Menschen, Göttern gleich (Roman)

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II Die wunderbare Straße

4

Eine Zeitlang war Mr. Barnstaples Aufmerksamkeit sehr ungleich geteilt zwischen der Limousine, deren Insassen eben ausstiegen, und der Landschaft, die ihn umgab. Letztere war wirklich so fremdartig und schön, daß die kleine Gruppe vor ihm nur insofern einige Bedeutung in seinem Bewußtsein erlangte, als es sich um Leute handelte, die seine Bewunderung und sein Erstaunen teilen mußten, und die ihm deshalb wahrscheinlich helfen konnten, seine wachsende und ihn ganz überwältigende Verwirrung zu klären und zu beruhigen.

Die Straße war nicht wie eine gewöhnliche englische Landstraße, ein Mischmasch aus Schotter und Erde, bedeckt mit teerbeschmiertem Kies, Staub und tierischen Exkrementen, sondern war offenbar aus Glas, stellenweise durchsichtig wie stilles Wasser, und stellenweise milchweiß oder opalisierend, durchzogen von sanft gefärbten Streifen, oder glänzend von Wolken glitzernder goldener Flocken. Sie war vielleicht zwölf oder fünfzehn Meter breit. Auf jeder Seite erstreckte sich ein grüner Rasenstreifen mit Gras, wie es Barnstaple feiner noch niemals gesehen hatte – und in der Pflege von Rasenflächen hatte er reiche Erfahrung –, dahinter ein breiter Saum von Blumen. An der Stelle, wo Mr. Barnstaple gaffend in seinem Wagen saß, und von da etwa dreißig Meter nach beiden Richtungen hin, bestand dieser Saum aus einer dichten Masse vergißmeinnichtblauer Blüten unbekannter Art. Weiterhin wurde die Farbe durch eine zunehmende Zahl großer, reinweißer Ähren unterbrochen, die schließlich das Blau vollständig aus dem Beet verdrängten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Weges waren die gleichen Ähren vermischt mit Gruppen von ebenso fremdartigen Pflanzen, die Samenkapseln trugen und deren Farben abschnittweise zwischen Blau, Anilinrot, Purpurrot bis zu einem intensiven Karmesinrot wechselten. Jenseits dieses farbenprächtigen, duftigen Blumensaumes breiteten sich flache Wiesen aus, auf denen cremefarbenes Vieh weidete. Durch Barnstaples plötzliches Erscheinen wahrscheinlich aufgeschreckt, betrachteten ihn drei ganz in der Nähe wiederkäuende Tiere mit gutmütig nachdenklichen Augen. Sie hatten lange Hörner und Wammen, ähnlich dem Vieh in Südeuropa und Indien. Von diesen gutartigen Wesen wandten sich Barnstaples Augen einer langen Reihe flammenförmiger Bäume zu, einer Säulenhalle aus Weiß und Gold und einem Hintergrund von schneebedeckten Bergen. Einige große weiße Wolken segelten über einen Himmel von reinstem Blau. Die Luft empfand Mr. Barnstaple erstaunlich klar und lind.

Mit Ausnahme der Kühe und der kleinen Gruppe von Menschen, die bei der Limousine standen, konnte Mr. Barnstaple kein Lebewesen entdecken. Die Automobilisten standen still da und blickten erstaunt um sich. Der Schall verdrossener Stimmen drang zu ihm.

Ein scharfes Knistern hinter seinem Rücken veranlaßte Barnstaple, sich umzudrehen. An der Straße, in der Richtung, aus der er offenbar gekommen war, lagen die Trümmer eines scheinbar erst ganz kürzlich zerstörten Steinhauses. Daneben waren zwei große Apfelbäume wie durch eine Explosion frisch geknickt und gespalten; aus der Mitte der Trümmer stieg eine Rauchsäule empor und ertönte ein Knistern wie von feuerfangenden Gegenständen. Die geknickten Stämme der zerschmetterten Apfelbäume brachten Mr. Barnstaple auf die Idee, daß einige Blumen nahe am Straßenrand ebenfalls nach einer Seite umgeknickt waren, so als ob vor kurzem ein heftiger Windstoß über sie hinweggefegt hätte. Jedoch hatte er weder eine Explosion gehört noch den geringsten Wind verspürt.

Eine Zeitlang starrte er dort hin, dann wandte er sich wieder zur Limousine, als ob er von dort eine Erklärung erwartete. Drei Leute kamen nun die Straße entlang auf ihn zu, geführt von einem hohen, schlanken, grauhaarigen Herrn mit einem Filzhut und einem langen Staubmantel. Er hatte ein schmales Gesicht mit einer kleinen Stülpnase, die den Bügeln seines goldenen Kneifers kaum genügend Platz bot. Mr. Barnstaple ließ den Motor an und fuhr ihnen langsam entgegen.

Sobald er sich in Hörweite zu befinden glaubte, blieb er stehen und beugte den Kopf fragend aus der ›Gelben Gefahr‹ heraus. In demselben Augenblick stellte der lange grauhaarige Herr die gleiche Frage: »Mein Herr, können Sie mir sagen, wo wir eigentlich sind?«

5

»Vor fünf Minuten«, sagte Mr. Barnstaple, »hätte ich gesagt, wir sind auf der Maidenhead Road, in der Nähe von Slough.«

»Stimmt!« sagte der lange Herr in einem ernsthaften und nachdrücklichen Ton. »Stimmt! Und ich behaupte, daß nicht die geringste Ursache besteht, anzunehmen, daß wir nicht noch immer auf der Maidenhead Road sind!«

Der herausfordernde Ton des Dialektikers klang aus seiner Stimme.

»Es sieht aber nicht aus wie die Maidenhead Road«, sagte Mr. Barnstaple.

»Zugegeben! Aber haben wir nach dem Anschein zu urteilen, oder haben wir auf Grund der direkten Fortsetzung unserer Erfahrung zu urteilen? Die Maidenhead Road führte hierher, sie stand in lückenlosem Zusammenhang mit dem hier, und darum bleibe ich dabei: das ist die Maidenhead Road!«

»Diese Berge?« gab Mr. Barnstaple zu bedenken.

»Windsor Castle sollte dort sein!« sagte der große Herr strahlend, als ob er einen guten Schachzug getan hätte.

»Es war dort vor fünf Minuten«, sagte Mr. Barnstaple.

»Dann ist es klar, daß diese Berge eine Art Camouflage sind«, sagte der große Herr triumphierend, »und die ganze Geschichte nichts weiter ist als ›Mache‹, wie man es heutzutage nennt.«

»Es scheint merkwürdig gut ›gemacht‹ zu sein!« erwiderte Mr. Barnstaple.

Es entstand eine Pause, während welcher Mr. Barnstaple die Begleiter des langen Herrn musterte. Ihn selbst kannte er ganz genau. Er hatte ihn ein dutzendmal in öffentlichen Versammlungen und bei Festessen gesehen. Es war Mr. Cecil Burleigh, der große Führer der Konservativen. Er war nicht nur ein hochgeachteter Politiker, sondern auch im Privatleben ragte er als Gentleman, als Philosoph und als ein Mann von umfassender Bildung hervor. Hinter ihm stand ein kurzer, untersetzter, nicht mehr ganz junger Mann, den Mr. Barnstaple nicht kannte. Das Unsympathische seiner Erscheinung wurde noch durch ein Monokel verstärkt. Der dritte in der Gruppe war ebenfalls eine bekannte Figur, aber Mr. Barnstaple konnte ihn einige Zeit nirgends einreihen. Er hatte ein glattrasiertes, rundes, derbes Gesicht und war wohlbeleibt; seiner Kleidung nach konnte man ihn entweder für einen Geistlichen der Hochkirche oder für einen wohlbestallten römisch-katholischen Priester halten.

Der junge Mann mit dem Monokel sprach nun mit der Stimme eines Eunuchen: »Es ist kaum einen Monat her, daß ich die Straße nach Taplow Court hinausfuhr, und damals war bestimmt nichts derartiges am Weg zu sehen!«

»Ich gebe zu, es bestehen Schwierigkeiten!« sagte Mr. Burleigh. »Ich gestehe, es sind sogar bedenkliche Schwierigkeiten vorhanden, immerhin wage ich noch zu glauben, daß meine Behauptungen im wesentlichen zu Recht bestehen.«

»Sie glauben nicht, daß dies die Maidenhead Road ist?« fragte der Herr mit dem Monokel mit herausfordernder Miene Mr. Barnstaple.

»Für ein Machwerk sieht es zu vollkommen aus«, erwiderte Mr. Barnstaple mit sanfter Hartnäckigkeit.

»Aber, mein Herr«, protestierte Mr. Burleigh, »diese Straße ist doch allgemein durch die Kunstgärtner bekannt, die manchmal aus Reklamegründen die erstaunlichsten Schaustellungen veranstalten.«

»Warum fahren wir dann jetzt nicht geradeaus weiter nach Taplow Court?« fragte der Herr mit dem Monokel.

»Weil«, sagte Mr. Burleigh mit einem Ton von Schroffheit, die ganz natürlich ist, wenn man immer wieder auf eine Tatsache zurückkommen muß, die schon genau bekannt ist und eigensinnig übersehen wird, »weil Rupert dabei bleibt, daß wir in einer anderen Welt seien und er nicht weiter will. Das ist der Grund! Er hat immer zuviel Einbildungskraft gehabt. Er glaubt, daß Dinge, die nicht existieren, doch existieren können. Und jetzt glaubt er sich in irgendeinen wissenschaftlichen Roman versetzt, außerhalb unserer Welt, in einer anderen Dimension. Manchmal glaube ich, es wäre für uns alle besser gewesen, wenn Rupert sich damit beschäftigt hätte, Romane zu schreiben, anstatt sie zu erleben. Wenn Sie, als sein Sekretär, glauben, daß Sie ihn dazu bringen können, zur rechten Zeit in Taplow zu sein, um mit den Leuten aus Windsor zu frühstücken …« Mr. Burleigh deutete durch eine Gebärde an, daß er für solche Ideen keine passenden Worte finden könne.

Indessen hatte Mr. Barnstaple eine hohe Gestalt mit gelblicher Gesichtsfarbe unter einem grauen Zylinder mit schwarzem Band, eine aus Karikaturen vertraute Erscheinung, bemerkt, die mit langsamen Bewegungen das Blumengewühl neben der Limousine untersuchte. Dies konnte niemand anderer sein als der berühmte Rupert Catskill, der Staatssekretär im Kriegsministerium. Ausnahmsweise befand sich Mr. Barnstaple in voller Übereinstimmung mit diesem allzu abenteuerlustigen Politiker. Dies war eine andere Welt. Barnstaple stieg aus dem Wagen und wandte sich an Mr. Burleigh: »Ich denke, mein Herr, wir werden es eher aufklären können, wo wir sind, wenn wir das hier nebenan brennende Gebäude untersuchen. Mir war soeben, als ob ich eine auf dem Hang hinter dem Hause liegende Gestalt gesehen hätte. Wenn wir nur einen von diesen Flunkerern fangen könnten …« Er ließ diesen Satz unbeendet, weil er nicht einen Augenblick daran glaubte, daß sie gefoppt seien. Mr. Burleigh war in den letzten fünf Minuten sehr in seiner Achtung gesunken. Alle vier wandten ihre Gesichter der rauchenden Ruine zu.

»Es ist doch sehr eigentümlich, daß weit und breit keine Seele zu sehen ist«, bemerkte der Monokelmann, den Horizont absuchend.

»Gut, es kann nicht schaden, nachzusehen, was da brennt«, sagte Mr. Burleigh und lenkte seine Schritte nach dem zusammengestürzten Haus zwischen den umgebrochenen Bäumen, wobei er seine schlaue, besserwissende Miene beibehielt. Aber ehe er noch ein Dutzend Schritte gemacht hatte, wurde die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe durch einen lauten Schreckensschrei der Dame, die in der Limousine sitzen geblieben war, wieder dahin gelenkt.

 

6

»Das ist aber wirklich zuviel!« rief Mr. Burleigh in aufrichtiger Entrüstung. »Es muß doch polizeiliche Verordnungen geben, um solchen Unfug zu verhindern!«

»Er ist einem Wanderzirkus entsprungen«, sagte der Herr mit dem Monokel. »Was sollen wir tun?«

»Er sieht zahm aus«, sagte Mr. Barnstaple, aber ohne die geringste Neigung, seine Theorie zu erproben.

»Wie leicht kann man durch so etwas sehr ernstlich erschreckt werden«, sagte Mr. Burleigh. Und in einem beruhigenden Ton rief er:

»Rege dich nicht auf, Stella! Er ist wahrscheinlich ganz zahm und harmlos, reize ihn nicht mit dem Sonnenschirm, er könnte dich anfallen, Stella!«

Er war ein großer und schöner Leopard, der ganz leise aus den Blumen aufgetaucht war und sich wie eine gewaltige Katze mitten auf die gläserne Straße neben den großen Wagen gesetzt hatte. Er blinzelte und bewegte den Kopf rhythmisch von einer Seite auf die andere mit einem erstaunten und interessierten Ausdruck, weil die Dame, wie es für solche Anlässe der Tradition entspricht, ihren Schirm, so schnell sie nur konnte, gegen ihn auf- und zuklappte. Der Chauffeur hatte hinter dem Wagen Deckung genommen. Mr. Rupert Catskill, der offenbar erst durch den Schrei, welcher die Aufmerksamkeit Mr. Burleighs und seiner Gefährten erregt hatte, die Existenz jenes Wesens bemerkte, stand, knietief in den Blumen, verblüfft da.

Mr. Catskill war der erste, der handelte, und seine Handlungsweise bewies seinen Mut; sie war zugleich vorsichtig und kühn.

»Hören Sie doch auf, den Schirm zu schwingen, Lady Stella!« rief er. »Lassen Sie mich … ich will seinen Blick auf mich ziehen.«

Er machte einen Bogen um den Wagen herum, um dem Tier von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Dann stand er einen Augenblick so da, als ob er sich bewundern lassen wollte, eine beherzte kleine Gestalt im grauen Gehrock und schwarzbebänderten Zylinder. Er streckte vorsichtig die Hand aus, nicht zu plötzlich, aus Angst, er könnte das Tier erschrecken: »Mieze!« lockte er.

Der Leopard, beruhigt durch das Verschwinden von Lady Stellas Sonnenschirm, betrachtete ihn mit Interesse und Neugier. Catskill rückte weiter vor. Der Leopard streckte sein Maul vor und schnupperte.

»Wenn er sich nur streicheln ließe!« sagte Mr. Catskill und kam auf Armeslänge heran.

Das Tier beschnupperte mit ungläubiger Miene die ausgestreckte Hand. Dann, mit einer Plötzlichkeit, die Mr. Catskill mehrere Schritte zurückweichen ließ – nieste es. Es nieste noch einmal viel heftiger, schaute Mr. Catskill einen Augenblick vorwurfsvoll an und sprang dann leichtfüßig nach der weiß-goldenen Säulenhalle davon. Mr. Barnstaple beobachtete, wie das auf der Weide grasende Vieh den Leoparden vorbeispringen sah, ohne die geringste Furcht zu zeigen.

Mr. Catskill blieb mit einer gewissen Erleichterung mitten auf der Straße stehen.

»Kein Tier«, bemerkte er, »kann dem festen, durchbohrenden Blick des Menschen widerstehen! Keines! Für euch Materialisten ist das natürlich ein Rätsel! Wollen wir Mr. Cecil folgen, Lady Stella? Es scheint, daß er dort unten etwas Sehenswertes gefunden hat. Der Mann in dem kleinen gelben Wagen wird vielleicht wissen, wo er ist. Ja?«

Er half der Dame aus dem Wagen, und die beiden kamen auf Mr. Barnstaples Gruppe zu, die sich nun wieder dem brennenden Haus näherte.

Der Chauffeur, der offenbar nicht wünschte, in dieser Welt unglaublicher Möglichkeiten mit der Limousine allein gelassen zu werden, folgte so dicht, als es ihm der Respekt erlaubte.

III Das wunderschöne Volk

7

Das Feuer in dem Häuschen schien keine weiteren Fortschritte zu machen. Die daraus aufsteigende Rauchfahne war jetzt viel schwächer geworden, als sie vorhin gewesen war. Nahe herangekommen, fanden sie eine Menge verbogener Stücke glänzenden Metalls und Splitter zerbrochenen Glases zwischen den Mauertrümmern. Die Vermutung drängte sich zwingend auf, daß wissenschaftliche Apparate explodiert seien. Dann wurde die ganze Gesellschaft fast gleichzeitig eines Körpers gewahr, der auf dem Grasabhang hinter der Ruine lag. Es war der Leib eines Mannes in der Blüte der Jahre, nackt bis auf ein paar Armbänder, einen Halsschmuck und Lendenschurz; aus Mund und Nasenlöchern sickerte Blut. Mit einer gewissen Scheu kniete Mr. Barnstaple neben dieser hingestreckten Gestalt nieder und befühlte das Herz. Niemals zuvor hatte er ein so schönes Gesicht und einen so edlen Körper gesehen.

»Tot«, flüsterte er.

»Seht«, ertönte die schrille Stimme des Herrn mit dem Monokel, »noch einer!«

Er deutete auf etwas, das Mr. Barnstaple durch ein Stück Mauer verborgen war. Mr. Barnstaple mußte aufstehen und über einen Haufen Geröll klettern, um diesen zweiten Fund sehen zu können. Es war ein schlankes Mädchen, ebenso spärlich bekleidet wie der Mann. Sie war anscheinend mit riesiger Wucht gegen die Mauer geschleudert und augenblicklich getötet worden. Das Gesicht war ganz unverletzt, obwohl der Schädel hinten zerschmettert war. Ihr vollendet schöner Mund und die grüngrauen Augen waren ein wenig geöffnet, und sie hatte den Ausdruck eines Menschen, der noch über irgendein schwieriges, aber interessantes Problem nachdenkt. Das Antlitz machte gar nicht den Eindruck einer Toten, sondern sah nur wie geistesabwesend aus. Eine Hand umkrampfte noch ein kupfernes Gefäß mit einem gläsernen Griff, die andere hing schlaff herunter.

Einige Sekunden lang sprach niemand. Es war, als ob jeder fürchtete, den Gedankengang des Mädchens zu unterbrechen.

Dann hörte Mr. Barnstaple hinter sich den geistlichen Herrn mit leiser Stimme sagen:

»Welch vollendete Gestalt!«

»Ich gebe zu, ich hatte Unrecht«, sagte Mr. Burleigh mit Bedacht. »Ich war im Unrecht … Das ist kein irdisches Volk, wahrhaftig! Und folglich sind wir auch nicht auf der Erde. Ich kann mir nicht vorstellen, was geschehen ist, noch, wo wir uns befinden. Angesichts genügender Beweise habe ich nie gezögert, eine Meinung zurückzuziehen. Diese Welt, in der wir jetzt sind, ist nicht unsere Welt. Es ist etwas …« er machte eine Pause, »es ist etwas wirklich sehr Wunderbares!«

»Und unsere Freunde in Windsor«, sagte Mr. Catskill ohne sichtliches Bedauern, »frühstücken ohne uns.«

»Aber«, sagte der geistliche Herr, »in was für einer Welt sind wir dann, und wie sind wir hierhergekommen?«

»Ah! Was das anbelangt«, sagte Mr. Burleigh höflich, »fragen Sie mich mehr, als ich mit meinen schwachen Kräften aufklären kann. Wir sind hier in einer Welt, die in gewisser Beziehung der unseren ähnlich ist und in gewisser Beziehung nicht. Auf irgendeine Weise muß sie mit unserer Welt im Zusammenhang stehen, sonst wären wir nicht hier. Aber was für eine Verknüpfung das sein kann, ist für mich, ich gestehe es, ein unenthüllbares Geheimnis. Es mag sein, daß wir uns in irgendeiner anderen räumlichen Dimension befinden als in jener, die wir kennen. Aber in meinem armen Kopf wirbelt es, wenn ich an diese Dimensionen denke. Ich bin … ich bin verwirrt … total verwirrt …!«

»Einstein!« warf der Herr mit dem Monokel mit Nachdruck und mit deutlicher Selbstzufriedenheit ein.

»Stimmt«, sagte Mr. Burleigh, »Einstein könnte es uns erklären. Oder der liebe alte Haldane könnte eine Erklärung versuchen und mit seinem schmalzigen Hegelianismus den Schleier vor uns lüften. Aber ich bin weder Haldane noch Einstein. Hier sind wir in einer Welt, die für alle praktischen Zwecke, einschließlich unserer Sonntagsverabredung, nirgendwo ist. Oder, wenn Sie den griechischen Ausdruck vorziehen, wir sind in ›Utopia‹. Und da ich nicht sehe, wie wir von hier wieder wegkommen können, bin ich der Ansicht, daß wir uns als vernünftige Wesen so gut wie möglich in die Lage finden und auf alles uns Nützliche bedacht sein müssen. Es ist sicherlich eine sehr schöne Welt. Die Schönheit ist sogar noch größer als das Wunder. Und es gibt menschliche Wesen hier – vernunftbegabte. Aus dem ganzen hier herumliegenden Material schließe ich, daß es eine Welt ist, in der chemische Experimente durchgeführt werden – durchgeführt bis zu einem bitteren Ende – unter beinahe idyllischen Bedingungen. Chemie – und Nacktheit. Ich fühle mich verpflichtet, zu gestehen, daß es mir als eine Frage des persönlichen Geschmacks erscheint, ob wir diese zwei Menschen, die sich hier offenbar soeben selbst in die Luft gesprengt haben, als griechische Götter oder als nackte Wilde zu betrachten haben. Ich bekenne mich zu der Ansicht, es seien ein griechischer Gott – und eine Göttin!«

»Nur, daß es ein bißchen schwer ist, sich zwei tote Unsterbliche vorzustellen«, quäkte der Mann mit dem Monokel in einem Ton, als ob er einen Trumpf im Kartenspiel ansagte.

Mr. Burleigh war nahe daran, zu antworten, und nach seinen Stirnfalten zu schließen, hätte seine Antwort einen zurechtweisenden Ton angenommen. Statt dessen stieß er einen kurzen Schrei aus und drehte sich um, zwei Neuankömmlinge zu betrachten. Die ganze Gesellschaft wurde ihrer im gleichen Augenblick gewahr. Zwei vollkommene Apollogestalten standen auf der Ruine und betrachteten unsere Erdlinge mit einem Erstaunen, das mindestens so groß war wie dasjenige, das sie selbst hervorriefen.

Einer sprach, und Mr. Barnstaple war über alle Maßen erstaunt, verständliche Worte zu vernehmen, die in seinem Bewußtsein Widerhall fanden.

»O Götter!« rief der Utope. »Was seid ihr für Dinger? Und wie seid ihr in die Welt gekommen?«

(Englisch! Es wäre viel weniger erstaunlich gewesen, wenn sie griechisch gesprochen hätten. Aber daß sie sich überhaupt in einer bekannten Sprache ausdrückten, war unglaublich, verblüffend.)

8

Von der ganzen Gesellschaft geriet Mr. Cecil Burleigh am wenigsten aus der Fassung. Er sagte: »jetzt können wir hoffen, etwas Bestimmtes zu erfahren – angesichts vernünftiger und verständlich redender Wesen.« Er räusperte sich, faßte die Aufschläge seines langen Staubmantels mit schmalen, nervösen Händen und übernahm wie selbstverständlich die Rolle des Wortführers.

»Meine Herren, es ist ganz unmöglich, Rechenschaft über unsere Anwesenheit hier abzulegen!« sagte er. »Wir stehen genauso vor einem Rätsel wie Sie. Wir haben uns auf einmal in Ihrer Welt statt in unserer eigenen gefunden!«

»Ihr kommt aus einer anderen Welt?«

»jawohl, aus einer ganz anderen Welt, in welcher jeder von uns seinen besonderen, ihm von der Natur bestimmten Platz einnimmt. Wir waren in jener Welt gerade in unseren – äh – äh – in gewissen Vehikeln unterwegs, als wir uns auf einmal hierher versetzt fanden. Eindringlinge, ich gebe es zu, aber ich kann Ihnen versichern, unschuldige und unfreiwillige Eindringlinge.«

»Wißt ihr nicht, wie es kam, daß Ardenn und Chrysolagone ihr Experiment mißlang, und warum sie tot sind?«

»Wenn Ardenn und Chrysolagone die Namen dieser beiden schönen jungen Leute hier sind, so wissen wir überhaupt nichts von ihnen, außer, daß wir sie so vorfanden, wie Ihr sie jetzt liegen seht, als wir von der Straße hierherkamen, um herauszubekommen, oder eigentlich, um jemanden zu fragen …«

Er räusperte sich und verschluckte das Ende seiner Rede.

Der Utope, wenn wir den, der zuerst gesprochen hatte, der Bequemlichkeit halber so nennen wollen, blickte nun seinen Begleiter an und schien ihm eine stumme Frage zu stellen. Dann wandte er sich wieder an die Erdlinge. Er sprach, und wieder erklangen klare Laute – Mr. Barnstaple hatte den Eindruck, als schlügen sie nicht an seine Ohren, sondern ertönten in seinem Kopf.

»Es wird gut sein, wenn ihr und eure Freunde nicht weiter auf diesem Trümmerhaufen herumtrampelt. Es wird gut sein, wenn ihr alle zur Straße zurückkehrt. Kommt mit mir! Mein Bruder hier wird den Brand löschen und tun, was für unseren Bruder und unsere Schwester nötig ist. Und dann wird diese Stelle von jenen untersucht werden, die von dem Werk, das hier unternommen wurde, etwas verstehen.«

»Wir müssen uns ganz auf Ihre Gastfreundschaft verlassen«, sagte Mr. Burleigh, »und stehen vollständig zu Ihrer Verfügung. Wir haben diese Begegnung, lassen Sie es mich wiederholen, nicht gesucht.«

»Obwohl wir sie sicherlich gesucht hätten, wenn uns eine solche Möglichkeit bekannt gewesen wäre«, sagte Mr. Catskill und blickte Mr. Barnstaple an, als würde er von ihm eine Bestätigung erwarten. »Wir finden diese Ihre Welt … äußerst anziehend!«

 

»Auf den ersten Blick«, bestätigte der Herr mit dem Monokel, »eine äußerst anziehende Welt!«

Als sie hinter dem Utopen und Mr. Burleigh durch die dichtwachsenden Blumen zur Straße zurückkehrten, hörte Mr. Barnstaple ein leises Rascheln – Lady Stella stand neben ihm. Die heitere und unbekümmerte Gewöhnlichkeit ihrer Worte, inmitten dieser reinen Wunder, erstaunte ihn.

»Haben wir uns nicht schon irgendwo getroffen – bei einem Essen oder dergleichen, Herr … Herr …?«

War dies alles doch nichts weiter als leerer Schein? Er starrte sie einen Augenblick verblüfft an, bevor er ergänzte:

»Barnstaple.«

»Mr. Barnstaple?«

Er ging auf ihren Ton ein.

»Ich hatte niemals das Vergnügen, Lady Stella. Obwohl ich Sie natürlich kenne – ich kenne Sie sehr gut von Ihren Fotos in den Illustrierten.«

»Haben Sie gehört, was Mr. Cecil soeben gesagt hat? Daß dies Utopia ist?«

»Er sagte, wir sollten es ›Utopia‹ nennen!«

»Ganz Mr. Cecil! Aber ist es Utopia? – wirklich Utopia?«

»Ich habe mich immer so nach Utopia gesehnt!« fuhr die Lady fort, ohne Mr. Barnstaples Antwort abzuwarten. »Was für prächtige junge Leute scheinen doch diese beiden Utopen zu sein! Ich bin sicher, sie gehören zur Aristokratie – trotz ihrer – ungezwungenen – Kleidung. Oder gerade deswegen …«

Mr. Barnstaple hatte einen glücklichen Gedanken.

»Ich habe auch Mr. Burleigh und Mr. Rupert Catskill erkannt, Lady Stella, aber ich wäre froh, wenn Sie mir sagen wollten, wer der junge Mann mit dem Monokel und der geistliche Herr sind. Sie stehen dicht hinter uns.«

Lady Stella gab mit leiser Stimme in einer entzückend vertraulichen Weise Auskunft.

»Das Monokel«, flüsterte sie, »ist – ich buchstabiere – F. R. E. D. D. Y. M. U. S. H., Geschmack, guter Geschmack. Er ist schrecklich tüchtig im Entdecken junger Dichter und all solch literarischem Zeug. Er ist Ruperts Sekretär. Wenn es irgendwo eine Veranstaltung gibt, ist er bestimmt dabei, sagt man. Er ist fürchterlich kritisch und sarkastisch. Wir waren eben im Begriff, zu einem hochintellektuellen Weekend nach Taplow zu fahren, ganz wie in alten Zeiten, das heißt sobald die Leute aus Windsor weggefahren wären. Mr. Gosse und Max Beerbohm wollten kommen und allerhand solche Leute. Aber heutzutage kommt immer etwas dazwischen. Immer … Das Unerwartete – fast zu viel davon … Der geistliche Rock« – sie guckte zurück, um festzustellen, ob sie sich außer Hörweite des Herrn befand, von dem sie eben sprach – »ist Pater Amerton, der entsetzlich freimütig über die Sünden der Gesellschaft und all solchen Kram predigt. Es ist komisch, aber außerhalb der Kanzel neigt er zur Schüchternheit und Schweigsamkeit und geht ein bißchen ungeschickt mit Gabel und Löffel um. Paradox, nicht wahr?«

»Natürlich!« rief Mr. Barnstaple. »Ich erinnere mich jetzt, ich kannte sein Gesicht, aber ich konnte es nirgends unterbringen, ich danke Ihnen vielmals, Lady Stella.«

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