Der eigen-sinnige Mensch - eBook

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Untersuchungen bei Menschen mit Panikattacken brachten Hinweise, dass weniger die Areale von Hippocampus und Amygdala als vielmehr die des Großhirns als Ausdruck von unbewussten Erwartungsängsten aktiviert werden, die mit Vermeidungsreaktionen verbunden sind. Bei sensibleren Menschen kann Angstschweiß Erwartungsängste verstärken und somit zur weiteren Entwicklung von Angststörungen beitragen.

Körpereigene Lockstoffe

»Denn der Duft war ein Bruder des Atems. Mit ihm ging er in die Menschen ein, sie konnten sich seiner nicht erwehren, wenn sie leben wollten. Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ans Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass. Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen«, heißt es in Patrick Süskinds Roman Das Parfum.

Tiere markieren während der Brunst ihre Territorien. Sie haben eine feine Nase für eventuell trächtige Partnerinnen. Ausdünstungen geschlechtsreifer Weibchen setzen chemische Signale ihrer Fruchtbarkeit frei. Der Mensch, als weitgehend enthaarter, »nackter Affe« (Desmond Morris), besitzt mehr Duftdrüsen als alle anderen Primaten. Sein Geruchssinn spielt eine wichtige Rolle in der Sexualität und der Partnerwahl. Durch die Entdeckung der Pheromone (Kofferwort aus altgriech. »phérein«, tragen und Hormon) konnten informationsübertragende Duftstoffe nachgewiesen werden. Ob und wie sehr diese die Aufmerksamkeit und die Erregung bei der sexuellen Partnerwahl beeinflussen, ist beim Menschen noch nicht abschließend geklärt. Allerdings wird nachweislich durch sexuelle Erregung die Durchblutung der Nasenschleimhäute deutlich gesteigert.

Einiges deutet darauf hin, dass Duftrezeptoren den Frauen dabei helfen könnten, spezifische Aspekte des Immunsystems ihrer potenziellen Partner für Schwangerschaften zu erkennen. Wenn Immunsysteme der Geschlechtspartner unterschiedliche Qualitäten haben, besteht eine größere evolutionäre Wahrscheinlichkeit für widerstandsfähigen Nachwuchs. Forschungen konnten nachweisen, dass sowohl auf der Oberfläche der Spermien als auch der Eizellen Duftrezeptoren vorhanden sind, die einen spezifischen Duft erkennen.

Öffentliche Hygiene zur Beseitigung des »gemeinen Gestanks«

Kein anderer Sinn hat im Laufe der Zeit so unterschiedliche soziale und kulturelle Bewertungen erfahren wie der Geruchssinn. Der Begriff Geruch verweist ursprünglich auf Rauch, der infolge von Wärme nach oben steigt. Besondere Düfte waren früher religiösen und spirituellen Ritualen vorbehalten und wurden bei Rauchopfern verwendet. Wohlgerüche waren ein Privileg der Herrschenden. Königinnen und Könige, Athleten und Ritter parfümierten sich. Napoleon parfümierte auf seinen Feldzügen sein Zelt mit Veilchenduft. Weihrauch und Myrrhe waren begleitende Duftnoten des Christentums. Die Reformation schaffte diese Düfte im religiösen Raum weitgehend ab (Dianne Ackermann).

Im Mittelalter waren Düfte auch eine Frage von Moral und Unmoral. In den damaligen Badehäusern herrschten Gerüche der »gemeinsamen« Nacktheit, und diese bargen Verführungsgefahren.

Der französische Soziologe Alain Corbin hat die Polarität von Duft und Gestank in seinem Buch Pesthauch und Blütenduft anhand der Entwicklung im städtischen Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts beschrieben. Der Geruchssinn wurde dort zunehmend zum feinen »Messinstrument« für Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten. In den heftigen Ausdünstungen im städtischen Leben wurden potenzielle Ansteckungsstoffe für Krankheiten vermutet. Die Luft galt als »Träger, Beförderungsmittel und Behälter« für solche Keime. Im öffentlichen Raum wurden mit Fäkalien vollgesogene Böden, die Saugfähigkeit der Gebäude und Möbel, die stinkenden Flüsse und Sümpfe ebenso wie Friedhöfe immer besorgniserregender. Gerüche von Zerfall, Gärung und Fäulnis – kurzum das Übelriechende – erregten zunehmende Aufmerksamkeit von Ärzten und Behörden.

Diese versuchten, gegen diese Missstände eine bessere öffentliche Hygiene zu organisieren. Ärzte untersuchten die Patienten nach einem vorgeschriebenen Geruchskalkül und prüften, welche Geruchsabweichungen auf charakteristische Krankheiten hinweisen könnten. Insbesondere Institutionen wie Hospitäler, Gefängnisse, Kasernen, Kirchen oder Theatersäle wurden auf Gerüche untersucht, aber auch größere Schiffe. Durch das Pflastern von Straßen, das Befestigen von Flussufern und besseres Entwässern der Straßen wurde eine zunehmende Desodorierung des öffentlichen Raums angestrebt. Es wurden neue Techniken der Belüftung von Stadtvierteln und Armenwohnungen entwickelt. Gerüche waren eine Frage der sozialen und moralischen Unterscheidung.

Die Körper der Menschen mit ihrem spezifischen Atemgeruch sowie die Ausdünstungen ihrer Haut und Kleidung erfuhren verstärkt Aufmerksamkeit durch die Gesundheitsbehörden. In wohlhabenderen Schichten versuchte man, schlechter, »mephistischer« Luft durch heilsame Aromen beizukommen und setzte auf Wohlgerüche zur Erquickung und Stärkung. Der »aromatisierte Mensch« sollte durch Riechkissen und Kräuterverbrennungen gesunden und aufgeheitert werden. Sowohl durch die Nase eingeatmet als auch bisweilen auf obskure Weise, etwa durch die Vagina, in den Körper hineingeblasen, sollten sie stärken und bei Frauen den Uterus wieder an die richtige Stelle bringen. Für besser gestellte Bürger waren »Luftkuren« in den Bergen eine Möglichkeit, dem städtischen Gestank der Armen in der Ebene zu entfliehen.

Denjenigen, die mit Muskelkraft arbeiten mussten, wurde nachgesagt, dass sie »im Schweiße ihres Angesichts« nur vermindert sensible Nasen haben könnten. Der muffigen Luft ihrer Behausungen wurde der »hygienische Kampf« angesagt, insbesondere den Miasmen ihrer Schlafräume. Belüften, Ausklopfen oder das Verrücken von Möbeln waren probate Mittel.

All diese Entwicklungen führten zur stärkeren »Desodorierung« jeglichen sozialen Kontakts. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsversorgung war die radikale Verbesserung der städtischen Hygiene ein sehr sinnvolles Unterfangen. Im England des 19. Jahrhunderts war die Arbeit des Sozialreformers Edward Chadwick prägend für die Sanierung der Abwasserkanäle, die Luftverbesserung und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Zugleich wurden diese hygienischen Reformen von religiösen Kräften zur moralischen Säuberung von Trunksucht, Gewalt und Unzucht genutzt. Nüchternheit, Mäßigung, Sauberkeit, Sparsamkeit und Anstand wurden als moralische Mittel gegen den unmoralischen »Gestank« der Armenviertel gepredigt. Die Entsorgung und Entfernung von Tierdung und Kadavern aus den Straßen, Latrinen und Toiletten, öffentliche Wasch- und Badeanstalten, der regelmäßige Gebrauch von gut riechenden und billig parfümierten Seifen gehörten seit Mitte des 19. Jahrhundert zum hygienischen Standard. Die Entdeckung der »Keimtheorie« von Bakterien als Krankheitsauslöser und die Einführung von Wasch- und Desinfektionsmöglichkeiten etwa in der Geburtshilfe durch Ignaz Semmelweis waren weitere Schritte zur Verbesserung der Krankheitsvermeidung durch bessere Hygiene.

In Deutschland wurden klare Luft und kaltes Wasser verstärkt von Pfarrer Sebastian Kneipp propagiert. Andere Methoden der Naturheilkunde, Lichtbäder, Vegetarismus, Gymnastik und Körperkultur ergänzten die Ideale der prophylaktischen Sauberkeit und sozialen Hygiene.

»Zivilisation ist Sterilisation« (Aldous Huxley)

Sogar noch 1937 schrieb George Orwell in seinem Buch Der Weg nach Wigan Pier, dass das wirkliche Geheimnis der Klassenunterschiede im Westen sich knapp zusammenfassen ließe: »Die unteren Schichten riechen schlecht.« Und er führte aus: »Kein Gefühl der Ab- oder Zuneigung ist so tiefsitzend wie ein körperliches Gefühl. Rassenhass, unterschiedliche Erziehung, Temperamente oder Verstand, sogar die Unterschiede in den Moralvorstellungen, können überwunden werden, aber körperlicher Widerwille nicht.« Selbst nach der allgemeinen Verbesserung der Hygiene hielt sich dieses Klassenvorurteil weiter.

In ähnlicher Weise wurde dieses Geruchsvorurteil gegenüber der schwarzen Bevölkerung der USA gepflegt. Wenn die Behauptung des schlechten Geruchs nur oft genug wiederholt wurde, so die Kulturanthropologin Constance Classen, dann führte diese schließlich dazu, dass die Betroffenen dies selbst glaubten und versuchten, ihr von den Weißen behauptetes negatives »Geruchsbild« durch Deodorants und Parfüms zu überdecken.

Körpergeruch wird heute meist als peinlich wahrgenommen. Seine Auslöschung durch Körperhygiene, Seifen, Shampoos, Parfüms und Geruchsstoffe in den Textilien wird sozial gefordert. Dies überlagert die Duftnote eines jeden Menschen bis zur Unkenntlichkeit, und dies erschwert den Nutzen des Geruchssinns in Medizin und Heilkunde.

Der moderne, »hygienische Körper« kann bisweilen Ausgangspunkt für Geruchsneurosen werden. Bei einigen Menschen kann die Angst vor dem eigenen Körpergeruch zur »Autodysmorphie« führen, die einen stark überhöhten Reinlichkeitsdruck bis hin zum Waschzwang fördert.

Der Umgang mit Gerüchen und Ekelgefühlen in der Heilkunde

Mögliche Verbindungen zwischen Geruch und Krankheiten haben Ärzte schon immer beobachtet. So waren spezifische Ausdünstungen von Diabetes mellitus, Leberkrankheiten oder Gicht schon lange bekannt. Nachdem Geruchsdiagnostik bei modernen Ärzten lange als »primitiv« in Misskredit geraten ist, zeigt sich seit einigen Jahren ein erneutes Interesse an ihrem möglichen diagnostischen Wert.

Ärzte werden geschult, ihre Ekelgefühle vor Gestank zu ignorieren und zu unterdrücken. Während meiner ärztlichen Ausbildung habe ich lernen müssen, ekelerregende Gerüche von Urin, Stuhl, Eiter, Blut und Schmutz zu ertragen. Ärzte, Kranken- und Altenpflegepersonal sind in gewisser Hinsicht »Ekel-Profis«. Es gibt Abstufungen der Ekelschwellen, an die man sich »gewöhnen« kann. Ekelgefühle und schwer erträgliche Gerüche werden kaum thematisiert. Fast scheint es ein gewisses Ekelverbot zu geben. Schließlich seien diese Berufe, so wird betont, nichts »für schwache Nerven«. Der Umgang mit Faulem, Verwesendem sowie körperlichen Ausscheidungen aller Art gehöre zum Beruf dazu.

 

Desodorierung, Desinfektion, Kontaktscheu, Kontaktängste, Hand- und Mundschutz, Plastikschürzen, Schutzbrillen, Versachlichungen und Objektivierung von Patienten und Verrichtungen, Waschpflicht bis hin zum Waschzwang, Verdrängung und schwarzer Humor sind darum ständige Begleiter in den Kranken- und Pflegeinrichtungen. »Wo der Pfleger sich nicht ekeln darf, darf der Patient sich nicht schämen«, schreibt Christine Pernlochner-Kügler. In Heil- und Pflegeberufen sollte diese Thematik nicht tabuisiert oder verschwiegen, sondern behutsam gelehrt werden.

Riechen – eine neue Diagnosemöglichkeit?

Geruchsreize können die Aktivitäten des Nervensystems von anderen Menschen und deren Verhaltensweisen beeinflussen. Gerüche von erkrankten Körpern lösen andere Reaktionen im menschlichen Gehirn des Gegenübers aus als gesunde Körper. Wir wissen heute, dass jede Körperzelle in Form von MHC-Molekülen (MHC, engl. »major histocompatibility complex«, Haupthistokompatibilitätskomplex), typische Erkennungszeichen hat, durch die Informationen über ihre Proteinbestandteile an die Oberfläche gelangen. So spricht man zum Beispiel vom »Geruch des Immunsystems«. Im Krankheitsfall scheiden die Zellen Zytokine aus, also Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren und den Körpergeruch eines kranken Menschen typisch verändern.

Das Geruchssystem erfährt intensives Interesse durch Forschungen, die zeigen, dass auf bestimmte Gerüche konditionierte Tiere mit erstaunlicher Sicherheit in der Lage sind, subtile Ausdünstungen in Blut, Urin oder Atem zu identifizieren, die beispielsweise auf Krebserkrankungen (Lungen-, Brust-, Ovarial- oder Dickdarmkrebs) hinweisen. Ähnliches gilt für Asthma, Diabetes mellitus oder Tuberkulose.

In der Forschung wird fieberhaft an der Entwicklung von »elektronischen Nasen« gearbeitet, die mittels Sensoren und künstlicher Intelligenz spezifische Moleküle in der Atemluft und in Körperflüssigkeiten identifizieren und mögliche Vorstufen von Krebs oder anderen Krankheiten entdecken könnten. Diese Aufgabe erfordert jedoch das Ausfiltern von anderen Duftmolekülen der umgebenden Luft, um Fehler auszuschließen. Inzwischen werden große Versuchsreihen von Gesundheitsinstitutionen rund um den Globus und von privaten Gesellschaften angestellt. Nach Ansicht von Experten könnten solche »künstlichen Nasen« in etwa fünf Jahren für den klinischen Einsatz bereitstehen.

Aromatherapien

Im Rahmen von psychotherapeutischen Behandlungen können Gerüche gezielt helfen, frühere Situationen wachzurufen, um diese besser verarbeiten zu können. Es werden Duftaversionen und Duftvorlieben untersucht, Düfte können gezielt zur Angst- und Depressionslinderung beitragen.


Der Geruch: Gemälde von Peter Paul Rubens (Figuren) und Jan Brueghel d. Ä. (Landschaft und Tiere).

Der französische Philosoph Voltaire merkte einmal an, dass die beste Medizin diejenige sei, die ein starkes Aroma ausströme. Schon in der frühen ägyptischen Medizin, später bei den Griechen und Römern oder in der mittelalterlichen arabischen Medizin wurden pflanzliche Essenzen und Öle zur Heilung oder Gesundheitsverbesserung breit angewendet. Neben ihren angenehmen und der Förderung des Wohlbefindens dienenden Funktionen hatten manche Substanzen der Aromatherapie desinfizierende, entkrampfende oder psychologisch stabilisierende Wirkungen. In der Säftelehre der Griechen und des Mittelalters wurden sie zur Regulierung und Mobilsierung von »Lebens- und Naturkräften« verwendet. Sie sollten etwa dazu dienen, das Herz und die Lunge zu kräftigen, Bauchkrämpfe zu lösen oder Verletzungen und Wunden zu reinigen und heilen.

Heute wissen wir, dass Aromatherapien nachweislich Einfluss auf das Herz-Kreislaufsystem, den Blutdruck, die Atmung und das Gedächtnis, das Stressniveau oder die Hormone haben. Sie können Schmerzen und Übelkeit ebenso positiv beeinflussen wie Ängste oder Niedergeschlagenheit, Menstruationsprobleme oder Schlafstörungen.

In alternativen oder komplementären Heilverfahren ebenso wie im Wellnessbereich werden Aromatherapien heute zur Stärkung des Wohlbefindens verwendet, aber auch als therapeutische Unterstützung verwendet. Sie finden als Hautcremes, Öle, Duftessenzen in Verdunstern oder offenen Behältern eine breite Anwendung.

»Duftmarken« im Warenverkehr

Duftstoffe in Parfüms und Kosmetika gehören heute zur Betonung der persönlichen Duftnote im vermeintlich geruchsneutralen Alltag. Gerüche lassen sich bekanntlich nur schwer in angemessene eigene Worte fassen und werden meist bildreich umschrieben. Dies stellt für die Werbung von Parfüms und Duftstoffen eine Herausforderung dar. Um dieser zu begegnen, ist die Werbung auf Stilmittel der Bildersprache und der Provokation von Fantasien angewiesen. Beworben werden die Wirkung der Duftstoffe und die damit suggerierten, symbolischen »Images« und (Selbst-)Gefühle wie »Attraktivität«, Eleganz, Sex-Appeal und Coolness. Dabei haben sich seit den 1960er-Jahren die klassischen Geschlechtstypisierungen der Duftmarken immer mehr vermischt.

Die vermeintlich direkte Wirkung der Gerüche auf das Befinden und die Erinnerung der Menschen hat auch die gezielte Anwendung von Düften in öffentlichen Räumen befördert. Im Marketing von Shoppingmalls und Hoteldesignern macht sich dies zunehmend bemerkbar. Es gilt dort, eine wohlriechende, angenehme und entspannte Atmosphäre zu schaffen (nach dem Motto: »Gefühle verkaufen sich«). Durch die Betonung von Gerüchen sollen Verbraucher enger an bestimmte Marken gebunden werden. Es gilt, die Überzeugungskraft des Duftes zu nutzen und bestimmte »Kosmologien« für die Gestaltung von Innenräumen zu nutzen. Geruchsmarketing ist meistens eine subtile Angelegenheit, die einerseits nicht aufdringlich erscheinen darf und andererseits wirksam sein soll. Zitronen- oder Tannengeruch sollen erfrischen und den Eindruck von natürlicher Sauberkeit und Gepflegtheit verstärken. Minze oder Lavendel sollen beruhigend auf die Kunden wirken. Aromen und Geruchsstoffe sollen die Kunden emotional mit Produkten und an Orten »verwöhnen«, damit sie sich letztlich an sie gewöhnen und sich dort »heimisch« fühlen.

Die Nase in den Wind halten

Vom scheinbar niederen, animalischen Sinn hat sich der Geruchssinn in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen in luftigere Höhen entwickelt. Er ist sozial aus der peinlichen Rolle des Gestanks befreit und desodoriert (»entrochen«) worden. Da Menschen ihren eigenen Körpergeruch kaum selbst wahrnehmen, hat man sie öffentlich, manchmal in geschickt beworbener Manipulation, darauf hingewiesen, dass andere sie riechen und dass ihre subtilen Ausdünstungen und Duftmarken erhebliche Auswirkungen auf ihre mögliche Attraktivität, Partnerwahl oder Berufsaussichten haben könnten.

Aus dieser allgemeinen Verunsicherung ist eine neue »aromatisierte Welt« entstanden, in der wir von früh bis spät synthetisierte Aromen schmecken und Düfte atmen, meist ohne die Vielfalt dieser Gerüche überhaupt noch wahrzunehmen.

Sich selber eine feine Nase, einen Sinn für die duftenden Sinnlichkeiten zu erhalten, jenseits des Desodorierens oder Überduftens von Um- und Mitweltgestank, kann Freude und neue Erkenntnisse schenken.

HÖREN –

Was uns zu Ohren kommt

Höre geduldig den an, der mit dir spricht, und beeile dich nicht, ihn zu unterbrechen. Man fängt keine Unterhaltungen mit Antworten an.

Tausendundeine Nacht

Kinder lauschen öfters ungefragt oder ungewollt Gesprächen und Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern. Auch wenn sie dabei häufig nichts verstehen, so kann das Gehörte sie in ihrer ganzen Existenz bewegen. Es versetzt sie in Anspannung oder Alarm, lässt ihren Atem stocken und ihr Herz laut klopfen. Es ist die »Musik der Sprache« die sie berührt, nicht deren wörtlicher Inhalt.

Reisen in fremde Länder können ähnliche Hörabenteuer mit sich bringen. Manchmal erschließen sich Bedeutungen einer Fremdsprache durch den Klang ihrer Sprachmelodie. Man kann zwar »kein Wort verstehen«, spürt aber dennoch, ob diese unbekannten Menschen es freundlich meinen, oder ob sie ablehnend und aggressiv gestimmt sind. Wir können »ohne Worte« Sehnsucht im portugiesischen Fado-Gesang, Eifersucht im spanischen Flamenco-Lied, Melancholie im argentinischen Tango oder Verzweiflung im Blues oder Gospelgesang der Afroamerikaner erkennen.

Geräusche der Natur wie das Säuseln oder Tosen des Windes, die Stille einer Landschaft, das Rauschen und Plätschern des Wassers, das Tröpfeln oder Prasseln des Regens, das Grollen und Krachen des Gewitters breiten einen eigenen »Klangteppich« aus.

Jedes Frühjahr vernehmen wir das Konzert der Singvögel. Sie zwitschern, trillern, pfeifen und piepsen in unterschiedlichen Melodien, um potenzielle Partnerinnen anzulocken oder ihre Brutplätze zu verteidigen. Ihre Schallwellen jagen mit mehr als 1000 Stundenkilometern durch die Luft und erlauben uns, die Positionen der Vögel zu orten. Andere Tiere können wir am Ton ihres Gebells, an der Art ihres Gackerns, an ihrem Schnurren oder Fauchen erkennen und reagieren darauf entsprechend.

Die meisten Geräusche, die wir im zivilisierten Alltag vernehmen, sind technischer Natur: die surrenden Geräusche der elektrischen Zahnbürste und des Rasierapparats, das Brodeln und Zischen der Kaffeemaschine, das Klappern des Geschirrs, die Motorengeräusche und automatischen Bahnsteigansagen, das Scheppern und Quietschen der Straßenbahn, die individualisierten Klingeltöne der Handys, die Endlosschleifen der Musik im Aufzug oder Supermarkt. In diesem täglichen Gemisch von Wohl- und Missklängen helfen uns unsere Ohren, zu unterscheiden und zu entscheiden, ob wir ihnen trauen können oder nicht.

Der Hörsinn

Die Naturwissenschaften untersuchen Anatomie und Physiologie des Ohrs als Sinnesorgan. Sie haben herausgefunden, dass wir nicht nur mit unseren Ohren, sondern auch mit unseren Knochen und in geringem Maße auch mit den Rezeptoren unserer Haut »hören«. Der Hörsinn gilt als Fernsinn, der uns die Orientierung in Raum und Zeit ermöglicht. Wir können mithilfe unserer Ohren Gefahren orten, das Echo von Landschaften und Objekten hören oder Entfernungen und Bewegungen von Geräuschquellen abschätzen.


René Magritte: Muschel in Gestalt eines Ohrs, 1952.

Das Ohr gehört zu den frühen Sinnesorganen der Lebewesen. Bereits Fische können hören. Sie benötigen dazu keine Ohrmuschel, sondern registrieren die Schallwellen des Wassers mittels einer speziellen Schwimmblase am Bauch. Als sich vor ca. 350 Millionen Jahren die ersten Tiere an Land begaben, benötigten sie ein anders gebautes Hörorgan, das die Schallwellen der Luft auf das mit Wasser gefüllte innere Ohr übertragen konnte. Ein einzelner, winziger Kieferknochen diente dazu, Luftschwingungen auf der Haut – sozusagen als erstem Trommelfell – auf das innere Sinnesempfinden zu übertragen. Es sollte noch weitere 150 Millionen Jahre dauern, bis sich Teile des Kiefergelenks zu feinen Gehörknöchelchen des Mittelohrs umwandelten. Diese wurden später aufgrund ihrer Form Hammer, Amboss und Steigbügel genannt. Zudem entwickelte sich die Ohrmuschel als Schalltrichter.

Die Auswertung von Schallwellen der Luft, der akustischen Signale sowie der Signale der weitergeleiten Vibrationen des Körpers (»Knochenleitung«) ist eine Sache des Gehirns. Hören hat eine wichtige Funktion für die Entwicklung des menschlichen Nervensystems.

Vor ca. 6 Millionen Jahren verfeinerte sich mit dem »aufrechten Gang« auch das innere Gleichgewichtssystem des Menschen. Dazu bildeten sich unter anderem das »Labyrinth« und die »Bogengänge« des Innenohrs aus, mit deren Hilfe die Balance stabilisiert werden kann.

Zuhören

Hören ist ein physiologisches Phänomen. Zuhören ist ein psychologischer Akt. Zuhören kann auf magische Weise Veränderungen bewirken. Dies erzählt der Kinderbuchautor Michael Ende in seinem Roman Momo:

 

»Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war das Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur recht wenige Menschen. Und so wie Momo sich aufs Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig.

Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte – nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm plötzlich Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose, unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden.«

Hinsichtlich der Sprache von Erwachsenen schrieb der französische Lyriker und Philosoph Paul Valery: »Würde man (in Worten) genau ausdrücken wollen, was man wahrnimmt, wäre man unverständlich.« Der Dichter Rainer Maria Rilke warnte: »Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus. (…) Ich will immer warnen und wehren, bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern.« Für Friedrich Nietzsche war das Hören eine entscheidende, fast musikalische Angelegenheit: »Die Dinge rühren unsere Saiten an, wir aber machen die Melodie daraus.« Der Chemiker und Wissenschaftsphilosoph Michael Polanyi sprach von stillschweigendem Wissen, das nicht an Worte gebunden sei.

Wenn man jemandem zuhört, ihm »sein Ohr schenkt« oder »sein Ohr leiht«, wie der Kabarettist Heinz Erhardt ulkte, dann kann man sein Gegenüber besser kennenlernen. Hören betrifft uns als ganze Menschen. Wir nehmen mit dem »körperlichen Ohr« Töne und mit dem »leiblichen Ohr« Schwingungen und Stimmungen wahr. Sie vermelden uns, ob etwas »stimmig« erscheint oder Übereinstimmungen da sind.

Zuhören versucht das anfangs Unklare, Verschwommene oder Stumme zu entschlüsseln, um das »Dahinterstehende, den »verborgenen Sinn« im Bewusstsein auftauchen zu lassen. Was jemand sagt, bringt möglicherweise auch verborgene Gedanken »zu Gehör«. Das Sinnesorgan Ohr allein versteht noch keine Worte. Dies geschieht erst durch Vergleiche und Bewertungen des Gehörten im Kopf. Wir können nur »mit unseren eigenen Ohren« hören und übersetzen Gehörtes in unsere Vorstellungen und »Einsichten«. Wir entwickeln »geistige Bilder« und Fantasien über das, was wir hören. Solche »Übersetzungen« bergen Unschärfe, Diskrepanzen, Fehler, Falschdeutungen und Missverständnisse in sich.

Was einmal gesagt wurde, lässt sich nicht mehr zurücknehmen. Man kann es nur durch weitere Worte ergänzen und zu erklären versuchen. Über eine gelingende Kommunikation entscheidet weniger, was jemand sagt, als das, was vom Gegenüber gehört wird. Wo dies vergessen wird, da können Gespräche leicht in »Wortgefechte« oder einen »Krieg von Worten« ausarten. »Wer wenig hört, hört immer einiges noch dazu«, schrieb Friedrich Nietzsche.

Zuhören und gehorchen weisen implizit auf eine Macht- und Autoritätsbeziehung hin. Zuhörer sind oft diejenigen, die auf andere »hören müssen«: Untergebene, Gläubige, Kinder, Schüler oder in manchen Kulturen auch Frauen. In diesen Zusammenhängen kann »nicht mehr zuhören wollen« ein Ausdruck von Rebellion, Verweigerung oder Emanzipation sein.

Jedes Gespräch ist ein »Geflecht von Vieldeutigkeit«. Ob ein Gespräch gelingt, hängt davon ab, ob Unterschiede gehört, anerkannt werden und sich klären lassen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, »sich von unerwarteten Antworten enttäuschen zu lassen« (Jaques Lacan), was bedeutet, dass man im Gespräch, ohne Misstrauen, auch dem »Unerhörten« lauscht und auf vorschnelle Deutlichkeit oder »Stimmigkeit« des Gesagten verzichtet.

In psychologischen Kommunikationstrainings wird auf die »vier Ohren des guten Zuhörens« verwiesen. Ein Ohr hört den »Sachinhalt« und ist mit Informationen, Daten und Fakten beschäftigt. Das »zweite Ohr« achtet auf mögliche Botschaften der »Selbstkundgabe« der Gegenüber, in denen diese etwas über ihre augenblickliche Stimmung mitteilen. Mit dem »dritten Ohr« vernimmt man mögliche »Beziehungsbotschaften«, also das, was die Gesprächspartner voneinander halten. Nicht zuletzt nimmt das »vierte Ohr« wahr, welchen (offenen oder verdeckten) »Appell« der Sender mit der Botschaft sendet, und was er damit bewirken oder »verändern« möchte, wie Larissa Stierlin und Friedemann Schulz von Thun dargelegt haben. Manchmal lohnt sich die Nachfrage: „»Ist es richtig, wenn ich verstanden habe, dass Sie gesagt haben, dass …?«

Metaphern des Hörens in der Alltagssprache

Können wir »unseren Ohren trauen«? Es »kommt uns etwas zu Ohren«, wir »bringen etwas zu Gehör«, wir »schenken jemandem Gehör«, wir »bitten um Gehör«.

Wir sagen, dass wir für jemanden ein »offenes Ohr« haben oder dass er bei uns auf »taube Ohren« stößt. Wir können »ganz Ohr sein«, unsere »Ohren auf etwas richten«, sie »auf Empfang stellen«, aber auch »mit halbem Ohr hinhören«, »auf Durchzug schalten«. Weghören, überhören, »sich die Ohren zuhalten«, »die Ohren verschließen«, »Bohnen oder Watte in den Ohren haben«, »auf seinen Ohren sitzen« – all das kann unser Hören beeinträchtigen.

Manchmal »säuseln« einem die Worte des/der anderen ums Ohr, wenn man »bis über beide Ohren verliebt« ist. Geheimnisse sind »nicht für jedermanns Ohren« bestimmt. Ähnlich wie Tiere bekommen wir dann »Ohren wie ein Luchs« oder »spitzen die Löffel«. Wenn wir etwas intensiv spüren, dann »klingeln uns die Ohren«. Bei starker Belastung kann uns »Hören und Sehen vergehen«, besonders wenn »man bis über beide Ohren« in einer Sache steckt oder »viel zu viel um die Ohren« hat. »Wer nicht hören will«, der muss fühlen. Manchmal halten wir tapfer »die Ohren steif«. Wer müde ist, der »legt sich aufs Ohr«.

Wer noch zu jung für etwas ist, der ist »noch nicht trocken hinter den Ohren« oder »noch grün hinter den Ohren«. Manches ist nichts für »zarte Ohren«. Wenn einem etwas nicht passt, dann »hört man auf diesem Ohr schlecht«. Falls etwas peinlich ist, dann können wir »bis über beide Ohren erröten«.

Wer gerissen ist, der hat es »faustdick hinter den Ohren« oder ist »schlitzohrig«. Wer betrügt, der »haut den anderen übers Ohr«. So einem möchte man eine »Ohrfeige« verpassen, »einen Satz heißer Ohren« bereiten oder die »Ohren lang ziehen«.

Wenn man eine Sache für wünschenswert, aber eher unwahrscheinlich hält, dann wünscht man »dein Wort in Gottes Ohr«. Sich erinnern bedeutet auch, dass man jemandes Worte »noch im Ohr hat«. Wenn man etwas nachdrücklich will, dann »liegt man jemandem dauernd in den Ohren«, oder man »setzt ihm einen Floh ins Ohr«. Wir sprechen von »Ohrensausen«. Wenn eine Musik einem nicht mehr aus dem Sinn geht, dann wird sie zum »Ohrwurm«. Ein verstimmtes Instrument »beleidigt die Ohren«.

Wenn sich »alles um einen dreht«, dann leidet man möglicherweise am Innenohr, das für unser Gleichgewicht und unsere Balance zuständig ist. Manchmal ist etwas »schwindelerregend«, man »verliert den Boden unter den Füßen«, bekommt einen »Drehwurm«, fühlt sich ganz flau. Ein anderes Mal droht »der ganze Schwindel« aufzufliegen.

Religiöse, philosophische und kulturelle Betonungen des Hörens

Frühe Kulturen waren »Hörkulturen«, in denen Mythen erzählt, gesungen und weitergegeben wurden. Mit einfachen Instrumenten wurden höhere Mächte und Götter angerufen und geweckt. Gesänge und Musik wurden mit dem ganzen Körper in Bewegung aufgenommen.

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