Reisen Band 2

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Ein einziger Indianer wohnt hier als Aufseher über die Schiffsgüter, und die Königin selber ist seit langen Jahren nicht mehr herübergekommen; aber die Palmen schaukeln noch so still und friedlich als damals ihre breiten herrlichen Wipfel, und das durchsichtige krystallreine Wasser spiegelt noch wie irüher die lauschigen Schatten der Büsche wieder. - Nur die freundlichen Gesichter sind verschwunden, die sich sonst darin neckten und haschten, die schlanken Gestalten gleiten nicht mehr aus dem schützenden Dickicht in das weite Korallenbassin, das die Natur hier für ihr Bad gebildet und mit scharfen, zackigen Pflanzen gegen die gefräßigen Ungeheuer der Tiefe gesichert hat. - Ihre fröhlichen Weisen schwellen nicht mehr - horch - was war das? - Trommelschlag - ein Wirbel rasselt, und die Möve, die eben dicht an dem dunkeln Buschwerk vorüberstrich, schießt in jähem Schreck ab von den feindlichen Tönen und sucht sich einen stilleren, friedlicheren Platz für ihren Flug.

Ich hatte einige Mühe, einen Weg mit meinem selbst nur wenige Zoll im Wasser gehenden Canoe zu der Insel zu finden, obgleich mehrere ziemlich tiefe Kanäle dorthin führen - so hoch ragten die Korallen, gerade wo ich die Anfahrt versuchte, an die Oberfläche empor. Endlich erreichte ich eine /22/ etwas vorragende Landspitze und sprang an's Ufer - Niemand hinderte mich - während Hermann Melville damals auf so entschieden hartnäckige Weise von der einen Schildwache rund um die Insel herum vom Landen abgehalten worden war und unverrichteter Sache hatte wieder zurückkehren müssen - ein einziger alter Indianer hütet den Platz, sieht danach, daß Niemand die dort aufgespeicherten Vorräte berührt, und verträumt seine Zeit als Generalgouverneur und Schildwache des Platzes. Um so mehr war ich erstaunt, hier die kriegerischen Töne der Trommel zu hören, und als ich mir durch ein wirres Dickicht von wild aufgewachsenen Büschen Bahn zu der Stelle brach, fand ich - niemand Andern als meinen Straßburger mit den drei Prinzen des königlichen Hauses, denen er, auf dem Erbsitz, von dem sie die Fremden gestoßen - Trommelstunde gab. - Die drei Knaben, die übrigens in Hosen und Jacken gekleidet waren, und jeder einen goldenen Ring am Finger hatte, kamen freundlich auf mich zu - sie kannten mich noch, und gewissermaßen als eine Art Revanche, da ich ihnen doch auch früher „Musik gemacht", trommelten sie mir jetzt der Reihe nach etwas auf ihrem Lieblingsinstrument vor.

Ich blieb nicht lange auf der Insel, der Platz bot nichts Freundliches, was mich dort lange hätte halten können. Vorher aber zeigte mir der Straßburger noch eine Partie Hölzer, die wie starke Kanonen geformt, aber höchstens fünf Fuß lang und ohne Mündung waren. Ein englisches Schiff hatte vor mehreren Jahren hier einlaufen wollen, scheiterte aber aus den Rissen, und die Franzosen fischten unter den an's Land treibenden Hölzern auch diese Kanonen auf, von denen der Engländer, glaub' ich, siebenundzwanzig an Bord gehabt, und die wahrscheinlich hatten dazu dienen sollen, die Franzosen einzuschüchtern — ein sehr verfehlter Zweck, denn diese nachgemachten Kanonen liegen jetzt hier wie ein von Kindern entlarvter und verlachter Popanz.

Von der Insel ab trieb ich langsam und ohne zu rudern, von einer leichten Brise fortbewegt, über die Korallenriffe, und sah unter mir nieder, gerade wie bei Imeo, die kleinen Fische spielen, und die wunderlichen Stämme und Pflanzen /23/ zu mir heraufragen. Seesterne und Igel lagen tief versteckt zwischen den zackigen Ästen und Zweigen, und wie ein Wald krystallisirter Bäume zog es sich in breiten Gebirgsstreifen und tiefen, mit blauem Nebel gefüllten Tälern unter mir hin. So muß dem Aeronauten zu Mute sein, wenn er in luftiger Höhe hoch, hoch über den Bergen und Seen des festen Landes schifft, und unter ihm Wälder und Täler, belebte Städte und Flecken wie flüchtige Nebelbilder dahinschwinden.

Ein englischer Arzt in Papetee erzählte mir besonders viel von der Vegetation der höchsten Berge, und wie da oben unter anderen eine Blume blühe, die auf keinem andern Teil der Erde vorkomme, und den lieblichsten Duft verbreite, den man sich denken könne. Er selbst hatte den Versuch gemacht, sie unten im flachen Lande fortzubringen, aber sie wollte nicht gedeihen. Der Doktor hatte in seinem eigenen Garten eine recht hübsche Sammlung tropischer Pflanzen - die Vanille von Brasilien, die Norfolktanne von Australien, die Lotosblume und den Kapasbaum von Indien und manche andere mehr, die hier alle in dem wundervollen Klima Tahitis trefflich gedeihen.

In diesen Tagen lief auch ein deutscher Walfischfänger ein: die Otaheite, und ich sah mit inniger Freude die Bremer Flagge, eine alte liebe Bekannte, von dessen Gaffel wehen. Natürlich fuhr ich gleich an Bord hinüber, und wurde von Capitain Wieding auf das Freundlichste empfangen. Die Otaheite war ein reizendes, noch ganz neues Schiff, sehr geschmackvoll, ja elegant eingerichtet und machte Furore in Tahiti.

Als ich zum zweiten oder dritten Mal auf dem Schiff war und über Deck ging, um mir das nette Fahrzeug von allen Seiten zu besehen, trat, als ich nach vorn kam, einer der Matrosen mit einem echt deutschen Gesicht auf mich zu, und redete mich etwas verlegen an: er hätte gehört, ich wäre ein Sachse. - Ich versicherte ihm, daß ich wenigstens in Sachsen jetzt zu Hause sei, und sein breites -: Ne, da währen Se wohl gar ä Laipziger? versetzte mich im Nu an die Ufer der Pleiße und Elster zurück. /24/ Unsere Begrüßung war herzlich, und als ich ihn frug, wie er, ein richtiges Kind des innern Landes, nur um Gottes willen hier beinahe zu den Antipoden gekommen wäre, auf Walfische zu jagen - ein Leipziger und Walfische! - erzählte er mir mit freudestrahlendem Gesicht, daß er eigentlich der „Scharfrichters^“-Knecht aus Leipzig wäre und, „wie man nun so manchmal in der Welt herum käme,“ auch an Bord eines Walfischfängers geraten sei und jetzt „ganze Stücken mit einem Mal" von der Welt zu sehen bekäme. „Ach heren Se, mei gutes Herrechen,“ setzte er dann einschmeichelnd hinzu - „haben Se denn gar kene Nachrichten kerzlich von Laipzig?“

Ich versicherte ihm, daß ich die letzten sieben oder acht Monate keinen Brief von dorther, keine Zeitung gesehen habe, die mir die geringste Auskunft erteilt hätte, und in seiner gemütlichen Weise fuhr er dann fort mir zu erzählen, was „für ein paar scheene Mordtaten" da erst ganz kürzlich wieder vorgefallen wären; - eine „sehre scheene“, wo ein Sohn seine Mutter um ein paar Taler erschlagen hatte, eine andere, minder scheußlich, aber doch auch angenehm, und er bedauerte jetzt, daß er nicht doch lieber dort geblieben wäre - aber „wer hätte denn das wissen können!“

Der Mann war wirklich ein Original, und jetzt, da er einen Landsmann vor sich zu sehen glaubte, waren all' seine Sympathien auf alle nur erdenklichen Mordtaten und Schreckensgeschichten des alten Landes in einer so harmlosen als rührenden Weise gerichtet. - Wie sich der Ackerbauer, wenn lange Zeit in See, nach seinem Pflug, der Jäger nach seinem Wald sehnt, so weckte der Name der Heimat in seinem Herzen eben so liebgewonnene Klänge, die das Blut eines Andern erstarren gemacht.

E i n s c h ö n e r M o r d ! - was für eine furchtbare Poesie liegt in den wenigen Worten - ich glaube der Mann würde einem ihm zur Exekution Übergebenen in voller Seelenfreude um den Hals gefallen sein, und sich auf so herzliche wie aufrichtige Weise bei ihm bedankt haben, daß er ihm das Vergnügen mache, sich von ihm hängen zu lassen. Und trotzdem lag wieder eine unendliche Gutmütigkeit in seinen Zügen; /25/ der Mann selber, das bin ich überzeugt, hätte nicht so leicht ein Verbrechen begehen können, ausgenommen vielleicht in Aufopferung für die Kunst, dann aber auch mit Wonne. - Der Bursche soll übrigens später, trotz seiner anscheinenden Harmlosigkeit, wenigstens gezeigt haben, daß er Mutterwitz habe. Als das Schiff Monate nachher auf den Sandwichsinseln noch mit vielen anderen Walfischfängern zusammenkam, wußte er sich dort einige Medizinen zu verschaffen, und trat nun plötzlich, in seiner Eigenschaft als Scharfrichter, dem die stets abergläubischen Matrosen nur zu gern geheime Wissenschaften und Kräfte zuschreiben, als eine Art Doktor auf, der „für Alles gut war", und bekam bedeutenden Zuspruch. Ich weiß freilich nicht, ob er sich später noch gut aus der Affaire gezogen.

Mit dem Arzt der Otaheite, ebenfalls einem Deutschen, machte ich am 12. Februar einen kurzen Ausflug in das gleich oberhalb Papetee liegende Thal, das insofern historische Bedeutung hat, als sich die Eingeborenen hier in dem letzten französischen Kriege, von anderen Fremden, besonders von Engländern und Amerikanern, heimlich mit Waffen und Munition versehen, durch das Terrain unterstützt, tapfer und unüberwunden hielten, bis Einer ihres eigenen Stammes verräterischer Weise den Feinden des Vaterlandes einen Engpaß zeigte. Und dieser Mann - eine kleine untersetzte tätowierte Gestalt mit schmalen unsteten Augen, geht jetzt gar fromm und ehrbar in schwarzem Frack und rotem Lendentuch einher, gehört zu den innigsten Anhängern der Kirche und ist eins der geachtetstcn Glieder der christlichen tahitischen Gemeinde.

Dem kleinen Fluß aufwärts folgend, in dessen unterem Tal noch einzelne kleine Wohnhäuser und Gärten von einer Fenz umschlossen waren, konnten wir im Anfang wirklich kaum durch den fast undurchdringlichen Guiavenwald pressen, der hier Alles mit einer wildverwachsenen Masse von Sträuchern und Bäumen überzogen hatte.

Die Missionäre haben die Guiaven mit anderen Früchten hier herüber gebracht, und wenngleich im Anfang gut gemeint, ist es doch fast zum Fluch der schönen Täler dieser Inseln /26/ geworden. So ungern der Indianer selbst früher daran ging, wo das Land ihm noch nicht die mindesten Schwierigkeiten bot, seinen Acker zu bebauen und süße Kartoffeln zu ^stanzen oder einen Bananengarten anzulegen, so viel schwerer wird es ihm jetzt gemacht, wo er selbst anfangen muß hartnäckiges Buschwerk und junge zähe Baumwurzeln auszuroden, um nur erst einmal zu dein Boden zu kommen, den er bepflanzen will. Die Guiaven zogen sich bis hoch in das Thal hinauf, und erst wo wirklich steilere Hügel begannen, blieben sie zurück, oder kamen hier wenigstens nur einzeln vor, anderen Fruchtbäumen den Vorrang lastend.- Einzelne Cocospalmen standen hier eben so zerstreut als Orangen und Citronen, mit der tahitischen Kastanie, sogenannten mapé und dem stattlichen Wibaum wie der indischen manga (spondias) - und bald fanden wir uns in einer engen, aber höchst romantischen Schlucht, an deren beiden Seiten hohe schroffe, aber nichtsdestoweniger dichtbewaldete und bewachsene Felshänge emporstiegen, den zwischen ihnen durchbrausenden Strom oft fast überragend. Je weiter wir auswärts kamen, desto seltener wurden die Palmen, und als wir die Guiaven auch hinter uns ließen, traten wir in einen fast europäisch, wenigstens nordisch aussehenden Wald, in dem die mapés mit ihren großen lorbeerähnlichen Blättern, und wie gefalteten Stämmen, mit den stattlichen Wibäumen, die in Wuchs und Aussehen viel Ähnlichkeit mit unseren Buchen haben, entschieden vorherrschend waren. Der tui tui- oder Lichtnußbaum (aleurites triloba) mit seinen ahorngleichen Blättern stand hier ebenfalls in großen Massen. Hoch darüber hinaus ragten die grünen jähen Felswände, an denen hinauf zu schauen man schon schwindlig wurde, während hier und da an kleinen Hängen, selbst hoch oben, vielleicht tausend Fuß über der Meeresfläche, kleine Gruppen von Palmen, etwa fünf oder sechs, zusammenstanden, und wie schüchtern an dem Hang niederschauten, wo doch dicht bei ihnen hin ein kleiner Quell rasch und sprudelnd vorüberbrauste, und mit keckem Satz, gerade an der schroffsten, gefährlichst aussehenden Stelle, in die Tiefe sprang.

 

Der Weg wurde hier mühsam, denn die Felswände /27/ bildeten nur ein ganz schmales, meist mit großen Steinen überworfenes Thal, durch das sich der kleine Bergstrom rauschend und stürmisch die oft gehinderte Bahn brach, bald an dieser, bald an jener schroff abgerissenen Wand hinunterbrausend, und den schmalen Pfad, der das Tal herunterkam, dadurch bald auf diese bald auf jene Seite zwingend. Es blieb uns deshalb auch gar nichts weiter übrig, als herüber und hinüber zu waten, so oft er sich uns in den Weg warf, denn eine Eidechse hätte kaum an den schlüpfrigen steilen Felsen hinüberkommen können, ihn zu umgehen. Das Wasser war selten tiefer als bis zu den Knien, aber ungemein reißend, und die Steine, die rauh und wild über einander hin den Grund bildeten, schlüpfrig und mit schleimigem Moos überzogen.

Die Hitze wurde dabei ziemlich drückend, aber wir hatten nicht allein frisches Wasser genug, und zwar mehr als uns lieb war, sondern auch hier und da herrliche Orangen, wegen deren Tahiti überhaupt berühmt ist.

Mit dem Doktor war übrigens bös fort zu kommen; noch an keine solchen Touren gewöhnt, und wenn ich nicht irre zum e r s t e n Mal in seinem Leben auf fremdem Boden, nachdem er das Vaterland verlassen, und d e r Boden gleich Tahiti, wußte er sich eben nicht sogleich in die Unbequemlichkeiten des Weges zu schicken. An dem einen Ufer des Stromes bekam er seine Stiefel gewöhnlich nicht aus, und an dem andern nicht wieder an, und barfuß weiter gehen konnte er auch nicht; so versäumten wir denn eine Masse Zeit und rückten nur ungemein langsam vorwärts. Soviel als möglich suchten wir dabei die Biegungen des Flusses zu umgehen, wo sich das wenigstens nur halbwegs machen ließ, und wir kletterten auch eben wieder an einem der feuchten, schattigen Hänge hin, die hier gar kein Unterholz, nur Moos trugen, und deren Wald fast allein aus tui tui, Mapes und anderen hochstämmigen Hölzern bestanden, als ich eine Art grauer Nüsse auf der Erde, und zwar in ziemlicher Menge, liegen fand, die dem Aussehen nach ungefähr den amerikanischen Hickory- oder Walnüssen glichen. Ich schlug eine auf und kostete sie; sie enthielt einen etwas öligen, aber sehr /28/ wohlschmeckenden süßen, gelblich weißen Kern; dem Doktor schmeckte sie auch, und wir machten uns - hungrig waren wir Beide etwas geworden - ohne Weiteres darüber her. Das sollte uns übrigens schlecht bekommen, denn die Nuß war giftig, und ein Glück, daß sich die Natur selber wieder half, das Gift über Bord zu werfen und uns von sonst vielleicht bösen Folgen zu befreien.

Am nächsten Tag ließ ich mich übrigens nicht abhalten, noch einmal, und zwar nach der andern Richtung hin, das Innere des Landes zu besehen; ich wanderte also die Broomroad hinunter und bog dann links in die Berge ab, die sich in nicht gerade zu steilen Hängen dem Mittelpunkt der Insel und den höchsten Gipfeln der Berge zu zogen. Interessant war mir hier eine an den Hängen der Hügel, und zwar mitten im Wald angelegte Kaffeeplantagc, bei der ich wirklich nur durch die regelmäßig gepflanzten Kaffeebäumchen darauf aufmerksam gemacht wurde, daß ich mich nicht im freien Walde befinde. Der Kaffee will nämlich Schatten, um zu gedeihen, und wo solche Plantagen angelegt werden und noch keine größeren Bäume stehen, müssen solche gepflanzt werden. Das hatte man denn hier ganz vorteilhaft benutzt, und die kleinen Stämme gediehen gar wacker und saßen voller Früchte.

Auch heute machte ich wieder einen Versuch, einen der höheren Punkte zu erreichen, teils aber war ich noch, nach dem Genuß der verwünschten Lichtnüsse2 zu schwach und' angegriffen, eine so beschwerliche Tour, und noch dazu allein, zu unternehmen, teils überraschte mich wieder einer der fast regelmäßigen Nachmittagsregen mit einem so furchtbaren Guß, daß ich wirklich fürchtete, weggewaschen zu werden. Die Büsche waren dabei naß geworden, und wenn es eine Viertelstunde aufgehört hatte, fing es mit solcher Gewalt wieder an, während schwere Nebel, ja fast Wolkenmassen immer tiefer /29/ und tiefer lagerten, daß ich froh war, als ich das Haus wieder erreicht hatte, um meine Kleider zu wechseln.

Wie ich zurück in das Tal und auf die Broomroad, vielleicht noch anderthalb englische Meilen von der Stadt entfernt, kam, sah ich vor mir eine kleine Hütte und in den Büschen ein paar Menschen, die mit einander zu ringen schienen. Es waren Indianer, und mitten in einem förmlich tropischen Regenguß konnte das wahrlich nicht zum Vergnügen sein; rasch näher eilend, fand ich auch bald die Ursache. - Es war eine alte Frau, toll und voll getrunken, und der Sohn wahrscheinlich, bemüht, sie nicht allein dem Regenguß, sondern auch den Blicken der Vorübergehenden zu entziehen und in's Haus zu bringen, während sich die Trunkene mit all' dem Eigensinn eines solches Zustandes auf das Entschiedenste dagegen sträubte und mit Armen und Füßen wehrte. Wieder und wieder warf sie sich auf den schmutzigen Boden und klammerte sich endlich an einen Busch mit solchem Erfolg an, daß der junge schwächliche Bursch wirklich nichts weiter ausrichten konnte und nach der nicht mehr fernen Hütte um Hülfe rief. Gleich darauf erschien eine junge kräftige Frau in der Tür, und ihr oberes Tuch von den Schultern werfend, teils um es trocken zu behalten, teils freieren Gebrauch der Arme zu haben, sprang sie hinaus in den Regen, machte die Hand der Mutter, denn diese war es doch aller Wahrscheinlichkeit nach, von dem Busche los, und während der Sohn den einen Arm festhielt, ergriff sie den andern, und durch Schlamm und Pfützen schleiften sie den fast bewußtlosen Körper in die Hütte. Es war ein entsetzlicher Anblick, und ist allerdings leider der Fluch der spirituösen Getränke, die von den jetzigen Herren der Insel in vollem Maße eingeführt werden.

Am nächsten Tag kam bei meinem kleinen Schneider, den ich fast zu lange außer Acht gelassen habe, ein trauriger Fall vor - Familienverhältnisse allerdings; da sie aber auch zugleich das Familienleben fast sämtlicher unverheirateter Fremden hier berühren, glaube ich nicht umhin zu können, sie mitzuteilen.

Mein kleiner Schneider hatte sich nämlich vor einigen Tagen eine Frau genommen, das heißt er hatte nicht etwa geheiratet, /30/ denn zwischen Fraunehmen und Heiraten ist hier ein sehr bedeutender Unterschied. Nein, er hatte sich nur eins der gewöhnlich zum Besuch in die Stadt kommenden Mädchen ins Haus genommen, die ihm „weiter keine Arbeit tat“ und dafür, wie er mir sagte, „Essen, Trinken und Schlafstelle“ bekam. Die Verwandten des Mädchens schienen aber damit nicht einverstanden. Ich glaube nicht, daß sie für die Tugend desselben besorgt waren, aber sie gedachten vielleicht, durch das Mädchen ihre eigenen Umstände verbessern zu können und wollten sie ihm wieder aus dem Hause holen. Mein kleiner Schneider verteidigte seine Dame aber ritterlich, warf die „Anverwandten“ vorn zum Hause hinaus und schimpfte in einer Anzahl unbekannter Sprachen auf das Rohrsperlingsartigste. Als er jedoch nach glücklich behauptetem Schlachtfeld zu seiner Dulcinea zurückkehren wollte, um sie zu trösten, hatte sich diese aus der Hintertür empfohlen.

Der Tailleur wütete, und sein Zorn wurde noch erhöht, als er nach einer halben Stunde etwa einen Zettel des Polizeidirektors erhielt, den er sich noch dazu von einem Nachbar mußte vorleseu lassen, da ihm diese Wissenschaft nicht beigebracht war, worin ihn jener aufforderte, „unverweilt das Frauenzimmer, das er widerrechtlicher Weise in seinem Zimmer versteckt halte, ihren Verwandten auszuliefern“. War das noch Spott mit seinem Verlust getrieben?

Er schien aber nicht so leicht eingeschüchtert. „Jetzt erst recht!“ sagte er, drückte sich seinen Hut in die Stirn, nahm ihn wieder ab, um sich erst ein reines Hemd anzuziehen, fuhr dann in seine Schuhe, griff den Hut zum zweiten Mal aus und verließ sein Haus in solcher Eile, daß er selbst vergaß die Tür zuzuschließen. Er fand seine Donna auch wahrhaftig wieder - die Verwandten konnten wahrscheinlich dieser rührenden, ausdauernden Liebe nicht länger widerstehen - und brachte die junge Frau im Triumph zurück.

Vier Tage hatten sie so in unendlicher Eintracht zusammen gelebt, so lange brauchte Dulcinea nämlich, einen neuen Rock, den ihr ihr Anbeter gekauft hatte, für sich zu nähen, den alten gab sie dann in die Wäsche. Hiernach hatte sie einige Auftritte mit dem kleinen Schneider, von dem sie Geld zu einigen /31/ Einkäufen verlangte und der mit nichts herausrücken wollte, und verließ dann eines schönen Tages nach dem Mittagsessen die „stille, friedliche Wohnung“, wo jetzt Merz nach zehn vergeblichen Versuchen, sie wieder zu finden, mit der Welt zürnte und über die „Undankbarkeit des weiblichen Geschlechts“ raisonnierte.

Frauen auf solche Art zu unterhalten, ist hier eine ziemlich allgemeine Sitte, und selbst Die, welche sich einer gewissen heiratsartigen Zeremonie unterziehen, können, sobald sie es wünschen, ungemein leicht wieder von ihr geschieden werden. Die Weißen scheinen die Indianerinnen mehr als Sclavinnen zu betrachten, und meistens werden solche Contracte mit dem beiderseitigen Bewußtsein geschlossen, daß sie nicht lange dauern werden. - Manchmal freilich, und öfter vielleicht wie sich in dem wilden, zügellosen Wesen dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ausspricht, hängt das Herz dieser Mädchen mit viel innigerer und wirklich treuer Liebe an dem Mann, dem es sich zuerst ergeben, und der Fremde sieht nicht oder will nicht sehen, wie die Blume welkt und verdirbt, die er geknickt und dann - zur Seite geworfen.

Viele der Europäer geben sich aber auch mit vollem Bewußtsein einer solchen Leidenschaft hin, und zwar nicht mit dem Gedanken eines flüchtigen Rausches, nein, ein Band zu knüpfen, das für ihr Leben dauern und ihr irdisches Glück gründen soll. Es sind dies meist junge, sehr oft selbst gebildete Leute, die, von dem Liebreiz bestochen, der über dem ganzen Wesen dieser wilden, anspruchslosen Kinder liegt, zu dem Klima und Scenerie das Ihrige ebenfalls noch beitragen, eine aufbrausende, flüchtige Leidenschaft für wirkliche Liebe halten, oder wenn es selbst wirkliche Liebe gewesen, diese stark genug glaubten, sie für alles das entschädigen zu können, was sie in der alten Welt verließen und zu dem sie einst zurückzukehren hofften. Mit solcher Heirat aber haben sie sich die Rückkehr abgeschnitten, und schon mit dem ersten Bewußtsein dieser Tatsache, die sie ableugnen mögen so viel sie wollen so lange sie im ersten Rausche leben, die sie aber mit wenigen Ausnahmen nicht mehr bekämpfen können, wenn sie zu reiferem Bewußtsein gelangen, fängt meist diese Leidenschaft /32/ an wieder zu erlöschen. Halten sie dann den Schwur, den sie geleistet - und oh, in wie seltenen Fällen! - so sind sie unglücklich für ihr ganzes Leben, und der Verstand wirft dem Herzen jetzt in quälender Reue den Leichtsinn feiner Jugend vor. - Und halten sie ihn nicht - lieber Leser, unter dem buntfarbigen Kattun schlägt manches gebrochene Herz, und der stille Wald entweder, aus dem sie der Verführer gezogen und in den sie zurückfliehen, oder das offene Laster sind die gewöhnlichen natürlichen und unnatürlichen Heilmittel, die das arme Mädchenherz sucht, um seinen Schmerz zu verträumen - oder zu betäuben.

 

Bei ehelicher Liebe fällt mir übrigens eine Frau ein, die in Papetee gewöhnlich mit einem weißen allerliebsten kleinen Kind auf dem Arm herumging, und deren Anblick stets einen entsetzlichen Eindruck auf mich machte. Sie soll in früherer Zeit ihren Mann umgebracht haben, und zur Strafe ist ihr jetzt das englische Wort „Mord“ mit großen Buchstaben (die Buchstaben auf dem Kopf stehend und mit schätzenswerter Beachtung der richtigen Abtheilung des Wortes, aber gänzlicher Mißachtung jeder Symmetrie: Murder die vier ersten Buchstaben auf die linke, die beiden anderen auf die rechte Backe, in unvertilgbaren Zügen quer durch das Gesicht tätowiert. Eine entsetzliche Art, ein Brandmal aufzudrücken.

Was den tahitischen Handel betrifft, so beschränkte der sich in früheren Jahren meist nur auf Walfischfänger verschiedener Nationen, die hier nicht allein anlegten, um Erfrischungen einzunehmen, sondern auch meist noch einen kleinen Vorrat von Kattunen und Spielereien, wie den leidigen Branntwein mitführten. - Hierzu kamen noch einzelne Schiffe, die teils von Sidney, teils von Valparaiso direct nach Tahiti des Handels wegen gingen, da auch hierher die meisten auf den benachbarten Inseln gezogenen Producte zum Verschiffen gebracht wurden. Californien hat dies ziemlich unregelmäßige Verkehrssystem aber, da die Walfischfänger nur zu gewissen Zeiten hier anlegten, beinahe über den Haufen geworfen, denn sehr viele Schiffe, die teils von Australien nach Californien gingen, teils von dort zurückkehrten, liefen diese Inseln an, um ihre noch vorrätigen Waren abzusetzen und dafür einzu-/33/tauschen, was sie eben bekommen konnten. Der Markt für solche Sachen, die überhaupt in Papetce verkauft werden können, ist aber sehr bald überfüllt; ein paar Schiffe, die zu gleicher Zeit einlaufen, drücken schon die Preise herunter, und drei, vier kommen nicht auf ihre Kosten. Auch der Export ist noch gar nicht so bedeutend, eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu beschäftigen, denn der Indianer dort läßt sich nicht, wie der Indier zum Beispiel, zur Arbeit für seine Eroberer zwingen, und seine Brodfrucht wächst ihm von selber zu. - Es wird deshalb auch noch langer Jahre bedürfen, ehe ein lebendigerer Verkehr hier hergestellt werden könnte. Die Franzosen sollen jetzt bemüht sein, europäische Colonisten hinüber zu ziehen; diese müßten sich dann aber auch freilich ihre eigenen Arbeiter mitbringen, denn sie werden die Eingeborenen nie gutwillig dazu bewegen, Hand anzulegen und mehr zu bauen, als sie zu ihrem eigenen Unterhalt brauchen.

Eines Sonntags, als ich eben wieder in der Veranda des nordamerikanischen Hotels saß und die wundervolle Bai, die reizende kleine mit Palmen bewachsene Insel und im Hintergrund die kühnen Contouren Imeos überschaute, lief eine Brig unter englischer Flagge ein, und eine halbe Stunde später hörte ich, das Fahrzeug sei nach Sidney bestimmt. So fuhr ich an Bord des neu angekommenen Schiffes Emma Prescott hinüber und bedung auch ohne weiteres Zögern meine Passage nach Sidney - an Ort und Stelle angekommen zu zahlen. Die Brig sollte nun allerdings schon am nächsten Abend unter Segel gehen, ich war aber in der Art zu oft angeführt, um mich groß zu beeilen, schaffte also nur ruhig meine Sachen an Bord und beschloß dann, den letzten Augenblick, das Lösen des Vormarsscgels, abzuwarten.

Eine Hauptsache hatte ich indes noch zu besorgen: einen Vorrat an Früchten nämlich für die Reise anzuschaffen, und hierin war mir besonders ein junger Straßburger, Herr Rollenberger, den ich dort kennen lernte, behilflich. Aus dessen Garten pflückte ich mir noch nicht vollreife Orangen selber, da die zum Markt gebrachten gewöhnlich heruntergeschüttelt werden und sich nicht die Hälfte der Zeit halten. Außerdem ver-/34/ sah ich mich noch mit Bananen, Cocosnüssen zum Trinken, Citronen für das Wasser, rotem Pfeffer für Salzfleisch und Speck - eine schöne Abwechselung gegen die herrliche vegetabilische Kost auf den Inseln - und durfte so einer Fahrt in dem ziemlich warmen Wetter mit Ruhe entgegensehen. Außerdem hatte mir der Supercargo des Schiffes auch noch eine Reihe von Sachen genannt, die er einkaufen wollte, und mit günstigem Wind konnten wir Australien leicht in drei bis vier Wochen erreichen.

Den ganzen letzten Tag in Papetee verbrachte ich übrigens auf dem Markt, um die nötigen Sachen zu bekommen, denn dieser ist auf gar wunderlich unbequeme Art eingerichtet, und so ärmlich und traurig bestellt, wie es nur immer die Faulheit der Indianer zuläßt. Die Marktgebäude bestehen aus zwei auf hölzernen Pfosten ruhenden, etwa fünfundzwanzig Schritt langen und zehn Schritt breiten Strohdächern, unter denen, was gerade eingebracht ist, feilgeboten wird. Man kann aber zehnmal des Tages hinkommen, und findet vielleicht nur an dem einen Pfosten einen Mann mit zwei Körben Orangen oder Bananen und an einem andern ein Mädchen mit vier oder fünf Stengeln Zuckerrohr. Das einzige Gute bei dem Einkauf ist, daß kein Handel stattfindet. Die Eingeborenen fordern ihren Preis, den, wenn ich nicht irre, die Regierung auf die Sachen setzt, und davon gehen sie nicht ab; wer ihnen das nicht gibt, läßt die Sache eben ungekauft. Das Schlimme aber dabei, sie binden sich an gar keine Zeit, mit ihren Waren zu Markt zu kommen, denn sie wissen recht gut, sie verkaufen Alles, was nicht eben das Alltäglichste, wie Orangen, Bananen und Kürbisse, ist, so rasch wie sie nur den Marktplatz erreichen. So sieht man sie denn bald von dieser, bald von der Seite mit ihren Stöcken auf der Schulter, von denen nach chinesischer Sitte die Waren hinten und vorn herunterhängen, langsam angeschlendert kommen, und mit derselben Ruhe stecken sie ihr Geld ein und schlendern wieder ab.

Dabei sind sie auch, wenn sie erst die eine Ladung verkauft haben, nie zu bewegen, eine zweite zu bringen - ihre Tagesarbeit ist getan, sie haben gerade so viel, wie sie für /35/heute brauchen, und sich auf m o r g e n zu quälen? - fällt ihnen gar nicht ein. So wollte ich gern so rasch als möglich eine größere Quantität Cocosnüsse haben, als eben einkam, und bot zweien der jungen Burschen, denen ich ihren Stock voll abgekauft hatte, das Doppelte, um mir noch eine solche Quantität zu bringen. - ,,Morgen!" lautete die lakonische Antwort, und wenn sie Taschen gehabt, hätten sie jedenfalls die Hände hineingesteckt.

Die Cocosnüsse, die sie zu Markt bringen, sind gewöhnlich schon von ihren Hülsen befreit; da sich aber die mit den Hülsen noch daran besser zu einer Seereise eignen, indem sie sich länger halten - denn die ersteren verderben schon nach vier, fünf Tagen -, so ließ ich mir auf dem Markt selbst von einer dort stehenden Cocospalme eine Partie herunternehmen.

Die Art, wie die Indianer auf die Cocospalmen hinaufklettern, ist eigentümlich. Sie machen sich von Bast einen „Schuh", wie sie es nennen, das heißt, sie nehmen ein vielleicht drei Fuß langes Stück starken Bast, binden dies an den Enden zusammen und schlagen es, daß es sich in der Mitte kreuzt, um beide Füße; auf solche Art bildet es eine Art Steigbügel, und mit Hülfe desselben, die Beine immer zu gleicher Zeit nach sich ziehend, laufen die jungen Bursche manchmal wie Katzen an den hohen, schlanken, selten aber mehr als ein bis anderthalb Fuß im Durchmesser haltenden Palmen empor, brechen die Nüsse von den dünnen Stielen los, stellen sie, die Spitze nach unten, zwischen die zusammengespitzten Finger und drehen sie scharf, damit sie, herunterfallend, in der Luft sich Herumwirbeln, ihre Stellung behalten und mit der Spitze wieder in die weiche Erde fahren. Schlagen sie seitwärts auf, so platzen sie und das Wasser geht verloren.

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