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»Engel der Liebe, der Wonne, der Lust, woher kommst du? Wo weilt deine Mutter? Woran dachte sie, als sie dich empfing? Träumte sie von der Kraft afrikanischer Löwen oder von dem Duft jener fernen Bäume, der so stark ist, daß man stirbt, wenn man ihn einatmet? Du antwortest nicht; sieh mich mit deinen großen Augen an, sieh mich an, sieh mich an! Deinen Mund! Deinen Mund! Da, da hast du meinen!«

Und dann schlugen ihre Zähne wie bei großem Frost aufeinander, und ihre geöffneten Lippen zitterten und sprachen närrische Worte in die Luft!

»Oh, ich würde eifersüchtig sein, siehst du, wenn wir uns liebten, eine Frau sollte dich nur ansehen… «

Und ihr Satz endigte in einem Schrei. Dann wieder hielt sie mich mit starren Armen fest und sagte ganz leise, sie werde sterben.

»Ach, wie schön ist ein Mann, wenn er jung ist! Wenn ich Mann wär, würden mich alle Frauen lieben, so verführerisch würden meine Augen glänzen! Ich würde so gut angezogen, so hübsch sein! Deine Geliebte liebt dich, nicht wahr? Ich möchte sie kennen. Wo trefft ihr euch? Bei dir oder bei ihr? Vielleicht auf der Promenade, wenn du vorüberreitest? Du mußt gut aussehen zu Pferde! Im Theater beim Fortgehen, wenn man ihr den Mantel reicht? Oder in der Nacht in ihrem Garten? Die schönen Stunden, die ihr im Geplauder in der Laube verbringen müßt!«

Ich ließ sie reden, und mir schien, als gäbe sie mir mit diesen Worten eine Geliebte, und ich liebte dieses Phantom, das sich eben in meinen Geist einnistete und flüchtiger darin glänzte als ein Irrlicht am Abend im Gelände.

»Kennt ihr euch schon lange? Erzähl' mir ein wenig davon. Was sagst du ihr, um ihr zu gefallen? Ist sie groß oder klein? Singt sie?«

Schließlich mußte ich ihr sagen, daß sie sich täuschte. Ich erzählte ihr sogar von meiner Bangigkeit, sie wieder aufzusuchen, von den Skrupeln, oder besser der sonderbaren Furcht, die ich dann gehabt, und von der plötzlichen Anwandlung, die mich zu ihr getrieben. Als ich ihr gestanden, daß ich niemals eine Freundin gehabt, daß ich überall danach gesucht, lange davon geträumt hatte, und daß sie die erste war, die meine Zärtlichkeit empfangen, näherte sie sich mir mit Staunen und faßte meinen Arm, als wäre ich ein Trugbild gewesen, das sie hätte greifen wollen.

»Wirklich?« sagte sie, »oh, belüge mich nicht. Du bist also jungfräulich und ich habe dir deine Unschuld genommen, armer Engel? Deine Küsse hatten wirklich etwas Unverdorbenes, wie es nur Kinder haben können, wenn sie lieben. Aber du machst mich staunen, du bist entzückend. Je länger ich dich ansehe, desto mehr liebe ich dich. Deine Wange ist zart wie ein Pfirsich, deine Haut ist wirklich ganz weiß, dein schönes Haar ist stark und dicht. Oh, wie würde ich dich lieben, wenn du wolltest! Denn nur dich habe ich so gesehen. Man könnte glauben, daß du mich gütig anblickst, und doch versengen mich deine Augen. Immerfort zieht es mich zu dir, dich an mein Herz zu pressen.«

Es waren die ersten Liebesworte, die ich in meinem Leben hörte. Woher sie auch kommen, unser Herz empfängt sie mit einem Beben des Glücks. Erinnert euch dessen! Ich trank sie mit Wonne in mich! Ach, wie eilig ich es hatte, mich in meinen Himmel zu schwingen.

»Ja, ja, herze mich tüchtig, herze mich tüchtig! Deine Küsse verjüngen mich,« sagte sie, »ich liebe deinen Duft wie den meines Geißblatts im Monat Juni, er ist erfrischend und süß zugleich. Sieh, deine Zähne sind weißer als die meinigen, ich bin nicht so schön wie du … Ach, welche Wonne!«

Und sie preßte ihren Mund auf meinen Hals, mit gierigen Küssen wühlend, wie ein Raubtier am Bauch seines Opfers.

»Was ist mir denn heute abend? Du hast mir Feuer ins Blut gegossen, ich möchte trinken, tanzen, singen. Wärst du nicht manchmal gern ein kleiner Vogel? Wir flögen zusammen dahin, es müßte süß sein, in der Luft zu lieben; der Wind triebe uns, die Wolken hüllten uns ein … Nein, sei still, daß ich dich anschaue, dich lange anschaue, um dich immer im Gedächtnis zu behalten!«

»Wozu das?«

»Wozu das?« erwiderte sie. »Aber um mich deiner zu erinnern, um an dich zu denken. Ich werde an dich denken in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, am Morgen, wenn ich erwache, ich werde an dich den ganzen Tag denken, wenn ich im Fenster liege, um die Vorübergehenden zu sehen, aber besonders des Abends, wenn es dunkelt und die Lichter noch nicht brennen. Ich werde mir dein Gesicht zurückrufen, deinen Körper, deinen schönen Körper, der Wollust atmet, und deine Stimme! Ach, höre, mein Geliebter, laß mich von deinen Haaren nehmen, ich werde sie in diesem Armband tragen; sie sollen mich niemals verlassen.«

Sie erhob sich sogleich, holte ihre Schere und schnitt mir einen Strang im Nacken ab. Es war eine kleine, spitze Schere, die beim Auf- und Zugehen knirschte. Ich fühle noch die Kälte des Stahls im Nacken und Mariens Hand.

Das Verschenken und Austauschen von Haaren gehört zum Schönsten, was es für Liebende gibt. Wie viele schöne Hände haben, seit Liebesnächte herabgesunken sind, durch Balkongitter Strähne schwarzen Haares gereicht! Fort mit den achtfach geflochtenen Uhrketten, den Ringen, in die sie eingeklebt sind, den Medaillons, die sie in Kleeblattform zeigen, fort mit all dem Haar, das die beflissene Hand des Friseurs geschändet hat. Ich will die Strähne ganz allein und nur an beiden Enden mit einem Faden zusammengehalten, damit nichts davon verloren geht. Man hat sie eigenhändig vom geliebten Haupte abgeschnitten, in einem höchsten Augenblicke, in der Glut einer ersten Liebe, am Abend vor der Abreise! Frauenhaar! Prächtiger Mantel des Weibes in den Urzeiten, als es noch bis auf die Fersen herabhing und die Arme verhüllte, als damals die Frau mit dem Manne die Ufer der großen Ströme entlangschritt und der erste Lufthauch der Schöpfung mit den Wipfeln der Palmen und der Mähne der Löwen zugleich das Haar der Frauen bewegte! Ich liebe das Haar! Wie oft habe ich auf Friedhöfen, die umgegraben wurden, oder in alten Kirchen, die man abriß, das Haar betrachtet, das in der aufgewühlten Erde neben gelben Knocken und Stücken vermoderten Holzes erschien! Zuweilen warf die Sonne einen fahlen Glanz darüber, und ließ es wie eine Goldader erglänzen. Ich versetzte mich gern in die Tage zurück, wo eine nun längst verheerte Hand über dieses Haar hinfuhr und es über die Kissen breitete; als noch alles zusammen auf einer weißen Kopfhaut saß und mit duftender Flüssigkeit gesalbt war, als ein jetzt zahnloser Mund Küsse hineindrückte und die Spitzen unter wonnigem Schluchzen abbiß.

Ich ließ mir die Haare in einem Gefühl dummer Eitelkeit abschneiden. Ich erbat mir nicht einmal welche von ihr, und heute, wo ich nichts besitze, keinen Handschuh, keinen Gürtel, nicht einmal drei vertrocknete, im Buche gepreßte Rosenblätter, nichts als die Erinnerung an die Liebe einer öffentlichen Dirne, heute gräme ich mich danach.

Als sie damit fertig war, legte sie sich wieder an meine Seite. Sie kam, vor Wollust erschauernd, in die Laken zurück; sie zitterte und machte sich auf mir klein wie ein Kind; schließlich schlief sie ein, den Kopf an meine Brust gelehnt.

Jedesmal, wenn ich Atem holte, fühlte ich, wie das Gewicht dieses schlummernden Kopfes sich auf meiner Brust hob. In welcher vertrauten Vereinigung befand ich mich doch mit diesem unbekannten Wesen! Der Zufall hatte uns zusammengeführt, zwei bis zu diesem Tage einander fremde Menschen. Wir teilten dasselbe Lager, auf dem uns eine unbekannte Kraft zusammenschmiedete. Wir würden einander verlassen und nicht mehr wiedersehen. Die Atome, die in der Luft wirbeln und fliegen, verweilen länger beieinander als die Herzen, die sich lieben. Gewiß steigen des Nachts einsame Wünsche auf, und die Träumenden suchen einander. Dieser seufzt vielleicht nach einer unbekannten Seele, die sich auf einer anderen Halbkugel unter einem andern Himmel nach ihm sehnt.

Welche Träume zogen jetzt durch dieses Haupt? Dachte sie an ihre Familie, an ihren ersten Geliebten, an die Welt, an die Menschen, an ein reiches, in Üppigkeit schwelgendes Leben, an eine heißersehnte Liebe? An mich vielleicht! Mein Auge starrte auf ihre blasse Stirn. Ich belauerte ihren Schlaf und suchte mir den heiseren Ton zu deuten, der aus ihrer Kehle kam.

Es regnete. Ich horchte auf das Geräusch der fallenden Tropfen und auf Mariens Schlaf. Die Lichter, die am Verlöschen waren, knisterten in den kristallenen Leuchtereinsätzen. Der Morgen dämmerte, ein gelber Streifen reckte sich am Himmel, wuchs in wagerechter Richtung und erfüllte, mehr und mehr in goldige und weinrote Färbungen übergehend, das Zimmer mit einem schwachen weißlichen, mit Violett untermischten Licht, das noch mit der Nacht und dem Schimmer der erlöschenden Kerzen spielte, die der Spiegel zurückwarf. Marie, auf mir ruhend, lag mit einem Teil ihres Körpers im Lichte, mit dem andern im Schatten. Sie hatte ihre Haltung etwas geändert; ihr Kopf lag niedriger als ihre Brust; der rechte Arm, der Arm mit dem Reifen, hing aus dem Bett heraus und berührte fast den Fußboden. Auf dem Nachttischchen stand ein Veilchenbukett. Ich langte danach und nahm es. Ich biß den Faden mit den Zähnen durch und sog den Duft ein. Sie waren von der Hitze des gestrigen Tages oder, weil sie schon länger gepflückt, welk geworden. Ich fand, daß sie einen köstlichen und ganz besonderen Duft hatten, ich roch an einer Blume nach der anderen. Da sie feucht waren, legte ich sie zur Kühlung auf meine Augen; denn mein Blut kochte, und meine ermatteten Glieder brannten bei der Berührung mit den Laken. Da, unschlüssig, was ich tun sollte, und nicht gewillt, sie aufzuwecken, denn ich empfand ein seltsames Vergnügen, sie schlafen zu sehen, legte ich sanft alle Veilchen auf Mariens Busen. Bald war sie ganz damit bedeckt, und die süßen verwelkten Blumen, unterdenen sie schlief, versinnbildlichten sie mir. Denn gleich ihnen strömte sie trotz der entschwundenen Frische oder vielleicht gerade deshalb einen herberen und aufreizenderen Duft aus. Das Unglück, das sie heimgesucht, hatte sie mit seinem Kummer verschönt, den ihr Mund noch im Schlafe aufwies. Ebenso verschönten sie zwei Falten hinten am Halse, die sie am Tage sicherlich unter ihrem Haar verbarg. Vor dieser Frau, die im Sinnenrausch so traurig blieb und deren Umarmungen noch eine trauerschwere Freude aushauchten, ahnte ich tausend schreckliche Leidenschaften, die sie wie Blitze hatten furchen müssen, und deren Spuren man noch sah. Und dann mußte es mir Vergnügen machen, die Geschichte ihres Lebens zu hören, mir, der ich am menschlichen Dasein den zitternden Atem der Leidenschaft liebte, die Welt der großen Passionen und schönen Tränen.

 

In diesem Augenblick erwachte sie. Die Veilchen fielen alle herab, sie lächelte mit halb geschlossenen Augen, während sie zugleich ihre Arme um meinen Hals schlang und mich mit einem langen Morgenkuß umfing, dem Kuß der erwachenden Taube.

Als ich sie bat, mir ihre Geschichte zu erzählen, begann sie:

»Dir kann ich alles sagen. Andere würden lügen und damit anfangen, daß sie nicht immer gewesen, was sie jetzt sind, sie würden dir über ihre Familie und ihre Liebschaften Märchen erzählen. Aber ich will dich nicht belügen und mich nicht für eine Prinzessin ausgeben. Höre denn, du wirst sehen, ob ich glücklich gewesen bin! Weißt du, daß ich oft Lust hatte, mich zu töten? Einmal kam man zu mir ins Zimmer, da war ich schon halb erstickt. Ach, wenn ich keine Angst vor der Hölle hätte, wäre es schon lange geschehen. Ich habe auch Furcht vor dem Sterben, es schaudert mich, diesen Augenblick durchzumachen, und doch möchte ich gern tot sein!

Ich bin vom Lande, unser Vater war Pächter. Bis zu meiner ersten Kommunion mußte ich jeden Morgen die Kühe auf den Feldern hüten. Den ganzen Tag über war ich allein. Ich setzte mich an den Rand des Grabens, um zu schlafen, oder ich ging in den Wald, um Nester auszunehmen. Ich kletterte wie ein Junge auf die Bäume; meine Kleider waren immer zerrissen. Oft bekam ich Schläge, weil ich Äpfel gestohlen oder das Vieh zu den Nachbarn hatte laufen lassen. War die Ernte da und der Abend gekommen, so tanzte man im Hofe in der Runde. Ich hörte Lieder singen von Dingen, die ich nicht verstand. Die Burschen küßten die Mägde. Lautes Lachen erscholl; doch das machte mich traurig und träumerisch. Zuweilen bat ich auf dem Heimwege einen Fuhrmann der Landstraße, mich auf seinen Heuwagen steigen zu lassen. Der Mann nahm mich mit und setzte mich auf die Luzernebündel. Kannst du glauben, daß ich zuletzt ein unsägliches Vergnügen empfand, von den kräftigen Armen eines handfesten Burschen emporgehoben zu werden, dessen Gesicht von der Sonne verbrannt und dessen Brust ganz in Schweiß gebadet war? Gewöhnlich waren seine Ärmel bis zu den Achseln aufgekrempelt. Ich berührte gern seine Muskeln, die Buckel und Höhlungen bei jeder Bewegung seiner Hand bildeten. Ich ließ mich auch gern von ihm küssen, um das Kratzen seines Bartes auf meiner Backe zu fühlen. Unten auf der Wiese, wohin ich alle Tage kam, floß ein kleiner Bach zwischen zwei Reihen von Pappeln. Allerlei Blumen wuchsen an seinem Ufer. Ich wand Sträuße, Kränze und Ketten daraus. Aus Vogelbeeren machte ich mir Halsbänder. Das wurde bei mir zur Leidenschaft. Ich hatte immer die ganze Schürze voll davon. Mein Vater schalt mich und sagte, daß ich stets ein gefallsüchtiges Ding bleiben werde. Ich hatte auch welche in mein kleines Zimmer mitgenommen. Zuweilen betäubte mich die Menge der Gerüche, und ich schlummerte mit benommenem Kopf ein und genoß doch zugleich dies Unbehagen. Der Duft des jungen Heues zum Beispiel, der Duft des warmen und gärenden Heues, schien mir immer köstlich, so daß ich mich jeden Sonntag in der Scheune einschloß und dort den ganzen Nachmittag damit verbrachte, den Spinnen zuzusehen, die ihre Netze zwischen den Balken spannen, und die Fliegen summen zu hören. Ich lebte in den Tag hinein, aber ich wurde ein hübsches Mädchen. Ich strotzte von üppiger Gesundheit! Oft faßte mich eine Art von Verrücktheit, und ich lief, lief, bis ich fiel, oder ich sang aus vollem Halse oder ich sprach lange für mich allein. Sonderbare Wünsche bestürmten mich, ich betrachtete immer die Tauben im Schlage, die sich gatteten. Einige kamen bis unter mein Fenster, sich in der Sonne zu baden und in den Weinreben zu spielen. In der Nacht hörte ich sie noch mit den Flügeln schlagen und girren. Das schien mir so süß, so lieblich, daß ich hätte Taube sein mögen wie sie und meinen Hals biegen, wie sie beim Schnäbeln taten. ›Was mögen sie einander wohl sagen,‹ dachte ich, ›da sie ja so glücklich ausschauen!‹ Und ich dachte daran, mit welch wundervollen Sprüngen die Hengste hinter den Stuten herrennen und wie ihre Nüstern sich blähen. Ich dachte an die Lust, die erschauernd durch die Wolle der Schafe läuft, wenn der Widder naht, und an das Summen der Bienen, wenn sie sich in Trauben an den Bäumen des Obstgartens aufhängen. Im Stall drängte ich mich zwischen die Tiere, um die Ausdünstung ihrer Glieder zu spüren, den Lebensatem, den ich mit voller Brust einsog, und zugleich betrachtete ich verstohlen ihre Nacktheit, auf die der Taumel der Sinne meine verwirrten Augen immer wieder zog. Dann wieder nahmen sogar die Bäume an den Waldesecken, besonders in der Dämmerung, sonderbare Formen an: bald waren es Arme, die sich zum Himmel streckten, bald ein Stumpf, der sich unter den Windstößen wie ein Leib bog. Wenn ich des Nachts bei Mondschein erwachte und die Wolken zogen, sah ich am Himmel Dinge, die mich erschreckten und meine Lust erregten. Ich erinnere mich, daß ich einmal am Weihnachtsabend eine große nackte Frau aufrecht dastehen sah; mit rollenden Augen; sie war gut hundert Fuß hoch, doch sie wuchs noch beständig und wurde immer dünner; schließlich zerbrach sie; jedes Glied blieb getrennt für sich; der Kopf flog zuerst davon; das übrige bewegte sich noch. Oder ich träumte. Mit zehn Jahren kannte ich schon fieberheiße Nächte Nächte voller Wollust. War es nicht Wollust, was in meinen Augen glänzte, was in meinem Blute kreiste und mein Herz vor Wonne tanzen ließ, wenn meine Glieder sich untereinander berührten? Die Unzucht sang mir beständig Gesänge von Wollust ins Ohr. In meinen Visionen sah ich Fleischmassen wie Gold schimmern. Unbekannte Formen bewegten sich durcheinander wie Quecksilber-Kügelchen.

In der Kirche betrachtete ich den nackten Menschenleib am Kreuze. Ich richtete seinen Kopf auf; ich füllte seine Flanken aus, ich färbte ihm alle seine Glieder und öffnete seine Augen. Ich ließ einen schönen Mann mit feurigem Blick vor mir erstehn. Ich löste ihn vom Kreuze und ließ ihn zu mir auf den Altar herabsteigen. Weihrauch hüllte ihn ein, er ging in einer Räucherwolke dahin, und Schauer der Lust liefen über meinen Leib.

Wenn ein Mann zu mir sprach, beobachtete ich sein Auge und den Blick, der daraus hervorbricht. Ich hatte besonders die gern, deren Lider l '3 in beständiger Bewegung sind und die Augäpfel bald verbergen, bald wieder zeigen, eine Bewegung, die dem Flattern eines Nachtfalters gleicht. Durch die Kleider hindurch suchte ich das Geheimnis ihres Geschlechtes zu erspähen, und ich befragte darüber meine jungen Freundinnen. Ich gab auf die Küsse meines Vaters und meiner Mutter acht, und des Nachts horchte ich auf das Geräusch, das von ihrem Lager kam.

Mit zwölf Jahren wurde ich eingesegnet. Man hatte mir ein schönes weißes Kleid aus der Stadt kommen lassen. Wir trugen alle blaue Gürtel. Ich hatte gewünscht, daß man mir die Haare aufwickelte wie einer Dame. Bevor ich aufbrach, betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war schön wie eine Liebesgöttin, beinahe war ich in mich selbst verliebt; ich wünschte mir, es zu sein. Es war in den Tagen des Fronleichnamsfestes. Die Nonnen hatten die Kirche mit Blumen gefüllt; alles duftete. Seit drei Tagen war ich selbst mit den anderen beschäftigt, den kleinen Altartisch mit Jasmin zu schmücken, vor dem das Gelübdeabgelegt werden sollte. Der Altar verschwand unter Hyazinthen; Teppiche bedeckten die Stufen des Chors. Wir trugen alle weiße Handschuhe und hielten eine Kerze in der Hand. Ich war sehr glücklich, dies alles entsprach ganz meiner Natur. Während der ganzen Messe bewegte ich meine Füße auf dem Teppich, denn bei meinem Vater gab es keinen. Ich hätte mich in meinem weißen Kleide darauflegen und ganz allein in der Kirche bleiben mögen, mitten unter den brennenden Kerzen. Mein Herz schwoll von neuer Hoffnung. Mit Unruhe erwartete ich die Hostie. Ich hatte gehört, daß die erste Kommunion verwandle, und ich glaubte, daß all mein Verlangen gestillt sein würde, wenn das Sakrament vorüber sei. Doch nein! Als ich wieder an meinem Platze saß, fand ich mich wieder in meinem Glutofen. Ich hatte bemerkt, daß ich angeschaut wurde, als wir uns dem Priester näherten. Das stieg mir zu Kopf. Ich fand mich schön und brüstete mich in unbestimmtem Stolz mit all den Wonnen, die in mir verborgen lagen und die ich selbst noch nicht kannte. Nach der Messe gingen wir alle nacheinander in langem Zuge auf den Friedhof. Eltern und Neugierige standen zu beiden Seiten im Grase, um uns vorüberziehen zu sehen. Ich ging zuerst, ich war die größte. Beim Mahle aß ich nichts, mein Herz war ganz beklommen. Meine Mutter hatte noch rote Augen vom Weinen während des Gottesdienstes. Einige Nachbarn kamen zum Gratulieren und umarmten mich mit überströmender Zärtlichkeit. Ihre Liebkosungen waren mir widerlich.

Im Nachmittagsgottesdienst war es noch voller als am Morgen. Uns gegenüber hatte man die Knaben gesetzt; sie schauten uns begehrlich an, mich besonders. Auch als ich die Augen niederschlug, fühlte ich noch ihre Blicke. Sie waren frisiert und im Sonntagsstaat wie wir. Als sie nach dem Absingen der ersten Strophe eines Gesanges einsetzten, ergriff ihre Stimme meine Seele, und als sie verklang, starb mein Entzücken mit ihr und stieg von neuem, als sie wieder begannen. Ich legte meine Gelübde ab; alles, was ich noch davon weiß, ist, daß ich von weißem Kleide und Unschuld sprach.«

Marie hielt inne, – ergriffen von den Gefühlen der Erinnerung, die sie zu überwältigen drohten; dann fuhr sie mit verzweifeltem Lachen fort:

»Ach, das weiße Kleid! Seit langem ist es verbraucht! und die Unschuld mit ihm! Wo sind die andern jetzt? Einige sind gestorben; andere sind verheiratet und haben Kinder; ich sehe und kenne niemand mehr. Bei jedem Jahreswechsel will ich meiner Mutter schreiben, aber ich wage es nicht, und dann, pah, sind alle diese Gefühle dumm!«

Ihre Rührung gewaltsam unterdrückend, fuhr sie fort:

»Am folgenden Tage, der noch ein Festtag war, wollte mich ein Kamerad zum Spielen abholen. Meine Mutter sagte zu mir: ›Jetzt, wo du ein großes Mädchen bist, solltest du nicht mehr mit den Knaben gehen,‹ und sie trennte uns. Das genügte, um mich in ihn verliebt zu machen. Ich suchte ihn, ich machte ihm den Hof. Ich wollte mit ihm aus dem Lande fliehen; er sollte mich heiraten, wenn ich groß sein würde. Ich nannte ihn meinen Gatten, meinen Geliebten; er wagte nichts. Als wir eines Tages zusammen vom Erdbeersuchen aus dem Walde kamen und an einem Heuhaufen vorübergingen, stürzte ich mich auf ihn, bedeckte ihn mit meinem ganzen Körper, und ihn auf den Mund küssend, schrie ich: ›Liebe mich doch, wir wollen uns heiraten, wir wollen uns heiraten!‹ Er riß sich los und entfloh.

Seit dieser Zeit hielt ich mich von aller Welt fern und verließ den Hof nicht mehr. Ich lebte einsam mit meinen Wünschen wie andere mit ihren Genüssen. Erzählte man, daß der und der ein Mädchen entführt hatte, das man ihm verweigert hatte, so stellte ich mir vor, seine Geliebte zu sein, auf dem Pferde hinter ihm sitzend, über die Felder dahin zu fliegen und ihn in meine Arme zu schließen. Sprach man von einer Heirat, so legte ich mich in Gedanken schnell in das weiße Bett. Wie eine Neuvermählte bebte ich vor Furcht und Wollust. Ich beneidete selbst die Kühe um ihr klagendes Gebrüll, wenn sie kalben; an den Grund denkend, war ich eifersüchtig auf ihre Schmerzen.

Zu jener Zeit starb mein Vater; meine Mutter zog mit mir in die Stadt. Mein Bruder ging zu den Soldaten, wo er es bis zum Hauptmann gebracht hat. Ich war sechzehn Jahre alt, als wir von Hause fortzogen. Ich sagte dem Walde und der Wiese, wo mein Bach floß, für immer Lebewohl; ein Lebewohl dem Portal der Kirche, vor dem ich so schöne Stunden in der Sonne gespielt hatte, ein Lebewohl auch meinem armen kleinen Zimmer. Ich habe nichts von alledem wiedergesehen. Die Grisetten unseres Stadtteiles, die meine Freundinnen wurden, zeigten mir ihre Schätze. Ich machte Ausflüge mit ihnen, ich schaute zu, wie man sich liebte, und ich weidete mich mit Muße an diesem Anblick. Jeden Tag fand sich ein neuer Vorwand zum Fortgehen. Meine Mutter wurde aufmerksam. Anfangs machte sie mir Vorwürfe, schließlich jedoch ließ sie mich in Ruhe.

Eines Tages endlich schlug mir ein altes Weib, das ich seit einiger Zeit kannte, vor, sie wolle mein Glück machen. Sie sagte, sie habe einen sehr reichen Liebhaber für mich gefunden. Ich brauche nur am Abend des folgenden Tages auszugehen, als wenn ich eine Arbeit in die Vorstadt trüge; sie würde mich an Ort und Stelle führen.

 

Während der nächsten vierundzwanzig Stunden glaubte ich mehrere Male, verrückt zu werden. Je näher die Stunde kam, desto weiter schien mir der ersehnte Augenblick: ich hatte nur noch dieses Wort im Kopfe: ein Liebhaber! ein Liebhaber! Ich sollte also einen Liebhaber bekommen, sollte geliebt werden, sollte lieben! Zuerst zog ich meine feinsten Schühchen an. Als ich sah, daß mein Fuß sich darin breit trat, nahm ich Stiefel. Ebenso frisierte ich mein Haar auf hundert verschiedene Weisen, in Windungen aufgesteckt, dann mit flachem Scheitel, in Locken gedreht, in Flechten. Je öfter ich in den Spiegel sah, desto schöner wurde ich, aber ich genügte mir noch nicht. Meine Kleider waren gewöhnlich, und ich errötete vor Scham darüber. Warum war ich nicht eine jener Frauen, die weiß aus Samt und Spitzen hervorleuchten, die nach Ambra und Rosen duften, von Seide rauschen und Diener in goldgestickten Livreen hinter sich haben! Ich fluchte meiner Mutter, meinem vergangenen Leben, und ich rannte davon, von allen Versuchungen des Teufels gehetzt und sie alle im voraus genießend.

An einer Straßenecke erwartete uns ein Fiaker, wir stiegen hinein. Eine Stunde darauf hielt er vor dem Gittertor eines Parkes. Nachdem wir einige Zeit darin umhergegangen, bemerkte ich, daß die Alte mich verlassen hatte und ich allein in den Alleen geblieben war. Die Bäume standen ragend im reichen Blätterschmuck. Rasenstreifen umgaben Blumenbeete; niemals hatte ich einen so schönen Garten gesehen. Ein Fluß zog sich mitten hindurch. Steine, die geschickt hier und da verteilt waren, brachten Wasserfälle hervor. Schwäne spielten auf der Fläche und ließen sich mit geblähten Flügeln von der Strömung treiben. Ich sah mit Vergnügen die Volière, in der allerhand Vögel schrien und sich in ihren Ringen wiegten; sie breiteten ihre bunten Schwänze aus und flogen voreinander her, es war ein blendender Anblick. Zwei Statuen aus weißem Marmor standen unten auf der Freitreppe und schauten einander in reizender Stellung an; das große Bassin gegenüber war von der untergehenden Sonne vergoldet und machte einem Lust zum Bade. Ich dachte an den unbekannten Liebhaber, der hier wohnte. Jeden Augenblick erwartete ich, hinter einer Baumgruppe einen schönen Mann hervorkommen zu sehen, der stolz wie Apoll daherschritt. Als nach dem Diner das Geräusch im Schlosse, das ich seit geraumer Zeit hörte, nachließ, erschien mein Gebieter. Es war ein ganz weißer und magerer alter Herr, der sich in zu enge Kleider gepreßt hatte. Er trug einen Ordensstern auf seinem Rock und Schuhe, die ihn bei der Bewegung seiner Knie hinderten. Seine Nase war groß, und seine kleinen grünen Augen hatten einen häßlichen Ausdruck. Er sprach mich lächelnd an; sein Mund war zahnlos. Wenn man lächelt, muß man kleine rosige Lippen haben, wie du sie hast, mit ein wenig Schnurrbart in den Mundwinkeln, nicht wahr, mein Engel?

Wir setzten uns auf eine Bank. Er nahm meine Hände; er fand sie so reizend, daß er jeden einzelnen Finger küßte. Er sagte mir, daß ich sehr viel Geld haben würde, wenn ich seine Geliebte werden, artig sein und bei ihm bleiben wolle. Ich würde Dienerschaft zu meiner Bedienung haben und jeden Tag schöne Kleider bekommen. Ich würde reiten und ausfahren. Doch für alles das müsse ich ihn lieben. Ich versprach, ihn lieben zu wollen.

Und doch regte sich in mir keine jener Flammen, die mir noch unlängst bei der Annäherung der Männer das Innere verbrannten. Dadurch, daß ich neben ihm saß und mir sagte, daß ich die Geliebte dieses Mannes da sein sollte, bekam ich schließlich Lust. Als er mich aufforderte, mit ihm ins Haus zu kommen, erhob ich mich lebhaft. Er war entzückt, er zitterte vor Freude, der Einfaltspinsel! Nachdem wir einen schönen Salon mit vergoldeten Möbeln durchschritten hatten, führte er mich in mein Zimmer und wollte mich selbst auskleiden. Er begann damit, mir meinen Kopfputz abzunehmen; doch als er mir die Schuhe ausziehen wollte, wurde ihm das Bücken schwer, und er sagte: ›Ja, ich bin alt, mein Kind.‹ Er kniete vor mir nieder, seine Blicke bettelten. Die Hände faltend, fügte er hinzu: ›Du bist so hübsch!‹ Ich hatte Furcht vor dem, was kommen würde.

Im Alkoven stand ein ungeheures Bett. Er zog mich schreiend dahin. Ich fühlte mich in Daunen und Matratzen versinken. Sein Körper lastete auf mir als gräßliche Marter. Seine schlaffen Lippen bedeckten mich mit kalten Küssen. Die Decke des Zimmers schien mich erdrücken zu wollen. Wie glücklich war er! Er wollte vor Wonne vergehen! Während ich für mich versuchte, selbst zu genießen, regte ich ihn auf, wie es schien. Aber was ging mich sein Vergnügen an! Das meinige wollte ich, erwartete ich. Ich ersehnte es von seinem eingefallenen Munde und seinen kraftlosen Gliedern, ich suchte es in diesem Greise zu finden, und während ich in unerhörter Anstrengung alles zusammenraffte, was von verhaltener Wollust in mir war, fühlte ich nur Ekel in meiner ersten Nacht der Ausschweifung.

Kaum war er fort, so erhob ich mich. Ich ging ans Fenster, öffnete es und erfrischte meine Haut an der Luft. Ich wünschte, der Ozean hätte ihn von mir abwaschen können. Ich brachte mein Bett in Ordnung und tilgte sorgfältig alle Spuren, wo dieser Leichnam mich mit seinen Krämpfen ermüdet hatte. Die ganze Nacht verbrachte ich mit Weinen; in meiner Verzweiflung brüllte ich wie ein Tiger, den man verschnitten hat. Ach, wärest du damals gekommen! Hätten wir in jenen Zeiten einander gekannt! Wenn du ebenso alt gewesen wärest wie ich, damals hätten wir uns geliebt, als ich sechzehn Jahre zählte, als mein Herz noch unverbraucht war! Unser ganzes Leben wäre damit vergangen, meine Arme würden nur dazu da gewesen sein,dich an mich zu drücken, meine Augen, sich in die deinen zu versenken.«

Sie fuhr fort:

»Da ich nun eine große Dame war, stand ich erst um Mittag auf, ich hatte Dienerschaft, die mir überall hin folgte, und einen Wagen, in dessen Polstern ich bequem saß. Mein Rassepferd setzte wundervoll über Baumstämme weg, und die schwarze Feder meines Reithutes nickte anmutig. Doch da ich von einem Tage zum andern reich geworden war, regte mich dieser ganze Luxus auf, anstatt mich zu beruhigen. Bald war ich bekannt, man riß sich um mich, meine Liebhaber begingen tausend Torheiten, um mir zu gefallen. Jeden Abend las ich die Liebesbriefe vom Tage, um darin einen neuen Ausdruck eines Herzens zu finden, das anders als die übrigen und für mich geschaffen war. Aber alle ähnelten einander. Im voraus kannte ich den Schluß ihrer Wendungen und die Art, wie sie auf die Knie fielen. Zwei von ihnen habe ich aus Laune zurückgewiesen, und sie haben sich getötet. Ihr Tod hat mich nicht gerührt. Warum sterben? Warum haben sie nicht alle Hindernisse weggeräumt, um mich zu besitzen? Wenn ich einen Mann liebte, so wären keine Meere breit und keine Mauern hoch genug, um mir den Weg zu ihm zu versperren. Wie gut würde ich mich darauf verstanden haben, wenn ich Mann wäre, die Wächter zu bestechen, nachts in die Fenster zu steigen und mit meinen Küssen die Schreie des Opfers zu ersticken, während ich so jeden Morgen von neuem um die Hoffnung betrogen war, die ich am Abend vorher gehegt hatte.

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