Бесплатно

Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago

Текст
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

Noch streiften aber die Stiere umher, die von den Karthagern in die Schlucht getrieben worden waren, um die Barbaren anzulocken. Man tötete sie mit Lanzenstichen und verzehrte sie, und als die Magen gefüllt waren, heiterten sich die Gedanken ein wenig auf.

Am folgenden Tage schlachtete man alle Maultiere, etwa vierzig Stück. Dann zog man die Häute ab, kochte die Eingeweide und zerstieß die Knochen zu Mehl. Noch verzweifelte man nicht. Das Heer in Tunis mußte ohne Zweifel Kunde erhalten und zum Ersatz anrücken!

Am Abend des fünften Tages war der Hunger wieder groß. Man nagte schon an den Lederkoppeln und den kleinen Schwämmen, die im Innern der Helme angebracht waren.

So waren vierzigtausend Menschen in einer Art von Rennbahn zusammengepfercht, rings von hohen Bergwänden umschlossen. Einige blieben vor dem Drahthindernis, andre an den Felsblöcken am Eingang. Die übrigen lagerten ordnungslos im ganzen Talkessel. Die Starken gingen einander aus dem Wege, und die Furchtsamen suchten die Mutigen auf, die ihnen doch auch nicht helfen konnten.

Man hatte die Leichen der punischen Leichtbewaffneten wegen ihrer Ausdünstung sofort verscharrt. Die Grabstellen waren nicht mehr zu erkennen.

Die Barbaren lagerten alle entkräftet am Boden. Nur hier und da schritt ein Veteran durch die Reihen. Man heulte Verwünschungen gegen die Karthager, gegen Hamilkar und sogar gegen Matho, obwohl er an diesem Mißgeschick unschuldig war. Viele bildeten sich jedoch ein, daß die Leiden geringer sein mußten, wenn er bei ihnen wäre. Nun seufzten sie. Manche weinten leise wie kleine Kinder.

Man ging zu den Hauptleuten und bat sie um Linderungsmittel. Die aber antworteten nicht oder griffen wutentbrannt nach Steinen und warfen sie den Leuten ins Gesicht.

Manche bewahrten in Erdlöchern sorgfältig einen kleinen Eßvorrat, ein paar Hände voll Datteln und etwas Mehl. Davon aßen sie des Nachts, wobei sie den Kopf unter ihrem Mantel verbargen. Wer ein Schwert besaß, hielt es gezückt in der Hand. Noch Mißtrauischere blieben an die Felswand gelehnt stehen.

Man beschuldigte die Obersten und bedrohte sie. Autarit ließ sich trotzdem ohne Furcht blicken. Mit der Hartnäckigkeit des Barbaren, der vor nichts zurückschreckt, ging er jeden Tag zwanzigmal bis zu den Felsblöcken, immer in der Hoffnung, sie vielleicht verschoben zu finden. Die wiegende Bewegung seiner breiten pelzbedeckten Schultern erinnerte seine Gefährten an den Gang eines Bären, der im Frühjahr aus seiner Höhle hervorkommt, um zu sehen, ob der Schnee geschmolzen ist.

Spendius dagegen verbarg sich mit anderen Griechen in einer der Felsspalten. Er hatte Furcht und ließ das Gerücht verbreiten, er sei gestorben.

Die Söldner waren jetzt alle von erschreckender Magerkeit. Ihre Haut bedeckte sich mit bläulichen Flecken. Am Abend des neunten Tages starben drei Iberer. Ihre entsetzten Gefährten verließen die Stelle. Man entkleidete sie, und die nackten weißen Leiber blieben in der Sonne auf dem Sande liegen.

Da begannen die Garamanten langsam um sie herumzuschleichen. Es waren das Leute, an das Leben in der Wüste gewöhnt, die keinen Gott fürchteten. Schließlich gab der Älteste der Schar ein Zeichen. Die andern beugten sich über die Leichen und schnitten mit ihren Messern Streifen Fleisch heraus. Auf den Fersen hockend, verzehrten sie es. Die übrigen Barbaren sahen von weitem zu. Man stieß Schreie des Abscheus aus, und doch beneideten viele sie insgeheim um ihren Mut.

Einige von ihnen kamen dann mitten in der Nacht näher und baten, ihre Begierde verhehlend, um einen kleinen Bissen, nur um davon zu kosten, wie sie sagten. Kühnere traten hinzu. Ihre Zahl wuchs. Bald war es ein ganzer Haufen. Die meisten ließen jedoch die Hand wieder sinken, als sie das kalte Fleisch an ihren Lippen fühlten. Manche freilich verschlangen es mit Wonne.

Um durchs Beispiel verführt zu werden, munterte man sich gegenseitig auf. Mancher, der das Leichenfleisch anfangs zurückgewiesen hatte, ging zu den Garamanten und kam nicht wieder. Man briet die Stücke an den Schwertspitzen über Kohlenfeuer, salzte sie mit Sand und stritt sich um die besten Bissen. Als von den drei Toten nichts mehr übrig war, schweiften die Augen der Esser über die ganze Ebene, um andre zu erspähen.

Hatte man im letzten Treffen nicht zwanzig Karthager gefangen genommen, die bisher niemand beachtet hatte? Sie verschwanden. Das war obendrein eine Rache! Und da man leben mußte, da sich der Geschmack an solcher Nahrung entwickelt hatte, da man am Verhungern war, so schlachtete man weiterhin die Wasserträger, die Troßknechte und die Burschen der Söldner. Jeden Tag wurden ein paar abgestochen. Manche aßen viel, kamen wieder zu Kräften und waren nicht mehr traurig.

Bald aber versiegte diese Hilfsquelle. Nun wandte sich die Gier auf die Verwundeten und Kranken. Da sie doch nicht wieder gesund würden, sei es besser, sie von ihren Qualen zu erlösen. Sobald ein Mann matt wurde, schrien alle, er sei verloren und müsse den andern als Speise dienen. Um den Tod solcher Unglücklichen zu beschleunigen, wandte man Hinterlist an. Man stahl ihnen den letzten Rest ihrer Nahrung oder trat wie aus Versehen auf sie. Damit man sie für frisch und kräftig halte, versuchten die Sterbenden, die Arme auszustrecken, aufzustehn, zu lachen. Ohnmächtige erwachten bei der Berührung schartiger Klingen, die ihnen ein Glied vom Leibe sägten. Manche mordeten auch ohne Bedürfnis, aus Blutgier, um die Wut zu stillen.

Ein schwerer schwüler Nebel, wie er in diesen Landstrichen gegen das Ende des Winters eintritt, senkte sich am vierzehnten Tage auf das Heer herab. Dieser Witterungswechsel führte zahlreiche Todesfälle herbei, und in der feuchten Hitze, die sich zwischen den Felswänden verfing, vollzog sich die Verwesung mit entsetzlicher Schnelligkeit. Der Sprühregen, der auf die Leichen niederfiel, weichte sie auf und verwandelte den ganzen Talkessel alsbald in eine riesige Aasgrube. Weiße Dünste wogten über ihr, reizten die Nase, durchdrangen die Haut und trübten die Augen. Die Barbaren glaubten den ausgehauchten Odem, die Seelen ihrer toten Kameraden zu spüren. Ungeheurer Ekel ergriff sie. Sie vermochten keine Leiche mehr anzurühren. Lieber wollten sie selber sterben.

Zwei Tage später wurde das Wetter wieder klar, und der Hunger stellte sich von neuem ein. Bisweilen war es den Leidenden, als risse man ihnen den Magen mit Zangen aus dem Leibe. Sie wälzten sich in Krämpfen, steckten sich Hände voll Erde in den Mund, bissen sich in die Arme und brachen in irres Gelächter aus.

Quälender noch war der Durst. Man hatte keinen Tropfen Wasser mehr. Die Schläuche waren seit dem neunten Tage völlig leer. Um den Gaumen zu täuschen, legte man sich die Metallschuppen der Koppeln, die Elfenbeinknäufe und die Klingen der Schwerter auf die Zungen. Ehemalige Karawanenführer schnürten sich den Leib mit Stricken zusammen. Andre saugten an Kieselsteinen. Man trank Urin, den man vorher in den ehernen Helmen erkalten ließ. Und immer noch wartete man auf das Heer von Tunis! Daß es so lange dauerte, bis es eintraf, das war – so bildete man sich ein – eine Gewähr für sein baldiges Erscheinen. Überdies sei Matho ein wackerer Mann, der niemanden im Stiche ließ! »Morgen wird er kommen!« tröstete man sich. Doch das »morgen« verging.

Zu Anfang hatten die Söldner Gebete gesprochen, Gelübde getan, alle möglichen Verschwörungen angewandt. Jetzt aber empfanden sie gegen ihre Götter nur noch Haß, und aus Rache gab man sich Mühe, nicht mehr an sie zu glauben.

Naturen von heftiger Gemütsart kamen zuerst um. Die Afrikaner widerstanden besser als die Gallier. Zarzas lag zwischen seinen Baleariern der Länge nach ausgestreckt, sein Haupthaar über den Arm geworfen. Er rührte sich nicht. Spendius hatte eine Pflanze mit breiten saftreichen Blättern entdeckt und nährte sich von ihr, nachdem er sie für giftig erklärt hatte, um andere davon abzuschrecken.

Man war zu schwach, um durch Steinwürfe die umherfliegenden Raben zu töten. Zuweilen, wenn ein Lämmergeier auf eine der Leichen geflogen war und schon seit einer Weile daran herumhackte, kroch irgendeiner, mit einem Wurfspieß zwischen den Zähnen, an ihn heran, stützte sich auf eine Hand und, nachdem er lange gezielt hatte, schoß er seine Waffe ab. Der weißgefiederte Vogel hielt inne, durch das Geräusch gestört, und blickte ruhig umher wie ein Seerabe auf einer Klippe. Dann hackte er mit seinem scheußlichen gelben Schnabel wieder in die Leiche, und der Schütze sank verzweifelt in den Sand. Manchen gelang es, Chamäleons und Schlangen ausfindig zu machen. Was aber eigentlich am Leben erhielt, das war die Liebe zum Leben. Alles Sinnen und Trachten war ausschließlich auf diesen einen Gedanken gerichtet. Man klammerte sich an das Dasein mit einer Willenskraft, die es verlängerte.

Die Gleichmütigsten hockten hier und dort in dem weiten Tal im Kreise beisammen und überließen sich, in ihre Mäntel gehüllt, schweigsam ihrer Trübsal.

Die in Städten Geborenen vergegenwärtigten sich geräuschvolle Straßen, Schenken und Schauspiele, Bäder und Barbierstuben, wo man Geschichten erzählen hört. Andre sahen in der Abendsonne Landschaften: gelbe Ähren wogten, und große Ochsen trotteten an der Pflugschar langsam die Höhe hinauf. Wüstenwanderer dachten an Oasen, Jäger an ihre Wälder, Veteranen an bestimmte Schlachten, und in der Schlaftrunkenheit, die alle betäubte, gewannen diese Phantastereien die Farben und die Plastik von Träumen. Sinnestäuschungen traten auf. Manche suchten an der Bergwand nach einer Tür, um zu entfliehen, und wollten durch den Fels hindurch. Andre wähnten sich während eines Sturmes zu Schiff und erteilten Befehle an die Matrosen. Andre wieder wichen entsetzt zurück, da sie in den Wolken punische Heerscharen erblickten. Noch andre glaubten bei einem Feste zu sein. Sie sangen.

Viele wiederholten infolge einer seltsamen Geistesstörung immer dasselbe Wort oder dieselbe Gebärde. Wenn sie dann den Kopf erhoben und einander anschauten, erstickten sie beim gegenseitigen Anblick ihrer furchtbar verstörten Gesichter in Tränen. Manche fühlten keine Schmerzen mehr, und um die Zeit zu verbringen, erzählten sie von Gefahren, denen sie entronnen wären.

 

Allen war der Tod gewiß und nahe. Wie oft hatten sie nicht versucht, sich einen Ausgang zu schaffen! Sollten sie den Sieger um seine Bedingungen bitten! Aber durch welche Vermittlung? Wußte man doch nicht einmal, wo sich Hamilkar befand!

Der Wind blies von der Schlucht her. Rastlos ließ er den Sand in Bächen in das Drahthindernis rieseln. Die Mäntel und das Haar der Barbaren bedeckten sich damit, als ob sich die Erde über sie hinwälze und sie begraben wolle. Nichts rührte sich. Die ewigstarren Berge schienen jeden Morgen noch höher geworden zu sein.

Bisweilen zogen Vogelschwärme raschen Fluges am klaren blauen Himmel über den Eingeschlossenen hin, in der Freiheit der Lüfte. Man schloß die Augen, um sie nicht zu sehen.

Manche verspürten ein Summen in den Ohren. Dann wurden ihre Fingernägel schwarz, und Kälte ergriff die Brust. Sie legten sich auf die Seite und verschieden ohne Laut.

Am neunzehnten Tage waren zweitausend Asiaten, fünfzehnhundert von den Inseln, achttausend Libyer, die Jüngsten unter den Söldnern und ganze Landsmannschaften tot, – insgesamt zwanzigtausend Mann, das halbe Heer. Autarit, der nur noch fünfzig von seinen Galliern hatte, wollte sich schon töten lassen, um allem Leid überhoben zu sein. Da glaubte er, auf einem Saumpfad hoch in den Felsen einen Mann zu erblicken. Er war so weit entfernt, daß er wie ein Zwerg aussah. Trotzdem erkannte Autarit am linken Arm des Mannes einen kleeblattförmigen Schild.

»Ein Karthager!« schrie er.

Im Nu war in dem Talkessel, von der Drahtsperre bis zu den Felsblöcken, alles auf den Beinen.

Der Karthager schritt an den abschüssigen Hängen hin. Die Barbaren sahen ihm von unten aus zu.

Spendius nahm einen Ochsenschädel auf, krönte ihn um die Hörner mit einer Art Diadem, aus zwei Gürteln hergestellt, und befestigte ihn als Symbol friedlicher Gesinnung an einer Stange.

Der Karthager verschwand. Man wartete.

Endlich am Abend fiel plötzlich von der Felswand ein Bandolier herab wie ein losgelöster Stein. Es war aus rotem Leder, mit Stickereien bedeckt und mit drei Diamantsternen besetzt. In der Mitte trug es ein Siegel mit dem Wappen des Großen Rates: ein Roß unter einem Palmbaum. Das war Hamilkars Antwort, der Geleitbrief, den er ihnen sandte.

Die Söldner hatten im Grunde nichts zu fürchten: jede Änderung ihres Schicksals war wenigstens das Ende der bisherigen Qual. Maßlose Freude ergriff sie. Sie umarmten einander unter Tränen. Spendius, Autarit und Zarzas, vier Italiker, ein Neger und zwei Spartiaten erboten sich zu Unterhändlern. Man erteilte ihnen unverzüglich Vollmacht. Allerdings wußten sie noch nicht, wie sie aus der Enge kommen sollten.

Da erscholl ein Krach in der Richtung der Eingangsschlucht. Der oberste Felsblock wankte und rollte über die andern hinab. Während die Blöcke nämlich auf der Seite der Barbaren unerschütterlich waren, da man sie eine schräge Fläche hätte hinaufschieben müssen – zudem waren sie durch die Enge der Schlucht zusammengedrängt –, so genügte von der andern Seite ein starker Stoß, um sie umzuwerfen. Die Karthager taten dies, und bei Tagesanbruch rollten die Blöcke in die Tiefebene hinunter wie die Stufen einer zerstörten Riesentreppe.

Aber auch so konnten die Barbaren noch nicht ohne weiteres über sie hinweg. Man reichte ihnen Leitern. Alle stürzten sich darauf. Das Geschoß eines schweren Geschützes trieb die Menge zurück. Nur die Zehn wurden durchgelassen.

Sie marschierten zwischen Klinabaren, wobei sie sich mit einer Hand auf den Rücken der Pferde aufstützen durften, sonst hätten sie sich vor Mattigkeit nicht aufrecht halten können.

Nachdem die erste Freude vergangen war, begannen sich die Zehn Sorgen zu machen. Hamilkars Forderungen würden grausam sein! Doch Spendius beruhigte sie:

»Ich werde schon reden!« Und er rühmte sich zu wissen, was zum Heile des Heeres zu sagen dienlich sei.

Hinter jedem Busch bemerkte man versteckt aufgestellte Posten. Beim Anblick des Bandoliers, das Spendius über seine Schulter trug, salutierten die Posten.

Im punischen Lager angelangt, wurde die Gesandtschaft von der Menge umdrängt. Man vernahm Geflüster und Lachen. Eine Zelttür öffnete sich.

Hamilkar saß im Hintergrunde auf einem Schemel neben einem niedrigen Tische, auf dem sein blankes Schwert lag. Offiziere umstanden ihn.

Als er die Unterhändler erblickte, fuhr er zurück. Dann beugte er sich vor, um sie zu betrachten. Ihre Augen waren unnatürlich groß. Breite schwarze Kreise, die bis zu den Ohren reichten, umschatteten sie. Ihre bläulichen Nasen standen spitz und weit ab von den hohlen, tief gefurchten Wangen. Die Haut war für die Körper zu weit geworden und überdies unter einer schiefergrauen Staubkruste kaum zu sehen. Die Lippen klebten an den gelben Zähnen. Ein widerlicher Geruch machte sich bemerkbar, wie aus geöffneten Gräbern, von wandelnden Leichen.

Mitten im Zelt stand auf einer Matte, auf der sich die Offiziere niederlassen sollten, eine Schüssel mit dampfenden Kürbissen. Die Barbaren starrten sie an, am ganzen Leibe schlotternd. Tränen traten ihnen in die Augen. Trotzdem bezwangen sie sich.

Hamilkar wandte sich um, um mit einem der Offiziere zu sprechen. Da stürzten die Zehn über das Gericht her, indem sie sich flach auf den Bauch warfen. Ihre Gesichter tauchten in das Fett, und das Geräusch des Hinterschlingens mischte sich mit dem freudigen Schluchzen, das sie dabei ausstießen. Offenbar mehr aus Verwunderung denn aus Mitleid ließ man sie die Schüssel leeren. Als sie sich wieder erhoben hatten, winkte Hamilkar dem Träger des Bandoliers, zu reden.

Spendius ward ängstlich. Er stotterte.

Hamilkar hörte ihm zu, während er den großen goldnen Siegelring an seinem Finger drehte, mit dem er das Wappen Karthagos auf das Bandolier gedrückt hatte. Er ließ ihn auf die Erde fallen. Spendius hob ihn rasch auf. Vor seinem Herrn und Meister kam sein ehemaliges Sklaventum wieder zum Vorschein. Die andern erbebten vor Entrüstung über diese freiwillige Demütigung.

Jetzt erhob der Grieche die Stimme, wies auf Hannos Übeltaten hin, den er als Feind des Barkas kannte, und suchte Hamilkar durch eine Schilderung der Einzelheiten ihres Elends und durch den Hinweis auf ihre frühere Ergebenheit zu erweichen. Er sprach lange, in rascher, durchtriebener, bisweilen heftiger Weise. Von seinem Enthusiasmus fortgerissen, vergaß er sich schließlich.

Hamilkar erwiderte, er nehme ihre Entschuldigungen an. Es solle also Friede gemacht werden, und diesmal endgültig! Doch verlange er, daß man ihm zehn Söldner nach seiner Wahl ausliefere, ohne Waffen und ohne Kleidung.

Solche Milde hatten sie nicht erwartet.

»O, zwanzig, wenn du willst, Herr!« rief Spendius aus.

»Nein, zehn genügen mir!« antwortete Hamilkar gnädig.

Man ließ die Gesandten aus dem Zelte, damit sie sich beraten konnten. Sobald sie allein waren, sprach Autarit zugunsten der zu opfernden Kameraden, und Zarzas sagte zu Spendius:

»Warum hast du ihn nicht getötet? Sein Schwert lag dicht neben dir!«

»Ihn!« stieß Spendius hervor. Und mehrmals wiederholte er: »Ihn! Ihn!« – als ob das ein Ding der Unmöglichkeit und Hamilkar ein Unsterblicher sei.

Eine solche Mattigkeit überkam alle, daß sie sich mit dem Rücken auf die Erde legten. Sie wußten nicht, wozu sie sich entschließen sollten.

Spendius riet zur Annahme der Bedingung. Endlich willigten sie ein und traten wieder in das Zelt.

Nun legte der Marschall seine Hand der Reihe nach in die Hände der zehn Barbaren und drückte ihnen den Daumen. Hinterher wischte er sich die Hand an seinem Gewand ab, denn die klebrige Haut dieser Menschen verursachte bei der Berührung eine rauhe und zugleich weiche Empfindung, ein fettiges, widerliches Kribbeln. Sodann sprach er zu ihnen:

»Ihr seid also die Obersten der Barbaren und habt als Bevollmächtigte die Bedingung angenommen …«

»Jawohl!« antworteten sie.

»… aus freien Stücken, ohne Arglist, und in der Absicht, die Zusage zu halten?«

Sie versicherten, daß die Bedingung nach ihrer Rückkehr zum Heere erfüllt würde.

»Gut!« sagte der Suffet. »Kraft der Vereinbarung, zwischen mir, Hamilkar Barkas, und euch, den Bevollmächtigten der Söldner, geschlossen, wähle ich euch und behalte euch

Spendius sank ohnmächtig auf die Matte. Die Barbaren drängten sich nach der andern Seite eng zusammen, als hätten sie nichts mit ihm gemein. Kein Wort, keine Klage ward laut.

Die in der Säge Eingeschlossenen, die der Unterhändler harrten und sie nicht zurückkehren sahen, hielten sich für verraten. Offenbar hatten sich die Zehn dem Suffeten ergeben.

Man wartete noch zwei Tage. Am Morgen des dritten ward ein Entschluß gefaßt. Auf Strickleitern, die man aus Lanzen, Pfeilen und Leinwandstücken herstellte, gelang es vielen, die Felsen zu erklimmen. Unter Zurücklassung der Schwächeren machten sich auf diese Weise etwa dreitausend Mann auf, um zu dem Heere in Tunis zu stoßen.

Oberhalb des Felsenkessels dehnte sich Wiesenland, mit kärglichem Gesträuch bewachsen. Die Barbaren verzehrten die Knospen. Dann fanden sie ein Bohnenfeld. Bald war es verschwunden, als wäre ein Heuschreckenschwarm darüber hergefallen. Drei Stunden später gelangte man auf eine Hochebene, die ein Kranz von grünen Hügeln umrahmte.

Zwischen den Hügeln glänzten in gleichen Abständen silberne Bündel. Darunter erblickten die Barbaren, von der Sonne geblendet, undeutliche dicke, schwarze Massen, auf denen diese Bündel lagerten. Mit einem Male entfalteten sie sich, als ob sie aufblühten. Es waren die Lanzen in den Türmen grauenhaft bewaffneter Elefanten.

Außer den Spießen an ihrer Brust, den Eisenspitzen ihrer Stoßzähne, den Erzplatten, die ihre Seiten panzerten, und den scharfen Dolchen an ihren eisernen Kniekappen trugen sie in ihren Rüsseln Lederschlaufen, an denen breite Säbel befestigt waren. Alle Elefanten waren gleichzeitig vom Ende der Hochebene aufgebrochen und rückten von allen Seiten gleichmäßig heran.

Ein namenloser Schreck erstarrte die Barbaren. Sie machten nicht einmal den Versuch, zu fliehen. Schon waren sie umzingelt.

Die Elefanten drangen in die Menschenscharen. Die Spieße an ihrer Brust zerteilten sie. Die Spitzen ihrer Stoßzähne wühlten sie auf wie Pflugschare. Die Säbel an ihren Rüsseln zerschnitten und zerhackten sie. Die Türme mit ihrem Brandpfeilregen glichen wandelnden Vulkanen. Man unterschied nichts als eine breite Masse, in der das Menschenfleisch weiße Flecke, die Erzplatten graue Flächen und das Blut rote Springbrunnen bildete. Die furchtbaren Tiere, die mitten hindurchstampften, gruben schwarze Furchen hinein. Das wütendste wurde von einem Numidier gelenkt, der eine Federkrone auf dem Haupte trug. Er schleuderte Wurfspieße mit gräßlicher Geschwindigkeit und stieß dabei von Zeit zu Zeit einen langen schrillen Pfiff aus. Folgsam wie Hunde, wandten die riesigen Tiere während des Gemetzels fortwährend ihre Blicke nach ihm.

Allmählich verengte sich ihr Kreis. Die kraftlosen Barbaren leisteten keinen Widerstand weiter. Bald waren die Elefanten in der Mitte der Hochebene. Schon hatten sie keinen genügenden Raum mehr. Sie drängten sich und gerieten aneinander. Ihre Hauer berührten sich bereits. Aber Naravas beruhigte sie. Sie machten Kehrt und trabten nach den Hügeln zurück.

Indessen hatten sich zwei Kompagnien Söldner nach rechts in eine Mulde geflüchtet und ihre Waffen weggeworfen. Dort fielen sie in die Knie und streckten die Arme, Gnade flehend, nach den punischen Zelten aus.

Man fesselte sie an Händen und Füßen. Als sie dann nebeneinander auf dem Boden lagen, führte man die Elefanten zurück.

Alsbald krachten die Brustkörbe wie einbrechende Kästen. Jeder Tritt zermalmte zwei Menschen. Die plumpen Füße schlürften über die Leiber hin mit Bewegungen, die aussahen, als hinkten die Tiere. Unaufhaltsam vollendeten sie ihr Werk.

Dann lag die Hochebene wieder still und tot da. Die Nacht brach an. Hamilkar weidete sich am Anblick seiner Rache. Doch plötzlich erbebte er.

Er und alle erblickten zur Linken auf der Höhe eines Hügels auf sechshundert Schritt Entfernung noch andre Barbaren. In der Tat hatten sich vierhundert der tüchtigsten Söldner, Etrusker, Libyer und Spartiaten, von Anfang an in die Hügel zurückgezogen und waren dort bisher unschlüssig verblieben. Nach der Niedermetzlung ihrer Gefährten beschlossen sie, sich durch die Karthager durchzuschlagen. Just marschierten sie nun in einer wohlgeordneten Breitkolonne herab, ein wunderbar schrecklicher Anblick.

 

Sofort ward ein Herold an sie abgesandt. Der Suffet brauche Soldaten. Er bewundere ihre Tapferkeit so, daß er sie bedingungslos annehme. Sie dürften sogar, fügte der Karthager hinzu, noch etwas näher rücken, bis zu einer Stelle, die er ihnen bezeichnen ließ. Dort fänden sie Lebensmittel.

Die Barbaren begaben sich dorthin und verbrachten die Nacht mit Essen. Da murrten die Karthager über die parteiische Vorliebe des Suffeten für die Söldner.

Gab er in der Folge diesen Äußerungen unersättlichen Hasses nach, oder war sein gesamtes Verhalten eine wohlberechnete Verräterei? Jedenfalls kam er selbst am nächsten Morgen, ohne Schwert, barhäuptig, mit einem kleinen Stabe von Klinabaren zu den Söldnern und erklärte ihnen, er hätte schon allzuviel Leute zu ernähren und beabsichtige darum nicht, sie allesamt zu behalten. Da er jedoch Soldaten brauche und nicht wisse, auf welche Weise er die Tüchtigsten von ihnen ermitteln könne, so sollten sie auf Tod und Leben miteinander kämpfen. Die Sieger wolle er dann in seine Leibwache aufnehmen. Solch ein Tod sei ja so gut wie jeder andre. Dabei zeigte er ihnen, indem er seine Truppen auseinander rücken ließ – denn die punischen Fahnen hatten den Söldnern bisher das verborgen, was weiter hinten stand –: die hundertundzweiundneunzig Elefanten des Naravas, die eine einzige gerade Linie bildeten und mit ihren Rüsseln breite Klingen schwangen. Da ward den Barbaren zumute, als ob Riesenarme Henkersbeile über ihre Köpfe hielten.

Sie blickten einander schweigend an. Nicht der Tod war es, der sie durchzitterte, sondern der furchtbare Zwang, der ihnen angetan ward.

Die Kameradschaft hatte manchen engen Bund zwischen den Söldnern geschaffen. Das Feldlager ersetzte den meisten die Heimat. Da sie ohne Familie lebten, widmeten sie ihr Zärtlichkeitsbedürfnis einem Waffengefährten, mit dem sie Seite an Seite, unter demselben Mantel, im Sternenlichte schliefen. Auch waren bei dem beständigen Wandern durch aller Herren Länder, den gemeinsamen Todesgefahren und Abenteuern seltsame Liebschaften entstanden, unzüchtige Verbindungen, ihnen ebenso ernsthaft wie andern Leuten die Ehe, kraft deren der Stärkere den Jüngeren im Mordgewühl verteidigte, ihm beim Sprung über Abgründe half, ihm den Fieberschweiß von der Stirn trocknete und Nahrung für ihn stahl, während der andere, ein am Straßenrand aufgelesener Bursche, der dann Soldat geworden war, ihm diese Hingabe mit tausend zarten Aufmerksamkeiten und den Gefälligkeiten einer Gattin vergalt.

Sie tauschten ihre Halsketten und Ohrgehänge aus, Geschenke, die sie sich dereinst nach irgendeiner großen Gefahr, in trunkenen Stunden gemacht hatten. Alle verlangten den Tod, keiner wollte ihn geben. Es war da manch ein Jüngling, der zu einem graubärtigen Manne sagte: »Nein, nein, du bist der Stärkere! Du wirst uns rächen! Töte mich!« Und der alte Landsknecht erwiderte: »Ich hab nicht lange mehr zu leben! Stoß mir ins Herz und denk nicht mehr daran!« Brüder blickten sich Hand in Hand an, und Liebende sagten ihren Geliebten auf ewig Lebewohl, indem sie weinend an ihren Schultern hingen.

Man warf die Panzer ab, damit die Schwerter rascher durchdrängen. Da kamen wie Inschriften an Denkmälern die Narben der schweren Wunden zum Vorschein, die sie für Karthago empfangen hatten.

Man ordnete sich in vier gleichgroßen Reihen nach Gladiatorenart und begann zaghaft gegeneinander zu fechten. Manche hatten sich sogar die Augen verbunden, und ihre Schwerter tappten unsicher durch die Luft wie der Stock eines Blinden. Die Karthager stießen ein Hohngeschrei aus und schimpften: »Feiglinge!« Das regte die Barbaren auf, und bald ward der Kampf allgemein, leidenschaftlich und gräßlich.

Bisweilen hielt ein Kämpferpaar blutüberströmt inne, sank einander in die Arme und starb unter Küssen. Keiner wich zurück. Man stürzte in gezückte Klingen. Die Raserei ward so wild, daß die Karthager trotz der Entfernung Angst bekamen.

Endlich rastete der Kampf. Die Lungen keuchten laut, und man erkannte wilde Augen zwischen langem, wirrem Haar, das blutig herabhing, als wär es einem Purpurbade entstiegen. Manche drehten sich rasch um sich selbst wie Panther, die an der Stirn verletzt sind. Andre standen unbeweglich und starrten auf einen Leichnam zu ihren Füßen. Dann zerrissen sie sich plötzlich das Gesicht mit den Fingernägeln, packten ihr Schwert mit beiden Händen und stießen es sich in den eigenen Leib.

Sechzig waren noch übrig. Sie verlangten zu trinken. Man rief ihnen zu, sie sollten die Schwerter wegwerfen. Nachdem sie das getan, brachte man ihnen Wasser.

Während sie tranken und das Gesicht tief in die Gefäße drückten, sprangen sechzig Karthager hinterrücks auf sie zu und erdolchten sie.

Hamilkar ließ dies alles geschehen, um den Gelüsten seines Heeres nachzukommen und es durch diesen Verrat an seine Person zu fesseln.

Der Krieg war somit beendet. Wenigstens glaubte man es. Matho würde keinen Widerstand leisten! In seiner Ungeduld befahl der Suffet sofort den Abmarsch. Seine Aufklärer meldeten ihm, sie hätten einen Wagenzug gesehen, der den Weg nach dem Bleiberge verfolge. Hamilkar kümmerte sich nicht darum. Waren erst die Söldner völlig vernichtet, so sollten ihm die Nomaden keine Sorge mehr machen. Die Hauptsache war jetzt die Einnahme von Tunis. In starken Tagesmärschen eilte er dorthin.

Er sandte Naravas nach Karthago, um die Siegeskunde zu überbringen. Stolz auf seine Erfolge, trat der Numidierfürst vor Salambo.

Auf einem gelben Lederkissen ruhend, empfing sie ihn in ihren Gärten unter einer breitästigen Sykomore. Taanach stand neben ihr. Salambos Gesicht war mit einem weißen Schleier bedeckt, der ihr so über Mund und Stirn gewunden war, daß er nur die Augen frei ließ. Aber ihre Lippen leuchteten unter dem zarten Gewebe, ebenso die Edelsteine an ihren Fingern, denn sie trug auch ihre Hände verhüllt. Während des ganzen Gespräches machte sie nicht eine Gebärde.

Naravas berichtete ihr von der Niederlage der Barbaren. Sie dankte ihm mit einem Segensspruche für die ihrem Vater geleisteten Dienste. Darauf begann er den ganzen Feldzug zu erzählen.

Die Tauben in den Palmen um sie herum girrten leise. Haubenlerchen, tartessische Wachteln und punische Perlhühner hüpften im Grase. Der Garten war seit langem vernachlässigt und verwildert. Koloquinten kletterten in die Zweige der Kassien empor. Asklepien wucherten in den Rosenbeeten. Allerlei Gewächse rankten sich durcheinander und formten Lauben. Wie in einem Walde malten die schrägen Sonnenstrahlen da und dort die Schatten der Blätter auf die Erde. Zahme Tiere, die wieder verwildert waren, flohen beim leisesten Geräusch. Bisweilen erblickte man eine Gazelle, an deren zierlichen schwarzen Hufen verlorene Pfauenfedern hingen. Der ferne Lärm der Stadt ertrank im Rauschen der Meereswogen. Der Himmel war tiefblau. Kein Segel leuchtete auf den Fluten.

Naravas hatte auserzählt. Salambo blickte ihn an, ohne zu sprechen. Er trug ein mit Blumen bemaltes Linnengewand mit goldenen Fransen am Saum. Zwei silberne Pfeile hielten sein über den Ohren geflochtenes Haar zusammen. Mit der Rechten lehnte er sich auf den Schaft seiner Lanze, der mit Bernsteinringen und Tierhaarbüscheln geschmückt war.

Wie Salambo ihn so betrachtete, versank sie tiefer und tiefer in lose Gedanken. Der Jüngling mit seiner sanften Stimme und seiner frauenhaften Gestalt bezauberte ihre Augen durch die Anmut seiner Erscheinung. Er erschien ihr wie eine ältere Schwester, von den Göttern zu ihrem Schutze gesandt. Da aber überkam sie die Erinnerung an Matho, und sie konnte der Neugier nicht widerstehen, nach dem künftigen Schicksal des Libyers zu fragen.

Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»