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Dunst

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Zweiundzwanzigstes Capitel

Litwinow wanderte in seinem Zimmer auf und ab. Ihm lag jetzt ob, von der Theorie in die Praxis überzugehen, Mittel und Wege zur Flucht, zur Uebersiedlung in irgend ein anderes, noch unbekanntes Land zu finden. Sonderbar, dieses beschäftigte ihn bei Weitem weniger als ein gewisser Zweifel an der Festigkeit von Irinens Entschlusse. Und doch hatte sie ihm beim Abschiede gesagt: »Richte Alles ein, wie Du willst, und wenn Du bereit bist, laß es mich wissen.« Abgemacht! Weg mit allen Zweifeln! An‘s Werk!

Vorderhand war sein erstes Werk – verschiedene Pläne. Vor Allem war Geld nöthig. Seine ganze Reisekasse bestand in 1328 Gulden, in französischem Gelde 2855 Francs; eine ziemlich geringe Summe, für die ersten Bedürfnisse aber hinreichend. Dann müßte dem Vater geschrieben werden, daß er einen Theil der Wälder oder ein Stück Land verkaufe . . . Aber unter welchem Vorwande? Nun, der ließe sich finden. Irina sagte, sie habe ihre Brillanten und Bijoux; auf die durfte man aber keine Rechnung machen, höchstens einmal im Fall der größten Noth. Er hatte noch überdies einen ausgezeichneten Genfer Chronometer, für den man etwa 400 Francs bekommen könnte.

Litwinow begab sich nun zu einem der Geldwechsler, die sich in Baden Banquiers nennen lassen, und fing an ihn zu fragen, wie man es wohl anfangen müßte, um eine gewisse Summe Geldes dort aufzunehmen.

Die Badener Geldwechsler sind aber gewitzte Leute und sehr vorsichtig. Auf eine solche Frage erhielt er denn auch so unbestimmte ausweichende Antworten, daß man aus ihnen machen konnte, was man wollte, nur kein Geld. Ein anderer lachte ihm munter und lustig geradezu in’s Gesicht, als ob er ihn für einen Spaßmacher halte, der sich einen unschuldigen Scherz erlaube. Litwinow – zu seiner Schande sei’s gesagt – versuchte sogar sein Glück im Roulettespiel. Er setzte einen Thaler auf Nummer 30, sein Alter. Er that dies in der Absicht, sein Capital zu vergrößern und eine runde Summe zu haben. Gelang ihm nun auch das erstere nicht, so hatte er doch mit dem letzteren den besten Erfolg, indem er richtig 28 Gulden anbrachte.

Eine andere« nicht weniger wichtige Frage war der Paß. Für Frauen freilich war das kein so wichtiger Gegenstand; überdies giebt es ja Länder, wo man eines solchen nicht bedarf: Belgien zum Beispiel oder England. Dann ließ sich ja auch ein nichtrussischer Paß wohl auswirken.

Bei allen diesen Plänen, mit denen er sich ganz ernsthaft beschäftigte, kamen ihm ganz gegen seinen Wunsch und Willen verschiedene abenteuerliche und drollige Sachen in den Sinn. So fiel ihm unter Anderem ein, wie einer seiner Freunde, ein verabschiedeter Cornet, vor Jahren einmal auf einem Dreigespann und mit Schellengeläute die Tochter eines Kaufmanns, der allgemein für reich galt, entführt hatte, und der, wie sich in der Folge herausstellte, allein der Betrogene gewesen war, ja noch überdies fast Prügel bei der Entführung bekommen hatte. Nicht wenig ärgerte sich Litwinow über seine unpassenden Erinnerungen, gedachte dann Tatianens und ihrer plötzlichen Abreise, und fühlte, daß ihm zu seiner Ehrenrettung kein anderer Ausweg übrig blieb als der, den er Irina vorgeschlagen hatte.

Hinter ihm erschallte plötzlich Pferdegetrappel. Er trat auf die Seite, Irina, zu Pferde, holte ihn Ein; neben ihr ritt der »wohlbeleibte« General. Sie erkannte Litwinow, nickte ihm mit dem Kopfe zu, gab dem Pferde einen Schlag mit der Gerte, daß es Galopp ansetzte, und trieb es dann in plaine carrière den Weg hinab. Ihr dunkler Schleier wehte im Winde hinter ihr her.

»Pas si vite! Nom de Dieu, pas si vite!« stöhnte der Wohlbeleibte, schwerfällig hinterdreinsprengend.

Dreiundzwanzigstes Capitel

Am andern Morgen war Litwinow kaum vom Geldwechsler nach Hause gekommen, mit dem er noch einmal über die Unbeständigkeit des Courses der russischen Papiere und das beste Mittel, im Auslande Gelder von Rußland kommen zu lassen, geredet hatte, als ihm: der Portier einen Brief übergab. Er erkannte sogleich Irinens Hand; doch brach er das Siegel nicht los – ein böses Vorgefühl wurde, Gott weiß warum, in ihm wach – sondern ging auf sein Zimmer. Dort las er (der Brief war in französischer Sprache geschrieben) Folgendes:

»Mein theurer Freund!

Die ganze Nacht ist mir Dein Vorschlag nicht aus dem Sinne gekommen. Du bist offen gegen mich gewesen, ich werde es Dir gegenüber sein: ich kann nicht mit Dir fliehen – ich fühle nicht die Kraft in mir es auszuführen. Wie sehr ich mich gegen Dich vergehe, empfinde ich tief, – meine zweite Schuld ist noch größer als meine erste; ich verachte mich und meinen Kleinmuth. Ueberhäufe mich mit Vorwürfen, aber – ich kann mich nicht anders machen, als ich bin! Umsonst sage ich mir, daß ich Dein ganzes Lebensglück untergrabe, daß Du Recht hast, mich für eine leichtfertige Kokette zu halten, und doch kann und kann ich nicht anders! Ich werde nicht suchen, mich zu rechtfertigen, nicht sagen, daß Leidenschaft mich hingerissen hat, . . . eins nur wiederhole ich Dir: ich bin und bleibe die Deinige auf ewig!! Verfüge über mich, wie Du willst, nur verlange nicht, daß ich mit Dir fliehe, Alles wegwerfe . . . nein! Nein! Nein! Ich flehe Dich an, mich zu retten, ich hoffte selbst, alles Frühere auszulöschen, durch Dich wie im Feuer geläutert zu werden . . . doch scheint’s, daß es für mich keine Rettung mehr giebt; das Gift ist schon zu tief in meine Adern eingedrungen, ungestraft athmet man es so viele Jahre lang in jenen Sphären nicht ein! Lange habe ich geschwankt, ob ich Dir auch dieses schreiben sollte; schrecklich ist mir der Gedanke an den Entschluß, den Du vielleicht fassen wirst: doch vertraue ich noch auf Deine Liebe zu mir, sie allein läßt mich noch hoffen! – Für unredlich hätte ich es gehalten, wenn ich Dir nicht die Wahrheit gestanden hätte, um so mehr, da Du vielleicht jetzt schon Maßregeln zur Flucht triffst. Ach, mein Freund, halte mich für ein schwaches, energieloses Weib, aber verlaß mich nicht, verstoße Deine Irina nicht! . . . Diese Welt zu verlassen bin ich nicht im Stande, aber ohne Dich in derselben zu leben ist mir zur Unmöglichkeit geworden! Wir kehren in nicht gar langer Zeit nach Petersburg zurück; komm auch Du dorthin, laß Dich dort nieder, wir werden für Dich eine Deinen Fähigkeiten angemessene Thätigkeit finden, Deine früheren Arbeiten sollen nicht verloren gehen; . . . nur lebe in meiner Nähe, liebe mich wie ich bin, mit allen meinen Schwachheiten, mit allen meinen Fehlern, und wisse, daß kein Herz auf der ganzen Welt Dich je so zärtlich lieben wird, als das Herz Deiner bedauernswürdigen Irina. Komm sobald Du kannst, komm auf der Stelle zu mir, keinen Augenblick Ruhe werde ich haben, bis ich Dich gesehen.

Deine, Deine, Deine Irina.«

Beim Lesen dieser Zeilen stieg Litwinow das Blut heftig zu Kopfe. Wie damals in Moskau fühlte er sich bis zum Tode getroffen; kraftlos sank er aus den Divan zurück und blieb lange starr und unbeweglich liegen. Ein dunkler Abgrund öffnete sich rings um ihn her. – Also wieder, wieder Betrug, nein, schlimmer als Betrug – Lüge und Gemeinheit! Das Leben zerstört, wie ein Baum mit der Wurzel ausgerissen, ohne Halt, ohne Stütze! – »Komm nach Petersburg,« wiederholte er, bitter und höhnisch lächelnd, »wir werden für Dich eine Beschäftigung finden! – Das ist also das gelöste Räthsel ihres früheren Lebens, aus welchem sie geläutert hervorzugehen hoffte! Das jene Welt der Intriguen, jener Sündenpfuhl geheimer Geschichten, wie die der Belsky! Eine schöne Zukunft, eine prächtige Rolle, die sie mir zugedacht! Der Hausfreund einer leichtsinnigen vornehmen Dame und natürlich auch der Seiner Excellenz . . . bis . . . bis die Laune vergeht und irgend ein Anderer . . . vielleicht sogar der wohlbeleibte General, der Stellvertreter wird! Pfui! . . . Nein, das darf nicht geduldet werden, so spielt man nicht mit dem Leben eines Menschen!«

Was aber wollte, was konnte er thun? Jenen Brief beantworten? Er hielt inne und ließ die Hand herabsinken. Hatte er sie doch selbst zur Aufrichtigkeit aufgefordert, ihr die Wahl freigestellt; sie war nicht nach seinem Wunsche ausgefallen . . . jede Wahl ist dem ausgesetzt. Was war also darauf zu erwidern? Wenigstens heuchelte sie nicht; schonungslos zwar, doch aufrichtig war ihre Antwort. Sie blieb die Seine . . . bis zu ihrer Abreise mit ihrem Manne nach Italien!! Tatiana gegenüber war nicht sie, sondern er selbst schuld . . . Alles das war richtig, was aber blieb ihm jetzt zu thun übrig?!

Wieder warf er sich auf den Divan und versank in Nachdenken . . . doch nicht lange. Er raffte sich auf und stieß mit Entrüstung die Gedanken an die verführerischen Vorschläge der Sirene von sich:

»Du reichst mir den Trank in einer goldenen Schale,« rief er aus, »aber er enthält Gift! . . .Fort von hier, fort! Zu bleiben, nachdem ich meine Braut von hier vertrieben, wäre nicht ehrenhaft, darum fort!«

Aufs Neue zog er seinen Koffer aus der Ecke, auf‘s Neue packte er mit einer gewissen stumpfsinnigen Eilfertigkeit seine Sachen ein, klingelte dem Kellner, bezahlte und fertigte an Irina ein Billet in russischer Sprache ab.

Er schrieb ihr Folgendes:

»Ob Ihre Schuld mir gegenüber jetzt oder damals größer, weiß ich nicht; was ich aber weiß, ist, daß der heutige Schlag schwerer traf . . . er hat mich vernichtet! Sie sagen: Sie können nicht; auch ich wiederhole Ihnen: ich kann nicht – das, was Sie wollen. Nein, ich kann und mag nicht! Antworten Sie mir nicht weiter, da Sie nicht im Stande sind, mir die einzige Antwort zu geben, die ich hätte annehmen können. Morgen früh mit dem ersten Zuge reise ich. Leben Sie wohl und glücklich . . . Wir werden uns wohl nie mehr sehen!«

Litwinow blieb bis zum späten Abend in seinem Zimmer. Wartete er auf irgend etwas? Gott weiß es! Gegen sieben Uhr des Abends näherte sich eine verschleierte Dame in einer schwarzen Mantille zweimal dem Eingange in seinen Gasthof; zweimal ging sie vorbei, ihr Gang wurde langsamer; da wendete sie sich mit einem Male rasch und entschlossen um und nahm ihre Richtung zum dritten Male nach dem Gasthofe hin.

 

»Wohin, wohin so schnell Irina Pawlowna?« hörte sie eine Stimme hinter sich rufen.

Sie wendete sich, erschrocken zusammenfahrend, um . . . Potugin stand vor ihr.

Sie blieb stehen, dachte einen Augenblick nach, ergriff dann seine Hand und führte ihn auf die Seite.

»Führen Sie mich fort, führen Sie mich fort!« rief sie ihm hastig zu.

»Was fehlt Ihnen, Irina Pawlowna?« flüsterte er erschrocken.

»Führen Sie mich fort, sage ich Ihnen,« wiederholte sie, »wenn Sie nicht wollen, daß ich . . . ganz dort bleiben soll!«

Potugin verbeugte sich gehorsam, und Beide eilten Mich hinweg. Früh am folgenden Morgen – Litwinow war schon ganz zur Abreise fertig – trat Potugin in sein Zimmer.

Schweigend näherte er sich ihm, und schweigend drückte er ihm die Hand. Litwinow sagte ebenfalls kein Wort. Beide waren tief verstimmt, während sie zu lächeln versuchten.

»Ich bin gekommen, Ihnen eine glückliche Reise zu wünschen,« fing endlich Potugin an.

»Woher aber wissen Sie denn, daß ich heute abreise?« fragte Litwinow.

Verlegen blickte Potugin auf den Boden.

»Ich habe es erfahren . . . wie Sie sehen. Unser letztes Gespräch nahm eine sonderbare Richtung . . . Ich wollte Sie nicht abreisen lassen, ohne Sie vorher meiner aufrichtigsten Theilnahme zu versichern.«

»Theilnahme? . . . wohl weil ich abreise?«

Potugin blickte Litwinow kummervoll an.

»Ach, Gregor Michailitsch, wozu jetzt noch unpassende Anspielungen und unfreundliche Worte. Ich meine es aufrichtig und bin nur gekommen, Sie noch einmal zu umarmen!«

Litwinow fühlte sich gerührt, umarmte ihn nach vaterländischer Sitte dreimal, reichte dem einsamen Sonderling die Hand und eilte zum Zimmer hinaus.

»Soll ich Ihren Reisesack tragen helfen?« rief Potugin, ihm seine Dienste anbietend.

»Ich danke, ich kann schon allein.«

Er setzte seine Mütze auf, nahm den Reisesack in die Hand, wendete sich aber, schon auf der Schwelle stehend, noch einmal um und fragte:

»Sie haben sie gesehen?«

»Ja, diesen Morgen.«

»Nun . . . und was sagte sie?«

Potugin schwieg eine Zeit lang, dann antwortete er mit niedergeschlagenen Augen: .

»Sie hat Sie gestern erwartet, – wird Sie auch heute noch erwarten.«

»Ah so! Nun so sagen Sie ihr . . . doch nein, sagen Sie ihr nichts. Leben Sie wohl!«

Litwinow lief rasch die Treppe hinab, warf sich in den Wagen und kam, ohne sich nur ein einziges Mal umzusehen, bei der Eisenbahn an. Schon stand er vor einem Waggon.

»Gregor Michailitsch! . . . Gregor! . . .« hörte er hinter sich eine flehende Stimme. Er erbebte.

»Ist es möglich, sollte das Irina sein? Sie selbst!«

In den Shaw! ihrer Zofe eingehüllt, einen Reisehut auf dem Kopfe, das Haar in Unordnung, stand sie auf dein Perron und blickte ihn mit trübem bekümmertem Blicke an.

»Kehre um, kehre um, ich bin gekommen, Dich zurückzuholen,« sagte dieser Blick. Und was, was Alles verhieß er nicht! – So stand sie da, nicht im Stande, einen Schritt vorwärts zu machen, noch ein Wort weiter zu sagen; Alles an ihr« sogar die Unordnung in ihrer Kleidung, Alles flehte um Schonung.

Kaum war Litwinow im Stande sich zurückzuhalten, ihr nicht entgegenzustürzen. Mit übermenschlicher Anstrengung warf er sich in den Waggon, wendete sich zu ihr und zeigte auf den Platz neben sich.

Sie verstand ihn.

Noch war es Zeit . . . Nur einen Schritt, eine Bewegung, und zwei auf immer vereinte Leben wären ihrem unbestimmten Schicksal zusammen entgegengeeilt . . . Aber während sie noch zögerte, erscholl ein gellender Pfiff, und der Zug setzte sich rasch in Bewegung.

Litwinow warf sich zurück, Irina schwankte zu einer nahe stehenden Bank und fiel auf dieselbe nieder, zur großen Verwunderung eines angehenden jungen Diplomaten, der zufällig dahingeschlendert war und nun den Zug abgehen sah. Er war zwar wenig mit Irina bekannt, sie interessirte ihn aber sehr, und als er bemerkte, daß sie wie ohnmächtig dalag, glaubte er, ihr sei eine »attaque de nerfs« zugestoßen, weshalb er es auch für die Pflicht eines galant chevalier hielt, ihr zu Hilfe zu eilen. Wie groß aber war sein Erstaunen, als sie bei dem ersten Worte, welches er an sie richtete, aufsprang, die ihr dargereichte Hand heftig zurückstieß und die Straße hinabeilend, einen Augenblick später im dichten Milchnebel, der dem Schwarzwälder Klima während der ersten Herbsttage eigenthümlich ist, verschwand.

Vierundzwanzigstes Capitel

Es ist uns einmal zu Hause auf dem Lande begegnet, in eine Bauernhütte einzutreten, deren Eigenthümer kurz vorher den einzigen heißgeliebten Sohn verloren hatte, und wo wir die Bäuerin vollkommen ruhig, fast heiter trafen. »Wundern Sie sich nicht,« sagte der Bauer, dem unsere Verwunderung nicht entgehen mochte, »sie ist jetzt noch erstarrt

Erstarrt, in diesem Sinne, war jetzt auch Litwinow, als er der Heimath zueilte. Zuweilen schien es ihm, als ob er seinen eigenen Leichnam nach Hause bringe, zuweilen nur erinnerte ihn ein heftiges inneres, unheilbares Weh, daß er die Last des Lebens noch trage.

Er blickte zum Fenster hinaus. Der Tag war trüb und feucht, und niedrig ziehende Wolken bedeckten den Himmel. Der Wind wehte dem Zuge entgegen; weißliche Dampfwolken, bald einzeln, bald mit düsteren, dunkleren untermischt, zogen in endlosen Ringen an seinem Fenster vorbei. Seine Gedanken folgten diesem Dampf, diesem Dunst. In beständigem Wirbel, bald sich hebend, bald senkend, sich verdichtend oder auflösend, Gras, Busch, Wald berührend und verhüllend, wiederholte sich dieses Spiel einförmig und endlos. Er saß allein in seiner Abtheilung. Niemand störte ihn. – »Dunst, Dunst.« wiederholte er einige Male, und Alles rings um ihn her erschien ihm plötzlich nur als Dunst; – sein eigenes Leben, das Leben in Rußland, alles Menschliche, vor Allem aber alles Russische! »Alles Dunst und Dampf!« dachte er. Er erinnerte sich an so Manches, was sich in den letzten Jahren vor seinen Augen mit Lärm und Geschrei angekündigt hatte und Seifenblasen gleich zerplatzt war . . . »Dunst,« flüsterte er, »nichts als Dunst und Dampf,« Er gedachte der Gesellschaft bei Gubarow, wie des General-Picknicks . . . »Dunst, wieder Dunst! sogar Potugins Moralpredigten – Dunst, Dunst!«

Unterdessen hatte der Zug Rastadt, Karlsruhe und Bruchsal passirt, die Berge zur rechten Hand des Weges waren niedriger geworden, in weiter Ferne fast verschwunden, hatten sich dann wieder genähert, doch weniger hoch und waldreich. Der Zug wendete sich rasch seitwärts – sie kamen in Heidelberg an. Die Waggons liefen in die bedeckte Station ein. Ausrufer die verschiedene, sogar russische Journale verkauftem Reisende, die hin und her eilten, waren auf der Plattform zu sehen. Litwinow allein rührte sich nicht von seinem Platze in der Ecke und saß, den Kopf gebückt, in Nachdenken versunken.

Gegen Abend spät fuhr er bei Kassel vorbei. Mit der Dunkelheit löste sich auch seine Erstarrung; in die Ecke des Wagens gedrängt, saß er und weinte bitterlich. Zur selben Zeit lag Tatiana in einem Gasthofe dieser Stadt in heftiger Fieberhitze im Bette, neben ihr saß die alte Tante.

»Tatiana,« sagte sie, »erlaube mir, um’s Himmels willen, ein Telegramm an Gregor Michailitsch abzusenden.«

»Nein, liebe Tante,« antwortete Tatiana, »beunruhige Dich nicht; es wird vergehen, wie es gekommen ist. Reich’ mir nur ein Glas Wasser.«

Sie hatte Recht, nach einer Woche war ihr besser ihr fester Wille hatte die Krankheit überwinden helfen Sie konnten weiter reisen.

Fünfundzwanzigstes Capitel

Ohne sich in Petersburg oder Moskau aufzuhalten, kehrte Litwinow auf sein Gut zurück. Er erschrak heftig, als er seinen Vater wiedersah, so hatte sich dieser verändert. Der Alte freute sich wie ein Kind über die Rückkehr seines Sohnes, übergab ihm sogleich die in der größten Unordnung sich befindenden Geschäfte, ächzte und stöhnte noch ein paar Wochen herum, und endigte ruhig und still seine irdische Laufbahn.

Litwinow befand sich nun allein in seinem verfallenen Hause, und fing, um sich von seinem Kummer zu zerstreuen, bald ernsthaft an, seine zerrütteten Verhältnisse in Ordnung zu bringen. Die großen Reformpläne von denen er ehemals geträumt hatte, wurden als unanwendbar bei Seite geworfen. Geduld und Fleiß waren vor Allem nöthig.

So verging ein Jahr, dann ein zweites, das dritte begann. Das große Werk der Emancipation fing an, die ersten Früchte zu zeigen, in Fleisch und Blut überzugehen; weder heimische, noch offene Feinde konnten das ausgestreute Samenkorn mehr zertreten, zu tief hatte es bereits Wurzel geschlagen. Auch Litwinow hatte einen großen Strich Landes seinen nun freien Bauern überlassen, verwendete aber jetzt seine Aufmerksamkeit besonders auf die unter seiner Leitung aufs Neue producirende Fabrik und auf eine kleine Meierei, die er mit fünf Arbeitern in guter Ordnung hielt. Der größte Theil der alten Schulden ward gedeckt und seine Wirthschaft fing an, gedeihlichen Aufschwung zu nehmen. Die letzten Spuren jenes Zaubers, den Irina’s Name sonst auf ihn hervorgebracht hatte, verschwanden nach und nach, und war er gleich für sein Alter ungemein ernsthaft, lebte er gleich fast einsiedlerisch zurückgezogen, so war er doch wieder ruhig und gesund.

So saß er einst an einem schönen Maitage in seinem Zimmer und las ziemlich theilnahmlos die letzte Nummer der Petersburger Zeitung, als ihm sein Diener die Ankunft seines alten Oheims meldete.

Dieser, ein Vetter der alten Schestow, kam von dem Gute derselben, er hatte sich in Litwinows Nähe ein Gut gekauft und reiste dahin.

Einen ganzen Tag blieb der Herr bei ihm und erzählte ihm Vieles von Tatianens Leben und Treiben.

Am Tage nach dessen Abreise schickte Litwinow ihr einen Brief, den ersten nach ihrer Trennung. Er bat um die Erlaubniß, die alte Bekanntschaft, wenn auch nur brieflich, erneuern zu dürfen, und fragte, ob er auf immer dem Gedanken entsagen müsse, sie je im Leben wiederzusehen? Nicht ohne Gemüthsbewegung erwartete er die Antwort; sie kam endlich.

Tatiana kam seinem Wunsche freundlich entgegen und schrieb am Schlusse ihres Briefes:

»Wenn Sie uns zu besuchen wünschen, so sollen Sie willkommen sein; sagt man doch, daß selbst Kranken wohler zusammen ist, als wenn sie getrennt sind.«

Wie ein Kind freute sich Litwinow über diese Worte, lange war ihm nicht so wohl gewesen! Zwei Wochen später war er schon auf dein Wege zu Tatiana.

Sechsundzwanzigstes Capitel.

Ohne besondere Ereignisse fuhr er ziemlich langsam auf Landwegen durch Feld und Wald seinem Ziele entgegen; einmal nur platzte ihm die Schiene des einen Hinterrades; der Dorfschmied schmiedete und schmiedete sie zusammen, ohne jedoch damit ordentlich zu Stande zu kommen, und schimpfte bald auf sich, bald aus die Schiene. Zum Glück erwies es sich, daß man auch mit der geplatzten Schiene noch ganz gut auf den weichen Wegen fahren konnte.

Gegen Abend desselben Tages näherte sich Litwinow endlich Tatianens Gute.

Das Haus, in welchem seine gewesene Braut wohnte, stand auf einem von einem Garten umgebenen Hügel, unter welchem ein kleiner Fluß sich hinschlängelte. Das Häuschen war neu aufgebaut und weit ringsum zu sehen. Litwinow bemerkte es bereits in einer Entfernung von fast zwei Weist mit seinem kleinen Maisonnette, dessen Fenster hell von der untergehenden Sonne beleuchtet waren.

»Wie werden sie mich aufnehmen,« dachte er, »wir werde ich ihnen entgegentreten?«

Um sich zu zerstreuen, fing er mit seinem Fuhrman, einem alten Bauer mit grauem Barte, ein Gespräch an. Er fragte ihn, ob er die Gutsbesitzerin Schestow kenne?

»Die Schestows? Wie sollte ich die nicht kennen? Das sind brave Damen, gegen die ist nichts zu sagen. Wenn unsereins einmal krank wird, so wendet er sich immer gerade an sie, die wissen immer Hilfe: hier ein Pflaster, dort eine Salbe oder ein Pulver, und gar nicht stolz sind sie. Brave Damen! Dabei wollen sie von Dank nichts wissen. Eine Schule haben sie da auch eingerichtet. Nun, das ist aber dummes Zeug, was braucht unsereins zu lernen?«

Während der Fuhrmann erzählte, verwandte Litwinow kein Auge von dem Häuschen. Eine weibliche Gestalt in Weiß trat auf den Balcon, stand längere Zeit draußen und verschwand wieder im Zimmer.

»Sollte sie es sein?«

Sein Herz schlug lauter bei dem Gedanken an Tatiana.

 

»Rasch, rasch,« rief er seinem Fuhrmann zu.

Dieser trieb seine Pferde an. Noch einige Augenblicke, und die Kalesche fuhr in das offene Thor des Hofes ein.

Auf der Vortreppe stand die Tante und rief, in die Hände klatschend, aus:

»Ich habe ihn zuerst erkannt!«

Litwinow sprang rasch zum Wagen hinaus, ohne dem Diener Zeit zu lassen, die Thür zu öffnen, umarmte hastig die alte gute Dame und trat aus dem Vorzimmer in den Saal. Vor ihm, erröthend, stand Tatiana.

Treuherzig blickte sie ihn mit ihren klaren, lieben Augen an (ihr Gesicht war etwas weniger voll als in Baden, was ihr aber gut stand) und reichte ihm die Hand. Er aber ergriff diese nicht, sondern stürzte vor ihr auf die Kniee.

Augenscheinlich hatte sie dergleichen nicht erwartet und wußte weder, was sie thun, noch was sie sagen sollte. Große glänzende Thränen traten in ihre Augen. Erschrocken zwar, aber mit freudeglänzendem Gesicht flüsterte sie:

»Gregor Michailitsch, was soll das, was soll das?«

Er aber fuhr fort, den Saum ihres Kleides zu küssen . . . Mit tiefer Rührung erinnerte er sich, wie er in Baden auch zu ihren Füßen gelegen hatte.

Aber damals und jetzt – welch eins Unterschied!

»Tatiana,« rief er flehend, – »Tatiana, hast Du mir auch vergeben?«

»Tantchen, Tantchen, was soll das bedeuten?« wandte sich Tatiana zu der eintretenden alten Dame.

»Laß ihn, laß ihn, Tatiana,« antwortete diese. »Siehst Du nicht, wie er sein schuldbewußtes Haupt zu Deinen Füßen legt?«

Jetzt, meine ich, wäre es auch Zeit, zu endigen; es bleibt ja nichts weiter hinzuzufügen, der Leser erräth das Andere selbst . . . Wie steht es aber um Irina?

Immer noch ist sie verführerisch schön, ungeachtet ihrer dreißig Jahre; junge Leute ohne Zahl verlieben sich in sie, und viele andere noch würden sich in sie verlieben, wenn . . . wenn . . .

Geneigter Leser, willst Du nicht so gefällig sein und mir noch einige Augenblicke nach Petersburg in einen der prachtvollsten Paläste der nordischen Palmyra folgen? Sieh, vor Dir ist ein großer gewölbter Saal, ich will nicht sagen, reich decorirt, das kann auch jeder andere Saal jedes anderen Hauses sein, der Ausdruck wäre nicht passend, nein – vornehm, repräsentirend, Würde ausathmend. Fühlst Du nicht beim Eintreten eine gewisse ängstliche Befangenheit, wie sie Einen im Beisein sehr hoher Personen zu beschleichen pflegt? Wisse, Du hast einen Tempel betreten, einen dem höchsten Anstande geweihten, Liebe und Frömmigkeit ausathmenden, mit einem Worte, einen nicht dem Irdischen geweihten Tempel. Welch ein geheimnißvoller Friede, welch eine geheimnißvolle Stille umgiebt Dich. Schwere Sammetportieren an den Thüren, Sammetvorhänge an den Fenstern, ein schwerer, dicker, weicher Teppich am Fußboden, Alles ist gewissermaßen vorherbestimmt und angepaßt, jeden rauhen Schall, jedes laute Geräusch zu mildern und zu mäßigen. Die sorgfältig verhängten Lampen selbst flößen ehrbare, wohlanständige Empfindungen ein; ein sanftes, mildes Aroma ist ringsumher im ganzen Gemache verbreitet, die silberne Theemaschine sogar dampft und summt nur leise flüsternd. Die Dame des Hauses, ein wichtiges Sternbild am Petersburger Firmament, redet nur leise, kaum hörbar, stets, als ob ein schwer Kranker oder Sterbender im Zimmer wäre; die andern Damen flüstern ihr zu Gefallen gleichfalls kaum vernehmlich. Die Schwester der hochgnädigen Frau, welche Thee macht, scheint ganz die Sprache verloren zu haben, sie bewegt nur lautlos die Lippen, so daß ein vor ihr sitzender junger Mann, der zufällig in diesen Tempel des höchsten Anstandes eingeführt worden, in großer Verlegenheit ist, nicht wissend, was sie eigentlich von ihm will, während sie zum dritten Mal schon ihm zephyrisch zusäuselt: »Prenez-vous une tasse de thé?«

In verschiedenen Gruppen sitzend sieht man junge, wohlanständige Männer, eine ruhige Würde in ihren Blicken, einen leidenschaftslos kalten, wenn gleich fein einschmeichelnden Ausdruck in ihren Gesichtern; Decorationen ohne Zahl bedecken ihre Brust. Die Unterhaltung wird auch nur leise geführt, sie dreht sich um religiöse oder patriotische Themata. Leise auf dem weichen Teppich dahinschreitend, gehen reich galonirte Livreebediente in seidenen Strümpfen ab und zu in diesem Tempel der Wohlgesinntheit, Andacht und Frömmigkeit.

»Haben Sie heute Madame Ratmirow gesehen?« fragte mit bescheidener Stimme eine Dame.

»Ich habe sie heute bei Lise getroffen,« antwortete die Aeolsharfenstimme der Dame vom Hause; »die Gute thut mir leid . . . sie ist die wandelnde Verkörperung eines verbitterten Gemüths . . . elle n‘a pas la foi.«

»Ja, ja,« wiederholt die Dame, »so hat ja wohl X. von ihr gesagt und sehr bezeichnend gesagt: sie hat ein verbittertes Gemüth!«

»Elle n‘s pas la foi,« haucht man ringsumher nach. Wie Weihrauch im Rauchfaß des Priesters bei der Messe verbreitet es sich im ganzen Saale:

»Sie ist die wandelnde Verkörperung eines verbitterten Gemüths – c‘est une âme égarée, qui n‘a pas la foi!«

Und das ist die Ursache, warum nicht alle jungen Leute ohne Ausnahme sich in sie verlieben. Sie fürchten sie, sie fürchten ihr »verbittertes Gemüth« das ist das Urtheil, welches man über sie fällt, und diese Phrase ist eine allgemein wiederholte geworden. Wie in jedem Urtheil der Art ist auch in diesem manches Wahre. Und nicht allein die jungen Leute fürchten sie, auch die älteren und hochgestelltem sogar mancher Würdenträger, manche personnage. – Niemand versteht es so richtig und fein, die lächerliche oder jämmerliche Seite eines Charakters herauszufinden. Niemand diese so schonungslos zu geißeln als sie, oft vielleicht nur durch irgend ein leichtes Witzwort. Und um so schmerzhafter ist ein solches Wort, da es einem schönen Munde entfließt . . . Was im tiefsten Innersten dieser Seele vorgeht, ist schwer zu errathen; unter der Schaar ihrer Anbeter aber ist nicht ein einziger, den man den Auserwählten zu nennen wagte.

Irinens Mann schreitet rasch vorwärts auf dem Wege, welchen die Franzosen »den Weg des Ruhmes und der Ehrenstellen« nennen.

In derselben Stadt aber, wo Irina wohnt, lebt auch unser Freund Potugin. Selten nur sieht er sie jedoch, hat sie ja auch kein besonderes Bedürfniß mehr, die Verbindung mit ihm zu unterhalten . . . Jenes Mädchen, welches man seiner Fürsorge anvertraut hatte ist unlängst gestorben.

Ende
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