daß übrigens so etwas nach einem ersten Balle ganz natürlich.

»C’est très-naturel, vous savez, dans les jeunes filles,« fügte er in schlechtem Französisch hinzu, wobei Litwinow auffiel, daß er nicht, seiner Gewohnheit nach, im Schlafrock, sondern angekleidet war. »Zudem,« fuhr Ossinin fort, »wie sollte sie so etwas nicht aufgeregt und angegriffen haben, ein so unerhörtes Ereigniß!«

»Ein Ereigniß?« fragte staunend Litwinow.

»Ja,«ja, ein Ereigniß sondergleichen, des vrais événements. Sie können sich nicht vorstellen, lieber junger Freund, quel succès elle a eu! Der ganze Hof hat sie bemerkt. Fürst Alexander Feodoritsch sagte, ihr Platz sei nicht hier, und sie erinnere ihn lebhaft an Lady Devonshire, nun . . . Sie wissen ja . . . die bekannte . . . Der alte Graf Blasenkampf sogar erklärte öffentlich, sie sei la reine du bal, Und ließ sich ihr vorstellen. Mir stellte er sich dann ebenfalls vor und sagte, daß er sich meiner noch als Husar erinnere. Ein höchst drolliger Alter, der Graf, und immer noch adorateur du bean sexe! Nun« und gar meine Fürstin! Keine Ruhe ließ man ihr den ganzen Abend. Bald ließ der Eine bald der Andere sich vorstellen; ich weiß schon nicht mehr wie Viele. Irina a dansé avec tous les meilleurs cavaliers . . . Glauben Sie, den ganzen Abend war immer ein Schwarm um sie herum. Und zuletzt noch in der Mazurka« jeden Augenblick wurde sie gewählt. Ein ausländischer Diplomat, der erfahren hatte, sie sei eine Moskauerin, fügte dem Kaiser: Décidément, Sire, c‘est Moscou qui est le centre de votre empire. Ein Anderer fügte hinzu: C‘est unevraie révolution, Sire – révélation oder révolution . . . etwas in der Art. – Ja, ja ich sage Ihnen, das war etwas Unerhörtes!«

»Nun, und Fürstin Irina?« fragte Litwinow, dem bald heiß, bald kalt bei des Fürsten Rede geworden war, »hat sich wohl gut amüsirt, war zufrieden?«

»Nun natürlich hat sie sich gut amüsirt; ich möchte wissen, was ihr gestern noch hätte fehlen sollen? Uebrigens wissen Sie ja, weiß man bei der nie, woran man ist. Alle waren gestern im höchsten Grade erstaunt. Jamais on ne dirait que mademoiselle votre est à son premier bal! sagte mir unter Anderem auch Graf Reisenbach. Sie kennen ihn, denke ich?«

 

»Nein, ich kenne ihn nicht, habe ihn nie gekannt.«

»Ei, der Vetter meiner Frau . . .«

»Nein, ich habe ihn nie gesehen.«

»Ein sehr reicher Mann, Kammerherr, lebt in Petersburg, am Hofe sehr beliebt, steht an der Spitze der Verwaltung von Livland. Bis jetzt hatte er sich wenig oder gar nicht um uns bekümmert, woraus ich mir übrigens wenig mache. Nun derselbe. Nachdem er Irina aufgesucht und sich eine Zeit lang mit ihr unterhalten hatte, kommt er zu meiner Fürstin und sagt ihr: Ma cousine, votre fille est une perle, c‘est une perfection, alle Welt wünscht mir zu solch einer Nichte Glück; – darauf, sehe ich, geht er zu dem ausländischen Diplomaten, spricht mit ihm, läßt aber meine Irina nicht aus den Augen, und der ausländische Diplomat sieht auch nach ihr hin . . .«

»Demzufolge wird also Fräulein Irina heute den ganzen Tag nicht sichtbar sein?« fragte Litwinow wieder.

»Nein, sie läßt Sie grüßen und für das Bouquet danken,« qu‘on a trouvé charmant. Sie bedarf der Ruhe . . . Meine Fürstin ist Visiten gefahren . . . ja, ich selbst, ich . . .«

Der Fürst fing an zu husten und sich wie müde zu recken.

Litwinow nahm seinen Hut, sagte, es sei nicht seine Absicht zu stören, er werde später wiederkommen, um sich nach Alter Gesundheit zu erkundigten und entfernte sich.

In einiger Entfernung vom Ossinin’schen Hause sah er einen eleganten zweisitzigen Wagen mit gräflichem Wappen, der bei einem Polizeisergeanten anhielt. Der Livreediener fragte diesen, nachlässig sich vom Bock herablehnend, wo der Fürst Paul Wassilitsch Ossinin wohne.

Litwinow blickte in den Wagen hinein; in demselben saß ein Hämorrhoidariusgesicht in mittleren Jahren, mit unangenehmen, falschen Zügen, einer griechischen Nase und bös verzogenem Munde, in einen kostbaren Zobelpelz gehüllt – allem Anschein nach ein wichtiger Würdenträger.

Achtes Capitel

Litwinow hielt sein Versprechen, später wiederzukommen, nicht, er hielt es für besser, seinen Besuch auf den folgenden Tag zu verlegen.

Als er gegen zwölf Uhr in das ihm nur zu bekannte Gastzimmer des Fürsten trat, fand er dort die beiden kleinen Kinder der Fürstin, Victorine und Cleopatra. Nachdem er sie begrüßt hatte, fragte er, ob Irina sich besser befinde und ob er sie sehen könne.

»Irinchen ist mit Mama ausgefahren,« antwortete Victorine, welche dreister als ihre Schwester war.

»Wie? . . . ausgefahren?« wiederholte Litwinow, und eigenthümlich böse Gedanken stiegen in ihm auf. »Beschäftigt sie sich denn nicht um diese Zeit mit Euch und giebt Euch Stunden?«

»Irinchen wird uns jetzt keine Stunden mehr geben«« antwortete Victorine.

»Wir werden jetzt keine Stunden mehr bei ihr haben,« fiel nun auch bekräftigend Cleopatra ein.

»Aber wo ist denn Papa, ist er zu Hause?«

»Papa ist auch nicht zu Hause,« fuhr Victorine fort, »und Irinchen ist krank, sie hat die ganze Nacht geweint.«

»Sie hat geweint?«

»Ja, sehr viel geweint . . . unsere Jegorowna hat es mir gesagt . . . und ihre Augen waren auch ganz roth und geschwollen.«

Litwinow überlief es bald heiß, bald kalt, er zitterte wie im Fieber. So kehrte er in seine Wohnung zurück.

Er hatte die Empfindung eines Menschen, der von einem hohen Thurme in die Tiefe zu seinen Füßen hinabblickt, ihn schauderte innerlich, und sein Kopf ging ihm in der Runde.

»Irina meidet mich, will mich nicht sehen,« klang es immer in seinen Ohren, »das ist klar; doch warum? Was kann auf diesem unseligen Balle vorgegangen sein? Und woher dieser plötzliche Wechsel? So unverhofft – (auch der Tod kommt dem Menschen stets unverhofft« und Niemand vermag sich an den Gedanken zu gewöhnen daß er ihm vielleicht nahe) – und mich kein Wort wissen zu lassen, mir nicht zu erklären . . .«

»Gregor Michailitsch!« rief plötzlich eine Stimme dicht hinter ihm.

Litwinow zuckte zusammen und wandte sich um, sein Diener stand mit einem Billet in der Hand vor ihm.

Er erkannte sogleich Irinens Handschrift. Noch hatte er das Siegel nicht gelöst, und schon fühlte er das Unglück sich ihm nahen, sein Kopf sank auf seine Brust, und ein schwerer Seufzer entstieg derselben. Endlich raffte er sich zusammen und erbrach rasch das Couvert. Das kleine Blatt seines Postpapiers enthielt folgende Worte:

»Können Sie mir vergeben, Gregor Michailitsch? Alles zwischen uns ist auf ewig aus – ich reise nach Petersburg. Schwer ist es mir um’s Herz, doch ist nichts mehr zu ändern! Es scheint, der Himmel hat es nicht gewollt, und meine Bestimmung war – — doch nein, ich kann und will mich nicht rechtfertigen. Mein Vorgefühl ist in Erfüllung gegangen. Vergehen Sie mir, vergessen Sie mich; ich bin Ihrer unwerth.

Irina.

Seien Sie großmüthig, suchen Sie mich nicht zu sehen.

Litwinow las diese kurzen Zeilen und sank, wie vom Schlage getroffen, auf den Divan zurück.

Das Briefchen entfiel seiner Hand; er hob es auf; als er sich etwas erholt hatte, las er es von Neuem, »Nach Petersburg!« flüsterte er und ließ es wieder fallen.

Eine Apathie bemächtigte sich seiner, die ihn gleichgültig gegen Alles ihn Umgebende machte.

»Die Ergebenheit eines Todtkranken,« dachte er. – »Sie hat geweint, sagten die Kinder; – worüber hat sie denn geweint? Sie liebte mich ja nicht! – Wie ein solches Verfahren ihrem Charakter ähnlich sieht! – Meiner nicht werth, schreibt sie – Ausflüchte!« Er lächelte bitter. – Uebrigens ist es ja ganz natürlich, ein Weib wie sie und – ein unbedeutender Student!« – Dann aber gedachte er ihrer zärtlichen Worte, ihres Lächelns und ihrer unvergesslichen Augen, die er nie wiedersehen sollte, jenes einzigen, verschämten zwar, aber brennenden Kusses – und brach plötzlich in ein heftiges, krampfhaftes, nicht zu hemmendes Schluchzen aus. Wuth und Raserei kochten in seinem Herzen, er warf sich« mit gieriger Befriedigung gegen sich selbst tobend, endlich erschöpft aufs Bett, verbarg sein erhitztes Gesicht im Kissen, biß in dasselbe hinein und weinte wie ein Kind.

Jenes verbissene Hämorrhoidariusgesicht, welches Litwinow am vergangenen Tage gesehen hatte, gehörte wirklich jenem Vetter der Fürstin Ossinin, von welchem der alte Fürst gesprochen hatte, dem reichen Kammerherrn Grafen Reisenbach.

Als dieser den Eindruck bemerkte, den Irinens Auftreten überall hervorbrachte, berechnete er gleich, welchen Vortheil derselbe, mit Verstand benutzt, bringen könne, und als energischer, schlau berechnender Mensch beschloß er gleich, rasch auf »napoleonische Art« zu handeln.

»Ich nehme dieses originelle Mädchen zu mir in’s Haus nach Petersburg,« dachte er, »mache sie meinetwegen theilweise zu meiner Erbin, habe ich ja doch so keine Kinder; sie ist meine Nichte, überdies langweilt sich auch meine Gräfin, so allein zu sein, ihr wird Irina eine angenehme Gesellschafterin werden. – Die Hauptsache aber, – ein hübsches Gesicht im Gastzimmer, – man kann doch nie wissen, wen das herbeilocken kann! – Was nun die Alten betrifft, die haben so nichts zu beißen noch zu brechen, die werden keine langen Umstände machen und scheinen mir auch nicht sehr empfindsam zu sein – die Trennung wird ihnen just nicht schwer fallen – Nun, und sie selbst? Auch sie wird einwilligen. Der Honig ist süß – hat sie doch gestern schon angefangen ihn zu kosten! – Wollen wir annehmen, die Alten werden meinen Wunsch für die Caprice eines großen Herrn halten – mögen die Dummköpfe ihren Nutzen daraus ziehen! Ich werde ihnen sagen: so und so; entschließt Euch kurz, wo nicht, so nehme ich die erste beste Waise in’s Haus – mir noch bequemer. Also ja oder nein, vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit, und damit Punktum!«

Mit diesen Worten brachte der Graf auch sein Anliegen seinem Verwandten vor, den er schon auf dem Balle darauf vorbereitet hatte.

Ueber die Folgen seines Besuches brauchen wir uns nicht lange zu verbreiten.

Der Graf hatte sich in seiner Berechnung nicht getäuscht: der Fürst und die Fürstin widersetzten sich wirklich seinem Vorhaben nicht, und Irina willigte ebenfalls ein, ehe noch die Bedenkzeit abgelaufen war.

Nicht leicht wurde es ihr, die Verbindung mit Litwinow abzubrechen, denn sie liebte ihn wirklich und wäre fast heftig erkrankt, nachdem sie das Billet an ihn abgeschickt hatte.

Bleich und abgehärmt, mit verweintem Gesicht, wandelte sie im Hause umher . . . nichtsdestoweniger aber begleitete die Fürstin sie nach einem Monat schon nach Petersburg, wo sie dieselbe in das Haus des Grafen brachte, sie der Fürsorge der Gräfin, einer sehr stillen, bescheidenen Dame mit Hühnergestalt und Hühnerverstand, anvertrauend.

Litwinow verließ bald nach dieser Begebenheit die Universität und ging zu seinem Vater auf‘s Land. Nach und nach vernarbte auch seine Wunde.

Anfangs hatte er durchaus keine Nachricht von Irina, er vermied sogar jedes Gespräch über Petersburg und dessen Gesellschaft. Dann kamen verschiedene sonderbare Gerüchte über sie in Umlauf, die Welt fing an sich mit ihr zu beschäftigen, ohne gerade schlecht von ihr zu reden. Der Name der jungen Fürstin Ossinin strahlte hoch am Himmel der vornehmen Welt, erregte Neugierde, Bewunderung, Neid. Endlich erfuhr man, sie habe sich verheirathet. Litwinow aber achtete kaum mehr auf diese Neuigkeit, denn er war schon damals Tatianens Bräutigam, zufrieden und glücklich.

Jetzt wird der Leser wahrscheinlich begreifen, was Litwinow damit sagen wollte, als er ausrief: »Ist es möglich, sollte sie es sein?«

Wir aber wollen nach Baden-Baden zurückkehren und den Faden der unterbrochenen Erzählung wieder aufnehmen.

Neuntes Capitel

Litwinow schlief sehr spät ein und wachte schon früh wieder auf; die Sonne ging kaum auf, als er sich bereits erhob. Die aus seinem Fenster sichtbaren Gipfel der Berge erglänzten röthlich am klaren Himmel.

»Wie schön frisch es dort unter den schattigen Bäumen sein muß!« dachte er und kleidete sich rasch an.

Er blickte zerstreut auf das während der Nacht noch üppiger aufgeblühte Bouquet, nahm seinen Stock und machte sich aus den Weg nach dem »alten Schlosse« und dem berühmten »Porphyrfelsen.«

Munter und frisch schritt er vorwärts, Jugend und Gesundheit athmete in jeder seiner Bewegungen, die Erde schien ihm leicht und lachte ihm freundlich entgegen. Mit jedem Schritte wurde ihm fröhlicher zu Muthe, als er längs den frischgrünenden Tannen den Berg hinaufeilte.

Fast drei Stunden wanderte er so in den Bergen umher, bald den Weg verlassend und im Walde umherstreifend, bald von Fels zu Fels springend, oder auf weichem Moose unter einer schattigen Eiche oder Buche, oder am Rande eines murmelnden Baches ruhend, unter dem Friede und Ruhe im Herzen verbreitenden Gesäusel der Blätter, dem fröhlichen Gesange der Vögel; wie herrlich ruhte es sich im golden und grün erglänzenden Wohlgeruch aushauchenden Walde; seine Augen schlossen sich, und er schlummerte lächelnd ein.

Als er erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, er verspürte Hunger und machte sich auf den Weg nach dem alten Schlosse, wo man ein Glas gute frische Milch oder auch Kaffee bekommen kann.

Kaum aber hatte er an einem der weißangestrichenen Tische, die sich auf der Plattform vor dem Schlosse befinden, Platz genommen, als er das schwere Keuchen ermüdeter Pferde vernahm und dann drei Kaleschen bemerkte, die nach einander ankamen und eine zahlreiche Gesellschaft Herren und Damen entluden.

Litwinow erkannte in diesen sogleich Russen, obgleich sie, oder vielmehr gerade weil sie unter einander französisch sprachen. Die Toiletten der Damen waren überaus gewählt und elegant; die Herren in ganz neuen, wenn gleich für unsere Zeit etwas zu fest anliegenden Röcken, grauen, punktirten Beinkleidern und glänzend neuen Hüten. Das kleine schwarze, ebenfalls zu fest gebundene Halstuch, die steife Haltung des Halses ließ diese Herren leicht als zum Militärstande gehörend erkennen.

Wirklich war auch Litwinow zufällig zu einem Picknick junger Generale, Personen aus den höchsten Kreisen und mit berühmten Namen, gekommen. Daß sie aus vornehmstem Stande waren, bekundete ihre zurückhaltende Ungezwungenheit, ihr freundlich wichtiges Lächeln, ihre gezierte Zerstreutheit, ihr affectirtes Achselzucken, das Hin- und Herwiegen im Gange, ja sogar der eigenthümliche Klang der Stimme, die liebenswürdige, süßlich herablassende Arroganz, wenn sie mit Jemandem aus der Menge redeten. Alle diese Cavaliere waren glänzend sauber rasirt, frisirt und mit jenem echt aristokratischen Wohlgeruch, einem Gemisch von Patchouli und feinstem Havannah-Cigarrenduft, wie ihn nur der Gardeofficier gebraucht, parfümirt. Auch ihre Hände waren aristokratisch: weiß, groß, mit starken, langen, elfenbeinartigen Nägeln; sie hatten glänzende, volle Schnurrbärte, weiße Zähne und eine männliche, frische Gesichtsfarbe.

 

Einige dieser jungen Generale waren munter, andere gemessen, in allen aber prägte sich ein feiner Anstand und ein gewisses vornehmes Wesen deutlich aus. Jeder war sich der Rolle tief bewußt, die er noch im Staate zu spielen berufen war, und ließ sich nur im Auslande etwas gehen, ohne jedoch seine Würde zu vergessen.

Litwinow beeilte sich, sein Glas Milch auszutrinken und zu zahlen, stülpte dann rasch seinen Hut auf und war eben im Begriff, beim Generalspicknick vorbeizuschlüpfen, als eine weibliche Stimme ihn stutzen machte.

»Gregor Michailitsch, sind Sie es? – Erkennen Sie mich nicht?« rief diese Stimme.

Unwillkürlich blieb er stehen. Diese Stimme« – zu oft nur hatte sie vormals sein Herz lauter schlagen gemacht. Er blickte auf und bemerkte Irina.

Sie saß am Tische in halb liegender Stellung, die Arme rückwärts über die Stuhllehne kreuzend, den Kopf etwas auf die Seite geneigt, ihn zuvorkommend, fast herzlich anlächelnd.

Litwinow erkannte sie sogleich, obgleich sie sich bedeutend verändert hatte seit ihrem letzten Zusammentreffen in Moskau vor zehn Jahren. Alle ihre Formen hatten an Fülle gewonnen; aus dem aufblühenden Mädchen war eine üppige Frau geworden, mit dem Anstand einer Juno, wie man sie auf den Plafonds altitalienischer Paläste abgebildet sieht. Ihre Augen allein waren dieselben geblieben und schienen ihn jetzt ebenso wieder anzublicken, wie damals im kleinen Moskauer Häuschen.

»Irina Pawlowna . . .« sagte er verlegen und unentschlossen.

»Sie haben mich also erkannt? Wie mir das lieb ist! Wie ich . . .« Sie hielt inne, einen Augenblick leicht erröthend und sich aufrichtend. »Das ist mir sehr angenehm,« fuhr sie dann französisch fort. »Erlauben Sie mir, Sie meinem Manne vorzustellen. Valérien, monsieur Litwinow, un ami d‘enfance – Vaérien Wladimirowitsch Ratmirow, mein Mann.«

Einer der jungen Generale, der aristokratischste Gentleman fast von allen, erhob sich und grüßte Litwinow höchst verbindlich, während die andern sich wie Schildkröten in sich selbst zurückzuziehen schienen, oder eine wichtige Miene annehmen, als ob sie im Voraus gegen jede nähere Bekanntschaft mit einer unbekannten Civilperson protestirten, und die andern am Picknick theilnehmenden Damen nach einem flüchtigen Blick auf Litwinow es für angemessen hielten, den Kopf zu heben, die Augen zusammenzukneifen, leicht zu lächeln, sogar Verwunderung im Blick zu zeigen..

»Sie . . . Sie sind schon längere Zeit in Baden?« fragte General Ratmirow, augenscheinlich in Verlegenheit, was er aus dem »Jugendfreunde« seiner Frau machen solle.

»Erst seit Kurzem,«antwortete Litwinow..

»Und denken hier lange zu verweilen?« fuhr der höfliche General fort.

»Das ist noch nicht bestimmt.

»Nun, das ist ja vortrefflich . . . vortrefflich.«

Der General schwieg, Litwinow ebenfalls. Beide hielten ihre Hüte in der Hand und lächelten einander scharf musternd an.

Nun entspann sich unter dieser »crême de la société« ein Gespräch, welches dem Uneingeweihten oft ganz unverständlich erscheint, da es mit Eigennamen – meist nur Vornamen – und Anekdoten, Bonmots und Brocken aus allen Sprachen durchspickt, Anspielungen auf Vorgänge machte, die in jenen »höheren Regionen« Anlaß zu kleinen, unschuldigen Klatschereien gegeben haben..

Litwinow wurde es bei diesem glänzenden Wirrwarr, der ihm oft wie chinesisch vorkam, da ihm der Schlüssel zu all, den Räthseln fehlte, ganz unheimlich und schwül zu Muthe, zumal man seine Anwesenheit vollkommen zu ignoriren schien, ganz als ob der Stuhl, den er in ihrer Nähe einnahm, leer gewesen wäre. Sein Stolz, sein ehrlicher, plebejischer Stolz empörte sich. Was hatte er auch mit ihnen gemein, er, der Sohn eines geringen Beamten, mit diesen Petersburger Aristokraten. Er liebte Alles, was sie haßten, haßte Alles, was sie liebten, Ihre Späße fand er abgeschmackt, ihren Ton unerträglich, jede Bewegung arrogant; in ihren herablassendsten Reden selbst erklang empörende Geringschätzung, – und doch war es eine eigenthümliche Verlegenheit, die sich seiner in Gegenwart dieser Menschen, seiner angeborenen Feinde, bemächtigte.

»Pfui« welch! jämmerliche Rolle ich hier spiele, ich bin ihnen im Wege und erscheine ihnen lächerlich,« ging ihm im Kopfe herum. »Warum aber bleib’ ich auch? Was hält mich denn? – Auf, fort von hier, je rascher, desto besser!«

Selbst Irinens Gegenwart vermochte nicht ihn länger zu halten, sie weckte in ihm keine angenehmen Erwartungen..

Er erhob sich mit raschem Entschlusse und nahm Abschied.

»Sie wollen uns schon verlassen?« fragte Irina; bestand aber nach kurzem Nachdenken nicht weiter auf seinem Bleiben und nahm nur von ihm das Versprechen, sie jedenfalls zu besuchen.

General Ratmirow grüßte ihn beim Abschied mit derselben ausgesuchten Höflichkeit, drückte ihm die Hand und begleitete ihn bis zum Ende der Plattform.

Kaum war Litwinow hinter der ersten Waldecke verschwunden, als ein allgemeines Gelächter hinter ihm erschallte. Dies Lachen galt jedoch nicht ihm, dazu war die Gesellschaft zu höflich erzogen, sondern dem längst erwarteten französischen Exliteraten und Hofnarren »de ces princes russes,« dem Monsieur Verdier, welcher plötzlich in einem Tyroler Hute, einer blauen Blouse, auf einem Esel reitend, auf der Plattform erschien.

Das Blut stieg Litwinow in’s Gesicht, er kniff bitter die Lippen zusammen.

»Verächtliches« jämmerliches Volk!« stieß er hervor. »Und in dieser Welt lebt Irina, für sie hat sie ihre Würde, ihre reinsten Empfindungen und Gefühle geopfert; klar ist es, sie hat kein besseres Schicksal verdient!«

Tief die frische, milde Luft einathmend, eilte er rasch den Berg hinab. Er gedachte seiner Braut, seiner frommen, lieben, guten Tatiana. Wie rein und edel erschien sie ihm jetzt! Mit welch aufrichtiger Sehnsucht rief er sich ihre Züge, ihre Worte, ihre Gewohnheiten in’s Gedächtniß zurück, mit welcher Ungeduld erwartete er ihre Ankunft!

Der rasche Spaziergang hatte seine aufgeregten Nerven beruhigt.

Als er nach Hause zurückgekommen war« setzte er sich an den Tisch und nahm ein Buch, doch war es ihm nicht möglich zu lesen. Wunderbar, kaum glaublich erschien ihm dies Zusammentreffen mit Irina. – War es denn möglich, daß er mit jener Irina zusammen gewesen, gesprochen habe? – Und warum lag auf ihr nicht jener widerliche Stempel der feinen Welt, der in den Andern so fest ausgeprägt war? Warum schien ihm doch, als ob ihre Lage sie langweile, oder sie betrübe?

»Sie ist im fremden Lager, aber kein Feind,« dachte er. Was konnte sie wohl bewegen, ihn so herzlich zu begrüßen, ihn zu sich zu bitten?

Litwinow erbebte.

»O Tatiana,« rief er, von seinen Gefühlen hingerissen. »Tatiana,« Du allein bist mein Engel, mein – guter Genius, Dich allein liebe ich, jetzt und ewig! Zu Jener aber kehre ich nicht zurück. Sie gehe mit Gott – und kokettire mit ihren Generalen!«

Litwinow nahm wieder sein Buch zur Hand.

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