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Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 3

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Wilhelm Meisters Wanderjahre — Band 3
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Erstes Kapitel

Nach allem diesem, und was daraus erfolgen mochte, war nun Wilhelms erstes Anliegen, sich den Verbündeten wieder zu nähern und mit irgendeiner Abteilung derselben irgendwo zusammenzutreffen. Er zog daher sein Täfelchen zu Rat und begab sich auf den Weg, der ihn vor andern ans Ziel zu führen versprach. Weil er aber, den günstigsten Punkt zu erreichen, quer durchs Land gehen mußte, so sah er sich genötigt, die Reise zu Fuße zu machen und das Gepäck hinter sich her tragen zu lassen. Für seinen Gang aber ward er auf jedem Schritte reichlich belohnt, indem er unerwartet ganz allerliebste Gegenden antraf; es waren solche, wie sie das letzte Gebirg gegen die Fläche zu bildet, bebuschte Hügel, die sanften Abhänge haushälterisch benutzt, alle Flächen grün, nirgends etwas Steiles, Unfruchtbares und Ungepflügtes zu sehen. Nun gelangte er zum Haupttale, worein die Seitenwasser sich ergossen; auch dieses war sorgfältig bebaut, anmutig übersehbar, schlanke Bäume bezeichneten die Krümmung des durchziehenden Flusses und einströmender Bäche, und als er die Karte, seinen Wegweiser, vornahm, sah er zu seiner Verwunderung, daß die gezogene Linie dieses Tal gerade durchschnitt und er sich also vorerst wenigstens auf rechtem Weg befinde.

Ein altes, wohlerhaltenes, zu verschiedenen Zeiten erneuertes Schloß zeigte sich auf einem bebuschten Hügel; am Fuße desselben zog ein heiterer Flecken sich hin mit vorstehendem, in die Augen fallendem Wirtshaus; auf letzteres ging er zu und ward zwar freundlich von dem Wirt empfangen, jedoch mit Entschuldigung, daß man ihn ohne Erlaubnis einer Gesellschaft nicht aufnehmen könne, die den ganzen Gasthof auf einige Zeit gemietet habe; deswegen er alle Gäste in die ältere, weiter hinauf liegende Herberge verweisen müsse. Nach einer kurzen Unterredung schien der Mann sich zu bedenken und sagte: "Zwar findet sich jetzt niemand im Hause, doch es ist eben Sonnabend, und der Vogt kann nicht lange ausbleiben, der wöchentlich alle Rechnungen berichtigt und seine Bestellungen für das Nächste macht. Wahrlich, es ist eine schickliche Ordnung unter diesen Männern und eine Lust, mit ihnen zu verkehren, ob sie gleich genau sind, denn man hat zwar keinen großen, aber einen sichern Gewinn." Er hieß darauf den neuen Gast in dem obern großen Vorsaal sich gedulden und, was ferner sich ereignen möchte, abwarten.

Hier fand nun der Herantretende einen weiten, saubern Raum, außer Bänken und Tischen völlig leer; desto mehr verwunderte er sich, eine große Tafel über einer Tür angebracht zu sehen, worauf die Worte in goldnen Buchstaben zu lesen waren: "Ubi homines sunt modi sunt"; welches wir deutsch erklären, daß da, wo Menschen in Gesellschaft zusammentreten, sogleich die Art und Weise, wie sie zusammen sein und bleiben mögen, sich ausbilde. Dieser Spruch gab unserm Wanderer zu denken, er nahm ihn als gute Vorbedeutung, indem er das hier bekräftigt fand, was er mehrmals in seinem Leben als vernünftig und fördersam erkannt hatte. Es dauerte nicht lange, so erschien der Vogt, welcher, von dem Wirte vorbereitet, nach einer kurzen Unterredung und keinem sonderlichen Ausforschen ihn unter folgenden Bedingungen aufnahm: drei Tage zu bleiben, an allem, was vorgehen möchte, ruhig teilzunehmen und, es geschehe, was wolle, nicht nach der Ursache zu fragen, so wenig als beim Abschied nach der Zeche. Das alles mußte der Reisende sich gefallen lassen, weil der Beauftragte in keinem Punkte nachgeben konnte.

Eben wollte der Vogt sich entfernen, als ein Gesang die Treppe herauf scholl; zwei hübsche junge Männer kamen singend heran, denen jener durch ein einfaches Zeichen zu verstehen gab, der Gast sei aufgenommen. Ihren Gesang nicht unterbrechend, begrüßten sie ihn freundlich, duettierten gar anmutig, und man konnte sehr leicht bemerken, daß sie völlig eingeübt und ihrer Kunst Meister seien. Als Wilhelm die aufmerksamste Teilnahme bewies, schlossen sie und fragten: ob ihm nicht auch manchmal ein Lied bei seinen Fußwanderungen einfalle und das er so vor sich hin singe? "Mir ist zwar von der Natur", versetzte Wilhelm, "eine glückliche Stimme versagt, aber innerlich scheint mir oft ein geheimer Genius etwas Rhythmisches vorzuflüstern, so daß ich mich beim Wandern jedesmal im Takt bewege und zugleich leise Töne zu vernehmen glaube, wodurch denn irgendein Lied begleitet wird, das sich mir auf eine oder die andere Weise gefällig vergegenwärtigt."

"Erinnert Ihr Euch eines solchen, so schreibt es uns auf", sagten jene; "wir wollen sehen, ob wir Euren singenden Dämon zu begleiten wissen." Er nahm hierauf ein Blatt aus seiner Schreibtafel und übergab ihnen folgendes:

 
"Von dem Berge zu den Hügeln,
Niederab das Tal entlang,
Da erklingt es wie von Flügeln,
Da bewegt sich's wie Gesang;
Und dem unbedingten Triebe
Folget Freude, folget Rat;
Und dein Streben, sei's in Liebe,
Und dein Leben sei die Tat."
 

Nach kurzem Bedenken ertönte sogleich ein freudiger, dem Wanderschritt angemessener Zweigesang, der, bei Wiederholung und Verschränkung immer fortschreitend, den Hörenden mit hinriß; er war im Zweifel, ob dies seine eigne Melodie, sein früheres Thema, oder ob sie jetzt erst so angepaßt sei, daß keine andere Bewegung denkbar wäre. Die Sänger hatten sich eine Zeitlang auf diese Weise vergnüglich ergangen, als zwei tüchtige Burschen herantreten, die man an ihren Attributen sogleich für Maurer anerkannte, zwei aber, die ihnen folgten, für Zimmerleute halten mußte. Diese viere, ihr Handwerkszeug sachte niederlegend, horchten dem Gesang und fielen gar bald sicher und entschieden in denselben mit ein, so daß eine vollständige Wandergesellschaft über Berg und Tal dem Gefühl dahinzuschreiten schien und Wilhelm glaubte, nie etwas so Anmutiges, Herz und Sinn Erhebendes vernommen zu haben. Dieser Genuß jedoch sollte noch erhöht und bis zum Letzten gesteigert werden, als eine riesenhafte Figur, die Treppe heraufsteigend, einen starken, festen Schritt mit dem besten Willen kaum zu mäßigen imstande war. Ein schwer bepacktes Reff setzte er sogleich in die Ecke, sich aber auf eine Bank nieder, die zu krachen anfing, worüber die andern lachten, ohne jedoch aus ihrem Gesang zu fallen. Sehr überrascht aber fand sich Wilhelm, als mit einer ungeheuren Baßstimme dieses Enakskind gleichfalls einzufallen begann. Der Saal schütterte, und bedeutend war es, daß er den Refrain an seinem Teile sogleich verändert und zwar dergestalt sang:

 
"Du im Leben nichts verschiebe;
Sei dein Leben Tat um Tat!"
 

Ferner konnte man denn auch gar bald bemerken, daß er das Tempo zu einem langsameren Schritt herniederziehe und die übrigen nötige, sich ihm zu fügen. Als man zuletzt geschlossen und sich genugsam befriedigt hatte, warfen ihm die andern vor, als wenn er getrachtet habe, sie irrezumachen. "Keineswegs", rief er aus, "ihr seid es, die ihr mich irrezumachen gedenkt; aus meinem Schritt wollt ihr mich bringen, der gemäßigt und sicher sein muß, wenn ich mit meiner Bürde bergauf, bergab schreite und doch zuletzt zur bestimmten Stunde eintreffen und euch befriedigen soll."

Einer nach dem andern ging nunmehr zu dem Vogt hinein, und Wilhelm konnte wohl bemerken, daß es auf eine Abrechnung angesehen sei, wornach er sich nun nicht weiter erkundigen durfte. In der Zwischenzeit kamen ein Paar muntere, schöne Knaben, eine Tafel in der Geschwindigkeit zu bereiten, mäßig mit Speise und Wein zu besetzen, worauf der heraustretende Vogt sie nunmehr alle sich mit ihm niederzulassen einlud. Die Knaben warteten auf, vergaßen sich aber auch nicht und nahmen stehend ihren Anteil dahin. Wilhelm erinnerte sich ähnlicher Szenen, da er noch unter den Schauspielern hauste, doch schien ihm die gegenwärtige Gesellschaft viel ernster, nicht zum Scherz auf Schein, sondern auf bedeutende Lebenszwecke gerichtet.

Das Gespräch der Handwerker mit dem Vogt belehrte den Gast hierüber aufs klarste. Die vier tüchtigen jungen Leute waren in der Nähe tätig, wo ein gewaltsamer Brand die anmutigste Landstadt in Asche gelegt hatte; nicht weniger hörte man, daß der wackere Vogt mit Anschaffung des Holzes und sonstiger Baumaterialien beschäftigt sei, welches dem Gast um so rätselhafter vorkam, als sämtliche Männer hier nicht wie Einheimische, sondern wie Vorüberwandernde sich in allem übrigen ankündigten. Zum Schlusse der Tafel holte St. Christoph, so nannten sie den Riesen, ein beseitigtes gutes Glas Wein zum Schlaftrunk, und ein heiterer Gesang hielt noch einige Zeit die Gesellschaft für das Ohr zusammen, die dem Blick bereits auseinandergegangen war; worauf denn Wilhelm in ein Zimmer geführt wurde von der anmutigsten Lage. Der Vollmond, eine reiche Flur beleuchtend, war schon herauf und weckte ähnliche und gleiche Erinnerungen in dem Busen unseres Wanderers. Die Geister aller lieben Freunde zogen bei ihm vorüber, besonders aber war ihm Lenardos Bild so lebendig, daß er ihn unmittelbar vor sich zu sehen glaubte. Dies alles gab ihm ein inniges Behagen zur nächtlichen Ruhe, als er durch den wunderlichsten Laut beinahe erschreckt worden wäre. Es klang aus der Ferne her, und doch schien es im Hause selbst zu sein, denn das Haus zitterte manchmal, und die Balken dröhnten, wenn der Ton zu seiner größten Kraft stieg. Wilhelm, der sonst ein zartes Ohr hatte, alle Töne zu unterscheiden, konnte doch sich für nichts bestimmen; er verglich es dem Schnarren einer großen Orgelpfeife, die vor lauter Umfang keinen entschiedenen Ton von sich gibt. Ob dieses Nachtschrecken gegen Morgen nachließ, oder ob Wilhelm, nach und nach daran gewöhnt, nicht mehr dafür empfindlich war, ist schwer auszumitteln; genug, er schlief ein und ward von der aufgehenden Sonne anmutig erweckt.

 

Kaum hatte ihm einer der dienenden Knaben das Frühstück gebracht, als eine Figur hereintrat, die er am Abendtische bemerkt hatte, ohne über deren Eigenschaften klar zu werden. Es war ein wohlgebauter, breitschultriger, auch behender Mann, der sich durch ausgekramtes Gerät als Barbier ankündigte und sich bereitete, Wilhelmen diesen so erwünschten Dienst zu leisten. übrigens schwieg er still, und das Geschäft war mit sehr leichter Hand vollbracht, ohne daß er irgendeinen Laut von sich gegeben hätte. Wilhelm begann daher und sprach: "Eure Kunst versteht Ihr meisterlich, und ich wüßte nicht, daß ich ein zarteres Messer jemals an meinen Wangen gefühlt hätte, zugleich scheint Ihr aber die Gesetze der Gesellschaft genau zu beobachten."

Schalkhaft lächelnd, den Finger auf den Mund legend, schlich der Schweigsame zur Türe hinaus. "Wahrlich!" rief ihm Wilhelm nach: "Ihr seid jener Rotmantel, wo nicht selbst, doch wenigstens gewiß ein Abkömmling; es ist Euer Glück, daß Ihr den Gegendienst von mir nicht verlangen wollt, Ihr würdet Euch dabei schlecht befunden haben."

Kaum hatte dieser wunderliche Mann sich entfernt, als der bekannte Vogt hereintrat, zur Tafel für diesen Mittag eine Einladung ausrichtend, welche gleichfalls ziemlich seltsam klang: das Band, so sagte der Einladende ausdrücklich, heiße den Fremden willkommen, berufe denselben zum Mittagsmahle und freue sich der Hoffnung, mit ihm in ein näheres Verhältnis zu treten. Man erkundigte sich ferner nach dem Befinden des Gastes, und wie er mit der Bewirtung zufrieden sei; der denn von allem, was ihm begegnet war, nur mit Lob sprechen konnte. Freilich hätte er sich gern bei diesem Manne, wie vorher bei dem schweigsamen Barbier, nach dem entsetzlichen Ton erkundigt, der ihn diese Nacht, wo nicht geängstigt, doch beunruhigt hatte; seines Angelöbnisses jedoch eingedenk, enthielt er sich jeder Frage und hoffte, ohne zudringlich zu sein, aus Neigung der Gesellschaft oder zufällig nach seinen Wünschen belehrt zu werden.

Als der Freund sich allein befand, dachte er über die wunderliche Person erst nach, die ihn hatte einladen lassen, und wußte nicht recht, was er daraus machen sollte. Einen oder mehrere Vorgesetzte durch ein Neutrum anzukündigen, kam ihm allzu bedenklich vor. übrigens war es so still um ihn her, daß er nie einen stilleren Sonntag erlebt zu haben glaubte; er verließ das Haus, vernahm aber ein Glockengeläute und ging nach dem Städtchen zu. Die Messe war eben geendigt, und unter den sich herausdrängenden Einwohnern und Landleuten erblickte er drei Bekannte von gestern, einen Zimmergesellen, einen Maurer und einen Knaben. Später bemerkte er unter den protestantischen Gottesverehrern gerade die drei andern. Wie die übrigen ihrer Andacht pflegen mochten, ward nicht bekannt, so viel aber getraute er sich zu schließen, daß in dieser Gesellschaft eine entschiedene Religionsfreiheit obwalte.

Zu Mittag kam demselben am Schloßtore der Vogt entgegen, ihn durch mancherlei Hallen in einen großen Vorsaal zu führen, wo er ihn niedersetzen hieß. Viele Personen gingen vorbei, in einen anstoßenden Saalraum hinein. Die schon bekannten waren darunter zu sehen, selbst St. Christoph schritt vorüber; alle grüßten den Vogt und den Ankömmling. Was dem Freund dabei am meisten auffiel, war, daß er nur Handwerker zu sehen glaubte, alle nach gewohnter Weise, aber höchst reinlich gekleidet; wenige, die er allenfalls für Kanzleiverwandte gehalten hätte.

Als nun keine neuen Gäste weiter zudrangen, führte der Vogt unsern Freund durch die stattliche Pforte in einen weitläufigen Saal; dort war eine unübersehbare Tafel gedeckt, an deren unterem Ende er vorbeigeführt wurde, nach oben zu, wo er drei Personen quer vorstehen sah. Aber von welchem Erstaunen ward er ergriffen, als er in die Nähe trat und Lenardo, kaum noch erkannt, ihm um den Hals fiel. Von dieser überraschung hatte man sich noch nicht erholt, als ein Zweiter Wilhelmen gleichfalls feurig und lebhaft umarmte und sich als den wunderlichen Friedrich, Nataliens Bruder, zu erkennen gab. Das Entzücken der Freunde verbreitete sich über alle Gegenwärtigen; ein Freud — und Segensruf erscholl die ganze Tafel her. Auf einmal aber, als man sich gesetzt, ward alles still und das Gastmahl mit einer gewissen Feierlichkeit aufgetragen und eingenommen.

Gegen Ende der Tafel gab Lenardo ein Zeichen, zwei Sänger standen auf, und Wilhelm verwunderte sich sehr, sein gestriges Lied wiederholt zu hören, das wir, der nächsten Folge wegen, hier wieder einzurücken für nötig finden.

 
"Von dem Berge zu den Hügeln,
Niederab das Tal entlang,
Da erklingt es wie von Flügeln,
Da bewegt sich's wie Gesang;
Und dem unbedingten Triebe
Folget Freude, folget Rat;
Und dein Streben, sei's in Liebe,
Und dein Leben sei die Tat."
 

Kaum hatte dieser Zwiegesang, von einem gefällig mäßigen Chor begleitet, sich zum Ende geneigt, als gegenüber sich zwei andere Sänger ungestüm erhuben, welche mit ernster Heftigkeit das Lied mehr umkehrten als fortsetzten, zur Verwunderung des Ankömmlings aber sich also vernehmen ließen:

 
"Denn die Bande sind zerrissen,
Das Vertrauen ist verletzt;
Kann ich sagen, kann ich wissen,
Welchem Zufall ausgesetzt
Ich nun scheiden, ich nun wandern,
Wie die Witwe trauervoll,
Statt dem einen mit dem andern
Fort und fort mich wenden soll!"
 

Der Chor, in diese Strophe einfallend, ward immer zahlreicher, immer mächtiger, und doch konnte man die Stimme des heiligen Christoph, vom untern Ende der Tafel her, gar bald unterscheiden. Beinahe furchtbar schwoll zuletzt die Trauer; ein unmutiger Mut brachte, bei Gewandtheit der Sänger, etwas Fugenhaftes in das Ganze, daß es unserm Freunde wie schauderhaft auffiel. Wirklich schienen alle völlig gleichen Sinnes zu sein und ihr eignes Schicksal eben kurz vor dem Aufbruche zu betrauern. Die wundersamsten Wiederholungen, das öftere Wiederaufleben eines beinahe ermattenden Gesanges schien zuletzt dem Bande selbst gefährlich; Lenardo stand auf, und alle setzten sich sogleich nieder, den Hymnus unterbrechend. Jener begann mit freundlichen Worten: "Zwar kann ich euch nicht tadeln, daß ihr euch das Schicksal, das uns allen bevorsteht, immer vergegenwärtigt, um zu demselben jede Stunde bereit zu sein. Haben doch lebensmüde, bejahrte Männer den Ihrigen zugerufen: "Gedenke zu sterben!", so dürfen wir lebenslustige jüngere wohl uns immerfort ermuntern und ermahnen mit den heitern Worten: "Gedenke zu wandern!"; dabei ist aber wohlgetan, mit Maß und Heiterkeit dessen zu erwähnen, was man entweder willig unternimmt, oder wozu man sich genötigt glaubt. Ihr wißt am besten, was unter uns fest steht und was beweglich ist; gebt uns dies auch in erfreulichen, aufmunternden Tönen zu genießen, worauf denn dieses Abschiedsglas für diesmal gebracht sei!" Er leerte sodann seinen Becher und setzte sich nieder; die vier Sänger standen sogleich auf und begannen in abgeleiteten, sich anschließenden Tönen:

 
"Bleibe nicht am Boden heften,
Frisch gewagt und frisch hinaus!
Kopf und Arm mit heitern Kräften, überall sind sie zu Haus;
Wo wir uns der Sonne freuen,
Sind wir jede Sorge los:
Daß wir uns in ihr zerstreuen,
Darum ist die Welt so groß."
 

Bei dem wiederholenden Chorgesange stand Lenardo auf und mit ihm alle; sein Wink setzte die ganze Tischgesellschaft in singende Bewegung; die unteren zogen, St. Christoph voran, paarweis zum Saale hinaus, und der angestimmte Wandergesang ward immer heiterer und freier; besonders aber nahm er sich sehr gut aus, als die Gesellschaft, in den terrassierten Schloßgärten versammelt, von hier aus das geräumige Tal übersah, in dessen Fülle und Anmut man sich wohl gern verloren hätte. Indessen die Menge sich nach Belieben hier — und dorthin zerstreute, machte man Wilhelmen mit dem dritten Vorsitzenden bekannt. Es war der Amtmann, der das gräfliche, zwischen mehreren Standesherrschaften liegende Schloß dieser Gesellschaft, so lange sie hier zu verweilen für gut fände, einzuräumen und ihr vielfache Vorteile zu verschaffen gewußt, dagegen aber auch, als ein kluger Mann, die Anwesenheit so seltener Gäste zu nutzen verstand. Denn indem er für billige Preise seine Fruchtböden auftat und, was sonst noch zu Nahrung und Notdurft erforderlich wäre, zu verschaffen wußte, so wurden bei solcher Gelegenheit längst vernachlässigte Dachreihen umgelegt, Dachstühle hergestellt, Mauern unterfahren, Planken gerichtet und andere Mängel auf den Grad gehoben, daß ein längst vernachlässigtes, in Verfall geratenes Besitztum verblühender Familien den frohen Anblick einer lebendig benutzten Wohnlichkeit gewährte und das Zeugnis gab: Leben schaffe Leben, und, wer andern nützlich sei, auch sie ihm zu nutzen in die Notwendigkeit versetze.

Zweites Kapitel

Hersilie an Wilhelm

Mein Zustand kommt mir vor wie ein Trauerspiel des Alfieri; da die Vertrauten völlig ermangeln, so muß zuletzt alles in Monologen verhandelt werden, und fürwahr, eine Korrespondenz mit Ihnen ist einem Monolog vollkommen gleich; denn Ihre Antworten nehmen eigentlich wie ein Echo unsre Silben nur oberflächlich auf, um sie verhallen zu lassen. Haben Sie auch nur ein einzigmal etwas erwidert, worauf man wieder hätte erwidern können? Parierend, ablehnend sind Ihre Briefe! Indem ich aufstehe, Ihnen entgegenzutreten, so weisen Sie mich wieder auf den Sessel zurück.

Vorstehendes war schon einige Tage geschrieben; nun findet sich ein neuer Drang und Gelegenheit, Gegenwärtiges an Lenardo zu bringen; dort findet Sie's, oder man weiß Sie zu finden. Wo es Sie aber auch antreffen mag, lautet meine Rede dahin, daß, wenn Sie, nach gelesenem diesem Blatt, nicht gleich vom Sitze aufspringen und als frommer Wanderer sich eilig bei mir einstellen, so erklär' ich Sie für den männlichsten aller Männer, d. h dem die liebenswürdigste aller Eigenschaften unsers Geschlechts völlig abgeht; ich verstehe darunter die Neugierde, die mich eben in dem Augenblick auf das entschiedenste quält.

Kurz und gut! Zu Ihrem Prachtkästchen ist das Schlüsselchen gefunden; das darf aber niemand wissen als ich und Sie. Wie es in meine Hände gekommen, vernehmen Sie nun.

Vor einigen Tagen empfängt unser Gerichtshalter eine Ausfertigung von fremder Behörde, worin gefragt wird, ob nicht ein Knabe sich zu der und der Zeit in der Nachbarschaft aufgehalten, allerlei Streiche verübt und endlich bei einem verwegenen Unternehmen seine Jacke eingebüßt habe.

Wie dieser Schelm nun bezeichnet war, blieb kein Zweifel übrig, es sei jener Fitz, von dem Felix so viel zu erzählen wußte und den er sich oft als Spielkameraden zurückwünschte.

Nun erbat sich jene Stelle die benannte Kleidung, wenn sie noch vorhanden wäre, weil der in Untersuchung geratene Knabe sich darauf berufe. Von dieser Zumutung spricht nun unser Gerichtshalter gelegentlich und zeigt das Kittelchen vor, eh' er es absendet.

Mich treibt ein guter oder böser Geist, in die Brusttasche zu greifen; ein winzig kleines, stachlichtes Etwas kommt mir in die Hand; ich, die ich sonst so apprehensiv, kitzlich und schreckhaft bin, schließe die Hand, schließe sie, schweige, und das Kleid wird fortgeschickt. Sogleich ergreift mich von allen Empfindungen die wunderlichste. Beim ersten verstohlenen Blick seh' ich, errat' ich, zu Ihrem Kästchen sei es der Schlüssel. Nun gab es wunderliche Gewissenszweifel, mancherlei Skrupel stiegen bei mir auf. Den Fund zu offenbaren, herzugeben, war mir unmöglich: was soll es jenen Gerichten, da es dem Freunde so nützlich sein kann! Dann wollte sich mancherlei von Recht und Pflicht wieder auftun, welche mich aber nicht überstimmen konnten.

Da sehen Sie nun, in was für einen Zustand mich die Freundschaft versetzt; ein famoses Organ entwickelt sich plötzlich, Ihnen zuliebe; welch ein wunderlich Ereignis! Möchte das nicht mehr als Freundschaft sein, was meinem Gewissen dergestalt die Waage hält! Wundersam bin ich beunruhigt, zwischen Schuld und Neugier; ich mache mir hundert Grillen und Märchen, was alles daraus erfolgen könnte: mit Recht und Gericht ist nicht zu spaßen. Hersilie, das unbefangene, gelegentlich übermütige Wesen, in einen Kriminalprozeß verwickelt, denn darauf geht's doch hinaus, und was bleibt mir da übrig, als an den Freund zu denken, um dessentwillen ich das alles leide! Ich habe sonst auch an Sie gedacht, aber mit Pausen, jetzt aber unaufhörlich; jetzt, wenn mir das Herz schlägt und ich ans siebente Gebot denke, so muß ich mich an Sie wenden als den Heiligen, der das Verbrechen veranlaßt und mich auch wohl wieder entbinden kann; und so wird allein die Eröffnung des Kästchens mich beruhigen. Die Neugierde wird doppelt mächtig. Kommen Sie eiligst und bringen das Kästchen mit. Für welchen Richterstuhl eigentlich das Geheimnis gehöre, das wollen wir unter uns ausmachen; bis dahin bleibt es unter uns; niemand wisse darum, es sei auch, wer es sei.

 

Hier aber, mein Freund, nun schließlich zu dieser Abbildung des Rätsels was sagen Sie? Erinnert es nicht an Pfeile mit Widerhaken? Gott sei uns gnädig! Aber das Kästchen muß zwischen mir und Ihnen erst uneröffnet stehen und dann eröffnet das Weitere selbst befehlen. Ich wollte, es fände sich gar nichts drinnen, und was ich sonst noch wollte und was ich sonst noch alles erzählen könnte doch sei Ihnen das vorenthalten, damit Sie desto eiliger sich auf den Weg machen.

Und nun mädchenhaft genug noch eine Nachschrift! Was geht aber mich und Sie eigentlich das Kästchen an? Es gehört Felix, der hat's entdeckt, hat sich's zugeeignet, den müssen wir herbeiholen, ohne seine Gegenwart sollen wir's nicht öffnen.

Und was das wieder für Umstände sind! das schiebt sich und verschiebt sich.

Was ziehen Sie so in der Welt herum? Kommen Sie! bringen Sie den holden Knaben mit, den ich auch einmal wieder sehen möchte.

Und nun geht's da wieder an, der Vater und der Sohn! tun Sie, was Sie können, aber kommen Sie beide.

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