Heilung aus der Begegnung

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Die Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs

Wenn ich, zurückblickend auf die letzten Ausführungen, es nun unternehme, einige wesentliche Züge der Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs besonders ins Licht zu heben, so deshalb, weil sie zum kritischen Verständnis seiner Lehre und Therapie wesentlich beitragen. Dieses Unternehmen ist gewiss ein gewagtes, insofern als ich mich damit vor der Öffentlichkeit peinlichen Missverständnissen aussetze. Ich bin zu diesem Wagnis aber aus sachlichen Gründen herausgefordert, und es bleibt mir nur die Wahl, entweder durch Schweigen die Sache preiszugeben oder aber, um der Sache willen, die in diesem Falle sehr bedeutsame persönliche Seite auch zu besprechen.

Jungs schöpferische Leistungen im Gebiete der wissenschaftlichen Tiefenpsychologie, wir betonen es immer wieder, können wohl kaum hoch genug veranschlagt – sein Einfluss jedoch auf die praktische Psychotherapie nicht vorsichtig genug überprüft werden. Denn auch als Psychotherapeut war Jung vor allem Forscher. Das heißt: ihn interessierten bei der Neurosenbehandlung und -heilung mehr die objektivierbaren psychologischen Befunde als die konkreten Lebensschicksale der einzelnen Patienten. Mit dieser Aussage soll unterstrichen werden, dass die Grundtendenz seiner Therapie von der forscherischen Leidenschaft her bestimmt und geprägt wurde, und dass von daher seine Behandlungsmethode in ihrer Struktur einen eigenartig objektiven und unpersönlichen Charakter hat. Von diesem unpersönlichen Charakter seiner Behandlungsmethode wird zunächst weniger das Arzt-Patientenverhältnis als solches betroffen – betroffen wird vielmehr vor allen Dingen das Verhältnis des Patienten zu sich selbst.8

Hierzu einige Erläuterungen: auf Grund seiner Konzeption des Kollektiven Unbewussten konstelliert Jung im Patienten ein »Objektiv-Psychisches«, zu welchem dieser in bewusste, also wesentlich psychologische Beziehung treten soll. Der Analysand, der als »Ich« angesprochen und damit auf sein peripheres Ichbewusstsein reduziert wird, sieht sich in diesem introversiven Heilverfahren einer autonomen Psyche gegenüber, die zwar de facto seine Psyche ist, ihm -aber noch als einzigartige Möglichkeit gegenübersteht, mit dem Anspruch, dass er in ihrem virtuellen Mittelpunkt – bildhaft ausgeprägt im Mandala – sich selbst suche und auf ihn hin sich selbst realisiere. Das methodisch erstrebte Endziel dieses introversiven Realisierungsprozesses – des »Individuationsprozesses« – ist der »in sich selbst« geschlossene, individualisierte Mensch.

Auf diesen typischen Entwicklungsprozess, der sich jeweils individuell modifiziert, kommt es der Jungschen Therapie wesentlich an. Gewinnt der Patient im konsequenten Fortschreiten des tiefenpsychologischen Erkenntnis- und Integrationsprozesses seine »Individualität« zu eigen, dann ist er zu sich selbst heimgekehrt: er hat sich aus den schicksalhaften Verstrickungen mit der realen Welt innerlich befreit und verfällt nicht mehr der weltläufigen Tendenz seiner Ichfunktion. Indem er sich auf diesem introversiven Weg zu einem eigenständigen psychischen Kosmos ausbildet, wird er gleichsam zum mikrokosmischen Gegenspieler des Makrokosmos der Welt. Und so wird diese Welt, in ihrer abgehobenen Anderheit, seiner Selbstmächtigkeit ein Mittel zum Zweck der seelischen Bereicherung und Vervollkommnung.

Von meiner eigenen ärztlichen Erfahrung her glaubte ich bis vor kurzem, dass diese introversive Selbstrealisierung Jungs als erstes Stadium im Gesamtheilungsprozess der Neurose aufgefasst und beibehalten werden dürfe, sofern sich daran, als zweites Stadium, das der Wiederherstellung der »konkreten Weltbegegnung« anschließt.9 Auf die Aussichtslosigkeit dieses Versuchs, seine Heilungsmethode festzuhalten und weiterzuentwickeln, hat mich dann aber Jung selber aufmerksam gemacht. Er ließ mich wissen, dass für das Selbst, zu dem die Individuation im Sinne seiner Lehre hinführe, kein Weg zur Welt mehr gesucht werden müsse, weil in diesem Begriff des Selbst die Beziehung zur Welt schon eingeschlossen sei. Dieser Hinweis, der Jungs Missverständnis der ganzen Problemstellung mir erst völlig deutlich machte, gab für mich den Anstoß zur weiteren Vertiefung in Theorie und Praxis der Komplexen Psychologie.

So weiß ich jetzt endgültig, dass mein Aspekt der partnerischen Begegnung von Arzt und Patient, die ich nicht als Mittel zur »introversiven« Individuation des Patienten, sondern als entscheidenden ersten Ansatz zur neuen Weltbegegnung bewerte, sich nimmermehr mit der therapeutischen Zielsetzung Jungs vereinbaren lässt. Denn in Jungs Individuationsprozess empfängt der Mensch seine wesentliche Bestimmung nicht in der Begegnungsfähigkeit und Begegnungsbereitschaft zur Welt hin, sondern in der innerpsychischen Begegnung des »Ich« mit den Schichten des Unbewussten, in welcher Begegnung erst das Selbst wird und auch erst in Erscheinung tritt. Jung sucht also, wie wir es darstellten, die wesentliche Bestimmung des Menschen letztlich im Prozess des psychologischen Selbstbezugs.

Wenn ich so Jungs introversive Individuation als einen Abweg vom eigentlichen Heilungsziel ansehen muss und sie deshalb für die praktische Psychotherapie nun mehr grundsätzlich in Frage stelle, müssen wir aber die Art seines personalen Einsatzes für sein Werk als beispielhaft bezeichnen. Jung hat sich für seine Forschung nicht nur im üblichen Sinne ganz eingesetzt, sondern er hat sich selbst als den weltbezogenen Begegnungspartner gewissermaßen »aus der Welt geschafft« und auf Lebzeiten in den Forschungsbereich der Seele, ja in deren kollektiv-unbewusste Tiefen verbannt. Auf Grund dieser Richtungswahl und im existenziellen Vollzug derselben hat er sich systematisch zum Psychologen ausgebildet und hat so jene Fülle der seelisch immanenten »Welt« und ihrer Prozesse entdeckt, die sich in der Lehre seiner Komplexen Psychologie niederschlug.

Das Entscheidende an diesem Vollzug ist hier nicht, dass Jung sich als Forscher der unbewussten Tiefe der Seele zugewendet und sie ausgelotet hat – das haben andere auch getan, und darin wäre er nur einer der großen Entdecker und Meister. Ausschlaggebend ist, dass Jung es offensichtlich unternommen hat, sich selbst im introversiven Prozess existentiell zu verwirklichen und dann, darüber hinausgehend, diesen seinen Weg der Selbstverwirklichung in Lehre und Praxis zum allgemeinen Heilziel erhob.

Für den Psychologen, der sich selbst versteht, dürften Forschung und Existenz nicht derart eine unzertrennliche Einheit sein. Jung, der so gerne den rein wissenschaftlichen Charakter seiner Lehre betont, sollte die Grenzen aller Wissenschaft nicht aus dem Wege verlieren. Bliebe er sich ihrer ganz bewusst, dann dürfte seine Psychologie meines Erachtens weit zurückhaltender sein, als sie es tatsächlich ist. Hier aber wurde ein psychologisches System über seinen partiellen Geltungsbereich hinaus zum Ausdruck einer vorbildlich sein wollenden Existenzhaltung und erhob den Anspruch, als Weltanschauung entweder total angenommen oder abgelehnt zu werden. Jungs Lehre in ihrem Ganzheitsanspruch annehmen heißt sodann: seine existenziell gewollte introvertierte Haltung der Weltabkehr und des psychologischen Selbstbezugs sich zu Eigen machen und beides an sich selbst und an anderen als verpflichtendes Lebensbeispiel wiederholen.

Der Kampf, in den ich mich seit Jahren hineingezwungen sah, hat sich so zu richten – muss es ausdrücklich betont werden? – nicht gegen C. G. Jung im engeren Sinne seines persönlichen Lebens, sondern eben gegen jenen Anspruch auf totale Nachfolge, der in seiner Forscherpersönlichkeit mitgesetzt ist und der als solcher über alle rein sachlichen Belange hinausreicht. Mein Kampf gilt dem in Jungs Persönlichkeit verführerisch auftretenden Vorbild einer introvertiert-gnostischen Grundhaltung, die dann zugleich therapeutische Zielsetzung ist. Das, was an dieser »Symbiose« Irrtum und Fehlweg ist, musste zur Diskussion gestellt werden.

*

Worauf es uns ankommt – gegenüber der introspektiven Forschung Jungs mit all ihren mannigfaltigen Ergebnissen –, ist das Folgende. Im Prozess seiner »Individuation« erfasst Jung die geheimen Wirk- und Ausdrucksbereiche der Seele, deren souveräner Herrscher das menschliche Selbst ist. Dieses Selbst, auf das Jungs Ergründung des »Unbewussten« zuletzt gerichtet ist, soll nichts Fiktives, nicht ein »Als-Ob« sein – gemeint ist ein wirklich Seiendes. Dieses Selbst, das gemeint ist, aber hat – so überraschend und verwunderlich dies zunächst auch sein mag – seinen »Ort« in gewissem Sinne nicht in der Psyche. In der Nachfolge Jungs sehen wir uns genötigt, es eben hier, in der Psyche, zu suchen und wieder zu suchen – bis wir erkennen und innewerden, dass es nicht hier, sondern drüben – im »Metapsychischen« existiert und zu finden ist.

Das lebendige personale Selbst des Menschen lernen wir in seiner metapsychischen Qualität erst wahrhaft kennen im dialogisch konstellierten ereignishaften Geschehen partnerischer Begegnung: von Mensch zu Gott, von Mensch zu Mensch, von Mensch zum Weltkonkretum. Denn nur in solch »transzendierender« Begegnung bezeugt es sich in seiner wahren Existenz – offenbart es sich als das wirklich Seiende, das es ist.

Im Hinblick auf seine Bemühungen, die Existenzmitte des Menschen, sein lebendiges Selbst, als zentralen Archetypus objektiv psychologisch zu erfassen, ist Jungs ganzes Forscherleben ein großangelegtes Abenteuer, gleichsam eine einzige endlose Entdeckungsfahrt ins Reich der ewig unbewussten »Psyche« und darüber hinaus. In unermüdlicher Kleinarbeit mit seinen Patienten und an sich selbst und an Hand eines universellen geistesgeschichtlichen Vergleichsmaterials hat Jung empirisch und dokumentarisch nachgewiesen, dass der Mensch in sich fähig und mächtig ist, aus den urbildhaft aufleuchtenden Elementen seiner Seele eine selbsteigene Welt zu imaginieren und diese »Welt« als mythisch-mystische Schöpfung gegen die »extravertierten« Bereiche des menschlichen Lebens abzutrennen, sie autark auszubauen und machtvoll zu entfalten.

 

Diese Entdeckungsfahrt und diese Schöpfung: das ist die zugleich bedeutende und betörende Leistung C. G. Jungs.

*

Im Nachwort zu seinem Eranosvortrag 1946 zitiert Jung eine Briefstelle des Physikers W. Pauli: »Es ist der freien Wahl des Beobachters und Experimentators überlassen, welche Kenntnisse er gewinnen und welche er einbüßen will – oder, populär ausgedrückt, ob er A messen und B ruinieren, oder ob er A ruinieren und B messen will. Es ist ihm aber nicht anheimgestellt, nur Kenntnisse zu gewinnen, ohne auch welche zu verlieren.«

Im Lichte dieses instruktiven Ausspruchs Paulis dürfen wir es auszusprechen wagen, dass Jungs Persönlichkeit mitsamt seinem Lebenswerk in eben dieser Tragik steht: hier entschwand dem erkennenden Blick eines Forschers – um der wissenschaftlichen Leistung willen, die sich introspektivpsychologisch vollzog – jene andere äußere Welt mitmenschlichen Daseins, in der sich uns die erweckende Kraft partnerischer Begegnung kundtut oder versagt, versagt und zugleich kundtut, und die eben darum der uns schicksalhaft zubestimmte Ort wirklicher Selbstbewährung und Heilung ist.

So fand ich es an der Zeit, den geheimen Entwicklungsgang der Komplexen Psychologie bis zu ihrem Ursprung – bis zu jenem geheimen Punkt existenzieller personhafter Entscheidung – aufzudecken und darzulegen: um wichtige Folgerungen, die sich daraus ergeben, darzutun.

2. Psychologie und Anthropologie in der therapeutischen Situation

Der Mensch als Forschungsgegenstand und der Mensch als Freiheit werden uns aus radikal verschiedenen Quellen gewiss. Jener wird Wissensinhalt, dieser ein Grundzug unseres Glaubens. Wenn aber Freiheit ihrerseits zum Wissensinhalt und Forschungsgegenstand werden soll, so entsteht sogleich eine besondere Form des Aberglaubens. Der Glaube findet sich auf demWeg der Freiheit, die nicht absolute und leere Freiheit ist, sondern sich erfährt als Möglichkeit des Sichausbleibens und Sichgeschenktwerdens. Durch Freiheit erreiche ich zwar einen Punkt der Unabhängigkeit von aller Welt, aber gerade durch das Bewußtsein der radikalen Gebundenheit an Transzendenz. Denn ich bin nicht durch mich selbst. Der Aberglaube dagegen entsteht auf dem Wege über das Objekt, über ein Etwas als Inhalt des Glaubens, so auch über ein vermeintliches Wissen von Freiheit.

(Karl Jaspers)

Zur theoretischen Einführung

Die psychologische Analyse, der ich am Ende des ersten Teils unserer Betrachtungen die Forscherpersönlichkeit C. G. Jungs unterwarf, entsprang nicht primär irgendeinem psychologischen Interesse, sondern sie diente unserem besonderen Anliegen: einer anthropologischen Orientierung der Psychotherapie die Wege zu bahnen.

Aus der vorgenommenen Persönlichkeitsanalyse ergab sich, dass in Jungs Komplexer Psychologie zwei ganz verschiedene Bedeutungsansprüche zur Einheit verschmolzen sind. Wir wollen in diesem Teil nun versuchen, die diesen Ansprüchen zugrunde liegenden Positionen vom »anthropologischen« Standpunkt aus kritisch zu beleuchten, um sie auf ihre Geltungsbereiche zu reduzieren und so in ihrem Überanspruch durchsichtig zu machen.

Die erste der beiden Positionen betrifft Jungs Grundauffassung vom Menschen. Diese enthüllte sich uns als eine introvertiert-gnostische. Sie nimmt den Menschen, mit dem Blick nach innen, als einen in sich geschlossenen Kosmos und schränkt ihn damit wesentlich ein auf sein Verhältnis zu sich selbst. Diese gnostische Auffassung vom Menschen bildet den verschwiegenen Hintergrund der Jungschen Lehre. Offen im Vordergrund präsentiert sich uns die zweite Position: die für Jung charakteristische und wichtige methodologische Behandlung des Kosmos »Mensch«.

Auf Grund seiner Auffassung, dass dieser von ihm ins Auge gefasste menschliche Mikrokosmos wesenhaft identisch sei mit der Einheit der »Psyche«, glaubt Jung das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Welt primär psychologisch erfassen, interpretieren und behandeln zu können. Hier ist die Wurzel dessen, was Jungs Kritiker seinen »Immanenzstandpunkt« nannten.

Jungs psychologische Methodologie bescheidet sich aber nicht dabei, wissenschaftliche Teilhaltung zu sein. Sie ist mehr: nämlich Ausdruck seiner existenziell vollzogenen Richtungswahl mit weltanschaulichem Totalanspruch. Sein introversiver Formwille, der personal ganzheitlich begründet ist, prägt sich in der Eigenart seines Lebenswerkes eindeutig und machtvoll aus. Und so stellt seine Lehre, die Komplexe Psychologie, eine unteilbare Einheit von wissenschaftlicher Forschungsweise, ärztlicher Heilkunst und gnostischer Weltanschauung von quasi »religiösem« Rang dar. Auf diese problematische Vermengung so heterogener Elemente will meine Darstellung nachdrücklich aufmerksam machen.

Jungs Komplexe Psychologie ist also, in unserer Beleuchtung gesehen, weit mehr als nur »Psychologie«. Sie ist aus existenzieller Entscheidung hervorgegangene Weltanschauung – seine Weltanschauung. Als solche hat sie ihren Schwerpunkt in einer Totalauffassung vom Menschen und ist daher Anthropologie. Indem sie aber ausschließlich psychologisch vorgeht, das heißt den Menschen ganzheitlich von seiner Psyche her versteht und determiniert, erweist sie sich uns als eine psychologische Anthropologie.

Dieser psychologischen Anthropologie Jungs haben wir eine personalistisch orientierte anthropologische Psychologie gegenüberzustellen und wollen diese Gegenüberstellung sogleich begründen.

Zum Unterschied von Jung gehen wir von der Erwartung aus, dass der Schlüssel zum zentralen und ganzheitlichen Verständnis des Menschen in seinem partnerischen Verhältnis zum Gegenüber zu finden sei: nämlich dass der Mensch nur zu sich selbst kommt und er selbst wird, insofern als er von einer transzendenten Stelle her angerufen ist und darauf antwortet. In Anruf und Antwort wird seine Personenmitte, die wir – in anderer Verwendung des Terminus als bei Jung – als »Selbst« bezeichnen, aktualisiert, und erst in dieser Aktualität des Selbst verwirklicht er, der Mensch, seine »Individuation«. Damit wollen wir hervorheben, dass das menschliche Selbst wesentlich auf Begegnung und Begegnungserschließung angelegt und so personal bestimmt ist.

Mit unserer personalistisch gekennzeichneten anthropologischen Auffassung glauben wir unsererseits einen die psychologische Sphäre transzendierenden Grund- und Gesamtaspekt des Menschen vermitteln zu können. Dieser Gesamtaspekt befasst auch die psychologische Erkenntnisweise in sich, ordnet sie aber dem Menschenverständnis vom partnerischen Weltverhältnis her ein und setzt ihr dadurch ihre Grenzen. In diesem Sinne bezeichnen wir unsere Psychologie als eine anthropologische, nämlich als eine anthropologisch begründete.

Es ist also keine theoretische Wortfechterei aus polemischer Absicht, wenn ich der psychologischen Anthropologie Jungs eine anthropologische Psychologie entgegenstelle und von diesem komplementären Standpunkt aus es unternehme, die Jungsche Position zu würdigen, aber auch zu begrenzen.

Indem ich von »Anthropologie« im angedeuteten Sinne spreche, darf ich mich dankbar berufen auf namhafte Wegbereiter wie: Martin Buber, Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner, Jose Ortega y Gasset, Rudolf Pannwitz, Karl Jaspers, Viktor von Weizsäcker, Ludwig Binswanger, Ernst Michel, Eugen Rosenstock und – in gewissem Sinne als die Väter all dieser: auf Blaise Pascal und Sören Kierkegaard.

Freilich konnte ich von keinem dieser Denker die für mein spezifisches Anliegen schlüssigen Formeln fertig beziehen. Ihre Hilfe wurde für mich fruchtbar erst auf Grund meiner persönlichen Lebensauseinandersetzung mit C. G. Jung. In dieser Auseinandersetzung empfing ich die zwingenden Anstöße zur Suche, insbesondere den Hinweis auf die zentrale Bedeutung des Personal-Menschlichen, für dessen Begriffsklärung, zumal im dialogischen Sinne, mir dann erst jene anthropologischen Lehren, eine um die andere, zu Hilfe kamen.

In meinen persönlichen Begegnungen wirkten sich Jungs Haltung und Weltanschauung, der gnostisch betonte psychologische Selbstbezug und das daraus resultierende Misstrauen der Welt gegenüber, oft störend, ja lähmend aus. Seine theoretische und praktische Abwertung des partnerischen Weltverhältnisses problematisierte aber ebenso auch, was mich nicht selten beunruhigte, die therapeutische Praxis mancher Kollegen, die – wie ich – sich seiner totalpsychologischen Führung unbedenklich überantwortet hatten. Solche Erfahrungen nötigten mich zu immer neuer Suche. Ausschlaggebend wurde dann schließlich Jungs Geständnis, das er als Sechzigjähriger vor mir ablegte: »Das Persönliche ist für mich etwas derart Irrationales und Zufälliges, dass ich damit einfach nichts anfangen kann – da kann ich mir nicht anders helfen: ich rücke es mir aus den Augen.«

Dieser resignierende Ausspruch ließ mich erkennen, dass Jung aus seiner psychologischen Anthropologie das ausgemerzt hat, worauf es mir je länger je mehr entscheidend ankam. Der so sehr wichtige zentrale Begriff der Person kommt in seiner Lehre gar nicht vor. Stattdessen finden wir darin den Begriff der »Persona«. Aber dieser von Jung geprägte Begriff meint bezeichnenderweise etwas ganz anderes – nicht die menschliche Mitte, das ursprüngliche lebendige Selbst, sondern eine periphere soziale Anpassungsform der in sich geschlossenen, autonomen Psyche mittels des Ichbewusstseins.10

Jung war ein Leben lang aus Leidenschaft introspektiver Forscher. Schicksalsverhaftet ergab er sich, alle dialogische Beziehungskraft daransetzend, seinem großen Hauptanliegen: dem geheimnisvoll wirkenden Einungsprinzip der Seele auf die Spur zu kommen, das »Seelenfünklein« der mittelalterlichen Mystiker aufzufinden und es als Psychologe wissenschaftlich zu erhellen.

Auf diese Weise suchte Jung das partnerische »Du« im eigenen Innern, im seelischen Binnenverhältnis. Hier sollte es ihm begegnen, hier wollte er Zwiesprache halten. Und so erschloss sich ihm bei seiner Tiefenerforschung der Traum- und Phantasieschöpfungen schließlich denn auch jener geheime Ort mystischer Einung: der virtuelle Mittelpunkt der Seele, worin er das verborgene Sein und Wirken des menschlichen Selbst entdeckt und psychologisch erfasst zu haben glaubte. Dieses kontemplativ erschaute Selbst offenbart sich dem introspektiven Psychologen als das imaginative Zentrum des gesamtseelischen, ja des »gesamtmenschlichen« Integrationsprozesses.

Durch die so geartete Selbstbegegnung, in welcher der Mensch zum Beobachter und Förderer eines in sich selbsttätigen psychischen Prozesses wird, muss aber das Selbst zum distanzierten »Gegenstand« werden und sich derart entpersönlichen. Es ist fortan nicht mehr des Menschen lebendiges Herz, nicht mehr das anrufgewärtige Du auf den konkreten Begegnungspartner hin. Sondern als der Gegenstand der konsequenten wissenschaftlichen Beobachtung wurde es unmerklich zum Objekt eines Gestaltungsvollzugs: zur Typusverwirklichung eines Urbildhaften, die sich im Einzelmenschen individuell modifiziert.

Es baut sich der im komplexpsychologischen Erkenntnisprozess ins Auge gefasste »Archetypus« des Selbst von seinem virtuellen Mittelpunkt aus zugleich seine eigene alles umfassende Welt auf, und zu dieser archetypischen Welt tritt der introvertierte Mensch, mit seinem Ichbewusstsein, in psychologische Beziehung.

Also auch hier, in sich selbst, steht jetzt der Mensch einer »Welt« gegenüber! Die konkrete geschöpfliche und geschichtliche Welt, zu der wir normalerweise im steten Spannungsverhältnis von Anruf und Antwort stehen, ist hier gewissermaßen nach innen verlegt. So aber wurde sie verwandelt, verwandelt in eine Welt seelischer Bilder und Vorgänge – die dann auf äußere Gegenstände und Ereignisse projiziert werden können und in ihnen objektiviert erscheinen. Die aus der inneren »Wirklichkeit« entspringenden Projektionen werden auf der »Subjektstufe« als solche, wo immer möglich, erfasst und interpretiert und so der therapeutisch intendierten introversiven Selbstverwirklichung – Jungs »Individuation« – zugeführt und dienstbar gemacht.

Mit dieser Verlegung der partnerischen Begegnung nach innen endet Jungs Bemühen um das menschliche Selbstverständnis im Zirkelschluss des psychologischen Selbstbezugs, in welchem die Person des Menschen untergeht, weil sie ihre dialogische Begegnungsbereitschaft nicht mehr dem konkreten Partner gegenüber einsetzt und sie deshalb im Verhältnis zu ihm einbüßen muss. Kein Wunder also, dass Jung schließlich, wie er gesteht, das Persönliche, mit dem er »nichts anfangen« kann, sich aus den Augen rückt – der geistige Prozess, den er inauguriert, hat zu dieser Konsequenz notwendigerweise hingeführt.

 
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