Trollingermord

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Trollingermord
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Hendrik Scheunert

Trollingermord

Kriminalroman


Zum Buch

In Vino Veritas Eine kleine Gemeinde am Rand von Stuttgart, umgeben von Weinbergen. Ein idyllischer Ort könnte man meinen. Doch dann erschüttert der Mord an Gerd Bäuerle, einem angesehenen Winzer, das Städtchen. Schnell gerät Andre Kalter, ebenfalls ein Winzer, in den Fokus der Kriminalpolizei. Es stellt sich heraus, dass Kalter eine Affäre mit der Frau von Gerd Bäuerle hatte. Auch sonst zeigt sich jener wenig kooperativ. Die Kommissare Frank Jonas und Richard Bauer beginnen zu ermitteln. Und siehe da – Andre Kalter hat tatsächlich etwas zu verbergen. Immer enger zieht sich die Schlinge um den Verdächtigen zu, bis Frank Jonas auf ein Geheimnis stößt, das dem Mordfall eine völlig neue Wendung gibt. Denn das Motiv für den Mord liegt weit zurück und plötzlich nimmt der Fall eine Wendung, mit der keiner gerechnet hat.

Hendrik Scheunert wohnt zusammen mit seiner Familie in einem Haus am Rand von Stuttgart. Schon früh fiel den Lehrern seiner Schule auf, dass er viel und gerne schrieb und über eine rege Fantasie verfügte. Doch es dauerte einige Jahre bis er sich ein Herz fasste, um sein erstes Buch zu schreiben. Seither gehört das Schreiben als fester Bestandteil zu seinem Leben. Wann immer es möglich ist, sitzt er an seinem Schreibtisch und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Neben dem Schreiben gehören auch Rad- und Laufmarathons zu seinen großen Leidenschaften. Im Sommer ist er deshalb öfter in den Alpen anzutreffen. www.spätzlekrimi.de

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © tzuky333 / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-6996-1

Prolog

Uhlbach, die kleine Gemeinde am Rande von Stuttgart, die im Jahre 1247 erstmals urkundlich erwähnt und 1937 in die Landeshauptstadt eingemeindet wurde, lag friedlich zwischen den Weinreben des Rotenberges. Hoch über dem Ort thronte, vom Mond angestrahlt, die Grabkapelle, die König Wilhelm von Württemberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts für seine verstorbene Gattin, Katharina Pawlowna, hatte erbauen lassen.

Ganz so friedlich ging es unten in der Wirtschaft des Weingärtners Andre Kalter nicht zu. Jener arbeitete früher für eine Automobilfirma im Stuttgarter Norden, bis er die Liebe zum Wein entdeckte und seinen bisherigen Beruf aufgab. Mit seinen 46 Jahren war er nun Vorsitzender des Weinkonvent Uhlbach, einer Weinbaugenossenschaft von Winzern aus den Orten Rotenberg und Uhlbach. Seither mühten sie sich redlich, aus ihren Reben den besten Ertrag herauszuholen. Mit Erfolg. Der Wein wurde über die Landesgrenzen hinaus geschätzt, doch, so die Meinung des Vorsitzenden Andre Kalter, wäre eine weitere Expansion erstrebenswert. Dies stand jetzt auf der Tagesordnung ihrer vierteljährlichen Sitzung.

»Wir müssen lokal denken, aber global handeln. Dann können wir noch mehr aus unseren Reben rausholen. Wir haben hier die besten Voraussetzungen. Mit den Badenern oder Pfälzern halten wir doch locker mit, was die Qualität angeht. Wenn wir nicht sogar besser sind. Think local and act global.«

»Der Spruch hert sich bled a. Think local and act global. Mir sen a Weingenossenschaft, ond des wellet m’r au bleibe. Da kannscht d’r dein Spruch sonscht wo no bebbe.«

Die Antwort von Gerd Bäuerle, einem der Wengerter aus Uhlbach, kam nicht überraschend.

»Weil i da grad was von global g’hört hab, wo isch dei Klo. De Viertele wellet raus.«

Hans Kupernick, Sohn schlesischer Einwanderer, mit fast 90 Jahren der Älteste der Runde, erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl, was angesichts von vier Viertele kein Wunder war. Verwunderlich schien eher, dass seine Blase dem Druck solang standhalten konnte.

»Gang runter, dann links«, antwortete Kalter, der zweifelte, ob er die Toilette finden würde.

»Aber ned, dass du mir bei de Mädle nei goascht«, feixte einer der Winzer.

»Halt dei Gosch, du bleder Bachel«, kam es als prompte Antwort vom alten Hans, der sich im Watschelschritt seinem Ziel näherte.

»Mir hen nix davo, wenn dann so an Haufe Tourischte aus was weiß i woher kommet. D’r oinzige, wo sich freit, bisch du, weil dei Zimmer elle ausgebucht sen. Aber i han da koi Luscht druf. Sag i dir ganz ehrlich. Mir han jetzt scho kaum Parkplätz, weil die Seggel überall Radweg napflanze müsset. Mit mehr Tourischte wird’s no schlimmer. Noi, da beischt du bei mir uff Granit«, gab Wolfgang Sulzgrieser zu bedenken.

»Ond die viele Busse mit denne Asiate. Bloß ned«, jammerte der alte Hans, der, augenscheinlich erleichtert, wieder von der Toilette zurückkam.

Andre Kalter merkte, heute konnte er mit keinem der Wengerter einen Deal machen, geschweige denn vernünftig reden. Zum Glück, so dachte er nicht ohne Hintergedanken, waren die meisten von ihnen schon in einem Alter, wo sich die Erben die Hände rieben.

»Meinetwegen«, versuchte er, die Winzer zu beruhigen, »dann diskutieren wir eben ein anderes Mal darüber.«

Dafür erntete er ein zustimmendes Nicken.

»Dein Zwiebelrostbraten ist aller Ehren wert. Da musst du deinen Koch mal loben. Auch die Trollingersoße. Da könnt ich mich reinlegen«, meinte Holger Bühler. Er war etwas älter als Andre Kalter und stand kurz vor dem 50. Geburtstag. Jener unterstützte, als einer der wenigen, seinen Vorschlag nach einer Expansion des Weinkonvents Uhlbach.

»Ich werd’s ihm ausrichten«, tat Kalter das durchaus ernst gemeinte Lob an seinen Koch beiläufig ab.

Sie ließen den Abend gemeinsam ausklingen. Langsam, aber sicher näherte sich den angeheiterten Winzer die Sperrstunde. Daraufhin verschwand ein jeder wieder nach Hause zu seiner Gattin, über die eben noch gelästert worden war. Daheim sah die Welt dann freilich ganz anders aus.

Nachdem alle Wengerter gegangen waren, saß Gerd Bäuerle allein am Tisch und schlotzte seinen Lemberger vom Uhlbacher Götzenberg.

»Trink aus, ich muss gleich zu machen, sonst hab ich die Leute vom Ordnungsamt am Hals«, rief ihm Kalter zu, der hinter dem Tresen die leeren Gläser von Hand spülte.

»Ich denke, wir sollten uns mal unterhalten«, begann Bäuerle, während er sein Glas auf dem Tisch im Kreis drehte.

»Wir haben uns doch jetzt die ganze Zeit unterhalten. Was willst du noch besprechen?«

»Es geht um deinen Weinberg«, fuhr Bäuerle fort und ließ dann eine kurze Pause folgen. »Du weißt so gut wie ich, die Menge, die du verkaufst, lässt sich niemals mit dem Ertrag aus deinem Weinberg erreichen. So etwas ist unmöglich.«

Andre Kalter trocknete die Weingläser ab und stellte sie fein säuberlich ins Regal oberhalb des Tresens. Danach legte er sein Geschirrtuch beiseite.

»Was willst du mir damit sagen?«, fragte er lauernd.

»Tu nicht so blöd. Ich kann rechnen.« Bäuerle tippte sich mit dem Finger an seinen Kopf.

»Na, wenn du so gut rechnen kannst, dann weißt du ja, was du mir für den Rostbraten und die sechs Viertele schuldig bist«, gab der Wirt unbeeindruckt zurück.

»Du denkst, du kannst dich blöd stellen? Warts mal ab!«, drohte Bäuerle, stand auf und knallte ihm mit der Bemerkung: »Stimmt so«, 50 Euro auf den Tresen, um grußlos durch die Tür hinaus in die kalte Januarnacht zu verschwinden.

Im Türrahmen stehend drehte er sich noch einmal um.

»Du vergisst, wer dir damals den Arsch gerettet hat, als du kurz vor der Pleite warst.«

Er tippte sich mit dem Finger auf seine Brust.

»Ich habe dir deinen Daimler abgekauft, sonst hättest du die Schulden bei der Bank niemals tilgen können.«

Kalter zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß nicht, was du willst«, gab er zurück. »Dafür hast du ja zu einem ziemlich fairen Preis, wie ich meine, den schicken Oldtimer bekommen. Es ist ja nicht so, dass du mir dieses Geld geschenkt hast. Immerhin warst du schon eine Weile scharf auf den Wagen.«

»Pah!« Bäuerle drehte sich um, dann verschwand er in der Dunkelheit.

»Maurizio, mach Feierabend«, rief Kalter in die Küche. »Kommt Raffael morgen?«

»Si, der kommt. Sicher. Was wollte der grad eben von Ihnen?«, erkundigte sich der Koch mit den schwarzgelockten Haaren.

Maurizio Carnevale war seit einigen Jahren bei Kalter angestellt. Beide hatten sich bei der Besichtigung eines Weingutes in Südtirol kennengelernt. Vom dortigen Winzer, einem nahen Verwandten, wurde er in den höchsten Tönen gelobt. Da Kalter für sein Restaurant einen neuen Koch benötigte – der alte hatte aufgrund von Meinungsverschiedenheiten, was die Speisekarte anging, hingeschmissen – einigte man sich recht schnell. Der kleine Italiener, Anfang 50, stellte sich derweil als Glücksgriff heraus.

 

Die Kochkünste des aus Sizilien stammenden Mannes machten sein Lokal weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und sorgten dafür, dass auch unter der Woche nie ein Mangel an Gästen herrschte. Einzig die Tatsache, am Wochenende nicht arbeiten zu wollen, nahm er widerwillig zur Kenntnis. Der Ersatz, ein Cousin von Carnevale, den er stattdessen schickte, stand dessen Kochkünsten aber in nichts nach.

»Nichts weiter«, gab Kalter auf die Frage seines Kochs zurück. »Nur etwas Belangloses. Aber dein Zwiebelrostbraten wurde über die Maßen gelobt.«

»So etwas freut mich«, lachte er mit seinem italienischen Dialekt, »dann kann ich ja jetzt Schluss machen.«

»Mach’s gut«, rief Kalter hinter ihm her, als der Koch wenig später durch die Tür in die Nacht verschwand. Er hörte noch, wie der Italiener seinen alten Fiat 500 nach einigen Versuchen zum Laufen brachte. Kurz darauf schaltete er dann selbst das Licht aus.

1. Kapitel

Montag

Tübingen lag an diesem kalten Januartag, es herrschten Temperaturen um die minus zehn Grad, ruhig am Ufer des Neckars, schien sich für jenes bevorstehende Ereignis, welches hier stattfinden würde, nicht sonderlich zu interessieren. Mit der 1477 gegründeten Eberhard Karls Universität gehörte sie zu den ältesten Universitätsstädten in Deutschland. Die Lehranstalt ruhte umgeben von sattem Grün mitten in der Stadt. Eine fast schon gespenstische Ruhe lag an diesem frühen Morgen auf dem Campus. Was sich bald ändern würde, wenn Heerscharen von Studenten sowie Dozenten hereinströmten.

Ähnlich sah die Sache bei Walter Riegelgraf, dem Rechtsmediziner aus Stuttgart, aus. Er sollte just an diesem Tag von der Universität Tübingen seine Ehrendoktorwürde erhalten. Davon hatte er insgeheim nicht nur geträumt, sondern auch darauf gehofft. Es war, so seine Meinung, nur eine Frage der Zeit gewesen, bis man ihm diesen Titel verlieh. Doch heute, am Ziel seiner Träume angelangt, überkam ihn ein mulmiges Gefühl.

Die Laudatio, die sein ehemaliger Professor auf ihn halten würde, war die angenehme Seite der Medaille. Doch er kam nicht umhin, selbst eine Rede vortragen. Dabei würden sich alle Augen, insbesondere die seiner geschätzten Kollegen von der Kripo Stuttgart, die sich dieses Ereignis auf keinen Fall entgehen lassen wollten, auf ihn richten. Allein die Vorstellung trieb ihm trotz des kalten Wetters Schweißperlen auf die Stirn.

Wochenlang feilte er an seiner Rede, schrieb diese mehrmals um, korrigierte sie, warf den Zettel weg, kramte ihn wieder hervor. Doch jetzt, wenige Stunden vor seinem Auftritt, hätte er am liebsten kehrtgemacht, um sich in seinem Büro im Untergeschoss des Katharinenhospitals zu verstecken. Aber alles Jammern half nichts, er musste da durch.

Aus der Ferne hörte er das bekannte sonore Brummen eines V8 Motors. Dabei konnte es sich nur um Frank Jonas’ Mercedes handeln. Wie er seinen Kollegen, Oberkommissar Richard Bauer, kannte, nutzte dieser die Gelegenheit, ganz die schwäbische Gewohnheit, sich chauffieren zu lassen.

Er selbst besaß einen alten blauen VW Käfer aus dem Jahre 1977 mit weißen Ledersitzen. Der Oldtimer durfte trotz des kürzlich verhängten Dieselfahrverbotes in die Stadt, da er über ein sogenanntes H-Kennzeichen verfügte, doch allein die Abgase aus diesem Auto hätten gereicht, die Grenzwerte am Neckartor für mindestens ein Jahr zu überschreiten.

Frank Jonas stellte seinen weißen E-Klasse Kombi auf dem Parkplatz vor den Vorlesungsräumen der Universität in der Nauklerstraße neben dem blauen VW Käfer ab.

Er stieg aus und umarmte Walter Riegelgraf.

»Na, schon aufgeregt Herr Doktor honoris causa?«, grinste er schelmisch.

Kommissarin Lisa Danninger, die ebenfalls mitgekommen war, nahm ihn zur Begrüßung in den Arm, was der offenkundig genoss.

»Wir sind ja da«, fügte sie aufmunternd hinzu.

»Das ist es, was mich nervös macht«, seufzte er.

Richard Bauer kam auf ihn zu und drückte ihm die Hand. »Sei froh, wenn’s Pult etwas höher ist, dann sieht man deine Plauze nicht«, lachte er, als er Riegelgraf begrüßte. »Die könnte sonst zu sehr von deiner Rede ablenken.«

»Der Tag wird kommen, an dem du bei mir auf dem Tisch liegst. Wenn du so weitermachst, dann kommt er sehr bald«, drohte ihm Walter Riegelgraf mit einem Augenzwinkern.

Inzwischen traf auch Adelbert Herzog mit ihrem neuen Chef Horst Müller-Huber ein.

Nachdem ihr früherer Kriminaldirektor, Hans-Jürgen Engler, beim letzten Fall versucht hatte, etwas von dem sichergestellten Geld für sich abzuzweigen, nutzten Frank und Richard die Gunst der Stunde, den allseits ungeliebten Vorgesetzten loszuwerden. Jener ließ sich daraufhin in seine Heimatstadt Hamburg zurückversetzen. Auf eigenen Wunsch natürlich.

Ihr neuer Chef war ein umgänglicher Mittfünfziger, der bis jetzt einen positiven Eindruck hinterließ. Ruhig und unaufgeregt ging er die Sachen an. Einzig die Tatsache, jedes Mal aufs Klingeln seines Telefons mit einem lang gezogenen »Och neee« zu reagieren, erschien allen etwas befremdlich. Ansonsten schien er ein leutseliger Mensch zu sein, im Gegensatz zu ihrem früheren Chef.

Als Letzter trudelte wenig später Manfred Gühring ein, der von Richard aufgrund seiner Figur sowie dessen nicht so üppigen Haarwuchses die Bezeichnung »Schwaben-Tyson« verpasst bekam.

»Habt ihr alle auf mich gewartet?«, fragte er mit unschuldiger Miene in die Runde.

»Selbstverständlich«, meinte Walter Riegelgraf. »Wir würden doch nie ohne dich anfangen.«

Es kamen noch ein paar alte Weggefährten des allseits beliebten Rechtsmediziners dazu, unter ihnen seine flippige Assistentin Yvonne, sodass sich die Anzahl der Personen letztlich auf 20 belief.

Im Gebhard-Müller-Saal waren für die Veranstaltung extra vier Stuhlreihen mit je fünf Sitzplätzen zurechtgestellt worden.

Nachdem alle Platz genommen hatten, begab sich Professor Hugo Brackmayer, sein früherer Lehrmeister und heutiger Dekan der Universität Tübingen, ans Rednerpult.

»Mein lieber Walter«, begann er, »vor etwas mehr als 30 Jahren hast du diese Räume hier zum ersten Mal betreten. Lang ist es her. Wer von uns konnte damals ahnen, dass wir uns heute wieder treffen, um dir die Ehrendoktorwürde unserer Universität zu verleihen. Aber ich denke, in Anbetracht der Leistungen, die du in den letzten Jahren vollbracht hast, ist dies nur allzu gerecht. Ich wünsche dir noch viele weitere erfolgreiche Jahre im Kreis deiner Kolleginnen und Kollegen.«

Es folgte tosender Applaus, als ein offenkundig bewegter Walter Riegelgraf mit einer Träne der Rührung im Auge sich erhob, um von Professor Brackmayer seine langersehnte Ehrendoktorwürde in Empfang zu nehmen.

Dann stellte er sich vors Rednerpult, um den Zettel mit seiner Rede hervorzuholen.

»Vielen Dank erst mal, Professor Brackmayer, für diese Ehre. Aber ohne mein Team sowie die hier anwesenden Kollegen wäre ich nie imstande gewesen, mich so weit zu entwickeln. Auch euch gebührt mein Dank.«

Erneut brandete Applaus auf, dann fuhr Walter Riegelgraf fort.

»Man muss allerdings dazusagen, denn dies ist die dunkle Seite an meinem Beruf, täglich werden wir mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert. Den Schmerz über den Verlust können wir ihnen nicht abnehmen, aber lindern, indem wir alles versuchen, die Tat aufzuklären. Dazu trage ich, tragen meine Kollegen der Kripo Stuttgart ihren Teil bei. Obwohl wir manchmal glücklicher wären, wenn wir nicht so viel zu tun hätten.«

Er schloss seine Rede und begab sich wieder an seinen Platz.

Die Universität hatte aus ihrem Budget für den neuen Ehrendoktor in der Mensa einen kleinen Umtrunk bereitgestellt. Diesen, zusammen mit ein paar Häppchen, ließen sie sich kurz darauf schmecken. Horst Müller-Huber war derweil damit beschäftigt, alle Köstlichkeiten durchzuprobieren, während die anderen Small Talk betrieben.

»Ist das jetzt unser Mittagessen?«, erkundigte sich Frank bei Richard, der an einem Glas Sekt nippte.

»Nein, keine Angst. Walter hat uns zum Abendessen eingeladen. Wir sollen es aber nicht so groß rumerzählen, weil er sonst alle mitnehmen müsste. Er wollte nur die engsten Kollegen dabei haben.«

»Versteh ich«, erwiderte Frank, »schließlich versorgen wir ihn ja mit Arbeit. Wohin geht’s denn heute Abend?«

»Ein sehr gutes Lokal in Uhlbach. Kalter Besen heißt es. Ich bin noch nie dort gewesen, aber Walter schwärmt davon, dort gibt’s den besten Zwiebelrostbraten der Region. Mit einem italienischen Koch.«

»Ein italienischer Koch, der Zwiebelrostbraten machen kann? Da bin ich gespannt.«

Frank bewegte sich aufs Buffet mit den Häppchen zu.

»Na, Herr Jonas, noch hungrig? Man weiß ja nie, wann wieder was kommt«, lachte Horst Müller-Huber. Auch ihn hatte Walter Riegelgraf heute Abend mit eingeladen.

»Da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht, Chef«, grinste Frank. Er fand ihn bis jetzt konziliant, war er doch das genaue Gegenteil seines früheren Vorgesetzten. Statistiken interessierten ihn nicht im Geringsten. Anfragen nach solchen bügelte er mit der Begründung »Dafür gibt es ein Statistisches Landesamt« ab. Einzig die Tatsache, dass er aufs Klingeln seines Telefons mit erhöhter Nervosität reagierte, konnte man ihm als Schwäche auslegen. Ansonsten aber fand Frank bis jetzt kein Haar in der Suppe, was für seine Verhältnisse bemerkenswert war.

»Ich sehe, ihr zwei sorgt dafür, dass nichts übrigbleibt«, gesellte sich ein erkennbar erleichterter Walter Riegelgraf zu ihnen.

»Wenn nicht wir, wer dann?«, gab Müller-Huber zurück.

»Habe ich vorher Tränen der Rührung in deinen Augen gesehen?«, zog Frank ihn auf.

»Nein, da täuschst du dich. Lag wahrscheinlich an der trockenen Luft«, redete sich Riegelgraf raus, um dann hinzufügen: »Ihr wisst, wie man nach Uhlbach in den Kalten Besen kommt?«

»Mach dir keine Sorgen, wenn’s ums Essen geht, brauch ich kein Navi, dann verlass ich mich auf meinen Magen«, grinste Frank, um sich zur Bestätigung über den Selbigen zu reiben.

In der letzten Zeit ging es etwas geruhsamer zu. Seit dem schwierigen Fall im September war es, bis auf den Personalwechsel, zu keinem größeren Ereignis gekommen.

Doch dies sollte sich bald ändern.

*

Walter Riegelgraf hatte in dem Restaurant Kalter Besen einen Tisch etwas abseits des normalen Publikumsverkehrs reserviert. Das Lokal lag inmitten des kleinen am Rande von Stuttgart von Weinbergen umgebenen Örtchens Uhlbach, gleich neben der Alten Kelter, die schon im Jahre 1366 erstmals amtlich erwähnt wurde. Für einen Montagabend war das Restaurant sehr gut besucht, somit machte es durchaus Sinn zu reservieren.

Frank, Richard sowie Lisa kamen etwas später an, weil dieser partout nicht auf seinen Kollegen hören wollte, der ihn vor dem Stau auf der B27 warnte und empfahl, über die Straße am Flughafen auszuweichen. Allen Unkenrufen zum Trotz standen sie dann eine gefühlte Ewigkeit auf der B27 im Feierabendverkehr.

»Habt ihr’s doch noch geschafft«, erkundigte sich Walter Riegelgraf, und Manfred Gühring fügte frech hinzu: »So groß kann der Hunger von Frank nicht gewesen sein, sonst wärt ihr mindestens eine Stunde vor uns dagewesen.«

Der murmelte was in seinen nicht vorhandenen Bart, dann setzte er sich mit den beiden an den runden Tisch in der Ecke des Restaurants.

Andre Kalter, der Inhaber des seinen Namen tragenden Lokals, begrüßte sie freundlich und erkundigte sich nach den Getränkewünschen der Anwesenden.

Anschließend ließ er seine Gäste mit der Auswahl der Speisen allein.

»Du sagst, der Rostbraten hier wäre gut?«, fragte Richard.

»Nicht nur gut, sondern ausgezeichnet«, korrigierte ihn Walter Riegelgraf.

Mit Blick auf dessen Bauch fragte der: »Welchen Salat isst du?«

Frank konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, stieß Richard aber trotzdem in die Seite. »Schon vergessen, er zahlt heute. Also gönn ihm den Spaß.«

»Von mir aus gern«, hob dieser frech grinsend seine Stimme an. »Meine Plauze ist es ja nicht.«

Bis auf Manfred Gühring, der sich für die geschmälzten Maultaschen in einer Bratensoße entschied, folgten alle anderen Gäste der Empfehlung von Walter Riegelgraf und nahmen den Rostbraten mit Spätzle, beziehungsweise im Fall von Frank mit Bratkartoffeln.

 

Die Stimmung in der Runde war gelöst. Horst Müller-Huber gab einen kleinen Einblick in seine bisherige kriminalistische Laufbahn. Für einen Lacher sorgte dieser, nachdem er erzählte, wie er einst aus Versehen mit dem Traktor durchs Rosenbeet seiner Frau fuhr. Jenes daraus resultierende blaue Auge, so berichtete er es seinen Kollegen, hätte er sich bei der Verhaftung eines Verdächtigen zugezogen.

Kurz darauf kündigte sich der von allen mit Spannung erwartete Zwiebelrostbraten an. Frank nahm mit seiner Nase zuerst Witterung auf, daraufhin setzte er die anderen vom herannahenden Essen in Kenntnis.

Tatsächlich landete der Rostbraten in Kombination mit den Bratkartoffeln sowie der obligatorischen Trollingersoße, auf seiner internen Hitliste sehr weit oben. Frank, ein Kenner auf dem Gebiet, musste es wissen.

»Puh, jetzt bin ich aber pappsatt«, stöhnte ein rundum zufriedener Walter Riegelgraf.

»Ich auch«, antwortete Richard, »bis Mittwoch brauch ich nichts mehr.«

Man trank einen Obstler lokaler Herkunft zur besseren Verdauung des Essens, dann erzählte man sich einige Anekdoten aus den gemeinsamen Dienstjahren. Lisa Danninger lehnte sich zufrieden an die Schulter von Frank Jonas.

Als sie kurz darauf aufbrachen, die Zeiger der Uhr zeigten 22 Uhr abends, und bis auf ein paar Stammgäste hatten die meisten Gäste das Lokal bereits verlassen, ertönte aus heiterem Himmel ein heftiger Wortstreit aus der Küche.

»Du biste blöd in deinem Kopf«, schimpfte eine italienische Stimme. »Kannste nix mal eine Soße umrühren, du bleder Grieche.«

»Halt dein Maul, du Meterfünfzwerg, sonst häng ich dich am Kleiderhaken auf. Dann sollst du dort versauern, bis die Ratten dich fressen«, kam die ebenso freundliche Antwort.

Man hörte etwas fliegen, was stark an Geschirr erinnerte, dann herrschte Ruhe.

Die Gäste am Stammtisch grinsten, während sich die Runde um Walter Riegelgraf fragend anschaute.

»Was war das denn?«, erkundigte sich Adelbert Herzog, der an diesem Abend noch nicht groß durch Wortbeiträge auf sich aufmerksam gemacht hatte. Aber der Experte auf dem Gebiet der Spurensicherung galt sowieso nicht als ausgewiesenes Redetalent. Sein Wissen jedoch reichte weit über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus, auch sein fachlicher Rat wurde allseits geschätzt und geachtet.

»Hat man doch gehört«, erwiderte Frank lakonisch, »die Soße war nicht gut. Anscheinend hat das Geschirr sein Ziel erreicht, sonst wär jetzt keine Ruhe.«

»Vielleicht kriegt der Walter demnächst wieder Arbeit«, feixte Richard. Alle anderen grinsten.

»Lieber nicht, nicht heute«, antwortete der mit einem tiefen Seufzen in der Stimme.

Als Andre Kalter die Gäste verabschiedete, erkundigten sie sich nach dem Vorfall in der Küche.

»Ach, nichts weiter. Mein Koch und unser Kellner, die sind wie ein altes Ehepaar. Das kennen wir hier schon. Manchmal ist es ganz amüsant. Aber heute hat’s der Grieche wieder mal übertrieben. Morgen ist die Sache wieder vergessen.«

»Der Zwiebelrostbraten hat wirklich sehr gut geschmeckt«, sagte Frank. »Loben Sie den Koch, er hat es sich verdient.«

»Ich werd’s ihm ausrichten. Er freut sich immer, wenn die Gäste zufrieden sind«, antwortete Andre Kalter.

Sie verabschiedeten sich alle voneinander, was nochmals eine gefühlte Ewigkeit in Anspruch nahm, und fuhren dann ein jeder in sein Domizil.

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